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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 13
 

Nur wenige Stunden später war hell aufgeregtes Treiben im roten Tempel.

Die Menschen liefen umher, um noch schnell die letzten Dinge vorzubereiten - nicht nur für das große Fest zu Ehren des Imhotep, sondern auch für die angesetzte Weihe, welche wohl auch immer etwas besonderes war. Denn wann wurde schon mal ein so junger Schüler nach so wenigen Jahren zum vollen Priester erhoben?

Es wurden Speisen von einem Ort zum anderen getragen, die Bewohner hatten sich zurechtgemacht und ihre schillernsten Gewänder angezogen, man hatte sich feierlich geschminkt und den großen Platz vor dem Wüstentempel festlich geschmückt.

Atemu währenddessen hatte seine kleine, private Besichtigung durch die vielen Korridore, Plätze, Säle und Räume schon nach einer kurzen Weile beendet, da er es einfach nicht schaffte, ungestört zu sein.

Ständig lief ihm jemand über den Weg und obwohl er einen anderen Befehl erlassen hatte, so kniete man doch vor ihm nieder, bot ihm Hilfe und Geleit an. Sicher war das immer nur gastfreundlich und ehrerbietig gemeint, jedoch machte es das freie Laufen doch recht schwierig. Gut, sein Befehl wurde wohl weniger als Befehl, sondern eher als Bitte aufgefasst ... und außerdem: Wie konnte man ruhig bleiben, wenn man dem großen Pharao begegnete? Das Oberhaupt der Heiligkeit, der Herrscher über alle Menschen, den Eigner ganz Ägyptens? Natürlich wollte man ihm nahe sein und es ihm so angenehm wie nur irgend erdenklich machen ... aber damit polierten sie nur den goldenen Käfig, in dem er festsaß.

Und der Pharao?

Er ertrug es mit einem Lächeln, einen wohlwollenden Kopfnicken und zeigte Verständnis. Wenn er einem Gott begegnen würde, würde er sicher nicht anders handeln als die Menschen nun vor ihm. Es war doch verständlich ...
 

So hatte er sich irgendwann vor der Nachmittagshitze zurückgezogen und sich einen möglichst stillen und kühlen Ort gesucht. In seinem Zimmer wollte er sich nicht einschließen. Er wollte die Menschen beobachten und vielleicht ... ja vielleicht auch einen ganz besonderen unter ihnen sehen, den er unter all den vielen bis jetzt noch nicht entdecken konnte.

In der Empfangshalle des Hauptgebäudes war der Personenverkehr überschaubar gering, es war ruhig und kühl. Durch den Schatten und den dunkelroten Stein war es angenehm temperiert, während durch das weit geöffnete Tor die heiße Wüstenluft hereinfloss, sich abkühlte und nur als lauwarme Brise über seine Haut strich.

Oben auf der Treppe schien wenig los zu sein, dort setzte er sich nieder, lehnte sich an eine der riesigen Steinsäulen, welche fast dieselbe Farbe wie sein königliches Tempelgewand zeigte, und blickte hinunter in die Halle, um ein wenig zu träumen.

Ab und an liefen ein paar Jugendliche oder Frauen hindurch, um einander zu treffen oder einfach nur, um noch die letzten Reste für das Fest zu transportieren. Sie erblickten ihn nicht so weit oben auf der Treppe, fast mit der Säule verschmolzen mit einem Herzen so schwer, dass es mehr wog als all der Stein, aus welchem der Tempel gemauert ward. Sie hätten ihn hier sicher auch nicht erwartet und so beobachtete er die wenigen Passanten von der obersten Stufe herab, bis sie wieder vorbeigezogen waren. Priester hatte er schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Die waren wahrscheinlich alle zu beschäftigt.

Draußen war mehr los und so hatte man hier genug Zeit, jeden Einzelnen genauer zu beäugen und das ohne, dass er sofort entdeckt wurde oder sich von der Menge irritieren ließ.

Er konnte sie sehen ...

... aber sie sahen ihn nicht.

Hier blickten sie nicht einmal zu ihm herauf.

Sie vermuteten hier nicht jemanden wie ihn.

Ob die Menschen hier schon den Blick für die Schönheit dieser Halle verloren hatten? An den Wänden war mit so viel Liebe zum Detail gemalt worden. Szenen aus dem alltäglichen Leben und aus dem Leben der Götter. Eine breite Wandbemalung zeigte Männer beim Ackerbau oder Frauen beim Weben. Verziert mit Gold und die bunten Farben auf dem hellen Naturstein wirkten so wunderbar erfrischend zwischen den dunkelroten Säulen und Balken hier. Während die Erzählungen über das alltägliche Leben der Menschen eher weiter unten beschrieben war, so fand man höher die schillernden Zeichnungen zu Ehren der Götter. Die Geschichte darüber wie Rah die Welt erschuf und später als Amun-Rah eine neue Gottheit wurde. Die Geschichte über Isis und Osiris, über Horus und natürlich auch über den hier vorherrschenden Gott Seth. Seinen liebsten Gott.

Hier im Wüstentempel war an jeder Ecke ein Zeichen für ihn zu finden und nicht selten sah man die Menschen davor knien und sich in der Eile des täglichen Lebens einen Moment Zeit zum Gebet zu nehmen. Sie knieten einfach mitten im Treiben ihres Alltags nieder, schlossen die Augen, falteten die Hände und stiegen für einen Augenblick aus dem Leben aus. Natürlich waren auch die Zeichen des Sonnengottes häufig zu finden und die Zeichen des Pharaos waren über jede, wirklich über jede einzelne Tür gemalt worden. Der Sonnengott war das Leben, der Pharao der Verwalter des Lebens und ohne die Güte des Seth, würde der Tempel hier gar nicht stehen können.

Doch hier in der Halle waren alle Gottheiten zu finden. Man hatte ja genug Platz, um sie mit bunten Farben zu ehren. Doch trotz der Fülle, wirkte der Saal noch immer sehr bescheiden und schlicht. Man hatte den tiefrotenroten und naturhellen Stein nicht überladen und die einfallende Sonne beschien auch immer nur einen bestimmten Teil. Wie eine Sonnenuhr wanderte sie hier hindurch und die Architekten mussten wahre Künstler gewesen sein, wenn sie auf solche großen Ideen kamen, die man erst wahrnahm, wenn man sich einen Moment Zeit ließ.

Und wenn die Bewohner hier hindurchhuschten, sahen sie schon gar nicht mehr, wie wundervoll alles war. Für sie war diese schlichte Schönheit zur Normalität geworden. Niemand nahm sich einen Moment Zeit, um sich, so wie der Pharao, auf die oberste Stufe zu setzen und von oben herab auf die Gesamtheit zu blicken, sie zu bewundern und zu schätzen.

Atemu seufzte etwas betrübt darüber. Die Bewohner hier wussten gar nicht mehr wirklich, was sie hatten. Aber das war typisch für jeden Menschen. Man ging mit offenen Augen durch die Welt, aber man sah kaum noch etwas. „Eile mit Weile“ hatte sein Vater ihn gelehrt. Und er gab sich Mühe, seine Lehren zu befolgen. Man sollte sich auch in der größten Hektik einen Moment Zeit nehmen, durchatmen und sich umblicken. Wie viel Schönheit entging den Menschen, wenn sie nur von einer Schönheit zur nächsten liefen?

„Ach, schade.“

Diese Stimme ... DIESE STIMME!!!

Seit Jahren hatte er sie nicht gehört und sie riss ihn sofort aus seiner philosophischen Träumerei heraus. Er würde diese Stimme unter millionen anderen wiedererkennen.

Er hatte die Worte einer weiblichen Stimme „Du brauchst gar nicht erst zu fragen“ zwar am Rande wahrgenommen, aber nicht weiter gehört. Die Stimmen der wenigen Menschen hier hatte er ausgeblendet, aber diese eine schnitt ihm ins Herz, ließ es abermals zusammenzucken und sich an einem großen Klumpen Gefühle verschlucken.

Diese Stimme ...

Er blickte hinunter in die Halle, sein Herz schlug ein Mal so kräftig, dass es hätte laut donnern müssen und es wurde ihm davon schwindelig im Kopf.

Da unten ...

Da unten stand er. Obwohl er so weit fort war, war er jetzt doch näher als all die letzten Jahre.

Seth ...

Sein Seth. Er hatte noch immer diese hohe Statur, einen schlanken Körper. Er hatte sich kaum verändert, so schien es aus der Ferne. Sein Gesicht konnte er kaum erkennen, aber doch das erdige Glänzen seines Haares, das seidige Schimmern seiner gebräunten Haut.

Er sah so wundervoll aus.

Das lange, rote Gewand, wie es alle anderen hier trugen, stand ihm so ohne Gleichen. Allein sein göttergleicher Körper machte diese Uniform zu etwas Zauberhaftem, zu etwas Besonderem.

Doch eines hatte sich verändert ... sein Gebärden. Er stand jetzt stolzer da. Schon früher hatte er diesen hohen Stand gehabt, den geraden Rücken und diese kräftige Schulterhaltung, aber irgendwie schien es jetzt, er wäre stolzer. Vor sieben Jahren stand er ein wenig geduckt, hatte den Kopf meist gesenkt und die Arme dicht am Körper.

Jetzt aber schien er freier. Sein Haupt hoch erhoben, seine Schultern zurückgelegt, die Hände in die Hüften gestützt und ... ja ... es schien, er würde lächeln. Er war zu weit fort, um nähere Konturen zu erkennen, aber er schien ... zufrieden. Stolz und zufrieden.

In seinem lähmenden Schock gefangen, überhörte er fast den leicht belustigten Satz der alten Dame, welche ihn von ihrem Raum aus durch ein Steinfenster in der Wand ansah. „Du hast deinen Brief doch erst vor ein paar Tagen losgeschickt. Erwartest du jetzt schon eine Antwort?“

„Na ja“ lächelte er, hob die Hand und kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Ich dachte mir, man kann ja mal nachfragen.“ Und seine Stimme war so klar, so tief und so ... er klang so zufrieden und ruhig. Als hätte er hier endlich ein Zuhause gefunden.

„Du bist mir doch wirklich einer, Seth“ lachte die alte Frau ihn herzlich an und strich sich eine Strähne ihres dunkelgrauen Haares aus der faltigen Stirn. „Denkst du, der gute Tratechp kann so schnell reiten? Da müsste er auf einem Sandsturm reiten, um heute schon wieder hier zu sein.“

„Na, das Temperament seines Pferdes gleicht ja auch einem Sandsturm“ lächelte Seth sie weiter an und seufzte dann aber etwas tiefer. „Aber wenn keine Post für mich gekommen ist ... tja, schade.“

„Du und deine Briefe“ schüttelte sie den Kopf. „Du weißt doch genau, dass ich dir sofort bescheid sage, wenn ein Brief aus dem Palast für dich eintrifft. Dein Bekannter scheint ja ein sehr treuer Schreiber zu sein. Ich mache jetzt schon seit Jahren die Tempelpost und die meisten Brieffreundschaften sind mit den Jahren abgeflaut. Aber du ... wie lange schreibt ihr euch jetzt schon? Seit du hier bist, oder?“

„Sieben lange Jahre“ antwortete er in einem ganz anderen Ton. Ein Ton, der so ruhig war, so in sich ruhend. Ja, er war zufrieden mit sich und der Welt.

„So ein Bekannter im Palast kann manchmal sehr nützlich sein“ riet sie ihm mit einem neckisch erhobenen Finger. „Lass dir das gesagt sein. Solche Leute sollte man sich warm halten. Besonders wenn du jetzt Priester wirst, sind gute Beziehungen zum Palast unerlässlich.“

„Ich schreibe ihm aber nicht, weil ich mir davon etwas verspreche“ antwortet er ihr ganz ehrlich. „Ich habe ihm viel zu verdanken. Er hat mir geholfen als ich in großer Not war und ich mag es zu hören, wie es ihm geht. Ich möchte wissen, wann ich auch ihm vielleicht eines Tages helfen kann. Noch immer suche ich nach einer Gelegenheit, mich bei ihm zu revanchieren. Danach, mich zu bedanken - auch wenn er meinen Dank wahrscheinlich gar nicht nötig hat.“

„Das war ja auch nur ein Scherz“ meinte sie beleidigt. „Also wirklich, Seth, manchmal bist du so bitterernst, dass ich dich kaum wiedererkenne. Aber sag mal, was ganz anderes. Hast du schon gehört, dass der Pharao hier sein soll?“

„Ist deswegen solch ein Aufruhr?“ Nein, anscheinend hatte er das nicht gewusst. Er hörte sich so überrascht an ... so ...

„Natürlich! Der Pharao wird sicher am Fest teilnehmen und er wird mit kritischen Augen den Gottesdienst ansehen. Wir wollen uns doch vor ihm nicht blamieren. Es soll alles ganz perfekt werden, damit es ihm wohlgefällt.“

„Hast du ihn schon gesehen?“ fragte er interessiert nach.

Am liebsten wäre Atemu hinunter gerannt, hätte ihn begrüßt, in die Arme geschlossen ... ihn berührt ... ihn geküsst ... aber er konnte sich nicht bewegen. Seth zeigte wirklich Interesse an ihm, er fragte nach ihm ... das war ein unfassbares Glück! Ein Glück, welches ihn lähmte ... er konnte ihn sehen ... er konnte ihn hören ... er war ihm so nahe ...

„Ich war ja bis eben hinten im Lager“ verneinte sie. „Aber Nidernah hat mir erzählt, er sei heute Mittag durch den Tempel gewandert. Er trug sein Tempelgewand und er soll wunderbar ausgesehen haben. Es heißt seine Haut sei so gleichmäßig und rein, seine Augen so klar und sein Lächeln soll so weich sein. Hach, ich würde was drum geben, wenn ich ihn mal sehen könnte. Er soll sogar hier in der Halle gewesen sein. Und ich dumme Kuh hab ihn nicht gesehen!“

„Er ist also hier“ wiederholte er leise und senkte nachdenklich den Kopf. Was er jetzt dachte, da hätte Atemu sein Königreich drum gegeben, um das zu erfahren. Ob er sich freute, ob er Angst hatte ... auch er schien niemandem etwas gesagt zu haben. Hatte niemandem gestanden, dass er ein verleugneter Sklave war, dem der König Schutz gewährte. Er hatte sein Geheimnis für sich behalten, beide hatten es für sich behalten.

Auch wenn dieses Geheimnis kein schönes war, so war es doch etwas Gemeinsames.

„Ich glaube, du bist ein Glückskind“ schwärmte die Alte. „Wenn der König am Gottesdienst teilnimmt, was er sicher tun wird, dann wird er auch deiner Weihe beiwohnen. Sonst werden nur Hohepriester vor dem Pharao geweiht, aber du könntest wirklich Glück haben. Wenn seine Augen bei der Weihe auf dir ruhen, steht deine Priesterschaft unter einem glücklichen Stern. Das Orakel hat also Recht gehabt, Seth!“

„Unser Pharao ist wirklich hier“ wiederholte er noch mal glücklich, stellte sich gerade hin und strahlte die Alte an. „Das ist natürlich viel besser als Post.“

„Na siehst du, dann bist du ja getröstet“ lachte sie. „Aber du solltest dich doch jetzt wirklich umziehen, oder nicht? Wundert mich eh, dass sie dich aus deiner Kammer herausgelassen haben. Sollst du nicht eigentlich den ganzen Tag Andacht halten?“

„Ich hab schon gestern Abend mit meiner Andacht begonnen“ entschuldigte er sich spaßhaft. „Und da dachte ich mir, ich hab dann wenigstens ein paar Minuten, um noch mal bei dir vorbeizuschauen.“

„Wegen deiner Briefe oder meinetwegen?“ schnippte sie.

„Immer deinetwegen, liebste Sarima.“ Er nahm ihre Hand, deutete eine kleine Verbeugung an und küsste sie dann ganz leicht auf ihren Handrücken.

„Du bist ein Frauenheld, Seth“ lachte sie, zog ihre Hand weg und winkte ihn geschmeichelt fort. „Und jetzt geh dich umziehen. Du willst doch nicht zu deiner eigenen Weihe zu spät kommen.“

„Nichts läge mir ferner. Und da der König persönlich gekommen ist, sollte ich vielleicht auch noch mal baden.“

„Du hast doch jetzt noch ganz feuchtes Haar“ meinte sie - das war etwas, was der Pharao von seinem fernen Beobachtungspunkt gar nicht erkennen konnte. Aber Seth mit feuchtem Haar ... er konnte es direkt vor sich sehen ... wie es ihm in die Stirn hing und es sich sicher gerne aus den Augen streichen ließ ... dazu die wasserroten Wangen ... sie krausen Lippen ... ihn nur ein Mal berühren ... „Noch mal ein Bad nehmen? Seth, ist das gut für deine Haut?“

„In Rosenöl. Der Pharao liebt Rosendüfte.“

„Was du wieder alles weißt“ staunte sie. „Aber er wird wohl kaum an dir schnuppern.“

„Trotzdem. Selbst wenn er mir nicht mal einen Blick schenkt, so kann ich doch wohl versuchen, ihm zu gefallen. Schließlich ist er unser Pharao und wir wollen alles zu seinem Wohlgefallen tun.“

„Da hast du wohl Recht“ nickte sie. „Dann geh mal in Rosenöl baden, du baldiger Priester.“

„Ich sehe dich dann auf dem Fest. Danke für das Gespräch, Sarima.“ Er verbeugte sich noch mal ein ganz klein wenig und eilte dann schnellen Schrittes aus der Halle.

Wie weit er ausschreiten konnte mit seinen langen Beinen. Leider war unter dem Gewand nichts zu erkennen, aber er bewegte sich unglaublich schnell mit scheinbar so wenig Aufwand. So elegant, so edel. Wie ein Panther oder eine Katze. Und schon hatte er die wenigen Schritte bis zur Tür getan ... und war fort ... so schnell wie er gekommen war ...

Und er wollte tatsächlich noch ein zweites Mal baden? Nur, um dem Pharao zu gefallen? Selbst wenn er ihm nicht mal einen Blick schenkt, hatte er gesagt ... glaubte er das wirklich? Dass sein Pharao ihn nach allem, was geschehen war, nicht einmal anblicken würde? Er würde ihn am liebsten in die Arme schließen und nie mehr fortlassen und er zweifelte an einem Blick? Konnte er wirklich denken, dass er ihn nicht gerne berührte? Wie gerne würde er seine weiche Haut spüren, die Muskeln darunter. Ihm durch sein weiches, feuchtes Haar streichen. Seine Lippen berühren. In seine tiefen Augen sehen und darin den Himmel erkennen ...

„Das ist er also?“

Erschrocken drehte Atemu sich um und sah Fatil neben sich auf der Treppe sitzen. Dass er neben ihm war, hatte er gar nicht mitbekommen.

„Musst du mich so erschrecken?“ atmete er durch, fasste sich an sein polterndes Herz musste sich mit einem noch mal viel tieferem Atmen beruhigen. Er hatte diese Begegnung noch gar nicht recht verarbeitet und schon wurde er so erschreckt.

„Ich sitze schon eine ganze Weile neben Euch“ schaute Fatil ihn ruhig an. „Ihr habt wohl geträumt, mein König.“

„Ich habe nicht geträumt. Ich habe ... ähm ...“

„Geträumt“ nickte er und schaute denselben Weg in die Halle hinunter, wo bis eben noch der Traum seines Königs gestanden und gesprochen hatte. „Aber lasst Euch von mir einen Rat geben, mein Pharao. Wenn ihr ihn anseht, schließt bitte den Mund. Es muss ja nicht jeder Euren treudummen Ausdruck sehen.“

Hatte er wirklich den Mund offen stehen lassen? Oh ... wie peinlich.

„So etwas geziemt sich nicht nur nicht, sondern es verrät Euch. Euer Blick, Eure Augen und dazu Eure völlige Abwesenheit. Ihr liebt diesen Mann, oder?“

„Das geht dich gar nichts an, Fatil“ antwortete er in einem dunklen Ton. „Hör endlich auf damit. Kümmere dich um deine eigenen Sachen.“

„Ihr seid meine eigenen Sachen“ meinte er ganz ehrlich. „Majestät, mir liegt an Eurem Glück. Aber wenn Ihr mich nur raten lasst, so kann ich Euch nicht helfen. Sagt mir, ist er der Sklave, den ihr damals erst gerettet und dann fortgeschickt habt? Ihr wollt ihn zum Priester machen?“

„Fatil bitte“ flüsterte er mit nötig unterdrückter Stimme. Entweder würde er gleich laut schreien oder in Tränen ausbrechen. Er konnte dieses wohlgehütete Geheimnis nicht verraten. Das wäre Verrat an seinem Versprechen - und an seiner Liebe. Verrat an der tiefsten Liebe, die jemals ein Wesen empfinden konnte. An einer Liebe, welche ihm als Geschenk und als Fluch von den Göttern auferlegt wurde.

„Ihr seid Euch doch darüber bewusst, dass es einen Aufstand geben wird, wenn das hier rauskommt. Ihr riskiert einen Bürgerkrieg, wenn ihr die Stände unterwandert und infrage stellt. Ist er es wirklich wert, dass Ihr Ägypten dafür aufs Spiel setzt?“

„Ja, er ist es wert“ hauchte er leise. „Jeder Mensch ist es wert, dass man menschliche Normen infrage stellt.“

„Mein König, Euer Handeln ist gegen jedes Gesetz und gegen die Religion. Wie könnt Ihr jemanden in den heiligen Stand erheben, wenn er die Heiligkeit mit Füßen tritt? Wenn er unsere Religion vertreten soll, dann kann er dies doch nicht tun, indem er sich diesen Stand erschleicht. Das ist ein Widerspruch in sich selbst.“

„Du weißt überhaupt nichts, Fatil. Gar nichts weißt du. Hör auf, darüber zu sprechen. Ich lasse dich hinrichten, wenn du nicht endlich aufhörst! Hör auf! Bitte!“

„Aber ich weiß, dass Ihr ihn liebt“ eröffnete er und blickte seinen König traurig an, der sein Gesicht auch nur mit geschlossenen Augen auf gen Boden gerichtet hatte. „Ihr tut das hier nur, um ihn zu schützen. Um ihm ein Leben zu schenken, welches er nicht in der Gefangenschaft eines Sklaven fristen muss. Ich sehe, wie sehr Ihr Euch selbst dafür quält. Eure Sehnsucht ist Euch unerträglich und sie wird Euch in Stücke reißen, wenn Ihr weiter so handelt. Was mit diesem Sklaven wird, ist mir egal - aber Ihr seid mir nicht egal, mein König. Ihr seid mir wie ein Bruder und mich würde nichts mehr freuen, als dass Ihr Euer Glück findet.“

„Ein Glück, das allen Grundsätzen widerspricht und so viele Menschenleben in Gefahr bringt? Ein Glück, das einen Krieg zur Folge haben kann? Kann das wirklich Glück sein? Meine Liebe ist kein Glück ... sie ist ein Fluch, der mich gefangen hält.“

„Majestät, Ihr kanntet meine Mutter?“ fragte er leise. „Und ihr wisst auch, dass sie eine sehr weise Frau war? Sie hat mir einst gesagt: Lieber ein kurzes Leben in Liebe, als ein langes Leben in Leid. Ich sehe, Ihr wollt immer für alle das Beste. Ihr opfert Euch auf für Euer Volk, für alle Menschen. Nur Ihr selbst kommt dabei immer zu kurz. Ihr verteufelt die Ungerechtigkeit und doch tut Ihr Euch selbst so viel Unrecht. Mein König, ich liebe Euch und ich will, dass Ihr glücklich werdet. Doch mit diesem Sklaven weiß ich nicht, ob Ihr darauf Euer Glück bauen solltet.“

„Was soll ich denn machen, Fatil?“ Nur noch ein paar Worte mehr und er würde in Tränen aufgehen. Fatil hatte ja Recht mit allem, was er sagte - aber was sollte er denn tun? Weder der eine, noch der andere Weg war besser.

„So viele Jahre sind vergangen und Ihr liebt ihn noch immer“ seufzte er und er tat etwas sehr ungewöhnliches. Er legte seinen Arm um den König, zog ihn zu sich und lehnte ihn an seine Schulter heran, falls er weinen wollte. „Ich gebe zu, ich verstehe Euch nicht“ fuhr er leise fort, damit auch ja kein Wort durch den Raum hallte und gehört wurde. „Ich kann weder verstehen, weshalb Ihr einen Mann liebt, noch dazu einen Sklaven. Noch, dass Ihr dafür Euren Thron und die Ordnung Ägyptens aufs Spiel setzt. Aber Ihr seid mir wie ein Bruder und ich weiß, dass in Euch ein reines, gutes Herz schlägt. Ich liebe Euch mehr, als ich Ägypten liebe. Und ich werde treu an Eurer Seite stehen mit all meiner Loyalität. Euer Geheimnis wird meine Lippen nicht verlassen, auch wenn ich es nicht gutheiße, was Ihr hier für ein Spiel treibt. Doch bitte seid Euch versichert, mein König, Ihr seid nicht mehr allein damit und ich will Euch mit meinem Leben schützen. Euer Glück ist mir heilig ... selbst wenn Ihr es in den Armen eines verleugneten Sklaven seht.“

„Fatil ...“

„Und deswegen nehmt Euch meinen Rat bitte zu Herzen. Wenn Ihr ihn schon anhimmelt, dann lasst wenigstens den Mund geschlossen“ lächelte er und buffte ihn freundschaftlich in die Seite.

Und da musste auch der König für einen Augenblick ein wenig lächeln, bevor er seine Arme um ihn schlang und ein ergebenes „Danke“ an seine Schulter hauchte.

Auch wenn Fatil ihm nicht viel helfen konnte, so war es doch gut zu wissen, dass er da war und auf ihn aufpasste. Es war gut, dass es endlich raus war, auch wenn er es von selbst niemals ausgesprochen hätte. Selbst wenn Fatil mit der Meinung seines Pharaos nicht übereinstimmte und ihn auch nicht verstehen konnte, so stand er dennoch an seiner Seite.
 

Und solche Freunde waren mehr wert als ein Palast voller Gold.
 

Es war die Stange seines Käfigs, auf welcher er als goldener Vogel saß ...



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