Entscheidung
Ganz ruhig ließ sich Tao Huzara in die Lehne seines roten
Stuhls fallen. Ein tiefer Seufzer entwand sich seiner Kehle. Tao nahm kurz
seine Brille ab, um sich die Augen zu reiben.
"Hole Stefano und bringe ihn her.", befahl er dem
jungen Kerl, der gebückt vor ihm stand und sich sofort auf dem Weg machte.
Tao drehte sich in seinem Stuhl und wandte sich der
Fensterwand hinter sich zu.
Eine kurze Weile später erschien der Junge von vorhin erneut
vor dem großen Schreibtisch und hinter ihm ein etwas älterer Mann mit schwarzen
gelockten Haaren und Kinnbart.
"Geh.", sagte Tao knapp und der Junge verschwand.
Eine Stille herrschte im Raum, bis Stefano nörgelte: "Was
willst du?"
"... Es tut mir ja im Herzen weh, aber das ist dein
Ziel.", sagte Tao, als er sich wieder dem Tisch und Sven zuwandte und ein
Foto auf dem Tisch legte.
Dieser nahm das Foto und schaute es sich an. Dann wurden
seine Augen groß.
"Wirklich?!"
Tao sah ihn mit kalten Augen an. Mehr nicht und Stefano wusste
Bescheid und zog sich zurück. Tao schaute nur hinterher.
***
Andernorts begann die Sonne erst zu scheinen und strahlte
hell in die Zimmer herein. Sanft kitzelten sie die Nase von Takaru, die dadurch
langsam, aber sicher wach wurde. Mit ihrer Hand rieb sie sich ihre roten Augen,
die sich anscheinend wegen gestern immer noch nicht richtig erholten.
Takaru richtete sich auf, während ihr bewusst wurde, was
gestern wirklich geschah.
"..Ihr Blick war so traurig..."
Plötzlich erschien Chieco aus dem Bad und hatte ihren
schwarzen Anzug an. Takaru wurde augenblicklich rot, konnte ihre Augen nicht
von ihr abwenden. Irgendwas wollte sie sagen, doch ihr fiel nichts ein.
Schweigen herrschte im Raum.
"Geh dich anziehen!", unterbrach Chieco im
barschen Ton auf einmal die Stille.
Etwas perplex über den harten Befehlston begann Takaru sich
also anzuziehen. Schnell noch Zähne geputzt und in die Jacke geworfen, war sie
auch fertig. Währenddessen lehnte sich Chieco ans Fenster und schaute raus. Mit
berechnendem kühlem Blick checkte sie die Umgebung ab. Takaru sah sie an und
hatte nur den Wunsch ihr nahe zu sein. Dieser Wunsch war so stark, dass sie gar
nicht bemerkte, wie sie sich Chieco immer mehr näherte, bis sie sie fast
berührte. Sanft hob Takaru ihre Hand, doch wie aus dem Nichts starrte Chieco
sie böse an. Ihr Blick war noch kälter und härter, als er vorher je war. Takaru
erstarrte in ihrer Bewegung und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Chieco schaute indes wieder nach draußen und ignorierte Takaru gänzlich. Diese
verstand im Moment nicht, was gerade passierte. Nur ein ganz schlimmes Gefühl
wühlte in ihrem Inneren: Einsamkeit. Sie zog ihre Hand wieder zurück. Die
Tränen, die ihr hochstiegen, unterdrückte sie mit Gewalt.
"Los!", blieb Chieco auch weiterhin kalt und
öffnete die Tür.
Takaru versuchte, diese Gefühle abzuschütteln. Sie musste
sich konzentrieren, denn sie hatten eine Mission und es ging um ihr Leben.
Schnell machten sich Takaru und Chieco auf dem Weg. Sie
fuhren mit der Straßenbahn, mit Zügen und ausgeliehenen Fahrrädern, bis sie
endlich an ihr Ziel gelangten. Einer Sackgasse. Takaru wunderte sich. Was will
Chieco hier? Diese ging schnurstracks weiter rein, bis sie an einer bestimmten
Stelle zwischen einer Mülltonne und Müllsäcken Halt machte. Sie tastete die
Wand vor sich ab, als sie den gesuchten Schalter schließlich fand und diesen
betätigte. Plötzlich knirschte und brummte es laut und eine Spalte bildete sich
in der Wand. Die Wand bewegte sich nach vorne, bevor sie dann zur Seite
rutschte und einen geheimen Gang freigab. Takaru machte große Augen.
“Ich dachte, so was gibt es nur im Film? Aber mein Leben
ist eh schon längst nicht mehr normal…“, dachte Takaru mit verzogenem
Gesicht.
Chieco ging zuerst rein, stets in Alarmbereitschaft, direkt
hinter ihr Takaru. Der Gang war dunkel und feucht. Auch Chieco ging langsam
Schritt für Schritt nach vorne. Nach ein paar weiteren Metern sahen sie ein
helles Licht und erreichten den Ausgang. Takaru machte große Augen. Vor ihr
erstreckte sich ein großer Raum, durchflutet im Licht von Neonröhren und
überfüllt von so vielen hellblau oder schwarz leuchtenden Gegenständen, von
denen Takaru keine Ahnung hatte, was und wofür sie waren. Chieco und Takaru
standen zudem noch auf einer Terrasse einen Stock höher, aus dem sie in diesem
Raum herunterschauen konnten.
„Na, hast du endlich hierher gefunden, Chieco?“, erklang
eine tiefe raue und brummende Stimme, wodurch Takaru erschrak.
Sie versuchte, die Stimme zu orten und blickte nach unten.
Nur schwach konnte Takaru schemenhaft einen Mann hinter all diesen Sachen
erkennen. Chieco antwortete nichts und ging stattdessen die Treppe herunter,
die am linken Ende der Terrasse nach unten führte. Takaru folgte ihr.
„Schweigsam wie eh und je.“, kommentierte der Mann.
Unten angekommen konnte Takaru den Mann genauer sehen. Er
war ungefähr Mitte vierzig, seine noch braunen Haare bildeten sich schon
zurück, was er wohl mit seinem großen Bart auszugleichen versuchte, trug eine
schwarze Brille und ein einfaches T-Shirt, hatte so einige Kilos zuviel auf den
Rippen und saß auf einem Bürostuhl am Tisch, vor ihm lauter hell leuchtende
Computer und technische Konstrukte.
„Nanu, was haben wir denn hier? Du bist ja eine Schönheit!
Wie heißt du denn?“, sprach er aufgeregt und machte Takaru offensichtlich an,
nachdem er sich zu den beiden in seinem Stuhl umdrehte. Diese war perplex und
wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
„Äh… Was? Äh, Takaru…“, erwiderte sie verwirrt.
„Das ist doch ma´ ein schöner Name, findest du nicht,
Chieco?“, fragte er Chieco.
„Rob…“, sagte sie mit bedrohlichem Knurren. Er verstand
sofort und zog sich zurück.
„Also… was ist dein Begehr?“, fragte Rob vorsichtig.
„Sag mir, wer hinter dem Bombenanschlag im Supermarkt
steckt!“
Rob nickte wissend und drehte sich zu seinem Computer um,
tippte etwas ein und antwortete flüsternd: “Du weißt, das sag´ ich jetzt nur,
weil ich was bei dir noch gut hab´… Also, wie du wahrscheinlich schon weißt,
der Bombenanschlag wurde sorgfältig vorbereitet… und zwar von uns…“
„Und weiter?!“, fragte Chieco sichtlich gereizt.
Rob zögerte.
Plötzlich explodierte die Wand hinter den dreien! Teile der
Wand flogen durch die Luft. Es knallte laut und der ganze Raum war von Rauch
benebelt. Chieco schaute umher. Takaru ging es gut, doch Rob hatte es erwischt!
Blut tropfte von seinem Kopf und er lag halb bewusstlos auf der Lehne seines
Stuhls. Chieco fluchte und riss ihn zu sich.
„Rob! Sag was!“, brüllte sie ihn an.
„…Schnell… ihr-ihr…abhauen… sonst… alle in Gefahr… T-T-…“,
flüsterte Rob.
Auf einmal fielen Schüsse. Chieco drückte Takaru runter, die
starr und perplex war. Dann schaute Chieco hoch und als sie die Schusswunde im
Robs Kopf sah, fluchte sie erneut.
„Schnell weg von hier!!“, brüllte Chieco und schubste Takaru
nach vorne zu einem Ausgang. Es fielen weitere Schüsse, während sie weiter
rannten und Takaru sich die Lunge aus dem Leib lief. Sie dachte an nichts und
war nur voller Angst. Chieco und Takaru rannten durch viele Gänge, mal rechts,
mal links und auch wieder zurück. Sie wurden von Jemandem verfolgt, der
unaufhörlich auf sie schoss. Chieco schoss mit ihrer Waffe einmal zurück und
hörte nur ein klingendes hohes Geräusch, bevor sie sich umdrehte und weiter
Ausschau nach Takaru hielt. Dann erschien es am Ende eines Ganges hell und sie
haben es irgendwie heil nach draußen geschafft.
„Weiter!“, befahl Chieco und sie beide rannten auf die
Straße, dann um die Ecke, so weit, wie sie konnten bzw. wie Takaru nur konnte
und machten in einer anderen Sackgasse halt. Beide atmeten heftig und rutschten
an der Wand ab, um sich hinzusetzen. Plötzlich übergab sich Takaru und wandte
sich rechtzeitig zur Seite ab. Das war zu viel für sie gewesen. Chieco
reagierte nicht und das verletzte Takaru sehr. Tränen mischten sich ins
Erbrochene. Nachdem ihr Magen völlig leer war, lehnte sich Takaru zurück, aber
nicht ohne vorher die Tränen wegzuwischen. Sie schaute zu Chieco, die ihr eine
Wasserflasche in der Hand vor der Nase hielt. Takaru war überrascht. Deshalb
reagierte Chieco nicht, sie war Wasser holen gewesen! Etwas zögerlich nahm sie die
Wasserflasche und trank daraus einen wohltuenden Schluck. Takaru begann erneut zu
Weinen an. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte
zwischen den Schlucken.
„Wir haben ein ernstes Problem...“, sagte Chieco nachdenklich und mit vollem Ernst.
Sie reagierte nicht weiter auf das Schluchzen von Takaru. Takaru versuchte sich schon von allein zu beruhigen, auch wenn ihr das aber nur einigermaßen gelang.
„Wieso?“, fragte sie.
„Der, der hinter uns her war, war Stefano, ein hochklassiger Elite-Killer, der nur zu besonders schwierigen Fällen gerufen wird. Seine Erfolgsrate beträgt zu fast 100%...“
Takaru bekam Angst und wurde unruhig.
„Chieco, warum?! Ich will nicht sterben!“, schrie Takaru schon fast panisch und klammerte sich an Chieco. Tränen liefen jetzt unaufhörlich ihren Wangen herunter.
„Was habe ich denn Jemandem angetan! WARUM?!!!“
Ein kalter Schauer überlief Chiecos Rücken und es wühlte in ihrem Inneren.
„Das ist noch nicht alles... Stefano nimmt nur Befehle von Tao persönlich, d.h. nur wir beide sind übrig.“
Takarus Gefühle spalteten sich. Zum Einen spürte sie wirkliche Angst und Panik, aber gleichzeitig auch... Wärme. Chieco sagte: „...wir beide.“ Und schüttelte Takaru nicht von ihren Ärmeln ab... Ein winziges Lächeln bildete sich auf ihren Lippen inmitten der Tränen. In dem Moment war es ihr auch egal, ob das alles nur Einbildung war oder nicht.
„Etwas... von hoher Wichtigkeit...“, murmelte Chieco missverständlich und ganz im Nachdenken versunken.
„Was?“, fragte Takaru.
„Etwas scheinen wir wohl zu besitzen. Etwas, dass von so hoher Wichtigkeit trägt, dass niemand anders davon zu erfahren hat und wir getötet werden sollen. Aber was? Was könnte das schon sein?“
„Keine Ahnung... Ich weiß sowieso von nichts! Werde plötzlich entführt, von geheimen Organisationen beschattet, erfahre, dass mein Vater ebenfalls ein Killer ist, werde von alles und allem wie ein wildes Tier gejagt, ich hab´ sowieso null Plan!“, regte sich Takaru in ihrer Hoffnungslosigkeit auf.
„Warte...“, sagte Chieco mit Stirnrunzeln.
„Hm?“
„Ja, das ist es. Dein Vater!“
„Was „Mein Vater“?“
„Er muss es wissen! Schließlich hat er ja dich in unsere Obacht gegeben! Von ihm erfahren wir, warum wir plötzlich gejagt werden!“
Chieco schaute zielstrebig gerade aus und Takaru schluckte. Ihr nächstes Ziel: Johannes Hojo Datso finden!