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Vergiss mich nicht

von

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Vergiss mich nicht
 

Es war der Morgen zwei Tage vor Hinotos Geburtstag. Noch zwei Tage, dann würde das Mädchen 13 werden. Zwei Tage... Sie blickte versunken auf das rosafarbene Holzpferdchen in ihrer Hand. Für einige Minuten ließ sie es über den weißen Teppichboden schweben, wie ein Pegasus auf einer weißen Wolke. Dann seufzte sie und ließ ihr Lieblingsspielzeug fallen. Die Zeit, die ihr noch blieb, erschien so unglaublich kurz. Sie war noch jung, sehr jung. Aber naiv war sie nicht. Sie wusste, was sie erwartete, sie wusste es genau. Und sie wusste auch, dass sie es nicht aufhalten konnte.

Sie hatte es schon damals geahnt, als Higume sie verlassen hatte. Ihre große Schwester, die trotz allem viel verträumter gewesen war als sie. Sie war einfach gegangen und nie mehr wiedergekommen. In der Nacht hatten sie ihr Schreien gehört, ihre verzweifelten Hilferufe. Aber was hätten sie tun können? Tetsuya, ihr kleiner Bruder, hatte furchtbare Angst gehabt und geweint, er war doch noch so klein gewesen. Sie holte tief Luft und trat dann durch die Türe in ihren Schlafraum. Der Junge saß auf seinem Bett und starrte auf den Boden. Als er Hinoto sah, sprang er hastig auf und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. "Hinoto, wie geht es dir?" fragte er vorsichtig. Das Mädchen strich ihrem Bruder über seine schulterlangen blonden Haare. "Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut." Sie lächelte. "Ich werde bald Higume wiedersehen. Darauf freue ich mich. Du musst nicht traurig sein!" "Ich bin auch gar nicht traurig, versprochen!" Tetsuya biss sich auf seine Unterlippe. "Ich lass dich nicht gehen! Ich passe auf dich auf, weil... weil ich nämlich dein Bruder bin!!!" "Ach, Tetsu..." Hinoto senkte ihren Blick. "Ich will ja auch nicht gehen... aber..." Sie nahm die Hände des Jungens und sah ihm tief in seine großen, traurigen Augen. "Du wirst es schaffen, bestimmt! Es tut mir so leid, dass du bald allein bist. Aber du musst es schaffen!" Sie kramte mit ihren zierlichen Fingern in ihrer Tasche herum und zog zwei Ringe hervor. Einer von ihnen war golden, der andere schimmerte silbern. Sie waren ineinander verschlugen und baumelten an einem Silberkettchen. Hinoto drückte sie ihrem Bruder in die Hand und schloss seine Finger um das kühle Metall. "Die schenke ich dir. Damit du mich nicht vergisst." Die blasse Unterlippe des Jungens begann zu zittern. "Ich werde dich nie vergessen, Hinoto. Niemals, nie, nie, niemals, das verspreche ich!!!" Ein paar dicke Tränen kullerten über Tetsuyas Wangen. "Nicht weinen, Tetsu-chan, bitte nicht weinen..." Hinoto nahm den kleinen Jungen in den Arm. "Sei nicht traurig. Ich werde nicht tot sein, solange du nur an mich denkst." Tetsuya nickte. "Dann lass ich dich nie, niemals sterben!"
 

"Das geht noch viel besser!!!" Der braunhaarige junge Soldat klatschte begeistert in die Hände. "Na los, Samui, war das schon alles?" Samui war weit weniger euphorisch als sein Mitstreiter, was vor allem daran lag, dass er im Moment schlichtweg zu betrunken war, um noch irgendetwas von seiner Umgebung bewusst wahrzunehmen. Er war ein Krieger, ein brillanter Schwertkämpfer, er führte das Samuraischwert scheinbar mühelos und doch so tödlich wie kaum ein anderer. Aber eines war er nun wirklich nicht: trinkfest. Im Grunde genommen konnte er ja froh sein, dass er nicht mitbekam, was die Soldaten von Hütte W mit ihm anstellten. Denn die hatten gefallen daran gefunden, ihn unter dem Vorwand von Einweihungsfesten betrunken zu machen und ihn dann als ihr persönliches kleines Spielzeug zu missbrauchen. Sie kommandierten ihn herum wie ein Tier, und er konnte sich nicht wehren, weil er es nicht mitbekam.

Samuis Zimmergenosse war mittlerweile ebenso betrunken wie dieser selbst. Er wusste, was die Anderen mit dem jungen Soldaten anstellten, aber er hatte sich damit abgefunden. Sie gaben ihm etwas von ihrem Alkohol ab, und damit war es gut. In diesen verfluchten Trainingscamps war es schließlich ziemlich schwer, an irgendwelchen Stoff heranzukommen, und ihn kümmerte es wenig, was mit seinem Mitbewohner geschah, solange er wenigstens für kurze Zeit vor der grausamen Realität in seine eigene, kleine Welt zurückziehen konnte. Dies war nun schon das vierte Mal, dass sie das taten, und jedes Mal war Samui am nächsten Morgen frei von jeglicher Erinnerung, dafür aber mit gewaltigen Kopfschmerzen aufgewacht. Im Grunde genommen schadete es ihm also nicht.

"Jemand zu Hause?" Ein dunkelhaariger Soldat beugte sich über sein Bett und stieß ihm in die Seite. "Jaja, was willst du?" Dem blonden Jungen gefiel es ganz und gar nicht, dass jemand in seine Welt eindrang und ihn störte. "Wir haben noch was für dich, aber dafür musst du schon was tun, OK?" "Häh?" Er rappelte sich mühsam auf. "Wie... was tun?" "Naja..." der Schwarzhaarige grinste und zog ein paar kleine, herzförmige Pillen aus der Tasche. "Du stehst doch auf sowas, oder?" Der Blonde bekam große Augen. "Drogen? Hier? Wie... wie habt ihr das ge... geschafft?" "Das lass mal unsere Sorge sein. Tatsache, wir geben dir das Zeug, wenn du mich mit dem Kleinen ein wenig Spaß haben lässt... du weißt schon, was ich meine?" "Ihr wollt ihn..." "Heeeey, du weißt von nichts, ja?" Für einen Augenblick ließ er seinen Blick zwischen den Tabletten und dem betrunkenen Samui hin- und herschweifen. Dann zuckte er mit den Schultern. "Gut, gut, aber nur du und sei lieb zu ihm, ja?" "Klar doch! Wenn er wach wäre, würde es ihm sogar gefallen..." Der Soldat gab ein dreckiges Lachen von sich. Dann drehte er sich um. "Danke, Tetsuya!"

Als Samui am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich genauso mies wie bei all den seltsamen Feiern zuvor auch. Er grummelte unwillig und zog sich sein Kissen über seinen Kopf. "Ich habe Kopfweh, mir ist schlecht und mir tut alles weh!" murmelte er. "WAS findet ihr eigentlich an diesen Feiern, Tetsuya?" Mit einem Seufzer setzte er sich auf und streckte sich. Sein langes, rotes Haar fiel ihm wirr über die Schultern, seine blauen Augen blickten noch recht verschleiert und müde drein. Sein Zimmerpartner sah allerdings auch nicht unbedingt besser aus. "Hmm... das verstehst du erst, wenn Alkohol bei dir nicht mehr zum totalen Blackout führt..." antwortete er leise und strich sich durch seine schulterlangen, blonden Haare. "Vielleicht verstehst du es aber auch gar nie." Dann stand er auf und zog sich an.

"Tetsuya... hey, Tetsuya!!!" Der Schwarzhaarige kam grinsend aus seiner Hütte und winkte den jungen Soldaten zu sich heran. "Na, wie war dein kleiner Trip?" "Hmmm... war OK..." Tetsuya zuckte mit den Schultern. "Dann hast du doch bestimmt bald Lust auf eine neue Party, was?" "Noch eine... und du willst wieder?" "Warum nicht? Schadet doch keinem!" "Wenn du meinst..." Der Blonde zuckte mit den Schultern. "Ich muss dann wieder!" Er schlenderte langsam über den Platz. Irgendwie tat ihm Samui jetzt doch leid. Auch wenn er nichts mitbekam... Es musste nicht sein, es ging jetzt doch zu weit. Er sah sich um und erblickte nach einiger Zeit eine Aufsicht. Vielleicht sollte er seinem Mitbewohner doch helfen, immerhin konnte der nichts dafür und niedlich war er ja. Er blieb noch einige Sekunden unschlüssig stehen. Dann holte er tief Luft, legte ein erschüttertes Gesicht auf und lief auf den Betreuer zu.

"E... entschuldigung, aber.. ich..." Der Aufseher sah Tetsuya ernst an. "Was ist denn?" "Ich..." Der blonde junge schüttelte seinen Kopf. "Ich habe gestern trainiert... und als ich in mein Zimmer gekommen bin, habe ich gesehen... nein... ich habe gehört, ja, gehört, dass... da etwas nicht stimmt!!!" Sein Gegenüber zog misstrauisch eine Augenbraue hoch. "Na komm, du hast was gesehen, erzähl mir nichts!" "Aber ich... gut, ich habe etwas gesehen... die Typen aus der W-Hütte..." Er deutete mit dem Kopf auf das Gebäude, von dem er eben noch gekommen war. "Die haben mit Samui aus meinem Zimmer... naja... sie haben ihn glaub ich vergewaltigt oder so. Aber ich weiß es nicht genau... Ich bin gleich wieder raus, und..." Er sah zu Boden. "Sie wollen das noch öfter machen, wenn ich wieder beim Training bin. Tun sie was dagegen, aber bitte... sagen sie ihnen nicht, dass ich sie verraten habe, ja?"

Samui lag noch in seinem Bett und starrte an die Decke. Vielleicht sollte er den anderen doch mal sagen, dass ihm diese Partys nicht gefielen, andererseits wollte er nicht als langweilig erscheinen. Er seufzte und malte mit seinen Blicken Kreise in die Luft, als plötzlich die Türe aufging und zwei Betreuer eintraten. "Samui, wie fühlst du dich?" Der Rotschopf verstand nicht ganz, was sie von ihm wollten. "Naja, nicht so... aber wieso?" "Du musst mitkommen, zur Untersuchung, wir wissen, es war hart für dich, aber du musst..." "Moment mal, was war hart für mich und wieso? Ich verstehe das nicht..." Doch trotz seines Protestes halfen ihm die Beiden auf die Beine und führten ihn aus dem Zimmer.
 

Die größte Mittagshitze war bereits verklungen und Tetsuya nutzte diese Gelegenheit, um auf dem Sandplatz vor dem Camp zu trainieren. Er trainierte gerne, wenn die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel stand, wenn die meisten anderen Soldaten sich gerade ausruhten oder sonst irgendwie beschäftigten und er allein und ungestört sein konnte... "Heee, Tetsuya!!!" Eine helle Stimme durchbrach die Stille. "Huh?" Der blonde Junge drehte sich um und ließ seinen Stock sinken, als er Samui sah, der anscheinend gerade aus dem Wald gelaufen kam. "Kommst du mal mit?" "Wieso das?" Tetsuya war ein wenig irritiert, was der Rotschopf von ihm wollte. "Ich hab was verloren, kannst du mir bitte suchen helfen?" fragte der und lächelte verlegen. "Im Wald? OK..." Der junge Soldat nickte und folgte der zierlichen Gestalt, die zurück auf den Waldrand zulief. Die Bäume warfen lange Schatten auf die Wiese, über welche die Beiden jetzt liefen. Tetsuya fiel im Laufen auf, dass Samui trainiert haben musste, denn er trug sein Schwert bei sich. Aber wieso trainierte Samui denn allein im Wald? Und was mochte er verloren haben?

Als sie nun auf den kleinen Pfad traten, der durch das Unterholz führte, begann Tetsuya, den Boden nach irgendetwas abzusuchen, was Samui gehören konnte, doch der lief noch weiter in den Wald hinein, bis sie zu dem kleinen See kamen, der einige Meter weit vom Waldrand entfernt lag, gerade so weit, dass man das Trainingscamp nicht mehr sehen konnte. Ob sich Samui womöglich hier versteckt hatte? Ob er wusste, was mit ihm geschehen war und er sich nun vor den langsam in ihm aufsteigenden Erinnerungen an diesen geheimnisvoll, fast ein wenig märchenhaft wirkenden Ort zurückzog? Aber er sah nicht traurig aus... Tetsuya holte tief Luft. "Also, was hast du denn nun verloren?"

Plötzlich ging alles ganz schnell. Samui fuhr herum, zog blitzschnell sein Schwert und presste Tetsuya das kalte Metall an den Hals. "Meine Würde und das ist allein deine Schuld!!!" zischte er ihn an. Seine Augen funkelten vor Zorn. "Heee, ganz ruhig... immerhin hab ich dir geholfen, ja?" "Geholfen?!?" Samuis Stimme überschlug sich beinahe. "Verkauft hast du mich, verkauft, für ein paar Drogen!!! Du... du mieser Junkie!!!" Seine Hände begannen zu zittern. Tetsuya zuckte mit den Schultern. "Wenn ich jemals so etwas wie Würde gehabt hätte, dann hätte ich sie damit wohl auch verloren, was?" Er lächelte kalt. "Du... du..." Samuis Unterlippe begann zu beben. Er schloss seine Augen, nur für wenige Sekunden, und holte tief Luft. Dann, urplötzlich, mit einer unglaublich schnellen Bewegung, schlitzte er das Oberteil von Tetsuyas Uniform auf. "Du bist das Letzte!!!" schrie er. "Danke!" Der Blonde schüttelte leicht den Kopf. "So ein nettes Kompliment habe ich lange nicht mehr gehört." "Du bist widerwärtig!!!" Der Rotschopf riss sein Schwert hoch und verpasste Tetsuya einen tiefen Schnitt auf der Wange. "Du bist das niederste, gefühlloseste, verabscheuenswürdigste Etwas, das mir jemals untergekommen ist!!!" Seine tiefblauen Augen blitzten wütend auf, als er die zweite Wange des jungen Soldaten aufschnitt. "Du bist ein egoistisches Monster!!!" Mit diesen Worten fuhr er herum, rannte den Waldweg entlang, der zum Camp führte, und ließ Tetsuya allein zurück.

Warmes Blut lief ihm über das Gesicht, tropfte von seinem Kinn und wurde gierig von der trockenen Erde aufgesogen. "Oh ja... ich bin ein... Monster..." murmelte er. Seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. Samui hasste ihn jetzt. Er verabscheute ihn. Na und? Es war besser so... leichter. Außerdem... was kümmerten ihn die Gefühle dieses Möchtegern-Kriegers?

Er rappelte sich auf und schritt den selben Weg entlang wie zuvor Samui, mit dem Unterschied, dass er sehr langsam ging. Immer wieder wischte er sich das Blut ab, dass aus den Schnitten lief. Er trat aus dem Wald hinaus auf den von zartgrünen Wiesen eingesäumten Weg. Er achtete jedoch nicht auf seine Umgebung, sondern hatte seinen Blick starr nach vorne gerichtet. Alles, was er wahrnahm, war das sanfte Rauschen des seichten Windes und...

"Oooooh, wen haben wir denn da?" Tetsuya fuhr zusammen und drehte sich ruckartig um. Vor ihm stand ein ihm nur allzu bekannter schwarzhaariger Soldat und funkelte ihn wütend an. Tetsuya wich zurück und verfluchte sein Schicksal, dass ihn zum Dank nun auch noch gegen einen weiteren kräftigen Körper prallen lies. "Du hast uns verpfiffen, und das mögen wir gar nicht, weißt du?" "Hey, ich... ich..." "Spar dir deine Ausflüchte!!!" Fuhr ihn der Dunkelhaarige an und schlug ihm kräftig auf seine blutende Wange. Tetsuya wollte zur Seite springen und weglaufen, aber er war nicht schnell genug. Schon fühlte er, wie er bei den Armen gepackt und vor den dunkelhaarigen Soldaten gezerrt wurde. Der rammte dem blonden Jungen zunächst mit voller Wucht seine Faust in den Bauch. Tetsuya schnappte nach Luft, doch schon trafen ihn weitere Schläge und Tritte in den Magen, vor die Brust... in sein Gesicht. Irgendwann sank er in sich zusammen, doch die beiden Gorillas hielten ihn weiterhin fest, bis ihr Anführer ihnen ein Zeichen gab. Dann warfen sie den Blonden auf den harten Boden. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen trat der Schwarzhaarige auf die zitternde Gestalt am Boden ein. Tetsuya krümmte sich zusammen und verbarg seinen Kopf schützend in seinen Armen. Er hörte wie aus weiter Ferne die Stimme irgendeines Soldaten, dann fühlte er, wie er an den Haaren hochgerissen wurde und ihn ein harter Faustschlag ins Gesicht traf. Dann schleiften ihn die muskelbepackten Soldaten unter Hohngelächter zurück auf den Platz vor dem Trainingscamp und ließen ihn achtlos auf das Steinpflaster fallen.

Er lag regungslos da, die Augen fest zusammengepresst. Seine Arme waren fest um seinen Bauch geschlungen. Ihm tat jeder Knochen im Leibe weh, ihm war schlecht, er spürte, wie ihm Blut über das Gesicht lief... Die anderen Soldaten starrten die verkrampft daliegende Gestalt entsetzt an. Dann begannen sogar einige, zu lachen. Tetsuya hörte es, obwohl es so unendlich weit entfernt schien... Was taten sie? Warum half ihm denn nur keiner? Er zählte seine Atemzüge, um sich von dem Schmerz abzulenken, irgendwie...

Sie lachen. Du liegst auf dem Boden, verletzt, und sie starren dich an und lachen über dich.

Ein anderer Schmerz flackerte auf. Er war schlimmer als all die Wunden an seinem Köper.

Plötzlich fühlte er, wie sich ihm warmer Stoff über die Schultern legte. Müde, unendlich müde hob er seinen Kopf und blickte auf. Samui stand über ihm. Er hatte ihm eine Decke über seinen blutenden Körper gelegt und half ihm jetzt vorsichtig auf die Beine. Er sah ihm dabei nicht ihn die Augen. Tetsuya seufzte. Wieso half ihm denn ausgerechnet... Samui? Wenn einer das Recht hatte, ihn auszulachen, auf ihn herabzublicken, dann er! Aber... jetzt half er ihm. Der blonde Soldat wollte etwas sagen, bereute es aber gleich darauf, denn in seiner Brust machte sich ein pochender Schmerz breit. Er beugte sich keuchend vornüber, Blut lief aus seinem Mund. Panisch riss er seine Augen auf und starrte auf die tiefroten Tropfen, die zu Boden fiel. Er bekam kaum noch mit, wie Samui ihn fester umpackte und auf sein Zimmer führte. Dann legte der Rotschopf die zierlichen Gestalt auf ihr Bett. Er nahm ein Stück Stoff und wischte dem Jungen das Blut aus dem Gesicht. "Willst du was Trinken? Essen? Oder sonst irgendwas?" Die Stimme des Rotschopfes klang kalt. Tetsuya schüttelte nur schwach den Kopf. "Ich will... einfach schlafen... ja?" Er hörte noch, wie sich Schritte entfernten, die Tür geöffnet wurde und dann wieder ins Schloss fiel. Dann legte er sich vorsichtig auf die Seite und rollte sich in die Decke ein, bevor ihm die Augen endgültig zufielen.

Als er am nächsten Morgen erwachte, war das Bett seines Mitbewohners leer. Er rappelte sich mühsam auf und verzog das Gesicht, als der Schmerz ihn mit unerbittlichen Fingern packte. Sein Rücken, sein Bauch, sein Gesicht... Jedes einzelne Körperteil tat ihm in diesem Augenblick weh. Er wiederstand nur mit viel Mühe der Versuchung, sich einfach wieder auf seine mehr oder weniger weiche Matratze fallen zu lassen und rappelte sich umständlich auf. Dann schlich er erst einmal zu den Duschräumen und wusch sich das verklebte Blut und den Staub der Erde vom Körper. Jetzt fühlte er sich besser. Er zog sich eine frische Uniform über und ging hinaus auf den Platz. Er blinzelte in das weiche Licht der gerade eben erst aufgegangenen Morgensonne, die den zartblauen Himmel noch sehr sanft und zögerlich erleuchtete. Er seufzte und beschloss, diese schönen Stunden für ein wenig Training zu nützen. Da fiel es ihm wieder ein.

Er hatte seinen Stock gestern im Wald liegen lassen! Sein Herz schien für einen Schlag auszusetzen. Er ignorierte die Schmerzen in seinem Körper und begann zu rennen. Er stürzte beinahe blindlings den Pfad hinauf zu dem schattigen Gehölz, lief, rannte, stolperte zu dem kleinen See. Verzweifelt suchte er das von Laub und Nadeln bedeckte Ufer ab, kämpfte sich durch das dichte Gestrüpp. Vergebens. Sein Stab war und blieb verschwunden. Er wandte seinen Kopf zu dem dunkel und undurchsichtig daliegenden Gewässer. Der Schwarzhaarige und seine Gorillas, sie würden doch nicht... Hatten sie seinen Stab etwa in den See geworfen? Für einen Moment stieg unbändige Wut in ihm hoch. Dann holte er tief Luft und schloss die Augen. Sie hatten ihn mit seiner Waffe doch nie ernst genommen. Wie konnten sie auch? Sie verstanden doch gar nicht, was dieser Stock für ihn bedeutete! Vielleicht war das auch besser so.

Er machte einige zögerliche Schritte hinein in das kühle Nass. Vergeblich suchten seine Augen den Grund des Sees nach seiner Waffe ab. Er seufzte. Das Wasser war doch überhaupt nicht klar genug, um weit genug zu sehen. Er würde tauchen müssen. Er atmete tief ein und sprang wie er war, mit seiner Uniform und seinen Stiefeln, hinein in die kalte trübe Brühe. Nach einigen kräftigen Zügen war er an dem schlammigen Boden angelangt. Vorsichtig tastete er sich über die Steine und Pflanzen, immer auf der Suche nach etwas Metallischem. Nichts. Nur der ewig gleiche, kühle Matsch. Aber er wollte nicht aufgeben, suchte weiter, bis ihn ein Stechen in seiner Lunge zum Auftauchen zwang. Er schwamm hastig zurück an die Wasseroberfläche und schnappte keuchend nach Luft. Und da sah er ihn.

Er saß auf einem Felsen, nahe dem kleinen Wasserfall und blickte versunken auf die Wellen, die das herabfallende Wasser in dem See schlug. Sein rotes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die blauen Augen seltsam leer und ausdruckslos. Tetsuya zuckte unwillkürlich zusammen. Er wusste, er hatte dem Rotschopf wehgetan. Aber... hatte er ihn so sehr verletzt?

"Hey, Samui!" Der blonde Junge zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Samui sah nicht einmal auf. Er reagierte kaum auf den Ruf des Soldaten, nur seine blauen Augen schienen sich für den Bruchteil einer Sekunde zu bewegen und ein kaum wahrzunehmendes Erschaudern lief über seinen Körper. Die Stille, die über dem kleinen Waldsee lag, wurde plötzlich bedrückend. Tetsuya meinte, seinen eigenen Herzschlag vernehmen zu können, so ruhig war es. Oder schlug sein Herz so laut?

Plötzlich brach ein ohrenbetäubender Lärm in die Szene herein. Samui schrie auf, als ein greller, zuckender Blitz in einen Baum am Seeufer einschlug und seinen Stamm spaltete, wie mit einer Axt. Tetsuya blickte auf und sah, dass dunkle Wolken den Himmel bedeckten. Ein heftiger Donnerschlag grollte wie das Brüllen eines gierigen Raubtieres.

Er musste raus aus dem Wasser.

Nur mit Mühe unterdrückte er seinen ersten Fluchtimpuls, als er Samui sah, wie er zitternd auf dem Felsen kauerte. In seinen großen, weit aufgerissenen Augen stand Panik, bei jedem Blitzschlag, jedem Donnerrollen stieß er einen ängstlichen Schrei aus.

Er konnte doch nicht hier am Wasser bleiben!!!

"Samui, komm her!" Tetsuya musste schreien, um den Donner zu übertönen. Der Rothaarige zog die Beine fester an seinen Körper.

"Hau ab!" schrie er nur. Seine Stimme klang hysterisch. "Hau ab, hau bloß ab!!!"

"Nein, du musst herkommen! Du bringst dich noch um!!!" Tetsuya schüttelte seinen Kopf, der Rotschopf hörte ihm in seiner Panik gar nicht zu. Kurzentschlossen schwamm er zu dem Felsen hin, packt die zitternde Gestalt und zog sie ins Wasser. Samui schlug um sich, aber der Blondschopf ignorierte seinen Protest und begann, gen Ufer zu schwimmen. Seine Arme, nein, seine gesamten Glieder wurden mit jedem Zug schwerer und schwerer. Er stöhnte. Der strampelnde Junge schien Tonnen zu wiegen.

"Halt doch endlich still!!!" rief er, aber Samui schien ihn immer noch nicht zu hören. Die Meter erschienen ihm so lang... so unglaublich lang...

Und wenn er es nicht mehr schaffen würde?

"Nein!!!" Mit einem Aufschrei mobilisierte er die letzten Kräfte in seinem Körper, irgendwie schaffte er es, sich selbst und den Rothaarigen an das Ufer zu retten. Er zog sich mit einem befreiten Seufzer an Land und blieb einige Sekunden mit geschlossenen Augen liegen. Das Gewitter schien plötzlich unendlich weit entfernt... so leise...

Da hörte er neben sich ein leises Schluchzen. Tetsuya schlug die Augen auf. Samui saß neben ihm zusammengerollt auf den Boden. Er sah so... verloren aus, in seiner nassen Uniform... den ebenfalls nassen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen... und diese Angst in seinen Augen... Der Blondschopf schloss den Jungen ganz instinktiv in seine Arme und strich ihm beruhigend über den Rücken. Langsam, nur ganz langsam entspannte er sich ein wenig. Tetsuya nahm ihn bei den Schultern und sah ihn an.

"Geht's wieder?" fragte er ein wenig unsicher. Samui nickte. Tetsuya rappelte sich auf und half dem Rothaarigen auf die Beine. "Wir sollten schauen, dass wir hier aus dem Wald rauskommen..." Ohne lange nachzudenken, schlug er den Weg in einen Waldpfad ein. Samui folgte ihm zögerlich, schloss dann aber rasch auf. Er krampfte die Hände fest ineinander, bei jedem Donnergrollen zuckte er wie unter einem Schlag zusammen. Tetsuya beschloss, sich zu beeilen. Der Rotschopf schien vor dem Gewitter panische Angst zu haben, und auch er fühlte sich nicht wohl, mitten im Wald. Aber das Lager war ja nicht weit.

Einige Stunden später begriff Tetsuya langsam aber sicher, dass sie sich verlaufen hatten.
 

Samui hatte Angst. Er hasste Gewitter, er hasste überhaupt nichts mehr als diese verfluchten Gewitter. Das war doch kindisch! Wovor hatte er denn überhaupt...

Ein Donnerschlag ließ ihn zusammenfahren, er rammte sich seine Fingernägel in die Handflächen. Der Schmerz beruhigte ihn und gab ihm gleichzeitig die Gewissheit, noch am Leben zu sein.

Krank, irgendwie krank.

Sein Blick fiel auf Tetsuya, der ungefähr einen Meter vor ihm durch das immer dichter werdende Unterholz lief. Ausgerechnet mit ihm musste er im Wald sein... allein mit ihm... hatte er sich das nicht gewünscht?

Er schüttelte den Kopf. Nein, er hasste diesen widerlichen, egoistischen Junkie doch. Was hatte er ihm nur angetan, wieso, wieso hatte er ihn so benutzt, so... verraten?

Und wieso hörte sein Herz nicht auf, so schnell zu schlagen?

Über sein Grübeln und seine Angst hinaus hatte er seiner Umgebung kaum noch Beachtung geschenkt. Erst, als er direkt neben sich einen ohrenbetäubend lauten Schlag hörte, sah er mit einem Schrei auf.

Es war zu spät.

Ein Baum neben ihm war von einem Blitz getroffen worden, der Stamm war durchteilt, abgebrochen... und jetzt fiel das hölzerne Monstrum zu Boden... direkt auf ihn zu. Seine Beine zitterten, die Angst hielt ihn mit festen, unbarmherzigen Fingern umklammert. Er war wie erstarrt, er konnte nicht weglaufen. Er konnte nicht... Würde er sterben? Würde er...

Er fühlte plötzlich, wie er von irgendetwas brutal nach vorne gestoßen wurde, taumelte einige Meter weit und fiel dann zu Boden. Er fuhr herum, und für den Bruchteil einer Sekunde sah er in Tetsuyas Augen.

Dann wurde der Junge von dem herabfallenden Baum begraben.

Samui schrie auf und stürzte auf den gefallenen Riesen zu. Hatte sich Tetsuya geopfert... für... für ihn? Nein! Und... wieso? Wieso nur? Das durfte nicht sein!!!

Er riss die Äste beiseite, bis irgendwo eine Hand zwischen dem dichten Blattwerk auftauchte. Samui zog mit all seiner Kraft daran. Sein Herz schlug so heftig, als würde es jeden Moment zerspringen. Da lag der Blondschopf, mit geschlossenen Augen... wie... tot? Nein!!!

Er packte die Schultern des Soldaten und schüttelte ihn.

"Tetsu...ya... TETSUYA!!!" Er schrie beinahe. Er spürte kaum, wie ein Regenguss einsetzte, wie zunächst nur wenige, sanfte Tropfen zu Boden fielen, die sich dann in einen heftigen Schauer verwandelten, der Blitz und Donner verschluckte und die ausgetrocknete Erde mit heilendem Wasser nährte. Er fühlte nichts, gar nichts, als er am Rande der Lichtung saß und Tetsuyas Körper in den Armen hielt.
 

Nässe... War das Regen? Er schlug nur sehr langsam seine Augen wieder auf. Wo war er? Sein Kopf schmerzte wie verrückt, aber es war kein dumpfer, pochender Schmerz, nein, seine Haut brannte wie Feuer. Vorsichtig befühlte er sein Gesicht und spürte, dass es von einigen tiefen Kratzern und Schnittwunden übersäht war. Er blickte sich vorsichtig um, und da sah er die Gestalt neben sich.

Die langen Haare nass und glänzend vom Regen, so rot wie geschmolzenes Kupfer. Die Lippen bebend, vor Kälte... vor Angst? Das Gesicht so fein und hübsch wie das eines jungen Mädchens... Tetsuyas Herz begann, schneller zu schlagen. Wie schön er doch war! Und wie hilflos er aussah, so... einsam...

Er erschauderte. Ohne lange nachzudenken, nahm er Samuis Körper auf die Arme und begann, in den Wald zu laufen. Erst jetzt fühlte er die Erschöpfung, die schon die ganze Zeit auf seinem Körper gelastet hatte. Sie waren lange gelaufen, kein Wunder, dass der Rotschopf eingeschlafen war. Nun fühlte Tetsuya auch, dass sein rechter Fuß bei jedem Schritt schmerzte. Vorsichtig humpelte er weiter, immer weiter, durch den schwarzen Wald, durch den immer dichter werdenden Regen.

Und da sah er ein Licht vor sich.

War es ein Haus? Wie in einem Traum erschien ein altertümlich wirkendes Gebäude aus den triefenden Nebelschwaden, die den dunklen Wald wie Geisterfratzen durchzogen. Die hell erleuchteten Fenster erschienen so unendlich warm, wie ein Zufluchtsort aus einer wundervollen Traumwelt. Tetsuya beschleunigte seine Schritte, so gut er konnte. Endlich hatte er eine Unterkunft gefunden!!!

Er klopfte mit zitternden Fingern gegen das dunkle Holz der Türe, die sich kurz darauf langsam öffnete. Ein Mädchen blinzelte ihm aus großen, violett schimmernden Augen entgegen. Tetsuya sah sie überrascht an. Sie hatte ihr langes braunes Haar zu zwei Zöpfen geflochten. Außerdem trug sie zwei lange Hasenohren auf dem Kopf und ein veilchenfarbenes Häschenkostüm.

"So spät noch Kundschaft?" lachte sie. "Ich hätte nicht..." Sie verstummte, als sie sich die Gestalt, die in der Türe stand, näher ansah. Der junge Soldat war durchnässt bis auf die Knochen, er schwankte vor Erschöpfung und sein Gesicht und seine Uniform waren übersäht mit blutigen Kratzern und Rissen. Auf den Armen trug er einen rothaarigen Jungen, der ebenfalls Soldat sein musste, der Uniform nach. Er hatte die Augen geschlossen, nur schwach bewegte sich seine Brust.

"Oh... komm... komm doch rein... setz dich... ich hole Mirei!!!" Sie ließ Tetsuya allein in dem von gedämpftem Licht erhellten, mit roten, violetten und pinkfarbenen Tüchern ausgehängten Vorraum zurück und kam wenig später aufgeregt und mit einer jungen Frau im Schlepptau zurück. Diese musste um die 30 sein, trug einen kurzen, schwarzen Mimirock aus glänzendem Leder und eine weiße Bluse. Ihre pechschwarzen Haare reichten ihr bis über die Hüfte.

Sie sah Tetsuya besorgt an, deutete dem Mädchen im Hasenkostüm dann, Samui zu nehmen und vorsichtig auf ein Zimmer in dem anschließenden Gang zu tragen. Dann sprang sie auf Tetsuya zu und fing ihn bei den Schultern auf, als er einige Schritte nach vorne taumelte und beinahe vorüber kippte. Besorgt stütze sie ihn ab und führte ihn in das selbe Zimmer, auf das schon Samui gebracht worden war.

Es war ein kleines, hell erleuchtetes Zimmer. Die Wände waren mit pinkem Samt verkleidet, in der Mitte des Raumes stand ein herzförmiges Bett. Gegen die Scheibe des kleinen Fensters prasselte der Regen. Das braunhaarige Mädchen hatte Samui bereits auf das Bett gelegt und ihm seine durchnässte Uniform ausgezogen. Mirei setzte sich mit Tetsuya daneben und musterte sein Gesicht und seine Kleidung.

"Willst du noch ein Bad nehmen?" fragte sie. "Deine Wunden sehen nicht gut aus..." Tetsuya schüttelte müde den Kopf.

"Nicht mehr heute... bitte..." antwortete er leise. Mirei nickte.

"Gut, du siehst müde aus..." meinte sie. "Du solltest dir deine Uniform ausziehen... Schlaft gut... bis morgen..."

Sie stand auf und ging zur Türe. Dann nickte sie dem blonden Jungen noch einmal zu, bevor sie gemeinsam mit dem Mädchen das Zimmer verließ. Tetsuya bekam davon kaum noch etwas mit. Er wusste nicht mehr, wie er aus seiner Uniform gekommen war, bevor er sich erschöpft auf das Bett war und sofort einschlief, während draußen schon wieder langsam die Sonne hinter den Regenwolken aufging.

Also Samui am nächsten Tag aufwachte, fühlte er als erstes die Wärme von... irgendetwas Weichem? Er schlug die Augen auf und sah sich verwirrt um. Neben ihm lag Tetsuya... in einem Herzförmigen Bett? Samui stieß ihn vorsichtig an. Unwillig grummelnd öffnete sich eines seiner grünlich schimmernden Augen und blinzelte den Rotschopf verschlafen an.

"Wo... wo sind wir, und wie..." Samui stockte. "Te... Tetsuya, dir geht es gut?"

"Deine Decke ist verrutscht..."

Einige Sekunden blinzelte der Rothaarige recht verwirrt drein. Dann senkte sich sein Blick langsam nach unten. Er schrie entsetzt auf und zog seine Decke bis unter sein Kinn, wobei sich seine Hautfarbe dem Rot seiner Haare anpasste.

"Du... du..."

"Ja, mir geht es gut, keine Angst!" Tetsuya grinste. "Unkraut vergeht nicht, oder? Du hast dir Sorgen gemacht?"

Samui schüttelte eifrig den Kopf. "Nei-nein!!! Natürlich nicht!"

"Natürlich!" Tetsuya zwinkerte dem Rotschopf grinsend zu. "Aber jetzt komm, du hast Mirei noch gar nicht gesehen... Vielleicht hat sie ja noch ein kleines Frühstück für uns übrig, was?"
 

Die kleine Gruppe sass lachend uns schwatzend um einen viereckigen Tisch herum. Neben Mirei und dem braunhaarigen Häschen vom Vorabend gesellten sich noch andere, teilweise auffallend hübsche, teilweise niedlich und unschuldig wirkende Mädchen in die frühstückende Runde. Als die beiden jungen Soldaten, die mittlerweile wieder in ihre mehr oder weniger trockenen Uniformen geschlüpft waren, den Raum betraten, verstummten die Gespräche und die Ankömmlinge wurden neugierig von allen Seiten beäugt.

"Na, geht's euch besser?" fragte sie und zwinkerte Tetsuya entgegen, der es sich zielsicher neben einem niedlichen jungen Mädchen mit langen dunkelbraunen Haaren, das ihr in sanften Locken über den Rücken fiel, bequem machte. Samui hockte sich leicht zögerlich auf den Stuhl neben ihm.

"Hmm... wo sind wir denn hier eigentlich?" fragte Tetsuya und lächelte seine Nebensitzerin mit jenem verführerischen Blick an, der selbst die härtesten Frauenherzen zum schmelzen bringen könnte. Das Mädchen lächelte zurück.

"Ach, wir sind eine Zufluchtsort für Reisende und Wanderer, denen wir den Aufenthalt hier ein wenig versüßen möchten..." Antwortete Mirei grinsend. "Und ein echter Geheimtipp, ganz nebenbei!"

"Also ein Bordell?" Fragte Tetsuya, während er ungerührt an seinem Brötchen kaute. Die Dunkelhaarige kicherte.

"So kann man es auch sagen," erwiderte sie.

"Hmmm... sie müssen wirklich sehr reich sein, wenn sie so eine Schönheit wie deine mit Gold bezahlen wollen!" Der Blondschopf sah dem Mädchen tief in die Augen. Sie lachte.

"Du bist süß!" meinte sie. "Ich bin übrigens Leeca!"

"Tetsuya!" Lächelte der. "Leeca... ein schöner Name. Aber nicht so schön wie du!"

"Hör mal, wenn du mich rumkriegen willst, frag doch direkt, ob ich Lust habe!" Grinste Leeca, worauf die gesamte Runde in eifriges Gekicher ausbrach - mit Ausnahme von Samui, der mit hochrotem Kopf da sass und krampfhaft auf seinen Teller starrte.

"Gut, hast du Lust?" fragte Tetsuya ohne mit der Wimper zu zucken.

"Klar! Mit dir doch immer, wenn alle..."

Sie wurde von dem lauten Knall des Stuhles unterbrochen, von dem Samui eben aufgesprungen war.

"Ich... bin fertig!" rief er, hob hastig den Stuhl auf und lief dann aus dem Zimmer. Er gab sich nicht einmal mehr mühe, die Türe leise hinter sich zu schließen. Tetsuya sah ihm nachdenklich hinterher, bevor er schulterzuckend aufstand und mit Leeca in einem der Zimmer verschwand.

Es war besser so. Er hatte das richtige getan.
 

Samui sass nun schon seit Stunden auf einem Felsen unweit des Hauseinganges. Er war wütend... und enttäuscht. Und was das schlimmste war, er wusste selbst nicht einmal, warum eigentlich. Wegen Tetsuya? Aber was kümmerte es ihn denn, ob dieser gefühllose Idiot mit irgendeiner Tussi rummachte oder nicht? War doch seine Sache... Allerdings war die Luft hier draußen feucht und immer noch ein wenig kalt, obwohl es schon seit dem Morgengrauen nicht mehr regnete. Er beschloss, doch einmal hineinzugehen. Immerhin hatte auch er ein Anrecht auf ihr gemeinsames Zimmer.

Auf dem Flur kam ihm bereits ein kicherndes Mädchen mit langen, dunkelbraunen Haaren entgegen. Sie lehnte sich an eine der Wände und strich sich die Strähnen aus dem Gesicht, dann grinste sie Samui verschwörerisch an.

"Er IST gut... man hast du ein Glück!" lachte sie.

"Achja?" Samuis Antwort klang schärfer und unfreundlicher, als er es ursprünglich geplant hatte. Ohne Leeca eines weiteren Blickes zu würdigen, stapfte er auf sein Zimmer.

Tetsuya lag, inzwischen wieder mit seinen schwarzen Boxershorts bekleidet, auf dem Bett. Er blickte an sich herunter. Für einen Soldaten war er nahezu erschreckend zierlich, fast ein wenig abgemagert, irgendwie... Beim Anblick der Narbe, die sich quer über seine Brust zog, zuckte er unweigerlich zusammen. Wie mechanisch griffen seine Finger nach dem Kettchen, das auf seinem Nachttisch lag, schlossen sich um die beiden ineinander verschlossenen Ringe und hielten das kühle Metall fest, als könnte es ihnen jeden Moment entgleiten und verloren gehen.

Das Geräusch der auf- und kurz darauf wieder zufliegenden Türe ließ den Blondschopf aufblicken. Samui stand im Zimmer, in seinen blauen Augen lag ein wütendes Funkeln.

"Hey, Samui, was ist denn?" fragte Tetsuya grinsend.

"NICHTS!" Der Rothaarige schob die Unterlippe nach vorne und hockte sich auf das Bett, während Tetsuya aufstand und in seine Uniform schlüpfte.

"Ach komm, es passt dir nicht, dass Leeca und ich..." Er grinste.

"Blödsinn! Ist doch deine Sache, wenn du dir für sowas nicht zu Schade bist!"

"Wieso denn zu Schade?" Tetsuya zuckte mit den Schultern und setzte sich neben den Rotschopf. "Wir wussten doch beide Bescheid, oder? Keiner wollte mehr, keiner ist hinterher verletzt... wir hatten unseren Spaß und das war alles, was ist dagegen schon einzuwenden?"

"Nichts..." Samui sah zu Boden. "Aber... bist du wirklich glücklich mit sowas... ich meine, so auf die Dauer..."

"Warum nicht?"

"Ich meine... wünscht du dir nicht manchmal, dass du nicht einfach nur mit irgendeinem wildfremden Mädchen einschläfst, und am nächsten Morgen bleibt dir nichts... ausser vielleicht ein gewaltiger Kater... und die Erinnerung an ein paar tolle Minuten?"

"Klingt doch gut, oder?"

"Naja, wenn du meinst... aber..." Er schüttelte den Kopf, in seine Augen trat ein fast wehmütiger Ausdruck. "Wäre es denn nicht viel schöner, am nächsten Morgen aufzuwachen und zu wissen, dass man nicht wieder allein ist? Das da jemand neben einem liegt, auf den man sich freut... der sich auf einen freut... Der nicht nur für ein paar schöne Augenblicke da ist, sondern... immer?"

"Du bist so naiv, Samui..." Tetsuya seufzte. "Glaub mir... du bist zu gut für diese Welt..."

"Blödsinn... ich meine ja nur..."

"Verstehe schon..." Der blonde Soldat senkte seinen Kopf. Dann grinste er. "Du bist eifersüchtig, was?"

"WIE BITTE?!?" Samui riss entgeistert die Augen auf, dann zog er sich seine Decke über den Kopf. "Das... das ist der größte Blödsinn, den ich jemals gehört habe!!!"

Kichernd zog Tetsuya dem Jungen die Decke weg, der daraufhin verzweifelt versuchte, sein leuchtend rotes Gesicht zwischen seinen Händen zu verbergen.

"Du bist in mich verknallt, was? Darum bist du eifersüchtig!" Der Blondschopf lachte übermütig auf. "Verständlich, ich bin ja auch ein hübsches Kerlchen, was?"

"Überhaupt nicht!" Samui warf ein Kissen nach dem Soldaten und verzog sein Gesicht. "Du bist ein hässlicher, abgemagerter Junkie... du siehst ja aus wie eine Leiche, wie könnte ich mich bitte in SOWAS verlieben?!?"

"Ehrlich gesagt, das frage ich mich auch!!!"

"Du... du hast überhaupt keine Manieren!"

"Bin halt schlecht erzogen!" Tetsuya zwinkerte dem Rotschopf zu. "Schlimm, schlimm, schlimm, in sowas wie mich hast du dich verliebt..."

"Habe ich NICHT!"

"Warum wirst du dann Rot, huh?" Triumphierend lächelnd stieß er den rothaarigen Soldaten von der Seite an. "Na komm, schau mir in die Augen, und sage mir, dass du mich nicht liebst!"

"Das ist doch doof, ich... ich... ach hör doch auf!!!"

"Da, da, siehst du? Du kannst es nicht, kannst es, kannst es, kannst es nicht, du..."

"Ach halt doch die Klappe!" Samui sprang wütend auf und lief, ohne Tetsuya eines weiteren Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer.
 

Warum er? Warum ausgerechnet er? Bei jedem anderen, bei jedem niedlichen, naiven Mädchen wäre es so leicht gewesen, aber er... Warum, warum tust du mir das an?!?
 

Es dauerte lange, bis Tetsuya von ihrem Bett aufstand, um Samui zu folgen. Er hatte nachgedacht, aber alles, was er erreichte war Ratlosigkeit und nur noch mehr Fragen. Er wollte den Rotschopf nicht verletzen, aber er konnte doch nicht...

Er schlenderte gedankenverloren den Gang entlang und bemerkte dabei den älteren, breitschultrigen Mann nicht, der ihm entgegenkam. Erst, als sie aufeinander prallten, sah Tetsuya erschrocken auf.

"Oh... entschuldigung..." murmelte er hastig. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dies der erste Fremde war, den er seit ihrer Ankunft hier gesehen hatte. Ob er vielleicht...

"Nein, nein, das war bestimmt meine Schuld!" Der Mann warf ihm ein gutmütiges Großvaterlächeln zu. "Ich bin Fenron, und wie ist dein Name, mein junger Krieger?"

Eine Spur zu freundlich, schoss es Tetsuya durch den Kopf.

"Hier... hier in der Nähe ist ein Trainingslager, könnten sie uns vielleicht den Weg dorthin beschreiben?" fragte er trotzdem.

"Aber sicher, ich könnte dich sogar hinbringen, denn ich bin anscheinend zufällig auf dem selben Wege wie du!"

"Sie wollen ins Trainingscamp?"

"Oh ja... einer meiner Schüler ist dort... Samui..." Bei dem letzten Wort bekam seine Stimme einen beinahe liebevollen Klang.

"Samui?!?" Tetsuya konnte nur mit Mühe seine Überraschung verbergen. Irgendetwas sagte ihm, dass er noch nicht verraten sollte, dass der Rotschopf ebenfalls hier war.

"Jaja, Samui... du kennst ihn?"

"Flüchtig..." Tetsuya zuckte mit den Schultern. "Ich... muss jetzt los, am besten, wir brechen erst morgen auf, ja?" Er war froh zu sehen, dass der kräftige Alte einverstanden war mit seinem Vorschlag. So hatte er genügend Zeit, sich einen Plan auszudenken, denn er war sich plötzlich aus irgendeinem Grund sicher, dass sich Samuis Wiedersehensfreude in Grenzen halten würde.
 

Samui stand im Badezimmer und starrte auf das Wasser, dass plätschernd in die goldene Wanne im Boden lief. Er seufzte. Vielleicht war es besser so. Jetzt wusste er wenigstens, was für ein Arschloch Tetsuya doch war. Jetzt konnte er ihn endlich hassen... zumindest wünschte er sich das.

Wieso nur wollte es ihm denn nicht gelingen?!?

Sein Herz war von einer Traurigkeit erfüllt, die er einfach nicht verstehen konnte. Tetsuya war der furchtbarste Mensch, den er jemals getroffen hatte! Er musste ihn einfach vergessen, sonst...

"Oh... hallo... Samui!!!"

Der Rotschopf konnte sich einen Aufschrei nur mit Mühe verkneifen.

"Ha-hallo... Meister Fenron?" stammelte er und schlüpfte hastig wieder in seine Uniform. Der alte Mann hielt ihn am Arm fest.

"Nicht doch!" lächelte er. "Lass dich doch von mir nicht stören... Bade doch... du wolltest doch baden?"

"Ich... ich war gerade fertig!" log Samui und wich langsam zurück.

"Was ist denn? Stimmt etwas nicht?" Fenron zog den jungen Soldaten näher zu sich heran. "Komm doch her... nun komm schon!" Bei den letzten Worten hatte der große Mann bereits geschrieen. Samui zuckte wie unter Peitschenhieben zusammen. Er spürte, wie sich der Griff um seinen Arm festigte, dann sah er Fenron eines der Handtücher aufnehmen und in das halb gefüllte Becken tauchen.

"Du bist ein böser Schüler, Samui, ein böser Schüler!!! Deinen Meister nicht mal zu begrüßen..." Er holte aus und schlug dem Jungen das Tuch mit all seiner Kraft über den Brustkorb. Ein roter Striemen blieb zurück. "...nach all dem, was ich für dich getan habe." In seine Augen trat ein halb irrsinniges, halb erregtes, beinahe euphorisches Glitzern. Er schlug noch einige Male zu, dann stieß er Samui von sich. Der trat mit zitternden Knien vor und verbeugte sich leicht.

"Danke... für diese... Zurechtweisung, Meister!" murmelte er. Fenron nickte zufrieden.

"Gut, sehr gut..." Mit einer zärtlichen Bewegung strich er dem Rotschopf über das Kinn und die Wange. "Ich freue mich darauf mit dir zu reisen, Samui!" Lächelnd drehte er sich um und ließ den Jungen allein und verstört im Bad zurück.
 

Tetsuya trat gerade durch die Türe in das Haus, als ihm ein zufrieden lächelnder Fenron entgegenkam.

"Du hast mir ja gar nicht gesagt, dass Samui auch hier ist!" meinte er, allerdings klang in seiner Stimme nicht der Hauch eines Vorwurfes mit.

"Oh... ich... wir hatten Streit!" Und irgendwie ist das nicht einmal gelogen, dachte Tetsuya.

"Verstehe... na dann, wir sehen uns ja bald wieder!" Mit einem Zwinkern verabschiedete er sich und trat hinaus in Richtung des kleinen Gebäudes, in dem Tetsuya einen Pferdestall vermutete.

Er hat ihn... getroffen?

Irgendetwas an diesem Gedanken erschreckte ihn zutiefst. Er eilte den Gang entlang, als er schon Samui aus dem Bad taumeln sah.

"Samui!!!" Erschrocken lief er auf den Rothaarigen zu und hielt in bei den Schultern. "Samui, was... was ist?"

"Lass mich doch in Ruhe..." murmelte der mit zittriger Stimme.

"Nein... nein!" Panik stieg in Tetsuya hoch. "Was hat er gemacht? Was hat dieser Perverse mit dir gemacht?!?"

Vor seinem inneren Auge erschien das Bild des stattlichen Mannes, der sich mit einem beinahe schmerzhaft unpassenden, anzüglichen Zwinkern entfernte.

"NEIN!!!" schrie Samui. "NEIN, hau ab!!!" Er wollte sich von Tetsuya losreißen, aber der hielt ihn weiterhin fest.

Und dann sah er die roten Flecken, die sich langsam auf Samuis Uniform ausbreiteten.

"Dieser, dieser..." Die Hände des Blondschopfes begannen zu zittern. "Ich BRINGE ihn um!!!" Er holte tief Luft und biss sich auf die Lippe.

"Nein... ich..." Er sah Samui fest in die Augen. "Ich weiß, was wir machen!!! Du gehst jetzt in den Wald, am besten sofort, und versteckst dich hinter einem der Bäume. Dort wartest du, bis ich komme, und bereite dich darauf vor zu RENNEN, ja?" Entschlossenheit lag in seinem Blick.

"Wa-was hast du vor?" fragte der rothaarige Soldat leise.

"Dich retten!" rief Tetsuya zurück, schon halb zum Umgehen gewandt. "Und jetzt mach, dass du in den Wald kommst!!!"

"Ja, aber... wa-warum?!?" rief Samui verwirrt hinterher, doch Tetsuya hörte ihn nicht mehr,
 

Mit klopfendem Herzen trat der junge Soldat in das von dumpfem Licht erfüllte Steingebäude. Er wollte diesen Ausbilder am liebsten niemals wiedersehen, aber es musste sein... Samui zu Liebe. Es war ihre einzige Chance, und die mussten sie nutzen.

"Hallo?" Er wartete nervös auf eine Antwort. Schließlich streckte sich ihm ein Kopf aus einer Box mit einem großen Fuchs entgegen.

"Oh... Tetsuya... was ist denn?"

Widerlich... fuhr es ihm durch den Kopf. Der Klang von Fenrons Stimme, mit der er seinen Namen ausgesprochen hatte, stieß ihn ab.

"Ich..." Er legte einen kalten Gesichtsausdruck auf, dann verzog er seine Lippen zu einem boshaften Lächeln. "Ich habe genug von Samui. Ich will nicht mit diesem... diesem KIND reisen!!! Deshalb wollte ich fragen..."

"Ja?"

"Ich wollte fragen, ob sie ihn mit ins Lager schleifen könnten, oder am besten woanders hin, ganz weit weg von mir!!!" Er stieß ein kurzes, gehässiges Lachen aus. "Sie müssten mir nur den Weg in das Trainingscamp beschreiben, dann können sie die Plage von mir aus mitnehmen!!"

Dem blonden Soldaten entging nicht das gierige Leuchten in den Augen des Ausbilders bei diesen Worten.

Wie ein Raubtier, bevor es seine wehrlose Beute zerfleischt...

Er erschauderte unweigerlich.

"Gut... ich will dann verschwinden, solange Samui noch im Bad ist..." meinte er schulterzuckend. Was für ein Glück, dass er sich so gut verstellen konnte! Es fiel ihm zunehmend schwerer, ruhig zu bleiben. Lächelnd drehte er sich um und ging aus dem Stallgebäude heraus. Er wartete noch, bis Fenron ihm gefolgt und dann, nach einem letzten zunicken, im Haus verschwunden war.

Dann rannte er auf den Waldrand zu.

Er packte Samui am Handgelenk und zerrte ihn kurzerhand hinter ihm her.

"Wa... Tetsuya, was soll das?" rief der empört.

"Willst du etwas, dass der Irre uns kriegt... Fenron???"

"Fe..." Samui wurde blass.

"Eben!!!" antwortete Tetsuya. "Also... lauf!!!!"
 

Sie rannten und rannten über den laubbedeckten Waldboden. Schon lange waren sie am Ende ihrer Kräfte, nur der Gedanke an das immer näher kommende Trainingslager ließ sie weiterlaufen.

Und der Gedanke an den, der sie jetzt vielleicht schon verfolgte.

"Ich... ich kann nicht mehr!!!" keuchte Samui.

"Wir MÜSSEN weiter!!!" Tetsuya fiel es schwer, zu sprechen. Er schnappte nach Luft, in seinen Lungen begann es, schmerzhaft zu stechen. Sie durften jetzt nicht aufgeben, nicht jetzt! Sie würden es schaffen, wenn sie nur weiterliefen! Trotzdem fühlten sich seine Beine so unendlich schwer an...

Und plötzlich hörte er den Hufschlag.

Er warf einen Blick über die Schulter, und obwohl er es gewusst hatte, erfüllte ihn der Anblick des riesigen Fuchses, der im Galopp über den Walweg preschte, Laub und Steine hinter sich aufwirbelnd, mit eisigem Schrecken. Fluchend zog er Samui hinter sich her, vom Weg ab, in den Wald hinein. Vielleicht würde ihm das Pferd nicht bis hierhin folgen können.

Schwer atmend presste er sich gegen einen dicken Baumstumpf. Der Rotschopf stand am Baum neben ihm, sein Gesicht war gerötet von der Anstrengung, in seinen Augen stand Panik. Aber er hörte keine Hufschläge mehr.... ob er Fenron abgehängt hatte? Ob sie vielleicht doch...

"Hallo Tetsuya..."

Neben ihn hatte sich ein böse grinsendes Gesicht geschoben.

"Ts, ts, ts, du hast mich angelogen?" Fenron trat einen Schritt nach vorne. "Böser Junge..."

Tetsuya schnappte sich blitzschnell einen Stock, der neben ihm auf dem Waldboden lag und versperrte dem Mann den Weg zu Samui.

"Keinen Schritt weiter, oder ich verprügle sie, dass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern können, welche Nutte sie zuletzt gevögelt haben!!! Oder wollen sie mir erzählen, sie wollten mit Mirei und ihrer Truppe Kaffee trinken?" Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, zu dem Rotschopf hin.

"Samui... lauf weg!!!" schrie er.

"Tetsuya... lass das..." murmelte der und warf ihm einen flehenden Blick zu. "Bitte..."

"Nein!!! Ich lasse nicht zu, dass..."

"Was denn?" lächelte der Alte. "Was willst du denn tun, Kleiner?"

"Ich kann eine ganze Menge tun!!!" Mit einem wütenden Lachen riss Tetsuya blitzschnell seinen Stock hoch, machte einen kurzen, federnden Sprung zur Seite und schlug dann zu.

Zumindest versuchte er es. Denn Fenron wich mit einer beinahe spielerisch anmutenden Bewegung aus, zog im selben Atemzug eine Peitsche unter seinem Gewand hervor und ließ das Leder hervorschnellen. Wie eine würgende Schlange wand sie sich um den Hals des Blondschopfes, zog sich unbarmherzig fester zu und raubte ihm die Luft. Tetsuya ließ seinen Stock fallen und versuchte verzweifelt, das Band um seinen Hals zu lösen. Es gelang ihm nicht. Er schnappte vergeblich nach Luft.

"Ich habe einen guten Rat für dich!" lächelte Fenron und zog seine Peitsche zurück. Tetsuya brach keuchend auf die Knie. "Halte dich aus Angelegenheiten raus, die dich nichts angehen! Und jetzt verschwinde..." Er musterte den blonden Soldaten noch einmal mit einem abschätzigen Blick, dann wandte er sich ab. Tetsuya rappelte sich auf und wankte rückwärts in den Wald hinein.

"I-ich helfe dir, Samui!" rief er. "Verlass dich auf mich, ich helfe dir!!!"

Dann verschwand er zwischen den Bäumen.

Fenron lachte.

"Siehst du es jetzt, Samui? Dieser feige, respektlose Junkie ist doch nicht der richtige Umgang für dich! Du hättest nicht weglaufen sollen..." Er packte den Rotschopf, riss ihm seine Uniform vom Leib und warf ihn auf den Boden. Dann nahm er seine Peitsche und schlug sie dem Jungen über den Rücken.

Und Tetsuya hatte ihn einfach so im Stich gelassen...

"Warum machst du mir nur immer so viel Kummer?" In Fenrons Augen trat ein zufriedener Ausdruck, während er auf Samuis zitternden Körper einschlug. "Warum, wo ich..."

Er stockte. Als Samui zögernd seine Augen öffnete, sah er, wie Blut vor ihm auf Boden tropft. Durch Fenrons Schulter hatte sich ein spitzer Stock gebohrt. Auf dem Gesicht des Ausbilder lag ungläubiges Entsetzen. Erst, als er herumgefahren war, schlug es in Schmerz um - und in Hass.

"Du..." seine Stimme bebte.

"Glauben sich, ich lasse Samui so leicht im Stich?" Tetsuya grinste. "Ach... für wie schlecht halten sie mich, huh?"

"Das hättest... du... nicht... tun sollen!!!" Mit einem zornigen Aufschrei riss er seine Peitsche hoch und schlug sie dem Soldaten um den Hals. "Du... hattest deine Chance..." stieß er hervor und zog langsam fester zu. Tetsuya keuchte. Vergeblich rang er nach Atem, wollte seine Hand nach Fenron ausstrecken, sich losreißen... Ein stechender Schmerz durchzuckte seine Lunge, als sie verzweifelt nach Luft schrie. Seine Umgebung verschwamm vor seinen Augen, er sank auf die Knie.

"Sa...mui... lauf..."

"NEIN!!!" Plötzlich spürte Tetsuya, wie sich das Leder um seinen Hals löste. Er kippte vornüber und schnappte nach Luft, atmete keuchend durch, bis er wieder die Kraft fand, seine Augen zu öffnen. Er blickte auf. Da stand Fenron, entgeistert... geschockt... und vor ihm Samui, sein Schwert in der Hand.

"Lass Tetsuya... in Ruhe!!!" rief er mit ängstlicher Stimme.

"Samui was SOLL DAS?" schrie Fenron zurück. Er stieß den Jungen auf den Boden und riss sich den Holzspieß aus der Schulter. Dann brach er ihn in der Mitte durch, packte Tetsuya am Kragen und drückte ihn gegen einer der Bäume.

"Das war... ein Fehler..." murmelte Fenron hasserfüllt. Er packte die Hand des blonden Jungens, presste sie fest gegen das Holz und rammte eines der Spieße durch das Fleisch. Tetsuya schrie auf. Er wollte seine Hand bewegen, aber der Pflock hatte sich in die Rinde des Baumes gegraben. Lächelnd drehte Fenron an dem spitzen Holzstück. Die Wunde begann heftig zu bluten, Tetsuya stieß erneut einen Schmerzensschrei aus. Mit einem kalten Lachen nahm Fenron die zweite Hand des jungen Soldaten und stieß das zweite Holzstück hindurch. Wimmernd vor Schmerzen brach Tetsuya auf die Knie.

Der Ausbilder nickte zufrieden, dann wandte er sich wieder Samui zu. Er zog sich seinen Gürtel ab, dann nahm er das dünner Ende und ließ die Goldschnalle auf den Körper des Jungen herabfahren, immer und immer wieder, und mit jedem Schlag, mit jedem Schrei Samuis wurde sein Gesichtsausdruck ein wenig glücklicher... beinahe erregt...

"Nein!" schrie Tetsuya. "Nein, Samui, nein!!!" Er wollte sich losreißen, aber seine Hände waren wie festgenagelt. Wie an einem Kreuz hing er an dem verfluchten Baum fest. Gekreuzigt...

"Samui, wehr dich! Wehr dich doch!!! Du kannst es... bitte..."

Du kannst ihm nicht helfen!

"Tu doch was! Samui, du hast doch ein Schwert, wehr dich doch!"

Jetzt muss er leiden und dass ist alles deine Schuld!!!

"Samui..."

Blut, überall war Blut, auf Samuis Köper, auf dem Waldboden. Der Rotschopf wehrte sich nicht, er lag da wie tot, als der Ausbilder nun auch noch seine Hose endgültig löste, Samui packte und vor sich auf die Knie stieß.

"Nein... nein... NEIN!!!"

Wegen dir ist er in diesem Wald! Das ist alles deine Schuld! Und du kannst es wieder nicht verhindern...

"NEIN!!!!"
 

Wie eine Ewigkeit erschienen Tetsuya die Minuten, bis Fenron endlich von Samui abließ. Das Gesicht des Ausbilders war zu einer perversen Grimasse geworden, als er von dem blutüberströmten, zitternden Jungen zurück trat.

"Da... nke... für..." Samui brach ab. Trotzdem nickte Fenron zufrieden. Dann zog er sich wieder an, ließ den Rotschopf auf dem Boden liegen und wandte sich Tetsuya zu. Der blonde Soldat hatte Tränen in den Augen stehen.

"Sie... sie sind ein MONSTER!" Seine Stimmer zitterte. "Wieso, wieso haben sie ihm das angetan... WIESO?!?"

"Weißt du, ich stehe drauf!!!" Grinste er. "Und jetzt sei brav, sonst darfst du hier im Wald verrecken!!!"

Er nahm einen der Holzpflöcke und begann, ihn langsam zu drehen. Tetsuya wollte schreien, aber er brachte nicht mehr als ein klägliches Wimmern hervor. Langsam, endlos langsam zog Fenron den kleinen Spieß aus der Hand heraus.

"Na, willst du dich nicht bedanken?" fragte er höhnisch.

"Sie, sie..." Tetsuya brach ab. Seine Augen blitzten hasserfüllt auf. "Seien sie froh dass ich mich nicht wehren kann sonst würde ich sie jetzt TÖTEN!!!" rief er spuckte Fenron ins Gesicht.

"Du mieser kleiner...." angewidert wischte sich der Alte mit dem Handrücken über sein Auge. Dann grinste er wieder. "Bitteschön... dann sieh zu, wie du allein zurecht kommst..."

Er wandte sich ab, und bevor Tetsuya noch ein Wort sagen konnte, war seine Gestalt zwischen den Bäumen verschwunden.

Die Schmerzen in seiner Hand waren unerträglich, aber er wusste, er musste sich jetzt um Samui kümmern. Mit zitternden Fingern riss er sich das Holzstück aus seiner zweiten Hand. Holzsplitter, der Stoff seiner Handschuhe, alles klebte in den kreisrunden, heftig blutenden Löchern. Tetsuya wandte seine Augen von dem Anblick ab und stürzte zu Samui hin.

"Sa.. mui? Samui, bitte... sag doch was !" Vorsichtig wischte er das Blut von dem Körper des Rotschopfes und zog ihm seine Uniform über. Die blauen Augen des Soldaten waren verschleiert.

"Nein, nein... das ist richtig... so..." murmelte er. "Ich war... doch... unartig, ver-verstehst du?"

"Hör auf so einen Blödsinn zu reden!" Er nahm die zitternde Gestalt auf seine Arme und lief in den Wald hinein, immer den Weg entlang, der zum Trainingscamp führen musste.
 

Der Heiler des Ausbildungslagers war erleichtert. Die jungen Soldaten waren doch recht vernünftig. Bis auf ein paar Ausnahme - jene unangenehmen Zeitgenossen, die sowieso nichts als Ärger machten - hatten sich tatsächlich relativ wenige wirklich ernsthafte Verletzungen zugezogen.

Um so mehr erschrak er, als plötzlich die Türe zu seinem kleinen Zimmer mit einem lauten Knall aufgestoßen wurde.

"Also ich muss doch sehr bitten, dies ist..." Er brach ab und starrte auf die schwankende blonde Gestalt, die einen rothaarigen Soldaten auf den Händen trug. Der schien bewusstlos zu sein, seine Uniform war blutverschmiert, und die Handflächen des Blonden waren von großen, hässlichen Löchern durchstoßen.

"Oh mein Gott... was... was ist passiert?"

"Seien sie schon ruhig und helfen sie ihm!" stieß der blonde Soldat hervor und legte die bewusstlose Gestalt auf einen der Tische. "Helfen sie..."

Er stockte. Der Heiler konnte ihn gerade noch auffangen, als der Junge kraftlos in sich zusammensank.
 

Du bist ein Versager. Du darfst nicht... nein! Das nächste Mal könntest du derjenige sein, der ihm das antut...
 

Vier Tage waren seitdem vergangen. Tetsuya hatte ohne Pause an Samuis Bett gewacht, hatte ihm seine Wunden versorgt, die Verbände gewechselt... ihn angesehen, wie er sich unruhig im Schlaf herumwälzte. Er fühlte sich wie innerlich erstarrt. Er war todmüde und gleichzeitig hellwach. Er blickte nachdenklich auf die weißen Binden, die um seine Hände geschlungen waren. Seine Wunden hatten sich entzündet, aber er spürte den Schmerz kaum noch. Er spürte gar nichts mehr.

Es war bereits spät in der Nacht, als die Müdigkeit ihn endgültig besiegte, über ihn hereinbrach wie eine Flutwelle und ihn in eine wundervolle, warme Dunkelheit zog.
 

"Tetsuya... Tetsuya?" Der blonde Junge sah auf. Die Band spielte laut, aber das Schreien des jungen Mädchens konnte er durch die ohrenbetäubende Musik, durch das Lachen und Singen und Gemurmel der Menschenmenge hindurch hören.

Und wie schön sie doch war!

Lächelnd stand er auf und ging auf sie zu. Er schwankte ein wenig. In dem schummrigen Licht wirkte sie wie eine Göttin, so wundervoll. Ihr langes, rotbraunes Haar fiel ihr lang und glatt über die Schultern, nur an den Spitzen schlug es leichte, ganz sanfte Wellen. Ihr grünen Katzenaugen blitzten so strahlend wie immer, so... fröhlich. Selbst wenn sie weinte blitzten ihre Augen so.

"Du hast doch nicht schon wieder dieses Zeug genommen!" Sie schüttelte traurig den Kopf. "Tetsuya, das ist nicht gut für dich, bitte... versuch doch wenigstens, damit auszuhören... Bitte..."

"Für dich... tue ich alles..." Er zog sie zu sich heran und küsste sie leidenschaftlich. Die Welt um ihn herum verschwamm zu einem Meer vollkommenen Glücks. "Ich liebe dich!!!"

Das Bild um ihn herum verblasste. Ein grelles Licht flackerte auf, so hell, dass er die Augen schließen musste. Als er die leuchtenden Kreise in seinem Blick verschwunden waren, sah er sich um.

Er stand in einem kleinen, gemütlich eingerichteten Raum. Der dicke, flauschige Teppich strahlte weiß wie Schnee.

Das war IHR Zimmer.

Er folgte den Stimmen im Vorraum, doch auf halbem Wege öffnete sich eine der Türen und ein wunderschönes, rothaariges Mädchen trat hindurch. An der Hand führte sie einen großen Jungen mit braunem Haar und grünen Augen.

Wie von selbst sah er sich auf sie zutreten, sie anschreien, ohne nur einen Ton hervorzubringen, aber er wusste, dass sie ihn verstand. Er sah den Jungen auf ihn zukommen und nur kurze Zeit später zu Boden sinken, unter... seinen Schlägen?

Er konnte sich nicht mehr kontrollieren! SIE wollte eingreifen, ihn aufhalten... er wandte sich ab und ging stattdessen auf sie los...

SCHLAMPE! FLITTCHEN! DU UNTREUES LUDER!!!

Jetzt begann er, auf ihr wundervolles Gesicht einzuschlagen, immer und immer wieder. Er packte sie am Hals, würgte sie, dann schlug er erneut auf sie ein. Blut, überall war Blut... IHR Blut... Der weiße Teppich war rot von Blut, wie ein See.

Wie ein Messer, ein langes, blutverschmiertes Opfermesser.

"Nein!!! Nein!!! Bitte, NEIN!!!" Ein Mädchen? Das sind nicht IHRE Schreie.

"Hinoto?" Kein Ton kam über seine Lippen. "HINOTO!!!"

SIE sinkt zusammen, leblos... blutverschmiert...

Wie der kleine Körper eines Mädchens, aufgeschnitten und tot wie eine schöne Puppe.

"HINOTO!!!"

Blut, überall Blut... Sie liegt in dem See aus Blut... Und der Braunhaarige schaut so entsetzt aus seinen grünen Augen, die auch jetzt noch funkeln, als wäre er glücklich.

Das waren die Gene!!! Sowas vererbt sich, sowas haben Bruder und Schwester. Schwester...

Das war sein Vater, der da ihn ihm ausrastete! Seine Gene! Das konnte nicht er sein!!!

Sie lag auf dem Boden. Tot. Für immer tot, zerschlagen.

Ihr Bruder, nur ihr Bruder! Kein Freund, kein Liebhaber! Jetzt hatte er auch seine Schwester verloren.

"HINOTO!!!"

Die weit aufgerissenen, toten grünen Augen funkelten immer noch, als wäre SIE glücklich...

Sie war tot! Tot! Und es würde wieder geschehen... Aus Liebe...

Samui...

"NEIN!!!" mit einem Schrei fuhr Tetsuya hoch. Er keuchte, Schweiß lief ihm über den Rücken. Ein Traum, sagte er sich, nur ein Traum.

Eine Erinnerung.

Er schüttelte heftig den Kopf. Unweigerlich fiel sein Blick auf Samui, wie er schlafend dalag. So wunderschön, mit den langen, roten Haaren und dem Gesicht eines Engels.

Und plötzlich wusste er, was er zu tun hatte.
 

Lachend trat der Blondschopf zu der kleinen Gruppe hin.

"Na, Lust auf ein bißchen feiern?" grinste er.

"Ja klar... mit Samui?"

"Nein... lieber in der Stadt... die Mädchen dort sind doch unkomplizierter!!!"

"Warum nicht? Dann bis heute Abend!!!"

Zwei Wochen waren ins Land gezogen, zwei lange Wochen, in denen er Samui umsorgt und gepflegt hatte, bis seine Wunden - nicht zuletzt mit etwas Nachhilfe von Magie - wieder verheilt war.

Seine äußerlichen Wunden.

Wie oft hatte der Junge das wohl schon ertragen müssen? Wut stieg in Tetsuya hoch. Und Mitleid, unendliches Mitleid, dass ihm beinahe körperlich weh tat. Es war so unfair!

Aber jetzt war es zu spät um umzukehren. Irgendwann würde Samui vielleicht merken, dass dies das Beste für ihn war. Irgendwann...

Gedankenverloren schlenderte er über den Hof. Er würde nicht zurückgehen und nach dem Rotschopf sehen, obwohl er genau wusste, dass der ihn erwartete. Oder gerade deshalb.

Die Tage vergingen. Immer öfter kam Tetsuya erst spät in der Nacht und kaum noch ansprechbar zurück auf ihr Zimmer. Und jedesmal war Samui noch wach und wartete auf ihn.

Es tat so weh! Der Schmerz in den wundervollen blauen Augen. Was musste er denn noch tun, dass der Rothaarige ihn hasste?

Heute war wieder so ein Abend, an dem ein paar andere Soldaten ihn in eine der Bars mitschleifen wollten. Er stand neben ihnen, neben sich selbst... sah sich lachen, reden... Wie in einem bösen Traum. Dieser Traum sollte endlich zuende gehen! Und das würde er auch tun.

Tetsuya wusste es in dem Moment, als er die Schritte hörte, die aus der Türe ihre Hütte in ihre Richtung kamen.

"Ha-allo!!!" Eine wild vor seinem Gesicht auf - und abfuchtelnde Hand riss ihn aus seinen Gedanken. "Erde an Tetsuya, gehen wir mal?"

"Wie geht's eigentlich deinen Händen?" grinste ein anderer. "Woher hast du diese abgefahrenen Narben nochmal?"

"Hab ich das noch nicht erzählt?" lachte Tetsuya. "Von Leeca! Ich habe ja schon wilde Dinger erlebt, aber DIE? Wow, ist die ausgerastet!!!"

Die Schritte hinter ihm brachen abrupt ab.

"Und wieso sah Samui dann so aus, wie zweimal durch den Häcksler gedreht?"

"Hmm, das war so: Leeca hat gedacht, wir wären zusammen und ist total abgegangen, das habt ihr noch nicht erlebt!!!"

"Was?!? Ein Mädchen hat DEN so zugerichtet?"

"Ein EIFERSÜCHTIGES Mädchen, das ist ein Unterschied... Eigentlich schade, ich war so nahe dran..."

"Nahe dran?"

Tetsuya zwang sich das böseste Lächeln auf die Lippen, dass er nur hinkriegte. Seine Augen waren kalt wie Eis. "Habe ich nie erwähnt, dass ich den Kleinen zuuuu gerne mal flachlegen wollte? Er ist doch niedlich, und ihr wisst..." Er zwinkerte. "Ich stehe auf rote Haare!!!"

Einstimmiges Lachen machte sich in der Gruppe breit.

"Eigentlich waren wir gerade dabei, als sie hereinplatzte, wisst ihr? Aber der Höhepunkt fehlte natürlich noch, ihr versteht..." Er kicherte.

"Und wie war er?" fragte einer der Soldaten neugierig.

"Zum Abgewöhnen!" Tetsuya gähnte demonstrativ. "Jedes Schulmädchen wäre besser, was sage ich... jede Hauskatze!!!"

Die Schritte entfernten sich hastig wieder. Tetsuya seufzte leise und unmerklich.

Er wusste, dass er es geschafft hatte. Aber erleichtert war er nicht.
 

Als er an diesem Abend heimkam, fiel ihm sofort auf, dass etwas nicht stimmte, noch bevor er ihr Zimmer überhaupt betreten hatte. Er hatte seine Hand schon an der Türklinke liegen, als ihm auffiel, was er so sehr vermisst hatte: Es brannte kein Licht. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er langsam die Tür öffnete.

Das Zimmer war leer.

Er hatte es geahnt... gewusst. Aber erst jetzt erkannte ihm, wie schmerzhaft die Wirklichkeit war. Er wandte seinen Blick krampfhaft von Samuis Bett ab. Es war verrückt, aber irgendwie schien das Licht in dem Raum heute viel dunkler, gedämpfter... als hätte es sein Strahlen verloren. Aber das war ja unmöglich. Er schüttelte kraftlos seinen Kopf, dann ließ er sich auf seine eigene Matratze fallen. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, aber er wollte einfach keinen Schlaf finden. Irgendwann packte er sein Kissen, umklammerte es wie ein Stofftier und drückte es fest an sich. Er hatte Samui verloren, für immer verloren.

Jetzt war es wirklich vorbei.
 

Wenn es das Beste ist, wieso tut es dann so verdammt weh? Wieso?!?
 

Tetsuya wusste nicht, wie viel Zeit seit jenem schicksalhaften Abend inzwischen vergangen war. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sich immer öfter mit dem Stoff betäubt, den ihm die Jungen von Hütte W besorgten, zog sich in eine irreale, gefühllose Welt zurück, die ihn vor all dem Schmerz der grausamen Wirklichkeit bewahrte. Und hinterher fühlte er nur noch schlimmer.

Auch heute war wieder so ein Tag, an dem er sich nichts anderes wünschte, als einfach für einige Stunden vor seinem Leben davon zu laufen. Er schlenderte gedankenverloren auf sein Bett zu, als ihm plötzlich ein kleiner, glitzernder Gegenstand ins Auge fiel. Irgendetwas lag, versteckt hinter einem der Bettpfosten, auf dem Boden im Staub. Er kniete sich herunter und hob es auf.

Es war ein kleiner goldener Kreisel. Tetsuyas Augen weiteten sich. Wie kam der bloß in sein Zimmer? Ob er... Der junge Soldat spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Was, wenn dieser Kreisel Samui gehörte? Bestimmt war er wertvoll... er konnte ihn doch nicht einfach behalten!!!

Er hatte Angst davor, dem Rotschopf in die Augen zu sehen, mit ihm zu sprechen... wie musste er ihn verletzt haben! Er seufzte. Was sprach denn schon dagegen, schnell zu Samuis neuer Wohnhütte - welche das auch immer sein mochte - zu gehen, dem erstbesten dort den Kreisel in die Hand zu drücken und wieder zu verschwinden, ohne dass der Rothaarige etwas davon mitbekam?

Er zögerte noch einige, endlos scheinende Sekunden. Dann steckte er das glitzernde Metall in die Tasche seiner Uniform und eilte hinaus auf den Hof.

"Hey!!" Ein großer, relativ schlaksig wirkender Junge mit aschblonden Haaren und einem von Sommersprossen übersäten Gesicht lungerte auf den Stufen vor einer der Hütten herum. Tetsuya lief zu ihm hin und sah ihn von oben herab prüfend an.

"Was'n?" murmelte der Soldat und steckte sich eine Zigarette an.

"Hast du 'ne Ahnung, in welche Hütte es Samui verschlagen hat?"

"So 'nen Kleinen, Rothaarigen?"

"Ja, genau!" Tetsuya nickte eifrig.

"Hütte B... ganz am anderen Ende des Lagers... was willste denn von dem?"

"Ach, nix besonderes... er hat was verloren..."

Am anderen Ende des Lagers...

Der Aschblonde zuckte mit den Schultern und gab sich ganz dem Rauchen hin. Tetsuya hob noch einmal die Hand, dann lief er über den Platz zu Hütte B.

Es war ihm, als können man seinen Herzschlag noch meilenweit hören, so laut pochte es. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, er fühlte sich wie im Fieber. Und er hatte Angst, furchtbare Angst. Was, wenn jetzt Samui die Türe öffnen würde? Was würde er denn dann tun? Er nahm all seinen Mut zusammen, holte tief Luft... und klopfte.

Nichts geschah.

Niemand machte Anstalten, ihm zu öffnen, dabei war es noch nicht sonderlich spät. Es war noch nicht einmal wirklich dunkel, aber lag es nur daran, dass noch kein Licht brannte? Er schlich um das Gebäude herum, stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte in eines der Zimmer. Es war leer. Keine Soldaten, kein Gepäck, nicht einmal Waffen oder sonst irgendetwas. Auch die Betten waren nicht überzogen.

Tetsuya sah in ein anderes Zimmer, aber hier war es genau das selbe: von den Bewohnern der Hütte fehlte jegliche Spur. Verwirrt lief er zur benachbarten Hütte und klopfte, aber auch hier musste er feststellen, dass sich niemand in den Räumen befand.

Aber wo waren sie nur alle?

Der Blondschopf hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Er klopfte an einigen weiteren Türen, doch erst bei der F-Hütte öffnete ihm ein junges Mädchen mit zwei schwarzen Zöpfen und sah ihn überrascht an.

"Wa-was machst du hier? Dies ist eine Mädchenhütte!!!" Sie wurde ein wenig Rot.

"Spar dir das, ja?" entgegnete Tetsuya in unfreundlicherem Tonfall, als er eigentlich geplant hatte. Er bemühte sich, ruhiger zu sprechen und fragte: "Wo sind denn die Leute aus den Hütten da drüben?" Er deutete mit dem Kopf auf die leerstehenden Gebäude.

"Ach, die? Ich glaube, die wurden zu 'ner Mission einberufen..."

"Mission?"

"Ja... Keine Ahnung, was sie genau machen sollten..." Sie zuckte mit den Schultern. "War das alles?" Tetsuya nickte.

"Schon OK... Danke..." murmelte er. In Gedanken versunken drehte er sich um und schritt über den Hof, zu ihrer Hütte. In ihm stieg ein bedrückendes Gefühl von Sorge auf. Samui war also auf einem Einsatz. Und wenn ihm jetzt etwas passieren würde? Wenn er ihn nie, nie mehr wieder sehen könnte, ihm nie sagen könnte, wie leid ihm das alles täte und...

Nein! Das wollte er doch überhaupt nicht, dass durfte er nicht... Aber der Gedanke, dass Samui etwas zustoßen könnte, machte ihn krank. Er bekam von seiner Umgebung kaum noch etwas mit, als er in seine Hütte schlich, die Türe zu ihrem ehemals gemeinsamen Zimmer aufstieß und sich auf sein Bett fallen ließ. Es dauerte noch lange, sehr lange, bis er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
 

Lass mich bitte nicht allein! Ich will dich nicht verlieren!!!
 

Die Zeit schien an ihm vorbei zu laufen. Zwei Wochen waren vergangen, zwei Wochen ohne ein Lebenszeichen. Und jetzt das!

Alle Soldaten hatten die Anordnung bekommen, sich auf dem großen Platz zu irgendeiner Rede zu versammeln. Tetsuya war besorgt. Unruhig spielte er mit seinen Fingern und starrte auf den Boden vor sich. Er bemerkte kaum, wie der Campleiter die Tribüne betrat, erst, als die Gespräch der anderen Soldaten um ihn herum verstummten, blickte er auf, stellte sich gerade hin und salutierte.

Der kräftige, leicht untersetzte Mann sah für einen Moment betreten auf das Telegramm, dass er in seinen Händen hielt. Tetsuya wunderte sich ein wenig. Es war schon recht spät am Abend, diese Nachricht musste wirklich wichtig sein, dass sie vom Leiter höchstpersönlich und das zu so einer späten Stunde noch verkündet werden sollte. Außerdem gefiel ihm der Gesichtsausdruck des Mannes nicht.

"Wir alle versammeln uns hier und heute, um unseren tapferen Gefährten eine Ehre zu erweisen..." sprach er mit lauter, aber sehr gedämpfter Stimme. "Eben erreichte uns die Nachricht, dass eine unserer Truppen für uns, für unser Heimatland, das eigene Leben riskiert und - vielleicht - verloren hat..."

Tetsuya fühlte sich plötzlich wie erstarrt. Was war passiert, was war denn nur passiert?

"Leider muss ich mitteilen, dass eine Gruppe von Soldaten in einen feindlichen Hinterhalt geraten ist. Wir können noch nichts genaueres sagen, aber wir vermuten, dass unsere Mitstreiter nicht mehr am Leben sind."

Nein... Nicht Samui, nur nicht Samui!!!

"Wir wollen eine Minute schweigen und Gedenken an unsere gemeinsamen Verbündeten... Freunde... von der Hütte B..."

Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken herunter. Er wusste nicht mehr, was um ihn herum geschah, er bekam nicht mehr mit, wie sich die anderen Soldaten schließlich zerstreuten, betroffen und mit gesenkten Köpfen zurück auf ihre Zimmer gingen. Eine seltsame, unnatürliche Stille lag über dem Platz. Der Blondschopf aber bemerkte nicht einmal das. Er fühlte überhaupt nichts mehr.

"Sa...mui..." flüsterte er. Sein Hände verkrampften sich. "Samui... nein..."

Jetzt war es wirklich vorbei! Samui war jetzt höchstwahrscheinlich tot, bestenfalls in Gefangenschaft, und wieso, wieso? Weil er, er, Tetsuya, ihn aus ihrer Hütte vertrieben hatte!!! Er hatte ihn doch nur beschützen wollen, und jetzt? Jetzt war er tot, und das alles nur seinetwegen!!! Samui war... tot...

"NEEEEIIIIIN!!!" All die Verzweiflung, die Trauer, die Hilflosigkeit brach wie eine Welle über ihn herein. Er sank auf die Knie, vergrub den Kopf zwischen seinen Armen und weinte. "Samui, nein... NEIN!!!" Tränen liefen ihm über das Gesicht und durchnässten den Stoff seiner Uniform. Das konnte, nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Samui...

Ein leises Kichern neben ihm ließ ihn hochfahren. Er sah einen Soldaten neben sich stehen, der mit einem spöttischen Lächeln auf ihn herabsah.

"Was ist?" grinste er. "Tut's dir jetzt plötzlich leid um dein Ex-Betthäschen?"

"Halt dein Maul oder ich stopfe es dir!!!" schluchzte Tetsuya.

"Ooooh, jetzt habe ich aber Angst!!! Pass lieber auf, dass sie dich nicht in eine MÄDCHENHÜTTE stecken, so wie du dich hier aufführst..."

"Hau ab! Hau ab und lass mich in Ruhe!!!"

"Na na na, so plötzlich Schuldgefühle?" Ein zweiter Soldat trat hinzu, einer der Jungen aus der W-Hütte. "Was spielst du auch mit seinen zarten kleinen Gefühlen? Was erwartest du denn?"

"Ich... ich... lasst mich doch endlich in Ruhe! Ihr habt ja keine Ahnung! Ihr habt ja überhaupt keine Ahnung!!!"

"Meinst du..." Ein dritter Junge trat aus der Dunkelheit der Nacht zu ihnen. "Aber ich kapiere das schon. Du fühlst dich schuldig, dass er jetzt tot ist, was?"

"Halt den Mund! Halt endlich den Mund!"

"Du bist schuld!!!" grinste der Erste. "Duuuu, Tetsuya, du!!!"

"Mörder!"

"Halt den Mund oder ich schlag dich zusammen, dass du deinen eigenen Namen vergisst!!!"

"Du bist...." Weiter kam der Junge nicht, denn Tetsuya sprang auf und stürzte sich auf ihn. Die gesamte Wut, auf die Götter, auf Fenron, aber vor allem auf sich selbst, kam in ihm hoch. Er wusste nicht mehr, was er eigentlich tat, er stand nicht einmal mehr neben sich, er fühlte sich wie tot... er fühlte nichts... ausser dem Hass, den er in diesem Moment einzig und allein auf den Soldaten projizierte.

Er spürte kaum, wie ihn die beiden anderen Jungen packten, ihn wegzerrten und festhielten. Der Soldat, auf en er eben noch in blinder Raserei eingeschlagen hatte, begann nun, ihn zu verprügeln. Die Schmerzen holten ihn ein wenig in die Realität zurück. Er versuchte mit all seiner Kraft, sich gegen den Griff der Beiden zu wehren, aber es gelang ihm nicht.

"Lasst mich los!!!" schrie er keuchend, während die Jungen ihn mit vereinten Kräften zurück auf seine Hütte schleiften. "Lasst mich los und ich bring euch um, ich bring euch alle um! Ich habe kein Problem mit sowas, ja? Ich bringe euch alle um!!!"

"Der ist ja wahnsinnig..." murmelte einer der Soldaten.

"La-lasst mich endlich los!!!" Die Jungen ignorierten Tetsuyas Schrei und stießen ihn kurzerhand in sein Zimmer, dann sperrten sie die Türe hinter ihm ab.

"Komm erst mal wieder runter von deinem Trip, dann reden wir weiter, ja?" rief noch einer. Dann hörte Tetsuya, wie sich die Schritte entfernten.

"KOMMT ZURÜCK!!!" Er schlug gegen die Türe. "Hey, ihr feigen Ratten, kommt sofort..."

"Hey!" Tetsuya fuhr herum - und erstarrte.

Er war nicht allein in dem Zimmer.

Ein junger Soldat sass auf seinem Bett. Er hatte braune Haare und fröhlich blitzende grüne Augen.

"Wa-was..." Tetsuya wich einen Schrick zurück und starrte den Fremden mit panisch geweiteten Augen an.

"Keine Angst, ich beiße nicht!" grinste der. "Ich bin dein neuer Mitbewohner... kannst ja nicht ewig allein hier hausen, was?"

"Ne-nein... natürlich... ich meine... du siehst aus, wie..."

"Hey, ganz ruhig!!!" meinte der Braunhaarige. "Du siehst aus, als wärst du ziemlich durcheinander. Am besten, du legst dich erst einmal hin und ruhst dich aus, ja?"

Tetsuya nickte müde. Er fühlte sich wie erschlagen, aber er war so verwirrt! Wie sollte er da schlafen können? Die Frage beantwortete sich von selber. Er hatte sich kaum hingelegt, da übermannte ihn auch schon die süße Dunkelheit eines tiefen Schlummers.

"Tetsuya..."

Er schreckte mit einem Schrei hoch. Hatte ihn da jemand gerufen? Ein Blitz zuckte vor dem Fenster über den Himmel und hüllte das Zimmer in taghelles Licht. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er, eine Gestalt am anderen Ende des Raumes erkennen zu können. Er stieß einen leisen Schrei aus. Da war doch gar nichts! Er war allein im Raum. Wo war denn sein neuer Mitbewohner? Sein Bett war nicht nur leer, es sah auch aus wie unbenutzt. Kein Gepäck stand da... nichts...

Was sollte das alles?

Er wandte seinen Kopf dem Fenster zu. Donner grollte durch die Nacht und erinnerte ihn unwillkürlich an sein Erlebnis im Wald... mit Samui... Er verzog schmerzhaft das Gesicht und starrte einige Sekunden auf die pechschwarzen Gewitterwolken, die den Himmel bedeckten wie ein Geschwür.

Als er sich wieder umdrehte, stand Fenron vor ihm.

Tetsuya schrie auf. Wie war das möglich? War seine Tür denn nicht abgeschlossen, und überhaupt... was machte der Ausbilder hier?

"Hallo, Tetsuya, warum so erschrocken?" lachte Fenron.

"Wie-wie kommen sie... und wieso..."

"Frag nicht, frag nicht, ich weiß doch, was dich beschäftigt!" Ein weiterer Blitz erhellte den Raum und warf gespenstische Schatten auf das Gesicht des Mannes. "Nun, ich bin hier, weil mein Schüler - mit besten Dank an dich - ja nun... tot ist. Jetzt brauche ich doch einen neuen Schüler..." Er grinste. "Dich, Tetsuya, verstehst du?"

"Nein!!! Ge-gehen sie weg!!" Tetsuya sprang von seinem Bett auf und rannte zur Türe. Sie war fest verschlossen.

"Nein!!!" Mit panisch geweiteten Augen presste er sich mit dem Rücken gegen die Wand. Er ließ sich an ihr heruntergleiten und erhob eine Hand, wie zur Abwehr, gegen den Ausbilder. Der kam mit langsamen Schritten und einem begeisterten Blitzen in den Augen näher.

"Du hast ihn umgebracht! Du!" Er streckte eine Hand nach dem jungen Soldaten aus. "Und weißt du was? Dafür musst du bestraft werden!!!"

"Nein!!! Nein!!!" Tetsuya schrie aus Leibeskräften, aber niemand schien ihn zu hören. Die düstere Gestalt des kräftigen Mannes war nun schon fast bei ihm. Und plötzlich schnellte sein Arm nach vorne, wie ein angreifendes Raubtier. Tetsuya kniff seine Augen fest zu. "NEEEEEIIIIIN!!!"

Ein besonders heftiges, lautes Donnergrollen ließ ihn zusammenfahren. Er riss seine Augen wieder auf und sah sich verwirrt um.

Er war allein im Zimmer.

Er sass immer noch zitternd gegen die Wand gedrängt, aber Fenron war verschwunden. Ebenso wie sein Zimmerpartner, der vielleicht niemals existiert hatte.

War das alles nur ein Traum gewesen? Aber wieso lag er denn dann nicht in seinem Bett? Oder... träumte er etwa immer noch?

Zögerlich stand er auf und sah sich in dem Raum um, sah unter alle Betten, hinter jede Ecke, durchsuchte jeden Schatten, in dem sich ein Fremder verbergen könnte.

Nichts. Das Zimmer war leer.

Seufzend ließ sich Tetsuya auf seine Matratze fallen. Er schloss die Augen und zählte die Sekunden. Aber schlafen konnte er in dieser Nacht nicht mehr.
 

Mit den ersten Sonnenstrahlen erschienen all die Erlebnisse, die ihn in der Dunkelheit heimgesucht hatten, plötzlich unwirklich wie ein schlechter Traum. Vielleicht hatte er ja auch alles nur geträumt. Vielleicht. Er beschloss, sich heute mit ein wenig Training abzulenken.

Kaum hatte er den Satz zuende gedacht, fiel ihm auf, dass dieser Plan im Moment unmöglich zu realisieren war. Schließlich lag sein Stock immer noch auf dem Grund des einsamen Waldsees! Tetsuya seufzte. Dann würde er ihn halt erst einmal holen müssen. Eigentlich hatte er nun wirklich keine Lust an den Ort zurückzukehren, der ihn so sehr an Samui erinnerte. Aber sein Stock und der Gedanke an einige Stunden Ablenkung waren ihm die Aktion wert.

Er stand auf, verließ seine Hütte und ging mit gesenktem Kopf über den Hof. Die anderen Soldaten beachtete er überhaupt nicht, obwohl ihn pausenlos das Gefühl plagte, von allen Seiten angestarrt und ausgelacht zu werden. Hatte er da nicht seinen Namen gehört?

Er schüttelte heftig den Kopf und beschleunigte seine Schritte. Das war doch Unsinn! Alles nur Einbildung! Trotzdem war er unendlich erleichtert, als er endlich den Pfad hinauf zum Waldrand beschritten hatte und das Camp hinter den Bäumen verschwunden war.

Er hatte Glück gehabt. Der Stab war an eine gut sichtbare Stelle getrieben worden. Schon aus einigen Metern Entfernung konnte Tetsuya das metallische Blitzen im Wasser erkennen. Er begann zu rennen, sprang dann ohne zu zögern in den See und tauchte ein in das kühle Nass. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen schwamm er zurück an das Ufer. Er durchsuchte einen seiner - zum Glück wasserdichten - Taschen nach einem Stück Stoff, dann begann er, seine Waffe vorsichtig abzutrocknen.

Und da fiel plötzlich ein Schatten über ihn.

Erschrocken sah Tetsuya auf. Hinter ihn war - vollkommen lautlos - eine Gestalt getreten. Sie war groß und von einem schneeweißen Umhang verhüllt. Eine Kapuze warf einen Schatten über ihr Gesicht, so dass man nichts davon erkennen konnte.

Und ihre Füße berührten den Boden nicht.

Tetsuya riss entgeistert die Augen auf. Kein Wunder, dass er keine Schritte gehört hatte! Die Gestalt schwebte! Aber... wie war das möglich?

"Du... du bist schuldig!!!" Eine hohle, düstere Stimme hallte durch den Wald. Tetsuya stieß einen Schreckenslaut aus und wich panisch zurück, bis er einen Baum im Rücken spürte. "Schuldig..."

Die Gestalt streckte einen Arm nach dem Blondschopf aus, plötzlich kam Wind auf und ließ die Bäume erschrocken ächzen.

"Schuldig..."

"Wa-was bist du?!? Geh weg von mir!!!"

"SCHULDIG!!!" Das dumpfe Sprechen steigerte sich zu einem wütenden Brüllen.

"Ich... ich... NEIN!!!" Tetsuya riss die Arme hoch und schloss seine Augen. "Hau ab, hau ab, HAU AB!!!"

Er bekam keine Antwort. Als er seine Augen aufschlug, war die Lichtung vor ihm leer.

Tetsuya keuchte. Was um alles in der Welt ging hier eigentlich vor?

Er packte seinen Stock und lief mit schnellen Schritten zum Lager zurück. Schon auf halbem Wege spürte er, dass etwas hinter ihm war. Er fuhr herum, und da war sie wieder, die weiße Gestalt.

"SCHULDIG!"

Tetsuya begann zu rennen. Er rannte, bis er den Waldrand vor sich sah. Noch einmal legte er an Tempo zu.

"SCHULDIG!"

Beinahe hatte er den von Sonnenstrahlen beschienenen Pfad schon erreicht, als er plötzlich spürte, wie er das Gleichgewicht verlor. Irgendetwas hatte seinen Fuß gepackt. In seiner Panik rutschte er verzweifelt weiter rückwärts, weg, nur weg von dem gesichtslosen Phantom.

"Hilfe!" schrie er keuchend. "Hilfe!!!"

Er spürte schon die Wärme der Sonne im Rücken, er wusste, er war bald draußen aus diesem irrsinnigen Wald, in Sicherheit... Da stieß er gegen irgendetwas. Er konnte nicht weiter.

"Nein!!!" rief er verzweifelt, während seine Augen die immer näher kommende, verhüllte Gestalt fixierten. "NEIN!"

"Hey... wa-was ist denn los mit dir?"

Tetsuya blickte verwirrt auf und sah in zwei besorgte nachtblaue Augen. Sie gehörten einer schönen, jungen Elfe, die sich nun vorsichtig zu ihm herunterbeugte.

"Alles OK?" fragte sie. Tetsuya schüttelte den Kopf.

"Da-da... es verfolgt mich... dieses ETWAS, es, es..." Er zeigte panisch auf den Waldweg, den er eben entlanggerannt war.

Das Phantom war verschwunden.

"Ja, aber... wie... wieso?" Ungläubig riss er die Augen auf. Dann senkte er seinen Kopf und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Oh Gott... ich werde langsam WAHNSINNIG!!!"

Die Elfe legte ihm sanft ihre Hände auf die Schultern.

"Jetzt beruhige dich erst einmal," meinte sie und lächelte ihn aufmunternd an. "Komm doch mit, ja? Ich weiß zwar nicht, was los ist mit dir, aber vielleicht hilft es dir, wenn du darüber redest, ja?"
 

Wenig später sassen die beiden auf Tetsuyas Bett. Die Elfe, die sich als Sakura vorgestellt hatte, strich sich ihr dunkelblondes Haar aus dem Gesicht und sah ihn mit ihren schönen, großen Augen an. Aus irgendeinem Grund hatte Tetsuya das Gefühl, der Fremden vertrauen zu können.

"Nun, was ist denn eigentlich passiert?" fragte sie vorsichtig.

"Das ist eine lange Geschichte..." murmelte der blonde Soldat und sah zu Boden. "Ich habe jemandem sehr, sehr weh getan... und jetzt ist er tot und das ist alles meine Schuld!!!"

"Das verstehe ich nicht... wieso ist das deine Schuld?"

"Ich habe Lügengeschichte erzählt... um ihn loszuwerden... dann ist er in eine andere Hütte gegangen, weg von mir. Und diese Hütte wurde... in einen Hinterhalt gelockt... jetzt ist er tot..."

"Hmm..." Sakura legte ihren Kopf schräg. "Ja, ja, ich habe davon gehört. Ich habe einen Freund, der bei der Armee ist... aber, wieso bist du denn so traurig, wenn du ihn doch gar nicht mochtest? Du wolltest ihn doch loswerden, oder?"

"Nein, nein, ich wollte ihn loswerden, WEIL ich ihn mag!!!"

Wie bescheuert sich das anhört!

"Aber... wenn..."

"Jaja, wieso wollte ich ihn loswerden, wenn ich ihn doch so sehr mag, nicht wahr?" Tetsuya sah zu Boden. "Ich habe in meinem Leben eine Menge Scheiße gebaut. Aus Eifersucht. Aus verletzten Gefühlen und so. Wenn mir jemand wirklich, wirklich viel bedeutet, und dann..." Er brach ab. "Dann müsste ich nur denken, er hätte jemand anderen. Dann brennen bei mir alle Sicherungen durch. Ich habe keine Ahnung, was ich dann noch tue... Und dann..." Er seufzte.

"Verstehe..." Die Elfe sah ihn einige Sekunden prüfend an. "Du hast ihn geliebt, oder?" Tetsuya wurde rot.

"So ein Unsinn, ich, ich..." Er biss sich auf die Lippe. "Und wenn schon, jetzt ist er tot!"

"Und du hast Schuldgefühle!"

"Ja und? Soll ich mich FREUEN?!?" Langsam nervte ihn dieses Gespräch. Es führte in eine Richtung, die ihm alles andere als lieb war.

"Aber nein... Und er war in dieser D-Hütte, sagst du?"

"Nein. Eben nicht. Er war in der B-Hütte... sonst wäre er ja wohl nicht tot!!!"

Aber was weißt du denn schon davon?

"Ja, aber... ich verstehe das nicht!" Sakura schüttelte den Kopf. "Die Truppe, die in einen Hinterhalt geraten ist, war doch die D-Hütte, da bin ich mir ganz sicher!!!" Sie begann nun, eifrig zu nicken.

"Nein, der Leiter hat gesagt, die B-HÜTTE..."

"Jaja, der Leiter... vielleicht war es nur ein Fehler des Boten, keine Ahnung, aber die B-Hütte ist bestimmt nicht tot!" Sie zuckte mit den Schultern. "Immerhin habe ich bei dem Lager der B-Hütte noch eine kleine Rast eingelegt, als ich auf dem Weg zu diesem Lager war, und die Soldaten kamen mir nun wirklich nicht vor wie lebende Leichen!!!"

Ein Funken von Hoffnung glomm in Tetsuyas Augen auf.

"Und... du... du bist dir wirklich GANZ SICHER?"

"Natürlich!!!" Lächelte die Elfe. "Siehst du, dein Freund ist gar nicht tot..."

Die aufkommende Freude wurde noch im Ansatz erstickt.

"Dann... dann..." Tetsuya seufzte. "Trotzdem. Ich muss mich von ihm fern halten. Ich will nicht schuld daran sein, dass ihm etwas zustößt..."

"Und du glaubst, du hältst das durch? Willst du wirklich dein Leben ruinieren, denn du bist auf dem besten Wege, genau dies zu tun!!!"

"Lieber meins als seins!!!"

"Dummchen!" Sakura verpasste ihm eine spielerische Kopfnuss. "Glaubst du nicht, du machst ihn so noch viel unglücklicher? Du liebst ihn, und er liebt dich bestimmt auch, also wo ist das Problem?"

"Hast du nicht zugehört?!?"

"Doch, natürlich, aber..." In ihre Augen trat ein unendlich sanfter Ausdruck. "Das ist Vergangenheit. Hör mal, ich weiß nicht, was du schon alles erlebt hast, aber ich sehe es dir an, dass du es nicht leicht hattest. Trotzdem, du kannst dir dein Leben nicht dadurch zerstören, dass du krampfhaft versuchst, vor deinen alten Fehlern davonzulaufen! Du musst kämpfen, für dich... für ihn..." Sie legte Tetsuya eine Hand auf die Schulter. "Ich glaube, diese ganze Geschichte... das war deine Chance. Er lebt, er ist nicht tot, also, verdammt nochmal, tu was! Gib ihn nicht auf..."

Tetsuya war überwältigt. Wie leicht sich doch alles anhörte, wenn die junge Elfin das aussprach! Sollte er etwa zu Samui gehen, sich bei ihm entschuldigen?

"Und... wenn er mich gar nicht mehr sehen will?" Der Blondschopf war von dem Plan nicht annähernd so überzeugt wie Sakura selber. Überhaupt, was wusste sie denn schon von der ganzen Sache? Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung! "Vielleicht... kann er mir das alles überhaupt nicht verzeihen..."

"Versuch es... wenn er dich wirklich liebt, dann wird er dir auch vergeben können!" Sie sah aus dem Fenster. "Hmm... wir haben schon so lange geredet, ich muss jetzt wirklich dringend los..." Sie zwinkerte. "Ich habe ein Date mit dem Campleiter!" Sie klopfte Tetsuya aufmunternd auf die Schulter. "Mach's gut, und... viel Glück!!!"

"Ähm... Danke... ich meine..."

Aber bevor der Blondschopf den Satz zu Ende bringen konnte, war die junge Fremde schon aufgesprungen und aus seinem Zimmer verschwunden.
 

Die Sonne ging langsam hinter den Bergen am Horizont unter und tauchte die ganze Landschaft in einen See aus flüssigem Gold. Tetsuya seufzte. Er musst wirklich wahnsinnig sein, nur auf die Worte einer Wildfremden hin aus ihrem Lager abzuhauen, um Samui hinterherzulaufen, wo dieser doch wahrscheinlich gar nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Und das konnte er nur zu gut verstehen.

Er schüttelte seinen Kopf und ging weiter. Er kannte den ungefähren Weg zu einem jener Plätze, an denen sich die Kompanien oft niederließen, und er war sich sicher, dass dort eine der Hütten sein musste. Wie von selbst verirrten sich seine Finge in seine Hosentasche, und er war erleichtert, als er dort die Kette mit den beiden ineinander verschlungenen Ringen spürte. Er nahm das Metall in seine Hand und hielt es fest, und aus irgendeinem Grund gab ihm das die innere Sicherheit, die er brauchte, um nicht umzukehren, um weiterzugehen, einer vagen Hoffnung entgegen.

Als er nach einer endlos scheinenden Zeit Licht durch die Bäume hindurchschimmern sah, fiel ihm ein ganzes Gebirge vom Herzen. Tatsächlich, das Lager war nicht leer und verlassen! Vielleicht würde er Samui schon bald wiedersehen... vielleicht...

Er beschleunigte seine Schritte und betrat schließlich die kleine Waldlichtung, auf der sich einige Zelte, umgeben von einem Graben und einer Mauer aus Holzpflöcken aneinander reihten. An dem Übergang zu der Lagerstätte stand ein junger Soldat, der mit einer Lanze bewaffnet Wache hielt. Tetsuya ging mit eilig auf ihn zu und winkte.

"Hey!" rief er.

"Was willst du hier?" Der Wächter musterte ihn mit einem abweisenden Blick. "Hau lieber ab, oder ich wird dir helfen!"

"Nein, nein, die Leitung schickt mich mit einer Nachricht für die B-Truppe... bin ich hier richtig?" Eine kleine Notlüge erschien Tetsuya in dieser Situation weitaus einfacher und angebrachter, zumal der Wachsoldat nicht unbedingt so aussah, als gehöre er zu der geduldigen Sorte Mensch.

"Ach, ein Bote, was?" schnauzte er den Blondschopf an. "Nein, Pech gehabt, wir sind Hütte C, ja?"

"Und wo finde ich dann die B-Soldaten?"

"Ach, die sind in den Bergen... und jetzt mach, dass du wegkommst, ja?"

Tetsuya grinste die Wache noch einmal an, dann drehte er sich um und lief zurück in den Wald. Sein Herz schlug so heftig, als wolle es jeden Augenblick zerspringen. Tatsächlich, Samui und die anderen waren am Leben! Es war alles nur eine verdammte Falschmeldung gewesen!!! Und obwohl er Angst davor hatte, er wusste, dass er seine Chance diesesmal nutzen würde.
 

Der Aufstieg war steil und beschwerlich. Nur ein kleiner, unsicher befestigter Pfad führte hinauf in Richtung Gipfel. Die Nacht schien länger und dunkler als sonst, und Tetsuya hatte Mühe, immer eine sichere Trittstelle zu finden. Mehr als nur einmal lösten sich urplötzlich Steine unter seiner Fußsohle und es kostete den jungen Soldaten alle Mühe, sich dann wieder zu fangen und weiter zu laufen.

Er hatte nun bereits eine beachtliche Höhe erreicht, aber er wusste nicht, ob er darüber sonderlich glücklich sein sollte. Als er die scharfkantige Steilwand herabblickte, die zu seinen Füßen lag, erschauderte er unwillkürlich. Ihm war klar, dass ein Fehltritt an dieser Stelle ohne Zweifel tödlich enden würde.

Er schüttelte den Kopf und rutsche noch ein bißchen näher an die Felswand zu seiner Seite heran. Der massive Fels gab ihm ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Trügerisch, aber doch beruhigend. Und außerdem war es schon längst zu spät, um umzukehren. Er würde Samui zurückgewinnen!

Als das auf einem kleinen Plateau gelegene Lager der B-Truppe endlich vor ihm auftauchte, war er gleichzeitig erleichtert und angespannt. Jetzt war es soweit, jetzt würde er Samui, seinen Samui, tatsächlich wiedersehen! Er sah sich um. Und wirklich, das sassen die Soldaten um ein kleines Lagerfeuer gruppiert und redeten. Das Herz des Blondschopfes schlug schneller, als seine Augen die zierliche, rothaarige Gestalt mit dem Engelsgesicht wahrnahmen. Was sollte er jetzt nur tun? Er konnte doch nicht einfach vor die ganze Runde spazieren und losreden, Samui, es tut mir so leid ich liebe dich... Irgendwie musste er den Rothaarigen dazu bringen, zu ihm zu kommen, nur wie? Und da hatte er eine Idee.

Der blonde Soldat hob einen der Steine auf, die den Bergpfad übersäten. Er zielte, dann warf er das Steinchen nach dem Hinterkopf des Rotschopfes. Und wirklich, Samui sah sich überrascht um.

"Ist was?" fragte einer der Soldaten.

Ein weiteres Steinchen traf Samui am Hinterkopf.

"Hmm... IRGENDETWAS... wirft da auf mich und findet das wahrscheinlich auch noch lustig..." murmelte er und stand auf. "Ich schau mal nach, was das für ein Witzbold ist, ja?"

Er entfernte sich von seiner Gruppe und schlich vorsichtig um die nächsten Windungen des Berges. Da war doch gar niemand! Er wollte sich gerade wieder umdrehen und zurückkehren, als er spürte, wie ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte.

"Hey, Samui..."
 

"DU?!?" Die blauen Augen des jungen Soldaten funkelten Tetsuya überrascht an. "Was... was machst du denn hier?"

"Ich... ich..." Der Blondschopf schüttelte den Kopf, dann schloss er Samui in seine Arme und drückte ihn fest an sich. "Oh Gott... du lebst... du lebst wirklich..."

Samui befreite sich und musterte den Blonden mit einem kalten Blick.

"Natürlich lebe ich, was redest du für einen Blödsinn?"

"Samui... ich... ich habe dich so sehr vermisst, es tut mir so leid..." Tetsuya senkte seinen Kopf.

"Wieso sagst du das? Wieso entschuldigst du dich? Hat man gedroht, dich auf Entzug zu setzten, wenn du es nicht tust, huh?" Samuis Stimme klang wütend.

"Nein, ich... ich meine... ach, Samui..."

"Ich... ich... ach... mein Gott, Tetsuya, ich will das nicht hören, ja?" Er verschränkte die Arme vor der Brust. "OK, ich zähle jetzt bis zehn, und wenn du mir dann keinen vernünftigen Grund genannt hast, gehe ich, ja? 1, 2, 3..."

"Samui, nein, bitte..."

"4, 5, 6, 7..."

"SAMUI! Ich sage doch es tut mir leid!"

"8, 9..."

"Samui!"

"10! Und tschüss, ich gehe!!!"

"Samui!" Tetsuya packte den Rotschopf am Arm und drehte ihn zu sich.

"Ja? Solltest du mir irgendetwas zu sagen haben?"

"Es tut mir leid, ja? Ich habe alles falsch gemacht, aber ich habe das für dich getan, ja?"

"Oh, gut zu wissen!" Samui versuchte, sich zu befreien. "Lass mich jetzt endlich los, das interessiert mich doch nicht!"

"Jetzt hör mir mal zu!" Tetsuya schrie beinahe. Seine Hände schlossen sich fester um Samuis Schultern. "Wir haben die Nachricht bekommen, deine Truppe wäre gefallen! Ich dachte, du wärst tot, ich wäre fast wahnsinnig geworden vor Sorgen, ja? Also schick mich BITTE nicht einfach so wieder weg!!!"

"Ach..." Samui begann zu kichern. "JETZT verstehe ich! Du hast dich also schuldig gefühlt, ja? Du bist vor lauter Schuldgefühlen hier hergekommen, natürlich, das passt zu dir!"

"Du bist ungerecht!!!" Tetsuya fühlte sich plötzlich unendlich hilflos. "Verdammt nochmal, ich wollte dir nicht weh tun, ja? Ich..."

"Jaja, aber genau das hast du geschafft!" Samui schob trotzig seine Unterlippe vor.

"LÄSST du mich vielleicht einmal ausreden?" schrie Tetsuya. Samui riss seine Augen auf und sah den Blondschopf ängstlich an.

"Lass mich... lass mich los!"

"Nein, Samui, nein... es tut mir so leid..." Der junge Soldat senkte seinen Kopf. "Weißt du... ich hatte Angst. Weil ich dich nicht beschützen konnte. Weil ich dich... Hinoto... Higume... Ich konnte sie alle nie beschützen... Und dann hat Fenron..."

"Hör mal, deine Ex-Weiber interessieren mich nicht!" Samuis Stimme klang ein wenig ängstlich.

"Nein, nein, das waren meine Schwestern. Sie sind tot, ja? Mein Vater hat sie umgebracht, und mich wollte er auch töten, die Narbe, weißt du, daher habe ich doch meine Narbe..."

Wieso erzähle ich das jetzt?

"Willst du, das ich jetzt Mitleid mit dir habe, das erwartest du doch, oder? Wahrscheinlich ist das auch alles gelogen, du kannst doch nichts als lügen!" In Samuis blaue Augen trat ein Ausdruck von Wut, Verzweiflung und Verachtung. "Das ist doch sicher deine Masche, oder?"

"Nein, nein..." Tetsuya sprach leise, wie mechanisch. "Das sind die Gene, verstehst du? Ich habe das in mir, ich habe meine Ex-Freundin erschlagen, getötet, weißt du? Aus Eifersucht... aus Liebe..."

"Du bist ja wahnsinnig!"

"Vielleicht?" Tetsuyas Augen füllten sich mit Tränen, die langsam über seine Wangen liefen, als er begriff, dass er Samui verloren hatte. "Weißt du, Samui, ich liebe dich, ich liebe dich so wahnsinnig, dass es weh tut. Aber ich will dich nicht verletzen. Ich kann dich nicht beschützen, wie denn, wenn ich dich nicht einmal vor mir selber beschützen kann? Aber wenn du mir wenigstens glauben würdest, dass ich dich doch liebe!"

"Ich... Tetsuya, hör auf!" Samui riss sich endgültig von dem blonden Soldaten los und sah ihn mit leeren Augen an. "Es ist vorbei, ja? Du kannst nicht einfach hier antanzen und behaupten, dass du mich so sehr liebst! Wahrscheinlich ist keines von deinen Worten wahr, also lass es, lass es und hör auf, mir so weh zu tun!!! Ich will dich einfach nicht mehr sehen!"

Tetsuya lächelte. Sein Blick war verschwommen vom Weinen, aber die ablehnende Kälte in Samuis Augen nahm er überdeutlich war. Er zog seine Kette aus seiner Tasche, dann packte er den Rotschopf, drückte ihn fest an sich und versank in einem tiefen Kuss.

Samui sprang entsetzt einen Schritt rückwärts.

"Das... was soll das?" Seine Stimme klang hasserfüllt. Trotzdem wusste Tetsuya, dass Samui ihn noch liebte. Irgendwo. Aber was nützte das, wenn er ihm nicht mehr vertrauen konnte? Sein Herz war endgültig gebrochen, und es war nicht seine Aufgabe, es wieder zu heilen. Er konnte es nicht.

Langsam trat er auf Samui zu. Er legte ihm seine Kette zärtlich um den Hals und lächelte ihn unter Tränen an. Samui sah verwirrt auf die beiden ineinander verschlungenen Ringe.

"Wa-was soll das?" Seine Augen wurden noch ein bißchen wütender. "DANKE, aber ich will deinen billigen Schmuck nicht, ja? Ich habe echt keine Ahnung, was du damit erreichen willst!!!"

"Die schenke ich dir." Sagte Tetsuya. "Damit du mich nicht vergisst."

Dann drehte er sich zur Seite und sprang.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  urlieb
2005-06-14T16:45:07+00:00 14.06.2005 18:45
... ich brauch noch einen moment - das ist eine der dramatischten geschichten die ich je gelesen habe und ich finde sie wunderschön , deine figuren sind zwar nur grob gezeichnet dafür mit soviel feingefühl das man das gefühl bekommt zu wissen was in ihnen vorgeht ohne den genauen zustand oder die verfassung in welcher sich die person gerade befindet wirklich ganz zu erfassen dadurch bleibt dir meiner meinung nach eine wunderschöne spannung erhalten welche deine ganze story über nicht abreist - für mich stellt scih zum schluß nur eine frae hat er wirklich für samui gehandelt oder war es doch egoismus - ich meine damit das er sich und ihm am anfang keine chance gegeben hat - den im prnziep hatte er nur angst vor sich selbst - mir fällt dazu nu eins ein: wir werden nicht durch unsere geburt unsere gene oder unserer herkunft defniert sondern wir definieren und beweisen uns durch die entscheidungen welche wir treffen - das ist der wahre grund für unsere individualität und unsere einzigartigkeit

ich werde auf jeden fall noch mehr von dir lesen denn du regst mich zum nachdenken an ^^

have a nice day
urlieb
Von: abgemeldet
2003-04-17T21:34:46+00:00 17.04.2003 23:34
Hallo!!^^

Also ich msus auch sagen, dass ich die FF einfach super finde! Aber auch verdammt traurig! Mir tut Tetsuya auch total leid.. *sniff* Eigentlich hat er alle Personen, die er geliebt hat verlorgen...

Also ich werde mich dann mal an deine anderen FFs wagen!^^

Grüße *wink* gitanija
Von: abgemeldet
2002-10-19T16:18:45+00:00 19.10.2002 18:18
Wow!! Heiliger Bimbam, das muss ich erst mal verdauen.
Ich meine, diese FF, die war so.....so......wie soll ich sagen.........so......schön und doch so........traurig, das es einen innerlich richtig zerreißt. Ich hab wirklich gehofft, die beiden kommen noch zusammen, aber dann, der Schluss war so dramatsich.so.........ach, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Auf jeden Fall, hast du verflucht noch mal, ein Händchen fürs Schreiben und das mach bitte noch lange lange weiter, den ich weiß zwar nicht, wie du es machst, aber deine Storys sind die absolut besten dieseits und jenseits den 13. Jupitermondes,
also bis demnächst und bye bye.
Chris
Von:  TiaChan
2002-08-01T21:58:10+00:00 01.08.2002 23:58
Was?! Noch kein Kommentar? Dabei ist doch Shônen-Ai so beliebt... Die Geschichte ist wirklich traurig, der arme Tetsuya... *sniff* Aber schööööööööööön!!!!!!!!!!! Yu-chan, warum kannst du sooo schön schreiben?


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