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Bet the Lion and Tame the Beast

von

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And So It Begins...

London, Februar 1817
 

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Die vier eleganten Herren, die in dem exklusiven Club "Brooks" gemeinsam zu Abend aßen, feierten mit viel Champagner die Erbschaft ihres Freundes. Lord Leonard Morland, der nun der achte Earl of Henley war. Lord Morland hatte vor vier Monaten den Titel von seinem älteren Cousin geerbt. Dieser war mit seiner Frau und seinem einzigen Sohn bei einem Kutschunfall ums Leben gekommen, da er keinen näheren Verwandten hatte, fiel der Titel an Leonard, was ihm eigentlich nicht sonderlich behagt hatte, da er vorher schon sehr wohlhabend gewesen war und der neue Titel eigentlich nur eine zusätzliche Belastung darstellte, auf die er gut ung gerne hätte verzichten können.

Die Feier galt auch Lord Morlands Rückkehr in die Gesellschaft, da er diverse geschäftliche Angelegenheiten auf dem Landsitz der Henleys zu erledigen gehabt hatte. Die vier Freunde verbrachten seit der gemeinsamen Studienzeit in Oxford oft ihre Zeit miteinander, so daß sie in Londons Beau Monde nur als das "Kleeblatt" bekannt waren. Zum "Kleeblatt" gehörten Lord Robert Allenby, genannt "Paris", weil ihn die Damen für die Verkörperung eines griechischen Gottes hielten, er war der jüngste mit 28 Jahren und der zukünftige Erbe des Earl of Bedford, Lord Richard Lawrence Baron Devonham ("Joker"), der Spaßvogel unter ihnen, Charles Deverell Viscount Stratton ("Beast"), ein provozierender Charakter und Lord Leonard Morland ("Lion"), ihr unangefochtener Anführer, wegen seiner dunkelblonden Lockenpracht und den honigfarbenen Augen hatte er von seinen Freunden den Beinamen "Lion" erhalten.
 

"Stellt euch vor, meine Nachbarn haben schon angefangen, mir ihre unverheirateten Töchter aufzudrängen! Deshalb bin ich schon etwas früher aufgebrochen! Ich muß mit euch Kriegsrat abhalten, Freunde! Als Träger des Earl-Titels werde ich mich um die Erbfolge kümmern müssen!"

Leonard sah seine Freunde durch halbgesenkte Lider an, da er zurecht einen Heiterkeitsausbruch ihrerseits erwartete. Schließlich galten die vier als erfahrene Lebemänner mit beachtlichen Erfolgen in der leichtlebigen Damenwelt und als entsprechend ehescheu.

Charles erfreute sich innerlich an Lions mißlicher Lage und lachte am lautesten: "Es geschieht dir recht! Du hast uns schon zu oft eine begehrenswerte Dame vor unserer Nase weggeschnappt! Das ist die Strafe Gottes!"
 

Robert hingegen drückte sein tiefstes Mitgefühl aus, weil er selbst durch seine Jugend nicht unter dem Druck stand, allzu schnell in den Stand der Ehe zu treten.
 

"Was wird dann aus unserem "Kleeblatt"? Ehefrauen sehen es nicht gerne, wenn ihre Ehemänner sich mit Junggesellen herumtreiben!" Richards Einwand war durchaus berechtigt.
 

"Deswegen wollte ich mich mit euch zusammensetzen, vielleicht fällt uns gemeinsam eine Lösung für dieses Problem ein!", antwortete Leonard, dessen Blick sich mit dem seines besten Freundes und zugleich größten Konkurrenten kreuzte.
 

Charles grinste spöttisch: "Sicher! Du brauchst eine ehrbare Frau, die dir Erben schenkt und uns - und nicht zu vergessen die göttliche Séraphine - sozusagen als "Beigabe" akzeptiert! Das ist unmöglich!"
 

Wieder lachten alle und der Kellner goß ihnen Champagner nach.

Lady Séraphine, die den Beinamen die "Göttliche" seit ihrer Einführung in die Gesellschaft trug und ihn auch nicht durch die Heirat mit dem viel älteren Duke of Hamilton abgelegt hatte, war mit Lord Morland seit mehreren Jahren in einer Art Haßliebe gefangen. Die beiden eigensinnigen Persönlichkeiten kamen nicht voneinander los, obwohl Séraphine jetzt seit zwei Jahren mit dem Duke verheiratet war, der sich allerdings wenig um seine junge und anspruchsvolle Frau kümmerte.

Die Unterhaltung kreiste nun mehr oder weniger ernsthaft um Leonards zukünftige Braut und als der Cognac gereicht wurde gipfelte Charles das Ganze, indem er eine Wette vorschlug, wie sie es oft taten, wenn eine neue Schönheit in ihren Wirkungskreis trat. Nur diesmal waren nicht alle vier zur "Jagd" zugelassen, und es würde nicht um eine von ihnen begehrte Schönheit gehen.
 

"Ich setze 5000 Guineen, daß unser lieber Lion es nicht schafft, innerhalb von vier Wochen nach Beginn der Saison eine ehrbare junge Dame zu seiner Gattin zu machen!", ließ er die Bombe detonieren.
 

Leonard stellte sein Glas ab und maß seinen Freund mit stechendem Blick. Charles hatte schon lange auf eine solche Gelegenheit zur Revanche gewartet, ihm die Sache mit einer gewissen Tänzerin heimzuzahlen...
 

Robert hätte sich vor Schreck beinahe verschluckt: "Charles! Es geht um Leos Zukunft! Wir sollten darüber nicht... "
 

Leos erhobene Hand brachte ihn zum Schweigen.

"Laß gut sein Rob! Ich nehme die Wette gerne an, aber nur unter zwei Bedingungen! Erstens beginnt die Wette mit dem Eröffnungsball des "Almack´s" und zweitens werdet ihr mich bei der Suche unterstützen!"
 

So wurde die Wette angenommen und in das Wettbuch des Clubs eingetragen, obwohl die Aussicht sich mit unerfahrenen Backfischen abgeben zu müssen, keinem der Freunde sonderlich behagte.
 

~~~

Zur gleichen Zeit als die Herren die Wette abschlossen und das Schicksal herausforderten, saß in einem kleinen Häuschen am Meer in Littlehampton, westlich von Brighton, eine junge Frau in ihrem gemütlichen Salon und las zum wiederholten Mal einen Brief durch, den sie heute erhalten hatte.
 

"Meine liebe Leonore!

Du wirst Dich nicht an mich erinnern, aber ich bin Deine Tante Hermione, die jüngere Schwester Deiner verstorbenen Mutter.

Als Kind warst Du oft bei uns auf dem Land zu Besuch und als Deine Eltern starben, wollte ich Dich zu mir nehmen, aber Dein Onkel war zum Vormund bestimmt worden und wollte Dich nicht in meine Obhut geben, obwohl ich ihn eindringlich darum gebeten habe. Du wirst selbst am besten wissen, daß er mich und meine Familie für leichtfertig hielt und nicht für würdig, Dich angemessen zu erziehen.

Als du achtzehn wurdest schrieb ich ihm nochmals mit der Bitte, Dich in die Gesellschaft einführen zu dürfen, was er leider wiederum abschlug. Auch meine Briefe an Dich wurden nie beantwortet, so daß ich den Verdacht hege, daß Du sie nie erhalten hast.

Ich bedaure zutiefst, daß ich mich nicht persönlich in die Cotswolds begeben habe, um Dich dort herauszuholen, aber mein Ehemann wurde krank und bedurfte der ständigen Pflege. Nun bin ich dabei mit meiner ältesten Tochter in die Stadt überzusiedeln, da Alexia im Dezember achtzehn geworden ist und ich sie in die Gesellschaft einführen möchte. Es würde mich sehr freuen, wenn Du Dich uns anschließen würdest, da ich zugebe, daß ich Deine Hilfe bei der Aufsicht von Alexia gut gebrauchen könnte. Und sie hat mir versichert, daß sie lieber von einem jungen Familienmitglied Begleitung wünscht als von der ältlichen Tante, die ich ihr vorgeschlagen habe.

Nun, es wäre für Dich eine etwas verspätete Einführung, aber durchaus nicht unüblich, es wird andere junge Damen geben, die aufgrund familiärer Probleme nicht mit 18 eingeführt werden.

Natürlich bist Du in Burnham House auch nur für einen kurzen Besuch willkommen. Schließlich kannst Du Dich kaum an uns erinnern und Du magst Deine Gründe haben, warum Du so abgelegen in Littlehampton wohnst. Bitte schreibe uns bald nach Burnham House! Alexia und ich würden uns sehr über Deine Gesellschaft freuen!
 

In Liebe, Deine Tante Hermione, Countess of Burnham"
 

Lady Leonore Harper, an die der Brief adressiert war, ließ ihn nachdenklich sinken und starrte abwesend in die Kaminflammen, deren Wärme ihr Innerstes nicht erreichte.

Tante Hermione hatte sie zu sich nehmen wollen! Es hätte eine Rettung gegeben vor dem strengen Onkel mit seinem religiösen Wahn, doch sie war schon 25 Jahre alt, was nützte da eine Saison in London?

Sie hatte zwar ein beträchtliches Vermögen geerbt und war eine Lady von Geburt, aber das würde bei ihrem mäßigen Aussehen wohl nur Mitgiftjäger anlocken oder Witwer, die eine billige Gouvernante für ihre Kinder suchten.

Aber London bot auch Museen, Bibliotheken und Büchereien sowie viele andere Sehenswürdigkeiten, von denen Leonore in den kalten Wintertagen in den Cotswolds im kargen Norden Englands geträumt hatte.

Nachdem ihr Onkel im letzten Sommer verstorben war, hatte Leonore sich aber erst einmal den Wunsch erfüllt am Meer zu leben, nach London konnte eine alleinstehende junge Frau ohne eine passende Anstandsdame nicht reisen, und Leonore wollte keine fremde Frau dafür engagieren. Nun hatte sie die Möglichkeit, sich einen weiteren Traum zu erfüllen und sie würde endlich ihre Verwandten kennenlernen. Spontan griff sie zu Feder und Papier und schrieb ihrer Tante, daß sie gern käme und ihr beim Debüt ihrer Cousine helfen würde. Anfang März versprach sie, würde sie kurz vor Beginn der Saison in London ankommen.
 

~~~

An einem sonnigen Mittwochnachmittag kam Leonore am Burnham House am Berkeley Square im feinen Stadtteil Mayfair an. Auf ihr Klopfen am Hauptportal des imposanten Stadthauses öffnete ein livrierter Butler, der Leonores ländliche Erscheinung argwöhnisch abschätzte.
 

"Meine Tante, die Countess of Burnham erwartet mich! Ich bin Lady Harper!"
 

Sofort wurde die Miene des ehrfurchteinflößenden Butlers freundlicher und er veranlaßte einen Lakaien, ihr Gepäck auf das für sie vorgesehene Zimmer zu bringen.

"Treten Sie ein, Mylady! Ihre Gnaden und die junge Lady sind außer Haus, werden aber zum Dinner zurückerwartet! Die Haushälterin Mrs. Banks wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen, wenn Sie etwas wünschen sollten, brauchen Sie nur zu läuten!"
 

Leonore neigte dankend den Kopf und folgte dann der schwarz gekleideten Haushälterin, die sie ins obere Stockwerk führte und ihr eine Zimmerflucht zuwies, von der sie nicht einmal gewußt hatte, daß so etwas Exquisites existierte.

Alles leuchtete in Beige-, Gold- und Rosétönen, die Möbel waren aus edlen Hölzern gearbeitet und ein Strauß weißer Rosen auf einem Beistelltischchen vollendete das Bild.

Leonore dankte der Haushälterin herzlich für das wunderschöne Zimmer und bat um eine kleine Erfrischung. Als die Haushälterin sich zurückgezogen hatte, wanderte Leonore durch das Boudoir, das Schlafzimmer und das kleine Ankleidezimmer und strich ehrfürchtig über das kostbare Inventar.

Ihr Onkel Samuel hatte in einem alten Kloster gewohnt, das er nur spärlich eingerichtet hatte, da er weltlichen Tand verabscheute, sein beachtliches Vermögen hatte er lieber für das Veröffentlichen religiöser Schriften verwendet. Ihr Vormund hatte düstere Farben bevorzugt und verlangte auch von seinem Mündel, daß es sich nur in gedeckten Farben wie Schwarz, Grau oder Braun kleidete. Sie blickte an ihrem dunkelbraunen Reisekostüm herunter und seufzte, sie brauchte nicht nur Farbe sondern auch eine helfende Hand bei der Auswahl der Schnitte für neue Kleider, denn sie wollte ihrer Tante schließlich keine Schande bereiten.
 

Ein Dienstmädchen trat nach kurzem Klopfen ein und brachte ein Tablett mit Tee und Sandwiches, das sie auf den Tisch vor einem Setté stellte. Hungrig und durstig von der langen Reise setzte sich Leonore und genoß ihre Mahlzeit. Anschließend machte sie sich frisch und zog ein einfaches Tageskleid aus tristem, hellgrauen Linon an, da sie ihre Verwandten bald zurückerwartete. Beim Abräumen des Tabletts teilte ihr das Dienstmädchen mit, daß die Kutsche der Herrschaften soeben vorgefahren sei. Mit klopfendem Herzen trat Leonore aus ihrem Zimmer und begab sich ins Vestibül.

An der untersten Treppenstufe ausharrend wartete sie auf das Eintreten ihrer Angehörigen. Derrow, der Butler, ließ sie gerade eintreten. Leonore erblickte zuerst eine hochgewachsene junge Dame in einem Cape aus dunkelblauem Samt, das hervorragend zu der kecken Schute auf ihren hellblonden Locken paßte. Derrow nahm ihr das Cape ab und enthüllte ein kostbares Gewand aus himmelblauem Musselin, das eine perfekte Figur umschmeichelte. Ihre Tante dahinter war ganz in violetter Seide gekleidet, sie war etwas kleiner als ihre Tochter aber dennoch eine beeindruckende Erscheinung.
 

"Tante Hermione? Cousine Alexia?" Sie trat zögernd auf die beiden zu.
 

"Leonore? Du bist schon angekommen, wenn ich das gewußt hätte, wären wir heute daheim geblieben! Laß Dich umarmen, Kind!", sagte Lady Burnham und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
 

Leonore erwiderte die herzliche Umarmung erleichtert, sie hatte schon befürchtet, daß ihre Tante sie möglicherweise ablehnen könnte. Alexia gab ihr zur Begrüßung sogar einen Kuß auf die Wange.
 

"Es freut mich, daß Du kommen konntest und mich vor meiner strengen Tante gerettet hast! Die Saison mit ihr durchzustehen, hätte mich nervös gemacht und ich bin aufgeregt genug!"

Alexias feines Herzgesicht mit den blauen Augen strahlte ehrliche Freude aus.
 

"Du mußt bestimmt nicht nervös sein, Du bist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe! Ich kann mir nicht vorstellen, daß es in London jemanden Hübscheres geben soll!", erwiderte Leonore mit ehrlicher Bewunderung.
 

Alexia bedankte sich errötend für das Kompliment und ihre Mutter bat sie alle, daß man sich im Salon weiter unterhalten sollte.

Bestimmt wird es mir in London gefallen, dachte Leonore bei sich, da sie ihre Verwandten ihr auf Anhieb sympathisch gefunden hatte. Im Verlauf des Gesprächs bat Leonore die Damen bei ihrer Garderobe um Hilfe und es wurde beschlossen gleich am nächsten Tag die beste Londoner Modistin aufzusuchen.

Schließlich stand der Beginn der Saison kurz bevor und der Eröffnungsball des "Almack´s", dem berühmten Ballsaal der Patronessen der Londoner Gesellschaft, wollte in angemessenem Rahmen begangen werden.

Dafür würden die Familien der Debütantinnen sich in immense Unkosten stürzen, denn dort hoffte man, die Aufmerksamkeit seines zukünftigen Gatten zu erwecken. Im "Almack´s" verkehrten nur die Mitglieder der besten Gesellschaft und die Debütantinnen waren von den Schirmherrinnen handverlesen, die Zukunft von jungen Ladies stand und fiel mit der Einladung zum wichtigsten Ball der Saison.
 

Fortsetzung folgt...

The Grand Ball at Almack's

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Am Abend des Eröffnungsballes erlebte das Almack´s seine kleine Sensation, das Kleeblatt beehrte "die heiligen Hallen" mit seiner Anwesenheit, nachdem alle vier schon oft bekundet hatten, daß es dort sterbenslangweilig wäre und sie sich lieber von der London Bridge stürzen würden, als den schalen Punsch dort zu schlürfen.

Ihr Erscheinen löste bei den jungen Damen nervöses Kichern und bei deren Müttern besorgte Blicke aus. Nachdem die Herren sich jedoch gesittet um Tänze mit ledigen jungen Damen bemühten, ließ die Aufregung etwas nach, die meisten vermuteten, daß die vier Freunde sich einen Scherz erlaubten, denn die eingefleischten Junggesellen hatten nie Anstalten gemacht, sich zu binden.

Leonore und Alexia im Schlepptau ihrer Tante bemerkten von dieser Aufregung nichts, denn sie waren beide viel zu sehr mit ihrer eigenen Nervosität beschäftigt.
 

"Leonore, Du und Alexia könnt auf diesem Setté hier Platz nehmen, dann seid ihr nicht zu weit von der Tanzfläche weg! Ich sitze weiter hinten bei meinen Freundinnen, wenn ich sicher sein kann, daß Alexias Tanzkarte einigermaßen voll ist! Ah, hier kommen schon die ersten Kavaliere!"

Leonores Tante hatte recht, Alexia wurde vom ersten Augenblick an belagert. In diesem Moment trat ein großer, gutaussehender Gentleman mit schwarzen Haaren auf Alexia zu.
 

"Gestatten Sie, Lord Robert Allenby zu Ihren Diensten! Ich würde mir gerne einen Tanz bei Ihnen sichern!", sagte er mit einer angenehm warmen Stimme und deutete eine Verbeugung an, ohne Alexia dabei aus den Augen zu lassen.

Robert, der das engelsgleiche Wesen schon bei seinem Eintreten bemerkt hatte, wußte gleich, daß er sie nie Leonard überlassen würde. Schon gar nicht nachdem sie ihm ein erfreutes und kein geziertes Lächeln schenkte.
 

Nun, wenn er schon seine Pflichten Leonard gegenüber erfüllen mußte, konnte er jetzt etwas für sein eigenes Amüsement tun. Er machte artig auch die Honneurs bei ihrer Mutter der Countess of Burnham und ihrer Cousine Lady Harper, einer ziemlich zurückhaltenden Person.

Alexia ließ keinen Tanz aus, doch Leonores Tanzkarte war leider leer geblieben, da kein Herr sie um einen Tanz gebeten hatte. Statdessen beobachtete sie ihre schöne Cousine, die selbstsicher an den Armen attraktiver Gentlemen dahinschwebte und freute sich für sie.

Als Lord Allenby Alexia zu dem ihm versprochenen Tanz abholte, war Leonore besonders stolz auf ihre Cousine, das Paar paßte perfekt zueinander und wurde von vielen der Anwesenden bewundert. Leonore seufzte innerlich und wünschte auch sie könnte einmal so etwas erleben, aber selbst wenn ein Herr um einen Tanz bitten sollte, mußte sie abschlagen, da sie nie Tanzen gelernt hatte.

Sie setzte sich aufrechter hin und setzte ihre abweisendste Miene auf, damit niemand ihren Gefühlsaufruhr bemerkte. Leonard und Charles, die diesen Tanz ausgesetzt hatten, hatten Robert mit der Schönheit tanzen sehen und beobachteten, wie er sie jetzt zu ihrem Platz zurückbrachte. So fiel Leonards Blick auf die junge Frau, die einsam auf ihrem Platz verharrte, während ihre strahlende Freundin wieder auf die Tanzfläche geleitet wurde.
 

"Siehst Du dort drüben die gestrenge Dame in dem gelben Seidenkleid? In meinen Augen sieht sie besonders ehrbar aus!", grinste Leo Charles an, der die Brauen spöttisch hochzog.

"Das wird dann aber zu leicht für Dich! Wenn Du sie wählen solltest, hast Du doch keine Konkurrenz! Sie wird Dir wie eine reife Frucht in den Schoß fallen."
 

Leonard lachte und ließ hinter seinen vollen Lippen seine perfekten Zähne hervorblitzen: "Nun, das wäre gut für mich und schlecht für euch. Es könnte sich herausstellen, daß sie eine geeignete Kandidatin für mich ist. Ich habe bestimmte Vorstellungen von einer Ehefrau und dabei ist mir am wichtigsten meine Freiheit! Sollte ich ihr die Ehe anbieten, dann wird sie mir ewig dankbar sein, heirate ich hingegen eine verwöhnte Schönheit oder eine erfahrene Witwe werden diese natürlich versuchen über mein Leben zu bestimmen und das werde ich nicht zulassen."
 

Charles verzog das Gesicht: "Du bist mal wieder viel zu schlau für uns! Ich hätte wissen müssen, daß Dein schnelles Eingehen auf die Wette nicht unüberlegt war!"
 

Diese Äußerung veranlaßte seinen Freund wiederum zu lachen. Auf Leonards Zeichen hin liefen Robert und Richard zu den beiden hin, nachdem sie ihre jeweiligen Tanzpartnerinnen wieder an ihren Platz zurückgebracht hatten.
 

Charles lächelte süffisant: "Ihr seid erlöst Freunde! Unser lieber Leo hat sich entschieden! Obwohl er noch nicht einmal den Namen der Dame kennt, bin ich sicher, daß er ein leichtes Spiel haben wird!"
 

Richard wollte natürlich sofort wissen, wer die Dame war: "Ist es eine der jungen Damen, mit denen wir getanzt haben?"

Dabei glitt sein Blick unauffällig über die Menge der Tanzenden, wo er irritiert an einem Schopf hängen blieb, von dem er hoffte, daß er nicht das Interesse seines Freundes erweckt hatte. Er hatte mit der jungen Lady getanzt und sich dabei nicht wie sonst zu Tode gelangweilt. Im Gegenteil ihre Stimme hatte ihn geradezu gefesselt. Aber das würde er vor seinen Freunden natürlich niemals zugeben, weil er dann zum Ziel ihr Spötteleien werden würde. Dabei war er doch der Spaßvogel der Runde. Der ewig lachende Joker...
 

Charles klärte seinen Freund sofort mit einigen treffenden Worten auf. Robert machte ein verdutztes Gesicht.

"Das ist die Cousine von Lady Alexia, Lady Harper! Leonard ist das dein Ernst? Sie scheint so unterkühlt, sie hat kaum ein Wort an mich gerichtet!"
 

Leonard lächelte ihn beruhigend an: "Keine Sorge, Rob! Ich werde Dich Morgen einfach auf deinen Besuch bei Lady Alexia begleiten, dann kann ich Lady Harper in Ruhe kennenlernen! Du wirst doch Lady Alexia morgen besuchen?" Hier wurde Leos Lächeln spitzbübisch.
 

Rob senkte verlegen den Blick, weil seine Freunde ihn alle irgendwie wissend anlächelten. Es war nicht unüblich, seinen Tanzpartnerinnen am nächsten Tag seine Aufwartung zu machen, aber für die verschworene Gemeinschaft des Kleeblattes schon, wenn es sich dabei um ledige, junge Damen handelte, denen sie ja eigentlich aus dem Weg gingen.

"Hm, ja das hatte ich tatsächlich vor und würde mich freuen, wenn Du mitkämest und Lady Harper ein bißchen von mir ablenken würdest!"
 

Leonard klopfte Rob freundschaftlich auf die Schulter.

"Also abgemacht! Wir besuchen die Damen Morgen um ein Uhr und jetzt können wir uns endlich richtig amüsieren! Kommt, wir können den Ball endlich verlassen."

Seine Freunde folgten ihm erfreut nach draußen, wo sie sich aufregenderen Freuden der Nacht zuwenden konnten.
 

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Am nächsten Morgen klopfte es an Leonores Zimmertür, auf ihr Geheiß trat die anspruchsvolle Zofe ihrer Tante ein.

"Guten Morgen, Mylady! Ihre Gnaden wünscht Sie zu sprechen, wenn es Ihnen recht ist!"
 

Leonore, die bereits seit zwei Stunden wach und angekleidet war, folgte der Zofe in das Schlafzimmer ihrer Tante. Diese lag noch im Bett und trank gerade ihre Morgenschokolade.

"Guten Morgen, Leonore! Komm und setzt dich zu mir!"

Ihre Tante klopfte neben sich auf das Bett. Leonore setzte sich zögernd zu ihr und ertrug die gründliche Musterung ihrer Tante mit gespielter Gleichmut.
 

"Ich habe dich hergebeten, weil ich in Ruhe mit dir sprechen wollte! Ich habe gestern bemerkt, daß Du kein einziges Mal getanzt hast und auch keiner der Herren, die versucht haben mit dir zu sprechen, blieb lange an deiner Seite. Ich habe dich zwar um Hilfe bei Alexias Betreuung gebeten, aber das sollte nicht heißen, daß Du dich nicht selbst amüsieren darfst!"
 

Beinahe hätte Leonore laut aufgelacht, sie sollte sich amüsieren? Das war als hätte ihre Tante bestimmt, daß ein Lahmer gehen sollte.

"Tante Hermione, das ist sehr nett von dir, daß du das sagst, aber ich... In deinem Brief erwähntest Du, daß ich auch nur für einen kurzen Besuch herkommen könnte. Ich bleibe gerne länger, weil ich dich und Alexia liebgewonnen habe, aber es ist schwer für mich, mich wie andere junge Damen zu verhalten. Ich brauche noch Zeit, um mich einzugewöhnen!", versuchte Leonore, sich ihrer Tante zu erklären.
 

Lady Harper seufzte traurig: "Du hattest eine schwere Kindheit, Leonore, ich verstehe das. Ich werde dich nicht drängen, aber wenn Du irgendwann einmal das Bedürfnis verspüren solltest darüber zu sprechen, dann höre ich dir gerne zu. Ansonsten freue ich mich, daß Du dich wohl hier bei uns fühlst."
 

Leonore gab ihrer Tante einen Kuß auf die rosige Wange.

"Danke, Tante Hermione! Mein Mädchen Betty hat gemeint, daß schon einige Blumenbouquets für Alexia eingetroffen sind! Es werden wohl später auch einige der Gentlemen von gestern vorsprechen, ich habe veranlaßt, daß Alexia nicht zu früh geweckt wird und ihr Frühstück im Zimmer einnehmen kann, damit sie später richtig ausgeruht ist!"
 

Die Tante lobte ihre Voraussicht und entließ sie dann, um sich anzukleiden. Leonore schlüpfte erleichtert aus dem Zimmer, sie hatte schon befürchtet, daß ihre Tante sie weiter bedrängen würde, aber der Einwand über Alexias Erfolg hatte sie glücklicherweise abgelenkt.

Sie konnte sich nicht vorstellen mit der sanften Frau über ihre düstere Vergangenheit zu reden, außerdem hätte es für sie keinen Unterschied gemacht, was könnte ihre Tante gegen die Vergangenheit ausrichten? Die Zeit konnte niemand zurückdrehen.
 

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Am frühen Nachmittag saßen die Damen im Empfangszimmer und Alexia hielt Hof bei ihren diversen Verehrern. Als Lord Allenby in Begleitung des Earl of Henley gemeldet wurde, war Leonore nicht sonderlich überrascht. Der junge Lord begab sich aber nicht sofort zu Alexia, sondern sprach zuerst mit ihrer Mutter, während sein Begleiter, der Earl, Alexia charmant begrüßte. Kurz darauf trat Lord Allenby zu Alexia und Leonore, die gemeinsam auf einem Sofa saßen. Er nahm Alexias Hand und hauchte einen Handkuß darauf.
 

"Lady Alexia, Lady Harper! Ich habe der Countess die Zustimmung abgerungen, die Damen zu einem Spaziergang entführen zu dürfen. Natürlich nur, wenn es Ihnen beiden genehm ist!"
 

Dabei sah er Alexia tief in die Augen, die ihn scheu anlächelte: "Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Cousine auch möchte?" Sie sah Leonore fragend und bittend zugleich an.
 

Diese neigte zustimmend den Kopf: "Gerne, wir sollten uns von den anderen Herren verabschieden und dann unsere Umhänge holen!"
 

Zehn Minuten später verließen die vier jungen Leute das Haus, wobei Lord Allenby und Alexia vorausliefen und Leonore so gezwungen, war den Arm des eindrucksvollen Earl of Henley zu nehmen. Er war ebenso hochgewachsen wie Lord Allenby nur etwas kräftiger gebaut, sein dunkelblondes Haar trug er etwas länger als die Mode es vorschrieb, aber am beeindruckendsten waren seine fast gelben Augen, die ihm ein katzenhaftes Aussehen verliehen.

Leonore vermied geflissentlich zu ihm aufzuschauen, da sie sonst der Versuchung erliegen würde, ihn schamlos anzustarren. Leonard machte so die neue Erfahrung, daß eine junge Dame ihm keine schmachtenden Blicke zuwarf. Die zierliche Lady Harper starrte stur geradeaus auf das Paar, das vor ihnen herlief und sich angeregt unterhielt.
 

Leonard beschloß den ersten Schritt zu tun.

"Lady Harper, ich habe Sie noch nie vorher in der Stadt gesehen, darf ich fragen warum?"
 

"Natürlich, Euer Gnaden! Ich lebte zurückgezogen auf dem Land bei meinem Vormund, ich bin nur nach London gekommen, um Tante Hermione bei Alexias Debüt zu unterstützen", antwortete sie sofort, ohne jedoch den Blick zu ihm anzuheben.

Unwissentlich hatte sie ihm damit eine wichtige Information gegeben, denn er hatte vor, daß seine zukünftige Frau die meiste Zeit auf dem Land leben sollte. Lady Harper war daran gewöhnt, also schien sie zumindest in diesem Punkt perfekt für ihn zu sein. Es wäre nicht gut, wenn seine zukünftige Frau allzu oft in der Stadt auf Lady Séraphine treffen würde, die in seinem Leben eine bedeutende Rolle spielte und mit einem unheilvollen Temperament gesegnet war.
 

"Ich muß ein schrecklicher Gesellschafter sein, Lady Harper! Oder warum strafen Sie mich sonst mit so kühler Verachtung?"

Leonard konnte sehen, wie ihre aufgesetzte Miene einem Ausdruck von Betroffenheit wich. Sie sah ängstlich zu ihm auf, so daß er endlich ihre hübschen dunklen Augen sehen konnte.
 

"Bitte verzeihen Sie mir, Euer Gnaden! Ich bin etwas ungeübt, was die feine Gesellschaft betrifft. Ich wollte Sie nicht beleidigen!"

Leonore wollte in keinem Fall die Chancen ihrer Cousine auf eine glückliche Verbindung mindern, indem sie Lord Allenbys Freund vor den Kopf stieß.
 

Leonard schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das wohl jede Dame verwirrt hätte, bei Leonore wirkte es um so verheerender, da sie mit männlichem Charme gar keine Erfahrungen hatte.

"Mylady, es wird mir eine Ehre sein, Ihnen zu Übungszwecken zur Verfügung zu stehen! Ich hege nämlich den Verdacht, daß mein Freund Ihre Cousine oft besuchen wird und wir uns so in Zukunft oft begegnen werden!"
 

Leonard legt seine Hand kurz auf ihre, die in seiner Armbeuge ruhte. Leonore errötete und senkte schüchtern die Lider.

"Das ist sehr freundlich von Ihnen, Euer Gnaden! Aber Lord Allenby bedarf sicher nicht Ihrer Unterstützung in seinem Werben, er ist im Hause meiner Tante sehr willkommen! Ich danke Ihnen trotzdem für Ihren großzügigen Vorschlag!"
 

Leonard ließ sein warmes Lachen erklingen, das Leonore durch und durch ging. Sie verstand einfach nicht, warum dieser Mann sie so faszinierte.

"Meine liebe Lady Harper! Sie machen es einem Gentleman wirklich nicht leicht! Aber ich gebe nicht so schnell auf, ich werde meine Bekanntschaft mit Ihnen vertiefen!"

Dieser Ausspruch verschaffte ihm wieder einen Blick in ihre unergründlichen Augen, die schienen, als seien sie von einem verborgenen Kummer verschleiert.
 

Innerlich seufzte Leonore, es war wundervoll sich mit einem solch beeindruckenden Mann zu unterhalten, und es machte ihr fast nichts aus, daß er nur mit ihr sprach, weil er seinen Freund in seiner Werbung um Alexia unterstützte. Einen anderen Grund für seine Beharrlichkeit konnte es nicht geben, das wußte sie, das wußte sie nur zu gut.
 


 

Fortsetzung folgt...

The Waltz of her Dreams

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Alexias gesellschaftlicher Stern leuchtete schon nach einer Woche strahlend hell am Himmel der Londoner Beau Monde. Nicht nur ihrer Schönheit wegen, Alexia hatte ein so liebreizendes Wesen, das sie jeden sofort für sich einnehmen konnte. Sie drängte sich nie in den Vordergrund und war auch zu den älteren Mitgliedern des Ton immer sehr zuvorkommend. So war es nicht verwunderlich, daß sie bei ihrem zweiten Ball Freundschaft mit Lord Moreleys ältester Tochter, Brittany, schloß.
 

Brittany Moreley war eine kecke rotblonde Schönheit, in deren grünen Augen beständig der Schalk blitzte, mit ihrer temperamentvollen Art ergänzte sie perfekt Alexias ausgeglichenes Wesen. Heute Abend wurde Brittanys Einführung zu Ehren ein Ball in der Moreley-Residenz gegeben, zu dem natürlich auch die Damen Burnham und Harper eingeladen waren.

Brittany und Alexia waren die Sensation des Abends, Leonore beobachtete die beiden sehnsüchtig, wie sie in ihren Kreationen aus strahlender weißer Seide von ihren Verehrern über die Tanzfläche gewirbelt und angehimmelt wurden. Die beiden standen auch im Zentrum des Interesses, weil alle Mitglieder des Kleeblattes mit ihnen tanzten, das steigerte das Interesse an den beiden jungen Damen natürlich enorm.

Einen Moment meinte Leonore, keine Luft mehr zu bekommen, sie schluckte schwer und erhob sich mit blassem Gesicht. Sicher würde niemandem auffallen, wenn sie kurz auf die Terrasse hinaustrat. Mit zitternden Schritten verließ sie den Ballsaal durch eine der offen stehenden Terrassentüren. Leonore ging ein Stück die Balustrade entlang und starrte dann hoch in den nächtlichen Sternenhimmel.
 

´Du hättest nicht in die Stadt kommen dürfen! Dein größter Wunsch hat sich erfüllt und es zerreißt Dir fast das Herz! Du hättest wissen müssen, daß es im wirklichen Leben keine Märchen gibt!´, flüsterte mit trauriger Stimme.

Leonore atmete tief die kühle Nachtluft ein und versuchte mit aller Kraft, die traurigen Gedanken wegzuwischen. Aber seit sie in London war, verließ ihre eiserne Selbstbeherrschung, die ihr das Leben bei ihrem Onkel erträglich gemacht hatte, immer öfter. Sie fühlte sich schäbig, weil sie ihre Cousine Alexia beneidete, um ihren Erfolg, um ihr sorgloses Leben, um ihr anziehendes Wesen und doch war ihr Leonore von Herzen zugetan.
 

"Lady Harper? Ich habe Sie schon überall gesucht! Würden Sie mir die Ehre dieses Tanzes erweisen?"

Unbemerkt war der Earl of Henley hinter sie getreten. Er war nicht ganz ehrlich gewesen, schließlich hatte er beobachtet, mit welchem Gesichtsausdruck sie die Cousine angesehen hatte. Ebenso hatte er ihre geflüsterten Worte gehört und eigenartigerweise hatte ihn ihr Ringen um Haltung angerührt. Nun starrten ihn ihre großen, dunklen Augen einen Augenblick fassungslos an, dann glitt die wohleinstudierte Maske wieder über ihr Gesicht.
 

"Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, aber ich sollte jetzt wieder nach meiner Cousine sehen, ich war schon viel zu lange hier draußen!"

Sie senkte den Blick, damit er ihre Verlegenheit nicht sah.
 

"Sie werden nach Ihrer Cousine sehen können, während wir tanzen! Außerdem bin ich mir sicher, daß sie einen Tanz lang auf Ihre Argusaugen verzichten kann!"

Leonards Stimme hatte etwas schärfer als beabsichtigt geklungen, da er normalerweise von Damen der Gesellschaft keine Körbe erhielt, was nun seinen nicht unbeträchtlichen Stolz verletzte.

Er nahm schon ihre Hand, um sie unter seinen Arm zu ziehen, so daß Leonore keine andere Wahl blieb, jedenfalls fiel ihr keine andere ein, als ihm die Wahrheit zu sagen.
 

"Bitte, ich kann nicht mit Ihnen tanzen! Ich meine... ich kann gar nicht tanzen!"
 

Sie entzog ihm zitternd ihre Hand und versteckte sie in den Falten ihres Abendkleides. Sie sah trotzig zu ihm auf, da sie nun eine nonchalante Bemerkung über alte Jungfern oder dergleichen erwartete. Doch sie sah nur seine strahlend schönen Augen und ein nachsichtiges Lächeln.

"Hören Sie! Man spielt einen Walzer! Wir können hier auf der Terrasse tanzen, ich werde es Ihnen beibringen, nun zumindest den Walzer!"

Er nahm mit seiner linken Hand ihre Rechte und umfaßte dann mit seiner rechten Hand ihre schmale Taille.
 

"So! Jetzt folgen Sie einfach meinen Schritten und meiner Führung! Ansonsten brauchen Sie nur auf den Takt zu achten: eins-zwei-drei... eins-zwei-drei... und dann die Drehung! Es ist ganz leicht!"
 

Nach wenigen Augenblicken konnte Leonore mühelos seinen Schritten folgen und sich schwungvoll mit Lord Morland auf der Terrasse drehen. Es war wirklich kinderleicht!

Leonard war verwundert welche Verwandlung in der beherrschten Lady Harper vor sich gegangen war. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen hatte ihr schmales Gesicht etwas sehr Attraktives an sich, sie sah fast aus wie eine aus dem Schlaf erweckte Prinzessin. In einer letzten Drehung kamen sie zum Stillstand und Leonore schaute ihn an als sei sie gerade von einer Reise zu einem anderen Stern zurückgekehrt.

Er konnte ja nicht wissen, daß Leonore für die Augenblicke des Tanzes in ihre Fantasiewelt geschlüpft war, in der sie jung und schön war und in der ein Prinz darauf wartete, sie zu erobern.
 

Sie war so aufgewühlt, daß sie nicht darüber nachdachte, was sie zu Lord Morland sagte: "Es war wundervoll! Ich danke Ihnen vielmals, ich wußte nicht, daß Walzertanzen so voller Magie sein kann!"

Ihre Wangen und Augen glühten vor Dankbarkeit und Begeisterung. Sie kam ihm vor wie ein süßes kleines Mädchen, dem er soeben einen Traum erfüllt hatte. Er strich ihr sanft über die Wange und gab dem Zauber des Augenblicks nach, er wollte nicht zu forsch wirken, doch die romantische Szenerie und ihre aufgewühlten Gefühle waren die perfekte Kulisse für den nächsten Schritt.
 

"Die Freude war ganz auf meiner Seite!", flüsterte er leise und seine Stimme klang samtig weich und kam Leonore wie eine Liebkosung vor.
 

Ehe sie wußte, was ihr geschah, hatte sich der Earl zu ihr heruntergebeugt und hauchte einen leichten Kuß auf ihre Lippen. Leonores rechte Hand fuhr zitternd zu ihren Lippen, die Berührung war so zart gewesen, daß es sie geschmerzt hatte. Sie konnte sich nicht mehr einmal an einen Kuß ihrer Eltern erinnern, so daß dies die erste Zärtlichkeit seit fünfzehn Jahren war, die sie erfuhr. Der Gefühlsaufruhr war ihrem Gesicht deutlich abzulesen und Leonard wunderte sich wieder, wie er sie je als abweisend oder kalt hatte bezeichnen können.

Er rechnete mit einer Ohrfeige, einem Ohnmachtsanfall oder Vorwürfen, denn man nahm sich einer Lady gegenüber keine solchen Freiheiten heraus. Aber Lady Harper überraschte ihn wieder. Sie sah ihn nur mit vor Tränen glitzernden Augen an und wandte sich dann wortlos ab, um die Terrassenstufen hinunter und in den Park hinein zu laufen. Atemlos und blind vor Tränen sank Leonore auf eine steinerne Bank; im Takt der Schläge ihre Herzens, hämmerte die Stimme ihres verstorbenen Vormundes in ihrem Kopf.
 

"Eine Saison in London, Du gottloses Geschöpf! Du weißt genau, daß ich diese verkommene Stadt verabscheue! Ich werde Dir zu gegebener Zeit, einen geeigneten, gottesfürchtigen Mann auswählen! Und jetzt geh auf dein Zimmer und bete um Vergebung, oder Du wirst meinen Zorn zu spüren bekommen!"
 

Und sie hatte gebetet... daß er nie so einen Mann finden möge, denn das Leben mit ihrem Onkel war trist genug, auch noch einen solchen Ehemann an seiner Seite zu haben, hätte sie nicht verkraftet. Sie war siebzehn gewesen und die Saison in London die einzige Fluchtmöglichkeit, die ihr blieb, wenn sie nicht Reißaus nahm. Drei Jahre später wurde der Onkel krank und pflegebedürftig, so sehr daß er nicht mehr bei Verstand war. So wurde ihr zumindest das Schicksal erspart, einen von ihm ausgewählten Mann zu ehelichen. Obwohl sie mit 21 mündig wurde, blieb sie bei ihm und pflegte ihn bis zu seinem Tode vor etwa einem Jahr. Wenigsten hatte er ihr sein Geld vermacht, so daß sie nach der Beerdigung aus den Cotswolds wegziehen und endlich ein eigenständiges Leben beginnen konnte.

Der Earl hatte sie geküßt!

In ihrem Retikül kramte sie nach einem Taschentuch und tupfte sich vorsichtig die Tränen ab. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Es war für ihn sicher keine Sache von großer Bedeutung gewesen, doch für sie war der Kuß ein kleiner Schatz wie der Tanz mit ihm, den sie immer in Erinnerung behalten würde.
 

´Ich habe schon zwei Schätze, mit denen ich meine Truhe füllen kann und bis ich wieder nach Hause fahre, werde ich bestimmt noch mehr sammeln können!´

Ja, das war eine schöne Vorstellung, eine Truhe voller kostbarer Erinnerungen für die einsame Zukunft. Zuvor hatte sie nicht einmal Erinnerungen gehabt!

Als sie in den Ballsaal zurücktrat, sah nur der Earl ihr tapferes, kleines Lächeln, das die geweinten Tränen verbergen sollte. Leonard strich sich nachdenklich über sein glattrasiertes Kinn, Charles hatte recht gehabt, er hatte zwar nur noch drei Wochen, doch Lady Harper war eine noch leichtere Eroberung, als er gedacht hatte.
 

~~~

Am nächsten Nachmittag besuchte Leonore mit Alexia und Brittany eine Gartenparty, die von Lady Benson für ihre Tochter organisiert worden war. Lady Burnham war zuhause geblieben, da zu diesem Zusammentreffen nur junge Mitglieder der Gesellschaft erwartet wurden. Das Wetter war sehr sonnig, und daher hatte Lady Benson rund um einen Gartenpavillon Stühle und Tische sowie Decken arrangieren lassen, so daß man den Eindruck hatte, sich auf einer Landpartie zu befinden. Leonore hatte nicht sehr viel zu tun, da Alexia und Brittany an einem Tisch saßen, um den auch viele ihrer jungen Verehrer sich scharten.
 

Sie unterhielt sich gerade mit Lady Benson, als diese aufsah und ihr zuraunte: "Sehen Sie, Lady Harper! Ich hatte schon nicht mehr mit dem Erscheinen des "Kleeblattes" gerechnet, aber sie scheinen sich diese Saison ernsthaft nach passenden Ehefrauen umzusehen! Ich werde Sie jetzt kurz alleine lassen müssen, entschuldigen Sie mich!"
 

Sie eilte geschäftig auf die vier Gentlemen zu, die nun wohlerzogen ihre Honneurs bei der Hausherrin machten. Leonore war erstarrt, als sie den Earl erblickt hatte. Nun sah sie sich nervös um und beschloß, ein Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden. Sie lief einfach weiter in den Garten hinein, Lady Benson hatte erwähnt, daß sie besonders stolz auf ihr kleines Heckenlabyrinth sei, das einen kleinen Teich in der Mitte beherbergte. Dort würde sie wohl vor einem Zusammentreffen mit dem Earl sicher sein. Sie glaubte zwar nicht, daß er ihre Gesellschaft suchen würde, aber sie sah sich im Augenblick außer Stande, dem Mann gegenüberzutreten, der sie letzte Nacht geküßt hatte.

Als sie um die letzte Hecke bog, hörte sie ein kindliches Lachen und die Ermahnungen einer erwachsenen Frau. Auf der Einfassung des Teiches balancierte ein kleiner Junge und seine Nanny versuchte, ihn vor dem Abstürzen zu bewahren, in dem sie ihn an seinen Rockschößen festhielt.
 

"Guten Tag! Ich hoffe, ich störe nicht!", meldete sich Leonore zu Wort.
 

Der kleine Junge sprang auf den Rasen herunter und sah sie neugierig an.

"Oh, Sie stören nicht! Ich brauche noch jemanden zum Ballspielen!"
 

Leonore lachte und sah dann seine Nanny fragend an: "Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich gerne mit dem jungen Gentleman spielen!"
 

Die Nanny, die schon älter und etwas korpulent war, war scheinbar sehr froh, daß sie sich nun auf einer nahe stehenden Gartenbank niederlassen konnte. Leonore und Marc, der jüngste Sohn der Bensons, spielten so ausgelassen mit dem Ball, daß Leonores eleganter Hut bald nur noch von den Bändern gehalten auf ihrem Rücken baumelte. Viel zu früh wurde Marc von seiner Nanny zum Tee ins Haus gerufen.
 

Der kleine Mann grinste keck und machte eine formvollendete Verbeugung vor Leonore: "Es war mir ein Vergnügen! Und wenn ich später einmal heirate, dann nur eine Lady, die so gut Ball spielen kann wie Sie!"
 

Er rannte lachend davon und Leonore sah ihm wehmütig lächelnd nach. Sie setzte sich auf die Teicheinfassung und ließ ihre Finger spielerisch durch das kühle Naß gleiten. Ein Räuspern in ihrer Nähe ließ sie jedoch auffahren. Als sie sich umblickte, sah sie sich dem Mann gegenüber, den sie unter allen Umständen hatte meiden wollen, der Earl of Henley!
 

"Erschrecken Sie nicht, Lady Harper! Ich war nur in Sorge, weil ihr Spaziergang sich so lange ausgedehnt hat!"

Er lächelte sie freundlich an, doch er konnte zusehen, wie ihre Gesichtszüge förmlich erstarrten, und wie sie sich vor ihm zurückzog, um nur noch eine unverbindliche Hülle übrigzulassen.
 

Lady Harper machte einen kleinen Knicks und begrüßte ihn dann höflich aber distanziert: "Ich wollte gerade zurückgehen! Es besteht also kein Grund zur Sorge für Euch, trotzdem vielen Dank!"
 

Sie wollte sich abwenden, doch Leonard ergriff einfach ihre Hand und hielt sie so zurück.

"Und wieder bekomme ich einen eiskalten Guß! Ich frage mich, womit ich Ihre Verachtung verdient habe?"

Er sah sie fragend an und sah dabei aus wie ein kleiner Lausbub. Leonore durchfuhr ein Zittern, denn seine Hand schien heiße Wellen auf sie zu übertragen, die ihren Verstand zu umnebeln schienen.
 

"Ich... Es hat nichts mit Ihnen zu tun, ich sagte Ihnen doch schon, daß ich es nicht gewohnt bin, mit der feinen Gesellschaft zu verkehren!"

Sie entzog ihm zögernd ihre Hand und trat einen Schritt zurück, wenn er so dicht bei ihr stand meinte sie, vor Nervosität keine Luft mehr zu bekommen.
 

Er lächelte sie charmant an: "Das will ich hoffen, denn sonst werde ich, an mir zu zweifeln beginnen!"
 

Leonore atmete tief durch und nahm dann all ihren Mut zusammen, um dies nächsten Worte auszusprechen: "Sie müssen mir glauben, daß ich Ihnen nicht zu nahe treten möchte, Euer Gnaden! Aber ich bin mir sicher, daß Sie jederzeit eine Dame finden werden, die Ihre Gesellschaft mehr zu schätzen weiß!"
 

Sie sah mit brennenden Wangen zu ihm auf und blickte so verzweifelt, daß Leonard seine Vorsätze vergaß, bei der Eroberung behutsam vorzugehen, um sie ja nicht zu verschrecken. Wortlos zog er sie in seine Arme und preßte seinen Mund verlangend auf ihre bebenden Lippen. Leonore fühlte sich als sei in ihrem Inneren ein Feuerwerk explodiert, auf das eine samtene Schwärze folgte, die sie schützend einhüllte. Ihre Hände die abwehrend auf seiner Brust geruht hatten, glitten instinktiv um seinen Hals und umfaßten seinen Nacken. Sehr sanft löste Leo seine Lippen von ihren und sah ihr lächelnd in die verhangenen Augen.
 

"Mylady?" Der zärtliche Klang seiner Stimme machte die förmliche Anrede zur Liebkosung.
 

"Ich- das hätte ich nicht tun dürfen!"

Mit der Hand an ihren prickelnden Lippen, trat sie verstört einen Schritt zurück.
 

Leonard lachte sein kehliges Lachen: "Sie trifft keine Schuld! Ich wollte Ihnen nur beweisen, daß es mir ernst ist mit dem, was ich sagte! Glauben Sie mir jetzt?"

Sein lodernder Blick bohrte sich in ihre Augen und fand einen Weg zu einem Teil ihrer Seele, der schon lange im Verborgenen schlummerte.
 

"Ich bin so verwirrt, das ist alles so neu für mich und ich habe Angst!"

Leonard zog sie wieder an sich und strich ihr beruhigend über den Rücken.
 

"Hab´ keine Angst! Es wird nichts Unrechtes geschehen, das verspreche ich Dir! Du hast mich einfach verzaubert!"
 

Und das war fast die Wahrheit. Ohne die Wette hätte er die junge Frau vielleicht nie beachtet, aber das Schicksal hatte es wieder gut mit ihm gemeint, denn er wußte jetzt schon, daß er sie mit Leichtigkeit für ihn einnehmen konnte. Er war sich sicher, daß einer baldigen Hochzeit nichts im Wege stehen würde und überlegte im Stillen, wie er den Gewinn so ausgeben konnte, daß es Charles am meisten ärgern würde. Um das Seelenheil seiner zukünftigen Frau machte er sich die geringsten Sorgen, denn die würde ja durch die Heirat eine bedeutende gesellschaftliche Stellung einnehmen, die ihr unter normalen Umständen verwehrrt wäre, weil sie beinahe schon zu den alten Jungfern gehörte.
 

Fortsetzung folgt...

The Unwanted Betrothal

~~~

Ein Maskenball!

Leonore freute sich sehr darüber, daß sie mit ihrer Cousine und Tante daran teilnehmen durfte. Lord Allenby hatte versprochen, sie persönlich zu der Festlichkeit bei Lord und Lady Langdon zu begleiten. Alexia trug einen himmelblauen Domino, ihre Tante einen fliederfarbenen und Leonore hatte für sich einen silbergrauen gewählt, dem sie über ihrem Kleid trug. Beinahe wünschte sie sich, sie könnte immer mit dieser Verkleidung auf Festlichkeiten gehen, weil die das bodenlange Cape die Firgur völlig verbarg und die weite Kapuze das Gesicht vor Blicken schützte.

Sie würde sich einfach an den Paaren erfreuen, die enger tanzen durften als sonst und mit demselben Partner den ganzen Abend verbringen durften. Schließlich waren die Maskenbälle ja dazu erdacht worden, auch wenn hier Chaperones anwesend sein würden, konnte man doch mehr wagen als auf anderen Bällen.

Leonore lächelte in sich hinein, als Lord Allenby Alexia sogleich auf die Tanzfläche führte, als sie bei den Langdons eingetroffen waren. Sie begleitete ihre Tante zu den anderen Anstandsdamen und versorgte sie mit einem Glas Punsch. Leonore hatte kaum Platz genommen, als ein Gentleman in einem mitternachtsblauen Domino sie um einen Tanz bat, den sie ihm gewährte, da es sich um einen Walzer handelte. In der Verkleidung konnte sie riskieren, den neu erlenten Tanz mit einem fremden Herren zu tanzen. Selbst wenn sie sich dabei ungeschickt anstellte, würde ihr Partner nicht wissen, wer aus dem Takt gekommen war... Diese Vorstellung war ungemein beruhigend.
 

"Guten Abend, Lady Harper! Dachten Sie, ich würde Sie in diesem unauffälligen Domino nicht erkennen?", flüsterete der Gentleman in ihr Ohr, wobei er sie fest an sich zog.
 

Leonore sog die Luft erschrocken ein: "Lord Morland! Bitte, wir dürfen nicht so eng tanzen!"
 

Leo lachte leise: "Wieso nicht? Es wird uns keiner erkennen! Das ist doch das Faszinierende an Maskenbällen!"
 

Er hielt sie weiterhin fest an sich gedrückt und drehte sie schwungvoll zu den Walzerklängen, die den Ballsaal erfüllten. Leonore gab nach und genoß den Augenblick, da sie wie alle anderen Freude an der Musik und am Tanz verspüren konnte. Es war aufregend, sich ein einziges Mal wie eine der anderen Debütantinnen fühlen zu dürfen, so daß Leonore ihre Ängste etwas ablegte.

Nach dem Walzer führte sie Lord Morland durch das Haus, damit sie kein anderer zu einem Tanz auffordern konnte. Er brachte sie wie zufällig in das Arbeitzimmer Lord Langdons, das weit genug vom Geschehen war und als Schlupfloch für andere Paare wenig Anreiz bot, da sich darin kein Bett oder ein vergleichbar günstiges Möbelstück befand. Die unschuldige Lady Harper hatte natürlich keine Ahnung, daß Maskenbälle der Traum eines jeden Frauenhelden waren.
 

"Mylord! Ich glaube, wir sollten zu den anderen zurückgehen! Meine T..."

Leonore konnte nicht weitersprechen, weil sie leidenschaftlich geküßt wurde und keine Luft mehr bekam. Der Earl dirigierte sie geschickt zum Kamin, wo einladende Sessel standen. Er ließ sich auf einem nieder und zog Leonore auf seinen Schoß, ohne den Kuß zu unterbrechen.
 

Sie war viel zu überrascht, um Gegenwehr zu leisten. Für sie zählten nur noch seine Liebkosungen und sie merkte nicht, wie er ihr den Domino abstreifte und geschickt das Kleid von den Schultern streifte, bis er ihre nackte Haut mit heißen Küssen bedeckte.

"Bitte! Mylord, hören Sie auf!"

Leonore war völlig außer Atem und ihr Herz drohte, vor Aufregung zu zerspringen.
 

Leonard sah auf und lächelte sie verführerisch an: "Gefällt es Ihnen nicht? Ich finde es wunderbar und möchte nicht aufhören! Bitte nenne Leo, meine Liebe, Mylord ist zu förmlich! Leonore und Leonard, das paßt doch wunderbar zusammen!"
 

Und wieder küßte er Leonore, bis sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Als Ihr Kopf an seiner Schulter ruhte, saugte er sich an ihrer nackten Schulter fest und hinterließ ein deutliches Zeichen ihres Tête-à-Têtes, um glaubhaft zu wirken, falls er eines Beweises bedürfen sollte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihre Tante in diesem Zimmer auftauchte. Dies hier war ein sorgfältig ausgedachter Plan. Leonard war mit nichten von seiner Leidenschaft für diese Dame überwältigt. Seine Sinne waren auf das Äußerste geschärft.
 

Er behielt Recht, einige Minuten später wurde die Tür zum Arbeitszimmer geöffnet und Leonores Tante Hermione betrat den Raum. Sie erschrak, als sie Leonore halb entblößt auf dem Schoß des Earl of Henley entdeckte. Sie hatte die Notiz, die ihr ein Lakai zugesteckt hatte für einen Scherz gehalten. Doch die Worte auf dem anonymen Zettel hatten die Wahrheit gesprochen. Die Ehre ihrer Nicht wäre in Gefahr, wenn sie sich nicht gleich in das Arbeitszimmer Lord Langdons begab und sie rettete.
 

"Lord Morland! Wie können Sie es wagen, meiner Nichte zu nahe zu treten?", echauffierte sich die ältere Dame und maß das Paar mit ungläubigem Erstaunen.
 

Leonore zuckte unter dem anklagenden Blick ihrer Tante schuldbewußt zusammen und sprang von Leos Schoß, wobei sie hastig ihre Kleidung zurecht rückte. Sie stand unter Schock, daß sie es so weit hatte kommen lassen, ohne jegliche Gegenwehr zu leisten. Es war, als hätte ihr Onkel Recht behalten: Sie war schlecht und verderbt bis ins Mark.
 

Der Earl erhob sich ebenfalls und drückte kurz Ihre Hand, bevor er sich an die Countess wandte: "Mylady, es tut mir leid, daß ich Sie so überrumpeln muß! Ich hatte es eigentlich etwas anders geplant, aber nun ..."

Er ließ den Satz offen und zog aus der Innentasche seines Jacketts einen Umschlag, den er der Countess überreichte. Leonore strich derweil ihr Kleid glatt und zog den Domino wieder über, während sie ihre Tante beim Lesen des Schriftstückes beobachtete. Sie konnte sehen wie Verärgerung Erstaunen wich und ihre Tante den Earl of Henley danach beinahe fassungslos anstarrte.
 

"Ist das Ihr Ernst, Mylord?"

Die Countess reichte ihm den Umschlag zurück.
 

Leonard lächelte: "Ich wollte in den nächsten Tagen bei Ihnen vorsprechen, obwohl ich weiß, daß Leonore nicht ihr Mündel ist! Das ganze ist mir etwas entglitten, ich bitte Sie nochmals um Vergebung!"
 

Leonard verbeugte sich tief und wirkte auf die Countess so überzeugend reumütig, daß sie ihm verzieh.

"Meinetwegen! Ich gebe Ihnen fünf Minuten, um in den Ballsaal zurückzukehren und rate Ihnen dringend zur Eile! Irgend jemand scheint bemerkt zu haben, was hier vorgeht und will Leonore schaden und das kann ich nicht zulassen! Leonore Liebes, wir sprechen Morgen in aller Ruhe darüber!"

Mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen wandte sie sich ab und verließ das Zimmer.
 

"Mylord, was ist das für ein Schriftstück, das Sie meiner Tante gezeigt haben?"

Leonore sah mit klopfendem Herzen in seine goldenen Augen auf. Sie verstand nicht, warum ihre Tante sich plötzlich so beruhigt gezeigt hatte.
 

"Mylord? Eben war ich noch Leonard!"

Er kam auf sie zu und nahm ihre zitternde Hand in seine, um sie dann an seine Wange zu führen. Die Vorstellung, wie sehr Charles sich über seinen schnellen Erfolg ärgern würde, zauberte ein überzeugendes Lächeln auf seine Lippen.

"Es ist eine Sonderlizenz! Willst Du meine Frau werden?"
 

Er küßte ihre Fingerspitzen und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Leonore starrte ihn eine Weile sprachlos an, bevor sie wieder klar denken konnte.

"Heiraten? Das ist nicht nötig, niemand weiß, was hier passiert ist außer Tante Hermione und sie wird es niemandem sagen! Sie... Du brauchst meine Ehre nicht zu schützen!"

Leonore entzog ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück.
 

"Ich hätte dich auf jeden Fall gefragt, deshalb die Sonderlizenz! Das Erscheinen deiner Tante hat meinen Antrag nur beschleunigt, bitte sag ja!"

Er nahm sie in die Arme und drückte sie an seine breite Brust. Leonore schmiegte ihre Wange an den Stoff seines Jacketts und schloß die Augen. Sie konnte einfach nicht glauben, daß ihr dieser Mann tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht hatte.
 

"Ich kann dich nicht heiraten! Du mußt an deine gesellschaftliche Stellung denken, ich bin nicht dazu erzogen worden, einem Haus wie deinem vorzustehen, ich habe Angst vor Menschen, kann nicht tanzen, bin eine alte Jungfer und würde dir nur Schande bereiten! Ich danke dir trotzdem!"

Sie sah mit tränenverhangenem Blick zu ihm auf, lächelte jedoch tapfer. Der Earl wollte einfach nur das Richtige tun, weil die Konventionen ihn dazu zwangen. Leonore war angerührt gleichzeitig aber von einer tiefen Beklemmung erfüllt.
 

"Meine Liebe! Das sind doch nur Ausflüchte, ein Nein werde ich nicht akzeptieren! Du bist die perfekte Ehefrau für mich, glaube mir! Genauso jemanden wie dich habe ich gesucht!"

Er küßte ihr die Tränen von den Wangen und ergriff dann von ihrem nachgiebigen Mund Besitz. Leonard beglückwünschte sich innerlich zu seiner Taktik, da ohne seine Falle Leonore womöglich niemals in eine Heirat eingewilligt hätte. Mit ihrem bescheidenen Wesen war sie die perfekte Ehefrau für seine Pläne, er beglückwünschte sich in Gedanken zu seiner guten Menschenkenntnis.
 

"Nun?", fragte er flüsternd.

Leonards Blick war bestechend und Leonore stimmte seinem Antrag zu, weil sie keine Kraft hatte, ihn abzulehnen. Es war, als wären alle ihre verborgenen Träume mit einem Mal wahr geworden, wie hätte sie da Nein sagen können? Sie hatte einfach nicht genug Kraft, sich diesem Mann zu entziehen.
 

~~~

Drei Tage später schon erschien die Verlobungsanzeige in der Londoner Gazette und in der Times, so daß Burnham House zur offiziellen Besuchszeit von Gratulanten und Neugierigen geradezu überrannt wurde.

Jeder der Gratulanten, auch ihre Tante und ihre Cousine, vermittelte Leonore den Eindruck, daß sie am Verstand des Earl of Henley zweifelten. Nie sagten sie, daß er ein glücklicher Mann wäre, es war immer nur sie, die glücklich ob der Ehre sein sollte, die der Earl ihr gewährte.

Die Damen beneideten sie auch um den prächtigen Verlobungsring aus dem Familienbesitz der Morlands. Es war ein daumennagelgroßer funkelnder Diamant, der von Rubinen umsäumt war, dazu hatte ihr Leonard auch das passende Geschmeide und Ohranhänger überbringen lassen. Sie sollte sie zum heutigen Verlobungsball tragen, der später am Abend im Stadthaus der Henleys gefeiert werden würde.
 

Leonores Nervosität wuchs beständig und am Abend war sie so angespannt, daß sie nicht einmal der Anblick ihres neuen Abendkleides erfreuen konnte, das von Madame Verné, eine der gepriesenen Modistinnen in der Bond Street, als Sonderanfertigung für den Earl of Henley geschneidert worden war. Es war aus weinroter Seide mit kleinen Tüllpuffärmeln und brachte das rote Glitzern des rubin- und diamantbewährten Colliers effektvoll zur Geltung. Leonore drehte sich schnell vom Spiegel weg, denn sie fand nicht, daß sie so ein auffälliges Kleid tragen sollte. Aber Leonard hatte darauf bestanden und sie hatte mal wieder nicht widersprechen können. In seiner Nähe fühlte sie sich vollkommen überwältigt und nicht fähig, ihm Widerworte zu geben, auch wenn der ganze Aufwand, der hier betrieben wurde, ihr eigentlich zuwider war. Es kam ihr vor, als würde sie allen etwas vorspielen müssen. Das Kleid und die Geschmeide dienten nur dazu, ihr Spiel zu unterstreichen.

´Das bin ich nicht... Warum kann ich mich nicht freuen?´, dachte sie bedrückt.
 

In dem Moment rief Tante Hermione sie, denn sie waren zum Dinner en famille bei Leonard eingeladen, bevor der Verlobungsball anschließend stattfand.

Beim Essen waren nur der Earl of Henley, die restlichen Mitglieder des Kleeblattes und ihre Begleiterinnen sowie Leonores Verwandte anwesend, dennoch fühlte sich Leonore nicht wohl. Sie saß Leonard gegenüber, der am anderen Ende der Tafel saß und hatte Charles Deverell Viscount Stratton, zu ihrer Rechten und Lord Allenby zu ihrer Linken. Am liebsten wäre Leonore nach Hause gegangen, doch der Ball nahte unaufhaltsam und bald begrüßte sie mit Leonard und ihrer Tante an ihrer Seite die Gäste des Abends, die alle ihre herzlichsten Glückwünsche überbrachten. Nach zwei endlosen Stunden, in denen Leonores dankbares Lächeln fast auf ihren Lippen eingefroren war, hatten sie endlich den letzten Gast begrüßt.
 

"Leonore, geht es dir gut?" Leonard sah sie besorgt an.
 

"Ja, ich bin nur etwas erschöpft! Ich hatte nicht mit so vielen Gästen gerechnet!", erwiderte sie, ohne ihn richtig anzusehen.
 

Leonard lächelte aufmunternd: "Ich werde dir das nicht mehr allzu oft abverlangen, Liebes! Komm jetzt wir eröffnen den Ball mit unserem Verlobungswalzer!"
 

Er nahm ihre Hand und legte sie auf seinen Unterarm und so schritten sie in den Ballsaal, wo er sie auf die Mitte der Tanzfläche führte und sie dann bald schwungvoll zu den Walzerklängen drehte.

Nach dem Walzer entschuldigte sie sich bei Leonard, weil sie sich etwas frisch machen wollte, das war jedoch nur ein Vorwand, um sich einen ruhigen Raum zu suchen.

In einem unbenutzten kleinen Salon, der durch zwei Flügeltüren Zugang zu einer Terrasse hatte, fand Leonore eine Zuflucht. Sie war gerade hinter die schweren Vorhänge geschlüpft, um die Flügeltüren zu öffnen, als noch jemand das Zimmer betrat. Sie hörte eine Frau leise lachen und die tiefe Stimme eines Mannes antworten.
 

Sie wollte sich gerade bemerkbar machen, als die Frau ausrief: "Mon Dieu! Dein armer Freund bindet sich an eine Vogelscheuche! Du hast wohl gar kein Mitleid mit ihm!"
 

"Mitleid!? Er bekommt 5000 Guineas von mir, weil ich die Wette verloren habe! Das sollte ihm die Hochzeit einigermaßen versüßen!"

Leonore stockte der Atem, als sie Viscount Stratton an seiner Stimme erkannte. Er hatte beim Essen neben ihr gesessen und seine tiefe Stimme hatte sie noch angenehm im Ohr, doch seine Worte brannten tiefe Wunden in ihre empfindsame Seele.
 

"Du bist wirklich ein Biest! Aber sein ganzes Leben mit so einer langweiligen Person verbringen zu müssen, das ist doch eine zu harte Strafe, mein lieber Charles! Also gräm dich nicht weiter, sondern küß mich endlich!", forderte die Frau mit einem kehligen Lachen in der Stimme.
 

"Er heiratet sie doch nur, weil sie so unscheinbar ist! Eine perfekte Ehefrau für einen Lebemann! Nach der Hochzeit wird er sie aufs Land verbannen und nur ein oder zweimal im Jahr besuchen! Und er kann weiterhin in London seinen Spaß haben! Aber bitte behalte das hier für dich! Ich habe keine Lust, mir Leos Groll zuzuziehen!"
 

An dem unterdrückten Kichern der Frau erkannte Leonore, daß sich die beiden leidenschaftlich küßten. Schier endlos lange wartete sie darauf, daß die beiden das Zimmer verließen. Anschließend ging sie zurück in den Ballsaal und tat als wäre nichts vorgefallen, mit aller Kraft unterdrückte sie ihren Kummer und überstand den Abend wie in Trance.

Sie wollte nur den Abend mit Würde überstehen und dann überlegen, wie sie sich aus dieser mißlichen Situation befreien konnte. Sie hatte es ja die ganze Zeit geahnt, daß Leonards Werben nicht echt sein konnte. Sie war wieder eine Gefangene, so wie ihr Vormund es eigentlich für sie vorgesehen hatte. Es kam Leonore vor, als würde ihr Onkel ihr Schicksal noch aus dem Grab heraus beeinflussen, aber die Schuld lag völlig bei ihr. Sie hatte es dem Earl viel zu leicht gemacht, weil sie törichten Träumen nachgehangen war...
 


 

Fortsetzung folgt...

In the Depths of Despair

~~~

Zwei Tage später suchte Leonore Viscount Stratton in seiner Stadtwohnung auf, obwohl es sich für eine junge Dame nicht schickte, einem Junggesellen ohne jegliche Begleitung in seinem Haus die Aufwwartung zu machen.

Leonore achtete jedoch darauf, daß sie von niemandem gesehen wurde und hatte auch nicht die Kutsche ihrer Tante für die Fahrt benutzt sondern eine unauffällige Mietdroschke.

Sie traf um kurz nach zehn ein, der Gentleman war jedoch wie erwartet noch nicht aufgestanden, und Leonore mußte zwei Stunden auf sein Erscheinen warten. Die Morgentoilette eines Lebemannes erforderte wohl mehr Zeit als Leonore angenommen hatte. Dafür wurde sie mit dem Anblick eines perfekt hergerichteten Gentlemans belohnt. Von den Spitzen seiner gepflegten dunkelbraunen Haare über den Brokathausmantel zu den glänzend polierten Schuhen war Viscount Stratton das Abbild eines tonangebenden Mitgliedes der feinen Gesellschaft. In ihrem dunkelgrauen Reisekleid, das sie aus ihrer alten Garderobe übergezogen hatte, fröstelte Leonore beim Anblick des Freundes ihre zukünftigen Mannes. Des Mannes, der ihr eine Ehefalle gestellt hatte, weil sie zufälligerweise die Anforderunge erfüllte, die eine ungeliebte und abgeschobene Ehefrau auszumachen schienen.
 

"Lady Harper! Welche Überraschung, was verschafft mit die Ehre Ihres Besuches?"

Charles ging auf sie zu und wollte sie mit Handkuß begrüßen, doch sie wehrte ihn ab, indem sie die behandschuhte Hand hob und einen Schritt vor ihm zurückwich.
 

"Ich denke, es ist nicht nötig, daß wir uns mit Nettigkeiten aufhalten! Hier!", sagte sie knapp mit mühsam beherrschter Stimme.

Leonore reichte ihm einen Umschlag, den er verwirrt annahm und öffnete. Er starrte sie sprachlos an, als er ein Bündel Geldscheine darin entdeckt hatte.
 

"Warum geben Sie mir Geld?", fragte er überrascht, ohne die Summe zu zählen, weil es einfach absurd war, von einer Dame, die noch dazu die Verlobte seines Freundes war, Geld anzunehmen.

Charles betrachtete Lady Harper zum ersten Mal nicht als Figur in einem amüsanten Spiel, sondern als Mensch. Er bemerkte ihre Blässe, die dunklen Ringe unter den Augen und den schmerzerfüllten Blick.
 

"Es sind genau fünftausend Guineen, ich denke, Sie werden den richtigen Gebrauch davon machen! Ich überhörte gestern Abend Ihr Gespräch mit Lady Estelle, Sie brauchen also nicht zu leugnen!"

Leonore sah ihn anklagend an. Charles schluckte und sein Gewissen begann sich zu regen, er provozierte gerne, genoß den verbalen Kampf und den Sieg gegen seine Gegner, aber nicht den Triumph über Schwächere, die sich nicht wehren konnten. Diese bittere Erfahrung hatte er selbst schon zu oft am eigenen Leibe erfahren müssen, daß er niemals so tief gefallen war... Oder doch? Trug er nicht die Mitverantwortung für die Geschehnisse?
 

"Ich kann das nicht annehmen, Mylady! Sie hätten davon nie erfahren dürfen, es tut mir leid!", sagte er strenger als beabsichtigt, weil ihre Handlung einfach ungehörig war. Sie hätte niemals davon erfahren dürfen. Er verfluchte sein loses Mundwerk, auch wenn er nicht ahnen hatte können, daß Lady Harper sie bei dem Gespräch belauscht hatte.

Er dachte einen Augenblick, die junge Dame würde ohnmächtig werden, aber sie hielt sich aufrecht, obwohl die Blässe ihres Gesichts beängstigend war. Es war, als von Minute zu Minute mehr Leben aus ihr entweichen.
 

"Wagen Sie es ja nicht von Ehrenschulden zu sprechen, denn das Ganze hat nichts mit Ehre zu tun! Nehmen Sie es ruhig, wir werden uns nicht mehr sehen, wenn der Earl of Henley mich auf seinen Landsitz verbannt. Ich wollte es zuerst ihm geben, aber was hätte das für einen Sinn? Ich werde demnächst seine Frau sein, also gehört das Geld bald ihm. Sehen Sie es als Ironie des Schicksals! Sie bezahlen ihre Wettschulden mit seinem eigenen Geld, das müßten Sie doch besonders amüsant finden!", schloß sie mit einem bitteren Unterton.

Leonore schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, Charles hielt sie jedoch bevor sie die Tür erreichen konnte am Oberarm zurück.
 

"Bitte, Lady Harper! Als wir gewettet haben, waren wir alle betrunken und in übermütiger Stimmung. Ich habe Leo zu der Wette herausgefordert, um ihn zu ärgern. Ich bin sicher, daß er Sie nicht nur aus Bequemlichkeit heraus heiratet! Sie sollten mit ihm sprechen!", bat er sie und suchte ihren dunklen Blick, dessen Traurigkeit ihm schier den Atem nahm.
 

"Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen Mylord! Wahrscheinlich sollte ich Ihnen sogar dankbar sein, so weiß ich wenigstens, wo mein Platz ist und mache mir keine unnötigen Hoffnungen! Aufwiedersehen!"

Leonore erlaubte sich nicht, vor ihm in Tränen auszubrechen. Sie fühlte sich schon gedemütigt genug und war davon überzeugt, daß die Herren unter sich sehr bald darüber lachen würden, wie die dumme alte Jungfer ihnen ins Netz gegangen war.
 

Sie riß sich vehement los und hinterließ einen aufgewühlten Viscount Stratton, der zum ersten Mal in seinem Leben nicht wußte, was er tun sollte. Nur um Leo eins auszuwischen, hatte er blind für das Unglück eines Dritten die Wette vorgeschlagen. Er setzte sich nachdenklich an die Frühstückstafel, weil ihn Lady Harpers Erscheinen in seinem Haus widerwillige Bewunderung abverlangte. Er wandte sich seiner Morgenzeitung zu, um den Gedanken an Lady Harper und ihren mutigen Auftritt zu verdrängen. Sie war mit Leo verlobt und die Sache hatte damit ein Ende!
 

~~~

Leonores innigster Traum hatte sich in einen Alptraum verwandelt, sie würde in drei Wochen heiraten und zwar einen Mann, der sie als lästige Pflicht empfand. Sie hatte sich von einigen Matronen von den Abenteuern des Kleeblattes erzählen lassen und wußte nun, daß sie alle ausgesprochenen Lebemänner waren, die finanziell sehr gut versorgt waren und keine Verpflichtungen hatten.

Nur durch die Erbschaft des Earl-Titels war Leonard dazu gezwungen, sich eine Frau zu nehmen, um den Fortbestand der Linie zu sichern.

Sie erwägte eine Flucht, aber damit würde sie auch dem Ruf ihrer Cousine schaden, deshalb konnte sie sich auch nicht ihrer Tante anvertrauen. Die Tage zu überstehen kostete sie alle Kraft, die sie hatte. Sie wollte nicht, daß Leonard merkte, daß er sie zutiefst verletzt hatte. Schwieriger war es, Viscount Strattons besorgten Blicken auszuweichen, der ganz der beste Freund des Bräutigams auf jeder Abendgesellschaft mit ihr tanzte. Er wollte durch sein Bemühen erreichen, daß ihm die Dame verzieh, und weil sie Leonard nichts von seiner Redseligkeit verraten hatte, war sie in seiner Achtung beträchtlich gestiegen.
 

Nachdem die Neuigkeit der Verlobung etwas an Reiz verloren hatte, ebbte auch das Interesse der feinen Gesellschaft an der langweiligen Verlobten des Earl ab. Es war schließlich keine brillante Verbindung. Lady Harper war zwar guter Herkunft aber völlig unscheinbar und somit uninteressant für den Ton. So saß sie wieder die meiste Zeit bei den Matronen oder flüchtete sich in den Erfrischungsraum, wo man sich die Frisur richten oder ein Glas Wasser trinken konnte. Sie saß wieder einmal in einem solchen Zimmer, wo man kleine Paravents so gruppiert hatte, daß kleine Nischen entstanden und die Damen etwas für sich sein konnten, als sie die Stimme der Dame erkannte, die beim Verlobungsball Viscount Strattons Begleitung gewesen war.
 

"Wie Du siehst, brauchst Du dir keine Sorgen zu machen, Séraphine! Leonard heiratet diese Lady Harper nur wegen der Klatschmäuler! Er wird weitermachen wie bisher!"

Der Ausspruch wurde von einem kehligen Lachen begleitet, das Leonore schon beim ersten Hören als absolut unsympathisch empfunden hatte.
 

"Er sollte mir gehören! Leonard gehört nur mir, ich werde ihm die Augen auskratzen!", antwortete eine liebliche Stimme, die jedoch gerade eine beinahe stählernen Unterton angenommen hatte.
 

Wieder hörte Leonore das Lachen und von Neugier angetrieben spähte sie durch den Spalt des Paravents auf die sich unterhaltenden Damen. Lady Estelle Lefèvre kannte sie schon, sie war eine dunkelhaarige Schönheit, deren Mann in London im Exil lebte. Er hatte noch vor dem Krieg seine Reichtümer auf der Insel in Sicherheit gebracht und nach Ende des Krieges England zu seiner neuen Heimat erklärt.

Leonore stockte der Atem als sie ihre Nebenbuhlerin erblickte. Sie war eine stattliche Blondine deren Augen wie Saphire glänzten. Ihr Gesicht war von klassischer Schönheit und ihre Figur vollkommen. Die eisblaue kostbare Abendrobe, die sie trug, enthüllte ein verführerisches Dekolleté und betonte den zarten Perlenschimmer ihrer Haut. Die Fremde sah aus wie eine Göttin, da sie selbst die schöne Lady Estelle überstrahlte.
 

"Er wird weiterhin zu dir kommen, und es wird kein Gerede mehr geben, ob Du deinem Gatten die Treue hältst! Du weißt nicht, wie lange er noch leben wird, obwohl er doch so alt und gebrechlich ist! Leonard kann nicht ewig auf dich warten, mach das Beste aus der Situation! Er hätte auch die hübsche Cousine heiraten können, die dir mit ihrem Aussehen fast das Wasser reichen kann!"
 

Die Göttin seufzte entnervt: "Ich hasse es, dir recht geben zu müssen! Diese Lady Harper ist keine Bedrohung für mich! Ich wollte trotzdem so gerne seine Frau werden! Komm laß uns zurück in den Saal gehen, ich will sehen, wie Leo leidet, wenn ich mit anderen Männern tanze!"
 

Die beiden Frauen verließen den Erfrischungsraum und ließen eine erschütterte Leonore zurück. Sie konnte hören, wie andere Frauen hinter den Paravents begannen, miteinander zu flüstern und zu kichern. Ihre Schande würde bald in ganz London bekannt sein. Sie konnte keine Minute länger, die glückliche Braut spielen, sie mußte den Ball sofort verlassen, wenn sie nicht in aller Öffentlichkeit ihre Selbstbeherrschung verlieren wollte.
 

Sie schlich sich so unauffällig wie möglich aus dem Raum, wobei sie jedweden Blicken geflissentlich auswich, und ging dann in das Zimmer, wo die Mäntel aufbewahrt wurden. Sie verlangte von einem jungen Dienstmädchen ihren Umhang und bat sie dann ihrer Tante auszurichten, daß sie wegen einer Unpäßlichkeit nach Hause gehen würde.

Ohne auf ihre Kutsche zu warten, lief sie einfach in die Nacht hinaus. Sie spürte weder die kühle Nachtluft noch den steinigen Boden unter ihren Füßen, die in feinen Abendschuhen mit sehr dünnen Sohlen steckten. Aus ihren Augen liefen Tränen, doch sie konnte nicht weinen. Leonard liebte eine andere Frau, die er nicht heiraten konnte, weil diese bereits verheiratet war. Für Leonore waren die Zärtlichkeiten, die sie ausgetauscht hatten, kleine Kostbarkeiten, die nun von der Vorstellung besudelt wurden, daß Leonard eigentlich eine andere viel schönere Frau begehrte. In der Ferne hörte sie ihren Onkel hämisch lachen, er hatte recht behalten, sie war ein nichtswürdiges Geschöpf, das niemand haben wollte.
 

"Wohin des Weges, schönes Fräulein?"

Ein Betrunkener stellte sich ihr in den Weg und packte sie bei den Schultern. Es war ihr egal, sie sah ihm nicht einmal ins Gesicht, obwohl er sie schüttelte und sie dann an einen schmiedeeisernen Zaun drückte, um ihr einen Kuß zu stehlen. Er riß ihre den Umhang von den Schultern und versuchte gerade, ihr Oberteil herunterzuzerren, als er von ihr gerissen wurde.
 

Viscount Stratton verscheuchte den Betrunkenen und wandte sich dann Lady Harper zu, die immer noch an den Zaun gelehnt war. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und totenblaß im fahlen Licht des Mondes, es war jedoch ihr entrückter Blick, der Charles durch Mark und Bein ging. Sie schien um sich herum nichts wahrzunehmen, als hätte sie sich von der Außenwelt abgeschnitten, es war nur ihre Hülle, die da vor ihm stand. Er hatte schon von Weitem gesehen, daß sie sich gegen ihren Angreifer nicht gewehrt hatte.
 

Hätte er nicht zufällig dabeigestanden als ihre Tante die Nachricht ihres Aufbruches erhielt und mitbekommen, daß sie die Kutsche nicht genommen hatte, wäre jede Hilfe zu spät gekommen. Eine Frau, die ohne Schutz in der Dunkelheit spazieren ging, wurde in Londons gefährlichen Straßen schnell das Opfer eines Verbrechens.

Charles hob ihren Umhang auf und hüllte sie vorsichtig darin ein, dann pfiff er nach der Mietdroschke, die eben um die Ecke gerollt kam. In diesem Zustand konnte er sie nicht in das Haus ihrer Tante bringen, wo die Dienstboten falsche Schlüsse ziehen würden. Er fuhr also zu seinem Stadthaus, wo er sicher sein konnte, daß die Dienerschaft verschwiegen war.

Dort angekommen brachte er sie in sein Schlafzimmer, wo er seinen Diener veranlaßte etwas heißes Wasser und einen Schwamm zu bringen, um Lady Harpers Gesicht zu säubern. Anschließend zog er ihr das Ballkleid aus und steckte sie in sein Bett, das von einer Wärmflasche vorgewärmt war. Eines seiner Mädchen sollte es notdürftig nähen, damit sie es in ein oder zwei Stunden wieder anziehen konnte.
 

Wenn es ihr etwas besser ging, würde er sie zu ihrer Tante bringen. Sie und Alexia würden den Ball nicht vor Mitternacht verlassen und dort bekannt machen, daß Lady Harper wegen einer Unpäßlichkeit nach Hause gebracht worden war. Leonard war ebenfalls geblieben, weil Charles´ Weggehen weniger auffallen würde.

Die gesellschaftliche Seite des Problems war somit gelöst, aber was wurde nun aus Lady Harper, wenn die Heirat vollzogen war?

Charles setzte sich ans Bettende und sah auf das zerbrechliche Mädchen herab.

Wieviel Kummer konnte sie noch ertragen, ohne daß sie endgültig zusammenbrach?

Er hatte immer angenommen, daß jede Dame der Gesellschaft das Ziel hätte, sich gut zu verheiraten und darüber hinaus keine weiteren Ansprüche stellte. Die körperliche Erfüllung konnte sich in keinem Ehebett finden, es gab kein verheiratetes Paar, das er kannte, das nicht schon unzählige Affaires de coeur gehabt hatte.

Charles bemerkte, daß Lady Harper ihn musterte, sie schien ihn endlich wahrzunehmen.
 

"Geht es Ihnen besser?", fragte er vorsichtig, als wäre sie ein scheues Tier, das durch einen Laut verschreckt werden könnte.
 

Leonore blinzelte verwirrt und erkannte dann Viscount Stratton vor sich.

"Ich glaube schon! Wo bin ich?"
 

Charles erklärte ihr, daß er ihr nachgegangen war und sie aus den Armen eines Betrunkenen gerettet hatte und daß sie bei ihm zuhause war, um sich von dem Schrecken zu erholen.

Leonores Augen füllten sich wieder mit Tränen und sie drehte den Kopf weg, damit der Viscount sie nicht sah.
 

"Sie hätten nicht kommen sollen, dann wäre vielleicht schon alles vorbei!"

Leonore konnte nur noch flüstern, weil ihr der Schmerz den Atem nahm und sie kaum Luft bekam. Sie konnte einfach nicht mehr. Allein die Vorstellung, daß sie ihrem Mann nach der Hochzeit pflichschuldigst Kinder gebähren sollte, ließ sie innerlich erstarren. Sie hatte ihre Unschuld verloren, so daß sie sich nicht mehr einreden würde können, daß ihr Mann ihr Gefühle entgegenbrachte.

Er würde sie bestimmt hassen oder schlimmer noch... Immer nur an seine wahre Liebe denken. Leonore hätte niemals geglaubt, daß sie sich das Leben bei ihrem strengen Onkel zurück wünschen würde, aber das tat sie, denn es war nicht schlimmer gewesen, als sich hier den Tod zu wünschen.
 


 

Fortsetzung folgt...

Un Unexpected Friendship

. . .

"Reden Sie keinen Unsinn, Lady Harper! Sie werden doch nicht wegen der Heirat daran denken, sich das Leben zu nehmen!"

Charles beugte sich über sie und zwang sie ihn anzusehen, in dem er ihr Gesicht am Kinn zu sich anhob, um ihr ernst in die Augen zu sehen.
 

"Es ist die einzige Lösung! Ich kann nicht davonlaufen, weil sonst Alexia in den Skandal verwickelt wird und ich kann den Earl nicht um die Auflösung der Verlobung bitten, weil er nicht erfahren soll, daß ich alles weiß! Außerdem dürfte ihm das sowieso egal sein!"
 

Charles schüttelte ungläubig den Kopf: "Ich verstehe, daß Sie ob des Zustandekommens Ihrer Bekanntschaft Bedenken haben, die Ehe einzugehen! Aber Sie können sicher sein, daß es keine ungewöhnliche Verbindung ist! In Adelskreisen ist es üblich, den Partner nach seiner gesellschaftlichen Stellung auszuwählen! Leonard ist kein Unmensch!"
 

"Er ist bereit, einen anderen Menschen zugrunde zu richten, weil ihm dessen Wohlergehen gleichgültig ist! Aus einer Laune heraus hat er mich erwählt, hat mit meinen Gefühlen gespielt und meine Unerfahrenheit ausgenutzt! Ich wollte niemals einen Mann wie ihn heiraten, er macht mir Angst, eigentlich wollte ich niemals heiraten. Das stand für mich außer Frage!", echauffierte sich Leonore, auf deren blasse Wangen langsam ein wenig Farbe zurückkehrte.
 

"Warum reden Sie nicht mit ihm so wie eben mit mir? Ich bin sicher, daß er Ihre Bedenken ernst nehmen wird!"

Der Viscount nahm ihre kalte Hand in seine und drückte sie aufmunternd.

Zum ersten Mal seit Tagen sah er ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht aufblühen, was ihn sehr erleichterte. Es machte ihm Angst, daß sie mit dem Gedanken an den Freitod spielte, das Ausmaß der Wette wurde ihm erst dadurch bewußt, daß ein Menschenleben auf dem Spiel stand.
 

"Sie sind ein treuer Freund, Viscount Stratton! Ich habe durch Ihren Mund die Wahrheit erfahren, Sie haben sich mir gegenüber nie verstellt. In Ihren Augen sah ich immer ein wahres Urteil über mich, deshalb kann ich offen mit Ihnen sprechen! Sie waren sehr nett zu mir und ich bedanke mich für Ihre Hilfe!"
 

Charles strich gedankenverloren mit dem Daumen über ihre Handinnenfläche und stutze dann, als er Unebenheiten spürte, die er dort nicht erwartet hatte. Er drehte ihre Hand um und sah die entstellenden Narben, die wie rote inzwischen verblaßte Striemen aussahen und quer über ihre Handflächen verliefen. Lady Harper entzog im Ihre Hand und richtete sich im Bett auf, wo sie vor ihm zurückwich und die Decke bis ans Kinn zog, als wollte sie sich vor seinen Blicken schützen.
 

"Entschuldigung! Ich trage sonst immer Handschuhe, ich habe nicht daran gedacht!"

Lady Harper Wangen brannten und verliehen ihr eine Süße, die Charles um so schmerzlicher empfand, weil sie sich so für ihre Verletzungen schämte.
 

"Wer hat Ihnen das angetan?"

Charles sprach ohne nachzudenken, weil ihn körperliche Gewalt abstieß und er die Vorstellung entsetzlich fand, daß man diesem empfindsamen Wesen ein derartiges Leid zugefügt hatte.
 

"Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht! Das kommt nur von den Stockhieben, die ich bekam, wenn ich ungehorsam war! Ich bin selbst schuld gewesen!", antwortete Leonore nervös.
 

"Erzählen Sie mir davon, warum?"

Charles sah sie so mitfühlend an, daß sie ihm bedenkenlos erzählte, wie ihr Onkel sie am Abend immer zu sich in sein Arbeitszimmer bestellte und für jeden Fehler, den sie über den Tag begangen hatte einen Stockhieb erhielt, und wenn sie vor Schmerzen schrie, bekam sie immer einen zusätzlich, weil sie ihre Strafe demütigst hätte ertragen sollen.
 

"...Ich machte so viele Fehler, daß die Wunden oft nicht genug Zeit hatten zu verheilen, ich habe Narben auf beiden Händen! Auf der linken Hand auch auf dem Handrücken! Ich mußte so aufpassen, daß man sie nicht sieht, seit ich in der Stadt bin!"

Sie schenkte ihm wieder ein zaghaftes Lächeln.
 

Charles empfand eiskalte Wut über einen Toten, der sein eigen Fleisch und Blut so mißhandelt hatte. Kein Kind sollte für alltägliche Fehler wie das Falschschreiben eines Wortes in einem Aufsatz so geschlagen werden. Er fragte sich, ob Leo eine Ahnung hatte, was für eine Kindheit Leonore gehabt hatte. Kein Wunder, daß ein bißchen Aufmerksamkeit sie hatte alle Bedenken und ihre anerzogene Zurückhaltung vergessen lassen.

"Warum sind Sie nicht von Ihrer Tante großgezogen worden? Sie wäre doch viel besser in der Lage dazu gewesen?", fragte er mit leiser Stimme, die Leonore als sehr tröstlich empfand, weil sie eine dunkle Tiefe besaß, die sie warm einzuhüllen schien.
 

"Ich wußte nicht, daß sie mich nehmen wollte! Mein Onkel ließ mich nur wissen, daß Tante Hermione mich nicht bei sich haben wollte. Ich war zu jung, um zu widersprechen und mit der Zeit habe ich mich von allem zurückgezogen. So ähnlich wie vorhin, ich bin einfach nicht mehr da, anders hätte ich es sonst nicht ausgehalten. Bitte erzählen Sie das nicht weiter, Mylord! Ich glaube, ich hätte es Ihnen auch nicht erzählen sollen! Oder vielleicht doch? Wenn der Earl erfährt, daß ich nicht ganz richtig im Kopf bin, dann löst er die Verlobung womöglich auf?"

Sie sah ihn hoffnungsvoll an, sie würde nach jedem Strohhalm greifen, wenn sie damit den reißenden Wassern entkommen könnte, die eine Ehe mit dem Earl für sie darstellte.
 

Charles schüttelte den Kopf: "Sie sind nicht verrückt! An Ihrer Stelle wären es viele Menschen wohl geworden. Sie sind sehr stark und mutig, daß Sie diesen schrecklichen Menschen überstehen konnten! Reden Sie sich ja nicht ein, daß mit Ihnen etwas nicht stimmt!"

Er sah sie streng an und erschrak dann, weil sie auf einmal weinte. Ohne nachzudenken zog er sie in seine Arme und drückte ihren zitternden Leib an seinen warmen Körper.
 

"Schsch! Weine nicht, mein Kleines!"

Die tröstenden Worte kamen leicht von seinen Lippen, in diesem Moment war es gleich, daß sie jede Konvention überschritten. Das Wohl dieser jungen Frau war ihm im Augenblick viel wichtiger als mögliche gesellschaftliche Sanktionen.
 

Er strich ihr beruhigend über die Haare und wiegte sie wie ein kleines Kind in seinen Armen. Das war es, sie war innerlich noch ein Kind, weil sie nie jemanden gehabt hatte, der sich um sie kümmerte. Deshalb hatte sie Angst vor den Menschen und war so abweisend, sie hatte nie gelernt, mit ihnen umzugehen.

Jeder Funke Spontaneität war aus ihr herausgeprügelt worden, in ihrem Inneren wartete ein schüchternes liebebedürftiges Kind darauf, sich entwickeln zu dürfen. Es würde sie endgültig zerstören, von Leonard in einer gefühlskalten Ehe auf dem Land gefangen gehalten zu werden. Er verdammte den Abend bei Brooks, wo er die Wette vorgeschlagen hatte. Leonore brauchte einen Mann, der sie behutsam in die Welt einführte und sie mit liebevoller Geduld versorgte.

Wie sollte er seinen Fehler nur wiedergutmachen? Ihr Schicksal schien bereits besiegelt zu sein...
 

~ ~ ~

Zwei Tage später lud Leonard seine Verlobte und ihre Cousine ins Theater ein, da sie bisher nicht das Vergnügen gehabt hatten, eine Aufführung zu besuchen. Es wurde die "Zauberflöte" aufgeführt und Leonore war gebannt von der Geschichte und der exquisiten Musik, darüber konnte sie auch ihren Kummer vergessen.

Für sie war alles andere egal, denn eigentlich war ein Besuch der Oper dazu da, von den Mitgliedern der feinen Gesellschaft bewundert und beachtet zu werden. Lord Allenby war der Begleiter ihrer Cousine und Viscount Stratton war mit Lady Estelle gekommen. In der Pause promenierte man in den Gängen und trank gekühlten Champagner.

Leonore wunderte sich, daß es um sie herum plötzlich leiser wurde, deshalb sah sie sich am Arm ihres Verlobten um. Die unbekannte Schöne kam am Arm eines jungen Gentlemans auf sie zu, der sich augenscheinlich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Er lächelte unsicher und begrüßte dann Leonore und Alexia, die ihn schon auf verschiedenen Bällen getroffen hatten.
 

"Darf ich Sie mit meiner Begleiterin bekanntmachen, das ist Lady Séraphine, Duchess of Hamilton, Lady Leonore Harper und ihre Cousine Lady Alexia Burn!", brachte der junge Adelige gerade noch hervor, ohne in Stottern auszubrechen.
 

Séraphine lächelte ihre Rivalin geringschätzig an: "Darf ich Ihnen zu Ihrer Verlobung gratulieren, ich hatte leider nicht die Gelegenheit, Sie bei Ihrem Verlobungsball zu beglückwünschen!"
 

Leonore nahm die dargebotene Hand und drückte sie fest.

"Vielen Dank, Lady Séraphine! Das ist sehr freundlich von Ihnen!"
 

Ihr Lächeln war echt, da sie es dem Earl nicht verübeln konnte, daß sein Herz für diese schöne Frau schlug. Die Gespräche um sie herum wurden wieder aufgenommen, da es nicht zu dem erwarteten Eklat gekommen war.

Viscount Stratton lenkte das Thema auf die Aufführung und Leo folgte seinem Beispiel, obwohl er wütend auf Séraphine war, die diese Situation absichtlich heraufbeschworen hatte, nur um zu sehen wie ihre vermeintliche Rivalin auf eine Konfrontation reagieren würde.
 

Charles beugte sich zu Leonore herunter, während die anderen weiterredeten.

"Alles in Ordnung? Ich hätte Sie vorwarnen sollen, daß die Lady zu Kurzschlußhandlungen neigt. Sie ist manchmal einfach unberechenbar!"
 

Leonore lächelte ihn dankbar an: "Machen Sie sich keine Sorgen, Mylord! Ich sehe mich durch die Anwesenheit Lady Séraphines nicht gestört! Ich freue mich auf die Fortführung des Stückes! Ich wünschte, die Pause würde nicht so lange dauern!"

Charles wunderte sich, daß Leonore so ruhig bleiben konnte, während Leo sich mit Séraphine unterhielt. Er mußte unbedingt mit ihr unter vier Augen sprechen, um herauszufinden, ob sie weiterhin den unsinnigen Gedanken an Selbstmord hegte. Er hatte noch ihr Gesicht vor Augen, als er sie vor zwei Tagen nach dem unglückseligen Vorfall nach Hause gebracht hatte.

Sie hatte ihn trotz der Tränen, die immer noch in ihren Augen glitzerten, angelächelt und nie anziehender gewirkt, weil sie sich diesmal hinter keiner Fassade versteckte. Hinter ihrem zerbrechlichen Äußeren verbarg sich trotz all der erdrückenden Erfahrungen ein starker Überlebenswille, den ihr Onkel nicht hatte brechen können, dafür bewunderte Charles diese Frau. Er beschloß sie am nächsten Nachmittag zu besuchen, denn er wußte, daß Leo anderweitig beschäftigt sein würde.
 

~ ~ ~

Charles hatte richtig kalkuliert, als er am nächsten Tag bei der Countess of Burnham vorsprach, hieß es, daß nur Lady Harper zu Hause sei. Man führte ihn in ein kleines Damenzimmer, das er ohne sich ankündigen zu lassen betrat. Um die Etikette zu wahren, ließ er die Tür offen stehen, damit die vorbei eilende Dienerschaft als Anstandswächter fungierte. Leonore saß auf einem Fenstersitz, der zum Garten zeigte und las gerade. Das leichte cremefarbene Musselinkleid mit den gestickten Rosenknospen ließ sie sehr jung und verletzlich wirken. Die Sonne warf ein warmes Licht auf sie, so daß sie es aussah, als würde sie ein einer Aura erstrahlen, die ihr wahres Wesen zu verraten schien.
 

"Guten Tag, Lady Harper!", begrüßte er sie mit einer Stimme, die ihm in seinen Ohren ein wenig belegt klang.

Charles ging zu ihr, während er ihr überraschtes Gesicht musterte.
 

"Viscount Stratton! Ich habe nicht mit Besuch gerechnet, meine Tante und Cousine sind zu Besuch bei Freunden.

Charles setzte sich ihr im Fenstersitz gegenüber, so daß Leonore ihre Beine anziehen mußte, damit sein kräftiger Körper überhaupt Platz darin fand.

"Ich bin ja auch zu Ihnen gekommen! Ich habe mir Sorgen gemacht, weil Sie gestern so ruhig und besonnen wirkten! Ich wollte mich vergewissern, daß es Ihnen wirklich gut geht!"
 

Leonore atmete tief durch und sah dann versonnen aus dem Fenster, wobei ihre Gesichtszüge die innere Entspanntheit widerspiegelten, die sie über die letzten Tage errungen hatte. Dank des Viscounts.

"Ich bin es nicht gewohnt, daß man mich so durchschaut! Ich werde den Earl bitten, die Verlobung zu lösen. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich tun soll... Eine Flucht oder Selbstmord kommen nicht in Frage aber genauso wenig eine Heirat mit einem Mann, den ich nicht liebe und der mich nicht liebt sondern sich nach einer anderen Frau sehnt! Ich weiß, daß es töricht ist, bei einer Heirat in unseren Kreisen von Gefühlen zu sprechen, aber für mich sind sie unerläßlich! Eine Heirat mit dem Earl wird mich zugrunde richten, weil ich niemanden habe, der mir dann nahe steht! Ich kann nur hoffen, daß der Earl mich freigibt!"
 

Charles schluckte erst einmal, als er von ihrem Plan erfuhr. An ihrem entschlossenen Ausdruck erkannte er jedoch, daß sie ihre Entscheidung nicht ändern würde.

"Es wird geredet werden, Leonore! Der Ton weiß schon lange, daß Leo und Séraphine eine Affäre haben. Du wirst zum Gespött der Leute werden und vielleicht nie Deinem Stand angemessen heiraten können!", sagte Charles wütend und bemerkte in seiner Aufregung nicht, daß er sie nicht mehr siezte.
 

Leonore blickte in Charles´ graue Augen, die sie wieder besorgt musterten und seufzte dann leise: "Ja, ich weiß! Aber das wird mich nicht berühren, ich werde London verlassen und wieder in mein Häuschen am Meer ziehen, bis der Earl jemand anderen findet. Ich werde zwar allein sein aber nicht einsam oder unglücklich! Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Mylord! Ich war schon immer ein Außenseiter und bin nicht für das Leben in der Gesellschaft gemacht, ich werde es kaum vermissen! Man wird mich sehr schnell vergessen!"

Sie lächelte ein kleines schmerzliches Lächeln und erkannte in seinen Augen, daß er ihr Recht gab. Charles erhob sich und ging ein paar Schritte, weil ihn die grausame Wahrheit plötzlich aufbrachte und er sich machtlos fühlte. Und wütend.
 

"Wie können Sie nur so ruhig hinnehmen, daß man Ihnen so viel Schmerz zufügt?! Sie sollten Leo und mich verachten und beschimpfen! Ich schäme mich unsagbar dafür, daß Sie aus meinem Munde die Wahrheit über die Wette erfahren haben! Ich habe noch nie etwas so bereut wie diese Worte, die Sie mitanhören mußten!"

Er ging vor ihr auf die Knie und nahm ihre Hände, die heute nicht behandschuht waren, um sein Gesicht darin zu verbergen, dessen Wangen sich mit Schamesröte überzogen hatten, wie es ihm noch niemals zuvor passiert war.
 

"Bitte vergeben Sie mir, Leonore!", bat er mit leiser Stimme.

Leonore war vollkommen überrascht von dem heftigen Gefühlsausbruch, sie strich ihm zart über sein ausdruckstarkes Gesicht, das nun gar nicht mehr hochmütig wie sonst wirkte.
 

"Bitte grämen Sie sich nicht, Mylord! Ich war Ihnen niemals böse! Sie kannten mich noch nicht, als die Wette abgeschlossen wurde! Und ich denke nicht, daß Sie noch einmal derart gedankenlos das Schicksal herausfordern werden! Sie werden mir als Freund unvergeßlich bleiben und wenigstens habe ich durch die Wette unsere Bekanntschaft gewonnen! Werden Sie mir antworten, wenn ich Ihnen gelegentlich schreibe?"

Leonore blickte ihn hoffnungsvoll an, sein Gesicht immer noch zwischen ihren Händen.
 

Ihre Frage schien sich wie ein Dolch in sein Innerstes zu bohren, denn es wurde ihm klar, daß er für sie mehr empfand als Freundschaft und ihre Abreise aus der Stadt eine Trennung für immer bedeuten würde. Er nahm ihre Hände und küßte beide Innenflächen in einer Geste der zutiefst empfundenen Reue.

"Sie werden immer auf mich zählen können, egal wie Leonard sich entscheidet!", antwortete Charles mit fester Stimme.

Er erhob sich und verbeugte ich tief vor ihr, dann verließ er das Zimmer fast fluchtartig, weil er seiner Gefühle nicht sicher war und angst hatte, ihr zu nahe zu treten.
 

Leonore sah ihm wehmütig nach, sie hätte nie gedacht, daß hinter der Fassade eines so provozierenden Mannes, ein Herz aus Gold schlug, den Beinamen "Beast" trug er ihrer Meinung nach zu unrecht. Sie fühlte sich in seiner Nähe sicher und geborgen und nicht nervös und ängstlich wie beim Earl, sie mußte ihr Herz ihm gegenüber verschließen, sie dachte schon viel zu oft an den Viscount und ihr Herz flatterte vor Freude, wenn nur sein Name erwähnt wurde. Es hatte sie viel mehr getroffen ihn mit Lady Estelle zu sehen als den Earl mit Lady Séraphine.

Sie mußte den Earl bald um ihre Freiheit bitten, denn sonst verliebte sie sich noch ernsthaft in den Viscount und das konnte sie sich nicht leisten. Ein Mann wie er hochgeboren, weltgewandt und gutaussehend würde sie niemals wieder lieben können, sie wußte nun sehr gut, wo ihr Platz war. Aber sie würde die Erinnerung an den Viscount mit in ihr kleines Haus am Meer nehmen können.
 


 

Fortsetzung folgt...

The Truth about the Boy

~ ~ ~

Es war aber nicht Leonore, die schließlich um die Auflösung der Verlobung bat.

In den frühen Morgenstunden des übernächsten Tages erreichte sie eine Mitteilung der Duchess of Hamilton, die sie dringend um einen Besuch in deren Stadtresidenz ersuchte.

Leonore kam der Bitte der Lady nach, ohne darüber nachzudenken, warum sie dort erwünscht war. Sie machte sich keinerlei Sorgen, daß ihr ein Entschluß durch das Gespräch irgendwie beeinflußt werden würde.

Sie schlich sich in einen langen Kapuzenmantel gehüllt durch den Hintereingang aus dem Haus und verschmolz mit den Bediensteten der Herrschaftshäuser, die um diese frühe Stunde ihre Besorgungen erledigten. Feine Damen begabens sich zu dieser frühen Morgenstunde nicht auf die Straßen.

Leonore war so mit sich selbst beschäftigt, daß sie die Anzeichen eines Trauerhauses erst bemerkte, als sie Lady Séraphine direkt in deren Morgenzimmer gegenüberstand. Die Lady war ganz in schwarz gekleidet und wirkte dadurch zugänglicher und nicht mehr so überirdisch schön. Sie wirkte nun wie eine junge Frau, die in kurzer Zeit durch die emotionale Hölle gegangen war. Leonore mochte sich kaum vorstellen, wie es für sie gewesen sein mußte, mit einem so betagten Herren verheiratet zu sein, selbst wenn man durch die Verbindung hohes gesellschaftliches Ansehen erhielt, war es sicher keine glückliche Ehe gewesen...
 

"Guten Morgen, Lady Harper! Vielen Dank, daß Sie meiner Bitte Folge leisten konnten. Bitte nehmen Sie doch Platz!", sagte Séraphine mit einer Stimme, die nicht so hochmütig wie sonst klang.

Lady Hamilton wies auf einen bequemen Sessel ihr gegenüber. Leonore setzte sich und betrachtete das hübsche Gesicht der Frau fragend.
 

"Mein Mann ist letzte Nacht überraschend gestorben, deshalb hat sich meine Position sehr unerwartet geändert und ich muß Sie dringend um etwas bitten!"

Da die Duchess einen Moment zögerte, sprach Leonore ihr das Beileid aus, bevor sie ihre Manieren vergaß.
 

"Bitte sprechen Sie frei, Mylady!", forderte sie die Frau dann noch auf.

Leonore war auf einmal sehr leicht ums Herz und eine kleine Hoffnung keimte in ihr auf.
 

"Ich weiß, es ist schändlich von mir und Leo würde es von sich aus niemals tun... Ich bitte Sie, die Verlobung zwischen Ihnen und dem Earl of Henley zu lösen!"

Lady Séraphines strahlende Augen richteten sich bittend auf die dunklen Augen von Leonore, die niemals damit gerechnet hatte, ausgerechnet ein solches Gespräch zu führen.
 

"Ich verstehe! Ich werde die Verlobung noch heute lösen, machen Sie sich keine Sorgen! Der Earl wird schon Morgen ein freier Mann sein!"

Leonore erhob sich und maß ihre Rivalin mit einem traurigen Blick. Was würde sie dafür geben mit Lady Séraphines Schönheit, das Herz eines Mannes gewinnen zu können? Nein, so wäre das nicht richtig. Sie wollte um ihrer selbst willen gemocht oder geliebt werden.
 

"Sie sind einfach so damit einverstanden? Sie wollen nicht auf einer Hochzeit bestehen?"

Die Duchess erhob sich ebenfalls und schien über Leonores Reaktion sehr überrascht zu sein.
 

"Ich weiß, daß der Earl Sie liebt! Die Verbindung zwischen uns ist lediglich aus Vernunftgründen heraus entstanden, ich werde nicht darauf bestehen! Ich werde Sie jetzt allein lassen, damit ich alles veranlassen kann! Viel Glück für Ihre Zukunft, Mylady!"

Leonore verließ rasch das Zimmer und hinterließ eine perplexe Lady Hamilton, die mit einem harten Kampf gerechnet hatte. Sie hätte den Earl of Henley nie einfach so ziehen lassen und empfand ob Lady Harpers Großzügigkeit sogar etwas wie Schuldbewußtsein. Aber nicht allzu lange, weil sie eigentlich ein ziemlich selbstbezogener Mensch war...
 

~ ~ ~

Zurück bei ihrer Tante begab sich Leonore sofort auf ihr Zimmer und setzte sich an den kleinen Sekretär, an dem sie immer ihre Post erledigte. Sie griff zu einem Bogen Papier und begann, nach kurzem Überlegen zu schreiben. Sie mußte die Worte abwägen, denn sie wollte vermeiden, daß der Earl of Henley erfuhr, wie sehr sie seine Täuschung getroffen hatte.
 

"Verehrter Lord Morland!

Soeben habe ich erfahren, daß der Duke of Hamilton letzte Nacht unerwarteterweise verstorben ist.

Da ich mir über die Bedeutung dieser traurigen Nachricht bewußt bin, möchte ich hiermit unser Verlöbnis auflösen. Es bedarf keiner weiteren Erklärungen, da ich die Stadt sobald wie möglich verlassen und der Gesellschaft den Rücken kehren werde.

Die Geschmeide ihrer Familie werde ich meiner Tante zur Obhut übergeben, sie wird sie Ihnen jederzeit gerne aushändigen.

Ich danke Ihnen vielmals für das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt haben und verbleibe Ihre ergebene Freundin

Leonore Lillian Harper"
 

Für diesen kurzen Brief benötigte sie mehrere Anläufe, bis sie mit dem Inhalt zufrieden war. Sie veranlaßte einen Lakaien, den Brief zu Lord Morland zu bringen und nicht auf Antwort zu warten. Am liebsten wäre ihr gewesen, sie müßte den Earl nie wieder sehen. Sie saß immer noch bewegungslos an ihrem Platz, als ihre Tante zu ihr ins Zimmer schaute.
 

"Da bist Du ja, Leonore! Wir haben dich beim Frühstück vermißt und dann erfahren, daß Du zu früher Stunde schon außer Haus warst!"

Leonore fuhr aus ihren Gedanken gerissen zusammen und drehte sich zu ihrer Tante um.
 

"Ja, ich habe die Duchess of Hamilton besucht! Ihr Mann ist gestern Nacht gestorben und sie bat mich, die Verlobung mit dem Earl zu lösen!"
 

Ihre Tante starrte sie einen Moment lang sprachlos an und setzte sich kraftlos auf das Setté, das in dem kleinen Vorzimmer stand.

"Leonore! Das ist skandalös, ich hoffe, daß Du ihre Bitte zurückgewiesen hast! Der Earl hat dich kompromittiert, er muß dich heiraten!"
 

Leonore lächelte ihre Tante an, die bis zum Letzten für sie kämpfen würde, und das Wissen darüber war ein kleiner Trost für sie.
 

"Nein, Tante Hermione! Ich wollte die Verlobung schon seit längerem lösen, ich kann den Earl nicht heiraten! Und jetzt noch weniger, da ich weiß, daß er Lady Séraphine zugeneigt ist. Niemand weiß von dem Zwischenfall beim Maskenball und es ist am besten, wenn Du ihn auch vergißt. Außer einigen Küssen ist nichts zwischen uns passiert! Damit ich Alexias Ruf nicht schade, werde ich die Stadt so schnell wie möglich verlassen.", setzte sie hinzu, um die Bedenken ihrer Tante zu zerstreuen.
 

"So einfach kannst Du uns das Gerede nicht ersparen, Kind! Wenn Du jetzt gehst, wird jedes Klatschmaul in London behaupten, daß der Earl dich besessen habe und deinen Ruf in Frage stellen. Das wäre genauso verheerend für Alexias Ruf, da man ihr das gleiche unterstellen würde. Ihr müßt euch in Freundschaft trennen und euch in der Gesellschaft zeigen. Lady Hamilton ist in Trauer und kann nicht vor drei Monaten eine neue Verbindung eingehen, das würde dich und Alexia wieder ins Gerede bringen. Ich bestehe darauf, daß der Earl heute Nachmittag hier erscheint und mit uns zusammen unser weiteres Vorgehen abstimmt!"
 

Leonore seufzte tief und lenkte ein, da sie einsah, daß ihre Tante, die die Gesellschaft und ihre Konventionen besser kannte als sie, Recht hatte. Eine weitere Scharade wartete auf sie, doch diesmal würde ihr Herz unversehrt bleiben, das schwor sie sich.
 

~ ~ ~

Zur selben Zeit in der Residenz des Earl of Henley...
 

"Gut daß Du mir beim Frühstück Gesellschaft leisten wolltest, so kannst Du meine Niederlage hautnah miterleben. Das hier dürfte ganz nach deinem Geschmack sein, Beast."

Leonard überreichte seinem Besuch, Viscount Stratton, die kurze Mitteilung, die er soeben von seiner Verlobten erhalten hatte. Charles nahm den Brief entgegen und las ihn neugierig durch, doch sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an, als er den Absender erkannte.
 

"Leonore Lillian Harper, Lillian. Lilly! Das wäre ein viel passenderer Name für sie...", Charles hatte nicht gemerkt, daß er diese Worte leise vor sich hin murmelte.

Leonard waren sie aber nicht entgangen und auch nicht der betroffene Gesichtsausdruck, der sich flüchtig auf seinen Zügen gezeigt hatte, bevor sich sein Freund wieder unter Kontrolle hatte.
 

"Sie darf unter keinen Umständen die Stadt verlassen, Leo! Das würde euch alle in den Mittelpunkt des Geredes stellen. Jeder weiß, daß zwischen dir und Lady Séraphine eine besondere Beziehung besteht. Du mußt Lady Harper überreden in der Stadt zu bleiben, damit wir alle euren Ruf schützen können."

Charles war selbst von der Heftigkeit überrascht, mit der er gesprochen hatte.
 

"Wer sagt, daß man ihren Ruf schützen muß? Ich könnte auch auf der Verlobung bestehen, dann gäbe es keine Probleme."

Leo wollte mit diesen Worten nur Charles Reaktion testen und war zufrieden, als dieser fast aufsprang und dern Brief in seinen Händen zusammenknüllte, als er versuchte, die Beherrschung zu bewahren.
 

"Keine Sorge, das war nur ein Scherz! Ich bin froh, daß Lady Harper mir zuvorgekommen ist. Ich wäre wahrlich in einer Zwickmühle, wenn der Duke of Hamilton nur zwei Wochen später verstorben wäre. Ich werde Lady Harper noch heute aufsuchen und mit ihr besprechen, wie wir am besten vorgehen. Ich bitte dich, Joker und Paris zum Diner heute Abend bei mir, damit wir einen Plan austüfteln können, der alle Beteiligten schützt. Einverstanden?"
 

Charles atmete tief durch, um sich zu beruhigen, bevor er antwortete: "Natürlich! Du hast recht, wir müssen uns alle absprechen. Wie immer siehst Du einen Ausweg aus dem Dilemma."
 

. . .

Während des exquisiten Abendessens sprachen die vier Gentlemen nicht über ihr Problem, sie verschoben das ganze bis zum Servieren des erlesenen Portweins aus dem gut bestückten Weinkeller des Earls. Sie saßen alle entspannt im Herrenzimmer in bequemen Ledersesseln und warteten darauf, daß Lion das Stichwort gab.
 

"Ihr wißt sicher alle, warum wir hier sind. Ich habe heute Nachmittag ausführlich mit der Countess of Burnham und Lady Harper gesprochen und es steht fest, daß meine Verlobung mit ihr aufgelöst ist. Die offizielle Bekanntmachung erfolgt nächste Woche, damit das ganze nicht zu sehr mit dem Ableben des Duke of Hamilton in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus wird eine Ankündigung unseres Freundes Paris für etwas Ablenkung der Klatschmäuler sorgen, oder irre ich mich?"
 

Lion sah Lord Allenby auffordernd an, der daraufhin das Wort ergriff: "Du hast recht, Lady Alexia hat vorgestern eingewilligt, meine Frau zu werden und die Verlobungsanzeige wird Ende der Woche erscheinen. Wir werden auch in großem Stil heiraten, damit der Ton etwas zu reden hat, obwohl wir es eigentlich nur im Kreis der Familie tun wollten. Lion wird der Trauzeuge sein, Lady Harper Alexias Brautjungfer, so können wir allen Mitgliedern des Ton beweisen, daß eure Trennung einvernehmlich war."
 

Die Besprechung wurde nun von den aufrichtigen Glückwunschbekundungen unterbrochen, bis Lord Lawrence sich zu Wort meldete: "Und um noch mehr Ablenkung zu schaffen, werde ich dem Vorbild unseres Paris folgen und ebenfalls in großem Stil heiraten!"

Richard weidete sich amüsiert an den erstaunten Blicken seiner Freunde, die ihn natürlich mit Fragen nach der zukünftigen Braut bedrängten und ihn davor warnten, bei diesem Thema wieder einen seiner berühmten Scherze zu treiben.
 

"Gemach, liebe Freunde! Ich verrate es ja schon, Lady Brittany Moreley hat meinen Antrag hat vor ein paar Tagen akzeptiert und ihr Vater gab uns heute seinen Segen, wenn auch etwas zögerlich ob meines lädierten Rufes. Also sind zwei der Kleeblätter gefallen und ich nehme an Lion wird mir folgen, oder?", sagte Richard und grinste Leo dabei schief an.
 

"Vor mir muß noch Beast unter die Haube gebracht werden, ich kann nicht vor ihm heiraten, denn er würde mich von allen Problemen erlösen, die einer Verbindung mit Séraphine im Wege stehen."
 

Alle Augen waren plötzlich auf Charles gerichtet, der tatsächlich spürte, wie eine feine Röte seine Wangen überzog.

"Was meinst Du damit, Lion?! Ich werde sicher nicht heiraten, nur um eine Ablenkung für den Ton zu schaffen. Ich dachte Scherze wären Jokers Spezialität!"
 

Lion grinste breit: "Würdest Du nicht heiraten wollen, wenn Lilly die Braut wäre?"

Leonard benutzte absichtlich den Namen, den Charles am Morgen geflüstert hatte, um ihn aus der Reserve zu locken. Diesmal sprang Charles aus seinem Sessel auf und überlegte, sich auf seinen Freund zu stürzen, weil er die Wahrheit ausgesprochen hatte und er es zum ersten Mal realisierte, daß dies tatsächlich sein sehnlichster Wunsch war. Er beherrschte ich jedoch mit Mühe und beließ es dabei, Leonard feindselig anzublitzen.
 

"Ich weiß nicht, woher Du das weißt, Leo. Aber es ist unmöglich, auch wenn ich es wollte! Für sie bin ich ein Taugenichts, der ihr nur Kummer bereitet hat, indem er seinen besten Freund zu einer Wette überredet hat, nur um ihm eins auszuwischen. Sie weiß von der Wette, aber statt mich mit Verachtung zu strafen, hat sie mir das Geld gegeben und mir verziehen. Sie ist der großherzigsten Mensch, den ich kenne und ich verdiene sie nicht!"

Charles ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und starrte entmutigt in das leere Glas, das er in der Hand hielt, um den ungläubigen Blicken seiner Freunde auszuweichen.
 

"Wer ist diese Lilly?", wollte Richard verdutzt wissen.
 

"Lady Harpers zweiter Vorname lautet Lillian, Charles nennt sie insgeheim Lilly, seitdem er das weiß. Wie lange wußte sie von der Wette? Moment, das muß beim Verlobungsball gewesen sein, da wirkte sie sehr verstört, habe ich recht, Charles?"
 

"Ja, ich Idiot habe mich mit Lady Estelle darüber in einem abgelegenen Zimmer unterhalten. Ich war so über den Verlust des Geldes verärgert, habe einige unbedachte Sätze fallen lassen und Lady Harper war Zeugin. Sie kam am nächsten Tag zu mir und gab mir das Geld, damit ich dich damit bezahle. Ich war noch nie in meinem Leben so beschämt und noch nie hat ein Mensch mich so beeindruckt wie sie, als sie mir dafür dankte, daß ich ihr die Augen geöffnet hätte. Ihr müßt wissen, daß sie von einem tyrannischen alten Onkel großgezogen worden ist, der sie körperlich mißhandelt hat. Ich habe die Narben auf ihren Handflächen gesehen, die seine Stockhiebe hinterlassen haben. Das ist dir entgangen, nicht wahr Leo? Sie trägt immer Handschuhe, um sie zu verbergen."

Charles mußte tief durchatmen, um die tobenden Gefühle zu kontrollieren, die seine Brust zu sprengen drohten.
 

"Charles, Du beschämst mich. Ich habe das nicht gewußt, weil ich mich nicht wirklich für sie als Mensch interessiert habe. Ich entnehme deinen Worten jedoch, daß Du ihr sehr zugetan bist. Nimm meinen Rat an und mache ihr den Hof, sie sollte selbst entscheiden, ob Du sie verdienst. Versuchen mußt Du es, sonst wirst Du nie wissen, ob sie dir nicht doch zugeneigt ist", riet Leonard seinem Freund und meinte seine bedauernden Worte ehrlich.
 

"Leo hat Recht, Richard. Du mußt es versuchen und wir werden dir beistehen. Wir sind das Kleebaltt und ich will verdammt sein, wenn wir es nicht schaffen, dich so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen!"

Robert hob sein Glas wie auch Leo und Richard und prostete dem unglücklich Verliebten zu.
 

~ ~ ~

Vor lauter Freude über die glückliche Verbindung ihrer Tochter zu Lord Allenby, einem zukünftigen Earl, gab die Countess of Burnham ein rauschendes Fest in Burnhouse, zu dem natürlich das "Kleeblatt" und alle wichtigen Mitglieder der Gesellschaft geladen waren.

Die gemeinsame Strategie zur Ablenkung von der Auflösung der Verlobung hatte gewirkt, da Lady Hamilton an keinem der offiziellen Feste teilnahm und in aller Stille auf dem Landsitz ihres Gatten trauerte. Das konnte man Ironie des Schicksals nennen, denn unteren anderen Umständen wäre Leonore in ihrer Lage gewesen und hätte sich aufs Land zurückziehen müssen, jedoch ohne die glänzenden Perspektiven der hochmütigen Lady.

Sobald die Verlobungsanzeigen erschienen waren, wurden die geplanten Hochzeiten zum zentralen Gesprächsthema des Tons, da zwei unerfahrene Debütantinnen zwei der meist begehrtesten Lebemänner Londons in den Ehehafen gelockt hatten.

Leonore mußte natürlich an der Seite ihrer Tante und dem glücklichen Paar die Honneurs machen und kümmerte sich anschließend um die älteren Gäste, die nicht tanzten und versorgte sie mit Getränken oder einem Gespräch.

Sie war ganz froh, nicht tanzen zu müssen, da sie nur Beachtung von Lord Allenbys Freunden fand, die ihm einen Gefallen tun wollten. Die feine Gesellschaft mußte schließlich davon überzeugt werden, daß Leonore und das Kleeblatt auf gutem Fuß standen.

Leonore setzte sich einen Moment auf eine schmale Couch und sah dem munteren Treiben auf der Tanzfläche zu, als sich eine ältere Dame neben sie setzte.
 

"Sie sollten auch tanzen, mein Kind! Sie sind viel zu jung, um neben uns Matronen zu sitzen!", sagte eine kühle Stimme zu ihr.
 

Leonore blickte in ein Paar schwarzer Augen, die sie herrisch anblitzten. Die Frau mußte weit über siebzig sein, denn ihr Haar war schneeweiß und ihre Haut faltig, doch ihre Haltung war aufrecht und der Blick wach.
 

"Ich habe meiner Tante versprochen, mich um die Gäste zu kümmern, heute ist Alexias Tag, sie sollte ihn ungestört genießen! Kann ich Ihnen etwas bringen? Ich bin übrigens Lady Leonore Harper, die Cousine von Lady Alexia."

Leonore lächelte die alte Dame aufrichtig an, der strenge Ton der Dame konnte nicht über das Lächeln in ihren Augen hinweg täuschen, so daß Leonore ihr die Worte nicht übel nehmen konnte. Die Dame war es wahrscheinlich gewohnt, über ihre Familienmitglieder mit eiserner Hand zu bestimmen, wirkte dabei jedoch nicht anmaßend oder kaltherzig.
 

"Leonore Harper? Ich kannte ihre Eltern, sehr nette Leute, auch wenn sie etwas wirklichkeitsfremd waren. Sie müssen die kleine Lilly sein, ich war bei Ihrer Taufe anwesend und bei der Beerdigung ihrer Eltern. Ich bin die Großtante ihrer Mutter, Sie dürfen mich also Tante Lydia nennen", gewährte die Dame gnädig.
 

Leonore starrte die Lady einen Moment sprachlos an, da ihr wieder eingefallen war, daß ihre Eltern sie immer bei ihrem zweiten Vornamen genannt hatten.

"Sie haben mir ein großes Geschenk gemacht, Tante Lydia! Ich hatte vergessen, daß ich Lilly gerufen wurde, ich mochte den Namen Leonore nie besonders und wußte nicht warum. Vielen Dank, daß Sie mich daran erinnert haben."
 

Die Dowager Viscountess Lydia Stratton tätschelte dem Mädchen die Hand, sie war als Drachen in der Gesellschaft verschrieen und mochte Menschen, die sich nicht von ihrer schroffen Art abschrecken ließen. In der Ferne sah sie ihren Enkel, der gerade mit ihr Augenkontakt aufnahm, deshalb winkte sie ihn gebieterisch heran. Er kam auch sofort, als er Leonore neben ihr entdeckte.
 

"Großmutter, was kann ich für dich tun? Lady Harper!"

Charles verneigte sich vor den Damen und küßte seine herrische Großmutter, der er aber zutiefst zugeneigt war, auf die faltige Wange und lächelte Lady Harper an.
 

"Ich habe gerade eine entfernte Verwandte entdeckt, das hier ist Leonore Harper, die Tochter meiner Großnichte, ich möchte, daß Du sie zum Tanz führst, mein Lieber!"

Lady Deverell bemerkte natürlich die errötenden Wangen des Mädchens und den erfreuten Blick ihres Enkels.
 

"Wie Du wünscht Großmutter, für dich tu ich alles. Darf ich bitten, Lady Harper?"

Charles reichte ihr seinen Arm und führte sie auf die Tanzfläche, wo ein Walzer angestimmt wurde.
 

Ehe Leonore wußte wie ihr geschah, wurde sie von Viscount Stratton eng umschlungen und sie drehten sich schwungvoll mit den anderen Tänzern. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen und sie konnte ihren Blick nicht von seinen unergründlichen grauen Augen wenden. Sie hatte geglaubt, der Tanz mit Lord Morland sei eine Offenbarung gewesen, sie wußte nun, daß sie sich getäuscht hatte. Es gab keine Worte, das Gefühl zu beschreiben, in Viscount Strattons Armen zu liegen. Sie wünschte sich, er würde sie noch enger umarmen und sie könnte ihr Gesicht an seine Schulter schmiegen. Sie mußte sich zwingen, den Blick von seinem Gesicht zu wenden und auf seine Krawattennadel zu starren, denn sie hatte Angst, ihre Gefühle wären zu offensichtlich und sie wollte ihn nicht damit belästigen.
 

" Bitte lächeln Sie, Lady Harper, sonst denkt meine Großmutter, daß ich Ihnen auf die Füße trete!"

Damit hatte er ihren Blick wieder auf sich gerichtet, doch er sah nur besorgt aus.
 

"Verzeihen Sie! Ich hatte keine Ahnung, daß die Dame ihre Großmutter ist, ich wußte nicht, daß sie Sie bitten würde, mit mir zu tanzen. Ich bin leider nicht sehr geübt darin!"

Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern und er konnte Tränen in ihren Augen glitzern sehen, bevor sie ihren Blick wieder senkte.
 

"Sie ist manchmal ein wahrer Tyrann! Aber ich tanze wirklich sehr gerne mit Ihnen und hätte Sie auch bald dazu aufgefordert, ich wollte Sie nur nicht von Ihren Aufgaben abhalten."
 

Leonore schenkte ihm ein kleines Lächeln, weil er versuchte, nett zu ihr zu sein. Es war nicht seine Schuld, daß ihr dummes Herz sich nach ihm sehnte, er hatte nichts getan, um es zu ermuntern. Viscount Stratton war nur ein guter Freund ihres ehemaligen Verlobten und half, die Wogen der Gesellschaft zu glätten. Nach dem Tanz brachte er sie wieder zu seiner Großmutter und wurde von ihr mit dem kurzen Heben ihrer beringten Hand entlassen.
 

"Sehen Sie, jetzt haben Sie endlich etwas Farbe auf den Wangen! Es gibt nichts Besseres für die Durchblutung, als einen Walzer mit einem Tunichtgut wie Charles zu tanzen!"

Lady Deverell lächelte Lady Harper gutgelaunt an.
 

"Er ist wirklich ein ausgezeichneter Tänzer, My... Tante Lydia."

Leonore schaute auf ihre behandschuhten Hände und wurde noch röter. Lady Stratton bohrte nicht weiter nach, denn die kleine Lilly hatte sich schon in den Armen ihres Enkels verraten. Sie war sehr zufrieden mit seiner Wahl, denn sie wußte, daß Charles nie mit einer verwöhnten Schönheit glücklich werden würde, nicht bei seiner Vergangenheit.
 

~ ~ ~

Am Tag als die Auflösung ihrer Verlobung bekannt gemacht wurde, nahm der Earl of Henley Leonore in seinem prächtigen offenen Zweisitzer auf eine Spazierfahrt durch den Hyde Park mit. Es galt allen Mitgliedern des Ton zu beweisen, daß die beiden sich im besten Einvernehmen getrennt hatten.
 

"Wir sind die Sensation des heutigen Nachmittags. Ihre Haltung ist wirklich bemerkenswert, Lady Harper, ich stehe tief in Ihrer Schuld. Ich muß Ihnen gestehen, daß Charles mir erzählt hat, daß Sie über die Wette Bescheid wußten. Können Sie mir und den anderen verzeihen? Ich war hochmütig und egoistisch in meinen Motiven und empfinde tiefes Bedauern."
 

Leonore schaute unter der Krempe ihres schicken Hutes hervor und musterte das aristokratische Profil des Earls.

"Ich habe Ihnen verziehen, nachdem mir klar wurde, warum Sie so handelten. Hätte es eine andere Dame getroffen, wäre sie womöglich der Verbindung frohen Herzens eingegangen. Sie konnten ja nicht ahnen, daß ich kein Interesse an einer passenden Verbindung hege. Bitte vergessen wir diese Sache und beginnen von vorn. Sie sind einfach der beste Freund des Mannes, den meine Cousine bald heiraten wird. Sobald Alexia und Brittany geheiratet haben, kann ich mich zurück in mein Haus am Meer begeben und werde nicht mehr zur Saison in die Stadt kommen. Ich bin nur noch hier, damit Niemandes Ruf Schaden nimmt, wenn es nur um mich ginge, wäre mir das Gerede egal. Aber ich muß an Alexia und Tante Hermione denken."
 

Leonore lächelte zwei Damen in einer vorbeifahrenden Kutsche an und winkte dann einigen flüchtigen Bekannten zu, sie mußten den Eindruck erwecken, als wären sie auf einer gewöhnlichen Spazierfahrt, auf die man sich begab, um andere Mitglieder der Gesellschaft zu treffen.

Leonard widersprach ihr nicht, auch wenn ihm auf der Zunge lag, daß Charles sie nicht einfach in die Verbannung ziehen lassen würde. Ihm wurde jetzt erst die Schwere seines Vergehens klar, denn nichts anderes hatte er mit seiner zukünftigen Frau vorgehabt...
 

. . .

Am Abend führte sie der Earl an seinem Arm in den Ballsaal der Moreleys, die eine zwanglose Abendgesellschaft gaben, zu der nur gute Freunde und Bekannte geladen waren. Jeder konnte sehen, daß die beiden freundschaftlich miteinander umgingen und daß Lady Harper von den Mitgliedern des Kleeblattes hofiert wurde.

Nach den obligatorischen Tänzen mit dem Earl, Lord Lawrence und Lord Allenby zog sich Leonore von dem Treiben zurück und ging zu dem kleinen Musikzimmer im hinteren Teil des Hauses, wo niemand sich hinverlaufen würde. Hier wollte sie in aller Ruhe abwarten, bis es Zeit war nach Hause zu gehen.

Gerne hätte sie sich an das Klavier gesetzt und etwas gespielt, doch ihr Onkel hatte ihr keinen Musikunterricht geben wollen. Sie setzte sich stattdessen auf eine Fensterbank, und sah hinaus auf den Garten, der von einem fast vollen Mond beschienen wurde.
 

"Lady Harper, hier sind Sie! Ich habe schon gedacht, daß es Ihnen nicht gut geht!"

Viscount Stratton war unbemerkt neben sie getreten und schreckte sie aus ihrer Versunkenheit auf.
 

"Mir geht es gut, ich wollte nur etwas für mich sein! Es ist anstrengend die ganze Zeit angestarrt zu werden, ich komme bald zurück!"

Leonore behielt den Blick nach draußen gerichtet und versuchte ihr klopfendes Herz zu beruhigen, zu sehr erinnerte sie die jetzige Situation an den Nachmittag, als Lord Stratton vor ihr auf die Knie gegangen war, um sie um Verzeihung zu bitten. Charles setzte sich jedoch zu ihr und nahm ihre Hand in seine.
 

"Ich wünschte, ich könnte die Klatschmäuler für Sie zum Schweigen bringen! Ich möchte nicht, daß Sie Ihnen wehtun. Ich will, daß Sie glücklich und unbeschwert sind!"
 

Leonore nahm einen zittrigen Atemzug und sah dem Viscount dann in die Augen.

"Nach dieser Erfahrung werde ich mich nie wieder darüber beschweren, ein Mauerblümchen zu sein!"

Sie sagte das leichthin, um den Eindruck zu erwecken, daß sie es nicht berührte. Charles Miene verdüsterte sich jedoch.
 

"Sprechen Sie bitte nicht so über sich! Sie lassen Ihren schrecklichen Onkel auch im Tod noch über Sie triumphieren! Es ist nicht wahr, was er Ihnen gesagt hat! Sie sind nicht weniger Wert als ein anderer Mensch, lassen Sie sich nicht klein machen von einem Toten!"

Seine Hände umfaßten ihre Schultern und sein Gesicht kam dem ihren so nahe, daß sie kleine goldene Lichter in seinen Augen tanzen sehen konnte.
 

Leonore schluckte die Tränen herunter, die ihr in die Kehle stiegen und flüsterte mit belegter Stimme: "Das ist leichter gesagt als getan. Ich brauche all meine Kraft für diese Sache hier, es bleibt nichts mehr übrig, um zu kämpfen. Ich will nur noch an einen stillen Ort, wo niemand mir mehr wehtun kann. Das können Sie nicht verstehen, Mylord."
 

Charles ließ Leonore los und sah sie einen Moment lang nachdenklich an, bevor er sich erhob.

"Ich verstehe Sie besser, als Sie sich vorstellen können. Eigentlich wollte ich es Ihnen nur erzählen, aber ich denke, daß Sie den Tatsachen ins Auge blicken sollten."
 

Er ging zur Tür und stellte einen Stuhl so unter die Klinke, daß man sie nicht mehr von außen öffnen konnte. Danach kam er wieder zurück und streifte sein Abendjackett dann seine Weste ab. Leonore sah perplex dabei zu, wie er sein Krawattentuch vom Hals riß und anschließend sein Hemd aus der Hose zog, um es sich abzustreifen.

Er sah ihr mit entschlossenem Blick in die Augen und drehte ihr dann mit ausgebreiteten Armen seinen breiten Rücken zu. Leonore stockte der Atem, als sie auf seinem muskulösen Rücken die Striemen erkannte, die nur von Stockhieben herrühren konnten. Leonore lief es immer wieder kalt den Rücken herunter, während er ihr seine Geschichte erzählte.
 

"Diese Narben stammen von der Zuwendung meines Vaters, wenn man es so ausdrücken möchte. Er meinte, ich sei ein schwächliches Kind, das zu körperlicher Ertüchtigung ermuntert werden müsse. Wenn ich Zeichen von Angst zeigte, wurde ich durch seinen Stock überredet, riesengroße Pferde zu reiten oder auf der Jagd auf Tiere zu schießen, wohlgemerkt war ich erst fünf oder sechs. Er war erst zufrieden, als ich mich aus schierer Notwehr heraus dermaßen wild aufführte, daß meine Lehrer mir den Spitznamen "Beast" gaben. Damals wünschte ich mir auch diesen stillen Ort herbei, wo niemand mir mehr wehtun konnte", schloß er mit leiser, vor unterdrückten Gefühlen bebender Stimme.
 

Charles ließ die Arme sinken und wartete auf ihre Reaktion. Er spürte sie zuerst, denn sie war hinter ihn getreten und legte eine ihrer warmen Hände vorsichtig auf seinen Rücken. Dann spürte er ihre feuchte Wange auf seiner Haut.

"Es tut mir leid, es tut mir so leid... Ich komme mir so dumm vor, Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Bitte verzeihen Sie mir," bat sie mit bebender Stimme, die sein Herz heftig schlagen ließ so wie ihre zarten Berührungen es taten.

Die Narben hatten schon sehr viele Frauen gesehen, allerdings hatte nie eine Mitgefühl oder Verständnis gezeigt. Sie hielten ihn einfach für stark, die Zeichnung seines Rückens betonte einfach, daß er ein so wilder und mutiger Mann war... Er hatte bis heute nie mit jemandem darüber gesprochen.
 

Charles drehte sich zu ihr um und nahm sie in die Arme, um sie an seiner breiten Brust zu wiegen. Es schien das Natürlichste von der Welt zu sein, hier mit ihr in seinen Armen zu stehen und sie an seiner nackten Haut zu spüren. Trotz ihrer Zerbrechlichkeit und Unerfahrenheit schreckte sie nicht vor der Intimität zurück, was ihn mit Unglauben und Freude erfüllte. Konnte es sein, durfte er hoffen...?

"Bitte weine nicht, Lilly. Ich kann es nicht ertragen, dich weinen zu sehen. Den kleinen Jungen gibt es nicht mehr und mein Vater ist auch schon lange tot. Ich wollte dir nur zeigen, daß ich dich sehr gut verstehen kann."
 

Er strich die Tränen vorsichtig von den Wangen und küßte dann sanft ihre salzigen Lippen. Leonore riß die Augen auf, als sie ihren Spitznamen aus seinem Mund vernahm.

"Woher weißt Du, daß man mich früher Lilly genannt hat?"

Sie war von seiner Nähe berauscht und durch seinen Kuß verwirrt, so daß sie ihn unwillkürlich auf alle Formalitäten verzichtete.
 

"Leo zeigte mir die Mitteilung, die Du ihm zur Auflösung der Verlobung geschickt hast. Du hast mit Leonore Lillian Harper unterschrieben und ich fand gleich, daß Lilly in viel passenderer Name für dich wäre. Anbetungswürdige Lilly.", setzte er zärtlich hinzu und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und drückte ihr wieder einen Kuß auf die Lippen, nur dieses Mal gab er sie nicht sofort frei.
 

Sein warmer Mund blieb auf ihren zitternden Lippen, bis sie ihm mit einem leisen Seufzen nachgab und er den Kuß vertiefen konnte. Leonore empfand ein nie gekanntes Glücksgefühl in Charles Armen, das sofort alle Erinnerungen an ihre Erfahrungen mit Lord Morland verblassen ließ.

Ihr Herz klopfte wie verrückt und das Blut rauschte durch ihre Venen und doch verspürte sie keine Angst oder Unsicherheit sondern verlangte nur nach mehr. Mit diesem zärtlichen Kuß flog ihr Herz ihm endgültig und unwiderruflich zu. Richard selbst war von ihrer rückhaltlosen Hingabe überrascht, ihre Zärtlichkeit erfüllte ihn mit Wärme und dem Wunsch, sie nie mehr gehen zu lassen.

Wenn er sonst Frauen küßte, führte das unweigerlich zu körperlichen Avancen und einer schnellen Vereinigung. Er hatte bisher nie das Herz einer Frau begehrt und nicht gewußt, daß dieses Verlangen weit verzehrender war als die simple körperliche Begierde.
 

"Liebste Lilly. Ich muß dir gestehen, daß ich dabei bin, mich in dich zu verlieben. Wirst Du mir erlauben, dir den Hof zu machen und dich besser kennen zu lernen?", fragte er eindringlich.
 

Charles hielt ihr Gesicht immer noch umfaßt und strich ihr mit den Daumen sanft über ihre geröteten Wangen. Leonore erschrak über seine Worte, sie konnte nicht glauben, daß dieser schöne, starke Mann sie wirklich lieb gewonnen haben könnte.
 

"Bitte, sagen Sie so etwas nicht, Mylord! Ich kann mir selbst nicht trauen. Vergessen Sie nicht, daß Ihr Freund Lord Morland, mir etwas vorgemacht hat, und ich nur zu bereit war, es zu glauben. Ich verstehe meine Gefühle für Sie nicht, wir kennen uns kaum und doch empfinde ich die Situation nicht als unschicklich oder beängstigend. Und ich kann einfach nicht aufhören, an Sie zu denken."

Leonore sprach schnell, ohne groß nachzudenken, weil sie so durcheinander war. Sie stand hier während eines Balles in einem abgeschlossenen Raum und küßte einen halbnackten Mann und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn wieder zu küssen.
 

"Ich möchte dich nicht erschrecken und verspreche dir, mich zurückzuhalten, auch wenn es mir sehr schwer fallen sollte. Aber bitte zweifle nicht an dir oder an meiner Aufrichtigkeit, ich bin immer ehrlich zu dir gewesen und werde das nicht ändern."

Charles gab sie frei und bückte sich nach dem Hemd, das er vorhin achtlos auf den Boden hatte fallen lassen. Leonore sah ihm gebannt dabei zu, wie er sich wieder herrichtete. Sie war jedoch zu schüchtern, um ihm zu sagen, daß sie ihn beeindruckend fand. In ihrem Magen tanzte ein Schwarm Schmetterlinge, wie immer wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt.
 

"Gehst Du bitte in den Ballsaal vor, Lilly? Wenn wir zusammen ankommen, könnte das zu Spekulationen führen und ich will nicht, daß die Leute über uns reden, nicht bevor es nicht wahr ist."

Er nahm ihre Hand und küßte ihre Handfläche und geleitete sie dann zur Tür.

"Und vergiß nicht, mir einen Walzer zu reservieren", erinnerte er sie mit einem Lächeln, das ihre Knie weich werden ließ.
 

Er schob sie sanft durch die Tür und lehnte sich dann gegen sie, um sie ins Schloß zu drücken. Jetzt war er es, der sich an einen stillen Ort wünschte, wo sein Verlangen nach der Frau, die er aus tiefsten Herzen liebte, nicht so überwältigend wäre, daß er kaum atmen konnte.

Das Problem mit seinem Vorleben war, daß er bisher immer nur Möglichkeiten gesucht hatte, der Ehefalle zu entkommen.

Nun wußte er nicht, wie er eine Antwort auf diese wichtige Frage bekommen sollte: Wie gewann man eine ehrbare Dame zur Frau?
 


 

Fortsetzung folgt...

A Chest full of Memories

BEDFORD, KENT, DEZEMBER 1817

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Lilly schritt gedankenverloren die herrschaftliche Treppe von Bedford Falls hinab. Das war der Landsitz von Lord Robert Allenby, wo er und Alexia zum ersten Mal die Weihnachtsfeierlichkeiten als frisch gebackenes Ehepaar zusammen mit all ihren Freunden begehen würden.

Sie war erst am Nachmittag angereist, weil die schlechten Straßenverhältnisse - es hatte tagelang pünktlich zum Weihnachtsfest geschneit - die Reise aus Littlehampton ziemlich verzögert hatten. Sie hatte fast schon befürchtet, es nicht mehr pünktlich zu schaffen...

Zu Ehren des bevorstehenden Weihnachtsfestes trug sie eine dunkelrote Abendrobe aus schwerem Taft, die ihre Figur umschmeichelte und ihren cremigen Teint vorteilhaft unterstrich. Auf ihrem Dekolleté ruhte an einer geflochtenen, goldenen Kette ein Anhänger, ein filigranes Gebilde aus Gold und Smaragden, das ein Kleeblatt mit vier Blättern darstellte.
 

In Gedanken dankte sie ihren Freundinnen Alexia und Brittany, die sie überredet hatten, ihre Garderobe vollkommen zu erneuern, und dies bei der erfahrensten Modistin der Stadt zu tun, wenn auch andere im Augenblick etwas mehr en vogue waren.

Lilly begab sich gerne in die Hände von Madame Verné, die Kleider nicht nur nach der Mode sondern auch nach dem Typ ihrer Kundinnen schneiderte. Sie entwarf Kleidung immer mit Blick auf die Persönlichkeit und den spezifischen Merkmalen der Dame, um ihre Vorzüge hervorzuheben.

Lady Harper war in ihren Augen eine Ausnahmeerscheinung, denn sie war weder groß gewachsen noch blond, wie es dem gängigen Schönheitsideal entsprach, aber ihre Figur war perfekt in den Proportionen und sie besaß natürliche Anmut, die immer hervorblitzte, wenn sie sich unbeobachtet wähnte.

Ihre Haut war hell und besaß doch einen goldenen Schimmer, der nicht durch die Pastelltöne hervorgehoben werden konnte, die viele Damen derzeit vorzogen.

Für Lady Harper entwarf sie eine Garderobe, die in warmen und satten Tönen wie dunkelrot, moosgrün oder goldbraun gehalten war. Die Ballkleider waren allesamt einfach im Schnitt und betonten die perfekten Schultern der Dame. Madame Verné empfahl auch den Besuch eines von ihr empfohlenen Coiffeurs, der Lady Harpers dunkle Haare so geschickt schnitt, daß die natürlichen Locken, die es hatte, jetzt ihr fein geschnittenes Gesicht umschmeichelten und ihre großen Augen betonten.

Mit dem neuen Äußeren war sie immer noch keine gängige Schönheit, doch jeder konnte bei ihrem Anblick erkennen, daß sie einen Liebreiz ausstrahlte, der manch kalte Schönheit mühelos überstrahlen konnte.
 

~ ~ ~

Nach ihrer Aussprache in dem einsamen Musikzimmer war Viscount Stratton nun jeden Tag zu Gast in Burn House. Und wenn Allenby Zeit mit seiner Verlobten verbrachte, waren er und Lilly die Anstandswächter. Bei jeder Abendgesellschaft tanzte er so viele Tänze mit ihr, wie es die Etikette erlaubte und immer den Tanz vor dem Souper.

Das Kleeblatt wurde nur noch zu siebt gesichtet und man begann zu akzeptieren, daß die Trennung zwischen dem Earl und Lady Harper tatsächlich einvernehmlich war und keine pikante Geschichte dahinter steckte.

Nachdem Leonore das Kleeblatt und Brittany besser kennen gelernt hatte, schlug der wenig auf Konventionen bedachte Charles vor, daß sie alle sich beim Vornamen nennen sollten, da sie doch bald so etwas wie eine Familie werden würden.

So kam es daß aus Leonore Lilly wurde und sie tatsächlich ihren traurigen Wesenszug mit dem alten Namen abzulegen schien. Hervor kam eine strahlende Persönlichkeit, die gerne lachte und sich spritzige Wortduelle mit Joker lieferte. Sie gewann durch die neuen freundschaftlichen Bande ermutigt auch mehr Selbstsicherheit im Umgang mit Fremden und hatte weniger Angst, sich mit ihnen zu unterhalten.
 

~ ~ ~

Die Saison dieses Jahres endete mit zwei berauschenden Hochzeiten. Lord Robert Allenby und Lord Richard Lawrence waren unter den Augen der gesamten feinen Gesellschaft unter die Haube gebracht worden und man sprach noch monatelang von den ausgelassenen Feierlichkeiten und dem sagenhaften Aussehen der wunderhübschen Bräute, die an ihrem Freudentag wahrlich gestrahlt hatten.

Die Freude den hervorstechendsten Junggesellen des Kleeblattes fallen zu sehen, wurde dem Ton jedoch genommen, da Lion die Geduld verlor und seine Angebetete Séraphine in aller Stille nach Gretna Green in Schottland entführte, wo sie in einer Schnelltrauung Mann und Frau wurden und danach gleich in die Flitterwochen nach Paris aufbrachen, um der ersten Welle des Geredes zu entgehen, das ihre Handlung unweigerlich herauf beschworen hatte.

Mit einem Mal befanden sich Lilly und Charles in einer exponierten Stellung, denn man wartete direkt darauf, daß Viscount Deverell bald um die scheue Lady anhalten würde, die inzwischen ein geschätztes Mitglied der Gesellschaft geworden war.

Lilly schüttelte über sich selbst den Kopf, als sie daran dachte, wie sie am Ende einer für sie sehr stürmischen Saison in aller Heimlichkeit ihre Koffer gepackt hatte und zurück nach Littlehampton gefahren war.

Sie hatte ihre Tante, ihren Freunden und natürlich Charles in Briefen zu erklären versucht, warum sie sich zu diesem Schritt gedrängt fühlte.

Sie liebte Charles von ganzem Herzen, doch sie konnte nicht mit der Vorstellung leben, daß er sich womöglich wegen des gesellschaftlichen Druckes zu einem Heiratsantrag gezwungen fühlte. Sie mochte eine neue Selbstsicherheit gefunden haben, doch ein kleiner Teil von ihr glaubte immer noch an die kalten Worte des verstorbenen Onkels.
 

"... Ich bin nur in die Stadt gekommen, um eine kleine Truhe angefüllt mit kleinen Schätzen und schönen Erinnerungen mit nach Hause zurückzunehmen.

Ich hatte nie erwartet, so viel zu bekommen, ich habe eine fürsorgliche Tante, eine liebreizende Cousine, neue Freunde und vor allem dich gefunden. Manchmal liege ich nachts wach und glaube, daß ich das alles geträumt habe und gleich in meinem kalten Zimmer bei meinem Onkel erwachen werde, wo mich nichts als Düsternis und Verzweiflung erwartet.

Ich will niemandem mit meinem Verhalten vor den Kopf stoßen, doch ich habe den Eindruck, daß ich unbedingt einige Zeit allein verbringen muß, um all die Erlebnisse zu verarbeiten und wirklich anzunehmen

Das werde ich jedoch nicht können, wenn ich in der Stadt bleibe und dich jeden Tag sehe, der alle Dunkelheit aus meinem Leben vertrieben hat und mir immer Zuversicht und Stärke spendet.

Ich bitte dich, wenn ich dir auch nur ein wenig bedeuten sollte, laß mir diese Zeit, um mit mir ins Reine zu kommen. Ich werde auch die andern bitten, mich nicht zu besuchen oder zum Zurückkommen zu überreden.

Ich erbitte deine Unterstützung dabei, da ich mir sicher bin, daß Du meine Handlungsweise verstehst, auch wenn Du dich anfänglich dagegen sträuben magst.

Laß mir bitte Zeit bis zum Weihnachtsfest, das ich bei Alexia in ihrem neuen Heim auf dem Land verbringen werde. Ich weiß genau, daß Du den Kopf über mich schütteln wirst, wenn ich dir nun sage, daß Du ein freier Mann bist, dem alle Möglichkeiten offen stehen, daß Du dein Leben nach deiner Fasson gestalten kannst, weil Du durch nichts an mich gebunden bist. Ich will auch, daß Du die Zeit nutzt, um dir über einiges klar zu werden.

Bitte, versteh mich nicht falsch, ich werde dir immer verbunden sein, doch ich muß auch sicher sein, daß nur ich gemeint bin und Du keinen Schritt unternimmst, den Du vielleicht eines Tages bereust.

In ewiger Freundschaft und Zuneigung, Lilly"
 

Charles war beim Lesen dieses unerwarteten Briefes tatsächlich sehr wütend geworden und hatte mehrmals empört den Kopf geschüttelt, doch nachdem er mit seiner weisen Großmutter gesprochen hatte, war er ruhiger geworden.

Sie hatte ihm die Augen für die Richtigkeit von Lillys Entscheidung geöffnet. Es fiel ihm nur so unendlich schwer, die lange Trennung einfach so hinzunehmen. Er war sich seit Wochen sicher, daß er Lilly zu seiner Frau machen wollte und sein ungeduldiges Naturell drängte ihn jeden Tag mehr, vor ihr auf die Knie zu gehen und die Frage aller Fragen zu stellen.

Nachdem Lion einfach seine Braut entführt hatte, war er sehr versucht gewesen, diese Taktik ebenfalls bei Lilly anzuwenden, der gesunde Menschenverstand hatte ihn immer im letzten Moment davon abgehalten. Er war sich ziemlich sicher, daß Lilly sich ihre Hochzeit ganz anders vorstellte. Und er hatte sich geschworen, daß er niemals wieder zulassen würde, daß Lilly auch nur einen einzigen Moment seinetwegen unglücklich sein würde.

Charles saß bis tief in die Nacht hinein am Kamin und las den Brief immer und immer wieder durch, bis er ihn fast auswendig kannte. Es würden für lange Zeit die letzten Worte sein, die er von ihr hören würde.
 

"...Ich bin nur in die Stadt gekommen, um eine kleine Truhe angefüllt mit kleinen Schätzen und schönen Erinnerungen mit nach Hause zurückzunehmen..."

Dieser Satz ging ihm nicht aus dem Kopf, bis er am frühen Morgen aus einer unbequemen Lage heraus hoch schreckte und sofort wußte, was er zu tun hatte, um die Zeit der Trennung erträglicher zu machen und sie sinnvoll zu nutzen.
 

~ ~ ~

Im Vestibül von Bedford Falls verharrte Lilly und nahm die weihnachtliche Pracht, die sie umgab, mit leuchtenden Augen in sich auf. Alexia hatte ihr Heim zum Fest schmücken lassen und überall hingen Immergrün und Tannenzweige, die mit roten und goldenen Bändern geschmückt waren. Sogar der Handlauf der Treppe war mit einer Girlande geschmückt worden und eine Porzellanschale angefüllt mit getrockneten Früchten verbreitete einen festlichen Duft nach Zimt und Äpfeln.

Lilly nahm einen tiefen Atemzug und schloß einen Moment die Augen, sie wollte diese Augenblicke, bevor sie den Salon betrat, wo alle ihre Freunde auf sie warteten, bis zur Neige auskosten. Sie wußte, daß diese Erinnerung zu den glücklichsten in ihrem Leben gehören würde und der Geruch von Apfel und Zimt sie immer wieder heraufbeschwören könnte.

Charles würde in diesem Zimmer auf sie warten, es war für Lilly immer noch unfaßbar, daß er standhaft geblieben war und sie dadurch beschämte, daß er ihr das schönste Geschenk in ihrem Leben gemacht hatte.

Die Trennung von ihm war viel schmerzhafter gewesen als alle Stockhiebe, die sie jemals von ihrem Onkel bekommen hatte. In den ersten Tagen hatte sie gedacht, daß sie es nicht überleben konnte, ohne ihn zu sein.

Warum war sie nur so töricht gewesen, ihn zu bitten, sich nicht bei ihr zu melden?

Die selbst auferlegte Klausur schien ihr mit einem Mal vollkommen überflüssig, da sie jeden Herzschlag an Charles dachte und sich wünschte, bei ihm sein zu können.

Aber sie mußte auch sicher sein, daß er genauso für sie empfand, er verdiente es, daß sie ihm die Gelegenheit gab, diese Entscheidung frei zu treffen, ohne den Zwang jeglicher gesellschaftlicher Konventionen.
 

~ ~ ~

In der zweiten Woche hatte sie eine Lieferung aus London mit unbekanntem Absender erreicht. Es war eine kostbare lederne Truhe mit polierten Messingbeschlägen, auf die ihre Initialen eingraviert waren.

Lilly hatte die Truhe mit klopfendem Herzen geöffnet, nachdem der Postbote sie ihr gegen ein gutes Trinkgeld in ihrem kleinen Wohnzimmer abgestellt hatte. Die Truhe war innen mit kostbarem rotem Samt ausgekleidet und auf dem Boden der sonst leeren Truhe lag ein einfacher, leicht ausgefranster Bogen Papier und ein rotes Seidenband. Lilly runzelte verwundert die Stirn und ihr Blick fiel auf den Deckel der Truhe, wo innen ein weißes Kuvert steckte, das ihren Namen in ausdrucksstarken Lettern trug: Lilly.

Mit zitternden Fingern hatte sie nach dem Pergament gegriffen und es auseinandergefaltet. Im ersten Moment konnte sie kein Wort erkennen, denn die Unterschrift am Ende hatte ihr die Tränen in die Augen getrieben und den Blick getrübt.
 

"Meine allerliebste Lilly!

Bitte verzeih mir meine Aufdringlichkeit, aber ich vermag nicht so lange zu schweigen. Jeder Tag in London ohne dich ist mit einem Mal öd und leer. Ich kann es nicht ertragen, ohne dich zu sein, aber ich habe mir auch fest vorgenommen, deinen Wunsch nach ein wenig Einsamkeit zu erfüllen und wenn es mich umbringt.

Ich will, daß Du glücklich bist, das ist das Wichtigste für mich.

In deinem Brief hast Du von einer Truhe mit Schätzen und schönen Erinnerungen gesprochen, bitte erlaube mir dir diese Truhe zu schenken und auch, sie in den Wochen unserer Trennung mit Erinnerungen anzufüllen.

Ich werde dir jede Woche einen Brief schreiben, Du findest in der Truhe ein rotes Band, mit dem Du sie zusammenbinden kannst. Ebenso werde ich dir jede Woche einen kleinen Schatz zukommen lassen.

Es sind Dinge, die ich in eine solche Truhe packen würde, wenn ich sie mit meinen schönsten Erinnerungen anfüllen dürfte. Darf ich hoffen, daß dich mit diesen Dingen dieselben glücklichen Erinnerungen verbinden werden?

Ich vermisse dich unsagbar und hadere mit meinem Schicksal, doch die kleinen Briefe werden mich ein wenig trösten und mir die Zeit bis zu unserem Wiedersehen verkürzen, denn ich zweifle keinen Augenblick daran, daß wir uns zum Weihnachtsfest wieder sehen werden.
 

In ewiger Liebe, Charles."
 

Lilly war leise weinend vor der Truhe auf die Knie gesunken und hatte den Brief an ihren Busen gepreßt, als hätte sie dadurch eine körperliche Verbindung zu Charles aufbauen können.

Sie griff nach dem einfachen Blatt, das auf dem Boden der Truhe lag und las es mit tränenverschmierten Augen durch. Es war eine Seite, die aus dem Wettbuch von "Brooks" stammte. Darin war die unsägliche Wette vermerkt, die dazu geführt hatte, daß Lilly die Bekanntschaft des Kleeblattes gemacht hatte.

Lilly mußte einfach lächeln, als sie daran dachte, unter welchen Umständen Charles wohl an dieses Blatt gekommen war.

Dieser Mann war einfach unglaublich! Und noch viel unglaublicher war, daß er ihr seine Liebe gestanden hatte. Schwarz auf Weiß.
 

~ ~ ~

Die Wochen vergingen und ihre Truhe füllte sich mit immer mehr kostbaren Schätzen: Es folgten weitere gefühlvolle Briefe, das Programmheft ihres ersten Theaterbesuches; das Hemd, das Charles an dem Abend ihrer Aussprache getragen hatte; ihre Tanzkarte von dem ersten Ball, an dem Charles alle wichtigen Tänze mit ihr getanzt hatte; ein Paar ihrer Handschuhe, die er ihr während einer Spazierfahrt abgenommen hatte, als sie an einem stillen Fleckchen gehalten hatten, um auf einer Decke zu picknicken; eine Locke seines wunderbaren Haares in einem kleinen Samtbeutel; einen Packen Noten für Klavierstücke, denn er hatte begonnen, ihr Unterricht zu geben, bevor sie überstürzt aus der Stadt abgereist war.

Als letztes Geschenk kam das Kollier, das Lilly heute Abend um den Hals trug. In seinem Brief dazu hatte Charles erwähnt, daß sie es tragen sollte, wenn sie sich wieder sahen, damit er sicher sein konnte, daß sie ihn anhören würde, wenn er endlich von seinem Bann erlöst wurde, und er ihr diese eine wichtige Frage stellen durfte.
 

~ ~ ~

Lilly öffnete die Augen und sah einer strahlenden Zukunft entgegen, in die sie voller Zuversicht schritt. Sie griff kurz nach dem Anhänger, der auf ihrer Brust ruhte und straffte dann die Schultern. Sie lief auf die Tür des kleinen Salons zu und ein Lakai in der Uniform der Bedfords öffnete ihr die Tür und verneigte sich vor ihr. Lilly schenkte ihm ein kleines Lächeln und überschritt dann die Schwelle zum Salon.
 

"Die ehrenwerte Lady Harper!", wurde Lilly von dem Diener angekündigt und alle Augen der Anwesenden waren plötzlich auf sie gerichtet.
 

Lilly nahm den geschmückten Weihnachtsbaum und die anwesenden Gäste nur nebelhaft wahr, denn ihr Blick wurde von Charles grauen Augen eingefangen, der lässig am Kamin lehnte und selbstsicher wie immer wirkte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, dann galoppierte es in einem wilden Takt davon, der ihr den Atem nahm.

Sie hatte das Gefühl, sich keinen Millimeter bewegen zu können, doch als Charles sie plötzlich strahlend anlächelte, hielten sie keine zehn Pferde mehr an ihrem Platz.

Das kleine Kleeblatt funkelte im Licht der Kerzen auf und Charles fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, zu guter Letzt war er an seinem Ziel angekommen.

Er konnte endlich seinen gesellschaftlichen Schutzpanzer ablegen und Lilly das Glück zeigen, das er empfand. Sie strahlte zurück und er hatte nie etwas Schöneres gesehen, als diesen Ausdruck in ihren seelenvollen Augen, als sie auf ihn zugestürzt kam und ihm trotz all der hier anwesenden Menschen um den Hals fiel.
 

’Zum Teufel mit der Etikette!´, dachte Charles und begrüßte seine zukünftige Braut mit einem zärtlichen Kuß, den Lilly aus vollem Herzen und ohne jeglichen Rückhalt erwiderte.
 

Charles hielt sie fest an sich gedrückt und lächelte auf sie herab, als sie den Kuß beendet hatten. Lilly war vollkommen überwältigt davon, endlich in seinen Armen zu liegen und die Gewißheit zu haben, daß seine Gefühle für sie genauso stark waren wie ihre für ihn, daß sie die anderen anwesenden Gäste gar nicht richtig wahrnahm. Ihm entging jedoch nicht, daß die Countess of Burnham versuchte, die neugierigen Gäste unauffällig aus dem Salon zu scheuchen.
 

Er küßte Lilly sanft auf die Schläfe und wandte sich dann an die Anwesenden: "Bitte. Unseretwegen müßt ihr den Salon nicht verlassen. Ihr müßt einem Paar verzeihen, das nach langer Trennung Wiedersehen feiert."

Es wurde gelacht und geklatscht und Lilly blickte mit geröteten Wangen zu ihren Freundinnen Alexia und Brittany, die sie beide zustimmend anlächelten. Auch ihre Tante Hermione und Charles´ Großmutter waren da und schienen sich gar nicht von ihrem wenig damenhaften Verhalten gestört zu fühlen. Im Gegenteil, die beiden älteren Damen lächelten sehr selbstzufrieden.
 

"Lilly?", flüsterte Charles leise und legte eine Hand auf ihre glühende Wange.

Sie blickte mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf, brachte jedoch kein Wort heraus, als sie in seinem intensiven Blick versank.
 

"Liebste Lilly! Würdest Du mir die Ehre erweisen und mich zum glücklichsten aller Männer machen, indem Du mir deine Hand zum Bund der Ehe reichst?"

Im Salon war es so still geworden, daß man hätte eine Stecknadel fallen hören, die Gäste warteten atemlos auf die Antwort der jungen Lady.
 

"Ich nehme deinen Antrag mit Freuden an", wisperte Lilly und stellte sich auf die Zehenspitzen, wo sie ihm ins Ohr flüsterte: "Ich wünschte, daß ich diesen Augenblick in meine Truhe packen könnte, Charles. Ich liebe dich über alles."
 

Charles lächelte glücklich und sie meinte, ein paar Tränen in seinen schönen Augen schimmern zu sehen.

"Ich habe mich in dem Moment verliebt, als Du in mein Haus kamst und mich mutig mit meinen Verfehlungen konfrontierst hast. Aber seit dieser einen Nacht, als ich dein wahres Wesen erkannt habe, war ich unweigerlich verloren. Ich liebe dich, Lilly! Für immer!", flüsterte er zurück.
 

Das Paar versank in einem zärtlichen Kuß, während die Hausherrin an der Klingel zog, um den Butler zu rufen, der kurz darauf dienstbeflissen im Türrahmen erschien.

"Wetherby, bitte bringen Sie so schnell wie möglich Champagner, wir haben eine Verlobung zu feiern!", verlangte die junge Hausherrin selbstsicher und ließ sich dann von ihrem Mann in die Arme nehmen, um diesen glücklichen Moment mit ihm zu teilen.
 

"Bitte laßt mich euer erster Gratulant sein, Charles und Lilly."

Die beiden fuhren überrascht zu Lion herum, der mit Séraphine an seinem Arm vor ihnen stand und zum ersten Mal in seinem Leben etwas betreten dreinblickte.
 

Charles tauschte einen kurzen Blick mit seiner Verlobten und lächelte Leo dann freundlich an: "Ich danke dir Leo! Mehr als ich jemals in Worte fassen kann, denn genau genommen verdanke ich dir mein Glück. Freunde auf ewig?", fragte er dann noch mit dem alten Ausspruch, den sie schon zu ihrer Schulzeit verwendet hatten, um sich ihrer Beziehung zu versichern.

Leo drückte seine Hand fest und zog seinen Freund dann in eine brüderliche Umarmung.
 

"Auf ewig, Charles! Unser Kleeblatt wird weiterhin bestehen, wenn auch nicht so, wie wir uns das als Heranwachsende gedacht haben."

Leo löste sich von seinem Freund und nahm Lillys Hand in seine, auf die er einen galanten Kuß hauchte.
 

"Lilly, ich wünsche dir alles Glück dieser Erde. Ich hoffe, daß Du die Freundschaft meiner Frau und mir akzeptierst, wir werden immer in deiner Schuld stehen."
 

Lilly lächelte beide aufrichtig erfreut an und griff den Ausspruch ihres Verlobten auf: "Freunde auf ewig, Leo! Ich war euch nie böse, ich bin froh, daß ihr zueinander gefunden habt. Die Wette wird bestimmt in die Annalen unserer Familiengeschichte eingehen und wir werden damit unsere Enkelkinder erheitern können."
 

Sie lachten gemeinsam über diesen Scherz und in diesem Moment wurde der Champagner hereingebracht, damit die Gäste auf das junge Glück anstoßen konnten.

Man muß nicht hinzufügen, daß das doppelte Kleeblatt dieses Weihnachtsfest niemals vergaß, da es am Neujahrsmorgen mit der Hochzeit von Lilly und Charles in der hauseigenen Kapelle des Bedford´schen Anwesens gekrönt wurde.

Von diesem Zeitpunkt an gingen die vier Paare als neues Kleeblatt in die Geschichte der feinen Gesellschaft ein, mit ihren ergebenen Ehemännern an ihrer Seite waren die vier Damen tonangebend und die Geschichte der märchenhaften Romanzen wurde von Generation zu Generation junger Debütantinnen weitergegeben, die ihren Vorbildern gerne nacheifern wollten, um genauso glücklich zu werden wie die Ehefrauen des legendären Kleeblattes.
 


 

~~ENDE~~

~~Merry Christmas~~



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  CarpathianWolf
2008-03-05T22:59:25+00:00 05.03.2008 23:59
hach~
ein happy end wie im märchen

^__^

da kommt na richtig ins träumen!
ich glaub sowas tolles könnte ich nie schreiben
ich hoffe du schreibst mal weider soetwas in die richtung!
Von:  CarpathianWolf
2008-03-05T22:35:59+00:00 05.03.2008 23:35
okay ich bin entgültig glücklich kya~
die beiden passen so gut zusammen und ich liebe happy ends ohnehin
außerdem ist mir diene geschichte den ganzen tag nich aus dem kopf gegangen X//D
ich musst ständig daran denken und wollte shcnell weiter lesen!
Von:  CarpathianWolf
2008-03-05T08:19:14+00:00 05.03.2008 09:19
jaaaa
*freu*
XD
oh man ich freu mich irgendwie voll das er sich in leonore verliebt hat
ich hoff wirklich das das hier in einem happy end endet
Von:  CarpathianWolf
2008-03-05T07:59:52+00:00 05.03.2008 08:59
T____T
woha....
Lady Harper

aber ihc erahne da bahnt sich was an x3
ich hfofe es endet in einem happy end!
;A;
Von:  CarpathianWolf
2008-03-05T07:46:11+00:00 05.03.2008 08:46
ahhh ich finds toll das leonore es jetzt weiß ich hoff sie schickt den lion zuum teufel ;A; die tut mir so leid die is so nett und hat wen besserne verdient!
tz...
ich les mal später weiter wenn ich daheim bin
Von:  CarpathianWolf
2008-03-03T12:11:29+00:00 03.03.2008 13:11
Ich bin wirklich gespannt ob sich der Lion noch in die Lady Harper verliebt oder nicht ô.ô
ich muss mal zu hause gleich weiter lesen weil jetzt gerade gehts leider nicht x3
ich mein es steht ja nich um sonst beast im titel da komtm charles sicher auch noch drin vor XD *liebedrama kitsch* ich mag es ♥
Von:  CarpathianWolf
2008-03-03T11:55:43+00:00 03.03.2008 12:55
Hach ich liebe es zu spekulieren, was die späteren Paare angeht Agent 013 ^___^

Ich finde es ist wie immer trefflich formuliert! Es liest sich schön und ohen Anstrengung!
Außerdem habe ich Leilany fast soweit das sie auch beginnt zu lesen ^^
Von:  CarpathianWolf
2008-01-29T11:49:49+00:00 29.01.2008 12:49
Also ich bin wirklich begeistert von deiner geschichte!
^__________^
die ist wirklich klasse!
ich mag es ohne hin solche historischen romane und geschichten zu lesen!
ich bin einmal gespannt was die junge lady noch so erwartet!
Von:  Minuel
2008-01-12T13:39:29+00:00 12.01.2008 14:39
hi
also...irgendwie mag ich diese **** nicht so gerne...
ach ja! nochmal danke das du diese ff hier hochgeladen hast!
*guckt wie ein hund der fresschen kriegt* hehe
naja bis denne dann
bye


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