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Die Rose des Lichts

von

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Die Stimme

Immer näher trugen Kumikos Füße sie zu der klagenden Stimme. Diese wurde lauter, doch wurden auch die Gefühle, die sie barg, deutlicher. Verzweiflung, Trauer. Angst.

Oh, wie gut sie selbst diese Gefühle kannte, was eher untypisch für einen Bewohner des Reiches des Himmels war. Sie musste diesem Mädchen, oder wem immer auch diese Stimme gehörte, helfen. Dazu fühlte sie sich auf merkwürdige Art verpflichtet. Sie konnte nicht tatenlos zuhören, dafür kam ihr dieser klagende Klang zu bekannt vor.

Immer öfter ließ der Engel seinen Blick umherschweifen, doch bis jetzt konnte er niemanden entdecken, zu dem die Stimme passen könnte. Schließlich blieb der blonde Engel stehen. Die Intensität des Gehörten nahm ab. Moment mal. Schnell ging sie ein paar Schritte zurück. Hier war es wieder lauter. Langsam sah die 18-Jährige zur Seite und hob dann allmählich ihren Kopf. Vor sich sah sie ein großes Haus, ein sehr großes Haus. Bis jetzt war es ihr nicht aufgefallen, aber in der Gegend, in der sie sich nun befand, standen einige von diesen riesigen Gebäuden. Sie waren ziemlich hoch. Gut, die machten einer tausendjährigen Eiche noch keine Konkurrenz, doch mit einem anderen hohen Baum konnten sie durchaus mithalten. Ein wirklich beeindruckendes Bauwerk.

Ein weiterer verzweifelter Laut der Stimme weckte sie wieder aus ihrer Verblüffung über dieses Haus. Aber nun sah der Engel keinen Zweifel mehr, der Besitzer der Stimme musste dort oben auf dem Gebäude sein. Es war so, als wenn die Laute geradezu von dort oben zu ihm hinuntergeweht werden würden. So musste es sein! Der Besitzer der Stimme war eindeutig auf dem Dach dieses Hauses! Kumiko musste unbedingt so schnell wie möglich dort hinauf! Es dauerte gar nicht lange, da hatte sie auch schon den schnellsten Weg gefunden, um ihr Ziel zu erreichen. Wozu war sie denn ein Engel, der wie es sich gehörte, mit Flügeln ausgestattet war? Probehalber streckte sie ihre Schwingen. Sie fühlten sich etwas eingerostet und etwas schwerer als normal an. Nun gut, sie hatte ihre Flügel etwas länger nicht genutzt, aber warum schien ein unsichtbares Gewicht auf ihnen zu liegen? Lag es daran, dass sie nicht mehr im Reich des Himmels war, sondern auf der Erde? Das war die einizig logische Erklärung, die der Engelsfrau im Augenblick einfiel. Trotzdem, sie musste jetzt auf dieses Dach! Mit ein paar Flügelschlägen befand sich Kumiko dann schließlich in der Luft und auf dem Weg hinauf. Doch es kostete sie mehr Kraft, als sie erwartet hatte. Es war ziemlich beschwerlich.

Oben angekommen musste der Engel ersteinmal etwas verschnaufen. Sich hier auf der Erde zu befinden war gar nicht so einfach! Doch noch ehe sie sich wieder ganz erholt hatte, drang wieder die gequälte Stimme an ihre Ohren. Diesmal klang sie sehr nah. Die Blondine blickte sich kurz um und sah am anderen Ende des Flachdaches ein Mädchen stehen, das sich am Sicherheitsgeländer des Daches festhielt. Ihre mittellangen, braunen Haare wehten wild im Wind umher. Was hatte dieses Mädchen vor? Warum war sie ganz allein auf dem Dach dieses hohen Gebäudes?

Plötzlich hob das braunhaarige Mädchen ein Bein über das Geländer und kletterte schließlich ganz auf den nur noch schmalen Absatz des Daches hinter der Absperrung.

Sie wollte doch nicht etwa... springen?! Sie hatte doch keine Flügel, sie konnte nicht fliegen! Was tat sie nur?!

Kumiko näherte sich dem Mädchen mit ein paar schnellen Schritten und sah, wie dieses tief einatmete.

„Nur noch ein Schritt...“

murmelte das Mädchen leise vor sich hin, wie um sich selbst die Courage zum Sprung zu geben. Das konnte der Engel doch nicht zulassen! Aber was konnte er tun? Schließlich sah ihn das Mädchen ja nicht!

Langsam streckte die Braunhaarige einen Fuß hinaus in den Abgrund, der sich nun darunter befand. Gleich würde sie springen!

„Halt, tu das nicht!“

rief der blonde Engel aus. Das Mädchen hielt inne. Moment, hatte es sie etwa gehört? Konnte die Braunhaarige verstehen, was die Blonde ihr sagte?

„Tu das nicht.“

wiederholte sie noch einmal ruhiger und trat weiter auf das Mädchen zu. Dieses fasste sich an den Kopf und lächelte traurig und hilflos.

„Oh mann, jetzt höre ich auch noch Stimmen. Ich werde wohl langsam wirklich verrückt...“

flüsterte sie unverständlich und seufzte schwer.

„Du bist nicht verrückt. Wenn du jetzt springst, das wäre verrückt.“

antwortete der Engel mit bedachter und fester Stimme. Das Mädchen drehte ihren Kopf in die Richtung, in der Kumiko neben ihm stand. Seine Augen sahen sich unentwegt um, doch sie fanden nichts, woher die Stimme hätte kommen können. Natürlich nicht, schließlich waren Engel für Menschen unsichtbar. Na ja, wenn man von Akuma mal absah, der war eh nicht ganz normal.

„Ach ja?! Was weiß eine körperlose Stimme schon? Lass mich gefälligst in Frieden!“

verlangte die Brünette frustriert und verzweifelt. Ihre Augen hatten aufgehört nach etwas zu suchen, was sie nicht finden konnten und waren nun auf den Abgrund vor sich gerichtet. Scheinbar hatte sie es im Angesicht ihres nahenden Vorhabens aufgegeben sich über eine Stimme zu wundern oder zu ärgern.

„Du hast Recht, ich weiß nicht, was dich quält, aber ich weiß, dass man sein Leben nicht einfach so wegwerfen darf.“

begann Kumiko wieder auf sie einzureden. Ihre Stimme war ernst, doch sie versuchte durch einen sanften Tonfall ihre Gesprächspartnerin zu beruhigen.

„Es ist mein Leben, ich kann damit machen was ich will!! Außerdem, was hab ich denn schon für eine Wahl?!“

Die Verzweiflung aber auch der Ärger in der Stimme des Menschenkindes wuchsen stetig an. Es war beängstigend aber auch traurig, was für eine Hilflosigkeit in diesem Menschen Platz gefunden hatten.

„Wir haben immer eine Wahl.“

gab der Engel unnachgiebig zu bedenken. Er wusste selbst nicht, warum er so hart zu diesem verzweifelten Wesen war. Warum tröstete er dieses Mädchen nicht? Tief in sich kannte die 18-Jährige die Antwort. Ihr gefiel es nicht, wie einfach es sich dieses Kind machen wollte. Es war nicht so einfach. Es war manchmal schwer weiterzumachen, sie selbst wusste noch genau, wie schwer ihr das nach dem Tod ihrer Eltern gefallen war. Sie hatte sich wie betäubt und tot gefühlt. Das Leben schien nicht mehr lebenswert. Doch sie hatte einen Entschluss gefasst, sie hatte nicht aufgegeben und wollte es auch nie tun. Weil sie es nicht gedurft hatte, das war sie ihren Eltern schließlich schuldig gewesen, sie durften nicht umsonst gestorben sein...

Die Stimme der Braunhaarigen holte die Engelsfrau wieder aus ihren Gedanken zurück.

„Ins Heim zu gehen ist keine Wahl für mich! Aber auch alles andere nicht... denn... denn...

es ist egal wohin ich gehe, sie wird nicht mehr da sein...“

Die Blonde horchte auf.

„Wer ist nicht mehr da?“

Das Mädchen schluchzte leicht und in ihren Augen bildeten sich Tränen tiefster Trauer.

„Meine Mum...“

Der Engel hielt kurz den Atem an. Das hieß also ihre Mutter... sie war...tot?

„Deine Mum... ist sie...gestorben?“

fragte Kumiko vorsichtig nach. Doch sie erhielt keine Antwort, stattdessen rollten nun dicke Tränen über das Gesicht des ungefähr 12-jährigen Mädchens.

Das arme Ding... Die Engelsfrau spürte tiefes Mitgefühl in sich aufsteigen. Nur zu gut kannte sie dieses Gefühl des Verlusts. Behutsam legte sie einen Arm um das Mädchen. Dieses schloss daraufhin die Augen und schluchzte kurz leise vor sich hin. Die Bewohnerin des Himmelsreiches konnte nicht sagen warum, aber langsam beruhigte sich das Mädchen wieder. War es weil es sich etwas aussprechen konnte? Oder drang das Mitgefühl des Engels zu ihm durch?

„Was ist mit deinem Vater?“

erkundigte sich die Blondine schließlich sacht. Doch diese Frage hatte eine unerwartet negative Reaktion zur Folge. Die Augen des Menschenkindes öffneten sich wieder und funkelten zugleich verzweifelt als auch von neuer Entschlossenheit erfüllt.

„Mein Vater hat sich kurz nach meiner Geburt aus dem Staub gemacht! Ich habe niemanden mehr, niemanden! Deswegen gehe ich jetzt wieder zu meiner Mum! Sie ist die einzige, der ich je etwas bedeutet habe!“

Auch wenn der Engel durchaus den Schmerz über den Verlust ihrer Mutter und die Wut über die Abwesenheit ihres Vaters nachvollziehen konnte, so konnte er sich dennoch nicht mit der Einstellung des Mädchens anfreunden, ihr Leben einfach so wegzugeben. Bei der negativen Energie, die das Kind im Augenblick ihres Todes ausstrahlen würde, würde es den Dämonen ein leichtes sein, ihre Seele vor den Wächtern des Reiches des Himmel zu finden und an sich zu reißen. Dämonen wurden von Gefühlen wie Schmerz, Trauer, Wut und Angst geradezu magisch angezogen. Es wäre ein leichtes für sie, die Seele des Mädchens in die Abgründe der Hölle zu ziehen. Und dort würden nicht nur unendliche Qualen auf diese warten, sondern sie würde ihre Mutter auch nicht wiedertreffen. Ihr Vorhaben erneut zu ihrer Mutter zu kommen ist nicht nur völlig töricht, sondern auch gänzlich umsonst.

Wieder ernst und unnachgiebig sah die Blondine ihre Gesprächspartnerin an.

„Ich glaube dir nicht, dass nur deine Mutter dich je geliebt hat. Du hast doch sicher Freunde, die dir etwas bedeuten. Ich bin mir sicher, wenn du jetzt springst, machst du mindesten einen anderen Menschen sehr unglücklich. Willst du wirklich, dass jemand den gleichen Schmerz erleiden muss, den du gerade fühlst?“

wollte der Engel mit fester und drängender Stimme wissen. Die Muskeln des Mädchens, die bis eben noch angespannt und zum Sprung bereit gewesen waren, verloren diese Spannung und das Kind selbst wurde ganz still. Ganz leise und kaum hörbar flüsterte die Braunhaarige einen Namen. Den Namen eines Mädchens, Melina.

Volltreffer, es gab also doch noch jemanden.

„Melina, ist das deine Freundin?“

fragte Kumiko nun wieder etwas sanfter. Das Menschenkind nickte leicht zur Bestätigung.

„Sie... sie ist meine beste Freundin... schon mein ganzes Leben lang.“

erklärte die Angesprochene endlich, wenn auch etwas unverständlich.

„Na siehst du... du bist nicht allein. Und du willst sie doch sicher auch nicht allein lassen? Ich bin sicher sie wäre sehr traurig, wenn du es tun würdest.“

Zuerst erwiderte das Mädchen nichts. Es schien so, als wenn es sich an etwas erinnern würde. Nach einigen Momenten des Schweigens bildete sich die zarte Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen.

„Wir... wir haben uns versprochen immer beieinander zu bleiben. Nachdem Mum krank geworden war, haben sich ihre Eltern auch um mich gekümmert. Sie haben gesagt sie wollen das auch weiterhin tun, sie wollen nicht, dass ich ins Heim muss... Aber...“

„Durch die Trauer über den Tod deiner Mutter hast du das nicht richtig wahrgenommen, du hast die Bedeutung nicht richtig realisiert, nicht wahr?“

beendete der Engel damit den Satz des Kindes. Die Braunhaarige nickte zustimmend und wieder rollten einige Tränen über ihre Wangen.

„Trauer und Schmerz sind überwältigende und mächtige Gefühle, sie lassen uns manchmal nicht klar denken und den Weg vor uns verlieren. Aber wir dürfen sie nicht unser Leben beherrschen lassen. Auch wenn es unmöglich scheint, so müssen wir doch nach vorn sehen und an das Positive denken. Deine Mutter würde sicher nicht wollen, dass du ihr so bald nachfolgst. Ich glaube, dass sie sehr traurig darüber wäre...“

äußerte Kumiko ruhig ihre Gedanken, doch als sie das sagte, wusste sie nicht genau, wem sie das erklärte. Sprach sie nun mit dem Mädchen oder mit sich selbst? Genau diese Worte hatte sie sich selbst immer vor Augen gehalten. Und als sie diese noch einmal aussprach, wurde ihre bewusst, dass sie stimmten. Es war die Wahrheit.

Auch das Menschenkind schien das zu spüren und nickte leicht. Der Engel konnte förmlich sehen, wie neue Entschlossenheit in die Augen des Menschen traten, doch diesmal war es nicht der Wille sein Leben zu beenden, sondern der es weiterzuführen.

„Du hast Recht... Mum würde das nicht wollen... und ich darf Melina auch nicht einfach so allein lassen.“

Gab die Brünette erkennend von sich. Die blonde Engelsfrau lächelte zufrieden und beobachtete, wie das Mädchen wieder über das Geländer kletterte und sich damit von dem tötlichen Abgrund entfernte. So war es richtig.

Wieder sah sich die Braunhaarige suchend um, doch wieder schien ihr Blick nichts zu finden.

„Wo bist du? Wie hast du mich gefunden?“

fragte sie nun und versuchte weiterhin Kumikos Aufenthaltsort ausfindig zu machen.

„Deine traurige Stimme hat mich zu dir geführt.“

antwortete der Engel ihr ruhig und die Augen des Mädchens huschten zu der Stelle, an der ihre Ohren den Engel lokalisierten.

„Aber wer bist du?“

Wieder lächelte die Blondine kurz.

„Ich bin ein Engel, der den Schmerz in deiner Stimme nicht ertragen konnte.“

entgegnete sie wahrheitsgemäß und aufrichtig.

„...Ein Engel?“

harkte das Menschenkind unsicher nach. Noch immer blickte sie ungläubig in die Richtung, wo sich die Engelsfrau befand. Ohne jede Vorwarnung weiteten sich die Augen des Mädchens leicht und es blinzelte kurz. Es öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch noch bevor es dazu kam, machte sich etwas in der Hosentasche des Kindes durch einen Signalton bemerkbar. Die Braunhaarige wandte ihren Blick von Kumiko ab und holte etwas, das ihr Akuma vorhin mit der Bezeichung Handy vorgestellt hatte, heraus. Das Mädchen benutzte ein paar der Tasten des Handys und murmelte dann leise:

„Wo bist du? Ich mach mir Sorgen um dich, Melina.“

Auch wenn der Engel immer noch nicht wirklich verstand, wie dieses Gerät es machte, doch sie hatte erklärt bekommen, dass man damit unter anderem Nachrichten verschicken konnte. Diese Nachricht stammte wohl von der besten Freundin des Kindes.

„Du solltest zu ihr gehen.“

riet die 18-Jährige der Jugendlichen sanft.

Die Braunhaarige sah von ihrem Handy auf und nickte leicht.

„Ja... und vielen Dank für alles.....Angel.“

Das Mädchen lächelte der Engelsfrau noch einmal ins Gesicht und blickte ihr fest in die Augen. Dann wandte es sich um und verschwand durch eine Tür und dann in ein Treppenhaus.

Kumikos Augen verweilten noch etwas auf dem Punkt, wo das Mädchen eben entschwunden war. Sie war sich sicher, dass das Kind ihr eben exakt in die Augen gesehen hatte. Aber wie konnte das sein? Schließlich konnte sie den Engel ja nicht sehen. Hatte sie vielleicht am Schluss gespürt, wo er sich befand? Das musste es sein. Wie sollte das sonst möglich sein?

Aber eigentlich war das auch egal. Die traurige Stimme war verschwunden, sie hatte dem Mädchen helfen können und das war alles, was im Moment zählte.
 

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nach langem mal wieder ein neues Kapitel. Ich hoffe es gefällt.

Vielen Dank an dieser Stelle an Ju,die für mich Beta gelesen hat.



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