Bangen und Hoffen
54. Zorro Bangen und Hoffen
Schon seit Stunden sitze ich hier, starre gegen die kahle weiße Wand, die ebenso stumm zurückstarrt. Doch nichts geschieht. Die metallenen Flügeltüren sind fest verschlossen und das rote Warnlicht darüber leuchtet noch immer. Und solange es nicht erlischt, wird im OP noch gearbeitet. Pah, wie das klingt! Da drin liegt die Frau die ich liebe, die immer für meinen Sohn und mich da war, die uns ihre Liebe und Wärme schenkte. Gott, wenn es dich gibt, bitte laß sie nicht sterben! Was soll ich dann den Kindern sagen? Wie sollen sie das verarbeiten? Wie soll ich das verarbeiten?
Mein Herz war der reinste Scherbenhaufen, notdürftig gekittet, um nicht zu zerbrechen. Dann kam sie, schlich sich leise hinein und heilte es, schenkte mir wieder Vertrauen und Zuversicht. Und ich weiß, daß auch sie mich braucht, wir gehören einfach zusammen und niemand darf uns trennen. So viele Nächte in denen sie in meinen Armen lag und weinte, mir die Robin zeigte, die sonst keiner kennt. Wir wissen alles übereinander, restlos, lautet das Wort unserer Liebe doch Vertrauen. Gerade ihr, der ich früher alles andere als vertraut habe, habe ich mein Herz geöffnet, sie meine Narben sehen lassen, die nicht auf meiner Haut ihre Botschaft niedergeschrieben haben. Ich habe nie das Gefühl meine Schwächen vor ihr verstecken zu müssen, aus Angst, sie könnte diese Information zu ihrem Vorteil mißbrauchen. Das würde sie nie tun.
Eine Tür öffnet sich langsam, aber sie führt nicht direkt in den Raum, in dem Robin liegt und um ihr Leben kämpft. Was treiben die nur die ganze Zeit? Was ist mit ihr überhaupt passiert? In der einen Sekunde haben wir uns noch unterhalten, habe versucht ihr Mut zu machen und in der nächsten piepen irgendwelche Geräte und mich wirft man regelrecht aus dem Zimmer, sperrt mich aus.
„Mr. Lorenor?“ Ein wenig erschrocken blicke ich auf, setze mich auch aufrecht hin, denn obwohl ich Pirat bin halte ich es für unhöflich, sich vor anderen derart gehen zu lassen. „Wie geht es ihr? Was ist überhaupt passiert? Sagen sie schon!“ „Das Baby hatte sich nicht richtig gedreht und somit wurde die Geburt zusätzlich erschwert. Wie es ihr im Moment geht weiß ich nicht, sie wird noch operiert, aber sie hat wohl viel Blut verloren. Aber deswegen bin ich nicht zu ihnen gekommen.“ Verwirrt blinzle ich ein paar mal mit den Augen, beobachte dabei eher beiläufig, wie sich meine Gegenüber zu einer weiteren Person umdreht, wahrscheinlich eine Schwester, und ihr ein kleines Bündel abnimmt, das sie gleich darauf mir vorsichtig in die Arme drückt. „Herzlichen Glückwunsch, sie sind stolzer Vater einer süßen Tochter, Mr. Lorenor.“
Mein Blick wandert zu dem Windelpaket, das mich aus dunkelblauen Augen ziemlich verschlafen ansieht. Unweigerlich beginnt mein Herz zu rasen, das in dieser Sekunde von einem erneuten Glücksgefühl heimgesucht wird, so wie damals, als Diego zur Welt kam. Wenn Robin sie jetzt doch nur sehen könnte. Sie entspricht genau ihrer Vorstellung von dem Kind, das ihr bisher verwehrt beblieben war. Winzige Hände ballen sich zu noch winzigeren Fäustchen und ein unhörbares Gähnen zeigt, daß die Kleine sehr müde ist.
Doch meine Freude stock, ebenso mein Herz, als sich eine der Flügeltüren öffnet und zwei Gestalten in blutverschmierten OP-Kitteln auf den Flur hinaus treten. Beide sehen sehr erschöpft aus und ihre Bewegungen wirken mechanisch. Langsam, als sei es eine schwere Last, streifen sie die grünen Hemden und Hosen ab, ebenso Mundschutz und Handschuhe, die alle in dem großen Container landen, der neben ihnen an der Wand steht. Erst jetzt erkenne ich Kaya, die abgespannt wirkt, verstärkt durch die dunklen Ringe unter ihren Augen. Und so sieht sie nun zu mir herüber, ohne auch nur eine Gefühlsregung zu zeigen.
Mein Herz zieht sich langsam zusammen, weiß nicht, ob es schreien, weinen oder doch gar hoffen darf. Ich erhebe mich mit weichen Knien, zwinge mich aber ruhig zu bleiben. „Wird sie…?“ Sie nickt. „Ich denke, sie schafft es.“ Fest presse ich die Lippen zusammen, auch die Augen zu, aber ich kann nicht verhindern, daß meine Augen aus Erleichterung feucht werden. Gott, ich danke dir! Erst das leise Quengeln meiner Tochter holt mich aus meinen Gedanken, läßt mich lächeln, denn es wird bestimmt alles wieder gut.
„Eine heiße Dusche und dann ein gutes Essen, das wäre jetzt genau das richtige.“ meint Chopper, der wohl eben erst aus dem Operationssaal gekommen ist und sich nun ebenfalls von seiner Arbeitskleidung befreit. „Ich gehe Sanji Bescheid sagen und bis er mit dem Essen fertig ist, seid ihr auch umgezogen.“ biete ich an, denn was könnte ich sonst für die zwei tun? „Danach wird Robin vielleicht auch schon aufgewacht sein und wenn sie ansprechbar ist, darfst du zu ihr.“ „Danke Leute, was würde ich nur ohne euch machen?“ „Verletzt trainieren? Halb nackt durch den Schnee rennen? Deine Schwerter heiraten?“ Gespielt beleidigt verpasse ich dem Elch mit einer Hand eine Kopfnuß, während auf meinem anderen Arm mein Töchterchen anscheinend eingeschlafen ist. „Nur nicht frech werden, sonst gibt’s Gulasch zum Essen.“ Erleichtert lachen wir, spüre deutlich, wie die Spannung von uns abfällt.
Wie versprochen begebe ich mich auf den Weg zu Sanji, der, wie könnte es auch anders sein, in der Krankenhauskantine anzutreffen ist. Wild gestikuliert er mit einem der Köche, die seiner Meinung nach, und wenn ich mir die Patienten hier so ansehe steht er mit dieser Ansicht nicht alleine da, total unfähig sind. Doch als er mich sieht kommt er mir und meinem Mitbringsel entgegen. „Was ist es?“ „Ein Baby.“ „Idiot, das sehe ich selbst!“ „Dann frag doch nicht so blöd!“ Für einen Moment knurren wir uns an, einfach nur so, um wieder lockerer zu werden. „Ein Mädchen.“ „Hey, nicht schlecht, Daddy Cool. Und total niedlich!“ „Bleib bloß weg von ihr!“ „Also wirklich. Ich weiß zwar, daß Väter sehr eigen sein können, wenn es um ihre Töchter geht, aber das hier ist lächerlich, immerhin ist sie noch ein Säugling. Und anstatt den eifersüchtigen Papa zu spielen, könntest du mir lieber verraten, wie sie heißt.“ „Das will ich zuerst mit Robin besprechen, aber dazu muß sie wieder zu Bewußtsein kommen.“ „Was ist passiert? Geht es ihr gut?“ „So genau weiß ich das auch nicht, aber vielleicht kann ich in den nächsten zwei bis drei Stunden zu ihr.“ Leise seufzt er und auch ich spüre, wie mein Herz vor Sorge wieder schwerer wird.
„Papa!“ Doch der Anblick eines kleinen Eiszapfens reißt mich wieder aus meinen Gedanken. Diego kommt durch die Eingangstür gestürmt, dicht gefolgt von Ruffy und Lysop. Die drei sehen aus, als hätten sie regelrecht im Schnee gebadet, denn ihre Jacken und Mützen bzw. der Strohhut sind mit einer feinen weißen Schicht überzogen. „Bin ich jetzt der große Bruder?“ „Ja, das bist du.“ Langsam knie ich mich auf den Boden, so daß der große Bruder seine kleine Schwester besser sehen kann. Das Erstaunen ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und ich weiß schon jetzt, daß er spätestens heute Abend ein neues Bild zeichnen wird. „Wo ist Mama?“ „Sie schläft.“ Und hoffentlich ist sie bald wieder bei uns.