Act V: Und machtest
mich Süchtig... nach dir
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"In dieses Lebens ewigen Kümmernissen
Weiß ich ein Schloss, Chateau d'amour genannt
Von Rosen rings umsponnen und Narzissen
Träumt dort ein einsam stilles Wunderland,
Das durch den Tag lässt keine Fahnen hissen,
Scharlachen brennend wie der Herzensbrand.
Nachts, wenn im blauen Schein die Berge hängen,
Horcht Eros kichernd auf den Marmorgängen.
Und schöne Paare wandeln auf den Steigen,
Von Amoretten selig überflogen,
Versteckte Lauben üben sich im Schweigen,
Von kleinen Silberwolken überzogen,
Ein Schumannlied von hundert sanften Geigen
Klingt aus den Sälen durch die Säulenbogen
Und schwarz verhüllte, schwergeschiente Ritter
Behüten streng des Gartens goldne Gitter...
Was ist die Liebe? Ist's ein heller Stern
Der plötzlich leuchtet, den wir nie geschaut?
Ist's ein Erinnern, das unnennbar fern
Uns deucht und nun in unsre Seele taut,
Jäh aus der Schale springt und einen Kern
Uns zeigt, so voller Süße, dass uns graut?
Ich bin dir gut. Du bist mir gut. Nichts weiter.
Dann klimmen wir hinauf die Himmelsleiter.
~Aus "Poggfred" von Detlev von Liliencron (1844 -1909)"
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Leise steckte er die Kappe wieder auf seinen Füller und legte ihn
beiseite. Da er wirklich außergewöhnlich schnell schrieb und die
Ideen jedes Mal nur so aus ihm heraussprudelten, war er trotz dass
er viel mehr als alle anderen geschrieben hatte, wie immer auch
schon viel früher fertig.
Es war später Nachmittag, der Nachhilfeunterricht bereits vorbei
und nun machten sie ihre Hausaufgaben, was hier eigentlich fast
wie eine normale Unterrichtsstunde gehandhabt wurde und somit
Pflicht war. Zufrieden lehnte sich Shinju auf seinem Stuhl zurück
und blickte nach rechts, sah Hisui, der, weil sie zusammenwohnten,
auch neben ihm saß, verliebt lächelnd beim Schreiben zu. Der Ältere
hatte eine wirklich sehr schöne Handschrift, die Akamatsu-san
sofort für ihn begeistert hatte. Sein geliebter Nachbar runzelte kurz
die Stirn, schien über etwas nachzudenken, und schrieb dann mit
konzentriertem Gesichtsausdruck weiter. Hisui schien das Schreiben
ebenfalls großen Spaß zu machen, auch wenn er dabei etwas
gemächlicher und wahrscheinlich auch aufmerksamer zu Werke ging.
Wieder runzelte jener die Stirn und begann ungeduldig mit seiner
linken Hand auf den Tisch zu tippen.
Unwillkürlich wurde Shinjus Lächeln breiter als er die schlanke Hand
mit langen, feingliedrigen Fingern in seine viel kleinere nahm und sie
leicht drückte.
Hisui blickte überrascht auf, erwiderte dann sein Lächeln mit einer
_spürbareren_ Wärme. Kurz blickte er sich um und ehe sich Shinju
versehen hatte, hatte der Ältere ihm auch schon einen flüchtig-
sanften Kuss auf die Lippen gedrückt.
Shinjus Wangen färbten sich vor Verlegenheit rot und er war
wirklich froh, dass sie ganz allein in der hintersten Reihe saßen und
Akamatsu-san gerade mit einem Schüler sprach, auch wenn sie
natürlich alles wusste. Doch gleichzeitig fühlte er wieder dieses
angenehm kribbelnde Flattern in seinem Bauch, das ihn seit nunmehr
einem Vierteljahr einfach nicht mehr verlassen wollte, fühlte sich
glücklich und mochte die Hand des Größeren nicht loslassen.
Der hatte nichts dagegen, nahm mit einem weiteren Lächeln wieder
seine Arbeit auf, spielte dabei selbstvergessen und doch sehr
zärtlich mit Shinjus zierlicher Hand.
Vor Glück wurde Shinju noch etwas röter. Sechzehn Jahre lang war
er schrecklich einsam gewesen, immer wieder gedemütigt und
enttäuscht worden, doch nun schien es ihm ein geringer Preis für
sein noch junges Glück zu sein. Mit geschlossenen Augen rief der
Kleinere sich die drei Monate vor Augen, die sie sich nun schon
kannten, rief sich jede Berührung und jedes einzelne Wort in
Erinnerung, erschauerte wohlig unter dem Ansturm dieser warmen
Gefühle in sich.
Seit er Hisui kannte war alles anders geworden. Niemand verlor
noch ein schlechtes Wort über ihn oder versuchte Shinju weh zu
tun, denn der Ältere hatte allen ausdrücklich klar gemacht, dass er
von nun an Shinjus Beschützer war und jeder, der Shinju etwas tun
wollte, es mit ihm zu tun bekam. Shinju begann sogar allmählich und
ein wenig zaghaft Freundschaft mit anderen zu schließen!
Ja, er wollte für den Rest seines... "Lebens" mit Hisui zusammen
sein, dessen war er sich sicher, war sich so sicher wie nie zuvor
über irgendetwas.
Er wollte, wie erst heute wieder in ihren Pausen, mit Hisui
ungesehen und ungestört unter der Trauerweide sitzen, in seine
Arme geschmiegt mit dem anderen zusammen träumen und ab und
zu eine Zärtlichkeit von dem Größeren erhaschen. Er wollte sich in
jeder Nacht mit Hisui vereinigen, ihn in sich fühlen und ihre ganz
besondere Verbindung spüren, dabei den liebevollen Worten seines
Geliebten lauschen und sie ebenso zärtlich erwidern. Er wollte jede
Nacht in Hisuis Armen einschlafen und an jedem Morgen wieder in
diesen starken Armen aufwachen, noch ein wenig die Wärme
genießen und still vor sich hinlächeln, bevor der Alltag an die Tür
klopfte. Mehr nicht.
Shinju wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann
nickte Hisui zufrieden und packte seine Sachen zurück in seine
Tasche und nur ein oder zwei Minuten später war die Stunde auch
schon vorbei, womit endlich ihre Freizeit begann.
Erfreut und äußerst lebendig sprang Shinju auf, machte sich, Hisui
einfach mit sich mitschleppend, auf, das Zimmer zu verlassen.
Der Jüngere freute sich sehr, denn heute würden sie beide wieder
zusammen ausreiten. Er liebte es einfach mit dem Älteren durch die
nähere Umgebung zu reiten und die beiden lieben Tiere, die sie
immer auswählten, waren auch jedes Mal sehr erfreut gewesen.
Shinju selbst hatte sich schon immer gut mit Tieren verstanden und
die Pferde hatten sich wie er selbst geradezu in den
Schwarzhaarigen verliebt.
Hisui war aus dem Sattel gestiegen und führte nun sein Pferd und
Shinju auf seinem schönen Fuchs zwischen den Bäumen hindurch zu
einer kleinen, zauberhaften Lichtung, die sie bei ihrem letzten
Ausritt entdeckt hatten.
Immer wieder suchte und fand er den Blick des Jüngeren, lächelte
ihm liebevoll zu, ohne dabei ein Wort verlieren zu müssen.
Er war glücklich und er musste nur in die beiden blauen Perlen
blicken, um zu wissen, dass Shinju ebenso fühlte.
Als sie beide aufeinandergetroffen und sich gefunden hatten, hatte
Hisui es bis dahin trotz seiner Einsamkeit und mehr als genügend
willigen Menschen nie gewagt, jemanden zu seinem Gefährten zu
machen. Er hatte viel zu große Angst gehabt, dass etwas schief
ging und hatte geglaubt, niemals jemanden zu so einem Monster zu
machen, wie er es war.
Ja, er hatte sich zutiefst verabscheut, für das, was er gegen seinen
Willen geworden war, wäre lieber gestorben, statt als Untoter über
die Erde zu wandeln und nicht einmal die Tatsache, dass er seinen
Opfern zum Dank für ihr Leben einen schönen Traum schenkte, wie
er es auch Shinju gelehrt hatte, hatte ihn damals beruhigen können.
Nun jedoch war er überglücklich und wusste, dass es gut so war,
musste seinem "Vater", den er so gehasst hatte, letztendlich
danken.
Am dankbarsten jedoch war er Shinju für die unendliche Liebe, die
er dem älteren Vampir entgegenbrachte: Heute wussten sie beide,
dass es nicht Shinjus Wunsch gewesen war, zu sterben, ebenso
wenig wie Hisui _wirklich_ bereit gewesen war, Shinju für immer zu
verlieren, nachdem sie erst kurz zuvor zueinander gefunden hatten.
Ja, ihre größte Gemeinsamkeit war wahrlich der Wunsch, dem
anderen nahe sein zu können und genau deshalb war auch Shinju
jetzt ein Vampir und nicht endgültig tot - weil sie sich liebten...
Und er freute sich für seinen Kleinen, denn auch für ihn war von nun
an vieles leichter. Fukusawa hatte sich bei ihm entschuldigt, ihm
seine Liebe gestanden und war fünfzehn Minuten später abgereist,
um dem Internat und Japan für immer den Rücken zu kehren. Und
von da an wurde Shinju nicht nur offen Sympathie gezeigt, ja er
wurde wirklich _akzeptiert_.
Ohnehin schienen die Menschen wie bei dem Älteren auch
unbewusst zu spüren, dass Shinju jene Träume der Ewigkeit vergab,
nach denen sich jeder Mensch mehr oder weniger oft sehnte, und
viele suchten instinktiv seine Geborgenheit suggerierende Nähe,
wenn sie ihn nicht sowieso schon immer sehr gemocht hatten.
Sie waren an der Lichtung angelangt und Hisui löste sich aus seinen
Gedanken, streckte seine Arme nach Shinju aus, der gerade aus
dem Sattel steigen wollte, fing ihn in einer Umarmung auf.
Fest presste er den Jüngeren an sich, hätte ihn am liebsten nie
wieder losgelassen.
/Gott, wie ich dich liebe.../
Die Pferde trabten zum Rand der Lichtung und zupften ein wenig an
dem saftiggrünen Gras, während die beiden Vampire unter den
Schatten uralter Bäume sanken, Hisui seinen persönlichen Engel
vorsichtig auf die grüne Wiese bettete und sich zärtlich an dessen
sanftgeschwungenem Schlüsselbein entlang küsste als müsse er auf
der Stelle sterben, wenn er Shinju nicht zeigte, wie viel jener dem
schwarzhaarigen Vampir bedeutete.
Sich nach jedem Zentimeter der blassweichen Haut verzehrend,
fuhr er den schlanken Hals hinauf, ritzte leicht die Haut über der
Halsschlagader um einen einzigen Blutstropfen aufzulecken und die
Wunde sorgfältig wieder zu schließen.
Es mochte sein, dass sie das rote Leben der Menschen brauchten
um weiterhin zu existieren, doch "Shinjus" Blut war noch immer das
süßeste von allen, würde es immer bleiben...
Langsam strich er mit seiner Zunge den Unterkiefer entlang und in
den linken Mundwinkel des Braunhaarigen hinein.
Ja, er war vollkommen allein gewesen, hatte in seiner Angst vor sich
selbst die Einsamkeit _gesucht_, so sehr sie auch schmerzte... und
dann hatte er den Jüngeren gefunden und zum ersten Mal in seinem
ganzen Leben hatte er seine Einsamkeit mit jemandem teilen
können...
... bis sie schließlich in ihrer Liebe zueinander ganz verschwand...
"Ich liebe dich", flüsterte Hisui dem jungen Mann mit den blauen
Perlenaugen ins Ohr und zog Shinju in einen langen, liebevoll
verlangenden Kuss.