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Todesengel

"Aus deinem Zorn erschufst du Gabriel, den schrecklichen Gabriel"
von

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Eine Weile hatten die Mädchen und die fünf Engel gemeinsam am Feuer gesessen.

Manuel und Anael hatten weiterhin meditiert, während die anderen Drei Marie zugehört hatten, wie diese aus ihrem kleinen, jungen Leben erzählt hatte. Mit Wehmut von den Eltern, die nun fort waren. Mit Stolz von den Gebeten die sie gewissenhaft auswendig gelernt hatte und jeden Abend aufsagte. Mit eingezogenem Kopf und schelmischem Grinsen, von den Streichen, die sie im Dorf manchmal gespielt hatte. Mit viel Wärme und plötzlich so erwachsen wirkend, von ihrer kleinen Schwester, die sie von nun an beschützen wolle.

Helena ihrerseits war die ganze Zeit über in der unnatürlich starren Zurückhaltung verblieben, die sie schon seit Eintreffen der Schar gezeigt hatte. Sie sprach nicht, starrte ausdruckslos drein und bewegte sich nicht. Neben ihrer großen Schwester auf dem Baumstamm zusammengesunken, wirkte ihr winziger Körper gleichzeitig kraftlos erschlafft und leblos steif. Sie reagierte auf keinen Zuspruch, keine Geste der drei wachenden Engel. Nicht auf die unbeholfen streichelnde Hand ihrer Schwester.

Ashtariel erwischte sich einmal, wie sie das Kind mit gerunzelter Stirn durchdringend anstarrte. Sie hatte das Gefühl, etwas schauriges würde von der Kleinen ausgehen. Doch sofort schallt sie sich für diesen Gedanken und mahnte sich selbst zu mehr Mitgefühl. Das arme Kind hatte schreckliches durchlebt in den letzten Stunden. Und als es Ashtariels Blick bemerkt hatte, zog es ganz tief den Kopf ein und wand den Blick ab. Ashtariel hatte ein schlechtes Gewissen, denn sie hatte dem Kind keine Angst machen wollen. Fortan lies sie es in Ruhe, und somit verharrte Helena wie versteinert.

Nur ein einziges Mal regte sie sich.

Von allen unbemerkt war Manuel aus seiner Meditation erwacht. Ohne sich zu bewegen hatte er nur die Augen aufgeschlagen und die kleine Helena mit seinem Blick fixiert. Wieder wand sich diese scheinbar innerlich unter dem Blick, doch Manuel ließ nicht ab. Schließlich ging ein kaum merklicher, winziger Ruck durch den dürren Leib des Kindes und langsam hob sie den Kopf. Sie blickte Manuel an, und unter Zittern hoben sich ihre Mundwinkel. Zuerst ergab es eine bizarre Grimasse, so als wenn ihr Gesicht lange gelähmt gewesen wäre, und die Muskeln nicht mehr wussten, wie sie die Mimik steuern konnten. Schließlich aber lächelte Helena Manuel an. Ein schüchternes, verstohlenes Lächeln.

Ohne eine Regung seinerseits, schloss Manuel wieder die Augen.
 

Als der Schrei ertönte, war Daniel der erste, der herumfuhr und sich in einer einzigen fließenden Bewegung in die Lüfte erhob, um Flach über dem Boden in die Richtung zu fliegen, aus der der Schrei gekommen war.

Die anderen Engel folgten mit geringem Abstand ebenfalls eilig. Selbst Anael erhob sich sofort aus ihrer Meditation.

Nur Manuel, der ebenfalls sofort erwacht war, verharrte noch einige tiefe Atemzüge lang am Feuer...

Es war eindeutig Maries Schrei gewesen.

Die ältere der beiden Schwestern war vor wenigen Minuten urplötzlich mitten im Gespräch aufgestanden, hatte die Knie zusammen gepresst und sich die Händchen in den Schoß gedrückt, bevor sie mit winzigen Trippelschrittchen in die Büsche verschwunden war. Helena war daraufhin einfach aufgestanden und ihrer Schwester wortlos gefolgt.

Als die anderen Vier nun bei den Mädchen ankamen, schon allein über die Tatsache erstaunt, wie weit sich diese vom Dorf fortbewegt hatten, bot sich ihnen ein bizarres Bild.

Die beiden Mädchen saßen sich gegenüber auf dem Boden.

Marie saß wie nach einem Fall hintenüber auf dem Po. Mit beiden Armen stütze sie sich nach hinten auf dem Boden ab, die Beine lang ausgestreckt. Ihre Augen waren aufgerissen, ängstlich und verständnislos. Ihr kleiner Mund war wie zum sprechen geöffnet, die Lippen zitterten, sowie der ganze Leib. Eine kleine aufgerissene Verletzung klaffet auf ihrer Wange.

Helena saß ihr gegenüber. Sie war an einen Baumstamm gelehnt. Zuerst reglos. Dann bewegte sie sich benommen und ihr Kopf fiel nach vorn. Nun sah man Blut auf dem Baumstamm auf Höhe ihres Kopfes. Auch im blonden Lockenschopf am Hinterkopf schien Blut zu kleben. Doch viel erschreckender war der Anblick Helenas selbst. Sie verdrehte die Augen, warf den Kopf dann wieder nach hinten und kam irgendwie auf ihre Knie. Ihr Mund stand offen und Zähne und Lippen waren Blutverschmiert. Ein Speichelfaden troff an ihrem Gesicht herab, als sie weiter – wie ein Fieberkranker torkelnd – versuchte auf die Beine zu kommen.

Der Ramielit Hesekiel erwachte zuerst aus der Starre, in die alle vier Engel verfallen waren. Er lief zu Marie, legte die Hände auf ihre Schultern und drehte sie zu sich. Sie starrte wie durch ihn hindurch. Erst nachdem er sie leicht schüttelte klärte sich ihr Blick und sofort begann sie bitterlich zu weinen und noch heftiger zu zittern.

„Was ist denn geschehen?“, fragte er sie.

Verständnislos blickte Marie wieder zu Helena zurück und weinte noch bitterlicher. Erst als Anael auf Helena zuging und Marie somit die Sicht auf ihre kleine Schwester nahm, begann sie schluchzend und keuchend zu erzählen.

„Sie... sie wollte weg.... hat mich gezogen... in den Wald. Vorsingen, hat sie gesagt... das Schlaflied....von Mama. Ich hab sie umarmt... und gesungen.... und..... dann hat sie.... „

Schrecklich zitternd hob sie die Hand zu ihrer Wange, doch Hesekiel hielt sie davon ab an die Wunde zu greifen, die aus der Nähe zu seinem Entsetzen tatsächlich, wie eine Bisswunde aussah.

Marie schrie jetzt fast vor Verzweiflung. Hesekiel umarmte sie als sie weitere Satzfetzen hervorschluchzte.

„Ich wollte nicht.... aber es tat so weh.... ich hab.... getreten.... und der Baum... ich hab ihn nicht gesehen... sie...Ich wollte nicht, dass sie sich verletzt!!!“

„Schhhht“ machte Hesekiel etwas unbeholfen angesichts der Panik des Kindes in seinen Armen. „Anael wird Helena ja wieder heilen. Ist nicht schlimm!“

Doch Anael konnte die Dreijährige nicht einmal berühren. Als sie sich dem Kind auf drei Schritte genähert hatte, war Helena mit einem fauchenden Laut aufgesprungen und hatte sich zurückgeworfen. Dann war sie auf dem Boden weiter von der Raphaelitin weggekrochen.
 

In diesem Moment trat Manuel zwischen zwei Sträuchern hindurch, vorbei an Ashtariel und Daniel, die nur fassungslos das ganze beobachteten. Vorbei an Hesekiel und Marie, die sich nicht beruhigen konnte. Er trat hinter Anael, die nun zwischen ihm und Helena auf dem Boden kniete und gerade noch einmal die Hand nach dem Kind ausstreckte. Er packte sie beim Arm und zog sie grob auf die Füße. Sie wirbelte herum und wollte protestieren. Doch als Ihr Blick Manuels traf, gefror ihr jeder Widerspruch auf den Lippen.

Manuels Gesicht war eine Maske von Marmor. Kalt und gefühllos.

Hätte Anael ihn nicht zuvor schon einmal Lachen oder seine Stirn in Zornesfalten legen sehen, sie hätte in diesem Moment nicht geglaubt, dass die perfekte, ebene Fläche auf die sie nun blickte, fähig war, solche Gefühle abzubilden.

Die Kälte, die von dem Krieger der Schar ausging, nahm Anael die Luft zum Atmen und wie betäubt lies sie sich von ihm fortdrücken.

Manuels Bewegung war blitzartig. Er schnellte vor, griff nach unten in das Haar des Kindes, dass von ihm wegzukommen versuchte, zog es hoch, umgriff es mit dem anderen Arm und drückte den kleinen Kopf so nach unten, dass der Nacken sich seinem Blick darbot.

Nur ein kurzer Augenblick. Dann bog das Kind mit einer Kraft, die unverhältnismäßig schien zur Größe seines Köpers den Rücken durch, sodass man Angst haben musste, das Rückrat würde brechen, um sich aus Manuels Griff zu befreien. Dieser gab nach und lies das Kind zu Boden fallen, wo es sofort auf allen Vieren wegkroch.

„Hirnlarvae“, erklang es aus Manuels Mund. Emotionslos. Eine Feststellung.

In Hesekiel löste sie Entsetzen aus, denn er wusste, anders als Daniel, Anael und Ashtariel, wovon der Gabrielit sprach.

Hinrlarvae... eine Traumsaatkreatur, die einen Menschen befiel indem sie zum Beispiel durch den Nacken eindrang, sich dann an seiner Wirbelsäule entlang zu seinem Gehirn vorarbeitete und dort Stück für Stück ihren Wirt übernahm. Seinen Geist, seinen Willen, seinen Körper.

Hesekiel war fassungslos. Die kleine Helena trug ein Wesen in ihrem Innern, dass Besitz von ihr ergriffen und sie völlig entmenschlicht hatte.

Während seine Gedanken tobten, setzte sich Manuel wieder in Bewegung, auf das kleine Mädchen zu, dass – wohl durch die Kopfverletzung stark benommen – nur langsam Distanz zwischen sich und ihn bringen konnte.

Wie sehr musste Helena gelitten haben? Wie sehr leidet sie noch? Was war von ihr übrig? Hesekiel wollte, schreien und rasen angesichts der Verderbtheit der Kreatur, die ein Kind auf so widerwärtige Weise quälte.

Und er wollte Manuel anschreien. Er wollte ihn Schlagen. Wollte ihm die Frage entgegenbrüllen, wie es nur sein konnte, dass ihn ein solches Gräuel nicht berührt.

Hesekiel hob ruckartig den Kopf und starrte unter Tränen zu dem schwarzgewandeten Krieger, der noch immer auf das Kind zulief. Stetig, kontrolliert, geübt waren seine Bewegungen. Doch dann fiel Hesekiel noch etwas auf.

Manuels Bewegungen, waren langsam. In weniger als der Zeit eines Herzschlages hätte der Gabrielit das Kind packen können, doch er setzte seine Schritte langsam, mit immer längeren Pausen... widerstrebend???

Als dieser Gedanke sich gerade in Hesekiels Geist entfaltet hatte, zerschnitt Manuels Stimme die Stille, die sich – getragen vom Grauen und Schrecken aller Anwesenden – ausgebreitet hatte.

„Bringt ihre Schwester fort!“

Die Erkenntnis darüber was nun passieren würde, löste in allen Engeln einen Impuls des Widerstrebens aus.

Doch ausgerechnet Hesekiel war es, der Manuels Worten Folge leistete, sich nun als erster mit Marie auf dem Arm erhob und wortlos mit schnellen Schritten davonlief.

Auch die anderen drei Engel ließen Manuel und Helena zurück, hatten aber Mühe Hesekiel einzuholen. Immer weiter beschleunigte er seine Schritte, wohl wissend, dass er flüchten wollte.

Als er trotz aller Entfernung zwischen ihnen und dem Ort des Grauens dennoch das metallische Geräusch eines Schwertes hörte, dass aus seiner Scheide gezogen wurde, schwor er sich, nie wieder an Manuel zu zweifeln...



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