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Seasons

Oneshot-Sammlung
von

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[Sommer] Zwischen uns (Drama)

„Ich verstehe dich einfach nicht!“

Aus Sakuras Stimmlage war ihr Unverständnis gegenüber der Situation klar und deutlich heraus zu hören. „Du magst ihn doch, oder etwa nicht?“

„Schon, aber-“

„Und du weißt, dass er dich mag.“

Tenten stöhnte leicht auf. „Nein, ich weiß noch gar nichts“, sagte sie genervt, „Mir kam es nur so vor als ob… Und überhaupt, vielleicht interpretiere ich da zu viel rein.“

„Mach dir doch nichts vor! Du willst es bloß nicht wahr haben, weil es jetzt vielleicht ernst werden könnte!“

„Und wenn es so wäre?“

„Dann bist du ängstlicher und unentschlossener als ich bisher dachte.“

„Na vielen Dank auch!“
 

Langsam ging Tenten auf ihr Bett zu und ließ sich mit so viel Schwung auf den Rücken fallen, dass die Matratze unter ihr quietschte und das Lattenholz zu sprengen drohte. Ihre Beine reichten über den Bettrand hinaus, sodass ihre nackten Füße in der Luft baumelten. Dann atmete sie laut seufzend aus. „Es ist nur alles so kompliziert.“

„Nein, gar nicht! Du machst es dir so kompliziert!“, argumentierte Sakura dagegen, „Sieh mal: Du magst ihn, er mag dich… Wenn das immer so einfach wäre-“

„Ich will ihn doch auch!“
 

Beide Mädchen schwiegen einen Moment lang und Tenten hörte Sakuras leises Atmen an ihrem Ohr. „Ich will ihn!“, wiederholte sie mit Nachdruck und klang dabei fast herausfordernd. Sakura gluckste und auch Tenten konnte sich ein Schmunzeln nur schlecht verkneifen.

„Wie sich das anhört“, stellte Sakura belustigt fest, „Warum sagst du’s ihm dann nicht selbst? Bist du zu schüchtern?“

„Eigentlich nicht. Ich will… Ich will einfach, dass er es macht!“

„Was macht?“

„Na, auf mich zukommen!“
 

Nun lachte die Jüngere tatsächlich. „Tenten, mal unter uns: Du kennst Neji!“, sagte sie nicht unfreundlich, „Hör auf zu träumen und wag endlich den ersten Schritt!“

„Neji ist aber kein Beziehungstyp. Wenn die Initiative jetzt von ihm ausginge, wüsste ich genau, dass er es auch will; dass es ihm ernst ist. Außerdem mag er mich vielleicht auch gar nicht wirklich.“

Sakura sog die Luft scharf ein. „Das Thema hatten wir vor einer Stunde schon mal“, bemerkte sie mit gezwungener Ruhe, „Wir drehen uns im Krei-“
 

Sie stockte plötzlich und Tenten konnte leise Stimmen im Hintergrund hören. Dann meldete sich Sakura erneut zu Wort: „Mist! Tut mir leid, aber ich muss jetzt los!“

„Schon okay.“

„Denk darüber nach, was ich dir gesagt habe, es sei denn, du willst, dass ihn dir jemand vor der Nase wegschnappt! Falls ich mich doch irre und er dich – wer weiß, warum auch immer – ablehnt, musst du dir wenigstens nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.“

„Ja, du hast ja recht“, murmelte Tenten gedankenverloren, „Ich denk drüber nach.“

„Na also!“ Sakura klang triumphierend. „Ich hab die ganze Nacht Dienst im Krankenhaus. Wir sehen uns also morgen- oder warte! Komm nachher einfach vorbei und

erzähl mir, wie es gelaufen ist!“

„Moment mal, wieso-“

„Bis denn!“
 

Noch bevor Tenten aussprechen konnte, schallte ihr ein monotones Tuten entgegen und nun legte auch sie den Hörer wieder auf. Sakura sagen wie es gelaufen ist? Wie sollte Tenten das machen, wenn sie sich noch nicht einmal entschieden hatte, Neji zu sagen, wie es seit langem mit ihren Gefühlen aussah? Langsam kamen in ihr Zweifel auf, ob es richtig gewesen war, sich ihrer Freundin anzuvertrauen. Sakura hatte einfach eine andere Art mit solchen Dingen umzugehen.
 

Tenten seufzte abermals schwer und drehte sich auf die Seite. Eigentlich hatte sie ja nichts zu verlieren, da hatte Sakura Recht. Ihn zu fragen war nicht schädlich und sie musste zugeben, dass es schon ziemlich unwahrscheinlich war, dass Neji sie ablehnte. Diese Zuneigung zu ihm hatte sich langsam und schleichend eingestellt. War er zu Beginn nicht mehr als ein Teamkamerad gewesen, hatten sich ihre Gefühle innerhalb von vier Jahren, in denen sie sich nun kannten, stark verändert. Das alte Team gab es nur noch sehr selten, denn jeder hatte seinen eigenen Weg eingeschlagen, doch trotzdem dachte sie oft an ihn. Nein, eigentlich verging kaum eine freie Minute, in der er nicht in ihren Gedanken kreiste. Sie sehnte sich nach seiner Anwesenheit, seiner Stimme, seinem Körper…
 

„Tenten?“ Ein Klopfen an ihrer Zimmertür riss sie aus ihren Gedanken.

„Was ist?“, rief sie genervt und erschrocken über die unerwartete Störung. Die Türklinke wurde nach unten gedrückt, doch die Tür blieb verschlossen.

„Kannst du bitte was für mich erledigen?“ Die Stimme von Tentens Mutter klang gestresst und auffordernd und duldete keine Widerrede. „Ich habe hier einen Brief, der schnellstmöglich zur Hokage gebracht werden muss.“

„Kannst du das nicht selbst machen?“, fragte das Mädchen erzürnt, stand auf, schlüpfte in ihre kurze Hose und streifte sich ein knappes Top über, um kurz darauf das Schloss der Zimmertür aufschnappen zu lassen. Der Blick ihrer Mutter verriet die Antwort und wortlos überließ sie den gelben Umschlag ihrer Tochter.

„Danke“, raunzte diese und schlüpfte an ihrer Mutter vorbei, um zur Treppe zu gelangen.

„Nicht so frech, meine Liebe!“, wurde sie ermahnt, doch Tenten war bereits im unteren Geschoss und hörte die Worte nicht mehr.
 

Die Haustür schlug hinter ihr zu und Tenten stand plötzlich inmitten der wallenden Hitze des Abends. Im Haus war es kühler gewesen und sie hatte nur Unterwäsche getragen. Jetzt schlug ihr die schwüle, heiße Luft wie ein Fausthieb ins Gesicht und ließ ihre Kleidung unangenehm auf der Haut kleben. Kein Windhauch war zu spüren und da seit Tagen kein Regen mehr gefallen war, war der Boden staubtrocken. In der Ferne flimmerte die Luft und Wolken zogen sich am Horizont zu dunklen Türmen zusammen. Ein leises Grollen war zu vernehmen und man konnte das bevorstehende Gewitter förmlich riechen.

Tenten versuchte im Schatten der Häuser und Bäume zu laufen, um der prallen Sonne nicht zu lange ausgesetzt zu sein, welche bereits recht tief stand, aber dennoch sehr viel Kraft hatte. Obwohl dem Mädchen der Schweiß auf der Stirn stand, waren ihr so warme Sommertage wesentlich lieber als der frostige Winter und sie genoss die Ruhe des Abends auf den menschenleeren Straßen.
 

Nachdem sie beschloss, einen kleinen Umweg zu machen und um eine weitere Hausecke bog, gelangte sie in eine weniger bewohnte Gegend des Dorfes. Links der Straße erblickte sie die weitläufige Wiese, die von vielen Ninja als Trainingsplatz genutzt wurde, rechts war eine Blumenwiese, auf der die schönsten Exemplare Konohas zu finden waren und im Hintergrund war bereits der Waldrand zu erblicken. Die grünen Kronen der Bäume leuchteten in der Abendsonne und verdeckten die Außenmauern des Dorfes, die unweit dahinter gezogen waren.
 

Tenten lauschte dem abendlichen Zwitschern der Vögel und dem Zirpen der Grillen. Sie ging langsam, wollte aus der beruhigenden Atmosphäre nicht herauskommen und dem Zentrum weiter entgegengehen; wollte dem Sitz der Hokage nicht näher kommen, wo es wieder turbulenter zugehen würde, als sie plötzlich stockte und inne hielt. Weiter hinten auf der Wiese waren zwei Gestalten, die tatsächlich ehrgeizig genug schienen, um bei dieser Wärme zu trainieren. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte sie Neji und dessen Cousine Hanabi. Neji schien Hanabi eine Technik zu zeigen, die sie ihm nachmachen und lernen sollte, was ihr, trotz einigem Talent in den Ninja-Künsten, sichtlich schwer fiel.
 

Eine Weile blieb Tenten stehen und schaute dem Schauspiel aus der Ferne zu. Nejis Können erstaunte sie mit jedem Mal neu und sie bewunderte die Eleganz und Genauigkeit mit der er seine Techniken ausführte. Wie er sich dabei bewegte und…

Der Blick seiner weißen Augen traf sie wie ein Schlag und ihr Herz machte einen Hüpfer. Er hatte sie bemerkt, doch wie sollte sie jetzt reagieren? Sollte sie einfach weitergehen, zu den beiden hingehen oder einfach nur winken? Noch bevor sie wusste, wie sie sich verhalten wollte, nahm Hanabi ihr die Entscheidung ab. Sie war Nejis Blick gefolgt und winkte nun Tenten zu ihnen herüber.
 

Zögernd betrat das Mädchen die Wiese und kam auf die beiden Hyûga zu. Der Wind frischte auf und die Sonne verschwand hinter schwarzen, schweren Wolken. Am Horizont war es bereits bezogen.

„Hallo Tenten! Hast du nicht Lust mit uns zu trainieren?“, fragte Hanabi fröhlich, nachdem das ältere Mädchen bei ihnen angekommen und von Neji nur ein knappes Nicken zur Begrüßung bekommen hatte. Tenten wurde dadurch ein wenig schwermütig, weil sie nicht wusste, ob er dies aus Verlegenheit tat oder sie sich doch vollkommen in ihm getäuscht hatte.

„Tut mir leid“, entgegnete sie schließlich und lächelte der kleinen Hyûga zu, „Aber ich hab noch etwas zu erledigen und eigentlich gar keine Zeit.“

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Neji den Blick keine Sekunde von ihr abwandte, während sie mit seiner Cousine sprach.

„Das ist aber schade. Weißt du, Neji zeigt mir gerade sein Hakkeshou Kaiten , aber ich bekomme es einfach nicht hin. Ich kann die Geschwindigkeit nicht richtig regulieren.“ Hanabi wirkte müde und ausgelaugt, doch trotz ihrer Misserfolge keineswegs demotiviert. Neji stand dagegen im Gesicht geschrieben, dass sie bereits eine ganze Weile trainiert hatten, womöglich den gesamten Nachmittag, und ihn langsam die Lust verließ.
 

„Das schaffst du schon noch, da bin ich mir sicher!“, ermutigte Tenten die Jüngere und wollte sich gerade Neji zuwenden, als sie sah, dass dieser den Blick gen Himmel gerichtet hatte. „Wir sollten uns zuerst unterstellen, bevor wir weitermachen“, meinte er ernst, „Es gibt gleich einen gewaltigen Schauer.“

Die drei gingen in Richtung der Dorfstraße, um bei den Häusern Schutz vor dem Regen zu finden, doch als die ersten Tropfen vom Himmel fielen und es keine Minute dauerte, bis es wie aus Eimern auf sie niederging, begannen sie zu rennen. Blitze und Donner waren zwar noch in weiter Ferne, doch der Regen war stark und kribbelte warm und dennoch angenehm erfrischend auf der Haut.
 

Tenten kam der Weg, den sie auch hergekommen war, zurück um ein vielfaches länger vor. Sie lief so dicht hinter Neji, dass sie nur ihre Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren und wagte es doch nicht. Stattdessen begnügte sie sich damit, gebannt auf seinen Rücken zu starren, den die langen braunen Haare durch seine Bewegungen sanft umspielten. Er hätte die Richtung ändern und überall hinlaufen können, selbst aus dem Dorf hinaus, und sie wäre ihm sicher gefolgt.

Zu spät bemerkte Tenten das vom Regen rutschige Gras unter ihren Füßen und als sie ungeschickt strauchelte, gelang es ihr nicht, sich rechtzeitig wieder zu fangen. Wie ein schwerer Sack Reis flog sie vornüber auf den nassen Boden und gleichzeitig fuhr ein brennender Schmerz in ihre Handflächen, mit denen sie sich abzufangen versuchte.

„Tenten!“ Sofort drehte sich Neji zu dem Mädchen um, welchem schlagartig bewusst wurde, dass er sie durch seine Augen, die das Bluterbe der Hyûga in sich trugen, die ganze Zeit beobachtet haben musste. Vorsichtig richtete sich Tenten wieder auf und nachdem Neji sie am Ellenbogen hochzog, kam sie beschämt auf die Beine.
 

„Entschuldige“, murmelte sie leise, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Dann bemerkte sie, dass sie ihm hätte danken müssen, doch nun war es zu spät, um ihre Aussage zu korrigieren und sie fühlte die Hitze stärker in ihren Kopf steigen.

„Ist dir was passiert?“, fragte er unbeirrt und das Einzige, was Tenten in diesem Moment heraus zu bringen schien, war ein leises „Nichts“. Ihr fiel auf, wie dicht sie und Neji beieinander standen und wie nah sich ihre Gesichter waren; dass sie begann, sich in den hübschen weißen Augen zu verlieren, bis auch Neji den Blick nicht länger auszuhalten schien und völlig unvermittelt seine Lippen auf ihre legte.
 

Es waren Hoffnungen und Träume gewesen, die Tenten bis dahin beherrscht hatten, aber ganz sicher keine Erwartungen. Für einen Augenblick schloss sie die Augen und wollte wissen, was ihre anderen Sinne ihr vermitteln würden, doch da gab es nichts als ihn. Sie roch seinen Duft, hörte seinen Herzschlag, spürte seinen Atem und seine Finger, die sich unbewusst um ihr Handgelenk geschlossen hatten, nachdem sie ihren Unterarm beim Aufhelfen hinab gewandert waren. Tenten genoss Nejis sanfte Berührung und sehnte sich gleichzeitig nach mehr davon.
 

Endlos lange mussten die beiden so dagestanden haben, dann war es im nächsten Atemzug auch schon wieder vorbei und Tenten schien an den Ort zurück zu kehren, den sie vor ein paar Minuten meinte verlassen zu haben. Verlegen sah sie Neji an und wartete, dass die Aufregung verebbte und das Kribbeln nachließ. Der strömende Regen, den sie eine Weile nicht wahrgenommen und vergessen hatte, brach nun umso stärker auf sie herein und ihr wurde bewusst, dass sie beide nass bis auf die Haut waren. Tenten störte diese Tatsache wenig, denn alles um sie und in ihr verströmte plötzlich eine wohlige Wärme. Das Rauschen des Regens dröhnte ihr laut in den Ohren, bis Neji das allgemeine Schweigen beendete und zerstreut meinte: „Wir müssen uns unterstellen.“
 

Er fasste ihre Hand und zog seine ehemalige Teamgefährtin hinter sich her, die ihm folgte wie in Trance. Endlich erreichten sie die schmale Dorfstraße und stellten sich zu Hanabi unter das große Vordach eines angrenzenden Hauses. Neji erntete sofort ein viel sagendes Grinsen von seiner jüngeren Cousine und ließ Tenten so abrupt los, als hätte er sich an ihr verbrannt. Die rasche Bewegung riss diese wiederum aus ihrer Abwesenheit und ließ sie bedauern, nicht mehr seine Hand in ihrer zu spüren.
 

Das Gewitter hielt weiter an und Blitze zuckten über den pechschwarzen Himmel, der wie ein Zelt über das Dorf gespannt war und verschleierte, wie der Tag der Nacht wich. Hagelkörner stürzten zu Boden und verwandelten ihn in eine Schneelandschaft mitten im Hochsommer. Das Dröhnen der Donnerschläge hallte in Tenten Kopf wider, welcher voll von Gedanken war, die sie nicht zu ordnen wusste. Es schien ihr unwirklich, hier unter diesem Vordach zu stehen und zusammen mit Neji auszuharren, bis das Unwetter vorbei gezogen sein würde, doch es bestand kein Zweifel daran, dass es wirklich so war. Tenten musste unerwartet grinsen und je mehr sie versuchte, ihr Gesicht zu entspannen, umso weniger konnte sie damit aufhören. Ganz sicher gab es in diesem Moment auf der ganzen Welt kein glücklicheres Mädchen als sie.
 

So schnell wie der Spuk begonnen hatte, war er auch schon wieder vorüber. Tenten beobachtete, wie der Himmel in der Ferne aufklarte und das Donnern nur noch sehr leise zu ihnen vordrang. Der Platzregen wurde von einem schwachen Nieseln abgelöst und machte Hoffnung, dass es bald wieder trocken sein würde. Jetzt erinnerte sich Tenten auch wieder Hanabis Gegenwart, die erleichtert aufatmete und rief: „Ich dachte schon, es geht nie mehr vorbei! Schließlich muss ich weiterüben!“

Auch Neji fuhr sichtbar zusammen, als die Stimme seine Cousine die Stille brach und kurz darauf hörte man ihn leise räuspern. „Lassen wir es besser für heute“, sagte er bestimmt, „Es hört nicht mehr auf zu regnen und dunkel wird es auch schon. Wir gehen zurück!“

Die junge Hyûga sah ihn empört an, wagte es aber nicht, zu widersprechen.

„Was ist mit dir, Tenten?“, fragte sie an die Ältere gewandt, die im ersten Moment überlegten musste, weshalb sie überhaupt hier war, bis ihr siedend heiß einfiel, welche Besorgung sie eigentlich zu erledigen hatte.

„Ich muss zu Tsunade“, entgegnete sie hastig, „bevor es noch zu spät wird!“ Tenten hatte nicht vor, überstürzt aufzubrechen und wäre lieber noch eine Weile in Nejis Nähe geblieben, doch die Zeit drängte und veranlasste sie, sich zu beeilen.

„Kommst du morgen Abend wieder hierher?“ Es war Neji, der sie aufhielt. Im ersten Moment wirkte Tenten überrascht, da die unmissverständliche Direktheit seiner Frage sie verblüffte. Dann strahlte sie ihn freudig an. „Wenn du möchtest“, war ihre knappe Antwort und mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete sie sich von den beiden Hyûga-Abkömmlingen und stürmte die Dorfstraße in Richtung Zentrum davon.
 

„Du magst sie, was?“, stichelte Hanabi mit einem weiterhin anzüglichen Grinsen. Neji schenkte diesem keinerlei Beachtung.

„Das geht dich überhaupt nichts an“, erwiderte er und war bemüht, ruhig und teilnahmslos zu bleiben.

Hanabi zuckte mit den Schultern. „Mir ist es ja egal, aber ich weiß, was ich sehe.“ Beleidigt wandte sie sich von Neji ab und trat den Heimweg an, während ihr Cousin ihr in einigem Abstand folgte und sie schon nach wenigen Metern wieder eingeholt hatte.

„Und mir ist es egal, was du gesehen hast, aber ich will nicht, dass du auch nur ein Wort darüber verlierst!“, griff er das Thema erneut auf und Hanabi blickte nun wütend zu ihm hoch.

„Denkst du, ich werde es überall rumposaunen?“

„Nein“, gab der Ältere zu, klang aber dennoch forsch, „Es darf nur vorerst niemand Wind davon bekommen. Versprich es!“

„Ich verstehe nicht, warum dir das so wichtig ist, aber meinetwegen versprochen“, murmelte das Mädchen kopfschüttelnd und Neji atmete innerlich auf. Auf Hanabis Wort konnte er sich verlassen und nur das zählte.
 


 

„Nein, ehrlich???“ Sakuras Stimme überschlug sich vor Aufregung und fast im selben Moment legte die angehende Ärztin erschrocken die Hände vor den Mund. Im Krankenhaus herrschte seit etwas über einer Stunde Nachtruhe und sie und Tenten standen auf dem abgedunkelten Gang vor einer Reihe von Türen, hinter denen die Patienten bereits schliefen.

„Er hat dich geküsst?“, wiederholte sie nun im Flüsterton, schien aber nicht weniger begeistert. Tenten nickte atemlos und man konnte deutlich sehen, dass ihre Wangen immer noch glühten.

„Und er will sich morgen Abend wieder mit mir treffen“, berichtete sie weiter, nicht ohne ihren Stolz verlauten zu lassen.

„Dann ist die Sache ja so gut wie besiegelt. Ich hab dir doch gesagt, dass es ihm ernst ist!“

Tenten zog eine Schnute. „Die Sache? Du redest davon, als würde man eine Beziehung ganz nebenbei beginnen.“

„Schön wär’s, aber die Herren machen es einem nicht immer so leicht wie Neji.“

„Das sagt ausgerechnet die ohne Temperament, die es allen Männern einfach macht…“
 

Beide Mädchen prusteten los und kamen erst aus ihrem Gelächter raus, als einer der letzten Besucher auf seinem Weg aus dem Gebäude, über den Gang auf sie zukam. Sie erkannten Hiashi Hyûga, das Oberhaupt des größten Clans Konohas, grüßten ihn im Vorbeigehen höflich und wünschten ihm eine angenehme Nacht, welches er förmlich erwiderte. Sobald er hinter der nächsten Ecke verschwunden war, raunte Sakura hinter vorgehaltener Hand: „Aber du musst zugeben, dass sie doch alle etwas ernst wirken.“

Wieder musste Tenten kichern. „Nur, weil du sie nicht kennst“, stellte sie richtig, „Hanabi ist von einer ganz anderen Sorte. Was macht ihr Vater überhaupt hier?“

„Ein Mitglied des Clans hat sich bei einer Mission schwer verletzt“, gab Sakura prompt zur Antwort, „Sein Augenlicht hätten wir fast nicht retten können. Die Familie macht immer viel Wirbel, wenn ein Hyûga betroffen ist.“

„Ist doch schön, wenn sie sich so umeinander sorgen.“

Sakura wollte sagen, dass sie nicht glaube, es habe damit etwas zu tun, doch ihre Freundin lächelte so glücklich, dass sie ihre Bemerkung wieder hinunter schluckte.
 

Es dauerte noch einige Zeit, bis Tenten die Begegnung mit Neji in ausführlichen Einzelheiten geschildert hatte und die bloße Erinnerung an das Vergangene weckte ihre Vorfreude auf den nächsten Tag von neuem. Schließlich wurde Sakura von einer Oberärztin, die zufällig vorbeikam, zurechtgewiesen und musste sich wieder ihrer Arbeit widmen. Tenten machte sich auf den Weg nach Hause, konnte es sich aber nicht nehmen lassen, an der Wiese entlang zu schlendern, auf der der Junge, in den schon so lange verliebt war, sie vor erst wenigen Stunden geküsst hatte.
 

Für einen Moment blieb sie stehen, sah in den sternenklaren Nachthimmel und stellte sich vor, wie es wäre, Neji auch jetzt bei sich zu haben; wie es wäre, seine Hand zu spüren und seine Stimme zu hören. Diese Gedanken ließen ihr warme Schauer über den Rücken fahren. Was er wohl gerade tat? Ob er schon schlief oder etwas aß? Oder ob er wohl auch an sie dachte? Und wie würde es wohl morgen sein? Würden sie sich wieder so nah kommen wie heute?
 

Ein unwillkürliches Schmunzeln schlich sich über Tentens Lippen. Für die Antworten, die sie suchte, musste sie wohl oder übel noch einige Stunden abwarten, doch eines war bereits sehr gewiss: Er meinte es ernst mit ihr, denn, entgegen Sakuras und ihren eigenen Vermutungen, hatte er den Anfang gemacht, so wie sie es sich immer gewünscht hatte. Niemand auf der Welt hätte ihr jetzt noch weismachen können, dass Neji nichts für sie empfand und niemand würde die pure Glückseligkeit zerstören, die Tenten durchflutete wie ein reißender Fluss. Alle Bedenken, die sie vor ihrer Begegnung gehabt hatte, waren vollständig verwischt, schienen nie existiert zu haben…
 

Tenten atmete tief ein und setzte ihren Weg bedächtig fort. Die Luft war wieder warm und vom Regen war keine Spur mehr geblieben, so begierig hatte der verdorrte Boden das Wasser aufgesogen. Auch Tentens Haare und ihre Kleidung waren schon fast wieder trocken. Sie war sich sicher, dass der morgige Tag ebenso heiß werden würde wie der heutige.
 

Ganz automatisch trugen ihre Füße sie nach Hause und Tenten wurde erst bewusst, wo sie war, als ihre Mutter ihr den Weg ins Bad versperrte und fragte, wo sie so lange gewesen sei.

„Ich habe mir Sorgen gemacht“, zeterte sie streng, „Hast du wenigstes den Brief weggebracht?“

„Welchen Brief?“, erkundigte sich ihre Tochter gedankenverloren, berichtigte aber sofort, „Ach ja, den! Ja, hab ich.“

Geschickt wand sich die Jüngere an der Frau vorbei und schlüpfte ins dahinter liegende Zimmer, um weiteren Fragen schnell zu entgehen.

„Ich dusche eben.“

„Willst du schon schlafen?“ Ihre Mutter klang überrascht, doch Tenten antwortete nicht und ließ hinter der geschlossenen Tür zur Ausrede das Wasser rauschen.
 

Wenn sie schnell schlief, würde der nächste Morgen schneller da sein und sie würde Neji schneller wieder sehen, überlegte sie gut gelaunt, rechnete jedoch nicht mit ein, dass sie vor Aufregung die ganze Nacht keinen Schlaf finden würde.
 


 

Der darauf folgende Tag war so langsam und schleppend verstrichen, wie es Tenten bisher noch nie vorgekommen war und als sie gegen Abend am vereinbarten Treffpunkt erschien, war Neji noch nicht zu sehen. Das war nicht weiter wunderlich, denn sie war viel zu früh dran, hatte es zuhause aber einfach nicht länger aushalten können. Um sich die Zeit zu vertreiben, ging sie zu einer alten Eiche am Rande der Wiese, stellte sich in einigem Abstand auf und warf Kunais, die sie, wie einige andere Waffen, stets bei sich führte, auf die Rinde des Stammes. Schon bald merkte sie, dass ihr die Konzentration versagte und die Wurfgeschosse ihr Ziel verfehlten. Obwohl Tenten kaum geschlafen hatte, fühlte sie sich hellwach und bis aufs Äußerste angespannt, denn die Erwartung auf das Kommende raubte ihr beinahe die Sinne. Vielleicht wäre sie doch besser noch daheim geblieben und hätte die restliche Zeit mit einem guten Buch überbrückt. Aber auch das hätte ihre Nervosität und Vorfreude wohl nicht gelindert und sie hätte nach der ersten gelesenen Seite sicher vergessen, worum es ging.
 

Die Zeit schritt unermüdlich voran und es dauerte nicht lange, bis die Sonne sich dem Horizont neigte und blutrot zu versinken drohte. Auf der anderen Seite stand der Mond als matte, blasse Scheibe am Firmament und bildete den Mittelpunkt zwischen den hellsten Sternen, die während der Dämmerung immer als erstes zu erkennen waren. Nun wurde es einsam um Tenten, denn den Weg neben der Wiese passierten immer weniger Menschen und jedes Mal, wenn jemand in der Ferne auftauchte, wirbelte ihr Kopf erwartungsvoll herum und sie versuchte zu erkennen, wer sich ihr näherte. Dabei wurde das Kribbeln im Bauch meist unerträglich und das Herz schlug Tenten bis zum Hals, bis sie merkte, dass keiner, der vorbeikam, der war, den sie ungeduldig herbeisehnte. Tatsächlich ließ der Junge sich viel Zeit und kam und kam nicht.
 

Tenten merkte, wie die Dunkelheit sie einschloss und zum ersten Mal kamen Zweifel in ihr auf. Es war nur ein Kuss und ich habe ihn gefeiert, als hätte Neji mir seine Liebe gestanden und wir wären schon ein Paar, meldete sich eine Stimme in ihrem Inneren flüsternd zu Wort, die sie nicht hören wollte. Aber hatte Neji sie wirklich versetzt? Womöglich verarscht oder nicht den Mut gehabt aufzutauchen? Beides wollte sie nicht recht glauben, denn so schätzte sie ihren früheren Gefährten nicht ein. Er war auch damals im Team immer sehr zuverlässig gewesen. War ihm vielleicht etwas dazwischen gekommen? Ja, so musste es sein. Oder er hatte sein Treffen mit ihr einfach vergessen… Aber dann musste es für ihn etwas Unbedeutendes sein und auch das wagte Tenten sich nicht vorzustellen.
 

Der Wind raschelte durchs hohe Gras, ließ die Blätter der Eiche leise rauschen und Tentens braune Haarknoten erzittern, als er ihr tröstend über den Kopf strich. In der Nähe huschte eine junge Katze umher und jagte nach Glühwürmchen, doch Tenten konnte sie durch ihren Tränenfilm nicht richtig erkennen. Dabei war sie doch eigentlich kein Mädchen, das schnell weinte und auch keines, das schnell die Flinte ins Korn warf. Wütend über sich und die Situation wischte sie mit dem Saum ihres Tops über ihre Augen. Mittlerweile war klar, dass Neji nicht mehr kommen würde und Tenten fand es an der Zeit, herauszufinden, was vorgefallen war. Entschlossen machte sie sich auf den Weg über die unbelebte Dorfstraße, abermals in Richtung des Zentrums. Tausend mögliche Erklärungen rasten dabei durch ihre Gedanken und keine wirkte richtig plausibel.
 

Vor dem großen, auffallenden Anwesen des Hyûga-Clans machte Tenten Halt. Eine Weile stand sie unschlüssig und verloren da und blickte zu den beleuchteten Fenstern im oberen Geschoss hinauf. Eigentlich war es unhöflich zu so später Stunde noch zu klopfen, doch wenn sie es nicht tat, würde sie keine Ruhe finden.

Hiashi öffnete das Eingangsportal und erblickte die einstige Kameradin seines Neffen, die mit ruhiger, höflicher Stimme sagte: „Verzeihen Sie die Störung, aber ist Neji vielleicht zuhause?“

Die Augen des Clan-Oberhauptes musterten sie kalt. „Er ist da“, entgegnete er abweisend und Tentens Herz schlug stärker gegen ihre Brust, „aber er möchte dich nicht sehen. Geh bitte nach hause!“ Seine letzten Worte klangen wie ein Befehl.

Noch bevor Tenten etwas Weiteres sagen konnte, hatte sich die Tür wieder geschlossen und ließ sie allein auf dem dunklen Gehweg stehen; zur Säule erstarrt und wie vom Donner gerührt. Neji wollte sie nicht sehen? Das durfte, nein, das konnte nicht stimmen!

Sie traute sich nicht, ein zweites Mal zu klopfen und begann stattdessen, das Anwesen zu umrunden, doch es war zu weitläufig und sie wusste nicht, wo sich Nejis Zimmer befand. Verzweifelt blieb sie stehen und sah die massive, graue Mauer empor, die sich um Haus und Hof spannte.
 

„Tenten!“

Erschrocken fuhr das Mädchen herum und blickte hektisch umher, damit sie erkennen konnte, woher die flüsternde Stimme kam, die ihren Namen gerufen hatte. Sie entdeckte niemanden. Erst als sie abermals aufsah, konnte sie Hanabis zarte Gestalt erkennen, die sich im zweiten Stockwerk des Hauptgebäudes aus einem Fenster lehnte.

„Komm über die Mauer zu mir hoch!“, wies sie sie leise an und Tenten ließ sich kein zweites Mal bitten und folgte dem Aufruf umgehend. Lautlos wie ein Schatten glitt sie ins Zimmer und landete leichtfüßig neben Hanabi, welche sofort ihre Hand ergriff.

„Ich bringe dich zu Neji“, erklärte sie und zog die Ältere hinter sich her auf den dunklen Flur, „Wir müssen uns beeilen, damit mein Vater uns nicht sieht.“

Tenten wollte anhalten und fragen, worum es hier eigentlich ging, konnte das Hyûga-Mädchen aber nicht stoppen.

„Hanabi, nun warte mal!“, begann sie schließlich, wurde jedoch von dem energischen Zischen ihrer Begleiterin zum Schweigen gebracht.

„Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, aber Vater und Neji haben sich furchtbar gestritten“, murmelte sie, blieb kurz stehen, schaute sich vorsichtig um und führte Tenten dann über den nächsten Flur, bis sie vor einer Tür hielten, durch dessen Ritzen schwaches Licht fiel. Hanabi gab Tenten einen Schubs auf den Rücken. „Ich halte die Luft rein“, raunte sie und war verschwunden, bevor Tenten ihr danken konnte.
 

Diese betrachtete einen Augenblick lang die Tür und schluckte hart. Dann legte sie ihre zitternde, schwitzige Hand gegen das Holz und pochte zaghaft dagegen. Aus dem Inneren des Raumes drang Nejis verärgerte Stimme mit der knappen Bemerkung: „Ist offen.“

Tenten schob die Tür zögernd zur Seite und trat in sein Zimmer ein. Als Neji sie sah, stand er so schnell von seinem Stuhl auf, dass dieser krachend zu Boden fiel. Verwundert sagte er ihren Namen und schien eindeutig nach Worten zu ringen, die einfach nicht kommen mochten.

„Hanabi hat mich rein gelassen, nachdem dein Onkel mich fortgeschickt hat“, beantwortete sie seine unausgesprochene Frage. Er wies sie an, sich auf sein Bett zu setzen, schien aber zu überrumpelt zum Sprechen und nahm stattdessen einfach neben ihr Platz. Tenten blickte sich dabei verstohlen um und stellte fest, dass es in dem Zimmer des Jungen unordentlicher war, als sie vermutet hatte, an ihr eigenes Chaos daheim aber dennoch nicht heranreichte. Eine Vase neben der Fensterbank wirkte, als sei sie mutwillig zerstört worden…

„Ich hätte dich heute nicht stehen lassen“, murmelte Neji nach einer Weile endlich ohne Tenten anzusehen. Dennoch hörte es sich aufrecht entschuldigend an.

„Ich weiß.“

„Hiashi hat mir verboten das Haus zu verlassen. Er muss irgendwie mitbekommen haben, dass wir uns treffen wollten.“
 

Tentens Magen schien ihr in die Knie zu sinken. Sie wusste plötzlich, wo das Oberhaupt aufgeschnappt haben musste, dass sie und Neji etwas füreinander empfanden und eine Verabredung hatten und ärgerte sich maßlos darüber, nicht leiser mit Sakura gesprochen zu haben. Nur wie hätte sie sich auch denken können, was diese Unterhaltung für Auswirkungen haben würde?

„Warum hat er etwas dagegen?“, erkundigte sie sich und Neji schwieg ein paar Sekunden.

„Die Stammhalter dulden keine Bindungen der Zweigfamilie zu Außenstehenden“, erwiderte er und eine Spur der Verbitterung war aus seiner Stimme zu vernehmen, „Es muss gewährleistet sein, dass das Byakugan in rechtmäßiger Blutlinie vererbt wird. Deswegen darf ich mich in niemanden verlieben, der nicht dem Clan angehört.“

„Hast du dich denn verliebt?“ Eigentlich hatte Tenten diese Frage nicht stellen wollen, doch nun war sie ihr aus dem Mund gerutscht. Nejis Worte hatten so fremd und gleichzeitig so schön geklungen, dass sie sich nicht hatte zurückhalten können.

Sein Kopf ruckte herum und beider Blicke blieben an den Augen des jeweils anderen haften. Vielleicht war er zu perplex, um sofort zu antworten, vielleicht dachte er aber auch einfach nur nach, wie er formulieren konnte, was er sagen wollte, doch in jedem Fall dauerte es eine ganze Weile, bis Neji redete.

„Wenn es bedeutet, so zu fühlen, wie ich es tue“, sagte er langsam, „dann vermutlich schon.“
 

Tenten verfiel abermals dem Anblick seiner weißen Augen, die in sie eindrangen, als wollten sie in ihre Seele schauen. Sie spürte seine warme Hand auf ihrer Wange und ließ zu, dass sein Gesicht sich ihr näherte und sein Mund den ihren sacht berührte. Der Kuss kam fast wie selbstverständlich und war für Tenten trotzdem so unerwartet und spontan wie ihr erster am gestrigen Tag. Nejis Beweis der Zuneigung, die sie sich so lange ersehnt hatte, weckte in ihr den Wunsch, diesen andauernden Moment niemals enden zu lassen, der besser war als alles, was sie bisher erlebt hatte. Nein, kein Clan und auch keine Tradition würde stark genug sein und es schaffen, ihnen diese Gefühle zu verbieten, da war sich Tenten sicher und das freute sie sehr.
 

Ein Poltern riss die beiden Liebenden auseinander und sie hörten Hanabis halb aufgebrachte, halb flehende Stimme auf dem Flur, die nichts Gutes vorausahnen ließ. Umsichtig erhob sich Neji und ging auf die Zimmertür zu, als diese auch schon aufflog und Hiashi in den Raum eintrat. Sein Blick verriet keine Gemütsregung und wanderte teilnahmslos von seinem Neffen zu dem Mädchen auf dessen Bett und wieder zurück. Neji fixierte ihn wie ein Raubtier seine Beute und schien bereit, bei der kleinsten falschen Bewegung zuzuschlagen. Eine zerreißende Stille breitete sich aus und Tenten wurde es heiß und kalt. Fast war ihr, als hätte sie es kommen sehen.
 

„Gehorsamkeit und Loyalität“, sprach Hiashi unvermutet ruhig, „ist das erste was du als Hyûga lernen musstest.“

„Der Clan und seine verdammten Regeln!“ Nejis Worte klangen mutig, doch seine Stimme bebte vor Furcht und Zorn. „Ich habe nicht vor, mich ihnen weiterhin zu fügen“, sagte er herausfordernd, „und will meine eigenen Entscheidungen treffen!“

„Überleg, was du sagst!“, zischte Hiashi, doch gerade dies schien Neji in seiner blinden Wut nicht zu tun, denn er rief: „Wenn es nötig ist, breche ich mit der Familie!“

Im nächsten Augenblick wusste Tenten nicht mehr, was geschah. Der ältere Hyûga formte mit der rechten Hand ein Fingerzeichen und zeitgleich stürzte Neji zu Boden. Er krümmte und wand sich unter der schmerzhaften Folter, als würde er von heftigen Krämpfen geschüttelt werden, während seine Hände an seinem Kopf lagen. Entsetzt sprang Tenten auf und kniete sich zu dem Jungen nieder; schrie hilflos seinen Namen, wusste aber nicht, wie sie ihm helfen konnte. Die schweißnasse Hand, die sie zu fassen bekam, zerdrückte fast ihre eigene und Tränen der Verzweiflung traten in Tentens Augen.
 

Bereits nach wenigen Sekunden schien der Schmerz zu verebben. Neji beruhigte sich, schnappte stockend nach Luft und kauerte stöhnend und zitternd auf dem kalten Fußboden; unfähig sich zu rühren und unfähig, den Kopf zu heben und seinem Onkel ins Gesicht zu sehen. Tenten erkannte den Ausdruck von Reue in Hiashis Augen.

„Wenn du etwas für ihn tun möchtest“, riet er ihr leise, „dann gehst du jetzt besser.“

Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu bleiben und dem Drang der Anweisung folge zu leisten, blieb Tenten an Nejis Seite und musterte besorgt dessen zusammen gekrümmte Gestalt. War es gerade eben noch wie leergefegt in ihr gewesen, so brachen nun tausend Vorwürfe auf sie ein und schienen sie mit ihrer Last schier zu erdrücken. Wenn sie nur nicht hergekommen wäre, wenn sie ihn nur nie in diese Lage gebracht hätte… Sie wollte nicht, dass der Mensch, den sie so liebte, noch mehr leiden musste und um ihn zu beschützen, hatte Tenten nur eine Wahl.
 

Schweren Herzens ließ sie Nejis Hand aus ihrer gleiten und stand auf. Als sie wortlos an Hiashi vorbei und auf den Flur trat, bemerkte sie hinter ihm Hanabi, die mit geweiteten Augen ihren Cousin anstarrte; die Hände erschrocken vor den Mund geschlagen und scheinbar um Fassung ringend. Tenten konnte sie nicht beachten, zu sehr hatte ein undurchdringbarer Nebel ihre Sinne eingehüllt und auch den langen Weg hinaus aus dem Anwesen der Hyûga, nahm sie nur sehr verschwommen wahr. Sie begegnete niemandem und hörte im ganzen Haus, das um diese Stunde wie ausgestorben wirkte, keinen einzigen Ton als den, ihrer eigenen Schritte. Erst als Tenten das Eingangsportal hinter sich zuzog, auf der Straße stehen blieb und versuchte, die jüngsten Geschehnisse zu begreifen, begann sie bitterlich und hemmungslos zu weinen.
 

Es war pures Glück, dass ihre Mutter nicht zuhause war und keine störenden Fragen stellen konnte, da Tenten jetzt wirklich die Lust fehlte, mit jemandem zu reden. Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett und vergrub den Kopf in den Kissen. Nejis schmerzverzerrtes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf und sie wünschte sich aufzuwachen und diesen Albtraum endlich ein Ende finden zu lassen, doch die Erlebnisse waren real und nicht zu verdrängen. Wenn sie Neji vor seinem Clan bewahren wollte, wenn sie gut machen wollte, dass sie ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte, indem sie zu ihm gegangen war, dann musste sie fortan zurückstecken und durfte ihn nicht weiter lieben; hatte die Zärtlichkeiten zwischen beiden zu vergessen, als hätte es sie nie gegeben und wusste doch, dass sie das nicht schaffen würde. Tenten kam sich schrecklich egoistisch vor. War denn da kein anderer Weg? War da keine Lösung und keine Hoffnung; keine Zukunft?
 

Sie hatte nicht gemerkt, wie der Schlaf über sie gekommen war, so still und schleichend wie der Tod, und als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen, öffnete Tenten müde die verquollenen Lider. Mit erschlagender Wucht kehrten die Vergangenheit und die Gefühle von gestern wieder zu ihr zurück und machten unmissverständlich klar, dass nicht nur ihre Träume der Nacht zerplatzt waren wie eine große Seifenblase.

An der Tür pochte es sanft und Tenten schreckte unbewusst hoch. War Neji etwa entgegen allen Befehlen und aller Vernunft zu ihr gekommen? Und wenn er es wäre, würde sie das mit ihrem Gewissen vereinbaren können?

Die Stimme ihrer Mutter ernüchterte sie. „Tenten, bist du wach? Ein Mädchen vom Hyûga-Clan war eben hier“, teilte sie mit und Tenten sprang auf, „Ich soll dir etwas geben.“

Hastig wurde die Zimmertür aufgerissen und die Tochter nahm von ihrer Mutter einen kleinen Brief entgegen, öffnete den Umschlag unsauber und viel zu eilig und zog eine weiße Karte heraus. Sofort erkannte Tenten die vertraute Handschrift und las den einzigen Satz: „Heute Abend lasse ich dich nicht stehen…“



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