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Ein großartiger Text!

Autor:  Hagalaz

Wie man einen Dichter vermurkst

 

Im Deutschunterricht hat man Sie dazu gezwungen, Gedichtinterpretationen zu schreiben. "........was hat der Dichter wohl damit gemeint? ...was wollte er uns sagen...? ....... Was dachte er sich dabei ?" Man servierte Ihnen irgend so ein Gedicht von Theodor Fontane, Hölderlin oder Morgenstern. Sie lasen es und schrieben eifrig auf, was für eine „Message“ (engl.: Idee, Konzept, Botschaft) bei Ihnen ankam. Der Lehrer verpaßte Ihnen die Note 5, denn beim Lehrer kam etwas anderes an. Der Lehrer verlangte von Ihnen (indirekt), daß Sie austüfteln, was in seinem Kopf oder in seinem Lehrbuch als Ergebnis der Interpretation stehen müsste. Das war die erste Komplexität, die der Lehrer in Bezug auf das Dichten einfügte. Es hinterließ den Eindruck, daß es mit dem Dichten etwas auf sich hätte, wozu nur wenige Auserwählte fähig sind, und von da an hatten Sie von Gedichten die Schnauze voll. Auf diese Weise werden schon in der Schule mehr potentielle Dichter „gekillt“ als Sie es für möglich halten... welch ein Jammer, ausgerechnet in der Schule. Warum ließ man Sie keine Gedichte schreiben? Warum mußten es Gedicht-Interpretationen sein?...........Über die Kultusminister, welche Lehrpläne genehmigen, sprechen wir später noch....... !! Nun, das Letzte was der Dichter wollte war, daß Sie diesen verdrehten Standpunkt einnehmen... „......der Leser muß jetzt austüfteln, was ich damit meine, mal sehen ob er es schafft!“ Mann! Woher hätte Christian Morgenstern wissen sollen, daß seine Gedichte 1974 in irgendeinem Deutschlehrbuch auftauchen? Und hatte er aufgrund dessen bereits eine Interpretation für das Lehrbuch mitgeliefert? Inclusive Notenbewertung? Sehen Sie, völlige Idiotie - pure Willkür. Was der Dichter wirklich wollte war, daß Sie ein wenig darüber nachdenken, es auf Ihr eigenes Leben beziehen oder schlicht und einfach nur Lachen, ein wenig Spaß oder Spannung damit haben. Und wenn er das erreichte, dann war der Dichter glücklich. Sehen Sie, so einfach ist es! Sie nehmen irgendeine Idee, ein Konzept, eine Beobachtung oder eine Erfahrung, und Sie verdichten es bis zu einem Punkt, wo Sie die "Message" eines dreibändigen Romans, eines Lebensabschnittes, eines Tages, einer Stunde oder Sekunde, in ein paar Zeilen quetschen. Es muß nicht immer so gemacht werden. Sie können auch einen Roman schreiben und die Geschichte ganz weit ausbreiten. Aber WIE?

 

http://www.vonholt.ch/Wallen3.htm


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