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Der Nähe so fern

Yohji & Aya
von

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Nichts persönliches

Es gibt Tage, da kann ich ihn nicht ertragen. Die sorgsam kultivierte Tragik, die unüberwindlichen Mauern, die nichtssagenden Blicke. Das undurchdringliche Schweigen. Wenn er so weit weg ist mit seinen Gedanken, dass er mich nicht sieht. So fern, dass ich schreien und rufen könnte und er würde mich nicht hören. An manchen Tagen ertrage ich es nicht.
 

Ich weiß nicht, ob es an mir liegt oder an ihm. Ich kann nicht beurteilen, ob er noch kälter und distanzierter ist als gewöhnlich oder ob es mich nur mehr stört als sonst. Vielleicht ein wenig von beidem. Es kommt und geht, manchmal hat es keinen für mich erkennbaren Grund, manchmal weiß ich genau, was es ausgelöst hat.
 

Bei mir ist es ein Traum, der mich reizbar und unruhig zurücklässt, der mir seine Gegenwart unangenehm macht, aus Gründen, die ich nicht benennen kann. Ich kann diesen Bildern nicht entkommen, so sehr ich es auch versuche. Sie hinterlassen ein Gefühl der Machtlosigkeit. Ich fühle mich wie ein verletztes Tier, in die Ecke gedrängt, ängstlich. Alles läuft so falsch...
 

Manche Leute glauben nicht daran, dass die Geister der Verstorbenen von einem Besitz ergreifen können, dass man von ihnen besessen sein kann. Ich weiß es besser. Über Jahre hinweg immer wiederkehrende Träume über Verlust und Schuld in Zusammenhang mit immer derselben Person. Das ist Besessenheit. Man kann sich dessen bewusst sein, aber man kann es nicht einfach abstreifen wie eine alte Haut. Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, kann nicht vergeben und vergessen. An den Grenzen meines Gesichtsfeldes lauert der Schatten einer toten Frau.
 

Ich denke, Aya würde das verstehen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich seine Nähe suche. Glaube ich, dass er Antworten auf meine Fragen hat? Dass er eine Lösung weiß? Dass er mir Trost spenden könnte?

Ich weiß nicht wie, aber in letzter Zeit hat sich der Gedanke in meinem Kopf eingenistet, er könnte das Puzzleteil sein, dass mir fehlt, um einen Sinn in allem zu erkennen. Ich bekämpfe diesen Gedanken, zumindest versuche ich es. Es gibt keinerlei Grundlage für diese Annahme, sage ich mir. Aber es hat ohnehin nichts mit Logik zu tun. Vielleicht werde ich wahnsinnig.
 

Ich bin fixiert auf einen Mann, der meine Existenz nur vage zur Kenntnis nimmt. Und das auch nur, weil er aufgrund äußerer Zwänge viel Zeit mit mir verbringt. Es ist unwahrscheinlich, dass er in uns mehr sieht als Arbeitskollegen, wenn er überhaupt etwas sieht. Es ist unklar, ob er uns als lebendige Menschen wahrnimmt und nicht nur als schattenhafte Wesen.
 

Ich weiß das, weil es eine Zeit gab, in der ich die Welt auch so gesehen habe. Dann bin ich eines Tages aufgewacht und hatte nichts mehr als eine Tätowierung auf dem Arm, die ich noch nie gesehen hatte. Dann bin ich hierher gekommen. Wo auch immer es ist, wo ich mich hier befinde. Es sieht aus wie ein Blumenladen, aber in Wirklichkeit ist es der Limbo, eine Art Vorhölle. Und eines Tages wacht ein rothaariger Mann in meinem Bett auf und weckt eine längst verschüttete Erinnerung in mir, aber ich kann sie nicht greifen. Ich kann nicht dahinterkommen, was ich in ihm sehe.
 

Ich bin an einem toten Punkt angelangt. Ich bin gleichermaßen fasziniert und abgestoßen von seinem Wesen. Er ist so snobistisch, so unnahbar, verächtlich, arrogant, ein wandelnder Anachronismus. Man erwartet jeden Moment, ihn Worte sagen zu hören wie Ehre, Würde und Stolz, aber er tut es nie. Er könnte über Leben und Tod sprechen, über Untergang und Verdammnis und die Leute würden ihm zuhören. Er hat diese Art, einen in seinen Bann zu ziehen, selbst wenn er es nicht beabsichtigt. Aber er will das nicht, er bemerkt es nicht einmal. Er benutzt überhaupt keine großen Worte, als wären sie ihm irgendwann abhanden gekommen. Er zieht es vor zu schweigen.
 

Wenn ich etwas sage, hört er nicht zu. Wenn ich etwas tue, sieht er nicht hin. Es macht mich wahnsinnig. Dem Teil von mir, den alle anderen mögen, der gut mit allen klar kommt und der Welt Sorglosigkeit vorgaukelt, hat er nichts zu sagen. Vielleicht ist es einfach nur das.

Ich versuche mich zu erinnern, ob es überhaupt Momente gegeben hat, in denen er nicht durch mich hindurch gesehen hat. Doch, es gab sie, aber ich weiß nicht, ob sie irgendetwas bedeuten oder ob seine weggeschlossene Persönlichkeit einfach hin und wieder herausbricht, jenseits seiner Kontrolle und gleichgültig gegenüber den äußeren Umstände. Vielleicht bin ich nur Zeuge von Ausrutschern geworden. Seelischen Deichbrüchen.
 

Ich denke an gestern zurück, wie die Kugel mich nur knapp verfehlt, wie sie hinter mir ihr Ziel findet. Ich komme nicht umhin zu denken, dass sie genauso gut mich hätte treffen können. Ich war vor Schreck erstarrt, als ich Aya als den Schützen erkannte. Ich drehte mich um und hinter mir lag unsere Zielperson, tot. Die anderen haben nichts davon bemerkt, sie waren zu beschäftigt, um es zu sehen und ich habe hinterher nichts gesagt. Aya hat geschossen, obwohl ich in der Schusslinie stand. Der Ausdruck auf seinem Gesicht geht mir nicht mehr aus dem Sinn: konzentriert, kalt, gleichgültig.
 

Ein zaghaftes Klopfen an meiner Tür, stört mich in meinen Gedanken. Wer auch immer dort draußen ist, ich weigere mich ihn hereinzubitten, aber nach einer Weile wird die Tür dennoch zögerlich geöffnet und Aya steht in der Tür. Er wirkt unbehaglich, aber doch gefasst. Einige Sekunden verstreichen.

„Kann ich reinkommen?“, fragt er dann widerstrebend.
 

Ich zucke mit den Schultern und unterdrücke ein freudloses Lachen. Kann ich dich davon abhalten? Du stehst doch sowieso schon halb im Zimmer. Interessiert dich meine Meinung dazu wirklich? Nein, verschwinde.

Er schließt sorgsam die Tür hinter sich, als er eintritt, bleibt mitten im Raum stehen. Seine Augen huschen nervös über die Gegenstände im Zimmer, meiden mich, bleiben schließlich am Fenster hängen. „Wegen gestern...“, sagt er endlich.
 

Ich sage nichts, weiß nicht, was ich sagen soll. Er könnte sich rechtfertigen, versuchen sich zu verteidigen. Er hat nicht gesehen, dass ich es war. Es war die einzige Gelegenheit, die Zielperson zu eliminieren. Es wäre keine Lüge und ich wüsste es, aber es geht hier nicht darum, ob ich ihm glaube oder nicht. Woher hatte er eigentlich die Pistole, er kämpft doch sonst niemals mit Schusswaffen?
 

Ich spüre, wie sein Blick mich streift, glaube ein Seufzen zu hören. Aber das kann nicht sein, ich muss mich irren, denn jemand wie Fujimiya seufzt nicht. Und wenn mich von ihm ein Laut erreicht, so ist das nur ein Echo meiner Einbildung.

„Du nimmst das persönlich, oder?“, fragt er in die Stille hinein und er lässt es wie einen Vorwurf klingen. Er sieht mich forschend an. „Natürlich nimmst du es persönlich.“, beantwortet er seine eigene Frage.
 

„Ich könnte tot sein. Ich denke, das ist persönlich.“, sage ich. Es klingt wie eine Rechtfertigung, nicht wie die Anklage, die es sein soll.

Ich kann zusehen, wie sein Gesicht versteinert. „Wenn du das so siehst, ist das bedauerlich, aber ich kann es nicht ändern.“ Seine Stimme hat einen ungewohnt dumpfen Klang, als er sich umdreht, um das Zimmer zu verlassen.
 

Ich springe auf und schneide ihm den Weg ab, bevor er die Tür erreicht. Ich bin wütend. Warum fühlt er sich Angesichts dieses Vorwurfes in seinem Stolz verletzt, wenn er doch sonst immer alles tut, um seine Umwelt von seiner Gleichgültigkeit und Kaltblütigkeit zu überzeugen? „Was soll das heißen?“, fahre ich ihn an.

Als er mich nicht ansieht und versucht, an mir vorbei zu entkommen, packe ich sein Handgelenk und ziehe ihn mit einem Ruck zu mir. Als er aufsieht ist all die Gefasstheit aus seinem Blick verschwunden. „Du bist so ein Idiot, Kudoh.“, faucht er.
 

Er zerrt ohne allzu großen Nachdruck an seinem Arm, den ich aus Sturheit weiter festhalte, hält dann nach einer Weile still, seufzt resigniert und sieht mir direkt ins Gesicht. „Was denkst du? Dass ich dein Leben einfach so riskiert hätte?“, fragt er mich immer noch aufgebracht. Oder niedergeschlagen oder keines von beidem.

Ich antworte nicht, sondern erwidere nur stumm seinen Blick.

„Natürlich glaubst du das.“, flüstert er plötzlich. Er sieht auf einmal aus als wäre alles Leben aus ihm gewichen.
 

„Was soll ich denn denken?“, frage ich ihn weniger scharf als ich beabsichtigt hatte.
 

Seine Augen sehen direkt durch mich hindurch. „Du hast nicht nur kein Vertrauen in meine Fähigkeiten, du hast nicht einmal Vertrauen in meine Absichten.“, stellt er tonlos fest. „Du kannst denken, was immer du willst, Kudoh. Es spielt unter diesen Umständen keine Rolle.“
 

Ich habe keine Ahnung, wovon er redet, aber ich weigere mich, ihn loszulassen, als er wieder versucht zu gehen. „Welche Umstände?“, frage ich ihn. Es ist nicht die Frage, die ich stellen möchte. Ich weiß nicht, welche Frage ich stellen muss. Ich weiß nicht, welche Antwort mir helfen könnte, ihn zu verstehen.
 

Er zieht weiter halbherzig an seinem Arm, um mich dazu zu bringen, ihn loszulassen. Mir ist klar, dass er es schon längst geschafft hätte, würde er ernst machen.
 

Ich kann ihn genau sehen. Den Moment, in dem er seine Geduld verliert, in dem er seine Fassung aufgibt und nichts mehr zurückhält. Vielleicht war es die richtige Frage. Die Worte sprudeln plötzlich aus ihm heraus, bitter und geplant zunächst noch, dann immer verzweifelter und unzusammenhängender. Er sieht mich mit einem Blick an, der um Verständnis bettelt. Ich weiß nicht, ob es das ist, was ich wollte.
 

„Ich denke nicht, dass wir weiter zusammenarbeiten können, wenn du nicht bereit bist, dich auf mich zu verlassen. Also werde ich wohl gehen müssen. Ist es das, was du willst? Ich wollte mich gestern bei dir entschuldigen, aber du bist mir ausgewichen. Ich weiß, dass du es alles falsch verstanden hast, du konntest es ja nicht sehen, aber ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Ich dachte, ich müsste es dir nur erklären, aber selbst wenn du mir glaubst, macht es das jetzt nicht mehr besser... Ich dachte, du hättest eine höhere Meinung von mir.“, setzt er elend hinzu.
 

Ich lasse ihn endlich los und stolpere ein paar Schritte zurück. Es ist mehr als sein Stolz, der verletzt ist. Vielleicht habe ich ihm wirklich Unrecht getan. „Eine Meinung von dir? Ich verstehe dich nicht.“, sage ich zu meiner Verteidigung. „Wie sollte ich denn, wenn du alles tust, um das zu verhindern? Dann erkläre, was gestern war.“, fordere ich ihn auf, als er mich nur reglos ansieht.
 

„Er stand hinter dir, Yohji.“, sagt er schließlich leise. „Ich habe gesehen, wie er auf dich anlegt, ich hatte die Waffe von einem der Bodyguards. Ich bin kein schlechter Schütze, ich wusste, dass ich treffen würde. Bis auf sie seid ihr alles, was ich habe. Ich würde eher mich selbst in Gefahr bringen, als einen von euch. Ich dachte, du wüsstest das. Aber du hast Recht, es ist meine Schuld, wenn du es nicht tust.“
 

Es ist das erste mal, dass er mich nicht Kudoh nennt und das erste mal, dass er ganz und gar da ist und sich mir zeigt. Verloren und einsam. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, um es wieder gut zu machen. Es gibt nichts, was ich sagen kann. Erst als er nach der Türklinke greifen will, schaffe ich es, mich aus meiner Betäubung zu lösen. Ich ziehe ihn in eine Umarmung und halte ihn fest. Er erstarrt und ich will ihn schon loslassen, als er die Umarmung unbeholfen erwidert.
 

Ich kann nicht aufhören zu hoffen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von: abgemeldet
2009-10-18T21:07:04+00:00 18.10.2009 23:07
Sehr gut geschrieben, keine Rechtschreibfehler und sehr angenehm zu lesen. Auch die Charaktere sind nicht groß OoC.
Wirklich gut gemacht.
Von: abgemeldet
2009-04-26T22:24:45+00:00 27.04.2009 00:24
Deine Geschichten sind wunderschön, bewegend und fesselnd geschrieben.
Ich bin gerade Dein Fan geworden :)
Von:  Rabbit
2009-04-08T19:06:34+00:00 08.04.2009 21:06
OMG dieser schreibstil... ;_;
du hast einen volls chönen schreibstil >u< echt zu schwärmen QoQ
bei deinen schreibstil will man am liebsten garnet aufhören zu lesen XD nur lesen lesen und lesen XD

so schöne weiß kreuz FF ;3;
bei den schönen schreibstil und darstellung der charas mag cih sogar mal des pairing yohji und ran <3
bin da mehr so der schuldig & aya fan :D

einfach tolle FF ;_;
Von:  Dyon
2008-07-02T23:06:45+00:00 03.07.2008 01:06
...Hammer!
Von:  RayDark
2007-01-24T09:37:04+00:00 24.01.2007 10:37
Tja, ich kann ich irOny voll und ganz anschließen!^^

Du schreibst wirklich sehr schön und auch ich verstehe nicht, warum es so gut wie keine Kommentare zu deser FF gibt...

Ich bin gespannt, wie es mit den beiden weitergeht, schreib bitte schnell weiter!!!!
Von:  -Pusteblume-
2006-07-17T11:32:48+00:00 17.07.2006 13:32
Ich find es ein wenig irritierend, dass hier anscheinend wohl noch niemand den Drang verspürt hat, das Gelesene auch zu kommentieren. Bin eher per Zufall darauf gestoßen. Sehr tiefsinnig, etwas, das sich langsam aber stetig aufbaut. Logisch, dass ich jetzt nur zu dem letzten Kapitel ein Kommentar schreibe, ist immerhin das Letzte, was ich gelesen habe. Ich frag mich nur, auf was das Ganze heraus laufen soll?! Am Anfang hab ich erstmal ein wenig rumgerätselt aus wessen Perspektive du schreibst, hab schon gedacht, das wäre Ken XD Gott sie Dank nicht *lol*
Bin weiterhin gespannt, wie schon geschrieben, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das alles enden soll!
Gruß irOny


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