Nice surprise
Nice Surprise
Camui handelte ausnahmsweise mal großzügig und dehnte die eigentliche 10-minütige Nerven-Reanimier-Pause auf stolze 20 Minuten aus. Nicht, um noch ein zweites oder drittes Kippchen zu rauchen –obwohl das auch eine Option wäre, bei der Arbeit- sondern um sich natürlich noch ein wenig umzusehen! Er war immer im Dienst!
Auch wenn er wirklich, wirklich gerne noch eine Zigarette gehabt hätte. Aber Hideto konnte doch nicht seine ganze Ordnung durcheinanderwirbeln.
Er hatte in den drei Stunden keine Kamera in Hidetos Zimmer entdecken können –der Kampfzwerg hätte das wahrscheinlich auch bemerkt, so paranoid wie dieser war- und in intimeren Bereichen wie beispielsweise Toiletten waren auch keine zu sehen. Wäre auch etwas unangenehm gewesen.
Zum Rauchen war er natürlich hinausgegangen, und als er das Anwesen wieder betreten wollte, fiel ihm erstmals ein Zahlencodeschloss neben der Haustür auf.
War das gestern auch schon da gewesen?
Camui hoffte darauf, dass seine messerscharfe Auffassungsgabe gestern einfach mal versagt hatte. Sonst hatte er noch den Verdacht, dass Takarai den Braten bereits roch. Das könnte unangenehm werden. War in diesem Haus hier eigentlich nichts gut!?
„Das hat aber ganz schön lang gedauert!“ Wieso stellte Camui sich solche Fragen eigentlich noch?
Er war mitten in der Hölle gelandet. Und Satan persönlich hatte sich seiner angenommen.
„Freu dich doch.“, antwortete er trocken auf Hidetos Mosern und ignorierte das Hustenbonbon mit Eukalyptusgeschmack, welches Hideto demonstrativ vor seine Nase gelegt hatte.
„Danke, dass du dich um meine Gesundheit sorgst, aber mir geht’s blendend.“, sagte er betont freundlich und freute sich innerlich tierisch über Hidetos genervtes Schnauben.
„Du stinkst! Ich kann nicht arbeiten wenn es stinkt!“ Das konnte ja nun wieder dauern. Camui schluckte eine nicht konforme Antwort herunter und schloss für einen Moment die Augen.
„Seit wann arbeitest du?“, stellte er stattdessen eine gar nicht so unberechtigte Frage.
„Würdest du dich weniger beschweren, wäre ich weniger genervt und würde weniger rauchen, also würde es weniger stinken und du könntest mehr arbeiten, was wunderbar wäre.“ Seit wann bildete er so elend lange Sätze? Er war nie der Mann vieler Worte gewesen. Nun ja, eine Pistole war nicht wirklich als Alternative vorhanden, besonders weil in dieses Haus keine Knarren kamen. Also, seine zumindest nicht. Takarais sicher. Wen er so etwas beweisen könnte, wäre er schon mal fein heraus.
Wie auch immer, der kleine Giftzwerg hatte ihn bereits ganz schön manipuliert. Aber Camui hatte es auch noch nie lange mit Kindern ausgehalten. Er war als einer unter sieben Geschwistern aufgewachsen und hatte schon früh nur das Recht des Stärkeren gekannt. Um jeden Preis auffallen, das war das Wichtigste. Und bei Camui und seinem blendendem äußeren Erscheinungsbild –falsche Bescheidenheit war nun nicht angebracht- war das nie sonderlich schwer gewesen.
Trotz allem hatte er durch eben diese Kindheit das Allein sein schätzen gelernt und musste dies nun für diesen verdammten Beruf opfern. Gut, dass er neben Attraktivität auch noch ausgezeichnete rhetorische Fähigkeiten mit sich brachte.
„Hei, ich rede mit dir!“ Apropo Rhetorik… Camui schaute desinteressiert wieder auf und in Hidetos empörtes Gesicht. Konnte er eigentlich auch friedlich gucken? Er hatte Hideto noch kein einziges Mal lachen gesehen. Nun gut, Camui war selber alles andere als ein Strahlemann, aber… warum machte er sich über so etwas überhaupt Gedanken?
„Hab ich nicht gehört…“, entgegnete er schließlich achselzuckend, „…außerdem sollst du arbeiten und nicht reden… allerdings ist diese Forderung wohl eher utopisch, was?“
Hideto sah Camui eine Weile ratlos an, weil er absolut keinen Plan hatte, was Camui mit dem letzten Teil gemeint hatte, beschloss aber, das Wort in einem ruhigen Moment nachzuschlagen. Nun jedoch begnügte er sich mit einem Schnauben, ehe er seinen Blick wieder auf das Englischheft richtete, damit er Camuis selbstzufriedenen Gesichtsausdruck nicht sehen musste.
Manchmal war es doch ganz nett, irgendwie.
„Gackt-San…“ Camui versteifte sich für einen Moment, als er die Stimme von Takarai Senior vernahm, ehe er sich mit seinem üblichen Pokerface zu diesem umwandte. Der Herr des Hauses hatte ihn auf dem großzügigen Flur abgefangen, wo Camui sich doch bereits für heute in der Freiheit gesehen hatte, außerhalb des Anwesens. Ja, er hatte für heute Feierabend! Und er hatte ihn so nötig.
Noch eine Kleinigkeit, die sich geändert hatte. Sonst war Camui immer ein Freund und Gefährte der Überstunden, aber heute…
„Ja, was kann ich für Sie tun?“, fragte Camui Takarai Senior höflich und rückte seine Krawatte zurecht. Die ganze Familie Takarai war ihm suspekt. Beide ihm bekannte Familienmitglieder machten ihn nervös, wenn auch auf verschiedene Weisen.
„Wie ich sehe, kommen Sie recht gut mit meinem Sohn zurecht.“ Obwohl Camui sehr aufmerksam war, konnte er keinen lauernden oder misstrauischen Ton heraushören, nur Befriedigung. Anscheinend hatte Takarai doch keinen Verdacht und war einfach erleichtert, dass sein Sohn wohl doch irgendwie erzogen werden konnte. Dass Camui sich da nicht so sicher war, musste er ja nicht wissen.
„Aufgrund meiner Position kann Hideto verständlicherweise nicht ohne Begleitung das Anwesen verlassen.“ Camui nickte daraufhin und ahnte bereits Fürchterliches. Auf gar keinen Fall…!
„Er wird meist von Yui und einem Leibwächter begleitet, letzterer ist allerdings nur bedingt unauffällig, und ich denke, Sie sind der Aufgabe gewachsen.“ Takarai sprach sehr bestimmt und Camui wusste genau: Entweder er stimmte zu, oder er war gefeuert. Letzteres durfte auf keinen Fall passieren. Camui musste wohl heute die Lektion des sich Fügens lernen.
„Ich soll ihn also außerschulisch begleiten? Das gehört aber nicht zu meinem Aufgabenbereich.“, wagte Camui einen Vorstoß, fand seine Stimme jedoch selber alles andere als durchdringend, was ihn selbst erschreckte.
Takarai verzog keine Miene, er war bereits dabei sich wieder abzuwenden.
„Sehen Sie es als Beförderung. Doppeltes Gehalt wird genügen, denke ich.“ Mit diesen Worten verließ Takarai Senior den Flur in Richtung Privaträume, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Camui blieb zurück. Mal wieder ohne das letzte Wort.
Und um einige Grüblereien reicher.
Er verstand das Ganze nicht so recht. Sicher, diese junge Frau namens Yui schien eine Vertraute des Hauses zu sein, aber wenn Camui etwas vorhätte, könnte diese ihn wohl kaum davon abhalten.
Davon abgesehen wollte Camui einfach keine zusätzlichen Stunden mit diesem Teufelsbraten verbringen müssen. Und dann auch noch in der Öffentlichkeit, wo man ihn eventuell erkannte oder gar ansprach. Nun gut, letzteres war unwahrscheinlich, jedoch…
Vielleicht wollte Takarai ja auch, dass Camui sich außerhalb verplapperte oder sonst einen Fehler machte? Was auch immer die Absichten des Hausherren waren, Camui würde ihm keinen Gefallen tun, sondern das Beste aus seiner Pflicht machen.
Irgendetwas Gutes würde sicher dabei herauskommen. Irgendetwas. Camui fiel eigentlich immer irgendetwas Praktisches ein.
Nur, was sollte man schon Nützliches daraus ziehen, dass man mit einem Giftzwerg und einer zusätzlichen Aufpasserin durch Shibuya spazierte und sich das Genöle anhören musste?
Oh Mann.
Dieser Haushalt machte ihn fertig.
