~*Prolog*~
~*Prolog*~
Mehr als einen ständigen Kampf hat das Leben noch nie für mich dargestellt. Es ist nicht mehr als ein grauer nebliger Vorhang. Es ist wie eine Mauer, die dich allseits umgibt.
Eine Mauer, die durchbrochen werden muss.
Mit all seinen Kräften stemmt man sich gegen sie und es mag sein, dass man sein gesamtes Leben benötigt, um sie zu Fall zu bringen.
Und der Weg dorthin... ja, er ist schwer.
Alles muss man sich verdienen, sich erkämpfen. Ohne rasches Handeln kommt man seinen Zielen nicht näher. Ohne Durchsetzungsvermögen bringt man es nicht weit in der heutigen Gesellschaft. List muss man anwenden, um Pläne in die Tat umzusetzen. Hart muss man sein, um nicht weich zu werden. Weich und somit verachtungswürdig. Es ist besser, gewieft und verstohlen zu sein, als eine verachtungswürdige Kreatur darzustellen.
In dieser Welt, die so schwer zu verstehen ist, ist man auf sich selbst gestellt. Vertrauen müssen sich Menschen schwer erarbeiten. Niemand hat es bei mir getan, außer eines kleinen Jungen, der wohl der einzige Grund ist, weshalb ich nicht mein Fenster öffne und springe.
Und oft bin ich kurz davor.
Die Welt wird bevölkert von Egoisten und Einzelgängern. Ich zähle mich zu ihnen.
Man muss Egoismus besitzen, Angewiesenheit auf andere Menschen darf nicht bestehen. Mit Hinterlist und Bosheit erklomm ich die Treppe zum Erfolg. Ich handelte rasch, eignete mir Durchsetzungsvermögen an und brachte es dadurch weit. Mit List setze ich meine Pläne in die Tat um. Ich bin hart, um nicht weich zu sein. Gewieft und verstohlen nenne ich mich. Und ich bin egoistisch - auf niemanden angewiesen.
Das einzige, auf das ich je angewiesen war, waren meine Fähigkeiten. Jeder kennt mein Leben, jeder weiß, dass ich kämpfte und einen langen Weg hinter mir ließ, bevor ich zu dem wurde, was ich nun bin.
Ich glaube, meine Mauer brach schon vor langer Zeit in sich zusammen. Ich bewerkstelligte es, erfolgreich, angesehen und wohlhabend zu werden, schaffte das, wovon viele ihr Leben lang träumen, auf das viele ihr Leben lang hinarbeiten. Und das zumeist erfolglos.
Ich habe alles, was man sich wünschen kann.
Menschen achten mich, verspüren Furcht in meiner Gegenwart.
Menschen kennen mich, hassen oder bewundern mich.
Ich habe den Höchststand meines Lebens erreicht... und meine Mauer brach.
Doch das, was hinter ihr lag, ließ mich meinen, es sei die gesamte Arbeit nicht wert gewesen. Kein gleißendes Licht umfing mich zärtlich, keine Wärme brachte neue Kraft und den Willen mit sich, weiterzumachen.
Weitermachen?
Weshalb?
Höher kann ich nicht steigen.
Nein, nichts dergleichen erwartete mich hinter dem symbolischen Gestein. Es war nur eine Dunkelheit, die ich erblickte. Eine gähnende, schier unendlich erscheinende Leere, die mich innerlich schwach werden ließ.
Mein Leben veränderte sich binnen weniger Monate. Zunehmend verfiel ich ernsthaften Grübeleien und letzten Endes wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass die einzige, mir verbleibende Möglichkeit darin bestand, mein Leben zur Routine zu machen.
Meine Firma florierte.
Ich strich Gewinne ein, doch auch das waren seit langem keine Besonderheiten mehr. Ich arbeitete, versuchte meine Technik zu verbessern, bis es nicht mehr möglich war. Und als ich mir meiner Situation schmerzlich bewusst wurde, arbeitete ich noch härter... und auch meine Technik hatte ihren Höchststand bald erreicht.
Sie war perfekt, sozusagen.
Perfektion - wie ich dieses Wort liebe.
Mein Leben ist perfekt, ich bin perfekt... alles ist zu perfekt, beinahe übertrieben und lästig. Der Wunsch tat sich in mir auf, alles einzureißen, das ich je errichtet hatte. Alles zu vergessen und neu zu beginnen.
Doch ein neues Leben kann ich nicht kaufen, so reich ich auch bin.
Aus irgendeinem mir fremden Grund blieb ich hängen. Ich komme nicht vor, nicht zurück. Oft rette ich mich durch den Gedanken, ich wäre zu intelligent für diese Welt, hätte bereits alles erlebt und müsste auf keine außergewöhnlichen Geschehnisse mehr hoffen. Ich meinte, mit achtzehn Jahren ein alter Mann zu sein, der bereits alles hinter sich gelassen hat. Erfolg, jedoch auch traurige Niederschläge, obgleich ich vergessen habe, wie sich so etwas anfühlt. Es ist zu lange her, als dass ich mich dessen entsinnen könnte. Der Sinn meines Lebens scheint erfüllt zu sein und doch lebe ich weiter, leide unter der Routine und dem Alltag, dem es an jeglicher Farbe fehlt und immer trister und grauer zu werden scheint.
Ich hocke nackt in der Finsternis, weiß nicht ein, noch aus.
Zusehends wurde ich verbissener. Schnell verachtete ich alles und jeden, der mit mir nicht auf gleicher Stufe stand. Und obgleich ich die weniger erfolgreichen Menschen hasse, genießen sie doch ein besseres Leben als ich.
Vielleicht hasse ich sie aus diesem Grund?
Sie können sich Zeit lassen, in Ruhe lernen und sich weiterbilden. Ich lernte zu schnell, verstand die schwierigsten Dinge nach kürzestem Hinhören. Ich hatte zu früh begonnen, meinem Ziel entgegenzustreben. Hinzukommend hatte dieses Ziel zu hoch gelegen und doch hatte ich es erreicht. Dieser Erfolg stellte die Tatsache dar, die mein Leben und gleichermaßen mein Wesen veränderte.
Verachtet hatte ich andere Menschen schon immer, doch diese Verachtung schlug schnell in Hass um und ich kapselte mich förmlich von der Außenwelt ab. Ich wurde schroff, meine Blicke tödlich und bald wirkte ich wirklich wie ein vergrämter alter Mann, der durch das Leben gezeichnet war und sich nur danach sehnte, endlich abschließen zu können.
Mit jedem, mit allem.
Am Morgen stehe ich auf und besuche die Schule, die große Lustlosigkeit und Langeweile in mir weckt.
Weshalb besuche ich sie eigentlich noch?
Diese Frage stelle ich mir oft, ohne auf eine brauchbare Antwort zu stoßen.
Vielleicht tue ich es, weil es Routine ist?
Weil es zu meinem Leben gehört und ich eine leise Angst tief in meinem Inneren verspüre, wenn ich an mein Büro denke... an diesen großen, kahlen Raum, in dem des Nachts die Computer wie hohle, düstre Kästen wirken. Ich halte mich nicht gern in diesem Zimmer auf, denn stets wenn ich in meinem Sessel sitze und die Unterlagen und Listen, die meine völlige Kontrolle über diese Firma symbolisieren, vor mir sehe, verkrampft sich mein Herz. Und ich kämpfe gegen diese Schwäche, indem ich mein Gesicht zu Eis erstarren lasse und auf die Welt fluche. In der Schule halte ich mich also lieber auf. Doch es scheint mir, als würden die Stunden von Tag zu Tag schneller an mir vorbeiziehen. Sie lästern und höhnen, drängen mich unausweichlich in meine Firma zurück, in der ich in meinem Sessel kauere und mit verbitterter Miene auf einen nicht existenten Punkt starre. Nur wenige Angestellte eilen an meinem Büro vorbei, in angestrengte Arbeit vertieft. Ich erkenne sie durch das saubere Glas meiner Tür und mein Blick folgt jedem. Ich habe mich kaum um etwas zu kümmern und es ist eine unaussprechliche Qual, von allen "Boss" genannt zu werden. Der Boss bin ich auch und eine meiner vorrangigen Aufgaben ist es, zu überprüfen und anschließend den Gewinn einzustreichen, wofür mich viele hassen.
Nur zu, der Hass ist gegenseitig.
Es gibt Tage, an denen ich meine Firma nicht verlasse. Zu manchen Zeiten greift der Mut nach mir und ich beginne nach Fehlern zu suchen. Fehler, die nur ich ausbessern kann. Doch auch meine Firma ist zu perfekt, als dass sie mir noch Freude bereiten könnte. Und obgleich ich das Gebäude der Kaiba-Corporation ebenfalls zu hassen beginne, verbringe ich jeden Tag dort und fahre erst spät Nachhause.
Und ich tue es, weil es Routine ist.
In meiner früheren Lebensfreude und nicht zu niedrigen Ansprüchen, habe ich ein großes Grundstück zu meinem Eigentum erklärt. Ein stabiler, hoher Stahlzaun umrandet dieses Grundstück, lässt es beinahe wie ein Gefängnis wirken. Es gibt auch einen gepflegten Garten, der meine Villa zu allen Seiten umschließt, den ich jedoch nie betreten habe. Mein Haus ist sehr groß, zu groß, um allein mit seinem kleinen Bruder und wenigen Angestellten darin zu leben. Ich habe nur drei Zimmer für mich beansprucht, zwei gehören Mokuba und von den restlichen zehn Zimmern stehen acht leer. Für den Fall einer Änderung, sage ich mir immer, die jedoch nie eintreten wird.
Dem zehnjährigen Jungen, der wohl der einzige Mensch auf der Welt ist, der mich versteht, lasse ich viele Freiheiten, hüte ihn gleichermaßen aber auch wie einen Schatz, der durch nichts zu ersetzen ist. Ich behalte seine schulischen Leistungen streng im Auge, setze auch viel auf seine Erziehung und oft sehe ich die einzige Herausforderung meines Alltages in der Art und Weise, wie ich mit Mokuba umgehe. Ich liebe ihn, weil er mir vertraut, auf mich angewiesen ist und mir stets Gesellschaft in finsteren Zeiten leistet. Ich liebe ihn, weil er Freude am Leben findet und jeden Morgen lächelnd zur Schule geht. Er wird dort Freunde treffen, interessante Dinge lernen und ebenso glücklich heimkehren, um zumeist vergeblich auf seinen großen Bruder zu warten und ihm mit Anstrengung ein Lächeln zu entlocken, wenn er irgendwann doch eintrifft.
Freunde...
Noch nie habe ich Freunde besessen. Nie habe ich einen Menschen an mich heran gelassen und ihm Vertrauen geschenkt. Denn kein Mensch ist mit mir gleichgestellt, niemand versteht meine Gefühle oder würde sie je verstehen. Freunde...
Ich will sie nicht.
Lebensfrohe Jugendliche, die jeden Tag mit einer Freude, die mit der meines kleinen Bruders gleichzusetzen ist, hinter sich lassen, kenne ich viele. Doch niemand wirkt interessant oder gar außerordentlich intelligent auf mich.
Sie stehen vor meiner Treppe, ich blicke von oben auf sie herab.
~*to be continued*~