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Sechs Menschen - Ein Sturm - Ein Schicksal

Vorgeschichte der Organisationsmitglieder Nr. 7 - 12
von

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Nächtliche Jagd

Das Mondlicht bahnte sich seinen Weg durch die dichten Baumkronen. Nur eine leichte Brise bewegte die Blätter. Schnaubend trabte ein graues Pferd den Waldweg entlang. Nach einer Weile wurde es von seinem Reiter abrupt zum Halt gebracht. Der Reiter, Isa genannt, schwang sich geschickt aus dem Sattel und zog dann sein Schwert. Die mit Silber überzogene Klinge glänzte im Mondlicht.

Aufmerksam sah er sich um, darauf bedacht, dass er keinen Laut von sich gab.

Er wusste, dass das Wesen sich in diesem Wald herumtrieb, einzelne Dorfbewohner hatten dies unabhängig voneinander bestätigt. Prüfend blickte er zu den Baumkronen hoch.

Tatsächlich, es war Vollmond, das Wesen musste also irgendwo sein.
 

Plötzlich ein Knacken im Unterholz. Das Pferd tänzelte unruhig, der Wind frischte auf. Isa löste seinen Blick vom Himmel. Langsam erhob er sein Schwert und blickte konzentriert in Richtung des Geräusches.

Zwei glühende Augen begegneten den seinen. Ein Knurren ertönte. Wieder ein Rascheln und ein pelziger Körper stürzte sich auf den Mann, der geschmeidig auswich und dem Wesen einen Schwerthieb verpasste. Das Wesen jaulte auf und ergriff die Flucht.

Jetzt stahl sich ein Grinsen auf Isas Lippen. Er hatte es nur kurz sehen können, aber er wusste sofort, dass er es mit einem Werwolf zu tun hatte. Jetzt konnte der spaßige Teil seiner Jagd beginnen. Er liebte es, wenn er seine Beute solange verfolgte, bis sie nicht mehr weiterkam. Es war wie ein Rausch, dieses Gefühl, wenn Adrenalin in seinen Körper gepumpt wurde. Ja, in einer gewissen Weise war er genauso wie der Werwolf, auch er war solch ein Raubtier.

Er schwang sich auf sein Pferd und jagte dem Wesen hinterher.

Die Rollen waren vertauscht, diesmal wurde der Jäger zum Gejagten. Wie erwartet stellte sich wieder dieser Rausch ein, beinahe hätte Isa gelacht vor Freude. Er trieb sein Pferd an den Rand der Erschöpfung.
 

Endlich kam der flüchtende Werwolf in Sicht, Isa holte weiter auf, bis er schließlich direkt vor dem Wolf stoppte. Ein gelbes Augenpaar traf auf ein braunes und der Wolf hielt abrupt an. Gekauert starrte er den Mann auf dem Pferd an. Dieser schwang sich mit dem gezückten Schwert aus dem Sattel. Er wusste, was er zu tun hatte, er hatte bereits Dutzende Werwölfe erledigt.
 

Der Werwolf witterte das Silber auf der Klinge sofort, er wusste instinktiv, was dieses Metall bei ihm anrichten würde.
 

Siegessicher erhob Isa das Schwert und machte sich bereit, seinem Gegner den Kopf abzuschlagen.
 

Plötzlich raschelte es hinter ihm, sein Pferd wieherte panisch auf. Ein zweiter Werwolf sprang zähnefletschend aus der Dunkelheit des Dickichts und knurrte das Tier an. Isa fuhr herum. Ein Hinterhalt! Warum hatte er das nicht bemerkt?!
 

Etwas knurrte hinter ihm. Fluchend wandte Isa sich wieder dem ersten Werwolf zu, der sich aus seiner Starre gelöst hatte und langsam auf ihn zukam. Ebenso langsam wich der Mann zurück. Sein Verstand sagte ihm, dass er niemals gegen zwei Werwölfe ankommen würde und dass er lieber Fersengeld geben sollte. Er schlug mit seinem Schwert aus, der Wolf wich ein gutes Stück zurück. Diese Lücke nutzte Isa aus, um aus der Reichweite der beiden Wölfe zu hechten. Er hatte leider nicht die Zeit, um auch noch sein Pferd zu retten. Schade drum, aber entweder sterben beide oder er überlebt.
 

Hastig warf er sein Schwert beiseite und rettete sich auf den nächst besten Baum. Wenn Hunde keine Bäume hochklettern konnten, dann konnten es Wölfe auch nicht, schlussfolgerte er schnell. Gerade als er am untersten Ast hing und ein wenig höher klettern wollte, spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Bein. Aufgebracht sah er hinunter. Einer der beiden Werwölfe krallte sich an einem seiner Hosenbeine fest und fletschte die Zähne. Isa trat nach ihm und traf den Wolf am Unterkiefer. Der Werwolf knurrte nur und machte keine Anstalten, von ihm abzulassen. Erneut traf den Wolf ein Tritt am Unterkiefer, er schnappte nach Isas Fuß, verfehlte ihn aber. Isa schrie wütend auf und schüttelte den Werwolf ab. Der pelzige Körper landete unsanft auf dem mit Laub bedeckten Boden. Mühsam rappelte der Wolf sich wieder auf und starrte knurrend zu Isa hoch, der immer weiter nach oben kletterte.

Schwer keuchend saß Isa nun auf dem höchsten Ast, der ihn tragen konnte. Die Verletzung an seinem Bein hatte die Kletterpartie erheblich erschwert.
 

Frustriert fluchend krempelte er ein Hosenbein hoch und besah sich die Wunde. Sein Herz setzte für einen Moment aus. Anfangs hatte er noch geglaubt, es sei nur ein Kratzer, aber das, was er sah, war eine kleine, aber deutliche Bissverletzung.
 

Viele Jahre hatte Isa sich der Werwolfsjagd gewidmet, sich einen Namen gemacht. Niemals wurde er gebissen, er hatte eine einmalige Erfolgsquote und war überall bekannt und geachtet.

Und jetzt – jetzt war er in einen Hinterhalt gelockt worden. Von zwei dummen BESTIEN!
 

Es war, als hätte irgendjemand in Isas Hinterkopf einen Schalter umgelegt. Zorn durchflutete seinen Körper. Jetzt war ihm alles egal, er war eh verloren; dazu verdammt, genauso wie die Werwölfe zu werden. Mit einem lauten Wutschrei ließ er sich vom Baum fallen, den Schmerz des Aufpralles beachtete er nicht. In seinem Kopf herrschte nur noch der Gedanke der Rache.
 

Die beiden Werwölfe schienen verwirrt, als Isa ruhig sein Schwert vom Boden aufhob und langsam auf sie zukam. Eine bedrohliche Aura umgab ihn. Der erste Wolf griff an, Isa wurde zu Boden gestoßen, schaffte es aber, dem Wolf eine Vorderpfote abzuschlagen. Blut spritzte ihm ins Gesicht und auf die Kleidung. Panisch aufjaulend schrak der verletzte Wolf zurück und wollte flüchten, aber Isa setzte ihm nach und versenkte sein Schwert mit aller Macht in dessen Rücken. Der Werwolf war auf der Stelle tot.
 

Isa hob den Kopf und sah dem anderen Werwolf in die Augen.

Gelb traf auf gelb.

Zähnefletschend stürzte sich der Werwolf auf ihn, Isa konnte das Schwert nicht schnell genug aus dem toten Körper herausziehen. Blut spritzte, seine Umgebung war plötzlich hinter einem roten Schleier verschwunden. Er kniff die Augen zornig zusammen, bekam das Schwert endlich frei und stach dann blind zu. Glückstreffer - Ein schrilles Jaulen ertönte, dann das Geräusch eines schweren Körpers, der leblos zu Boden fiel.
 

Jetzt verließen Isa sämtliche Kräfte, er sackte keuchend zusammen. Mühsam öffnete er seine Augen, kein Blut vernebelte ihm mehr die Sicht. Er musste sich schnell das Blut abwaschen, ehe weitere Werwölfe davon angelockt wurden. Hastig stolperte er durch den Wald, irgendwo musste es doch so etwas wie einen Bach oder einen Fluss geben.
 

Nach einer Weile vernahm er tatsächlich das Geräusch von fließendem Wasser. Er beschleunigte seinen Schritt. Ein kleiner Fluss kam in Sicht, Isa ließ sich erschöpft an dessen Ufer nieder, legte das Schwert beiseite und benetzte sein Gesicht mit dem kalten Wasser. Es brannte wie Feuer. Als Isa sich sein Spiegelbild näher betrachtete, gefror ihm der Atem. Eine große Narbe in X-Form prangte nun inmitten seines Gesichtes. Und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, waren seine Augen nun gelb. Gelb wie die eines Wolfes. Auch seine Ohren hatten sich verändert, waren spitzer geworden. Isa wusste, dass er bald komplett wie ein Wolf aussehen würde. Er würde bald zur Beute von anderen Jägern werden. Der Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht. Er wollte keine Beute sein, er wollte der Jäger sein!
 

Der Wind verstärkte sich, starke Böen zerzausten die Blätter an den Bäumen, dunkle Wolken vermehrten sich unglaublich schnell am Himmel.

Verwirrt über diesen plötzlichen Wetterumschwung sah Isa auf, er spürte Gefahr. Aber woher? Er blickte sich um. Mit einem Mal schien es so, als wenn die Dunkelheit lebendig geworden wäre und auf ihn zukam. Isa schrak erschrocken zurück. Die Dunkelheit war nie und nimmer lebendig, das musste eine Sinnestäuschung sein!
 

Gelbe Lichter tauchten in der Dunkelheit auf. Isa runzelte die Stirn und ergriff sein Schwert. Waren das etwa Werwölfe?

Etwas kroch aus der Dunkelheit, pechschwarz, mit gelben Augen und zwei langen zitternden Fühlern. Isa ließ sein Schwert sein wenig sinken. Kein Werwolf. Aber was dann?

Das Wesen erinnerte ihn entfernt an eine Kreuzung aus Hase und Insekt. Plötzlich sprang es ihn an, riss ihn zu Boden. Isa stach mit dem Schwert auf das Wesen ein, aber kein einziger Treffer schien dem Wesen etwas auszumachen. Es hob nur unbeeindruckt seine Klauen und rammte sie in Isas Brust. Eine nie gekannte Kälte durchflutete ihn, schnürte ihm die Luft ab. Isa versuchte, das Wesen abzuschütteln, aber die Kälte in seinem Inneren ließ seinen Körper erstarren und machte jede Bewegung unmöglich. Sein Verstand benebelte sich, alles um ihn herum wurde schwarz.
 

Er hatte das Gefühl, als wenn er in tiefster Dunkelheit versinken würde.

Brennende Wut

"I cant fight this feeling any longer

And yet I'm still afraid to let it flow

What started out as friendship, has grown stronger

I only wish I had the strength to let it show ..."
 

["Can't fight this feeling" - Reo Speedwagon]
 

Ale drehte das Autoradio lauter. Gott, er liebte diesen Song. Mit einem heiteren Lächeln sah er kurz in den Rückspiegel und strich sich durch die Haare. "Siehst gut aus, Junge", sagte er zwinkernd zu seinem Spiegelbild. Dann lehnte er sich entspannt zurück und summte die Songmelodie mit.
 

Das silberne Cabrio brauste elegant über den Asphalt. Hier und da sausten Warnschilder vorbei, aber Ale schenkte ihnen keine Beachtung. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich im Geiste auf die Schulter zu klopfen. "Und wieder eine Mission erledigt, yeah! Ale, du bist der Größte!" triumphierte er. Anschließend ließ er sich lautstark vom Song im Radio mitreißen. "TA-TA-TA- CAN'T FIGHT THIS FEELING ANYMORE...!!!"
 

Ale war seines Zeichens Auftragskiller. Der Beste in seinem Revier, wie er gerne zu sagen pflegte. Seine Aufträge erledigte er gewissenhaft und gründlich, sein Boss zahlte gut, er hatte also keine Zukunftssorgen.
 

Kurz fiel sein Blick wieder auf sein Spiegelbild. Zwei Striche befanden sich unter seinen Augen. Er hatte sie sich am Anfang seiner Mission aus Gewohnheit mit einem Kohlestift aufgemalt, er hielt das für besonders cool. Und immer, wenn er alles erfolgreich erledigt hatte, wischte er sie sich wieder weg - bis zum nächsten Auftrag.
 

Dunkle Wolken breiteten sich überraschend schnell über den Himmel aus und verdeckten die Sonne. Ein wenig genervt über den plötzlichen Schwund an Sonnenlicht kurbelte Ale das faltbare Autodach wieder aus - nur für den Fall, dass es regnen sollte.

Wenn er eines hasste, dann war es Regen. Er konnte diesem nichts abgewinnen, Regen war kalt, nass - einfach nur widerlich.

Aber nicht nur das Wetter schien gegen ihn zu sein, auch das Autoradio war plötzlich der Meinung, es müsse den Dienst aufgeben.
 

"Argh! Was ist denn jetzt mit diesem verdammten Teil los?!" Verärgert schlug Ale ein paar Mal auf das Radio ein, aus dem nur noch Rauschen ertönte.

Die dunklen Wolken verdichteten sich, Donner war nun zu hören.

"Na prima! Ein Gewitter! Vom Regen in die Traufe!"
 

Die Straße führte durch einen Wald. Es war bereits Herbst, buntes Laub lag auf dem Boden. Eigentlich ein hübscher Anblick, selbst im Halbdunkel, aber Ale hatte zurzeit ganz andere Probleme. Zu allem Unglück hatte sich bei ihm nämlich auch noch das Bedürfnis nach einer Zigarette gemeldet. Er war kein wirklicher Kettenraucher, aber er hatte die Angewohnheit, sich immer dann, wenn er frustriert war, eine Zigarette anzustecken.
 

"Bwah, das kann doch nicht wahr sein! Warum muss ich ausgerechnet JETZT Bock auf 'ne Kippe haben?!" Ale steuerte den Wagen auf eine wenig bewachsene Fläche in der Nähe der Straße und hielt an. Anschließend kurbelte er das Autofenster herunter und streckte prüfend eine Hand in die kühle Herbstluft. Noch schien es nicht zu regnen.

Eigentlich hätte er auch im Auto rauchen können, aber er hatte keine Lust darauf, dass sich der Gestank in den teuren Ledersitzen festsetzte.
 

"Super! Okay, jetzt schnell 'ne Kippe, bevor es regnet und dann wieder ab ins Auto!" Schwungvoll öffnete Ale die Tür, stieg ein wenig ungelenk aus dem Wagen und schloss die Tür wieder. Mit geschickten Fingern fischte er eine Zigarettenschachtel und ein Feuerzeug aus seinen Hosentaschen. Einige Momente später lehnte er sich, eine brennende Zigarette im Mund, entspannt gegen das Auto. Sein Blick wanderte zum bewölkten Himmel. Es war, als wenn jemand ein Tintenfass über diesen ausgekippt hätte.
 

Ale war sich sicher, dass er niemals zuvor in seinem Leben derartig dunkle Wolken gesehen hatte.
 

"Hoffentlich werd ich jetzt nicht gleich pitschnass und vom Blitz getroffen oder so was..." murmelte er missmutig, zog an dem Glimmstängel und blies etwas Zigarettenrauch in die Luft. Nach einer Weile drückte er den wenigen Rest, der ihm noch von der Zigarette übrig geblieben war, auf dem Waldboden aus. Gerade in dem Moment, in dem er mit dieser Tätigkeit fertig war, kamen schon die ersten Tropfen runter und verwandelten sich innerhalb weniger Sekunden in einen strömenden Regen. Zudem zuckten violette Blitze durch die Wolkendecke.
 

Moment mal, violett?
 

Verwirrt hielt Ale inne und sah hoch. "Alter, was ist denn das für ein Scheiß? Lilane Blitze!" Er wandte sich genervt wieder ab. "Hab keine Zeit für so was! Ich muss ins Auto, ich krieg hier noch ne Erkältung, verdammt noch mal!"

Doch gerade, als er die Autotür öffnen wollte, schlug ein Blitz in einen Baum ein. Ale hörte etwas laut knarren und schon fiel der Baum krachend aufs Auto.

Vor Schreck blieb Ale der Mund offen stehen.

Sein Wagen, nur noch ein Schrotthaufen.

Eine Radkappe hatte sich durch den Aufprall von einem der Vorderreifen gelöst, rollte auf Ale zu und blieb scheppernd vor ihm liegend.

"OH, VERDAMMTE SCHEIßE NOCHMAL!!!" Schnell riss er sich aus seiner Starre und trat wutentbrannt gegen den umgefallenen Baumstamm. "Scheiß Baum, scheiß Regen, scheiß Radio, scheiß Gewitter!!! ARGH! Den nächsten Typen, der mich jetzt blöde anquatscht, den bringe ich eigenhändig um!!!" schrie er aufgebracht.
 

Plötzlich raschelte etwas hinter ihm. Ale drehte sich sofort um. Vor ihm waren die Bäume, das Laub auf dem Boden, einfach alles, in ein tiefes Schwarz getaucht.

"Wer ist da?!" fragte er in die Dunkelheit. Wieder ein Rascheln.

Aufgebracht knirschte Ale mit den Zähnen. Vielleicht war es ein Wildschwein. Oder ein Reh. Oder jemand, der gerade seinen Spaß daran hatte, ihm eine Heidenangst einzujagen.

"HEY! HALLO! Komm sofort raus!" Angestrengt starrte er in die Dunkelheit. Zwei gelbe Lichter tauchten in der Schwärze auf. Sie bewegten sich auf ihn zu.

"Was zum ...?!" Ale’ s Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Angst kroch in ihm hoch. Er befahl sich innerlich, sich zusammenzureißen, das Letzte, was er jetzt gebrauchen könnte, wäre es, durchzudrehen.
 

Weitere Lichter tauchten auf. Langsam wich Ale zurück.
 

"Scheiße, es ist zu dunkel! Ich kann kaum was sehen!" Hastig holte er sein Feuerzeug aus der Tasche und machte es an. Die Flamme tanzte, ihr flackerndes Licht fiel auf die Wesen, die sich vor Ale tummelten. Pechschwarz waren sie. Solche Kreaturen hatte er noch nie zuvor gesehen.
 

Scharfe Krallen blitzten im Feuerschein auf.
 

"Verzieht euch!!!" Hektisch fuchtelte Ale mit dem Feuerzeug herum, um die Wesen zu vertreiben. Diese zeigten sich aber unbeeindruckt und kamen stattdessen unbeirrt näher.

Panik stieg nun in Ale hoch, er durchsuchte seine Taschen nach einer Waffe. Er fand aber nur die angefangene Zigarettenschachtel. Die war als Waffe absolut nicht geeignet.

Plötzlich ertönte ein metallenes Geräusch, er blickte nach unten. Anscheinend war er auf die Radfelge getreten. Schnell hob er sie hoch. Es war eine hübsch anzusehende Felge mit filigranen Metallsträngen. Ale hatte keine Zeit, sich zu überlegen, ob das eine geeignete Waffe war, da er nun mit dem Rücken am Auto stand und keinerlei Fluchtmöglichkeiten mehr besaß. Die Wesen hatten ihn eingekreist.

"Ich schwöre, wenn ich das hier irgendwie überstehen sollte, dann werde ich nie wieder rauchen!!!" stieß Ale zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, den Blick angespannt auf die Wesen vor ihm gerichtet.
 

Das erste startete den Angriff, er spürte die Krallen an seiner Brust, konnte sie aber mit der Felge abwehren. Katzengleich landete das Wesen auf allen Vieren und griff erneut an, diesmal heftiger. Ale wurde seitlich zu Boden gerissen. Das Feuerzeug flog ihm aus der Hand, er sah noch, wie die Flamme in die Dunkelheit eintauchte und anschließend verlosch.

Nun war er allein mit der Dunkelheit. Dutzende gelber Lichter kamen in sein Blickfeld, er versuchte, wieder aufzustehen. Doch er rutschte auf dem nassen Laub immer wieder aus.

Schließlich war er von den gelben Lichtern umgeben, es wirkte so, als würde er von nahem den Sternenhimmel betrachten.

Ein stechender Schmerz machte sich in seiner Brust breit, Ale schrie gepeinigt auf.

Kurz erstrahlte vor seinen Augen ein überirdisch schönes und warmes Licht, dann verlor er das Bewusstsein.
 

Bevor er komplett in der Dunkelheit verschwand, war sein letzter Gedanke:

"Verdammt, ich habe habe vergessen, mir die Striche wegzuwischen!"

Regnerische Stimmung

Die Scheinwerfer gingen an, der Bass wummerte, die Musik durchflutete den Saal. Voller Energie wurden die Instrumente gespielt und das Publikum immer wieder zur Begeisterung angetrieben.
 

"Schaust du dir das schon wieder an, Dyme?" Eine Stimme riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. Beinahe panisch schaltete er den Fernseher wieder aus.
 

"Öh... Ich..." stammelte Dyme nervös und nestelte an der Fernbedienung rum. Der Bandmanager, zu dem die soeben dazugekommene Stimme gehörte, seufzte.
 

"Anstatt dir ständig diese alten Aufzeichnungen anzusehen, solltest du lieber den Technikern bei dem Verlegen der Kabel helfen."
 

"Öhm, kann ich Sie etwas fragen ...?"
 

"Ja?"
 

"Wann darf ich auch mal bei einem Konzert mitmachen? Nur ganz kurz... Versprochen." Dyme sah schüchtern zu Boden.
 

Eine lange Pause entstand.
 

"Kümmere dich lieber erstmal um die Kabel, dann sehen wir weiter ", meinte der Manager schließlich.
 

"Okay ..." murmelte Dyme leise und machte sich dann auf den Weg.
 

Dymes großer Traum war es, einmal selbst auf der Bühne zu stehen und so wie die Bands im Fernsehen das Publikum zum Jubeln zu bringen. Als er sich dann beworben hatte, wurde ihm versprochen, dass er groß rauskommen würde. Doch alles, was er bislang tun durfte, waren Kaffeekochen und Kabelverlegen, sowie diverse andere Kleinigkeiten. Irgendwie wurde Dyme das Gefühl nicht los, dass man ihn nur als Praktikanten missbrauchte. Aber optimistisch wie er war, tat er alles, was man von ihm verlangte, in dem Glauben, dass sein Traum irgendwann in Erfüllung gehen würde.
 

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Später am Tag stand er vor dem Büro des Managers und starrte die Tür unschlüssig an. Er wollte den Manager nochmals wegen seines möglichen Auftritts sprechen, aber irgendwie traute er sich nicht.
 

Nach einer Weile ging die Tür auf und der Manager stand vor ihm. "Gibt es irgendetwas, um das du mich bitten möchtest, Dyme?"
 

"Äh..." Dieser schluckte und riss sich schließlich zusammen. "Ich wollte Sie wegen des... Sie wissen schon... nun ja, wegen des Auftritts fragen, wenn es Ihnen nichts ausmacht..." Er wurde mit jedem Wort immer leiser.
 

Erst seufzte der Manager, dann deutete er auf einen der Sitze im Wartezimmer. "Setz dich erstmal hin."
 

Dyme tat, wie verlangt.
 

"Hör mal, du bist zwar ein netter Junge und deine Gesangskünste sind auch nicht schlecht, aber deine Stimme kommt kaum über die erste Reihe hinaus."
 

"Nur einmal, bitte..." In Dymes Augen glitzerten Tränen. "Ich werde auch extra ein Instrument lernen..."
 

Eine lange Pause entstand, in der der Manager erstmal gründlich nachdachte. Anschließend seufzte er. "Nun gut, ich gebe dir eine Chance. Aber nur eine. Solltest du diesen Auftritt verpatzen, weil du zu leise singst oder zu schlecht spielst, dann musst du es dir sofort aus dem Kopf schlagen, Musiker werden zu wollen, verstanden?!"
 

Dyme nickte stumm schniefend.
 

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Nach längerem Überlegen hatte er sich für eine Akustikgitarre entschieden und übte wie ein Besessener. Schon nach kurzer Zeit waren seine Finger blutig und taten bei jeder Bewegung weh und auch seine Stimme befand sich am Rand einer dauerhaften Heiserkeit, aber er machte verbissen weiter, seinen Traum fest im Blick.
 

"Irgendwann werde ich mit meiner Musik sogar das Wasser zum Tanzen bringen!"
 

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Schließlich war es soweit und der Abend, auf den er schon so lange gehofft hatte, war endlich da.
 

Dyme befand sich in der Umkleidekabine und lief unablässig auf und ab. Sein Magen schlug Purzelbäume und er schwitzte, als wenn er sich gerade in einer 40 Grad heißen Sauna befinden würde. Immer wieder ging er seinen Text durch, musste aber feststellen, dass sich in seinem Kopf eine große Leere befand, die sich immer mehr ausbreitete.
 

Nach einer Weile kam jemand rein, Dyme hielt kurz an, um zu sehen, wer es war.
 

"Hallöle!" wurde er von seinem besten Freund, dem Bühnenarbeiter Sam gegrüßt. "Ich wollte nur wissen, wie es unserem kleinen Sänger so geht."
 

Dyme seufzte bedrückt. "Mir ist schlecht... Ich weiß nicht, ob ich das schaffe..."
 

"Das ist bloß das Lampenfieber, Kleiner, du packst das schon." Sam klopfte auf seine Schulter und lächelte. "Oder hast du jetzt plötzlich deinen Traum aufgegeben? Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich."
 

"Sam, ich habe Angst, schreckliche Angst ... Da ist so ein Gefühl, als würde mich irgendwas von innen herauf auffressen! ... Ich hätte nie gedacht, dass Lampenfieber so schrecklich ist..." Dyme setzte sich auf eine Bank und vergrub sein Gesicht in den Händen.
 

Sam sah sich kurz um, dann beugte er sich zu ihm runter. "Ich habe da etwas, das dir helfen dürfte..." flüsterte er verschwörerisch.
 

Dyme hob den Kopf. "Was denn...?"
 

Vorsichtig griff Sam in die Innentasche seiner Jacke und holte ein kleines Tütchen hervor. "Mach mal die Hand auf." Dann schüttete er den Inhalt des Tütchens auf Dymes offener Handfläche aus, welcher sich als kleine Tabletten entpuppte.
 

"Was ist das denn?" Verwirrt stupste Dyme eine der kleinen Tabletten mit dem Zeigefinger an. Sie war blau und hatte eine Prägung in Form eines Wassertropfens.
 

Sam grinste. "Das sind Stimmungsmacher. Wirf eine oder zwei von denen ein und dein Auftritt spielt sich wie von selbst. Mit denen sind alle deine Sorgen vergessen."
 

"Sam, das... sind Drogen, oder?" Dyme runzelte die Stirn. Ihm gefiel das nicht. Ganz und gar nicht. "Drogen sind böse, ich möchte diese Dinger nicht." Er versuchte, Sam die Tabletten wieder zu geben, aber dieser winkte ab.
 

"Behalt sie. Es ist deine Entscheidung, ob du sie nimmst oder nicht. Aber ohne sie wird der Auftritt um Einiges härter." Noch einmal klopfte er ihm auf die Schulter, dann winkte Sam zum Abschied und ging wieder zur Arbeit. "Ich drück dir die Daumen, Kleiner!"
 

Seufzend sah Dyme Sam nach und dann wieder auf die Tabletten, die bunt und unschuldig auf seiner Handfläche lagen. "Was soll ich bloß tun...? Ich will doch Musiker werden..." Er hörte, wie die Musik von der Bühne ihren Höhepunkt erreichte, bald würde sein Auftritt sein.
 

"Was soll ich bloß tun...?"
 

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Die Musik verebbte und das Publikum applaudierte der Band begeistert. Als der Ansager Dyme ankündigte, verbreitete sich erwartungsvolle Stille im Saal.
 

Dyme hastete auf die Bühne. Das Erste, was er tat, war über die eigenen Füße zu stolpern. Das Publikum brach in Gelächter aus. Mit hochrotem Kopf rappelte er sich wieder auf und wankte zum Mikrophon. Als er es ergriff, setzte bei ihm die Wirkung der Tabletten ein und er fühlte sich völlig frei. Alles erschien ihm auf einmal einfach, ein Gefühl der Euphorie machte sich in ihm breit. Als die Musik anfing zu spielen, schien sie überall zu sein, Dyme konnte sie beinahe sehen.
 

Dann begann er mit seinem Auftritt.
 

Er sang aus vollster Inbrunst in einer Lautstärke, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte und spielte wie ein junger Gott. Er hatte den gesamten Saal in seiner Gewalt und wusste, dass keiner diesen Abend jemals wieder vergessen würde.
 

Nach einiger Zeit hatte Dyme seinen Auftritt beendet, das Publikum tobte, gab ihm sogar Standing Ovations. Er war außer sich vor Glück und verbeugte sich immer wieder.
 

Auf einmal legte sich ein grauer Schleier über seine Augen. Das Schwitzen setzte wieder ein, diesmal heftiger als zuvor und sein Kopf schmerzte höllisch. Stöhnend griff er sich an die Stirn und sank auf die Knie. Verwirrtes Stimmengewirr wurde laut und jemand kämpfte sich nach vorne zur Bühne.
 

"Dyme!" hörte er noch eine Stimme, die ihm verdammt bekannt vorkam. "He, Kleiner!"
 

"Sam...?" murmelte Dyme, er spürte noch, wie er zusammenbrach, dann wurde alles schwarz.
 

"Verdammt, lasst mich durch!" Energisch bahnte Sam sich seinen Weg durch die Masse und hechtete auf die Bühne. "Dyme! Wach auf!" Er schüttelte den Jungen kurz und entschloss sich dann, ihn an die frische Luft zu bringen.
 

Draußen vor der Konzerthalle legte er Dyme auf eine Bank. "Dyme? Hörst du mich?" versuchte er es nochmals.
 

Schließlich gab dieser ein leises Stöhnen von sich und schlug die Augen auf. "Uhhh... Mein Kopf... Und mein Hals ist so trocken..."
 

"Hier, trink das." Sam reichte ihm eine volle 2 Liter Wasserflasche. "Hast du dir etwa ALLE eingeworfen???"
 

Dyme nickte matt.
 

"Oh Mann, Kleiner! Ich sagte doch EINE oder ZWEI und nicht gleich ALLE!"
 

"Tu-tut mir leid..."
 

"Es ist das Beste, ich fahre dich ins Krankenhaus. Das Zeug sollte man nicht unterschätzen... Vor allem nicht bei einer Überdosis."
 

"Danke, Sam..."
 

"Keine Ursache, Kleiner, dafür sind Freunde doch da."
 

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Als Sam mit seinem Wagen auf eine Seitenstraße einbog, zog ein Sturm auf. Dicke Tropfen prasselten gegen die Fensterscheibe.
 

"Himmel Herrgott noch mal! Ich habe noch nie so dicke und schwarze Wolken gesehen..." Sam sah verblüfft durch die Windschutzscheibe, auf der die Scheibenwischer unablässig hin- und her wischten, zum Himmel.
 

"Sam, bitte nicht so laut, ich habe Kopfweh..." murmelte eine heisere Stimme neben ihm.
 

"Oh, tut mir Leid. Aber du solltest dir echt mal diesen Himmel ansehen. Es sieht so aus, als wäre gerade Weltuntergang."
 

Schwach den Kopf schüttelnd nahm Dyme wieder einen Schluck aus der fast leeren Wasserflasche. "In meinem Kopf... ist bereits genug Weltuntergang für drei... " stöhnte er gequält.“Mir ist... schlecht..."
 

"Halte durch, Kleiner, es ist nicht mehr weit."
 

Plötzlich ein abruptes Abbremsen und ein Fluchen.
 

"Was... was ist... los?" Dyme sah mit fiebrigem Blick zu Sam, der angespannt durch die Windschutzscheibe starrte und mit den Zähnen knirschte.
 

"Hrgh, dieser verdammte Regen hat die Straße überflutet! Wir kommen nicht weiter!"
 

"Was??? Nein! ... Ich... ich... mir ist schlecht...!" stammelte Dyme und verkrampfte sich.
 

"OH GOTT! Nicht hier! Nicht in mein Auto! Ich bring dich lieber nach draußen!" Schnell stieg Sam aus dem Wagen und half Dyme beim Aussteigen. Dieser war kreidebleich im Gesicht und zitterte. Der Regen peitschte beiden ins Gesicht.
 

"Ich... ich... es... tut... mir leid...!" Dyme stützte sich auf einem kaputten Mauerstück neben der Straße ab und übergab sich.
 

"Ganz ruhig, das wird schon..." Sam blickte wieder zu den Wolken. Der komplette Himmel war in ein tiefes Schwarz getaucht. Er konnte sich nicht helfen, aber er hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. "Dyme, wir sollten so schnell wie möglich von hier weg!"
 

Verwirrt sah Dyme auf, als sein Magen sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Er löste sich von dem Mauerstück und wankte zitternd zum Wagen. Gerade, als er diesen erreicht hatte, sprang ihm etwas in den Rücken und riss ihn zu Boden. Er hörte, wie Sam fluchte und auf irgendetwas einzuprügeln schien. Er zwang sich, wieder aufzustehen und sah, wie sein Freund sich einen Schlagabtausch mit einem kleinen schwarzen Wesen lieferte. Anscheinend hatte dieses ihn angegriffen.
 

"Sam!"
 

"Ab ins Auto! Ich komme gleich nach!"
 

Dyme hastete, so schnell sein allgemeiner Gesundheitszustand es zuließ, in den Wagen und knallte die Tür zu. Durch die Windschutzscheibe sah er, wie immer mehr schwarze Wesen auftauchten und sich auf Sam stürzten. Dieser hatte sichtlich immer mehr Schwierigkeiten damit, sich auf den Beinen zu halten.
 

"SAM!" Panisch blickte Dyme sich im Wagen um, auf der Suche nach irgendwas, womit er seinem Freund helfen konnte, ohne Gewalt anwenden zu müssen. Er hasste Gewalt.

Schließlich wurde er fündig und schnappte sich seine Gitarre. Zwei Saiten waren gesprungen, sodass die Gitarre eher einer dreisaitigen Sitar ähnelte, aber das war Dyme egal. Er hatte einen Einfall und wollte diesen auch durchführen.
 

Zitternd vor Angst und vor Schwäche stieg er wieder aus dem Wagen. Ein paar der schwarzen Wesen drehten ihre gelben leuchtenden Augen zu ihm. Die Fühler auf ihren Köpfen zitterten. Dyme legte seine Finger auf die Gitarre und spielte. Es war eine dumme Idee, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein. Und zu seinem Glück schien es zu funktionieren. Die schwarzen Wesen ließen von Sam ab und kamen stattdessen auf Dyme zu. Dieser wich rückwärts zurück. Kurz sah er über die Schulter zu dem überfluteten Teil der Straße. Dann steuerte er rückwärts darauf zu, verfolgt von einer schwarzen Masse.
 

Keuchend bemerkte Sam, was Dyme vorhatte. "Verdammt nochmal, das ist Selbstmord! Das sind keine Ratten, die man einfach so im Fluss ertränken kann!" Diese Wesen wirkten nicht so, als wenn sie Luft zum Atmen brauchten. Sie hatten ja nicht einmal Münder! "Was in einer Geschichte funktioniert, muss noch lange nicht auch in Wirklichkeit klappen!"
 

"Ich... ich weiß, aber ich muss es versuchen!" rief Dyme. In seinem Inneren fraß ihn die Angst immer mehr auf. Aber er konnte nicht mehr weg, die schwarzen Wesen waren vor ihm und die Wassermassen hinter ihm. Und immer noch schlugen seine Finger die Saiten an, spielten zusammen mit dem Regen eine traurige Melodie.

Schließlich schritt er ins Wasser, die Wellen umspülten seine Beine. Die schwarzen Wesen kamen hinterher, verschwanden alle nacheinander im Wasser.
 

Als Dyme dies sah, triumphierte er innerlich. "Es klappt! Es klappt!" Er war bereits an der tiefsten Stelle angekommen, das Wasser reichte ihm bis zur Brust, er hielt die Gitarre höher, damit sie nicht ins Wasser tauchte. Nach einer Weile waren sämtliche Wesen verschwunden. Er hatte es geschafft!

Immer wieder stieß Dyme mit den Fäusten in die Luft, die Übelkeit war erstmal vergessen, die Euphorie hatte ihn gepackt.
 

Auf einmal verdunkelte sich das Wasser um ihn herum und fing an, zu brodeln. Erschrocken schrie er auf, als plötzlich schwarze Ranken emporstiegen und sich an ihn klammerten, ihn unter Wasser zogen. Panisch wehrte er sich gegen ihren Griff, tauchte hustend wieder auf. "HILFE!!!"
 

Sofort hastete Sam ins Wasser.
 

Gelbe Lichter umgaben Dyme, er versuchte, von ihnen wegzukommen, aber erfolglos. Im nächsten Moment spürte er einen heftigen Schmerz in der Brust und schrie auf. Ein helles Licht verließ ihn und er brach zusammen. Sofort wurde er von seinem Freund gepackt und so schnell es ging aus dem Wasser gezogen.
 

"Kleiner, sprich mit mir! Gib jetzt nicht auf!" Sam legte ihn auf die Erde. "Du hast es überstanden!"
 

Dyme kämpfte gegen die Ohnmacht an, kämpfte gegen die Kälte an, die sich in ihm ausbreitete, ihn in die Tiefe reißen wollte, in die Dunkelheit. Er wollte noch nicht sterben, nicht jetzt, nicht so!
 

Funkelnder Staub stieg im Regen hoch. Ein letztes Lächeln und alles, was verblieb, war eine Erinnerung.

Spiel auf Zeit

Zeit.
 

Was ist Zeit?

Mal rennt sie einem davon, als wäre sie ein aufgeschreckter Hase.

Mal scheint sie so langsam zu vergehen, dass jede Sekunde wie die Ewigkeit scheint...

Aber immer ist sie schwer zu greifen.
 

Wohl dem, der in der Lage ist, sie zu kontrollieren.

An einem gottverlassenen Ort wie diesem, an dem die Zeit keinen der bekannten Regeln folgt, wäre dies eine willkommene Begabung.
 

Man nennt mich Rulod. Manche kennen mich als Glücksspieler, andere wiederum als Gentleman. Aber jeder kennt mich als einen ehrenhaften Bürger.
 

Es drängt sich die Frage auf, wie es jemanden wie mich an einen Ort wie diesen verschlagen konnte... Nur Dunkelheit um mich herum. Und keine weitere Menschenseele außer mir. Das Einzige, was mir bleibt, um die Zeit zu vertreiben, ist es, gegen das Nichts Karten zu spielen. Vielleicht interessiert es sich sogar dafür, was ich zu erzählen habe.
 

Ich denke, es ist das Beste, wenn ich mir die oberste Karte vom Stapel nehme und meine Geschichte ganz von vorne beginne...
 

Der schicksalhafte Tag war ein Freitag. Es war Frühling und somit genau die richtige Zeit, mit seiner Angetrauten eine Spazierfahrt mit der Kutsche zu wagen. Jemand wie ich war selbstverständlich wohlbekannt in der Damenwelt, denn schließlich ließ ich keine Gelegenheit aus, einer Dame den Hof zu machen. Auch an diesem Tag war ich mit einer holden Maid aus gutem Hause unterwegs. Wir kamen gerade von einem Rundgang durch die Casinos zurück und waren beide ein wenig angeheitert, um meine Glückssträhne zu feiern. Möglicherweise lag es am Wein oder an der Jahreszeit, aber als wir durch das Armenviertel gingen, war ich nicht annähernd so vorsichtig, wie ich hätte sein sollen. Und prompt nutzte auch jemand die Gunst der Stunde und stellte sich uns in den Weg. Es war ein großer, bulliger, furchteinflößender Kerl, einer der Sorte, die man oft an den Eingängen von sehr exklusiven Clubs sieht und um die man lieber einen enormen Bogen macht. Da er nicht darauf aus schien, sich mit mir auf offener Straße prügeln zu wollen, sondern mir nur stumm winkte, mir zu folgen, sagte ich meiner Begleiterin Lebewohl und schickte sie nach Hause. Natürlich nicht ohne ihr einen galanten Handkuss zu geben und ihr ins Ohr zu flüstern, sie möge sich noch für später bereithalten.
 

Ich folgte dem Mann, bis wir in einer besonders dunklen Seitengasse ankamen, in der schon weitere bullig aussehende Männer warteten. Ein fester Griff um mein Handgelenk zeigte mir sofort, dass eine Flucht nicht toleriert wurde. Schnell beschloss ich, den Herrschaften so wenige Angriffsmöglichkeiten wie möglich zu bieten.

"Du bist also dieser eitle Fatzke, von dem sich die Frauen so schwärmen, hm?" Einer der Männer kam auf mich zu, eine Alkoholfahne stach mir unangenehm in die Nase. Dass manche Leute nicht wussten, wann sie mit dem Trinken aufhören sollten. Widerlich. Ich rümpfte die Nase. "Rulod ist mein Name und ja, wenn die Damenwelt so von jemandem schwärmt, dann muss sie wohl mich meinen."

Sie umringten mich, einer von ihnen ließ die Knöchel knacken. Ich versuchte, so gut wie möglich ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen, trotz der aufsteigenden Furcht.

Der, der mich in die Gasse geführt hatte, packte mich am Kragen. "Lass dir dies eine Warnung sein, Rulod. Wenn du noch ein einziges Mal unsere Weiber antatscht, dann gnade dir Gott."

Bevor ich irgendetwas zu meiner Verteidigung sagen konnte, spürte ich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und alles wurde schwarz.
 

Als ich wieder erwachte, befand ich mich immer noch in der Gasse. Regen fiel auf mich herab. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber jede einzelne Bewegung trieb einen glühend heißen Schmerz durch meinen Körper. Anscheinend hatten die Männer ihre Wut an mir ausgelassen, nachdem ich zu Boden gegangen war. Nachdem ich es irgendwie unter größten Schmerzen geschafft hatte, mich aufzusetzen, seufzte ich missmutig. Die Wunden, die die Männer mir zugefügt hatten, bluteten immer noch.

Was sollte ich machen? Ich konnte nicht aufstehen, die nächste Polizeiwache war mehrere Straßen entfernt und ehe jemand auf meine Hilfeschreie geachtet hätte, wäre ich längst elendig verblutet. Mir blieb nur eine einzige Möglichkeit übrig. Ich erinnerte mich daran, dass ich auf dem Weg hierher eine kleine Gaststätte gesehen hatte und beschloss, dorthin zu kriechen. Leichter gedacht als getan, aber ich biss die Zähne zusammen. Jeder einzelne Meter erschien unendlich lang zu sein. Ich merkte, wie der Regen dichter wurde. Durst plagte mich, also hob ich angestrengt meinen Kopf und versuchte, ein paar Tropfen mit der Zunge abzufangen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich der Himmel rapide verfinsterte.
 

Ich konzentrierte mich wieder darauf, meinen Weg fortzusetzen, doch der Regen hatte die Straße in eine Rutschbahn verwandelt. Mehrmals verlor ich den Halt und fiel auf die Brust, jedes Mal begleitet von einem schmerzvollen Aufschrei.

Schließlich und letztendlich erreichte ich die Gaststätte. Meine Kleidung starrte vor Dreck, Blut und Wasser, ich sah aus wie ein Landstreicher. Ich schrie, bettelte um Hilfe, doch keiner reagierte, ich kroch zu der Tür, die leider abgeschlossen war, klopfte, hämmerte gegen das harte Holz. Warum reagierte keiner? Warum ließ man mich so im Stich? Wo waren alle?
 

Ich sah mich angestrengt um. Die Straßen, die sonst voller Leben waren, schienen auf einmal völlig ausgestorben zu sein. Der Himmel war kohlrabenschwarz und schien auf die Erde zu fließen. War dies alles Gottes Strafe?

Nein, das durfte nicht das Ende sein. Ich wollte nicht qualvoll auf irgendeiner Türschwelle sterben, sondern lieber im hohen Alter im Kreis meiner Enkel!
 

Etwas berührte mein Bein. Sofort schreckte ich aus meinen Gedanken auf, hoffend, endlich Hilfe gefunden zu haben. Aber es war keine Hilfe, in deren gelben Augen ich nun sah.

Ich kroch näher an die Tür, suchte Schutz vor diesen scharfen Krallen, die meine Beine attackierten. Was waren das für Wesen? Sie sahen aus wie gigantische schwarze Ameisen, deren Fühler unentwegt zitterten. Ich bemerkte, dass sie aus dem Schatten krochen und etwas zu suchen schienen. Aber was? Das eine Wesen, das meine Beine angegriffen hatte, schien mich direkt anzusehen. Was wollte es von mir? Es ließ von mir ab und kam langsam näher.
 

Ich stieß einen heiseren Angstschrei aus und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, irgendwie zu flüchten, nur weg von hier. Aber alles misslang und artete nur in noch größerer Pein aus.

Mein Körper war nur noch ein Wrack. Ich konnte nicht mehr stehen, alles tat höllisch weh, der Blutverlust war enorm, meine Sinne begannen zu schwinden, ich war von den schwarzen Wesen umzingelt - meine Lage war aussichtslos.

"Egal, was du suchst, du kannst es haben. Nimm dir, was du willst. Meine Zeit ist nun gekommen. Ich gebe auf. Lass mich wenigstens in Frieden ruhen." sagte ich, meine letzten Kräfte zusammensammelnd.
 

Es wirkte kurz so, als würde das Wesen lächeln. Dann sprang es auf meine Brust und hieb seine Krallen hinein. Dieser Schmerz war beinahe sanft im Gegensatz zu den anderen, die ich empfand. Ein helles Licht blendete mich kurz, danach spürte ich gar nichts mehr.
 

Als ich meine Augen wieder aufschlug, umhüllte mich die pure Dunkelheit. Ich merkte, dass jeglicher Schmerz von mir genommen war. In meinen Taschen entdeckte ich sogar noch ein vollständiges Kartenspiel.
 

Und von dem nehme ich nun die letzte Karte auf die Hand. Meine Geschichte ist beendet, ich spüre, wie meine Sinne schwinden. Ich heiße diese Ohnmacht willkommen, heißt sie doch, dass mein Irrweg endlich ein Ende gefunden hat. Und ich endlich in Frieden ruhen kann.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  Akira_Magnus
2009-07-10T21:38:21+00:00 10.07.2009 23:38
hammer gemacht hoffe das es bald und schnell weiter geht!
wenn mich nciht alles teuscht kommt als nächtes ja Marluxia und ich bin echt gespannt was im passiert ist.

LG
Angel
Von:  Niji-san
2009-05-30T09:02:32+00:00 30.05.2009 11:02
Also ich weiß garnicht was du hats ich finde deine schreibstyl sehr schön und deine ideen sind auch etwas anderes...ich finde deine ff strotzt vor krativität und meiner meinunganch solltets du gute chnchen bei dem wb haben^^
Von: abgemeldet
2008-07-30T19:40:41+00:00 30.07.2008 21:40
Deine FanFiction hat mich von allen Einsendungen, die ich lesen durfte am meisten fasziniert und bewegt und sich damit auf ehrliche und angemessene Weise den ersten Platz verdient.

Ich muss wirklich ein Lob aussprechen, trotz dass du, wie du selbst geschrieben hast, noch ein Anfänger auf diesem Gebiet bist, hast du ein wirklich so hochwertiges und durchdachtes Werk abgeliefert, dass mich schier in Staunen versetzte.
Ich war überrascht und verblüfft darüber, wie schlicht du deine Sätze bildest und dennoch so viel Gefühl und Glaubwürdigkeit damit zu vermitteln weißt. Vielleicht ist es dir selbst nicht aufgefallen, aber mir dafür umso mehr. Es hat mich fasziniert, da es auf den ersten Blick tatsächlich so wirkt, als wäre kein Stil vorhanden, und dennoch war ich auf irgendeine Weise dazu gezwungen ein zweites Mal hinzusehen und…siehe da! Ich wurde vom Gegenteil überzeugt. Sicherlich ist er nicht perfekt und noch sehr ausbaufähig, aber das Talent ist wirklich vorhanden.

Die einzelnen Charaktere hast du unglaublich schön in ihrer jeweiligen Umgebung beschrieben und man erkennt als Leser wirklich, dass es harmoniert, was den Lesevorgang geschmeidig machte und zum Weiterlesen motivierte. So viele Gedanken sind darin zu erkennen und es war sehr interessant deine Interpretationen der Jemande mit zu verfolgen. Ich war sehr angetan von der Vielfalt, die du dir zurecht gelegt hast und auch, dass jedes Element der Niemande seinen bestimmten Platz hat, ohne, dass irgendwie aufgetragen und überladen rüberkommt.

Gefühle und Gedanken waren für mich heraus lesbar, auch wenn sie nicht wörtlich dort vermerkt wurden und das macht für mich eine gute FF aus. Ein Autor, der den Lesern seine eine Eindrücke und Vorstellungen vermitteln kann, ohne viele Worte dabei zu verlieren, ist etwas Besonderes und hier auf Mexx ziemlich selten. Du bist kein Profi, aber du hast die Voraussetzungen dafür.

Ich würde mir Wünschen noch weitere Werke von dir lesen und erleben zu dürfen. Wirklich. Ich mag diese Geschichte und sie gehört zu meinen persönlichen Favoriten. Hoffentlich baut dich meine kleine Kritik auch auf und gibt dir den nötigen Ansporn dazu.

Von:  Kizara
2008-07-13T10:49:52+00:00 13.07.2008 12:49
Ohhh cool du hast die FF jetzt auch auf Mexx *freu*
Ich kannte sie schon von FanFiktion. de und fand sie soooooo
toll *grins*
Bitte schreib bald weiter!!
Von: abgemeldet
2008-03-25T10:38:15+00:00 25.03.2008 11:38
die Idee zur der fanfic hatte ich auch, will sie jetzt aber nicht mehr machen. (von deiner Version zu beeindruckt)
Dyme... ich nenn ihn immer Myde, aber okay. Demyx als Kabelträger... *nuu*
Das Ende ist gemein. *pout* Aber ich will mich nicht beschweren, gefallen hats mir doch trotzdem. ^^
lg daxin
Von:  juuzousuzuya
2008-02-28T17:33:39+00:00 28.02.2008 18:33
mit der Ich-perspecktive ist eine gute abwechslung ^^
mir gefällt die FF sehr gut
könntest du mir eine ENS schreiben wenn es weiter geht?
das wäre nett

lg
Von:  juuzousuzuya
2008-02-28T17:23:39+00:00 28.02.2008 18:23
WOW das kappi ist einfach spitze ^^
der ende war leicht traurig, das passt sehr gut
und die idee mit der Gitarre, wo nur noch drei seiten da waren, war echt genial
*respeckt*

lg
Von:  juuzousuzuya
2008-02-28T17:08:47+00:00 28.02.2008 18:08
Tolles Kapi, tut mir leid, habs gestern net mehr geschafft nen kommi zu schreiben ^///^
mir hat das kapi sehr gut gefallen vor allem die bemerkung am ende xDDD
lg
Von:  juuzousuzuya
2008-02-27T18:53:14+00:00 27.02.2008 19:53
Schönes Kapi
dein schreibstil ist sehr gut und deine beschreibungen sind sehr genau, gefällt mir ^^
nur i-wie taten mir die werwölfe leid xDD
aber Isa hats ja auch nicht besser erwischt
*nächstes kapi lesen will*
lg
Von:  Dark-Kaze
2008-02-25T15:22:28+00:00 25.02.2008 16:22
gutes Kapitel
wundert mich echt das noch niemand
zu dieser Fanfic ein kommi geschrieben hat,
die ersten 3 kapis gefallen mir sehr gut
auch die idee diese fanfic zuschreiben ist gut
dein Schreibstil ist auch sehr gut

lg Dark-Kaze


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