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Wolf - Lover

von

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Augenblicke

Das Copyright der Story liegt alleine bei mir. Sie darf nicht - auch nicht in Teilen - ohne mein Wissen und schriftliche Zusage anderweitig veröffentlicht oder auf sonstige Weise verarbeitet werden.
 

~ * ~
 

1.Kapitel: Augenblicke
 

"Siehst du sie?"

Der junge Mann, dem die Frage gegolten hatte, schwieg einen Moment, während er seine Blicke konzentriert über das weite Tal wandern ließ, das sich unter ihm und seinem Begleiter erstreckte.

"Nein," antwortete er, ohne sich zu seinem Gesprächspartner umzudrehen. "Sie werden heute wohl auch nicht mehr kommen - Es wird schon dunkel."

"Wir sollten zurück ins Dorf und Bescheid sagen." Der zweite junge Mann schulterte seinen Speer und ging Richtung Waldrand. "Ferlan, kommst du nun!?"

"Ja, sofort."

Trotz seiner vorangegangenen Worte blieb der Mann mit dem Namen Ferlan, still an seinem Platz stehen und starrte weiter unverwandt zu einer kleinen Baumgruppe, die inmitten des Tales stand. Ein leichtes Nebeltuch hatte sich über die Wiese gelegt und kündigte die hereinbrechende Nacht an. Die letzten Vögel flogen auf der Suche nach ihrem Schlafplatz, über die Bäume hinweg und fern am Horizont zogen bereits die ersten dunklen Wolken heran.
 

"Da! Schon wieder!", rief Ferlan aufgeregt und bedeutete seinem Begleiter, näher zu kommen.

"Was soll dort sein? Tyrna und seine Männer?", fragte dieser und postierte sich neben dem anderen. Auf den Speer gestützt folgte er Ferlans ausgestreckter Hand. "Ich sehe nichts!"

"Nein, nicht Tyrna. Irgendetwas war dort. Ich hab es genau gesehen..."

"Dann wird es wohl ein Tier gewesen sein, dass sich zwischen den Bäumen versteckt hat."

"Nein!" Ferlan schüttelte heftig seinen Kopf. "Es war kein Tier!"

"Dann war es eben kein Tier," fuhr der junge Mann den anderen verärgert an.

"Genauso wenig war es etwas anderes und wenn du jetzt nicht kommst, geh ich alleine nach Hause!"

Ein letztes Mal noch, wandte Ferlan seinen Blick zu der Baumgruppe und ärgerte sich darüber, dass sein Begleiter ihm nicht glauben wollte. Er war sich ganz sicher, dass er zwischen den herabhängenden Ästen ein Gesicht gesehen hatte, dass sie beide bewegungslos beobachtete. Doch kaum hatte er sich herumgedreht, um den anderen jungen Mann darauf aufmerksam zu machen, war es spurlos verschwunden.

"Aredh, warte!"
 

Atemlos kam Ferlan neben seinem Freund an, der schon ein gutes Stück vorausgegangen war, und bemühte sich darum, mit diesem Schritt zu halten. Geschickt wich er den ihm entgegenschlagenden Ästen aus, die der nun wieder ein Stück vor ihm gehende Aredh achtlos zur Seite schob.

"Sie sind schon so lange weg," begann Aredh nach einer Weile das Gespräch.

"Selbst wenn sie unterwegs aufgehalten wurden, müssten sie schon wieder hier sein. Ich weiß nicht, aber mir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass sie das Gebiet der Dardager durchqueren müssen."

"Anders geht es aber nicht," antwortete Ferlan und entfernte ein paar Blätter, die sich in seinen langen blonden Haaren verfangen hatten. "Im Moment herrscht Frieden und es besteht kein Anlass, dass sie unsere Männer nicht passieren lassen."

Aredh hatte sein Gesicht dem jungen Mann neben sich zugewandt und beobachtete diesen mit skeptischem Blick.

"Tyrnas Entscheidung wird schon die Richtige gewesen sein. Er würde niemals einen der Männer absichtlich in Gefahr bringen. Und schon gar nicht, in so einer Situation," fügte Ferlan noch hinzu.
 

Aredh blickte wieder vor sich auf den Weg, der sich, von einem ungeschulten Auge wohl leicht zu übersehen, zwischen den Bäumen hindurchschlängelte.

Er wusste, dass Ferlan Recht hatte. Tyrna war ein erfahrener Krieger und er spürte drohende Gefahr schon beim kleinsten Anzeichen. Mit ihm als Führer der Gruppe, waren sie gut geschützt. Außerdem war der Trupp mit zehn Mann groß genug, um sich im Notfall gegen etwaige Feinde zur Wehr zu setzen.

"Was ist, wenn die Seuche in den anderen Siedlungen genauso schlimm wie bei uns gewütet hat?"

Ferlan zuckte mit den Schultern. "Dann müssen sie sich wohl zu einem der anderen Stämme aufmachen. Ein bisschen Zeit bleibt uns noch."

"Heute morgen hat es Cals Familie erwischt. Eine Kuh und die letzten drei Ziegen, die sie noch hatten, lagen tot im Stall. Der Große Rat hat entschieden, dass man alle noch lebenden Tiere auf der Stelle tötet." Aredhs Gesicht verdüsterte sich bei dem Gedanken an die seltsame Krankheit, welche die Tiere ihrer Siedlung im letzten Winter befallen hatte und innerhalb von nur ein paar Monaten fast den ganzen Tierbestand dahin gerafft hatte. Selbst die gerade erst geborenen Jungtiere blieben nicht davon verschont, obwohl man die trächtigen Tiere von den anderen abgesondert und extra neue Ställe für sie gebaut hatte.

Doch alles blieb vergebens - Starben sie nicht schon im Mutterleib, so verendeten sie direkt nach der Geburt.

Auch nach etlichen verzweifelten Rettungsversuchen waren nur noch wenige Tiere übrig und selbst die traute man sich nicht zu schlachten oder gar zu melken, weil niemand wusste, ob die Seuche auch die Menschen befallen würde.

Nun war der Frühling fast vorüber und wenn sie nicht dafür sorgten, dass neue Herden gebildet wurden, hätten sie im kommenden Winter keine Fleischvorräte. Sie hatten schon jetzt fast kein Vieh mehr und nur von dem Getreide konnte sich kein Mensch einen ganzen Winter ernähren.

Deswegen hatte sich auch vor zwei Wochen der Dorfälteste dazu entschlossen, eine Gruppe Männer zu einem der anderen Stämme, mit dem sie schon länger Handel trieben, auszusenden, um dort Waren gegen Tiere zu tauschen.

Und auf die Rückkehr eben dieser Truppe wartete man in Ferlans Dorf schon ungeduldig.
 

Aredh und Ferlan traten aus dem Wald.

Vor ihnen erstreckte sich eine nach drei Seiten vom Wald umschlossene Lichtung, in deren Mitte sich ungefähr zwanzig kleine Häuschen dicht aneinander drängten.

Ein paar der Einwohner liefen geschäftig hin und her und bereiteten sich für die kommende Nacht vor. Hier und da konnte man jemand seinem Nachbarn eine gute Nacht zurufen hören und irgendwo bellte ein Hund. Hinter einigen der winzigen Fenster brannten bereits die ersten Lichter und erhellten ein wenig die schmalen, vom Regen der letzten Tage aufgeweichten Wege, die zwischen den Häusern hindurch führten.

Doch der Frieden trog - Das wussten alle hier.

Nur wenn man genau aufpasste, konnte man in den Gesichtern der Menschen die Sorgen ablesen, die so schwer auf ihnen allen lasteten.

,Hoffentlich haben Tyrna und die anderen etwas erreicht, sonst wird der Großteil der Kinder und Alten den kommenden Winter nicht überleben.' Ein flaues Gefühl machte sich in Ferlans Magengegend breit, als er an seine eigene Familie dachte.

Melva und Len, die Kinder seiner Schwester, waren gerade mal Fünf und fast zwei Jahre alt und durch den Nahrungsmangel des letzten Jahres sowieso schon viel zu sehr geschwächt. Noch so einen entbehrungsreichen Winter würden sie nicht überstehen.
 

"Bis dann", murmelte Aredh verabschiedend und nickte dem anderen kurz zu.

"Wir sehen uns morgen früh", Ferlan blieb vor einem der Häuser stehen. "Aber sei pünktlich!", rief er seinem Begleiter noch hinterher, der schon fast um die nächste Ecke verschwunden war und ihm die Antwort schuldig blieb.

Von einem knarrenden Geräusch begleitet öffnete sich die schwere Holztür und Ferlan trat ein.
 


 

Die Wärme des Feuers, das im Kamin loderte, schlug Ferlan entgegen und die Stimmen der spielenden Kinder vermischten sich mit dem geschäftigen Treiben der beiden Frauen, die dabei waren, das Essen zuzubereiten.

Ferlans Blicke blieben bei den beiden kleinen Kindern hängen, die auf einer bunten Decke in einer Ecke des Raumes saßen und in ihr Spiel vertieft waren.

"Ferlan!" Das größere der beiden Kinder, ein Mädchen mit langem dunklen Haar, kam strahlend auf den jungen Mann zugerannt, der es gerade noch schaffte seinen Speer zur Seite zu stellen, bevor die Kleine ihm, mit vor Freude geröteten Wangen, in die ausgestreckten Arme fiel.

"Na, kleine Melva", lachte Ferlan und hob das Kind hoch.

Fest schlangen sich die dünnen Ärmchen um seinen Hals und unter dem blauen grobgewebten Stoff konnte Ferlan jede einzelne Rippe des kleinen Mädchens spüren, die ihn wieder an die Not ihres Stammes erinnerten und das Lächeln für einen Sekundenbruchteil aus seinem Gesicht verschwinden ließ.

"Was hast du denn heute angestellt?" Ferlan bemühte sich, sich nichts von dem Kummer, den er in sich trug, anmerken zu lassen. Es reichte, wenn sich die Erwachsenen den ganzen Tag damit plagen mussten, wie es in der Zukunft weiter ging. Da sollten wenigstens die Kinder, die ja selbst die Zukunft des Stammes waren, von den Sorgen verschont bleiben.

Wer konnte schon voraussagen, wie lange das Lachen der herumtollenden Kinder in den engen Straßen ihrer Siedlung noch zu hören war...

"Gar nichts!", unterbrach Melva die düsteren Ahnungen ihres Onkels.

Das Mädchen lehnte sich auf Ferlans Arm etwas zurück und blickte ihn aus großen Augen vorwurfsvoll an. "Ich habe nichts angestellt!"

"Ich glaub es dir ja", Ferlan verbiss sich ein weiteres Lachen und setzte Melva ab, die sofort wieder in die Ecke des Raumes lief, aus der sie gekommen war und sich weiter mit ihrem Spielzeug beschäftigte.

Einen Moment noch sah Ferlan den beiden Kindern bei ihrem Spiel zu, bevor er sich seines Umhangs entledigte, den er über die eine Schulter trug. Ferlan ging hinüber zu der Kochstelle, von wo ihm schon seine Mutter und seine Schwester wartend entgegenblickten.
 

"Guten Abend, Mutter", begrüßte Ferlan die ältere Frau und küsste sie auf die Wange. "Hallo, Schwesterlein", sagte er zu der blonden jungen Frau gewandt.

"Hast du sie gesehen?" Erwartungsvoll sah ihn die jüngere der beiden Frauen an.

Ferlan schüttelte verneinend den Kopf. "Tut mir leid."

Bedana presste die Lippen fest aufeinander und wandte sich wieder dem Kamin zu, über dessen Feuer ein großer Kessel hing, in dem das Abendessen vor sich hin kochte.

"Mach dir keine Sorgen. Es wird ihm schon nichts passiert sein", versuchte Ferlan seine Schwester zu trösten. "Tyrna ist verantwortungsbewusst. Sonst hätte ihn Barneagh nicht zum Anführer der Krieger ernannt. Außerdem," Ferlan schlang seine Arme um die Taille seiner Schwester und wirbelte sie ein Stück herum, "Außerdem hat er hier drei der wertvollsten und wichtigsten Gründe, lebend wieder zurückzukommen."

Unwillkürlich musste Bedana lachen.
 

Ferlan setzte seine Schwester wieder ab und drehte sie zu sich herum, so dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. "Oder hab ich etwa nicht Recht?!"

"Doch, schon." Bedana wischte sich die Tränen aus den Augen und blickte ihren Bruder tapfer an. "Wie dumm von mir, an ihm zu zweifeln."

"Nein, es war nicht dumm." Ferlan nahm den kleinen Jungen, der mit unsicheren Schritten zu ihnen gelaufen kam auf den Arm und gab ihn an seine Schwester weiter. "Du sorgst dich nur und das ist ganz normal. Schließlich hast du die beiden Kinder noch, die du dann alleine großziehen müsstest."

Bedana drückte den Jungen fest an sich und vergrub ihr Gesicht in den hellen, weichen Haaren des Babys.

Die alte Frau stellte eine große, dampfende Schüssel auf den Tisch und hob die kleine Melva auf ihren Stuhl. "Jetzt essen wir zuerst einmal und hinterher erzählt uns Ferlan, was er heute alles erlebt hat."

Der junge Mann blinzelte seiner Schwester zu. "Wir sollten tun, was sie sagt, sonst müssen wir ohne Abendbrot ins Bett. Genau wie früher."

Mit gespieltem Ernst schlug die ältere Frau ihrem Sohn auf die Finger, die nach dem Inhalt der Schüssel griffen. "Denk nur nicht, dass du schon zu alt wärst, um von mir bestraft zu werden!", lachte sie und strich ihm durch die Haare.
 

Bedana sah den Beiden lächelnd zu - Dankbar, so eine Familie zu haben, die ihnen im Notfall Rückhalt gab, ohne jemals eine Gegenleistung dafür zu fordern.

Ihre Blicke fielen aus dem Fenster.

Was wäre, wenn Tyrna wirklich nicht mehr zurückkommen würde? Die Kinder... das Haus...

Bedana schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Wert, sich wegen etwas verrückt zu machen, für das es keine Gründe gab. Sie legte ein kleines Kissen auf einen der Stühle und hob ihre Tochter darauf.

Nacheinander setzten sich auch Ferlan und ihre Mutter an den Tisch und als man zu essen begann, kehrte Schweigen in die kleine Hütte ein - nur von dem Klappern des Bestecks und des Geschirrs unterbrochen.
 

"Komm mal her, Melva."

Das kleine Mädchen blickte fragend von Ferlan zu seiner Mutter und erst als diese mit dem Kopf nickte, stand es auf und lief um den Tisch herum zu dem jungen Mann.

Ferlan griff nach dem kleinen Beutel, den er an seiner linken Seite an einem ledernen Gürtel trug. Er öffnete den Beutel und als er seine Hand wieder hervorzog und sie dem kleinen Mädchen hinhielt, wurden dessen Augen vor Erstaunen immer größer und ein strahlendes Lächeln zog sich über das kleine runde Gesicht.

"Ist das... für mich? Wirklich?" rief Melva ungläubig und ballte ihre Händchen zu Fäusten - hin und hergerissen, ob sie nun nach dem bunten Gegenstand in der Hand ihres Onkels greifen sollte, oder nicht.

"Natürlich ist es für dich!" Ferlans Augen blitzten amüsiert auf. "Ich glaube, die anderen würden mich auslachen, wenn ich das selbst tragen würde."
 

Weil Melva immer noch still vor ihm stand und stumm das Geschenk betrachtete, griff Ferlan mit seiner freien Hand nach dem bunten Etwas und hielt es, mit einer Hand an jeweils einem Ende festhaltend, Melva vor das Gesicht.

Sachte legte er die Kette, die aus einer Reihe erbsengroßer bunter Glasperlen bestand, um den Hals des Mädchens und verband die beiden Enden miteinander.

"Ferlan!", wandte Bedana ein, doch der junge Mann beachtete seine Schwester nicht weiter.

Zufrieden sah er Melva zu, wie sie mit ihren kleinen Fingern andächtig über die schillernden Perlen strich und sie betrachtete, als könne sie noch immer nicht fassen, dass die Kette nun ihr gehören sollte.
 

"Danke schön." Melva reckte sich empor und flüsterte Ferlan die Worte ins Ohr.

"Gern geschehen. Pass schön darauf auf, ja?!" Ferlan drückte die Kleine einmal fest an sich und ließ sie dann wieder frei.

Eilig rannte Melva zu ihrer Mutter.

"Schau mal", sagte das kleine Mädchen aufgeregt und zeigte ihr stolz das bunte Schmuckstück, das sich um ihren Hals wand.

Bedana beugte sich herab und besah sich die Kette, die ihre Tochter in so große Begeisterung versetzt hatte.

"Sehr schön", sagte Bedana anerkennend und warf ihrem Bruder, von der Kleinen unbemerkt, einen tadelnden Blick zu.

Der jedoch zuckte nur unschuldig mit den Schultern. Das Grinsen, das sich auf seinem Gesicht auszubreiten drohte, ließ sich nur schwer verbergen und deshalb fuhr Ferlan damit fort, in seiner Tasche nach etwas zu suchen.
 

Bedana hatte dem aufgeregten Plappern ihrer Tochter nur mit halbem Ohr zugehört und schrak erst zusammen, als diese mit lauter Stimme zu schimpfen anfing.

"Nicht, Len!" Bedana entfernte vorsichtig die winzigen Hände des Jungen, die sich um die Kette seiner Schwester geschlossen hatten und daran zogen.

Ein protestierendes Weinen war die Antwort, als der Kleine sich dem glitzernden Objekt seiner Neugier beraubt sah.

"Hier, Len." Ferlan streckte seinen Arm über die Tischplatte hinweg, dem weinenden Kind zu. "Das ist für dich."

Len hörte mit dem Weinen auf, als er die Stimme hörte und die Hand sah, deren Bewegung seine Aufmerksamkeit erregte. Die Tränen, die noch über die roten Wangen kullerten versiegten, ohne dass neue folgten und der Mund, der bis eben noch so herzzerreißende Töne von sich gegeben hatte, verzog sich zu einem Lächeln.

Aufgeregt klatschte Len in seine kleinen Hände und griff nach dem Spielzeug, das ihm der Mann entgegenhielt. Seine großen grauen Augen glitzerten vor Begeisterung, als er damit begann an der Schnauze des Stofftieres zu knabbern.

Ferlan setzte sich zurück auf seinen Platz und sah, absichtlich die Blicke seiner Schwester ignorierend, den beiden Kindern zu, wie sie sich an ihren neuen Besitztümern freuten. ,Selbst wenn ich lügen muss, werde ich ihnen nicht sagen, wie schlecht es in Wirklichkeit um die Siedlung steht,' dachte Ferlan bei sich.

"Ich geh schlafen", sagte er laut und erhob sich von seinem Sitzplatz. "Morgen früh muss ich wieder zeitig aufstehen."

"Gute Nacht." Die alte Frau fuhr ihrem Sohn, der sich zu ihr herabgebeugt hatte, über den Kopf und erwiderte den Kuss, den ihr dieser auf die Wange gedrückt hatte.

Ein letztes Mal noch nickte Ferlan seiner Schwester und den beiden Kindern zu, bevor er hinter dem Vorhang verschwand, der sein eigenes kleines Zimmer von dem übrigen Raum trennte.
 

Fahles Licht fiel von draußen durch das winzige Fenster und erhellte den Raum nur spärlich, aber immer noch genug, um die Hand vor Augen zu erkennen.

Müde ließ sich Ferlan auf sein Bett nieder, das aus einem dünnen, aber dennoch stabilen Holzrahmen und einer mit Stroh gefüllten Matratze bestand.

Ferlan öffnete den Verschluss seines Hüftgürtels. Den in einer mit Stickereien verzierten Hülle steckenden Dolch, den er an seinem Gürtel trug, legte er auf die Sitzfläche des Stuhles, der neben seinem Bett stand. Dann zog er das langärmelige Oberhemd aus und hängte es über die Lehne des Stuhles.

Ein kleines grünes Blatt segelte zu seinen Füßen und Ferlan hob es auf.

Gedankenverloren drehte er es zwischen Zeigefinder und Daumen hin und her. Er wusste zwar nicht wieso, aber es erinnerte ihn wieder an die seltsame Person von heute Abend.

Ferlan erhob sich von seinem Bett und trat an das winzige Fenster.

Langsam schob er den Vorhang zur Seite und blickte nach draußen.
 

Die kühle Nachtluft wehte Ferlan ins Gesicht und ließ ihn im ersten Moment frösteln. Seine Blicke gingen zum Himmel.

Vereinzelt blitzten ein paar Sterne zwischen schnell vorbeiziehenden Wolken hervor, bevor sie wieder verschwanden.

,Morgen wird es wohl regnen', dachte Ferlan bei sich, als seine Augen dem wilden Treiben der Wolken folgten, die sich immer dichter auftürmten und jeden weiteren Blick auf die blinkenden Himmelskörper verhinderten.

Ferlan atmete tief die klare Nachtluft ein und hing seinen Gedanken nach.

Die sich sanft hin und herwiegenden Wipfel der Bäume des nahen Waldrandes hoben sich schwarz gegen den dunkelblauen Nachthimmel ab und irgendwo im Unterholz raschelte es geheimnisvoll.

Ferlan streckte seinen Arm aus dem winzigen Fenster und ließ das Blatt fallen.

Lautlos sank es zu Boden.

Der junge Mann seufzte leise.

Egal, was Aredh auch behauptete, er hatte heute Abend jemanden zwischen den Bäumen gesehen und es war kein Tier. Die Augen und deren Blicke verfolgten ihn noch immer. Selbst jetzt sah alles noch deutlich vor sich - Die herabhängenden Äste der Bäume und wie sie sich zur Seite schoben. Das Gesicht, das dahinter erschien und im nächsten Augenblick, als es bemerkte, dass der junge Mann es gesehen hatte, sofort wieder verschwand und nicht mehr auftauchte.

Zuerst hatte Ferlan jemanden aus einem der anderen Stämme hinter der rätselhaften Person vermutet, ein Spion vielleicht. Doch die Entfernung zwischen ihnen und der nächsten Siedlung betrug mindestens einen Tagesmarsch zu Fuß und im Moment herrschte Frieden und es bestand kein Anlass, sich so verdächtig zu benehmen. Nur, wer war diese Person?

Ferlans Kopf schmerzte und er rieb sich über die müden Augen.

Weil er ja heute doch zu keinem befriedigendem Ergebnis kommen würde, beschloss Ferlan, endgültig mit dem Grübeln aufzuhören und sich statt dessen schlafen zu legen. Er streckte seinen Arm nach draußen und ergriff den hölzernen Laden, der an der Seite des Hauses befestigt war, um das Fenster vor dem drohenden Unwetter zu verschließen.
 

Ferlan ließ sich mit Schwung auf sein Bett fallen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.

Mit einem Mal spürte er sehr deutlich, wie müde er in Wirklichkeit war. Er merkte, wie die Muskeln seines Körpers sich entspannten und das ganze Ausmaß der Erschöpfung in ihm hoch kroch und ihm die Augenlieder schwer werden ließ.

Das letzte, was Ferlan noch mitbekam, war, als Bedana und die Kinder sich verabschiedeten und das Haus verließen. Dann fielen ihm die Augen endgültig zu und im nächsten Moment war er eingeschlafen.
 

~ * ~
 

"Ferlan!"

Die laute Stimme und das Poltern des Fensterladens, schreckten den jungen Mann aus seinem unruhigen Schlaf und ließen ihn aufrecht ihm Bett hochfahren.

"Was...?" Verwirrt blickte Ferlan um sich. Von der ungewohnten Helligkeit, die durch den geöffneten Laden schien geblendet, hielt er sich eine Hand schützend vor die Augen.

"Was ist los? Hast du vergessen, dass wir noch etwas zu erledigen haben?!"

Ferlan, der die Stimme nun erkannt hatte, ließ sich wieder zurück in das Bett sinken. "Aredh! Kannst du nicht wie jeder normale Mensch durch die Haustür hereinkommen? Jedes mal dasselbe!"

Schadenfrohes Gelächter war die Antwort auf die Beschwerde des jungen Mannes. "Dann müsste ich ja auf deine liebevolle Begrüßung verzichten."

"Ach, hau ab!", knurrte Ferlan müde und drückte sein Gesicht ins Kissen.

"Zieh dich warm an! Es hat die Nacht über geregnet und jetzt sieht es auch nicht aus, als würde die Sonne den ganzen Tag scheinen."

Aredhs Kopf verschwand vom Fenster und Ferlan konnte hören, wie sich dessen Schritte langsam entfernten.

"Wie fürsorglich von dir", grummelte der Geweckte vor sich hin, bevor er sich langsam aus dem Bett quälte.

Noch immer fühlte sich Ferlan etwas matt, obwohl er lange genug geschlafen hatte. Seltsame Träume hatten ihn ein paar mal aufgeweckt, aber die Müdigkeit, die weitaus größer war, ließ ihn jedoch wieder ohne Probleme einschlafen.

Nur ganz vage erinnerte sich Ferlan an die Angst und die verwirrenden Bilder aus den Träumen, die jetzt, bei Tageslicht betrachtet, etwas von ihrem Schrecken verloren hatten.
 

Ferlan zog sich seine Hose an, wand sich den ledernen Gürtel um die Hüfte und befestigte den kleinen Dolch daran. Dann schlüpfte er in seine Stiefel, die neben dem Bett standen, schnappte sich ein frisches Hemd und verließ sein Zimmer.

Suchend blickte sich Ferlan draußen im Wohnraum um, doch niemand war zu sehen. Im Kamin brannte zwar Feuer, aber ansonsten war keine Spur von seiner Mutter oder Bedana zu entdecken.

Sich sein Hemd über den Kopf streifend, trat Ferlan an den Esstisch heran und hob den Deckel von einer der Holzschüsseln, die darauf standen. Nicht sonderlich hungrig, ließ er den Deckel gleich darauf wieder sinken, nahm sich stattdessen nur ein Stück trockenes Brot und ging zur Tür.
 

Das Brot im Mund, den Speer in der einen und seinen Überwurf aus blauem Leinen mit der anderen Hand festhaltend, schlenderte Ferlan gemächlich um ihr Haus herum.

"Du warst schon schneller!", wurde er von Aredh begrüßt, der es sich auf einem Stapel mit gehacktem Holz bequem gemacht hatte und die geschlossenen Augen der aufgehenden Sonne entgegen wandte.

"Und du schon einfallsreicher mit deinen Begrüßungen!", konterte Ferlan. Er ging zu einem großen Bottich mit Wasser, legte den Speer und seinen Überwurf zur Seite und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch, um dann beide Arme in das eiskalte Nass zu tauchen. "Wo fangen wir heute an?", fragte Ferlan seinen Freund, während er sich eine Hand voll Wasser ins Gesicht spritzte.

Aredh sprang von seinem Sitzplatz herab und griff nach seinem Speer. Goldene Strähnen glitzerten im ersten zögerlichen Licht der Morgensonne und verliehen seinen hellbraunen Haaren ein strahlendes Äußeres. In seinen blauen Augen blitzte es unternehmungslustig als er sagte: "Wir sollen zuerst zu Barneagh kommen. Er wird uns dann alles erklären."

Ferlan nahm ein Tuch, das an einem Seil über dem Bottich hing und trocknete sich damit ab. "Wahrscheinlich sollen wir wieder nach der Truppe Ausschau halten, wie die letzten drei Tage auch schon", murmelte er etwas gelangweilt und schob sein Hemd unter dem Gürtel hindurch.

Ferlan zog den Saum des Hemdes glatt nach unten und rückte den Ledergürtel in seine richtige Position. Dann warf er sich den blauen Überwurf über die Schultern und verschloss ihn sorgfältig mit einer bronzenen Spange an der Vorderseite.

"So, wir können los", sagte Ferlan voller Tatendrang und schulterte seinen Speer.
 

~ * Ende - Kapitel 1 * ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kitty
2005-02-16T19:55:59+00:00 16.02.2005 20:55
Juhu, jetz hab ich endlich das erste Kapitel gelesen!! ^__^ (oO gott, bin ich lahm)... ich find du kannst total gut beschreiben!! Das ist echt der hammer, mir gefällt dein Schreibstil! Vorallem der kleine Neffe von Ferlan (hieß er so, ich hab ein furchtbares Namensgedächtnis...) wie er nach der Kette greift und so, das konnt man sich so richtig vorstellen. Total süß klang das^^
Ich werde bald weiterlesen... bloß hab ich jetz nich viel Zeit =.= Also denn bis zum nächsten Kapi^^
Von: abgemeldet
2004-10-10T06:08:57+00:00 10.10.2004 08:08
Kuckuck!!

Bevor die FH morgen losgeht noch mal ein Komentar von mir!!
Also:
Schon allein die Namen!!
Klasse!!
Woher hast du die??
Sie gefallen mir total!! *nick*
Und dann mal wieder deine Beschreibungen...Zum Beispiel "Ein kleines grünes Blatt segelte zu seinen Füßen und Ferlan hob es auf.
Gedankenverloren drehte er es zwischen Zeigefinder und Daumen hin und her." Einfach klasse!! Kaum Wörter und trotzdem entsteht dabei eine Atmosphäre....Ich bin echt begeistert!! ^^
Hoffentlich komme ich bald wieder zum Lesen...^^''
Bye

Pitri
Von:  Ixtli
2003-02-11T20:13:00+00:00 11.02.2003 21:13
Hallo!
Lieben Dank für den Kommentar ^__^
Stimmt schon, ist schon 'ne ganz schöne Arbeit beim Zirkel. Gerade, weil es so viele Stories sind und man am Anfang echt den Überblick verliert. Aber, mach dir keinen Stress, die Geschichten laufen ja nicht weg und man muss ja nicht alles von jedem kommentieren - Zumindest nicht an einem Tag ( oder Jahr *ggg*). Meine Gundam Wing FFs kann man ruhig übersehen/lesen; die sind nur zum Spaß geschrieben und z.T. ohne viel Gedanken darüber gemacht zu haben ^___^

Mit den Charas am Schluss hast du natürlich vollkommen recht. Das war etwas unsinnig, weil es ja von der Logik her uninteressant ist, bis die Leute tatsächlich auftauchen ^__^

Die Zeit in der Ferlan wohnt hab ich auf ungefähr 200 - 250 nach Christus datiert und das liegt dann noch in der Bronzezeit ( hoff ich doch ^^;;;). Ich hab mir, um das Leben der Leute damlas etwas besser nachvollziehen zu können, die ersten beiden Teile der Serie " Sturm über Europa" gekauft und versucht, so viel zu merken, wie es ging *ggg*
Glas galt damals als übliches Tauschmaterial ( eben auch als Perlen für Schmuck), Besteck dürften sie auch schon gehabt haben und beim Stofftier vermute ich mal, dass das auch hinhauen müsste. Leder war ja gebräuchlich.
Aber das ist schon ganz schön anstrengend, in einer anderen Epoche zu " denken" und zu handeln. Ich musste z.B. aufpassen, dass niemand fragt, wieviel Uhr es ist, oder so XD

So, und ich hüpf dann mal zur nächsten Antwort *g*. Bis dann ^^
Von: abgemeldet
2003-02-11T16:45:32+00:00 11.02.2003 17:45
Hi! ^-^

Zu den Stories der Mitglieder vom FF-Zirkel mein erstes Kommentar *schwitz* Ich komm mit dem Lesen einfach nicht hinterher und weiß dann nicht mal, wo ich anfangen soll ... also hab ich mir einfach deins rausgegriffen ^.-

Die Story finde ich gut, ich mag vor allen Dingen deinen Schreibstil. Bildreich, aber schlicht, genauso mag ich das. Gefällt mir außerordentlich gut ^-^
Nur was an mir nagt (und hier hört die konstruktive Kritik auch schon auf, glaub ich) wann ist die Bronzezeit? Oo Ich weiß nicht, wo ich das einordnen soll, und das irritiert mich (Stofftiere, Besteck, farbiges Glas, etc pp, hatten die das damals schon alles oder verwechsle ich da ein paar Epochen? ^^""")

Sooo, gerade fertig gelesen ^-^Ich fands klasse, nur wieso hast du im Appendix schon andere Charaktere verraten, die noch gar nicht vorkamen? Oo Na ja, ich mach mich jetzt mal an die nächsten Teile *knuddl*
Von:  julianehahn
2002-11-10T17:05:39+00:00 10.11.2002 18:05
wow, kuhl!!! fehler hab ich jez keine gefunden und die story gefällt mir voll gut! ^__^ hehe, ich mach mich mal an den 2ten teil der story ^^


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