Zum Inhalt der Seite

Fesseln der Liebe (?)

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 21

“Und, hast du dieses Mal besser geschlafen?”, wollte Jackin wissen und reichte Aya das Brot rüber. Sie waren bereits alle früh aufgewacht, beschützt durch das Rudel Wölfe. Ihre Nacht hatten sie auf einer kleinen Lichtung verbracht und Aya hatte sich irgendwie wohl gefühlt in der Nähe der Tiere.

“Ja, dieses Mal hatte ich keine Träume. Leider …”, seufzte Aya und biss in das trockene Brot. Jackin hob fragend die Augenbraue. “Leider?” Sie saßen alleine auf dem Platz. Ria und Kurai waren mit dem Rudelführer unterwegs. “Ja, wenn ich von Shinri träume, kann ich wenigstens hoffen, dass es ihm dem Traum entsprechend gut geht”, gestand Aya und seufzte erneut. Sie beobachtete ein paar Wölfe in dessen Rudelmitte sie saßen. Jackin verstand und nickte zustimmend.

Er bemerkte auch Ayas deprimierten Zustand. “Hey, Aya. Lass den Kopf nicht hängen. Wir finden ihn gewiss. Aber, darf ich dich etwas fragen?”

“Ja, klar. Nur zu”, kommentierte Aya und lächelte schwächlich. Sein Mutzuspruch war ja schön, aber noch konnte sie Shinri nicht in Sicherheit wissen. Immerhin schien die Verbindung stärker zu werden. Das war ein gutes Zeichen.

“Was wäre, wenn wir Shinri nun befreien und das Oberhaupt stürzen? Was wirst du danach tun?” Aya blickte auf. “Wie meinst du das?” Sie sah ihn abwartend an und er begann zu lächeln. Mit einer ausholenden Bewegung, die alles um sich einschließen sollte, erläuterte er: “Nehmen wir an, wir befreien Shinri. Er wird Oberhaupt. Wirst du dann mit ihm zusammenziehen, ihm deine Liebe gestehen? Oder versuchst du auf Abstand zu schalten, die Schule zu beenden und dann auf der Flucht vor ihm durch die Weltgeschichte zu reisen?” Sein leichtes Grinsen und seine Worte sagten alles. Und Aya begann darüber nachzudenken.

Sollten sie Shinri wirklich retten, würde er sich bestimmt nicht von ihr fernhalten. Aber das wollte sie auch nicht. Sie hatte gehofft, mit ihm zusammen leben zu könne, solang er das wollte.

“Tja, Jack. Ich werde ja wohl nicht umsonst hierher kommen, oder? Wenn ich ihn schon befreie, dann möchte ich auch, dass er bei mir bleibt.“ Sie seufzte ein drittes Mal. Es war schwer zu sagen und beruhte nur auf Hoffnungen. Es war nur eine Wunschvorstellungen. Sie wusste nicht, ob sie es wirklich schaffen würde. Konnte sie ihn befreien? Würde sie das wirklich schaffen?

“Dacht ich’s mir. Hast dich also doch in ihn verliebt.” Er lachte leise, als Aya rot anlief, aber sie dachte nicht daran, Widerspruch zu erheben. Nein, sie nickte sogar und stimmte ihm zu.

“Und was ist mit dir? Hast du nun vor, Ria nach diesem Ausflug einen Heiratsantrag zu machen, mit ihr zusammen zu wohnen und dich für immer um sie zu kümmern?” Eigentlich hatte sie vor, sarkastisch zu klingen, um ihn zu ärgern, wie er es zuvor getan hatte. Doch er wurde weder rot um die Ohren, noch schien er erschrocken. Nein, er lächelte sogar und antwortete: “Wieso nicht? Aber ich glaube, zuerst müsste ich meinen Abschluss machen und eine Arbeit suchen, um sie durchzubringen. Aber doch, mit dem Gedanken könnte ich mich anfreunden. Und vielleicht auch noch ein, zwei kleine Kinderchen. Und du und Shinri wären die Paten. Was sagst du?”

“Du bist gemein. Aber okay”, schimpfte Aya und schlug ihm leicht auf den Oberarm. Eigentlich hätte sie gelacht, wäre sie in Gedanken nicht immer noch bei Shinri.

Schon bald kamen die anderen beiden wieder. Ria ließ sich neben Jackin sinken, und umarmte ihn. “Haben wir etwas verpasst?”

Kurai blieb stehen und sah zu, wie die anderen die Brote wieder einpackten. Er und Ria hatten bereits gegessen. “Nein, nichts”, gestand Aya. Es war schließlich nichts wichtiges passiert. Dann fiel ihr auf einmal wieder die Frage ein, die sich um die Zeit in diesem Land drehte. Schnell stand sie auf und klopfte sich Gras von der Hose, bevor sie Kurais Blick entgegnete und ihn fragte: “Wie ist das eigentlich mit den Zeiten. Es hieß ja, hier werdet ihr doppelt so alt, wie in unserer Welt, aber heißt das, die Tage dauern auch doppelt so lang oder wie darf ich das verstehen?”

Jackin stand ebenfalls auf und zog sich den Rucksack über, während Ria seine Hand nahm und auf die anderen beiden wartete. “Die Zeit vergeht hier parallel zur Menschenwelt. Es ist exakt die selbe Zeit, wie bei euch Zuhause”, erklärte Kurai kurz und ließ keine weiteren Fragen zu, da er sich bereits umwand und losging. Wenn die Zeit genauso verging, wie bei ihnen Zuhause, dann musste sie annehmen, dass es heute Montag sein musste. Montagmorgen. Aber gewiss konnte sie sich nicht sein.

Mit ihrem neuen Ziel vor Augen, welches nur Kurai kannte, folgten sie ihm und wurden dabei sogar von den Wölfen begleitet. Ein erneuter langer Fußmarsch lag vor ihnen und sie traten ihn ohne zu zögern an. Alles für Shinri.

Nach einiger Zeit kamen sie endlich dort an, wohin sie wollten. Die Sonne stand noch immer am Himmel, also hatten sie keinen ganzen Tag dafür gebraucht. Ihre Begleiter, die Wölfe, waren bereits gegangen und nun standen die vier hinter großen Bäumen und Büschen und spitzelten hindurch.

Vor ihnen lag ein großes Dorf aus vielen kleinen Häusern und einem Fluss, der sich hindurchschlängelte. Der Anblick war äußerst faszinierend und Aya versuchte alles, was sich ihr bot, in sich aufzunehmen. Die Wände der meist zweistöckigen Häuser waren aus hellbraunen Stein und die Dächer aus sehr dunkelroten Ziegeln. Zwischen ihnen war einiges an Platz, als brauche jedes Häuschen seine eigene Privatsphäre. Zwischen ihnen wuchsen weite Felder aus Gras, Obst oder Gemüse. Es gab auch zwei große Plätze. Doch auch wenn es wunderschön aussah, so wirkte es verdammt leer. Keine einzige Person befand sich außerhalb des Hauses und Aya wusste nicht, ob in den Häusern überhaupt Leben weilte.

Eine Hand legte sich auf Ayas Schulter, sodass sie sich ihren Begleitern wieder bewusst. Ria, die neben ihr stand, lächelte sie an. “Wunderschön, nicht?”, fragte sie nach und Aya nickte sofort zustimmend. “Mehr als wunderschön. Ich hätte nichts dagegen, hier einzuziehen.”

“Ja, kann ich mir vorstellen. Wer wohnt eigentlich alles hier? Ich dachte, dass sich alle Zomas in der Nähe des großen Schlosses niedergelassen hatten”, wand sich Ria dann an Kurai, der mit seinen goldenen Augen das Geschehen vor ihnen beobachtete. Ohne den Blick abzuwenden, antwortete er: “Ja, alle Zomas wohnen direkt vor dem Schloss des Oberhauptes. Er hat es so veranlasst, damit er sie besser im Auge behalten konnte. Hier in diesem Dorf leben nur noch recht wenige, die sich um den Garten und die Pflanzen kümmern. Früher war es ein sehr harmonischer Ort, an dem die Zomas mit ihren Auserwählten hingezogen waren, nachdem sie sich gefunden hatten. Seitdem es aber verboten wurde, Menschen in diese Welt mitzubringen, lebt hier auch niemand mehr.”

Aya fühlte, wie sich ein eiskalter Schauer über ihren Rücken bahnte und sich ihre Nackenhärchen aufstellten. Es war grausam, Leute zu entzweien, sie so füreinander bestimmt waren. Aya wünschte sich, dass an diesem Ort wieder Leben erwachte. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie die Kinder über die Wiesen rennen würden, unter lautem, glücklichen Gelächter. Je mehr sie wusste, desto mehr hasste sie diesen Rashid.

“Sollen wir denn nicht endlich hinein gehen? Ich glaube, hier ist keine Gefahr, oder? Wenn ihr also nichts dagegen habt, dann gehe ich schon mal voooo-” Ihre Stimme brach nach dem Aufruf gänzlich ab. Sie hatte sich nur einen Schritt weit hinaus gewagt und war eine kleinen Hügel hinabgeflogen. Mit einem dumpfen Geräusch landete sie.

“Geht es dir gut?!”, fragte Jackin sofort und blickte durch die Gebüsche hinunter. Ria machte sich von ihm los und folgte Aya geschickt hinab.

“Ja! Keine Sorge! Aber passt auf, wenn ihr runter kommt. Hier geht es steil abwärts”, riet Aya die andere, doch schon war Ria bei ihr angekommen und half ihr auf. Aya klopfte sich die losen Blätter von ihrer Kleidung, während Jackin und Kurai den beiden Mädchen hinab folgten. Nachdem sie wieder beisammen waren, folgten sie Kurai durch die Stadt. Aus der nähe betrachtet war sie noch wunderschöner aber auch einsamer. An den Wänden der Häuser fanden sich interessante Malereien und auf der Tür waren Zeichen abgebildet, die denen ähnelten, die Aya und Shinri verbanden, nur andere Buchstaben und Verzierungen.

“Was machen wir eigentlich hier, Kurai? Ich glaube nicht, dass sich Shinri hier versteckt”, meinte Aya, als sie den Blick von den Häusern abwendete und Kurai aufholte.

Kurai lief zielstrebig weiter und schien eine bestimmte Richtung zu verfolgen. Wahrscheinlich sahen sie jetzt gleich sein Haus. “Ich bringe euch in mein Zimmer, damit ihr euch noch einmal gut ausruhen könnt, bevor wir zu Shinri aufbrechen. Kannst du spüren, ob er in der Nähe ist?”

Aya konzentrierte sich und versuchte die Verbindung genauer zu erkennen. Er schien nicht hier an diesem Ort zu sein, aber er war auch nicht mehr zu weit weg und er lebte. “Es ist nicht mehr weit, bis zu ihm.”

Kurai nickte sofort und blieb kurz stehen. Mit einem Finger deutete er über den Wald in die Ferne. Am Horizont konnten sie ein Schloss erkennen. “Das ist das Anwesen von Shinris Familie. Gegründet von seinen Vorfahren. Ich schätzte Taiyo-Yoru hat ihn dorthin gebracht.” Sofort ging er weiter und die anderen folgten ihn im stillen, bis sie endlich das Haus erreichten, dass er als sein eigenes Heim vorstellet. An seiner Tür stand kein Zeichen, wie an den anderen, und Aya wusste, es lag daran, dass er noch nicht seine Auserwählte gefunden hatte.

Höflich öffnete Kurai die Tür und ließ die anderen eintreten. Sofort wurden sie von einer freundlichen und ruhig wirkenden Umgebung begrüßt. Die Wände waren alle im schönen Weiß gehalten und die großen Fenster hießen die Sonne herzlich willkommen. Der Eingangsraum war sehr groß, aber auch sehr karg eingerichtet. Eine Couch und einige Sessel standen um einen großen Tisch herum, während auf der anderen Wandseite vor dem Fenster ein länger Esstisch stand, umringt von Stühlen aus hellem Holz.

Doch Kurai hielt sich nicht lange in diesem Zimmer auf und führte die anderen in die geräumige Küche. Sofort schlug Ria vor, dass sie sich etwas kochen sollten. Seltsamer Weise befand sich im Kühlschrank frische Zutaten - wie es auch immer bei Lucio war. Während sie begannen das Essen herzurichten, wand Aya sich mit einer Frage an Kurai. “Du, Kurai. Mir kam es schon bei Lucio so seltsam vor. Aber jetzt fällt es mir erneut auf. Wieso ist euer Kühlschrank immer voll? Lucio wohnt tief im Wald, weit weg von Kaufläden, wie bekommt er frische Zutaten? Und du? Du bist seit geraumer Zeit nicht mehr hier gewesen. Jetzt kommen wir hierher und dein Kühlschrank ist voll.”

Kurai zuckte mit den Schultern, was sie nicht sah, da sie dabei war, Gemüse zu schneiden. Schon erhob er seinerseits das Wort, um ihr zu Antworten: “Wir haben so etwas wie einen Einkaufservice, so wie ihr Menschen auch. Nur, dass ich selbst nicht die Bestellung aufgegeben hab, sondern die Tiere der Nacht.”

“Die Wölfe”, schlussfolgerte Jackin.

“Ja. Bei mir sind es die Wölfe”, antwortete der Ältere.

Mit einem flauem Gefühl im Magen kochte Aya weiter. Sie machte sich noch immer Sorgen um Shinri, während dieser in dem Schloss gefangen gehalten wurde. Sie wollte so schnell wie möglich weitergehen, aber sie wusste, dass sie hier übernachten werden würden. Konnte sie dann auch einschlafen? Würde sie wieder von ihm träumen? Oh Gott, mach dass es Shinri gut ging!
 

Der Tag verging schnell und schon bald schien der Mond in das Haus hinein. Kurai hatte sie bereits nach dem Essen ins Bett geschickt, da sie alle die Zeit nicht unvergeudet lassen wollten. Doch als es auf Mitternacht zuging, schreckte Aya auf. Sie lag alleine in einem Gästebett - diese Haus hatte insgesamt zwei Gästezimmer und ein Schlafzimmer für den Hausherr. Ria und Jackin hatten sich ein gemeinsames Bett genommen.

Aya hatte bis vor kurzen noch tief und fest geschlafen, bis ein erneuter Alptraum sie heimgesucht hatte. Es ging um Shinri. Er rief nach ihr und schrie gequält. In ihrem Traum war er nicht in der alles umfassenden Dunkelheit gewesen, sondern in der Freiheit. Er hatte sich unter Schmerzen über das Laub bewegt, Kurais Haus entgegen, als suche er Schutz.

Es war ihr so real vorgekommen, dass sie die Decke zurückwarf und aufsprang. Schnell eilte sie die Treppen hinunter und in den großen Eingangsraum. Durch die weiten Fenster drang der Mond herein und erhellte ihn. Sie fand sich alleine wieder. Die anderen schienen nicht bemerkt zu haben, dass sie wach war. Sofort rannte sie auf die Fensterreihe zu und blickte hinaus auf die Wiesen. Ein Schock durchfuhr sie, wie ein Blitz. Auf dem Boden lag jemand und ihr Herz schien stehen zu bleiben.

Für einen Moment war sie wie gelähmt. Lag da wirklich jemand? Ja! Und es musste Shinri sein! Sie ließ sich keine Zeit und lief so schnell zur Tür, wie es ging. Draußen angekommen wehte ein kalter Wind und sie trug keine Jacke, aber das war ihr im Moment egal. Wenn es wirklich Shinri war, musste sie zu ihm!

Sie rannte um das Haus und auf die Wiese, die sie zuvor durch das Fenster betrachtet hatte. Der Mond beschien die Landschaft und der Wind fegte über die Wiesen und brachte kalte Luft mit sich. Es fröstelte sie, aber bei dem Gedanken, Shinri wieder zu haben, fiel ihr die Kälte überhaupt nicht auf.

Sie rannte über die Wiese an die Stelle, an der er sein musste, auf einmal blieb sie wieder stehen und erstarrte. Ihr Blick flog über das geschnittene Gras, dass in der Nacht fast schwarz wirkte. Weg! Shinri war nicht hier. Niemand war hier. Sie war ganz alleine in einer eiskalten Nacht.

Eine Welle aus Angst befiel sie und lähmte sie. Ihr Blick segelte durch die Gegend und sie suchte nach Gefahr. Sie fühlte sich beobachtet und nicht so alleine, wie sie eigentlich war. Das Einzige, was sie jetzt wollte, war zurück in das Haus zu gehen, aber als sie los schritt, hörte sie etwas rascheln. Irgendetwas bewegte sich durch das Gras und sie blieb erneut stehen. Ihre rehbraunen Augen suchten die Umgebung ab, aber noch immer fand sich nichts. Etwas streifte ihr Bein und eine erneute Welle der Angst durchfuhr sie. Sie war wie gelähmt.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag und ereilte sie erst, als sie sah, wie etwas versuchte über ihr Bein zu klettern. Schlangen! Von allen Seiten schlichen sie sich durch das dunkle Gras und waren praktisch unsichtbar. Nur das leise Knistern verriet sie und einige der Schlangen befanden sich direkt unter ihr. Schnell rannte sie los, um davonzukommen, aber sie schienen ihr zu folgen.

Eine umkreiste sie gerade, als sie schon auf die Nächste traf. Ihr Blick ruhte durchgehend im Gras, um den Schlangen zu entkommen. Sie wusste nicht, wohin sie lief, aber sie konnte ihren Blick nicht von ihren Füßen nehmen. Erst, als sie gegen etwas krachte, wurde sie zurück in die Realität gerissen. Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle, ohne dass sie die Kontrolle darüber hatte. Das etwas, dem sie gegenüber stand, war groß, schlank und warm. Lebendig. Sie blinzelte ängstlich hinauf.
 

“Guten Abend, mein Brüderchen”, grüßte eine kalte, gehässige Stimme Shinri. Eine Tür schwang auf und für einen kurzen Moment fiel der Lichtkegel auf ein Wesen, halb Mensch, halb Tier. Taiyo-Yoru trat ein und schloss hinter sich ab. Er betätigte den Lichtschalter und der gesamte Raum wurde erhellt. Das grelle Licht blendete das Wesen und es schloss sofort die nachtschwarzen Augen. Taiyo-Yoru ging ungerührt daran vorbei. Seine Schritte hallten auf dem stählernen Boden wieder. Der Raum war ausschließlich mit einem Tisch und einem Stuhl versehen. Es gab keine Fenster und die steinernen Wände waren feucht und kalt.

Er wand sich seinen Bruder Shinri zu. Shinri sah miserabel aus und Taiyo-Yoru freute sich darüber. Seine Kräfte ließen langsam nach. Die Einsamkeit zerfraß ihn von innen und machte ihn zu einer leeren Hülle, während sein Körper langsam die Wandlung hinter sich brachte. Die sonst so hübsche Haut war fast gänzlich mit schwarzen und dunkelgrauen Federn bedeckt. Nur an wenigen Stellen schien noch die helle Farbe durch. Auch sein Gesicht hatte sich zu einer grässlichen Fratze verzerrt. Mund und Nase wandelten sich bereits langsam in einen Schnabel um. Er war wirklich nicht schön anzusehen, dachte sich Taiyo-Yoru. Erst, wenn seine Wandlung vollendet war. Andererseits war es Shinri bis dahin vollkommen egal, denn dann hätte er seine Seele gänzlich verloren. Eine wundervolle Aussicht.

Shinri wand sich. Er hatte sich bereits an die Helligkeit einigermaßen gewöhnt und seine dunklen Augen funkelten Taiyo-Yoru wissend an. Noch hatte er sein eigenes Selbst behalten. Ein Blick in seine Augen sagte alles. Sie spiegelten Schmerzen, Wut und Einsamkeit wieder. Sie waren wunderschön.

Taiyo-Yoru trat auf seinen älteren Bruder zu und vor ihm in die Knie. “Na? Gut geschlafen?”, fragte er mit fast liebevoller Stimme und strich über die Federn, die einst Haare waren. Das schwarze Federkleid war samtig weich. “Yoru … verschwinde …”, zischte Shinri und stemmte sich unter größtem Kraftaufwand auf seine Arme. Er funkelte seinen kleinen Bruder erzürnt an. Auch, wenn er nicht mehr bei Kräfte war, so hatte er noch immer seinen eisernen Willen. Wenn er starb, dann mit den Gedanken an die Person, die ihm am meisten bedeutete. Aya.

“Shinri, mein süßer Bruder. Du siehst kläglich aus, weißt du das? Ich hab aber eine interessante frohe Botschaft für dich.” Die hinterlistige Schlange kicherte. Seine Hand legte sich auf Shinris Hinterkopf und zwang ihn zurück zu Boden. Der Ältere konnte nichts dagegen tun und wurde niedergedrückt. In seinem jetzigen Stadium der Wandlung war er kaum mehr in der Lage, sich zu bewegen. Die Arme hatten nun mehr die Form von Schwingen und seine Füße krümmten sich ebenfalls zu undefinierbaren Vogelstelzen. Ihm war es egal, wie er aussah.

Er schnaufte seinen Bruder verächtlich an. Zu etwas anderem war er nicht fähig.

Taiyo-Yoru sah ihn tadelnd an. “Willst du mir denn nicht zuhören?”, säuselte er und fuhr weiterhin über die hübschen Federn. Er wünschte sich sehnlich, dass sein großer Bruder endlich seine andere Form annahm. Er würde ein prächtiges Haustier abgeben. “Aya ist auf den Weg hierher”, erklärte er kurzerhand, da von Shinri nichts kam. Auch, wenn er nicht nachfragen wollte, sollte er es wissen. Schließlich konnte er ihm dadurch noch mehr seelisches Leid zufügen.

Shinri zog die Luft scharf ein. Aya! “Du lügst …” Er glaubte ihm nicht. Wie sollte Aya hierher gelangen? Dies war die Welt der Zomas. Gefährlich, düster und schwer zu finden. Es gab sehr wenige Eingänge. Selbst Shinri kannte nicht alle.

Zu seinem Entsetzten lachte Taiyo-Yoru auf. “Das ist kein Scherz, Brüderchen”, tadelte er ihn und rupfte eine Feder, die in Shinris Nacken wuchs. Es gefiel ihm, wie sein großer Bruder zusammen zuckte. Leise und kaum merklich, aber der Schmerz war da.

“Sie hat sich mit Kurai und Ria zusammen getan. Ein respektables Mädchen, wirklich. Es hätte sie so viel besser getroffen, wenn sie nicht deine sondern meine Auserwählte gewesen wäre. Aber ich möchte dich trösten. Ich werde sie nicht umbringen. Dafür wäre sie viel zu kostbar. Ich bräuchte noch eine Dienerin in diesem Schloss. Sie würde sich darin prächtig machen.” Er wollte Shinri alles nehmen. Auch, wenn er nicht mehr war, so konnte er ihm jetzt noch Schaden zufügen, bevor er seinen kompletten Verstand verlor.

Shinri liebte Aya, eine Tatsache mit der jeder Zoma zu kämpfen hatte, der seine Auserwählte fand. Yoru hatte niemanden. Aber schon bald würde er Aya besitzen. Alles Eigentum seines Bruder sollte an ihn gehen.

Shinri spürte Zorn in ihm aufsteigen. Er wusste, was sein Bruder vorhatte. Was er mit Aya vorhatte. Er wollte es nicht zulassen. Sie gehörte zu ihm und musste von ihm beschützt werden. Nein, er wollte ihm nicht glauben, aber jetzt spürte er es deutlich. Sie war in seine Welt übergelaufen. Sie befand sich nicht weit von hier. Wahrscheinlich in dem friedlichen Dörfchen, in dem Kurai sein Haus hatte.

Entsetzt starrte er den Boden unter sich an. Er musste etwas unternehmen, aber die Ketten hinderten ihn daran und sein Körper versagte. Er war hilflos und hasste sich dafür. Was war er für ein Herrscher, der nicht einmal seine Auserwählte rette konnte? Selbsthass zerfraß ihn und die Angst um Ayas Leben.
 

Ria schmiegte sich in Jackins Arme. Sie lagen im Bett und schliefen selig. Selbst im Traum atmetet Ria den Duft, der von Jackin kam, tief in sich ein. Er roch so gut. Das Gefühl der Geborgenheit hüllte sie gänzlich ein. Sie hätte auch noch lange so weiterschlafen können, wäre sie nicht so jäh aus ihrem Traum gerissen worden.

Ein Schrei hallte laut durch die Nacht. Es war eine weibliche Stimme und Ria saß sich wie vom Donnergerührt auf. Auch Jackin erwachte sofort und sprang gleich darauf aus dem Bett. “Was war das?”, fragte er Ria mit einem Blick des Entsetzten. Das Mädchen konnte nur die Schultern zucken, bis sie sich erinnerte, wer es sein könnte. Die Erkenntnis traf sie gleichzeitig. Sie sahen sich entsetzt in die Augen, als sie gleichzeitig flüsterten: “Aya.”

Schon stand auch Ria auf und folgte Jackin, der hinaus rannte. Er wollte in Ayas Zimmer eilen, als er Kurai erblickte, der die Treppen hinunter lief. Sofort folgten sie ihm. “Sie ist draußen!”, zischte Kurai fast wütend. “Was hat sie dort zu suchen?” Sie hielten sich nicht damit auf, aus dem Fenster zu sehen und rannten sogleich hinaus auf die Wiese. Sie hofften nur, dass es ihr gut ging.
 

Ayas Schock löste sich und es blieb eine Erleichterung. Als sie gegen ihn gelaufen war, hatte sie gedacht, es wäre ein Feind. Die Schlangen hatten sie so sehr verwirrt und ihr glauben gemacht, nur noch Gefahren würden hier lauern. Doch jetzt war sie angenehm überrascht und zutiefst erleichtert.

Sie hätte nie gedacht, ihm hier zu begegnen, wo sie ihn doch in der anderen Welt zurückgelassen hatten. Es war ein Segen, ihn genau jetzt zu erblicken und sie hatte auch nichts dagegen, dass er sie einfach auf seine Arme hievte und über die Wiese spazierte, ohne die Schlangen eines Blickes zu würdigen. Ja, sie freute sich sogar darüber. Ihre Rettung. Er konnte Shinri nicht ersetzten, aber er konnte ihr etwas Seelenfrieden schenken.

“Wie hast du uns gefunden? Wieso bist du uns gefolgt?”, wollte Aya wissen, während sie auf Händen zum Haus zurück getragen wurde. Dort erspähte sie auch schon die anderen an der Tür. Anscheinend hatte ihr Schrei alle aufgeschreckt und sie sahen äußerst verstört aus. Als sie aber Aya und die Person bei ihr erkannten, seufzten sie erleichtert.

Der Gefragte zuckte elegant mit den Schultern, obwohl er Last mit sich trug. Seine dunkelgrünen Augen wanderten über ihr Gesicht, als versuche er herauszufinden, ob es ihr gut ginge. “Es war eigentlich ganz einfach”, verkündete er. “Ich bin weiß wo Kurai wohnt und bin also hier her gekommen.” Er lächelte süß, bevor er an den anderen vorbei ins Haus schritt.

“Den Rest hätte ich auch laufen können”, erklärte Aya, als sie auf die Couch abgesetzt wurde. Sie war ihm dennoch dankbar und lächelte ihn freundlich an.

“Lucio?! Was hast du hier zu suchen?”, erklang Rias Stimme und die anderen folgten ihr in das Hausinnere. Lucio wand sich ihnen zu, setzte sich aber neben Aya auf die weichen Polster. “Mir war langweilig und ich wollte nicht nur dämlich zusehen, während ihr Rettungsaktionen startet”, erklärte er und lächelte den anderen zu, die sich ebenfalls zu ihnen an den Couchtisch gesellten.

Ein wissendes Nicken aus Kurais Richtung. Er wusste, was der andere Mann meinte. Doch wand er sich gleich darauf an Aya und sah sie finster an. “Und was hast du dort draußen zu suchen?! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst aufpassen?”

Aya schrumpfte in ihrem Selbstbewusstsein zusammen. Er hatte recht damit, dass er wütend auf sie war. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass Shinri nicht hier war. Sie hasste sich selbst dafür, so naiv gewesen zu sein. Dennoch versuchte sie sich zu erklären: “Ich … ich hatte einen Alptraum. Shinri war auf der Wiese und hat unter Schmerzen versucht, zu mir zu kommen. Deswegen bin ich hinunter gerannt und … ich hab wirklich jemanden gesehen! Jemand lag in der Wiese. Ich wollte zu ihm, aber dann war er auf einmal verschwunden und stattdessen … Schlangen!” Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und atmetet schwer. Sie hasste sich für ihre Naivität, aber sie hatte ihn nun mal gesehen. Hätte nicht jeder so gehandelt?

Kurai sah sie mit einem finsteren Blick an und schwieg. Es war Lucio, der die Stimme erhob und versuchte die bedrückende Stille zu brechen. “Ich finde, dass Aya wirklich nichts dafür kann. Sie ist eben auf Taiyo-Yorus Trick reingefallen. Er hat ihr den Traum geschickt. Wahrscheinlich war sie so sehr verwirrt, dass er ihr in das Gehirn gepflanzt hatte, sie würde die Person auf der Wiese sehen. Aber es wäre wirklich besser gewesen, jemanden von den andern bescheid zu geben, Aya. Was wäre passiert, wenn ich nicht in der Nähe gewesen wäre?”

Aya ließ die Hände sinken und sah schuldbewusst auf die Tischplatte. “Ja, ich weiß. Es tut mir leid. Ich hätte euch wirklich bescheid geben sollen.” Doch konnte sie es nicht mehr ändern und so wusste sie auch nicht, was sie noch hätte sagen sollen. Zum Glück sprach erneut Lucio und lenkte die Aufmerksamkeit aller auf sich.

“Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Aya ist in Sicherheit und da ist jetzt das Wichtigste. Da Taiyo-Yoru bereits von uns weiß, müssen wir ja nicht länger verstecken spielen. Ich nehme an, Shinri sitzt in dem Schloss gefangen?”

Ein zustimmendes Nicken von allen.

“Gut, dann lasst uns doch mal einen Plan auslegen. Ich hätte da schon ne kleine Idee, die uns vielleicht weiterhelfen könnte.” Lucios Energie färbte auf die andern ab und sein Lachen gab ihnen wieder neuen Mut. Sie setzten sich enger zusammen und begannen flüsternd über den Rest der Reise zu reden. Es stellte sich heraus, dass Lucio eine sehr große Hilfe dabei war. Das Ziel, Shinri zu retten, rückte immer mehr in Reichweite. Aya sammelte neue Hoffnung.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mayuki
2008-12-03T17:28:35+00:00 03.12.2008 18:28
Tolles Kapi ♥
Voll süß geschrieben q.q
Freue mich schon aufs nächste Kapi
Frage mich schon wer das ist der Shinri Aya wegnehmen will..
Nya sagsu sowieso nich also abwarten x'3
Mach weiter so *O*
hdggggdl x3
Von:  Sakura-Jeanne
2008-11-29T19:16:16+00:00 29.11.2008 20:16
hammer kaitel freue mich wenn es weite geht


Zurück