Orange Star
37. Zorro Orange Star
Mein Kopf dröhnt. Ich habe normalerweise nie Kopfschmerzen, egal wieviel Alkohol ich mir schon einverleibt habe, aber dieses Pochen in meinem Schädel ist nicht zu ignorieren. Tief atme ich die frische Meeresluft ein, hebe den Kopf ein wenig, um wieder etwas klarer zu werden. Aber das ist gar nicht so leicht, wenn man außer dem eigenen Dickschädel auf dem Hals nichts weiter bewegen kann. Meine Arme sind an einen dicken Balken geknebelt, der waagrecht hinter meinen Schultern verläuft. Ob sich in meinen Beinen überhaupt noch ein winziger Tropfen Blut befindet kann ich nicht einmal mit Sicherheit sagen, spüre sie kaum, aber wenn man die ganze Zeit auf hartem Boden kniet, die Arme nach links und rechts gefesselt sind und etwas hartes, vermutlich ein weiterer Holzbalken, einem in den Rücken drückt, ist das meines Erachtens kein Wunder.
Aber was kümmert es mich, ist doch viel entscheidender, ob es Robin inzwischen besser geht. Ich vermisse sie, aber besonders meinen kleinen Sohn. Grashüpfer, wie Sanji ihn nennt. Sie fehlen mir alle, ausnahmslos. Freiwillig würde ich mir jetzt eine von Lysop's Geschichten reinziehen, in denen er die ganze Welt vor dem Untergang gerettet hat, oder mir von Chopper eine Strafpredigt anhören, weil ich mich seinem ärztlichen Rat widersetzt habe. Ruffy dürfte mein ganzes Rasierwasser verschwenden, weil er sich einbildet, daß er davon wenigstens ein Barthaar bekommt und nicht einmal Sanji's absolut schreckliche Dinkelpfannkuchen würden mir auch nur das geringste ausmachen. "Diego..." wispere ich leise vor mich hin, denn zu mehr ist meine Stimme nicht in der Lage, habe einfach zu lange kein Wasser mehr getrunken.
Schwere Schritte poltern über die schmutzigen Schiffsplanken, die das einzige sind, was ich bisher zu Gesicht bekommen habe, aber nur zu gerne darauf verzichtet hätte. "Na, ausgeschlafen?" Die ungepflegte Visage eines Mannes taucht vor mir auf, mustert mich leicht grinsend, ehe er meine komplette Gestalt in Augenschein nimmt. "Jetzt starr ihn nicht so blöd an, binde ihn lieber los." "Reg dich ab, Kleines." Was das wohl für zwei Gestalten sind? Im Grunde ist es mir eigentlich egal, habe ich schließlich ganz andere Sorgen. Die Fesseln lösen sich, gleiten zu Boden, so daß ich nach vorne falle. Mehr schlecht als recht fange ich meinen kleinen Sturz mit meinen Armen ab, aber woher sollte ich auch die Kraft haben hier an Deck fröhlich herumzuspringen...so wie Diego dies immer tut.
Eine Hand packt mich unterm Arm, will mich wahrscheinlich hochziehen, aber das lasse ich mir nicht gefallen. Ohne wirklich hinzusehen schlage ich nach dem Typ, treffe ihn seinen Schmerzlauten nach auch und knurre ein: "Griffel weg!" hinterher. Bevor ich mir von so einem Kerl helfen lasse, werde ich Ballettänzer bei der Marine! Langsam richte ich mich auf, ignoriere das schwummrige Gefühl in meinem Kopf, dann erst blicke ich mich um. Der Kerl mit dem unsauberen Gesicht hockt auf dem Boden, flucht ärgerlich vor sich hin und krümmt sich vor Schmerz. Wenn das kein Volltreffer war.
Ich sehe nach links, wo die zweite Person steht, die sich hier an Deck befindet. Eine junge Frau, vielleicht in meinem Alter, steht mit gezücktem Messer da, aber durch ihren ängstlichen Blick wirkt sie nicht einmal halb so bedrohlich, wie sie bestimmt gerne wäre. "Glauben sie mir, ihren Freunden würde es alles andere als gut tun, falls sie sich meinem Befehl nicht fügen!" Genervt trete ich ihr gegenüber, lasse mir meine wackligen Knie aber nicht anmerken, ehe ich zu ihr meine: "Ich bin nicht blöd, auch wenn ich womöglich so aussehe. Außerdem haben sie mir noch überhaupt keinen Befehl erteilt." Ihre Augen haben sich ein bißchen geweitet, aber sie bemüht sich sichtlich um ihre Fassung. "Dann...folgen sie mir bitte." Sie? Bitte? Ich deute ein Nicken an und gehe ihr hinterher unter Deck.
"Hier...hier ist das Bad." Sie öffnet eine der vielen Türen und schaltet das Licht an. "Sie sollten Duschen oder sogar Baden, frische Klamotten brauchen sie ebenfalls." Als wäre sie ein Dienstmädchen läßt sie Badewasser ein, kramt in einer Kiste ein großes weißes Handtuch hervor, gibt Badezusätze ins Wasser und drückt mir Rasierzeug in die Hand. Ich komme dieser stummen Aufforderung nach, begebe mich zum Waschbecken, um mich nach einem ernüchternden Blick in den Spiegel zu rasieren. Zwar ist mein Bartwuchs nicht allzu üppig, aber dennoch kann ich daran erkennen, daß ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr bei Bewußtsein gewesen sein muß. Außerdem ist mein Gesicht schmaler geworden, ebenso meine Hüften, denn die Jeans sitzt recht locker, trotz Gürtel.
Ich wische mir den restlichen Rasierschaum aus dem Gesicht, dann streife ich mir das Hemd über den Kopf. Bloß weg damit, das ist ja schon mehr als schmutzig. Erschöpft fühle ich mich, da kommt mir ein Bad gerade recht, auch wenn mich das wieder an Diego erinnert, liebt er doch die kleinen Schaumbläschen und das Planschen im Wasser. Ich fange schon an meine Hose aufzuknöpfen, als mein Blick auf diese Frau fällt, die noch immer da steht und mich anstarrt. Es passiert oft, daß, egal ob Männlein oder Weiblein, mir die Leute auf meine Narbe starren, wenn sie diese zum ersten mal sehen.
"Wollen sie nicht langsam mal gehen?" frage ich genervt. "Ich darf sie nicht allein lassen, außerdem sind sie nicht der erste Mann, der sich vor mir ausziehen muß. Nami hat zudem gesagt -" "Schon gut." Ist mir doch egal, was die wieder von sich gegeben hat und auch, ob mir irgend so eine kleine Tussi beim Umziehen zusieht, denn mein Leben hat in dem Moment geendet, als ich durch eine Betäubungsspritze das Bewußtsein verlor. Eigentlich waren es sogar drei Spritzen, aber was für eine Rolle spielt das? Inzwischen habe ich mich bis auf die Shorts entkleidet, die nun ebenfalls fällt. Zwar spüre ich neugierige Blicke auf meinem Hintern, aber da ich keine zwei Sekunden später eh im Wasser sitze, ist sogar dies belanglos.
"Da du ja jetzt schon per du mit meiner Rückansicht bist, könntest du mir wenigstens deinen Namen verraten, oder?" "Ähm...ich bin Ronja.... Und sie sind Zorro, ich meine Lorenor Zorro." "Zorro reicht vollkommen und wenn du mich noch einmal siezt, knallt's." Ohne weiter Notiz von meiner Umwelt zu nehmen tauche ich kurz unter, will ich mich doch endlich wieder halbwegs wie ein Mensch fühlen, befreit von den Spuren der letzten Tage. Aber kaum daß ich wieder aufgetaucht bin, steht diese Ronja neben der Wanne. Mißtrauisch blitze ich sie an, aber sie scheint nichts besseres zu tun zu haben, als mir mit einer Shampooflasche auf die Pelle rücken zu wollen. "Ich bin doch kein Kind mehr!" "Aber Nami will, daß ich mich um dein Wohl kümmere." "Ich fühle mich aber wohler, wenn man mir meine Ruhe läßt!" "Es wird dir gefallen!" "Ich mag es aber nicht, wenn man an mir rumfummelt!" Jetzt hat sie doch glatt einen roten Kopf bekommen und ihr gesenkter Blick trägt nicht gerade dazu bei, daß meine Laune steigt. "Und ich kann es ebensowenig leiden, wenn sich jemand vorstellt, an mir herumzufummeln!"
Unwirsch reiße ich ihr die Flasche aus der Hand, um mich wieder mehr meiner Körperpflege widmen zu können. Eigentlich würde ich viel lieber in der Wanne ein ausgiebiges Nickerchen halten, aber hier ist das schlecht möglich, zu viele Zuschauer. Ich beeile mich mit dem Waschen, immerhin kann ich mir schöneres vorstellen, als mir von einer Unbekannten beim Baden zusehen zu lassen. "Würdest du dich vielleicht mal umdrehen, oder muß sich erst jedes Körperteil persönlich bei dir vorstellen, bevor man etwas Privatsphäre genehmigt bekommt?" Für einen Moment zögert sie, doch endlich kommt sie meiner Aufforderung nach. Ich steige aus dem Wasser, greife mir das Handtuch und trockne mich ab.
Mein Kindermädchen, oder von mir aus auch Ronja, kramt in der Kiste, dann reicht sie mir mehr als umständlich die schwarze Shorts, um mich nicht ansehen zu müssen. Kaum aber, daß ich diese angezogen habe, wendet sie sich auch schon wieder mir zu. "Nami erwartet dich zum Essen, deshalb sollten wir uns beeilen." Nacheinander reicht sie mir Socken, eine neue dunkelblaue Hose und ein ebenso dunkles Longsleeve. Gehorsam ziehe ich alles an, lasse mir auch ausnahmsweise von ihr mit Gel in meinen Haaren herumzupfen, denn irgendwann will ich schließlich mal aus diesem Bad raus kommen.
Nachdenklich betrachte ich meine Erscheinung im großen Wandspiegel, frage mich, ob das wirklich ich bin, der leicht hager und müde mir entgegenblickt. Mein Blick ist auf meine Hüftknochen gerichtet, die doch etwas mehr als sonst oberhalb meines Gürtels in Erscheinung treten. Darüber folgt erst einmal nackte Haut, denn das Shirt verdeckt gerade mal meinen Bauchnabel. Tja, Sanji wäre jetzt sicherlich stolz auf mich, weil ich nicht wieder den Langweiler spiele.
"Wir sollten gehen." Erneut folge ich ihr, aber diesmal bin ich wacher als vorhin und nutze den Gang an Deck, um wenigstens ein paar kleine Informationen über dieses Schiff zu erlangen, außer daß das Deck geschrubbt werden müßte. Wenn mich nicht alles täuscht, und weiß Gott ich bin kein Experte, aber diesen alten Kahn würde ich für ein ausgedientes Marineschiff halten. Mit welchem Admiral Nami dafür wohl im Bett war? Auf dem ausladenden Hinterdeck begegnen uns auch ein paar Männer, freundlich grüßend, aber dennoch spüre ich ihre bohrenden Blicke. Kopfgeldjäger! Zwar bin ich schon seit einem Weilchen aus dem Geschäft, aber diese Sorte Mensch wittere ich zehn Meilen gegen den Wind.
Erst jetzt wird mein Blick auf ein weiteres Schiff gelenkt, daß zwar um einiges kleiner, aber bei weitem nicht langsamer ist, als der alte Marinekreuzer. Schon an den Farben der Segel ist erkennbar, daß dies eindeutig Nami's Schiff sein muß, denn wer würde sonst Orange und Weiß verwenden? "Wir müssen rüber." Von mir aus. Zwei Schritte Anlauf genügen, schon bin ich an Deck dieser schwimmenden Orange gesprungen. Wieder lasse ich den Blick schweifen, sehe nun auch die Orangenbäume, die voll mit Früchten hängen, so daß mein leerer Magen anfängt leise zu knurren.
"Wie immer mußt du deinen eigenen Kopf durchsetzen." Nami tritt aus dem Schatten der Bäume und lächelt mir zu. Ein merkwürdiges Gefühl, schließlich weiß man nie, was sie als nächstes im Schilde führt. "Willst du dort Wurzeln schlagen, oder gesellst du dich endlich zu mir, daß wir essen können? Du bist bestimmt hungrig." Abschätzend mustere ich sie, folge ihr aber dann doch, bleibt mir im Moment eh nichts anderes übrig. Wenigstens ist hier alles sauber, nicht so verdreckt wie auf diesem ausrangierten Marinekutter. Auch ist die Besatzung anders, wirkt wesentlich disziplinierter und keiner glotzt mir Löcher in den Rücken.
Unser Weg führt uns zwischen den Orangenbäumen hindurch zum Hinterdeck, wo meine Aufmerksamkeit auf einen für drei Personen gedeckten Tisch gelenkt wird. "Setz dich." Sie deutet auf einen der freien Stühle, während sie selbst Platz nimmt. Ich tue es ihr gleich, frage mich aber dabei, für wen das dritte Gedeck bestimmt ist. Aber kaum daß Ronja auf uns zugeeilt kommt, ist für mich die Frage beantwortet. "Tut mir leid Nami, aber er war einfach zu schnell." "Kein Problem, außerdem habe ich damit gerechnet. Manche Dinge ändern sich eben nie, egal wie lange man sich nicht mehr gesehen hat." Ronja nickt und setzt sich zu uns, wobei sie mich auf eine eigenartige Art anlächelt. Was wohl noch alles passieren wird, weshalb Nami wollte, daß ich mit ihr komme? Aber ich werde mich hüten sie direkt darauf anzusprechen, nicht daß ihr noch ein paar zusätzliche Gemeinheiten, die sie mir antun könnte, einfallen. Außerdem brauche ich meine Konzentration für wichtigere Dinge, wie einen Fluchtplan! Allerdings wird das alles andere als leicht werden, denn erstens kann ich mich erst verdrücken, wenn Robin wieder gesund ist und das wird noch einige Tage dauern. Zweitens ist es sehr gut möglich, daß Nami Vorkehrungen getroffen hat, um mir mein Entkommen zu erschweren. Ich muß auf der Hut sein, um meine Chancen, so sie sich denn bieten sollten, nutzen zu können. Abwarten, heißt die Devise.
Inzwischen wurde auch das Essen gebracht, natürlich mit Orangen angerichtet, wie könnte es anders sein. Ohne Appetit zwinge ich mich dazu es mir einzuverleiben, brauche ich doch einfach Energie, um die nächste Zeit wenigstens körperlich unbeschadet überstehen zu können. Eigentlich schmeckt es gar nicht mal so schlecht, was nicht anders zu erwarten war, denn Nami beansprucht für sich nach Möglichkeit immer das Beste, das sie kriegen kann. Aber das Essen erinnert mich wieder an Sanji, der für Diego meist kleine Figuren aus Fleisch schneidet, um ihm eine Freude zu machen. Ruffy, Lysop und Chopper, die dann schon mal neidisch werden und Robin, die sich mit mir über die drei amüsiert.
Mir ist schlecht! Allein der Gedanke, daß die Möglichkeit besteht, daß ich mein altes Leben nie wieder zurückbekommen könnte, verschafft mir Übelkeit. Hart schlucke ich den letzten Bissen hinunter, bemühe mich den aufsteigenden Ekel in mir zu ignorieren, Herr meiner selbst zu bleiben. Jede Schwäche, die ich den beiden Frauen gegenüber zeige, ist eine kleine Niederlage und das würde ich mir selbst nicht verzeihen. Also tausche ich das Gefühl des Unwohlseins gegen Distanz, indem ich mir jeden weiteren negativen Gedanken selbst verbiete. Zwar bleibt mein Kopf damit weitestgehend leer, aber besser das, als in der psychischen Hölle zu schmoren.
"Du siehst gut aus, sogar besser als früher," höre ich Nami sagen, so daß ich meine Augen auf sie richte. Ein verächtliches Schnauben meinerseits, ehe ich ihr entgegne: "Klar, hat mir auf jeden Fall gut getan, für ein paar Tage gefesselt an Deck eines verdreckten Kahns herumzuhängen." "Du hast dich kein Stück verändert, noch immer der selbe bissige Humor. Aber glaub mir, den werde ich dir ganz schnell austreiben."