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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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Auf der SilverStar-Ranch angekommen hopste Mamoru erst mal aus dem Auto in die flirrende, heiße Luft hinein. Es fühlte sich an wie dir sprichwörtliche Faust aufs Auge. Am liebsten hätte er sich direkt wieder in den klimatisierten Wagen gesetzt, doch dort konnte er ja schlecht ewig bleiben. Er ging also die paar Schritte zum Kofferraum, öffnete ihn und holte eine Tüte mit Lebensmitteln heraus, die er nun für seinen kleinen, persönlichen Haushalt brauchte. Er glaubte, von Ferne das leise Schnauben eines Pferdes zu hören. Unweigerlich fing er an zu grinsen. Mamoru würde sich gleich auf den Weg zur Mustang-Ranch machen. Er würde nur vorher schnell die Einkäufe forträumen.

Sein Onkel und seine Tante trugen ihre Sachen in das Haupthaus, während der junge Herr der Erde die Tür zu seinem Häuschen aufstieß. Er stellte die Tüte vorerst auf dem Tisch mitten in der Küche ab.

"Scheiße, Mann, Du has ja echt kein Bier hier, wa? Is ja 'n Beschiss."

Erschrocken drehte Mamoru sich um. Rick trat aus dem Flur und lehnte seine Schulter gegen den Türrahmen, der Küche und Flur miteinander verband.

"Rick! Teufel noch mal, erschreck mich nicht so! Mein armes Herz! ... Was tust Du überhaupt hier?"

"Dich abholen", grinste Rick. Er hatte mal wieder einen Kaugummi zwischen den Zähnen. "Ich hab Dir doch gesagt, Kleener, ich würd Dir heut 's Reiten beibringen."

"Schön und gut", antwortete Mamoru, dessen Herz sich allmählich wieder beruhigte. "Aber was tust Du hier drin? Wie bist Du hier rein gekommen?"

Der Cowboy zuckte mit den Schultern. "Du hast nich abgeschlossen."

Der Junge nickte verstehend. "In Zukunft."

Rick kaute eine Runde auf seinem Kaugummi herum und antwortete dann:

"Lass es. Weit und breit schließt hier keiner ab, und Du wirst nich der Erste sein, klar? Glaub mir, 's is praktischer, offen zu lassen. Dann biste schneller drin oder draußen."

"Ja, aber ich bin damit dummerweise nicht der Einzige", brummte Mamoru. "Ich hab keine Lust, mitten in der Nacht von einem Einbrecher aufgeschreckt zu werden. Oder noch schlimmer: von Dir."

Rick schnippte vorne von unten gegen die Hutkrempe, sodass ihm sein Cowboyhut ein wenig in den Nacken hopste. Dann sah er gemütlich dabei zu, wie Mamoru sich für jedes Ding, das er aus der Tüte holte, ein Plätzchen zum Verstauen suchte.

"Sag mal, Rick", meinte der Herr der Erde etwas spitz, "willst Du Dich nicht vielleicht ein wenig ... nützlich machen?"

"Von Wollen kann keine Rede nicht sein, wa? Worum geht's denn?"

Mamoru dachte noch einen Augenblick über Ricks doppelte Verneinung nach und tat sie dann mit einem Schulterzucken ab. Danach packte er Rick am Ärmel und schleifte ihn nach draußen, wo der Rest seiner Familie weitere Tüten aus dem Kofferraum des Wagens wuchtete. Kioku und Seigi blickten überrascht auf, als sie den Fremden sahen, den ihr Neffe im Schlepptau hatte.

"Rick", so fing Mamoru an, "das hier sind meine Tante Kioku und mein Onkel Seigi."

Rick hob zum Gruß seinen Hut etwas an und sagte: "Ma'am ... Sir ... mein Name is Rick. Ich bin drüben von der Mustang-Ranch. Freut mich!"

"Ja, ja, was auch immer", meinte Mamoru und zog Rick vollends zum Auto. "Lass Dir zeigen, welche Tüten mir sind, und dann trägst Du die rein, kapiert?"

Damit drehte er sich auch schon wieder herum und stolzierte geradewegs auf das Nebenhaus zu.

"Momentchen mal, junger Mann", rief ihm seine Tante nach. "So geht das aber nicht! Einfach den Gast hier zum Arbeiten einspannen! Wo gibt's denn so was?" Sie achtete darauf, es im schönsten Englisch zu sagen, damit besagter Gast auch mitbekam, worum es ging.

"Jepp, die Jugend von heute", pflichtete er bei und veränderte den Sitz seines Cowboyhutes ein wenig. "Faul bis zum Anschlag, wa? Kann nich einen Schlag allein tun, der Kleene."

"Ganz meine Meinung", machte Kioku wieder weiter. "Der Kurze sollte wirklich ein bisschen Eigenverantwortung tragen!"

"Tante Kioku!", beschwerte sich der Herr der Erde empört, "jetzt fall mir nicht in den Rücken!"

"Und ich dachte, ich hätte Dich zu Anstand und Manieren erzogen!", fuhr sie ungerührt fort. "Und was sehe ich jetzt hier vor mir? Einen Sklaventreiber! Jawohl! Aber, Rick, mein Lieber, Du lässt Dich doch nicht von ihm einspannen, oder?"

"Nich ohne 'n angemessenes Bitte und Danke", nickte Rick und kaute genüsslich seinen Kaugummi weiter.

Seigi hatte sich derweil eine der Einkaufstüten geschnappt um sie reinzutragen. Wie er an Mamoru vorüber ging flüsterte er leise:

"Da hinten haben sich Zwei gesucht und gefunden, was?"

"Scheint so", seufzte Mamoru völlig resigniert. "Das ist eine Verschwörung! Eine Intrige!"

Dann drehte er sich um, ließ seine Tante und seinen Nachbarn lautstark weiterlästern und fuhr damit fort, die Einkaufstüte auf seinem Küchentisch fertig auszuräumen. Nur einen winzigen Augenblick später stapfte Rick mit zwei Tüten in den Armen in die Küche, stellte sie ab und grinste.

"Ich bin ja nich so, wa?"
 

Nicht lange darauf saß Mamoru wieder auf Ricks Quarter Horse Elvis. Mit dem Gemoser und Gezeter hatte er diesmal erst gar nicht angefangen. Stattdessen nahm er sich jetzt mal die Zeit, sich die Gegend vom Sattel aus anzusehen. Gut, außer ziemlich viel Staub und vereinzelten, dürren Sträuchern gab es praktisch nichts zu sehen, aber vom Rücken eines Pferdes aus sah die Welt irgendwie ganz anders aus.

"Hier hat's schon seit ner Ewigkeit nich mehr geregnet", erklärte Rick gerade, der seinen Elvis an den Zügeln hinter sich her führte. Er richtete seinen Blick in den Himmel, wobei sein Hut wunderbar vor den hellen Sonnenstrahlen schützte.

"Sieht nich so aus, als würd sich det so flott ändern, wa? Ob Du's glaubst oder nich, aber hier kann auch alles total grün sein. Vor 'n paar Jahren hat's hier auch bisschen Schnee gegeben, is aber eher selten, wa? 'S is hier eher so ne warme Gegend. Wasses hier grad an Pflanzen gibt, is eher künstlich bewässert. Wat willste sonst tun? 'S Vieh braucht halt wat zum futtern. Ich wünsch Dir, dassde hier ma' so'n richtigen Sauregen miterlebst, dann stehen hier wahnsinns Wiesen rum. 'S is der pure Hammer."

Rick schob wieder die losen Holzbalken im Zaun zur Seite und ließ Elvis durchtreten, ehe er das Geländer wieder verschloss.

"Normalerweise", so meinte er schmunzelnd, "können unsre Gäule locker hier drüber springen. Ich hoffe, es dauert nich mehr lang, bis ich Dir det auch zumuten kann, Kleener."

"Ich heiße Mamoru", beharrte der Herr der Erde.

Rick nickte. "Schreib ich mir bei Gelegenheit auf. Weißte, den früheren Besitzer von der SilverStar-Ranch ham wer auch oft besucht. 'N netter Kerl. Leider hat er ne Menge Mist gebaut. Hatte 'n riesen Berg Schulden. Hatte ganz schön Pech. Aber 'n bisschen war er auch selbst Schuld, wa? 'S is nich gut gelaufen mit der Ranch unter seiner Verwaltung. Hat gemeint, er würd wat von seinen Verlusten wettmachen, wenn er wat vom Land verkauft. An und für sich ne gute Idee. Aber er hat's übertrieben. Er hat irgendwann so viele Stücke vom Gut verkauft, dass der Rest nich mehr gereicht hat, um echten Gewinn damit zu erzielen. Als er die jämmerlichen Reste verkauft hat, war das Land, auf dem das Haus jetzt steht, praktisch nix mehr wert, wa? Wat soll ne Ranch ohne Land? Kein Platz für Vieh, und anbauen kann man da auch nix drauf. Ich hab schon echt gedacht, da zieht nie mehr wer ein. Und dann kam so'n feiner Pinkel vorbei, so'n Fuzzi. Keine zwei Wochen später seid ihr hier. ...Seid det nur ihr drei, oder sind da noch mehr?"

"Nein, nur mein Onkel, meine Tante und ich."

"Ah, ja. Und ihr tut hier ... wat?"

"In erster Linie ... wohnen", antwortete Mamoru grinsend. "Onkel Seigi ist hier her nach Amerika versetzt worden, von seiner Firma. Besserer Job, besserer Lohn ... Du weißt schon. Ich glaube, es bedeutet ihm wirklich viel, hier zu sein. Er und Tante Kioku haben früher schon mal ein paar Jahre in den Vereinigten Staaten verbracht, allerdings in Boston, Massachusetts. Damals war ich noch ein ganz kleines Kind. Ich erinnere mich gar nicht mehr daran. Nun fängt hier für uns ein neues Leben an, wie's aussieht. Ich werde wohl bald meine neue Schule kennen lernen ... müssen."

"Große Umstellungen erfordern ne Menge Mut", stellte Rick nickend fest. Er fuhr Elvis ein wenig über die Nase. Es war nun nicht mehr weit, man konnte die Gebäude der Mustang-Ranch schon gut sehen. Schweigend führte Rick sein braunes Quarter Horse weiter.

"Rick? Sag mal, was tun eigentlich Elly und Fala hier auf der Ranch?"

"Die beiden...", Rick lachte schon beim bloßen Gedanken auf. "Haste schon gemerkt, dass die zwo Weibsen nich miteinander können? Da hat schon von Anfang an wat inner Luft gelegen. Die zwei arbeiten auf der Ranch. Falas Eltern sind schon lange tot, soweit ich weiß. Ihre blinde Großmutter wohnt in Orendaham. Fala bringt praktisch das Geld rein, damit's ihrer Grandma gut geht. Und Elly ... ich weiß nich viel über se. Anscheinend sind ihr ihre Eltern auf'n Sack gegangen. Se is zusammen mit ihrem Terra von Daheim ausgerissen. Sie wohnt bei uns, weil se sonst nix hat, wo se hin könnt. Se ruft auch nie zu Haus an oder schreibt Briefe. Muss sich schwer mit den Eltern gezofft ham, wennde mich fragst. Se hat sich inzwischen gut bei uns eingelebt, find ich, abgesehen von den Stänkereien, die se sich mit Fala leistet."

"Fala ... sie hat irgendwie was an sich, finde ich...", murmelte Mamoru nachdenklich.

"Wie meinen?", fragte der Cowboy.

"Na ja ... ich weiß nicht...", versuchte der Herr der Erde zu erklären. "Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, da hatte ich das Gefühl, irgend was an ihr sei besonders. Sie hat ... so eine..."

"Mystische Ausstrahlung?", beendete Rick den Satz ohne Mamoru dabei anzusehen.

"Ja, genau. ...Was hat es damit auf sich?"

"Det kann ich Dir so nich erklären, Kleener..."

"Ich heiße Mamoru."

"...Du musst Fala einfach kennen lernen", fuhr Rick ungerührt fort. "Ich weiß ja auch nich, wie ich's beschreiben soll. Manchmal ... kann se ... so gewisse Dinge..."

"Was?"

"Musste selber feststellen", meinte Rick mit breitem Grinsen. Er kaute weiter auf seinem Kaugummi herum, während er Elvis auf den Innenhof des Guts führte. "Absteigen."

Als Mamoru wieder auf festem Boden stand, baute sich Rick grinsend vor ihm auf.

"Links oder rechts?"

Mamoru schaute ihn verwirrt an und wartete darauf, dass noch irgend eine Zusatzinformation käme.

Doch da kam nichts.

"Was willst Du von mir?", fragte er deshalb vorsichtig.

"Such Dir wat aus, links oder rechts? Sach einfach eins davon."

"Öhm, pffft ... links."

"Okay."

Rick drehte sich herum, rief einen Mann herbei, der gerade irgendwas an der Stalltür reparierte, drückte ihm Elvis' Zügel in die Hand und gab Instruktion, das Pferd in den Stall zu bringen und sich um es zu kümmern. Dann legte er Mamoru die Hand auf die Schultern und meinte "Komm mit". Darauf schob er ihn auf das größte Gebäude der Mustang-Ranch zu.

"Wohin?"

"Du hast soeben beschlossen, dass wer hiermit anfangen", erklärte Rick. Mehr sagte er nicht dazu.

Die Beiden betraten das Haus. Drinnen war es etwas staubig und ein wenig chaotisch, aber im Großen und Ganzen sehr gemütlich. Mamoru hatte kaum Zeit, sich die Einrichtung groß anzusehen. Er wurde durch das Wohnzimmer hindurch, den Flur entlang bis in eine recht große Küche geschoben, wo eine Frau gerade Essen kochte. Im ersten Moment sah Mamoru nur ihren Rücken, über den langes, rotes Haar wallte, das einen leichten honigfarbenen Schimmer hatte.

"Mommy?", fragte Rick und die Frau drehte sich überrascht zu ihm um, obwohl das Getrampel und insbesondere Ricks klirrende Sporen an seinen Stiefeln auf dem Weg hier her eigentlich kaum zu überhören gewesen sein konnten.

Die Frau war sehr hübsch. Sie war vielleicht Anfang Vierzig. Einige Fältchen in ihrem Gesicht und der Blick aus ihren grünen, irgendwie traurigen Augen zeigten klar, dass sie es in ihrem Leben nicht unbedingt immer leicht gehabt hatte. Dennoch war da eine ungezügelte Lebenskraft, die in ihrem Lächeln verborgen lag und sich in ihren Blick eingebrannt hatte. Sie war dünn, man konnte sie fast schon als hager bezeichnen. Die Gesichtszüge waren hart und markant; das einzige, was das Ganze dann doch noch ein wenig abrundete, war die kleine, zierliche Nase in ihrem Gesicht.

"Freddy, Schätzchen, Du hast Besuch mitgebracht?"

"Nenn mich nicht Freddy und nenn mich nicht Schätzchen", knurrte Frederick. "Und det hier is der Kleene, von dem ich Dir gestern erzählt hab."

"Nenn mich nicht Kleiner", grinste der Herr der Erde. "Mein Name ist Mamoru, freut mich sehr, Misses Taylor." Er und die Frau gaben sich die Hand.

"Du kannst mich Mary nennen", stellte Freddys und Tonys Mommy sich vor. "Möchtest Du gern zum Abendessen bleiben?"

Eine Sekunde lang dachte Mamoru darüber nach. Er hatte die Wahl zwischen einem einsamen Essen, das mit viel Arbeit verbunden war und der höchstwahrscheinlich leckeren Kost dieser netten Dame in der Gesellschaft seiner neuen Freunde. Wenn er die Einladung annehmen würde, und Kioku fände heraus, dass er sich um seine Arbeit drückte, dann würde sie ihn mit Freuden einen Kopf kürzer machen.

Und er war doch schon so kurz.

"Vielen Dank für die freundliche Einladung, aber..."

"Er bleibt gern", beendete Rick den Satz grinsend.

"Aber ich..."

"Zu spät. Jetzt kannstes Dir nimmer anders überlegen, Kleener."

"Aber ich hab doch gar nicht..."

"Hau dem 'n ordentliches Stück Fleisch in de Pfanne, Mommy. Und wir hauen jetzt ab, ham noch wat zu erledigen. Bis nachher!"

Damit schob Rick Mamoru wieder nach draußen.

"Was sollte das?", zischte der Herr der Erde. "Ich darf ja wohl noch selbst entscheiden, was ich tue und was nicht!"

"Shit happens", antwortete der Cowboy.

<Scheiße passiert.>

"Why does shit always happen to me?", replizierte darauf der Herr der Erde spitz.

<Warum passiert diese Scheiße immer nur mir?>

Rick lachte darauf amüsiert.

"Kleener", sagte er, "ich glaub, wir zwei werden noch prima Freunde!"

Er bugsierte Mamoru nach draußen, wo sich inzwischen Tony und Fala vor das Haus gesetzt hatten und Rick nun mit erwartungsvollen Blicken ansahen.

"Ist es jetzt soweit?", fragte Tony, und eine gewisse Spannung schwang in ihrer Stimme mit.

"Jepp", antwortete Rick, "es is soweit."

"Was ist wie weit?", fragte Mamoru skeptisch. Irgendwie spürte er, was auch immer jetzt kommen mochte, es würde ihm nicht gefallen.

Rick, der ihm ein paar Schritte voraus gelaufen war, blieb nun stehen, drehte sich um und legte seine Hände auf Mamorus Schultern.

"Du erinnerst Dich an vorhin, Kleener? Die Sache mit links oder rechts?"

"Ich heiße Mamoru. Und klar erinnere ich mich. Was weiter?"

Rick grinste. "Jetzt kommt rechts. Folge mir."

Er stapfte breitbeinig und mit klirrenden Sporen voraus, Mamoru hinterdrein, und in kurzem Abstand folgten auch Tony und Fala, die vom Boden aufgestanden waren. Tony grinste von einem Ohr zum andren. Gemeinsam gingen die vier in den Stall. Rick führte den jungen Herrn der Erde die Stallgasse entlang bis zu einer Box etwa in der Mitte.

Und mit den Worten "Guck, da!" zeigte er in die Box hinein, wo ein kleineres Pferd drin stand. Das Fell war irgendwie beigefarben, Mähne und Schweif waren weißblond. Um den Hals des Tieres war eine fette blaue Schleife gebunden. Das Pferd hob den Kopf an, richtete seine Ohren nach vorne und schnaubte leise.

"Ähm", machte Mamoru mangels eines besseren Kommentars. "Das ist ... ein Pferd."

"Um genau zu sein", führte Rick aus, "isser mit seiner Größe von nem Meter zweiundvierzig kein Pferd, sondern 'n Pony, obwohl er von den Proportionen her eher als Pferd angesehen werden könnte. Er ist ein Galiceno. Sein Name lautet Hyperion und er is'n Wallach."

"...ein...", stammelte Mamoru fragend.

"Ein kastrierter Hengst", antwortete Tony wie aus der Pistole geschossen. "Das macht ihn ruhiger im Vergleich zu anderen Hengsten."

"Der Arme", murmelte er.

"War mir klar, dass Du das so siehst", antwortete Antonia grinsend.

"Geh doch mal zu ihm", bot Rick an und öffnete die Box einen Spalt breit.

Mamoru zögerte.

Aber nur ganz kurz.

Dann trat er zu dem Falben in die Box. Er klopfte Hyperions Hals und fuhr ihm mit der Hand über die warmen, weichen Nüstern.

"Was soll die Schleife an seinem Hals?", fragte er.

Die beiden Taylors grinsten bis zum äußersten Anschlag und selbst Fala schmunzelte ein wenig. Sie war es schließlich, die ihm erklärte:

"Wir möchten gern, dass Du Hyperion reitest."

Es vergingen einige Sekunden.

Sekunden, in denen Ricks Grinsen - oh, Wunder! - sogar noch etwas breiter wurde.

Und dann brachte Mamoru schließlich hervor:

"Ich?"

Allgemeines Nicken antwortete.

"Aber ... ich kann doch ... gar nicht..."

"Deswegen bring ich's Dir heut bei, Kleener."

Mit diesen Worten stieß Rick das Tor der Box ganz auf. Dann griff er nach dem Gebilde am Kopf des Pferdes, das aus mehreren Schlaufen aus anscheinend extrem solidem Stoff bestand.

"Det hier nennt man Halfter", erklärte er. "So was trägt 'n Pferd, solang es in der Box steht. Zum einen isses gemütlich für det Tier, zum andren hat der Mensch wat zum Festhalten, wenn's drauf ankommt. Hier, halt ma'."

Mamoru gehorchte und Rick ließ das Halfter los.

"So, Kleener, und nu lauf einfach mal raus. Hyperion wird Dir schon folgen."

Gesagt, getan. Es war viel einfacher, als Mamoru zunächst befürchtet hatte. Er führte das Pferd zur Stallgasse raus und dann nach draußen vor den Stall, wo einige sehr dicke Seile mit eisernen Haken an der Hauswand befestigt waren. Rick trottete ihm gutgelaunt nach und Fala suchte sich bald wieder ein gemütliches Plätzchen etwas abseits, wo sie sich niederließ.

Und während Rick Mamoru zeigte, wie der das Pferd richtig an einem der Seile festzumachen hatte, führte Tony Elvis nach draußen und band ihn ein Stück neben Hyperion fest. Dann setzte sie sich auch neben Fala.

"Okay, Kleener", meinte Rick und entfernte zunächst einmal die Schleife vom Hals des Pferdes. Dass der Herr der Erde wieder einwarf, sein Name sei Mamoru, überhörte er geflissentlich. "Nu könn wer mit'm Unterricht anfangen, wa? Also, ma' sehn. Det Ganze nennt sich <Pferd>. ...Oder <Gaul> ... manchmal auch <oller Klepper>, aber det tut hier jetzt nich zur Sache..."

"Rick", meinte Mamoru in versöhnlichem Ton und klopfte seinem Freund auf die Schulter, "wenn Du grad irgend ein Problem hast, dann sag das ruhig. Wir können über alles reden, wenn es Dir danach besser geht..."

Er erntete jubilierendes Lachen und frenetischen Applaus von den beiden Mädchen hinter ihm. Rick guckte einen Moment lang dumm aus der Wäsche, aber dann stimmte er in das Lachen der anderen mit ein.

"Willst nen Highspeed-Crashkurs, wa? Gut, dann komm wer nu also zu den interessanteren Teilen..."

Er zeigte Mamoru die verschiedenen Werkzeuge und Gegenstände, die beim Umgang mit Pferden wichtig sind. Er nannte die wichtigsten Begrifflichkeiten und zeigte, wie man sich um das Fell, die Hufe, und ganz allgemein um das Pferd kümmerte. Er machte es an seinem Elvis vor, und Mamoru tat es ihm an Hyperion gleich. Auf diese Weise wurden dem Quarter Horse und dem Galiceno Sattel und Trense angelegt. Elvis blieb allerdings noch für einige weitere Minuten festgebunden, während sich Mamoru schon in Hyperions Sattel schwang und lernte, die Länge der Steigbügel richtig einzustellen. Darauf folgten dann die endlosen Erklärungen, in welcher Haltung man zu sitzen hatte und welche Bewegungen seitens Mamoru was beim Pferd bewirkten.

Tony und Fala hockten daneben und sahen dem Treiben gespannt zu. Wo sie wohl anfangs das eine oder andere Missgeschick erwartet hatten, wurden sie schwer enttäuscht. Mamoru konnte Ricks Instruktionen so präzise befolgen, al hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als auf einem Pferd zu sitzen. Inzwischen waren die beiden Mädchen nur noch begeistert am staunen. Sie beobachteten das Ganze fast schon mit wissenschaftlichem Interesse. Doch im Gegensatz zu Tony, die immer mal wieder einen eigenen Kommentar abgab, blieb Fala die ganze Zeit über absolut still. Mamoru warf immer wieder kurze, prüfende Blicke in ihre Richtung. Die Art und Weise, wie sie ihn beobachtete war ... unbeschreiblich. Ihr Gesicht hatte den gleichen, taxierenden Ausdruck, wie ihre Krähe Apollo, die in den dorren Ästen eines nahe gelegenen Baumes saß und den Herrn der Erde nicht eine Sekunde aus den kleinen, intelligenten, schwarzen Augen ließ. Falas Verhalten erweckte in Mamoru fast den Eindruck, als würde sie ihn schon ewig kennen und etwas ganz Bestimmtes von ihm erwarten. Konnte das sein? Er spürte, wie ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinablief. Ihre Augen ... ihre pechschwarzen, großen Augen ... verdammt, wieso hatten sie so eine starke, magische Anziehungskraft auf ihn?

"Howdy", tönte ihnen eine Stimme entgegen. Gabriel kam angeschossen, mit Elly auf dem Rücken, Terra im Schlepptau und eine riesige Staubwolke hinter sich herziehend. Das Mädchen ritt einen großen Bogen um die anderen herum. Ihre Bewegungen auf dem großen, dunkelbraunen Pferd waren dabei sehr weich und graziös, fast als würde sie nicht wirklich im Sattel sitzen sondern eine Winzigkeit darüber hinwegschweben. Mamoru beobachtete sie fasziniert.

"Se kann reiten wie'n Engel, wa?", raunte Rick ihm grinsend zu, als hätte er den Blick des Herrn der Erde bemerkt und ein wenig überinterpretiert. Mamoru bekam darauf einen leicht rötlichen Schimmer auf den Wangen, ließ die Worte des Cowboys aber unkommentiert. In ihm ging nicht das vor, was Rick glauben mochte. Aber niemand hätte den jungen Amerikaner vom Gegenteil überzeugen können, das war klar.

Elyzabeth brachte ihren Peruanischen Paso aus dem vollen Galopp heraus zum Stehen und kurze Zeit waren alle Anwesenden in Staub eingehüllt, der unangenehm im Hals kratzte und zum Husten verlockte.

"Tut mir Leid", meinte Elly keuchend. "Ich habe wohl ein wenig übertrieben. Das nächste Mal bin ich vorsichtiger."

"Wenn mein Apollo Dich erwischt, wird es kein nächstes Mal geben", knurrte Fala so leise, dass Mamoru es gerade noch verstehen konnte. Elly allerdings schien es nicht mehr gehört zu haben.

"Hab ich was verpasst?", fragte sie und stieg von Gabriel ab. Ihr Wolf Terra hechelte mit heraushängender Zunge und hüpfte in der Gegend herum.

"Noch nich viel", erläuterte Rick. "Wer ham ja erst angefangen."

"Hey", zog Mamoru die Aufmerksamkeit des Cowboys auf sich, "willst Du aus meinem Reitunterricht ein Großereignis machen?"

"Det isses schon längst", grinste Rick.

Elyzabeth befestigte Gabriel an einem der Seile neben Elvis und hockte sich neben Tony auf den Boden. Sie lächelte selig. "Na, Rick, dann zeig mal, wie viel Potential Du als Lehrer so zu bieten hast."

So konnte der wirklich interessante Teil des Unterrichts losgehen. Die ersten paar Minuten verbrachte Mamoru im Prinzip damit, Hyperion einige Meter weit im Schritt gehen zu lassen und ihn dann wieder anzuhalten. Dann wieder ein paar Meter im Schritt und wieder anhalten. Gehen - anhalten - gehen - anhalten. Rick ließ ihm eine Menge Zeit, sich mit Hyperion anzufreunden. Er baute aus einigen Eimern einen kleinen Slalomkurs auf, oder er ließ den Herrn der Erde das Auf- und Absitzen üben, und er korrigierte hin und wieder Mamorus Haltung, wobei Tony lachend einwarf, Rick würde sich selbst nicht annährend daran halten, sondern immer so gemütlich auf seinem Elvis hocken wie auf einem Fernsehsessel.

Irgendwann traute Rick seinem Schüler dann auch das Traben, später sogar den Galopp zu. Er habe gar nicht erwartet, so viel Talent vorzufinden, gestand er Mamoru gegenüber anerkennend. Der Angesprochene grinste daraufhin wie ein Schneekönig. Er hätte selbst nie erwartet, ein solches Händchen für Pferde und fürs Reiten zu haben, aber dennoch war es so. Schon irgendwie eigenartig.

Praktisch als eine Art Abschluss machten Mamoru auf Hyperion, Rick auf Elvis und Elly auf Gabriel noch einen kurzen Abstecher in die Wildnis. Genaugenommen entfernten sie sich nur für eine Viertelstunde aus der unmittelbaren Nähe der Gebäude der Mustang-Ranch, aber für Mamoru war dies schon ein kleiner Riesenerfolg. Sie kamen pünktlich wieder auf den Hof zurück um Ricks Mutter Mary zu hören, die zum Abendessen rief. Doch zuvor musste <der Kleene> noch eine sehr wichtige Regel lernen:

Zuerst wird das Pferd versorgt, und dann der Reiter.
 


 

[Nachwort des Autors]
 

Tut mir ehrlich Leid, dass ich letzte Woche nichts abgeliefert habe, aber um die Weihnachtszeit hatte ich einfach wahnsinnig viel um die Ohren!

;] *zwinkaa*

Ich wünsche all meinen Lesern allerdings einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Schöne Grüße!
 

Draco



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2006-04-28T09:20:55+00:00 28.04.2006 11:20
Puh...jetzt schaffe ich es endlcih wieder weiter zu lesen, wenigstens ein bischen...^^

Oh der arme kleine Mamoru *lach*, alle müssen ihn immer ärgern, er tut mir richtig leid: Mamoru zu Pferd *lach*, stell ich mir gerade vor..irgenwie sher merkwürdig...*grins*

Der Name des Pferdes gefällt mir, als du erwähnt hast das Ricks Mom rote Haare hat, habe ich zuerst an Berryl gedacht..., aber sicher bin ich mir keinesfalls, mal sehen was kommt!

War aber wieder super!^^

Lg^^
Von:  RallyVincento
2006-01-18T10:59:59+00:00 18.01.2006 11:59
hab mich tot gelacht.
"Oh mein gott ein fremder mann in meiner wohnung!" *rofl*
Rick ist der brüller^^

Wie er mamoru das reiten bei bringt ist echt toll, und natürlich ist uns klar warum mamoru so gut reiten kann.^^

ich freu mich schon auf die nächsten kapitel *knuddel*


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