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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 35

Kapitel 35
 

Seine Fingerspitzen strichen über die handgroße, blaue Blüte und befühlten ihre fleischige Konsistenz. So ein wunderschönes Gewächs inmitten einer brennenden Wüste zu finden, war ein Geschenk, welches man zu würdigen wissen musste. Über lange Zeit hinweg war hier nichts anderes als trockener, lebensfeindlicher Sand. Doch in ihm lagen Samen, welche jederzeit zum Keimen bereit warteten. Sobald die ersten Tropfen der Überschwemmung ihr lebensfeindliches Grab erreichten, erblühten sie in vollster Schönheit und verwandelten die eintönige Ödnis in ein prächtiges Farbenmeer, diktiert von Grün mit vielen schimmernden Akzenten.

Ebenso zufällig wie er gestern diese blaue Blüte fand, so zufällig fand er auch Seth. Wie ein Samen lag seine Seele begraben und er brauchte nur ein wenig Liebe und Fürsorge, um zu erblühen. Atemus Wasser hatte ihn erreicht. Langsam war diese Blüte gewachsen, lag geschlossen und versteckt an ihrem Stängel. Doch gestern hatte er sie pflücken dürfen.

Seth hatte ihm diese Blume geschenkt, da Atemu sie so fasziniert anblickte.

„Ich habe nichts, was ich Euch geben kann“ ... so hörte er noch seine Worte am abendkalten Flussufer. „Außer meiner reinen Liebe, die ich selbst niemals für möglich hielt. So ungewöhnlich wie diese Blume. Eine Blume, welche ihre Blüten bei Mondenschein öffnet. Für nur einen einzigen Falter, der sie zu bestäuben vermag. So öffnet sich meine Liebe für Euch, Atemu. Nur für Euch.“

Er musste lächeln, als er sich diese Worte ins Gedächtnis rief. Seths Stimme war so aufwühlend ruhig, so samtweich schwingend. Und er trennte die nachtblaue Mondblüte ab, um sie dem Pharao zu Füßen zu legen. Als Symbol seiner Liebe, welche in dunkelster Nacht erblüht war.

Atemus Herz klopfte noch immer und mit jedem Mal stärker, je öfter er sich an die vergangene Nacht erinnerte. Er konnte es noch immer nicht glauben. Sein Seth hatte ihm Liebe gestanden. Keine Freundschaft, keine Dankbarkeit, einfach nur Liebe. Reine, ungewöhnliche, unsichtbare Liebe. Eine Liebe, die wie eine Blume war. Zwischen saftig hohem Gras streckte sie ihre Schönheit empor und pries sich selbst im Mondenschein, in der Hoffnung, dieser eine einzige Falter möge zu ihr fliegen und sie ihrer Bestimmung hingeben.

Und nun lag diese Blüte neben ihm und ihre Haut war fest und kühl. Sie gehörte ihm und hatte im ersten Licht der aufgehenden Sonne ihre blauen Blüten geschlossen. Ein wenig wehmütig wurde Atemu, wenn er daran dachte, dass sie nun sterben würde, da sie gepflückt ward.

Und nun lag Seth neben ihm und seine Haut war weich und warm. Er gehörte ihm und hatte trotz des ersten Lichts der aufgehenden Sonne seine blauen Augen geschlossen. Gestern Nacht hatten sich seine Blüten geöffnet und ihren Falter gelockt. Hoffentlich würde seine Liebe im Angesicht des neuen Tages nicht ebenso eingehen wie eine abgerissene Blume.

In ihm breitete sich neben diesem warmen Gefühl ein wenig Angst aus. Angst vor dem, was nun kommen konnte. In der letzten Nacht hatte er alles beiseite geschoben und vergessen. Sein Herz hatte gesiegt und war in einem triumphalen Marsch an jeglicher Vernunft vorbeigezogen. Bedenken waren betäubt, Erinnerungen verblasst. Nur noch der süße Geschmack des ersten Kusses, die Wärme des geliebten Körpers hatten sich als wirklich nötig gezeigt.

>Ich liebe dich, mein Seth.< Das hatte er so häufig in seinen Träumen gesagt, ebenso wie er ihn in seinen Träumen berührte, ihn küsste, liebkoste und sich seine erotische Stimme vorstellte, seinen muskulösen Körper, seine harte Männlichkeit, seinen heißen Schweiß und den kräftigen Halt seiner Hände.

Und gestern war es kein Traum gewesen. Es war wirklich. „Ich liebe dich, mein Seth.“ Er hatte es laut ausgesprochen und die Wirklichkeit seine Träume noch übertroffen. Seine Hände waren noch zärtlicher, seine Stimme noch weicher, sein Körper härter und sein Geruch, sein Geschmack, das ganze Gefühl ... es war bar jeder Beschreibung. Würde Atemu schildern müssen, was er letzte Nacht wie in Trance erlebte, er fände keine Worte. Er fand keinen Moment mehr, um noch zu sinnieren, ob es Traum war oder Wirklichkeit. Es war einfach geschehen.

„Ich liebe dich.“ Es war so leicht, es auszusprechen und trotz dieser so gering scheinenden Laute, rollte eine ganze Lawine, die Last der Welt von seinen Schultern, seiner Seele und seinem Herzen. Er fühlte sich frei. Noch niemals hatte er sich so leicht gefühlt und doch so verbunden mit irdischen Gefühlen.

Das Gefühl des Grases, in welches sich seine Hände vor Ekstase krallten, war ebenso neu wie drängend und vollführend. Das Gras als schützender Boden und Mauer für zwei sich begehrende Menschen. Die Erde unter ihm, der nachtblaue, sternenbesprenkelte Himmel über ihm und mit ihm verbunden der einzige Mensch, der jemals seinen Namen sprach ... der ihm jemals eine solche Erfüllung schenkte.

Seth Küsse brannten wie Feuer und löschten wie Wein. Seine Haut war wie Seide und die Muskeln darunter wie weiches Silber, seine Männlichkeit wie warmer Stein, seine Hände wie Federn und Erdenkraft gleichermaßen. Und seine Stimme, seine wundervolle, tiefe, verzückende Stimme ... wie sie sich mit der seinigen mischte und ihre Seelen verband, wie ihre Körper sich in verlangendem Einklang wiegten.

Erst draußen am Flussufer, im Gras von Mond und Sternen belächelt. Und als es zu kalt wurde, im warmen Zelt vom seichten Schein der Öllampe beschützt. Zwei Plätze, zwei wahrgewordene Träume, zwei Menschen, die eins wurden.

Beim ersten Mal war es viel zu schnell vorbei, so sehr hatte es Atemu gedrängt, durchbebt und erschüttert, trotz der einziehenden Nacht, die seinen Schweiß kühlte. Zu lange hatte er darauf gewartet, hatte sich sein Körper danach verzehrt, als dass er nicht gierig nahm, was ihm geschenkt wurde. Doch beim zweiten Mal im warmen Zelt mit der Gewissheit, dass es nicht aufhören würde. Mit mehr Ruhe hatte er Seths Körper berührt und ihn an Stellen geküsst, nach denen sich seine Lippen zu lang sehnten, ihn gestreichelt und geliebt. Und ebenso Seths Hände und Lippen und Zunge und Zähne, welche seinen heiligen Körper eroberten. Wie eine Blume, welche ihrem Falter den süßesten Nektar schenkt, ihn speist und erhält. Ein Gebet an das Leben. Weltlich und doch wie von Götterhand gewiesen.

Diese Nacht fühlte sich zu gut an, um wirklich wahrhaftig geschehen zu können. Und so hatte Atemu nicht einen Moment davon verpasst, nicht geschlafen. Selbst als Seth ihn erschöpft in seine starken Arme bettete und allmählich eindämmerte, selbst da hatte er sich nicht vom Schlaf besiegen lassen. Diese Nacht war wie ein Traum. Doch Träume endeten und Atemu wollte nicht, dass es endete. Wollte, dass diese Nacht ewig andauerte. Wollte dieses erfüllte Gefühl in Körper und Herz zurückbehalten, es festhalten, es gefangenhalten. Ein Gefühl in ihm drin ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, es war zu stark. Einschlafen bedeutete aufwachen. Und aus diesem Traum wollte er niemals mehr aufwachen.

Dafür dieses Erlebnis, die ganze lange Nacht neben Seth zu liegen. Er schmiegte sich an seinen warmen, nackten Körper, hörte seinen Atem und strich ihm immer wieder verträumt das Haar aus dem Gesicht, wenn es ihn kitzelte. Immer wieder legte er ihm seine Lippen auf und küsste ihn, ohne seinen Schlaf zu stören. Er küsste seine Wangen, seinen Hals, zog ihm das Laken herunter, um seine Brust zu küssen, seinen Bauch. Immer wieder, die ganze Nacht hindurch. Jedes Mal, wenn es sich zu sehr aufstaute, erlöste er sich selbst mit einem Kuss für den Träumenden. Wenigstens diese Nacht.

Doch nun, wo er Seth an seinem Rücken geschmiegt spürte und sein schwerer Arm über ihm lag und festhielt, Atemu seinen eigenen Kopf auf dem kräftigen Oberarm gebettet hatte und verträumt über die blauen Pflanzenblüten strich, da kamen ihm Bedenken. Sein Herz fühlte sich so erfüllt wie niemals zuvor und diese innere Wärme war so angenehm wie der Wüstensand, welcher auch in der Nacht tief unten noch warm war. Doch wenn Seths Liebe eine Blüte war ... würde auch sie an diesem Morgen ihre Blätter schließen und sterben?
 

Der schwere Arm über seiner Hüfte bewegte und entfernte sich, die warme Hand wanderte seine Seite hinauf, an seinem Arm entlang bis sie Atemus Hand fand und festhielt. In seinem Nacken ein warmes Seufzen.

Seth war also erwacht.

Kein Wunder, denn draußen tobte bereits das Leben. Die Räuber schliefen meist nicht länger als die Sonne und schienen schon wieder ihre zweifelhaften Späße mit den königlichen Pferden zu treiben, denn beide - Räuber und Pferd - schrieen bis das ganze Lager erwachte. Da konnte selbst der müdeste Wanderer nicht friedlich schlummern.

„Du bist wach“ stellte Atemu leise fest. Leicht beunruhigt, denn mit Seths Erwachen, begann auch der Tag. Hier endete sein Traum von letzter Nacht. Sein Traum von Gras, Blüten, Sternen und Begehren, Verlangen und Ekstase. Sein Traum von Seth. Sein verbotener Göttertraum, welchen er leibhaftig gelebt hatte. Und mit seinem ganzen Herzen schickte er den mächtigen Göttern ein Stoßgebet, das verzweifelte Flehen nach einem Wunder. >Lasst Seths Liebe beständiger sein als eine Blüte.<

„Guten Morgen, Majestät“ flüsterte er und mit einem warmen Kuss in seinem Nacken, atmete Atemu so losgelöst auf wie selten in seinem Leben. Seth küsste ihn. Das bedeutete, seinem Traum war eine lebende Chance zur Seite gestellt.

„Guten Morgen, mein Seth“ antwortete auch er mit tränenzitternder Stimme. „Ich liebe dich.“

„Ich liebe Euch auch.“ Seth hörte sich noch ein wenig verschlafen an, aber er sagte es und Atemu konnte nicht anders als mitzufühlen, wie seine eigenen warmen Tränen die Wange hinab aufs Laken troffen. Er war so glücklich. Es war ausgesprochen und seine Liebe wurde gespiegelt, war nicht länger ein formloser Schmerz ohne Gesicht. Niemals hatte er es für möglich gehalten, dass es geschah. Aber Seth hatte es zuerst gesagt. Hätte der Pharao ihm die Liebe gestanden, so wäre Seth im Zwang gewesen, sie zu erwidern. Doch wenn er den ersten Schritt tat, so war eine Erwiderung weniger Fessel.

„Ja ... ich liebe dich“ wiederholte er nochmals. Wie einen Schwur, ein Trancegebet. Solange er es sagte, blieb die Erwiderung.

Ein wenig räkelte Seth sich hinter ihm und erhob seinen Kopf ein Stück. Jedoch ließ seine Hand nicht von ihm ab und hielt ihn fest. „Ich sehe, sie hat sich geschlossen.“

Atemu drehte seinen Kopf und sah ein Stück zu ihm auf. Seth hatte bemerkt, wie seine Hände die Blüte befühlten und interessierte sich dafür, was seinen Pharao am frühen Morgen so gefangennahm.

„Ja“ hauchte er. Dieses Sinnbild wollte ihm nicht aus dem Kopf. Seths Liebe war eine Blüte, doch hoffentlich von längerem Leben. „Letzte Nacht war sie so schön. Aber sie hat sich geschlossen und stirbt jetzt ... vielleicht hätten wir sie nicht pflücken dürfen.“

„Oh nein, mein Pharao“ hauchte er ihm warm ins Ohr. „Wir mussten sie pflücken. Nur so kann sie Früchte tragen.“

„Was?“ Er drehte sich ein Stück in seinem Arm, ließ dabei seine Hand los und fand sich an seine nackte Brust gelehnt. Diese Wärme zwischen ihnen war so voller Geborgenheit und doch auch ein wenig mit der Furcht vor dem Unbekannten verwandt. „Hätten wir sie nicht gepflückt, wäre sie noch lebendig.“

„Nein, dann wäre sie wahrhaft gestorben. Atemu, kennt Ihr nicht die Lehre der blauen Mondblume?“

„Blaue Mondblume ...?“ Nein, die kannte er nicht und sein Gesichtsausdruck musste so ratlos aussehen, dass Seth sich gezwungen sah, ein wenig belustig zu lächeln und ihm liebevoll auf die Sprünge zu helfen.

„Die blaue Mondblume ist ein sehr seltenes Gewächs“ erklärte er sanft. „Sie wächst nur im feinen Sand des Nilufers und einiger Seitenarme. Lange liegt ihr Kern dort verborgen und wird er nicht von Vögeln oder Nagern geholt, so keimt er bei der nächsten Überschwemmung auf. Doch sie erblüht nur in einer einzigen Nacht. Sie verströmt ihren lieblichen Duft für den weißen Nebelfalter, der ihren Nektar sehr schätzt und sie in dieser Nacht gezielt anfliegt. Doch nachdem er sie bestäubt hat, schließt sie ihre Blätter für immer. Wird die Blüte nicht abgetrennt, so stirbt sie mit dem Rest der Pflanze ab. Fällt jedoch ihr Kopf zu Boden, so wird er von der Sonne getrocknet und bevor die Trockenheit ganz zurückgekehrt ist, schläft schon ihr Samen im Boden. Solange bis ihn das Wasser erreicht und sie für diesen einen Falter erneut wächst.“

„Das heißt“ flüsterte er überwältigt, „hätten wir sie nicht gepflückt, würde sich kein neuer Samen entwickeln?“

„Vorausgesetzt, sie ist bestäubt.“

„Das ist sie“ lächelte er mit dicken Tränen in den Augen. „Ich weiß, ihre Schönheit hat den Falter erreicht. Sie ist nicht umsonst abgefallen.“

„Dass Euch eine schlichte Blume so erfreuen kann“ belächelte er diesen so glücklichen Ausdruck in seinen feuchten Augen.

„Seth“ hauchte der Pharao und legte sehnsüchtig seine Hände an die warme, breite Brust. „Ich liebe dich so sehr.“

„Ich liebe Euch auch ... Atemu.“ Seine ganze Aura war so wunderbar ruhig, so gelassen und vollkommen. Und diesen Namen mit diesen Worten von seinen Lippen zu hören, war die Erfüllung aller verbotenen Träume. „Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht und etwas Schönes geträumt.“

„Geträumt habe ich ohne zu ruhen“ lächelte er zufrieden zurück. „Denn ich war bei dir. Das ist Traum genug.“

„Bedeutet das, Ihr habt nicht geschlafen?“ fragte er ein wenig überrascht.

„Nicht einen einzigen Moment. Mein Herz hat so laut geklopft, dass ich es nicht zähmen konnte. Hier.“ Atemu nahm seine Hand und legte sie in die Mitte seines Brustkorbes. Dort fühlte er es schon rhythmisch vibrieren, es schlug so fest und schnell, noch schneller seit Seth erwacht war. Dieser Moment war so aufregend, so aufwühlend und wahrhaftig, dass er vor Glück zu zerspringen drohte.

„Atemu ...“ Ganz sicher spürte er das wilde Schlagen und blickte ihn daraufhin erstaunt an. „Es tut mir leid ... ich ...“

„Seth, nein“ hauchte er, bevor beginnen konnte, was er erahnte. „Entschuldige dich nicht schon wieder. Egal, wofür. Ich weiß nicht, wofür du dich jetzt entschuldigen willst, aber du hast keinen Grund.“

„Doch, den habe ich“ gestand er bedrückt und zog zaghaft seine Hand von der entblößten Haut fort. „Ich habe alles, was ich erlernt habe, ignoriert. Ich hätte wachend bleiben müssen bis ich Euch in sicherem Schlaf weiß. Selbst vor Euch zu ruhen ...“

Atemu seufzte und legte ihm vorsichtig die Fingerspitzen auf die Lippen. Er wusste jetzt, was ihn alsbald ereilte. Als ausgebildeter Lustsklave hatte er lernen müssen, dass er nicht vor seinem Herren ruhen durfte. Sich zu befriedigen und dann vor ihm einzuschlafen, entsprach nicht einem guten Dienst. Und Seth war gestern erschöpf eingenickt, nachdem die Ekstase von ihnen abebbte. Nur mit einem „Danke“ und einem seufzenden „Ich liebe Euch“ auf dem Herzen.

„Es macht mich ein wenig traurig zu sehen, dass der Sklave jetzt noch durch deine Augen sieht“ antwortete er gedämpft. „Dabei muss ich mich bei dir entschuldigen.“

„Aber ... wofür ...? Ihr müsst ...“

„Schschd“ machte er leise. „Du hast niemals bei jemandem gelegen. Niemals wirklich. Du warst unberührt ... nicht wahr?“

Seth nickte nur vorsichtig, zumal noch immer die weisenden Finger auf seinem Munde ruhten.

Und Atemu wusste, dass die letzte Nacht Seths erste Nacht gewesen war. Als Sklave war er einst für den Pharao bestimmt. Obwohl er in allen Liebeskünsten unterwiesen ward, hatten kein Mann, keine Frau jemals Hand an ihn gelegt. Er sollte rein bleiben für den König, um seinen Wert durch Können und Unschuld zu erhöhen. Und da er auch mit seiner Verlobten nach eigener Auskunft niemals den Beischlaf vollzogen hatte, war er letztlich seiner einstigen Bestimmung doch gefolgt. Nämlich, dem Pharao allein seine Jungfräulichkeit zu schenken.

„Ebenso wie du jetzt denkst, dass du nicht hättest schlafen dürfen, ebenso wird mir klar, dass ich gestern sehr viel von dir abverlangt habe. Du hast so viele schreckliche Dinge erlebt, so viele schmerzliche Erfahrung mit der Körperlichkeit gemacht und ich bin als Liebhaber kaum auf dich eingegangen.“

„Es war nicht schrecklich und auch nicht schmerzlich mit Euch“ antwortete er voll der Ehrlichkeit und mit doch ein wenig unschuldigem Ton. „Noch niemals habe ich mich so wohl gefühlt wie in Euren Armen. Ich wusste, was Beischlaf bedeuten würde, aber Ihr wecktet in mir Verlangen, Begehren und wahre Lust. Ein Gefühl, auf welches ich nicht vorbereitet war. Doch es fühlte sich unendlich schön an. Ich hatte nicht einen Gedanken an das, in was ich einst unterwiesen wurde. Ich wusste nur noch ... nur noch, dass ich Euch nahe sein und dieses Feuer in mir stillen will. Ebenso wie ich Euer Feuer für mich entfachen wollte. Gestern blickte kein Sklave durch meine Augen ... dafür vielleicht eher ein schlechterer Verehrer, der diese Vereinigung nicht gerecht wurde.“

„Ich habe mit vielen Menschen den Beischlaf getrieben, doch niemals habe ich mich wahrhaft mit jemandem vereint“ erwiderte er ihm aus tiefstem Herzen. „Dir habe ich mich zum ersten Male wirklich nahe gefühlt. Nicht als Pharao, sondern als Mensch. Du hast mir keinen Dienst erwiesen, sondern Liebe. Und wenn du mir sagst, dass es Liebe war, wenn du auf dem Höhepunkt deiner Lust meinen Namen keuchst, dann bist du die Erfüllung all meiner Wünsche.“

„Es war Liebe ... es i s t Liebe. Ich weiß nicht viel von Liebe, aber wenn es sie gibt, dann habe ich sie gestern Nacht gefühlt ... dann fühle ich sie jetzt ... dann fühle ich Euch, Atemu.“

„Dann denke niemals mehr daran, du müsstest dich für mich zu etwas zwingen“ bat er und fühlte, wie wieder Tränen aus Bedauern und zugleich unendlichem Glück in ihm aufstiegen. „In meinen Armen bist du weder Sklave noch Priester. Ich fühle für dich als den Menschen, der du für mich bist. Wenn du auch mir meine taktlose Tat verzeihen kannst.“

„Ihr ward nicht taktlos. Alles andere als das“ versprach er und griff fest nach seiner Hand, führte sie an seine Brust. „Auch ich fühle für Euch ein Gefühl, welches tiefer geht als alle Welten. Was auch immer Ihr mit mir tut, ich werde Euch immer ehren, Euch zu Diensten sein und Euch lieben. Es ist sicher eigensinnig, dies zu sagen ... aber niemals war ein Schlaf so ruhig wie neben Euch, in Euren Armen. Ich fühlte als würden die ganze Nacht zarte Küsse auf mich einregnen und eine Ruhe und Geborgenheit meine Seele behüten. Noch niemals erwachte ich mit einer solchen Erfüllung.“

„Und wenn ich dir sage, dass ich glücklich bin? Dass auch ich Erfüllung in dir gefunden habe? Glaubst du mir dann?“

„Ihr habt keinen Grund, mich zu belügen. Und wenn Ihr ...“ Und auch er stockte mit feuchten Tränen, mit bebender Stimme. Er schien ähnlich überwältigt, ähnlich aufgerührt und ebenso nervös. „Und wenn Ihr mir sagt, Ihr liebt mich, dann kann ich es mir nicht vorstellen, aber ich glaube Euch. Ihr lügt mich niemals an. Ich glaube jedes Eurer Worte. Selbst, wenn Ihr mir keine Vorhaltungen macht.“

„Das tue ich nicht“ hauchte er und wischte ihm die Tränen fort, obwohl er selbst salzigen Tropfen das Leben schenkte. „Ich liebe dich, mein Seth. Vom ersten Moment an als ich dich sah. Seitdem wollte ich nichts mehr, als dich zu besitzen, ohne dir Fesseln anzulegen. Ich bete zu allen Göttern, sie mögen dich an meiner Seite belassen ... aus eigenem Willen.“

„Wenn Ihr betet, so erhören unsere Götter sicher keinen mehr als Euch“ hauchte er und schloss verzweifelt seine nassen Augen. „Ich bin Euch unwürdig, ich ziehe so viel Schmutz auf Euch und doch betet Ihr um mein Seelenheil. Ihr seid gütiger als jeder Gott. Und dafür kann ich nicht anders, als Euch zu lieben.“

„Ich liebe dich auch und ich danke dir für deine ehrlichen Gefühle“ sprach er und ließ sich selbst mit zitternden Fingern das Salz fortwischen. „Ich liebe dich, mein Seth.“

„Ich liebe Euch auch, Atemu.“

Der Pharao reckte sich zu ihm hinauf, öffnete seine Lippen, wie er auch seine Augen schloss, um seiner Küsse noch einen mehr zu begehren. Selbst die ausladenst gestandene Liebe konnte nur mit einem Kuss wahrlich bekannt werden.
 

„Hey, Ruhe da drin und aufstehen!“

Von außen schippte jemand Sand an den Stoff des Zeltes und schimpfte. Der dunklen Stimme nach zu urteilen, ereiferte sich dort einer der Räubersmänner über das morgendliche Liebesgeplauder, welches in seiner Gruppe sicher eher selten zu hören war.

„Teraiip, lass sie doch reden. Hast du nichts Besseres zu tun?“ schnauzte ein anderer gegen ihn an, als dessen Stimme am Außenstoff vorbeizog.

Kein Wunder, es war helllichter Morgen und das ganze Lager war bereits erwacht. Dem vielen Licht nach zu urteilen, waren sie wohl die Einzigen, welche noch in ihrem Quartier lagen, während alle anderen mit höchster Wahrscheinlichkeit schon das Morgenbrot beendet hatten.

„Vielleicht sollten wir auch aufstehen“ vermutete Seth, wenn auch ein wenig traurig, da ihr Kuss verhindert ward.

„Nein, sollten wir nicht“ murrte er leiser. „Ein Pharao sollte gar nichts.“

„Wenn aber der Pharao in seinen Palast zurückwill, sollte er möglichst aufstehen“ schmunzelte er ihn neckisch an. „Majestät, Ihr seid so unglaublich süß.“

„Süß?“ Jetzt schaute er sicher ebenso intelligent wie eine Kuh vor der Sphinx. Noch niemals hatte ihn jemand als süß tituliert. Man nannte ihn herrisch, mächtig, erhaben oder auch göttlich. Niemals in seinem ganzen Leben hatte ihn jemand süß genannt. Süß waren Früchte und Kinder, vielleicht auch Tierbabys - aber keine Könige.

„Ja, süß“ nickte er und zeigte seine weißen Zähne vor Entzücken. „Ihr seid so unglaublich süß. Das ist eine Seite, die ich heute Morgen an Euch zum ersten Mal erblicke. Und ich bin bezaubert.“

„Nein, ich bin bezaubert von dir, mein Seth“ antwortete er ihm und blickte zufrieden zu ihm auf. Seth sprach so frei mit ihm. Als wäre er niemals Sklave gewesen, als wäre Atemu niemals Pharao gewesen. Als wären sie beide ganz normale Menschen, ganz normale Liebende, die jetzt begannen, mehr aneinander zu erforschen, zu entdecken und zu lieben.

„Ihr sagt so liebe Dinge, Hoheit“ schaute er und nickte mit seinem Kopf erneut ein wenig tiefer, schloss seine Augen und wollte ihn küssen. Ebenso wie sich auch der Pharao zu ihm hinaufreckte, um endlich seinen Liebesdurst durch seinen nährenden Kuss zu stillen.

„ACH DU SCHRECK!“

Nur aus dem Augenwinkel hatte Atemu den Vorhang wackeln sehen, einen Kopf erkannt, bevor alles schon wieder vorbei war und Penus Stimme neben ihnen ertönte. Und dass Seth auch seinen zweiten Versuch des Kusses sofort abbrach, sagte ihm, dass auch er sich erschrocken hatte.

„Was ist denn jetzt wieder?“ hörten sie Faaris Stimme zwar ebenso nahe, aber ein wenig ferner als Penus eben noch.

„Die sind schon wieder ... sie ... sie küssen sich ...“ Anscheinend war es Penu peinlich, dass er sie mitten in ihren Liebesschwüren ertappt hatte. Und nun hörten sie seine kurzen, kräftigen Schritte leise im Sand knirschen.

„Ja, und?“ fragte Faari viel entspannter zurück. „Die haben gestern noch ganz andere Sachen gemacht, als sich nur zu küssen. Tu nicht so, Penu.“

„Aber ich kann ... gestern hab ich ja nicht hingesehen.“

„Aber gehört hast du es. Also jetzt bring den beiden das Wasser, bevor sie noch zusammenkleben.“

Doch dann durchschnitt Fatils Stimme die beiden und man sah einen verschwommen lichten Schatten am Vorhang vorbeigehen, als er ins Zelt kam. „Ihr wisst aber schon, dass der Pharao euch durch den Stoff ebenfalls hören kann?“

Daraufhin wurden beide still und Atemu konnte sich nur vorstellen, wie die zwei Soldaten genau jetzt beschämt ihre Köpfe senkten. Und es brachte ihn zum Schmunzeln, ebenso wie auch Seth sich ein belustigtes Augenfunkeln nicht verkneifen konnte. Wie zwei Kinder, die man beim Mopsen von süßem Brot ertappte, welches sie aber bereits verputzt hatten.

Dann hörten sie Fatil seufzen und ganz nahe neben ihnen eine leise Bewegung im Sand, bevor seine Stimme folgsam fragte: „Guten Morgen, mein Pharao. Darf ich den Vorhang öffnen?“

„Natürlich. Guten Morgen, Fatil“ lächelte Atemu und schon wurde langsam der schützende Vorhang beiseite gezogen und sie erblickten ihn im Sande knien.

„Guten Morgen, Seth“ sagte er dann mit einem etwas dunkleren Unterton. Er kam mit ihm noch immer nicht wirklich zurecht, aber er würde sicher von nun an versuchen, mit ihm auszukommen. Und so zwang er sich zur Höflichkeit.

„Guten Morgen“ entgegnete Seth ebenso ein wenig gesenkt, gedrängt höflich.

„Majestät, wir bringen Euch etwas Wasser, damit Ihr Euch reinigen könnt.“ Er stellte ihm eine große, runde Schale in den Sand, an dessen Rande ein weißes, zusammengefaltetes Leinentuch hing. Für gewöhnlich verwendeten sie diese Schalen immer außerhalb des Zeltes, um sich zu waschen. Einfach, um ihr Inventar nicht einzufeuchten.

„Warum bringst du es mir hier her? Ich kann mich auch draußen waschen. Wie jeden Morgen“ fragte der Pharao ratlos nach. Dass er seine Waschschale ans Nachtlager bekam, war noch niemals geschehen.

„Ich dachte, vielleicht möchtet Ihr heute Morgen nicht, dass die Banditen Euch zusehen.“

„Aber sie haben mich doch schon häufiger gesehen ... Fatil ...“ Er wusste ganz anscheinend nicht, wo der eigentliche Sinn hinter diesem Gedanken steckte. Und er erkannte ihn auch nur mit einem eindeutigen Wink.

„Jedoch nicht mit solcherlei Spuren bedacht, welche die Meute notgedrungen zu noch mehr Scherzen anreizen wird“ nickte Fatil und blickte höflich zu Boden.

„Ach so ...“ Ja, jetzt hatte selbst Atemu es verstanden. Diese ganz bestimmten Spuren meinte Fatil also. Ja, es würde vielleicht wirklich ein paar Blicke auf sich ziehen, wenn der König dieses Reiches sich solch menschliche Spuren abwusch.

„Wenn Ihr fertig seid, könnt Ihr draußen Euer Morgenbrot zu Euch nehmen. Wir würden gern bald das Zelt abbauen, bevor wir weiterreiten.“

„Ja. Danke, Fatil“ nickte er und war überrascht als er noch eine zweite Schale zu der ersten stellte. Wahrscheinlich war es eigentlich Penus Aufgabe gewesen, dem Pharao sein Waschwasser zu bringen, aber der genierte sich ja doch zu sehr, sodass Fatil dies in seine eigenen Hände nehmen musste.

Doch wofür die zweite Schale?

„Für dich, Seth“ beantwortete Fatil den Gesichtsausdruck seines Königs ganz selbstständig. „Sei so gut und wasche auch den Pharao. Und bekleide ihn.“

„Werde ich. Danke“ erwiderte Seth und mit einem Kopfnicken schloss Fatil den Vorhang wieder und ging zurück seiner Wege.

Und Atemu musste doch noch einen Augenblick nachhallen lassen. Fatil hatte sonst niemals zugelassen, dass Seth ihn wusch. Für gewöhnlich war es Penus oder Faaris Aufgabe, den König jeden Morgen zu reinigen. Im Zweifelsfalle nahm er auch dies selbst in die Hand. Doch heute Morgen ...

„Kommt, Majestät. Ich möchte Euch waschen“ bat Seth, griff sich eine der Schalen und setzte sich auf. Er rutschte ein Stück vor, dorthin, wo ein kleiner Tisch stand und sonst nur eine Matte auf dem Boden lag. Für gewöhnlich wurde dieser kleine, private Bereich dazu genutzt, das Abendgebet zu halten. Doch da der König gestern Abend nicht gebetet hatte, konnten sie ihn nun ebenso gut als Waschplatz nutzen.

Dabei beobachtete der Pharao nur mit Faszination, anstatt ihm zu folgen, wie wunderbar Seths entblößter Apfelpo sich niedersetzte und wie kräftig die Muskeln an seinem breiten Kreuz hinaufliefen und oben diese wunderbar männlichen Schultern formten, an welchen er sich letzte Nacht festgehalten hatte, als er glaubte, er würde vor Lust sterben.

„Seth ...!“ Erstaunt und entsetzt sah er aber noch mehr. Er erkannte, dass Seths ganzer Rücken von ein paar langen und vielen kurzen Kratzern geschunden war. Es blutete nicht, aber er war ganz rot. Als hätte er mit einem Tiger und dessen stumpfen Krallen gekämpft. „Dein ganzer Rücken ist zerkratzt!“

„Ich weiß.“ Er drehte sich um und lächelte ihn an, mit einer solchen Herzenswärme, als wären die Wunden ein Geschenk. „Aber Ihr ward so wundervoll.“

„Ich ... ich hab ...“ Wenn er so darüber nachdachte, wenn er sich richtig erinnerte, war er der Tiger gewesen. Atemu hatte sich an ihm festgekrallt, ihn näher gedrückt und vor Ekstase vollkommen die Kontrolle verloren. Er hatte gestöhnt, geschrieen, gezuckt, gekrampft und es so unendlich genossen. Er wollte alles auf ein Mal und ihn dabei um keinen Umwand loslassen. Dass er Seth dabei so gezeichnet hatte, war ihm in diesen Momenten nicht bewusst gewesen. „Das tut mir leid.“

„Nicht doch“ schmunzelte er ihn keck an. „Ich war so frei, mich an versteckter Stelle an Euch zu rächen, mein Pharao.“

Atemu blinzelte ihn an, dachte einen Moment darüber nach und sah dann an sich herab. Seth hatte sich gerächt? Aber wo ...? Ja, da war es! Er fühlte es, aber im ersten Moment hatte er es für einen juckenden Moskitostich gehalten. Blickte er jedoch genauer hin, erkannte er das Mahl eines saugenden Kusses, welches Seth sehr hoch oben an der Innenseite seines Oberschenkels gelassen hatte. An versteckter Stelle.

„Ich hoffe, Ihr seid mir nicht böse, Majestät“ sprach er nun mit doch ein wenig Vorsicht in Stimme und Blick.

Doch Atemu strich verträumt darüber und lächelte selig. „Das ist das Schönste, was ich je bekommen habe.“ Er sah auf und schenkte ihm einen tiefen Blick. „Aber du hast mehr davongetragen.“

„Oh, sorgt Euch nicht“ schmunzelte er erleichtert. „Wo das herkommt, gibt es noch viele mehr. Wenn es um Euch geht, bin ich erstaunt, welch eine Rachsucht ich entwickeln kann.“

Und Atemus Herz schlug ihm bis zum Halse.

Seth plante schon am frühen Morgen, dass ihre Leidenschaft in der letzten Nacht nur begonnen und sicher nicht geendet hatte. Wie frei er damit umging und das Verlangen ebenso zurückgab, welches Atemu ihm im Inneren seines Herzens entgegenbrachte.

Seine Liebe war nicht wie eine gewöhnliche Blume, welche nach dem Pflücken einging.

Seine Liebe war die das grüne Gras. Unscheinbar und mit stetigem Wasser selbst in der trockensten Wüste unbesiegbar. Man konnte darauf treten, sitzen oder liegen. Man konnte es ausreißen oder lang wachsen lassen.

Und ganz manchmal wuchs auch im dichtesten Gras eine seltene Blume des Nachts hervor, welche für ihren Falter immer wieder neu erblühen würde. Seine Liebe war wie das seltene Gras und seine Leidenschaft eine von den ganz besonderen Blüten.



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