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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 14
 

Der König trug zum Gottesdienst sein heiliges Gewand. Ganz in weiß gehüllt, die teure Flügelkrone seines Vaters auf dem Haupt und seine Augen mit schwarzem Kohlestift bezeichnet, trat er durch die golden geschmückte Doppeltür herein und blickte in einen vergleichsweise kleinen, aber wunderschönen Gebetssaal. Vorne auf ein paar Stufen war der Altar aufgebaut, welcher mit bunten, in der Wüste sehr seltenen, Blumen geschmückt war und die Luft trug den Duft des frisch gebackenen Brotes durch den ganzen Raum, welcher sonst so schwer mit exotischen Gewürzen behangen war. Auch klares Wasser mit Perlen darin hatten sie dem heiligen Imhotep heute als Opfergaben gebracht.

Die Priester knieten nieder, als der reich in Gold geschmückte Pharao den Saal betrat und senkten ihre Köpfe bis auf den Boden herab. Es war kein Mucks zu hören, nicht mal ein Husten. Und es würde sich auch keiner rühren, bevor der edle König an seinem Platz saß oder um Regung bat.

Die einzigen, die sich rührten, waren die Kammerdiener, welche nach den rot steinernen Knäufen der Türen griffen und sie hinter sich zuzogen, während sie selbst rückwärts den Raum verließen.

Nun waren hierin nur noch heilige Menschen. Das normale Volk blieb draußen und hier fanden sich nur noch die Priester ganz vorn in den Reihen und die Schüler ihres Grades nach dahinter, die Jüngsten ganz nahe nun zu Füßen ihres Königs. Es waren weniger als er gedacht hatte. Hier im Raum waren nur etwa vier Dutzend Männer und alle anderen Tempelbewohner wurden von der Messe ausgeschlossen. Sie waren wohl nur Kinder und Frauen, Diener und so weiter. Alles, was nicht Priester war oder werden wollte, wurde zu einem solchen Gottesdienst nicht geladen.

Schade, denn dieser wunderbare Raum könnte eigentlich noch mehr fassen. Diese Schönheit hier sollte viel lieber jeder erblicken dürfen. Die Wände waren mit schlichten, geraden Verzierungen gemeißelt, welche die Zeichen der Götter und die Segenswünsche der Menschen erzählten. Mit Gold, Silber und Kupfer verziert, mit starken Farben hatten sich hier die damalig besten Künstler des Landes ereifert, welche heute alle schon tot waren. Doch ihr ewiges Werk war geblieben und würde sicher auch in Jahrtausenden noch stehen. Wenn nicht die helle Sonne, welche durch das mit Steinstreben verkuppelte Dach hereinschien, die wundervollen Bemalungen ausbleichen ließ.

„Bitte erhebt euch“ bat der König, als er sich genug umgeblickt hatte.

Es wurde noch gewartet bis sich der hier herrschende Hohepriester erhoben hatte, aufstand und mit einem Lächeln auf den König zuging, bevor sie alle ebenfalls die Köpfe hoeben und sich aufrecht hinsetzten.

Faari, Penu und Fatil wichen von den Seiten des Königs und blieben hinter ihm stehen. Sie waren natürlich auch geladen, selbst wenn sie keine Priester waren. Aber sie waren die Wachen und die Vertrauten des Königs und in seiner direkten Gegenwart, konnte jeder zur Messe kommen.

Der höchste aller Priester, Chaba Djedef Re, hatte sich sein langes, weißes Haar zu einem Zopf geflochten und strahlte seinen Pharao mit hellbraunen Augen an, als er bei ihm ankam und einen Kuss auf die gereichte Königshand andeutete.

„Mein Pharao“ lächelte er, als er sich wieder gerade erhob und sich sein ebenfalls weißes Gewand zurückstrich. Heiliges Weiß - nur eben mit der Einschränkung, dass er ein rotes Tuch wie eine Schürze trug, um das geweihte Weiß des Königs nicht anzutasten. „Es ist uns eine Ehre, dass Ihr unserer Messe beiwohnt.“

„Gerne“ nickte er und er musste sich doch so sehr zurückhalten, seinen Blick nicht auffällig umherstreifen zu lassen. Mit den vielen gebeugten Rücken, die er eben sah, hatte er Seth nicht erkennen können. Aber jetzt musste er hier sein. Er war ganz sicher hier. Er konnte ihn spüren, sein Herz wurde zu ihm gezogen wie ein Durstender zum Brunnen. Er musste einfach hier sein ... von Angesicht zu Angesicht wollte er ihn sehen ... ihn berühren ... das Rosenöl riechen, in welchem er seinen traumhaften Körper gebadet hatte ...

„Majestät, wenn Ihr erlaubt, begleite ich Euch zu Eurem Platz“ nickte Chaba Djedef Re ihm freundlich zu und streckte seine offene Hand nach vorne zum Altar, um ihm hilfreich den Weg zu weisen.

„Ja, danke“ antwortete er so gefasst wie möglich und als er dann dem alten Hohepriester hinterherging, hatte er das Gefühl, seine Knie wären aus Dattelmus. Er musste aussehen als würde er eiern und doch lief er ganz geradeaus. Sein Herz schlug lauter mit jedem Schritt, den er tat.

Das hier war alles so unwirklich ...

Er musste hier sein. Ganz nah. Irgendwo hier in diesem Raum atmete er dieselbe Luft in diesem Moment. Er war hier!

Und dann ...

... dann sah er ihn.

Dort saß er auf einem kleinen Kissen, auf seine Knie gesunken wie alle anderen. Recht weit vorn in der zweiten Reihe, fast in der Mitte am Gang.

Und er blickte ihn an.

Seine blauen Augen so tief wie Ozeane und er ließ seinen Blick so ruhig auf seinem König ruhen, dass dem eine Gänsehaut trotz der Abendhitze überlief.

Draußen färbte sich der Himmel bereits in ein göttliches Farbenspektakel und nun waren sie hier. Zusammen in einem Raum.

Und Seth blickte ihn an.

Hätte Fatil ihn nicht vorsichtig am Ärmel gegriffen und weitergeschoben, wäre er stehen geblieben, um ihn auch weiter anzusehen. Er könnte sofort losweinen, so glücklich war er. Sein ferner Blick aus der Halle hatte ihn nicht getäuscht. Seth sah blendend aus. Seine Haut hatte einen gesunden Farbton, seine Augen waren angefüllt mit Gefühlen, sein Haar fiel ihm locker in die Augen und seine schönen Hände waren fast völlig von dem langen, roten Gewand verborgen. Doch seine kräftigen Schultern wurden von einer weißen Schärpe geziert, welche sagte, dass er heute ein Heiliger werden würde.

Und sein Pharao wäre bei ihm. Ganz nah ... so nahe er ihm sein konnte.

„Seht nach vorne“ flüsterte Fatil hinter ihm und verwirrt aus seinem Tagtraum erwacht, wand er seinen verzauberten Blick sofort wieder nach vorne, wo er auch schon in der ersten Reihe ankam und direkt den zweiten Platz am Gang einnehmen durfte. Das golden gewebte Kissen war seines, alle anderen waren in schlichtem Rot gehalten, aber sein Sitzkissen war ein besonderes.

Dort ließ er sich nieder und hätte zu gerne den Blick noch mal umgewand. Es war als könne er Seths Augen in seinem Rücken spüren. Er war so nah. Nicht ganz zehn Meter entfernt. Wenn es noch ruhiger wurde, könnte er ihn atmen hören.

Er setzte sich auf sein Kissen nieder, Chaba Djedef Re zu seiner linken, Fatil zu seiner rechten Seite.
 

Die Messe begann, als einer der anwesenden Priester ein Lobeslied auf den Ehrentag anstimmte und die Gemeinde an den richtigen Stellen mit einstimmte.

Doch konzentrieren konnte er sich nicht auf das Lied. Zum Glück konnte er es auch blind auswendig, so wie er jedes heilige Lied kannte. Es gehörte zu seinen Pflichten, es zu kennen und so sang er es laut mit, weil genau das von ihm erwartet wurde.

Doch seine Gedanken waren ganz woanders. Viel lieber würde er nun neben Seth sitzen, der sicher auch auf heißen Kohlen seine Weihe erwartete, so wie sein König den nächsten Blick auf ihn erwartete.

Er war ihm so nahe und doch durfte er sich jetzt nicht umdrehen. Es würde zu sehr auffallen, wenn er neben all den Männern hier, ausgerechnet ihn ansehen würde. Ein König wand sich niemals nach jemandem um - die Menschen hatten vor ihn zu treten, wenn er sie sehen wollte. Doch dieses Bedürfnis danach, ihm einen Blick zu schenken, war so groß, dass es ihn schwindeln ließ. Wie ein Süchtiger, der seine Droge nicht bekam. Er war ihm so nahe, beim Singen konnte er seine dunkle, klare Stimme hören und wie gerne hätte er befohlen, dass alle außer ihm zu schweigen hatten!

Und doch zog sich der Gottesdienst dahin wie zäher Ziegenkäse. Es wurden Lieder gesungen, ein Tieropfer in Form eines Lammes gebracht, es wurden Schriftrollen gelesen und eine Zeichnung fertiggestellt, welche über dem Altar gehisst wurde.

Er nahm all die Bemühungen der Priester kaum wahr. Er hatte schon so viele Messen miterlebt und eine war wie die andere. Sicher unterschieden sich die Priester hier insofern von den anderen, dass sie engagierter waren und besser in dem, was sie taten. Sie lasen interessanter, man hörte ihnen gerne zu. Die Lieder waren wohl ausgesucht und wurden mit einer Inbrunst gesungen, welche die Götter sicher stolz auf ihre Schöpfung machte.

Doch das alles verblasste, wenn er durch das laute Singen auch nur einen einzigen Ton seines Seth hören konnte.

Sein Seth.

Sein wunderschöner Göttertraum.

Der Mann, der das Gras unter seinen Füßen liebte.

Der Mann, der seinen Namen ausgesprochen hatte.

Der Mann, der den Wüstenhimmel in seinen Augen gefangen hielt.

Sein Seth.
 

Bis er sich endlich erhob und nach vorne trat.

Der Höhepunkt der heutigen Ehrenmesse war seine Weihe. Sein großer Tag. Der Tag, an dem ein wertloser Sklave zu einem heiligen Mann wurde.

Heute hatte sein Seth es geschafft.

Er war ein neuer Mensch geworden und nannte ein neues Leben sein eigen. Und dieses eigene Leben schenkte er den Göttern, um einem höheren Zwecke zu dienen.

Fatil achtete genau darauf, dass sein König nicht schon wieder den Mund offen stehen ließ, als sein Sklave nach vorne trat. Doch er sah ganz genau, wie seine Augen zu glänzen begannen, noch mehr als sie es seit heute Mittag schon taten. Oder lag es einfach daran, dass sie sich mit Tränen füllten?

Und doch lächelte er. Er hielt die Lippen beisammen und lächelte mit einem Ausdruck, den Fatil in all den Jahren noch niemals gesehen hatte. Seine Wangen färbten sich rot, seine Hände krallten sich ineinander fest, während er seinen goldenen Gürtel umschlungen hielt. Er kniete dort auf seinem Kissen und sah diesen Sklaven mit solch einem Gefallen an, dass es einem fast leid tat. Er liebte ihn so offensichtlich und doch musste er es verbergen. In all den Jahren hatte er die wahre Liebe in seinem Herzen unterdrückt und er unterdrückte sie noch. Er tat sich selbst damit weh, aber er rettete den Menschen, den er über alles liebte.

Der König befreite seinen Sklaven, indem er schwieg.

Er sah seinem verbotenen Traum zu, wie er sich vor den Altar kniete und alleine vor allen anderen eine stille Andacht hielt. Dieser Moment war nur für ihn allein. Für ihn und seine Götter, die es gut mit ihm meinten, nachdem sie ihn so schändlich verlassen hatten.

Doch nun würden sie ihn annehmen und als treuen Diener anerkennen.

Atemu beobachtete wie sich seine breiten Schultern beim Atmen hoben und wieder herabsenkten. Was für einen schönen Nacken er hatte, der unter seinem kurzen Haar nur halb verborgen lag. Wie gerne würde er diese Haare beiseite streichen und ihm die weiche Haut am Hals küssen. Ihn nur ein Mal berühren, ihn küssen, ihn spüren. Über seine Haut streichen und ihm die schönsten Worte sagen. Und er würde lächeln. Seine Wangen würden ein wenig erröten, wenn er den Kuss der königlichen Lippen empfing. Es würde ein Moment voller Zärtlichkeit sein. So voll der Liebe zwischen ihnen beiden. Wenn ihr Atem sich mischte und ihre Hände sich ineinander verschlangen. Wenn sie sich gemeinsam ihre Liebe gestanden und sich küssten. Sie könnten sich bis in alle Ewigkeit küssen und nie mehr loslassen. So wie sich ihre Hände in der Mondnacht damals nicht losgelassen hatten.

Ob Seth diese Nacht auch etwas bedeutete? Ob er nicht auch daran dachte, wie glücklich sie zusammen sein könnten? Frei wie die Vögel im Wind und die Sonne auf ihrer Haut. Ihre verliebten Worte hallten durch die Luft und ihre ...

„Majestät“ hörte er die mahnende Stimme seines Vertrauten neben sich flüstern und wand wie in Trance seinen Blick zu Fatil herum, welcher ihn mit seinen dunklen Augen besorgt ansah. „Ihr starrt“ teilte er schlicht mit und sah ihn weiter fest an.

Beschämt und etwas betrübt senkte Atemu seinen Kopf und blickte seine Hände an, die sich an seinem goldenen Gürtel fast blutig gekrallt hatten.

Es war nur ein Tagtraum gewesen.

Ein Wunschtraum.

Nur ein Traum.

Mehr nicht.

Und es würde niemals mehr sein dürfen als das.
 

„Erhebe dich nun.“ Der Hohepriester weckte den König mit seiner ruhigen, aber starken Stimme und ließ ihn aufblicken.

Vorne erhob sein Seth sich in den aufrechten Stand und sofort kamen zwei Priester, welche ihm mit einem leichten Handgriff das Gewand von den Schultern lösten und seinen Oberkörper entblößten.

Wenn sein Herz jetzt noch schlug, so spürte der König es nicht mehr.

Diese Haut war die reinste Sünde. So seidig weich, so glatt und eben. Die Muskeln darunter bewegten sich nur leicht und zu gerne würde er seine Hände darauf legen, um sie an seinen Handflächen zu spüren.

Doch zum Träumen blieb ihm zu wenig Zeit, da sprach der alte Chaba Djedef Re mit seiner erhabenen Stimme deutlich weiter.

„Du bist den Weg bis hierher gegangen und willst nun den Weg der Götter mit all deinem Sein verfolgen. Ist es dein freier Wille und deine Überzeugung, dass du hier vor den heiligen Augen unserer Götter stehst und darum bittest, ihnen dienen zu dürfen?“

„Ja, es ist mein freier Wille und meine Überzeugung.“ Wie deutlich er das sagte. Wie entschlossen er klang.

Früher hatte er niemals einen eigenen Willen gehabt. Er hatte kaum noch eine Seele, keine Wünsche, keinen Namen. Und nun entschied er etwas aus freiem Willen heraus.

Erst als Fatil dem König unbemerkt eine Träne fortwischte, bemerkte der, dass er weinte. Er war so ergriffen von dem Moment, dass er es aus seinem eigenen, freien Willen tat - dass er überhaupt endlich einen Willen hatte. Dass er nun seiner Gefangenschaft entkam und seinen Traum verwirklichte. Der Traum danach, den Weg seines Vaters weiterzugehen und in der Wüste irgendwann Gras zu pflanzen.

„Bitte beherrscht Euch“ hauchte Fatil ihm zu und tarnte seine Aktion damit, dass er dem König die vorgeblich verrutschte Krone gerade rückte, damit niemand sah, wie abnormal die Majestät sich verhielt.

Doch ohne sich stören zu lassen, sprach der Hohepriester feierlich weiter, um endlich die Weihe zu vollziehen.

„Welchen Namen willst du vor unseren Göttern tragen?“ fragte er mit diesem tief rituellen Ton und schaute mit ganz eigenem Stolz auf seinen besten Schüler, den er jemals bis zum Priester weihen durfte.

„Seth Chuanch1 Amun Sanacht“ antwortete er klar und deutlich in den Worten, die er sich so lange so wohl überlegt hatte. Den Amun wollte er in seinem Namen, um seinem Pharao auf ewig zu danken, dass er ihm dieses neue Leben schenkte.

„Seth Chuanch Amun Sanacht“ wiederholte er klar und deutlich und konnte sich ein zufriedenes Lächeln wohl einfach nicht verkneifen. „Welcher unter dem Schutz des Amun zu seiner Ehre erblüht“ übersetzte er für alle anderen diese alten Worte, die sie eigentlich selbst auch gut kannten.

Das war wirklich ein seltenschöner Name, den er sich da ausgesucht hatte.

Seth Chuanch Amun Sanacht.

Für seinen Pharao.

Seth.

Welcher im Schutz erblühte.

Unter Amun.

Zu seiner Ehre.

Als Dank wollte er unter seinem Schutz zu seiner Ehre erblühen.

Er hatte nicht gelogen als er schrieb, er wolle ihm auf versteckte Weise huldigen.

Und er hatte Wort gehalten.

Er suchte sich einen Namen, den man beim Pharao als Heiligkeit nicht aussprechen durfte. Auf seinem Rücken würde er diese Heiligkeit in die Welt hinaustragen. Und vielleicht mit dessen verborgener Liebe auch die Menschlichkeit des Pharaos, welche ihm zuteil geworden war und es noch immer wurde, solange er sein dunkles Geheimnis bewahrte.

„Dann knie nieder vor dem großen Amun, der dich zu seinem Diener macht und ehre das Feuer des Rah, welches dein Herz und deinen Körper erschaffen hat.“

Sollte genau heißen, jetzt war es soweit. Augen zu und durch.

Atemu konnte es kaum mit ansehen. Er hatte schon einmal vor Jahren eine Priesterweihe gesehen, damals als sein Vater noch neben ihm saß. Damals war einer der Hohepriester geweiht worden, welcher sich auch einen Namen geben ließ, um seine Priesterschaft an einen bestimmten Gott zu binden. Er erinnerte nicht mehr, wann genau es gewesen war, aber er erinnerte noch genau, wie erschrocken er war als seine kindlichen Augen diese heilige Zeremonie erblickten. Und bei dem Gedanken, dass Seth sich demselben Ritual unterzog, wurde ihm ganz anders.

Sein Seth, sein verbotener Traum, kniete vor dem großen Altar nieder, während der alte Hohepriester seine Hand mit einem weißen Tuch umwickelte und einen kleinen Eisenknüppel aus der Feuerschale hob. Seine Spitze glühte pulsierend rotgelb, so heiß war das Eisen. An seinem Ende erkannte man nur aus nächster Nähe, dass an seinem Ende ein Zeichen graviert war.

Unpassenderweise erinnerte es den König ein wenig daran, dass auch Bauern ihr Vieh auf solche Weise brandmarkten, um sie als ihr Eigentum auszuweisen.

Und nun ließ Seth sich das Zeichen des großen Amun auf die Schulter brennen, um es ein Leben lang mit sich zu tragen.

„Im Namen des Amun seiest du zu seinem Diener geweiht. Das lebensspendende Feuer des Rah soll dich mit ihm verbinden.“

Und als Seth ergeben sein Haupt senkte, die Augen schloss und die Handflächen wie zum Gebet aneinander legte, sprach er mit völlig ruhiger Stimme. „Dem Amun gilt mein Herz, meine Ehre und meine Loyalität. Ich will ihm immer treu dienen, in seinem Namen die heiligen Gebote befolgen mit meinem Körper und meiner Seele und das Wort des fleischgewordenen Gottessohnes, dem gesegneten Pharao, wie sein eigenes empfangen. Ich gelobe der Krone Ägyptens und meinem Tempel Ehre zu bringen und zu verteidigen vor allen Feinden. Ich will den Namen Seth Chuanch Amun Sanacht über meinem Haupt tragen, zum Wohlgefallen und zur Ehre unserer heiligen Götter, des Amun und des Pharaos. Ich gelobe.“

„So erwache denn“ sprach der Alte und hielt das glühende Eisen gegen die so unversehrte Schulter, wo es in lautes Zischen aufging und der gebrandmarkte doch keinen einzigen Ton des Leides hervorbrachte. „Seth Chuanch Amun Sanacht.“ Es klang wie eine neue Taufe und er drückte den glühenden Knüppel gegen sein zartes Fleisch, während er ihn laut beim Namen rief, um ihn vor den Göttern, dem Amun und dem Pharao als Priester erwachen zu lassen.

Doch sobald er den vierteiligen Titel zuende gesprochen hatte, nahm er das Eisen sogleich wieder hinfort und legte es zurück ins Feuer.

„Sei uns willkommen in der Gemeinschaft aller ägyptischer Priester, Diener des Amun, der du zu seiner Ehre unter seinem Schutz erblühen mögest. Sei uns willkommen.“

Noch während Seth sich erhob, eilten sofort zwei Priester herbei und versorgten seine schmerzende und blutende Wunde, welche sicher bald vernarben und das Zeichen des Amun preisgeben würde. Nur durfte es sich jetzt nicht entzünden und ihn krank machen. Deshalb wurde sofort ein in heilende Salben getauchtes Tuch auf die geschundene Haut gelegt und mit einem langen, wunderbar bunt verziertem Tuch fixiert.

Er hatte sich erhoben, drehte sich um, während ihm alsgleich ein neues Priestergewand gegeben wurde, welches jetzt kaum noch so schlicht rot wie das eines Schülers war, sondern so überwiegend hell wie die Gewänder der anderen Priester zu diesem Ehrentage. Die Ärmel und die Schultern waren noch in dunklem Rot gehalten, und die Nähte nur mit weißem Stoff besetzt. Aus demselben Stoff, welcher auch die Vorder- und Rückfront des Oberteils ausmachte. So trug er die Farben des Tempels, ebenso wie die heilige Farbe Weiß zu Ehren der Götter und des Pharaos.

Aber das bemerkte Atemu kaum noch, als er in seine leuchtend blauen Augen blickte. Dort fand er keinen Schmerz mehr, keine Leere, kein Leid. Helles Strahlen erfüllte diese gesegneten Saphire und ob sein stolz glückliches Lächeln ritualskonform war, war ja letztlich auch egal.

Er sah so glücklich aus, obwohl er sicher große Schmerzen hatte. Doch dieser Schmerz war anders als alle zuvor da gewesenen. Dieser Schmerz erinnerte ihn daran, dass er nun jemand anderes war. Er war nicht mehr der namenlose Lustsklave, dessen Wesen nur von den Wünschen seines Herren erfüllt werden sollte. Nein. Jetzt war er Seth Chuanch Amun Sanacht. Er hatte einen Namen, er war geheiligt und in der Gesellschaftskaste, welche dem Pharao direkt unterstellt war. Von ganz unten bis ganz nach oben. Mit Hilfe des heiligen Pharaos, welcher für ihn hatte Gnade und Menschlichkeit walten lassen. Dank des Pharaos, der ihn schützte entgegen aller Gebote. Der ihn den Weg seines Vaters gehen ließ.

Einst wandelte er auf dem Gras des Palastes und griff nach der Hand des Königs.

Heute wandelte er auf heiligem Boden und griff nach der Hand der Götter.
 

Und sein erster Blick galt dem Pharao, der ihm mit stolzen Tränen begegnete.
 


 


 

1Chuanch spricht sich Tschu-ank



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