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Kimi no te no naka de...

In deiner Hand...
von

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Schwarze Rose und Schwarzer Panther

Ich wusste, dass ich unkonzentriert fuhr, aber es war mir egal. Ich hatte noch nie einen Unfall gebaut, egal wie abwesend oder beschäftigt ich beim Fahren war, denn mein Unterbewusstsein war jederzeit hellwach, ruhte selbst im Schlaf niemals. Das bedeutete zwar einen eher leichten Schlaf, aber immerhin auch, dass ich nicht irgendwann feige im Schlaf ermordet im Bett liegen würde, und ich schätze, dass sich mein Körper und Geist mit der Zeit an das Leben eines Yakuza gewöhnt hatten.

Diese Frau ging mir einfach nicht mehr aus dem Sinn, als würde ihr Geist weiterhin in meinem Kopf herumspuken.

Es war das Topmodel Higuchi Ichiyo, selbst in der westlichen Welt als eine der schönsten Frauen der Welt bekannt. Halb japanischer, halb finnischer Abstammung war sie ihrer großen Liebe, dem ältesten Sohn einer der reichsten und ältesten Familien Japans in unser Land gefolgt.

Jeder, der ab und zu die Zeitung las oder die Nachrichten verfolgte, kannte die Geschichte ihres genau sechs Jahre währenden Glücks bis zur Ermordung ihres Mannes durch einen bis heute unbekannt gebliebenen Psychopathen.

Ich hatte nicht gewusst, dass sie einen Sohn gehabt hatten, geschweige denn, dass ich auch nur _geahnt_ hatte, dass dieser Sohn _mein_ Muriel war! Ich war mir sogar relativ sicher, dass es nur wenige Menschen auf dieser Erde geben konnte, die _überhaupt_ wussten, dass das Topmodel und unser Landsmann ein Kind gezeugt hatten.

Aber jedenfalls war mir nun auch klar, warum der Yakuza mit dem französischen Vornamen, aber japanischen Zügen, diese unglaublichen, meerfarbenen Augen hatte, wie zwei Opale in allen Facetten von Grün und Blau schillernd.

Seufzend hielt ich am verabredeten Treffpunkt um auf meinen großen Bruder zu warten, massierte mir die Schläfen. Das alles machte mir Kopfschmerzen: Nicht nur, dass ich meinen Auftrag gründlichst in den Sand gesetzt hatte, nein, dieser "Auftrag" war auch noch _seine_ eigene Mutter! Ich wusste ja, dass in seiner Kindheit irgendetwas Schlimmes vorgefallen war, weshalb er schon als kleiner Junge von zu Hause weggerannt war, bis er durch Zufall zuerst mir und dann dem Boss begegnete. Aber wenn er den Tod seiner Mutter wünschte - /Wieso hat er es eigentlich nicht selbst gemacht?/, fiel mir dabei ein -, dann musste er sie wirklich _hassen_.

Und bis zum heutigen Tage hatte ich eigentlich angenommen, dass Muriel, meinem schönen Muriel, so etwas wie Hass fremd war, denn das war, was er immer behauptet und ich ihm auch geglaubt hatte. Bis vor wenigen Stunden wäre mir in der Tat niemand eingefallen, denn mein geliebter Bruder hassen könnte, hatte er so etwas doch einfach nicht _nötig_. Verachtung - oh ja, da gab es viele, aber Hass...?

Mein geliebter Bruder...

Ich seufzte. Wie sehr sehnte ich mich nach ihm, seinem vertrauten Körper, seinem tröstlichen Geruch...

Jedem _normalen_ Menschen musste es unglaublich vorkommen, aber ja... auch ich empfand echte Liebe für jemanden, wenn es nicht gar schon zu reinem Fanatismus geworden war. Auch ich kam in den starken Armen dieses einen Mannes zur Ruhe, war ihm voller Treue und Zärtlichkeit ergeben, sehnte mich in jeder Sekunde, die er nicht bei mir war, nach meinem Geliebten.

Ein dezentes Klopfen schreckte mich aus meinen Gedanken. Verwirrt sah ich auf und erschrak leicht.

Muriel sah mich ungeduldig aus seinen tiefblauen Augen an, die so verblüffend glänzten, dass sie beinahe wie geschliffenes Glas wirkten.

Hastig betätigte ich den Riegel der automatischen Türsperre und ließ ihn mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck herein.

Ich hielt dem Blick keine Sekunde lang stand. "Gomen", murmelte ich betäubt und senkte betreten den Blick. Niemand hätte mich in diesem Moment als einer der größten japanischen Mafiosi wiedererkannt, aber in diesem Moment musste ja auch niemand außer mir _diesem_ Mann unter die Augen treten.

Immerhin war Muriel der größte unter den größten Brüdern, der _Sohn_ des Chefs, was soviel bedeutete, wie der vom Boss selbst bestimmte Nachfolger. Und, obwohl ihm Tausende nur so aus der Hand gefressen hätten, hatte er nur einen einzigen kleinen Bruder gewählt. Den Besten - und der bin ich...

Es verlässt sich auf mich, er _vertraut_ mir. Obwohl ich mit 21 Jahren noch sehr jung bin, bin ich neben Muriel der beste Profikiller und -dieb der Welt... und der schönste, nebenbei bemerkt, auch...

Nicht umsonst nennt man mich auch die Schwarze Rose, benannt nach Muriel, dessen Name "Black Panther", Schwarzer Panther, lautete. Es ist Tradition, dass jeder kleine Bruder etwas aus dem Namen seines großen Bruders übernimmt - bei mir war es das Schwarz, schon allein, weil dies meine Lieblingsfarbe ist. Sie ist etwas Besonderes.

Ebenso wie _er_ etwas ganz Besonderes ist: Der einzige Yakuza, der keinen großen Bruder hat - und das nicht etwa, weil er diesen umgebracht oder übertrumpft hat. Nein - er hatte _nie_ einen und wurde direkt zum "Sohn". Er ist einmalig in meinem Herzen - und in der Geschichte unserer großen "Familie": Einmalig groß, beeindruckend, charismatisch, selbstbewusst, schön und schlicht und einfach _gut_. Geht man von diesen Kriterien aus, könnte ich tatsächlich sein kleiner Bruder sein und das ist wohl auch der Grund, warum ich mit 18, dem Alter, indem man nicht mehr von der Familie allgemein, sondern ganz speziell von einem großen Bruder beschützt und kommandiert wird, direkt zu _seinem_ Bruder, seinem... _Eigentum_ wurde...

Nur ihm gehöre ich und ich würde für ihn alles tun, was irgendwie in meiner Macht steht, er kann mit mir machen was er will, muss mich nicht einmal auf die "kari"[1] schicken - ein ganz besonderes Privileg des Chefs und seines Sohnes.

Allerdings mag Muriel es, wie ich vorgehe, sucht mir die schönsten, aber auch schwierigsten Aufträge aus, um mich zu fordern, begleitet mich sogar manchmal. Nur selten, wenn es wirklich nötig ist, sind es Morde, ansonsten sind es Kunstdiebstähle, die mir zugegebenermaßen wirklich Spaß machen, wenn ich wieder einmal ein lächerliches Sicherheitssystem in seine Grenzen weise... und je nachdem, wie gut ich den Auftrag erfülle, belohnt oder bestraft er mich.

Heute hatte ich versagt. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich wirklich schlicht und einfach versagt, als ich seine _Mutter_ töten sollte, die er so hasste, da sie sich augenscheinlich nie um ihn gekümmert hatte oder etwas dergleichen - ich wusste es nicht... Aber ich... konnte nicht, aus Respekt davor, dass sie ihn geboren hatte... meinen Muriel, den Mann, den _einzigen_ Mann, den ich wahrhaftig und von ganzem Herzen liebte.

Und heute war auch das erste Mal in meinem Leben, dass ich Angst bekam... Angst, vor Muriel...

Despotisch legte sich seine Hand um mein Kinn, zog mein Gesicht herrisch zu seinem, damit er ungestüm meinen Mund zurückerobern konnte. Wie immer, wenn ich von einem Auftrag zurückkam - vor allem wenn ich länger als einen Tag wegbleiben musste. Es fühlte sich so schön an wie immer, nein, eigentlich besser, und auch das war wie immer: Alles wurde mit Muriel von Tag zu Tag schöner, besser, unfassbarer...

Nur die Furcht... _sie_ blieb...
 

Schweigend fuhr ich über die Straßen Nagoyas, versuchte mich auf die Straße zu konzentrieren und nicht auf diesen unglaublichen Mann neben mir, der es vermochte, mir schon mit seiner bloßen Anwesenheit den Verstand zu rauben.

Ich merkte, wie ich meine Nägel in das Lenkrad grub, die wegen der Diebstähle immer sorgfältig gefeilt waren um mich bei Feinarbeiten nicht etwa zu behindern - und weil ich die Angewohnheit hatte, wenn ich beim Sex mit Muriel mal wieder die Beherrschung sowie meinen Gleichgewichtssinn verlor und mich fühlte als würde ich gleich sehr tief fallen, unwillkürlich meine Finger in seinen Rücken krallte, mein Geliebter die Kratzspuren allerdings leidlich satt hatte. Oder besser gesagt die regelmäßigen Kommentare der Kollegen über unsere Beziehung, wenn der Boss nach einem besonders großen Fisch ins Rotemburu[2] einlud. Zwar war unser Liebesleben ein offenes Geheimnis und natürlich wusste auch Muriel dies, aber er konnte es nicht leiden, wenn andere große Brüder anzügliche Witze über mich rissen und mich gleich danach laut und deutlich fragten, ob ich nicht schon einmal daran gedacht hätte, den Bruder zu wechseln...

Ich denke, ich muss eigentlich nicht sagen, dass sie sich die Zähne an mir ausbissen, aber danach war der Abend für uns beide natürlich gründlich gelaufen...

"Halt an", befahl er mit seiner gewohnt neutralen Stimme, die vom Tonfall her eigentlich gar kein Befehl zu sein schien, und trotzdem diesen unbrechbaren Bann über einen legte, einen förmlich _zwang_ zu gehorchen.

Überrascht tat ich wie geheißen, vergaß, nachdem ich am Straßenrand gehalten hatte, sogar für einige Augenblicke mein Angst, um ihn fragend anzusehen. "Was ist?", wollte ich verwirrt wissen.

"Ich werde jetzt das Lenkrad übernehmen", bestimmte er in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. "Oder hast du wirklich geglaubt, ich lasse dich noch lange so weiterfahren? Weißt du, zufällig möchte ich mein Leben noch ein bisschen genießen..."

Ich schluckte und stieg hastig aus, ging um den Wagen herum, blickte betreten zur Seite als er mir lässig-höflich die Tür aufhielt.

Nachdem ich mich wieder angeschnallt hatte, blickte ich starr in den Rückspiegel, einfach, um meinen Blick irgendwo festmachen zu können. /Wie lange willst du den Fisch noch an der Angel zappeln lassen, Muriel?/, fragte ich mich gequält.

Ich war zwar innerlich in nackter Panik wegen der Strafe, die dieses Mal einfach nur noch grausam ausfallen konnte, aber ich ertrug es nicht, wie jede weitere Sekunde der Ungewissheit diese Furcht ins Unerträgliche steigerte.

Dennoch sollte es noch eine peinigende Dreiviertelstunde dauern, in der wir unserer Zielstadt Tôkyô schon um einiges näher gekommen waren, bis er plötzlich, aufmerksam das Geschehen auf der Straße verfolgend, leise fragte: "Du weißt, dass ich dich bestrafen muss?"

Ich antwortete nicht, doch ich war mir sicher, dass er mich aus den Augenwinkeln beobachtete und bemerkt hatte, wie sich mein ganzer Körper unter seinen Worten verkrampfte. Es genügte ihm als Antwort.

"Und dir ist klar, dass ich dich _hart_ bestrafen muss, Ayumi?"

Ich wollte etwas erwidern, doch alles was meine Kehle verließ war ein heißeres Krächzen.

"Wirst du sie annehmen?"

"Hast du sie ausgesucht?", wollte ich zuerst wissen.

"Nein", bestätigte er meine Vermutung mit ernstem Gesicht. "Ich habe nur die Umstände ausgewählt, um dich nicht länger zu quälen als nötig. Du sollst bestraft werden, aber ich habe _Vater_ ausdrücklich erklärt, dass ich dich bei klarem Verstand zurückhaben möchte, und es nicht dulden würde, sollte dich die Strafe solange verfolgen bis sie dich in den Wahnsinn getrieben hätte."

Dankbar schloss ich die Augen. Ich wusste nicht genau, wie gut mich der Chef einschätzen und wie viel er von meinen Ängsten und Abneigungen überblicken konnte, aber ich war nicht dumm. Natürlich war mir klar, dass der Boss an mir ein Exempel statuieren wollte. Zwar würde ganz gewiss niemand etwas von der Art und Durchführung der Strafe erfahren, aber gerade die Ungewissheit, was man mir, einem der Besten, wohl angetan hatte, würde den meisten gründlich die Lust daran verderben, ungehorsam zu werden.

"Wirst du dabei sein?", flüsterte ich, biss mir fest in die Unterlippe um ihr Beben zu verbergen.

"Natürlich werde ich das. Hast du etwa geglaubt, ich würde dich im Stich lassen? Ich bin dein großer Bruder, Ayumi, und auch wenn ich nicht für dich büßen kann, so werde ich doch für dich da sein wie es ein großer Bruder tut, der seinen kleinen Bruder liebt..."

"Dann werde ich die Strafe ertragen, die man mir zugedacht hat", erklärte ich mit zitternder Stimme aber standhaftem Blick. Dieses erneute Zugeständnis seiner Liebe gab mir Kraft.

Muriel lächelte warm und traurig zugleich, ließ kurz eine Hand durch mein Haar fahren, bevor er sie wieder ans Lenkrad legte. "Ich bin sicher, du wirst mir keine Schande machen...", gab er fest zurück.

"Hai[3]", wisperte ich, fast leiser als ein Windhauch, und war von meiner Antwort doch längst nicht so überzeugt, wie ich es gerne gehabt hätte...

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[1] jap.: die "Jagd"

[2] Eine der natürlichen heißen Quellen, die als Badegelegenheit genutzt werden und bei Japanern sehr beliebt sind, mit dem Unterschied, dass sie im Gegensatz zur normalen "Onsen" die Freiluft-Version darstellen. Sozusagen ein Freibad, nur eben mit einer heißen Quelle statt Sprungturm und Wasserfontänen.

[3] jap.: "Ja"



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