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Equinox

von

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Kapitel V - Innere Stärke

Nomen est omen... der Name des Kapitels war in diesem Fall wirklich Programm, denn es zu korrigieren war auch ein Test an meiner inneren Stärke... und was für einer! Ich wusste von Anfang an, dass ich etliche Stellen so nicht stehen lassen kann und habe auch einige Stellen wirklich sehr geändert, zum Beispiel ein gewisser Perspektivenwechsel, den ich einfach komplett gestrichen habe, weil er an dieser Stelle absolut nicht tragbar war. Das war alles sooo anstrengend, und als ich es dann endlich fertig überarbeitet hatte druck ich's aus, les es mir durch und... es war furchtbar. Ohne Spaß, ich hätte bei jedem zweiten Satz heulen können, und wenn ich mich jetzt um Euphemismus bemühen wollte, würde ich wohl sagen: Das Kapitel war voll von Ellipsen, Repetitiones, Inkonnzinität und Hyperbata.

Auf Deutsch gesagt, es fehlten überall irgendwelche Nomen und Pronomina und Konjunktionen und Verben und überhaupt alles, was man eben so vergessen kann, die Syntax war allgemein eine einzige Katastrophe und ich glaube, ich habe vor lauter Schock fast einen Monat lang nicht mehr weitergearbeitet. ^^; Jetzt ist es fertig und ich habe wie geplant fünfzig Kreuze im Kalender gemacht (kein Witz!). Mir gefallen einige Stellen sogar überraschend gut... es gibt nur zwei Abschnitte, die ich wirklich hasse, aber ich verrate nicht welche, weil sich's jetzt auch nicht mehr ändern lässt. Ich bin stolz darauf, was ich noch draus gemacht habe und hoffe, dass ihr (wer eigentlich? ^^;) trotzdem weiterlest und mir ein paar Dinge nachseht. I did my very best!
 

"Nee, oder?" Auf Shinyas Gesicht trat ein Ausdruck unverhohlenen Entsetzens. "Jetzt hol aber noch mal tief Luft und dann sag mir, dass du nicht Rayo de Fugio bist! Bitte!!"

"Ich... was soll denn das nun wieder heißen? Sehe ich etwa so aus, als ob ich einen Grund hätte, zu lügen?" Der Blondschopf warf sich schwungvoll sein langes blondes Haar über die Schulter und funkelte Shinya gleichermaßen wütend und trotzig an. "Außerdem leuchtet mir sowieso nicht ein, warum ich auch nur eine einzige Sekunde meiner kostbaren Zeit an eine Konversation mit irgendwelchen obskuren und... verzeiht, heruntergekommenen Fremden verschwenden sollte! Entschuldigt vielmals, aber ich habe gewiss wichtigere Dinge zu erledigen!"

Der Katzenjunge spürte, wie sich seine Hände (die er vorsichtshalber schon mal in den Hosentaschen verstaut hatte) krampfhaft zu Fäusten ballten und wie die Nägel seiner Finger fest und wütend gegen den vergleichsweise dünnen Stoff seiner Handschuhe pressten. Doch obwohl seine Lippen langsam aber sicher vor Wut zu zittern begannen, biss er tapfer die Zähne zusammen und bemühte sich um ruhige, gleichmäßige Atemzüge. Er hatte gewiss nicht vor, noch ein weiteres Mal in Hoshis Gegenwart die Beherrschung zu verlieren - schon gar nicht vor den Augen eines derart großen Publikums!

Wenn es doch nur nicht so unglaublich verlockend gewesen wäre, jener wandelnden Arroganz einmal ganz gepflegt die adlige Fresse zu polieren.

"Mach endlich mal nen Punkt, großer Meister de Fugio, und hör mir zu statt immer nur dir selber! Wir sind nämlich grad so rein zufällig auf der Suche nach dir, also spar dir die Nummer mit dem weglaufen, ja? Ich..."

"Mich? Ihr - ich meine ihr sucht mich ?!" Rayo schüttelte den Kopf und verzog seine Lippen zu einem Lächeln, das Shinyas Weltbild vollkommen mühelos mit einem schmerzlich tiefen Riss versah. Es war nämlich eigentlich so, dass der Halbdämon bereits nach seiner ersten Begegnung mit Phil wie selbstverständlich davon ausgegangen war, eindeutig und ohne jeden Zweifel zu wissen, wie ein gnadenlos herablassendes Lächeln aussah und vor allem auch wie es sich anfühlte, mit genau so einem Lächeln bedacht zu werden. Als er nun jedoch sah, auf welch vernichtende Weise der junge Adlige seine Mundwinkel und Augenbrauen eigentlich nur geringfügig anheben konnte, da musste er sich widerwillig eingestehen, dass er ja keine Ahnung gehabt hatte.

"Nein, den einen Fisch da hinten auf dem Marktstand!", knurrte er und hätte sich dabei doch wenigstens einen flüchtig kühlen Hauch von Noctans eiskaltem Sarkasmus in der eigenen Stimme gewünscht.

"Also, das ist ja wirklich das Lächerlichste, was mir jemals in meinem ganzen Leben zu Ohren gekommen ist! Seht euch doch an - das ist absurd! Und überhaupt, da wollt ihr doch tatsächlich auf der Suche nach mir sein und dann erkennt ihr mich nicht einmal?"

"Wenn du vielleicht endlich mal..."

"Wer hat dir erlaubt, mich zu duzen?!"

"Ich sagte, wenn du vielleicht endlich mal zuhören statt immer nur ach so klug daherreden würdest, dann könnt ich's ja vielleicht auch erklären oder so, wär ja zum Beispiel ne Möglichkeit! Also... mein Name ist Shinya Trival und das sind meine... ähm... Gefährten. Gefährten deshalb, weil wir alle die gleiche, ja, Aufgabe haben, und zwar die... legendären Estrella zu suchen. Gut, das klingt jetzt irgendwie alles total abgefahren, aber das sind..."

"Du meinst doch hoffentlich nicht allen Ernstes, mir erklären zu müssen, was ein Estrella ist?!" Der Blondschopf stieß entnervt seinen Atem zwischen den Zähnen hervor und dann lächelte er wieder, wofür Shinya ihm am allerliebsten nicht nur das Gesicht mit seinen Fäusten hätte Bekanntschaft schließen lassen, sondern es besser gleich samt Kopf von den zugehörigen Schultern gerissen hätte. "Wenn ihr mich schon sucht, dann sollte euch doch wenigstens bekannt sein, dass ich selbst zu der Gruppe dieser magischen Krieger zähle?"

"Ja, und genau deshalb..."

"Und außerdem will mir nun wirklich nicht einleuchten, was an der Legende der Estrella so... so abgefahren sein sollte - bei den Götten, was für eine Ausdrucksweise ist das überhaupt?" Seine Stimme schien auf wundersame Weise bei jedem Wort noch ein klein wenig abfälliger zu klingen. "Ich habe es gewiss nicht nötig, mich von einer Gruppe dahergelaufener... nennen wir es... Reisender... belehren oder gar beleidigen zu lassen! Schon gar nicht von so etwas... etwas... was um alles in der Welt bist du eigentlich?!"

"Zum Glück nicht so aufgeblasenes arrogantes Ar... ach, vergiss es doch!"

Shinya sah seine Beherrschung langsam aber sicher mit dem Meereswind von dannen wehen, doch ein strafender Ellbogenstoß seiner dunkelhaarigen Freundin riet ihm unsanft zu einem Waffenwechsel, sodass er den jungen Adligen lieber mit Blicken als mit Worten zu erdolchen beschloss. Er bemühte sich um einen sachlich distanzierten Tonfall, konnte es sich jedoch nicht nehmen lassen, ab und an mit der Zunge über seine spitzen Eckzähne zu streifen.

"Jedenfalls sind wir ganz bestimmt nich hier, weil wir dich so unheimlich sympathisch finden, also mach mal bloß nich einen auf was Besseres, nur weil du..."

"Was Shinya damit sagen möchte", fiel ihm Hoshi ins Wort und trat mit einer fließenden Bewegung zwischen den Katzenjungen und den mittlerweile überaus ungeduldig dreinblickenden Blondschopf, "ist, dass wir eigentlich nicht hergekommen sind, um uns mit dir zu streiten."

"Hoshi, das wollte ich überhaupt nicht sa..."

"Ist gut, Shinya, ich weiß, dass du niemanden beleidigen wolltest!" Das Mädchen zauberte sich ein ungemein verlegenes Lächeln auf die Lippen, das man beinahe schon wieder für aufrichtig hätte halten können, und deutete eine überraschend elegante Verneigung in Richtung des jungen Adligen an. "Wie ja bereits... im Laufe des Gesprächs angedeutet worden ist, wir sind ebenfalls Estrella und das ist letztlich auch der Grund unseres Kommens."

"Estrella? Ihr?" Rayos kritisch herablassender Blick brachte Shinya endgültig zum Schweigen, und zwar ganz einfach deshalb, weil ihm mit einem Mal nur noch Dinge einfielen, die er in Mistys Anwesenheit niemals guten Gewissen über die Lippen gebracht hätte. Aber da Hoshi ja ohnehin schon das Ruder übernommen und ihr... Gespräch auf einen wohl nur ihr allein bekannten Kurs gelenkt hatte, machte das sowieso keinen großen Unterschied mehr, und so übte sich der Katzenjunge lieber darin, Noctans Blicke mit seinen eigenen an Temperatur noch zu untertreffen.

"So ist es", nickte die Dunkelhaarige und lächelte. "Wir kommen vom Festland, aber es dürfte dir ja gewiss nicht unbekannt sein, dass dein Ruf dir auch bis dorthin vorausgeeilt ist. Ich weiß ja, dass wir nur eine... sehr kleine und leider auch äußerst bescheidene Gruppe sind und nicht wie große Krieger aussehen mögen, aber gerade deshalb sind wir auf deine Unterstützung angewiesen. Es wäre uns eine große Ehre, wenn wir uns dir anschließen könnten!"

Shinya hörte, wie Misty neben ihm leise zu kichern begann, und auch seine Stimmung hätte plötzlicher gar nicht umschlagen können. Er hätte sich seiner Freundin am liebsten vor die Füße geworfen - zum einen deshalb, weil Hoshis unfassbare Wortgewandtheit ihn sowieso beinahe umhaute, und zum anderen, weil ihn der Ausdruck auf Rayos Gesicht nun kein bisschen mehr erzürnte, sondern im Gegenteil ganz ungemein erheiterte. Der junge Adelige schien nämlich tatsächlich der Einzige zu sein, der das spöttische Blitzen in den dunklen Augen der Lichtmagierin schlichtweg nicht bemerkte.

"Hm..." Rayo blinzelte das Mädchen unschlüssig an. "So ist das also... nun ja, ich muss gestehen, dass ich mir die übrigen Estrella... doch ein klein wenig anders vorgestellt habe. Aber es lässt sich wohl nicht ändern, und in Anbetracht der Tatsache, dass nur ein Bruchteil des - verzeiht mir den Ausdruck - gewöhnlichen Volkes überhaupt etwas von den großen magischen Kriegern weiß, scheint ihr wohl die Wahrheit zu sagen..."

"Hey - sehn wir so aus, als würden wir dich anlügen?", grinste Shinya so gefällig und... schleimig er nur irgendwie konnte. Auch wenn er sich dabei doch ein kleines bisschen so fühlte wie ein Auktionär, der mit Schweiß und Tränen und mit seinem eigenen kostbaren Herzblut wie besessen um die Ersteigerung einer unangenehmen Hautkrankheit kämpfte, denn nicht mehr und nicht weniger erstrebenswert erschien ihm auch die zweifelhafte Ehre, von nun an mit einem gewissen Feuermagier im Schlepptau durch die Lande ziehen zu dürfen.

Nun war es aber leider Gottes so, dass Shinya keine Wahl und sie ganz allgemein auch überhaupt keine Zeit für lange Diskussionen und überflüssige Streitigkeiten hatten, so sehr ihm dieser Gedanke auch widerstrebte. Es mochte daran liegen, dass er als Bruchteil des gewöhnlichen Volkes mit seinem beschränkten Verstand ganz einfach nicht angemessen zu schätzen wusste, was für ein unglaubliches Geschenk ihm die Götter da in Form eines sterbensarroganten Blaublütigen buchstäblich vor die Füße geworfen hatten. Aber bei aller Dankbarkeit über den raschen Fund konnte der Katzenjunge sich doch nicht ganz der brennenden Frage erwehren, warum ausgerechnet er immer wieder mit dem - vorsichtig ausgedrückt - doch etwas schwierigeren Teil der Estrella beglückt wurde.

Wahrscheinlich, versuchte er sich Gedanken wenig erfolgreich zu trösten, lag das gar nicht mal so sehr an seinem eigenen Pech, sondern ganz einfach nur daran, dass sein alter Freund Phil seit jeher vom Glück verfolgt wurde wie andere Menschen von Pest und Cholera und den Steuereintreibern des Königs. So oder so war es verdammt noch mal nicht fair, und wäre der Spätsommerhimmel weniger blau und das Rauschen der Wellen weniger beruhigend und Hoshi weniger schlagfertig und diplomatisch geschickt gewesen, so hätte ihn diese Ungerechtigkeit sogar ganz ernsthaft verstimmen können.

"Wenn ich es so überdenke, dann könnte ich es mir doch durchaus vorstellen, dass ihr tatsächlich meine Hilfe benötigen werdet", verkündete Rayo in aufrichtig nachdenklichem Tonfall und ließ seine tiefblauen Augen prüfend über die vier gerade überhaupt erst als solche anerkannten Estrella streifen. Dann nickte er langsam und zauberte sich ein unerträglich gnädiges Lächeln auf die Lippen. "Es ist wohl doch keine so alltägliche Situation, derart vielen Estrella zu einer Gruppe vereint zu begegnen, und man sollte günstige Gelegenheiten nicht ungenutzt verstreichen lassen, oder? Und außerdem... wie soll ich sagen..."

"Ich weiß nicht", hakte Shinya vordergründig aufmunternd und hintergründig durch und durch spöttisch nach, als er bemerkte, dass der junge Adlige offensichtlich nicht von sich aus weiterzusprechen gedachte. Einen Augenblick lang sah der Katzenjunge mit tiefster Genugtuung, dass ein nervöser Schatten über das blasse Gesicht des Blondschopfes huschte, der jedoch rasch wieder von einem fast schon kindlichen Trotz verdrängt wurde.

"Außerdem habe ich sowieso nicht vor, in den Palast zurückzukehren!"

"Häh? Wie jetzt?" Shinya wackelte mit seinen Katzenohren. "Jetzt sag aber nich, du bist auch noch ausgerissen. Is nich wahr!"

"Ich bin nicht... ausgerissen!", entgegnete Rayo sichtlich empört. "Niemand kann mich dazu zwingen, dort zu bleiben! Ich kann tun und lassen, was ich möchte!"

"Ach", mischte sich Noctan mit einem kühlen Lächeln auf den Lippen in das Gespräch ein, "dann bist du also tatsächlich der wohl erste und einzige Adlige auf diesem ganzen weiten Planeten, der sich freiwillig in die Uniform eines gewöhnlichen Soldaten hüllt. Was ja auch gut zu deiner allgemeinen Bescheidenheit passt, versteht sich. Wie konnte ich nur jemals auf die Idee kommen, dass du diese Kleidung zur bloßen Tarnung entwendet hast... ich weiß es nicht."

"Ent-entwendet?", keuchte Rayo und riss seine blauen Augen weit auf. "Willst du mir damit etwa unterstellen, ich sei ein Dieb? Ich..."

Er hielt inne, mitten im Satz, und wandte mit verschränkten Armen den Blick zu Boden, und dieses plötzliche Schweigen war eigentlich schon Antwort genug.

"Das ist doch jetzt auch überhaupt nicht wichtig", fiel Hoshi lächelnd in die aufkommende Stille ein. "Du möchtest diese Insel verlassen, wir möchten diese Insel verlassen, und rein zufällig haben wir dabei auch noch dasselbe Ziel, also wo ist das Problem? Und damit wären wir schon fünf, was Phil uns erst einmal nachmachen muss, was Shinya?"

"Wo das Problem ist?" Noctans Lachen klang im Gegensatz zu dem des Mädchens weder warm noch fröhlich noch ehrlich. "Na, das nenne ich Nerven! Jetzt denkt mal scharf nach und dann sagt mir, wo genau das Problem dabei liegt, ein flüchtiges Adelssöhnchen im Gepäck zu haben, womöglich noch das einzige der Familie! Nun gut, nicht alle Menschen stört der Gedanke, die Garde am und womöglich am Ende auch noch einen Strick um den Hals zu haben - wozu sich aufregen? Mit ein bisschen Glück landen wir ja vielleicht auch nur für den Rest unseres Lebens in einem gemütlich feuchten, unterirdischen Kerkerloch. Oh, welch ein Jubel!"

"Noctan... geht es denn nicht ein einziges Mal auch ein bisschen weniger pessimistisch? Nur einmal?" Hoshi rollte seufzend mit ihren dunkelbraunen Augen. "Musst du wirklich... ach, wozu red ich eigentlich? Ist ja auch egal. Es bringt uns jedenfalls rein gar nichts, wenn wir uns jetzt noch streiten. Also, Themenwechsel. Ihr kennt unsere Aufgabe... Rayo, weißt du vielleicht etwas über die restlichen Estrella?"

Der blonde Junge zuckte mit den Schultern.

"Ich weiß leider auch nicht mehr als in den Büchern steht, verzeiht. Aber ich habe wirklich sehr viel darüber gelesen, und ich brach eigentlich auf, um eine Insel zu finden, die in etlichen Legenden und Prophezeiungen erwähnt wird. Nicht um... davonzulaufen! Ich weiß zwar nicht genau, was es ist, aber angeblich soll sich dort irgendetwas ungemein Wichtiges befinden... jedenfalls könnte es nicht schaden, sie einmal aufzusuchen, oder?"

Ein Kopf mit zwei blauen Zöpfen und großen, dunkelblau leuchtenden Augen schob sich zwischen Hoshi und Rayo.

"Heißt das, Misty und ihre Freunde fahren zu einer Insel?"

"Sieht wohl so aus", nickte Shinya nach sehr kurzem Überlegen, was ihn spontan mit dem guten Gefühl erfüllte, doch wenigstens noch irgendwie an der Entscheidungsfindung teilzuhaben. "Ich jedenfalls denk schon, dass wir dort mal hinfahren sollten, Leute. Ich glaub nämlich echt, das könnt irgendwie was werden und ein Ziel zu haben, ist doch immer besser, als keins zu haben, richtig? Wir sollten..."

"...nur auf ein vages Gerücht aus schon seit mehreren Jahrtausenden verstaubten Büchern hin zu irgendeiner Insel fahren, auf der es irgendwie irgendetwas gibt oder zumindest geben soll, das uns auf irgendeine Weise irgendwann behilflich sein könnte! Gute Idee." Noctan verdrehte die Augen. "Ja, das nenne ich Krieger! Kaum kommt so ein selbstverliebtes Adelskindchen angetrabt und lässt seine ach so überragende Bildung heraushängen, schaltet ihr dankbar euer eigenes Denk- und Urteilsvermögen ab und folgt blind und ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken seinen mehr als abstrusen Anweisungen. Bewundernswert!"

Rayo riss wieder einmal seine Augen auf, was offenbar zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte, und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Shinya ihn kurzerhand am Arm packte und den kurzen Moment der Überraschung nutzte, um ihn wenig rücksichtsvoll mit sich zu ziehen.

"Wer sagt uns denn eigentlich, dass diese Insel nicht nur in den Legenden existiert?", hörte er Noctan hinter sich unbeeindruckt weiterschimpfen. "Und natürlich wird es auch das reinste Kinderspiel sein, mit unserem... verzeiht, mit Shinyas prophetischem Gespür genau die Insel auszuwählen, die der große Sir Rayo de Fugio aus seinen altehrwürdigen Büchern ausgegraben hat, wieso auch nicht? Es gibt ja hier vor Silvanias Küste auch nur etwa tausend Inseln, die... heh?"

Ein erstaunter bis empörter Atemzug verriet Shinya, dass Noctan endlich von dem wortlosen Aufbruch seiner Gefährten Notiz genommen hatte, und er konnte es sich nicht nehmen lassen, einen kurzen, schadenfrohen Blick über die Schulter zurückzuwerfen.

"Jetzt komm endlich!", rief er dem sofort noch etwas finsterer dreinblickenden Weißhaarigen so laut wie möglich entgegen, bevor er sich bei Hoshi einhakte und lächelnd an ihrer Seite den Hafenkai hinabschlenderte.
 

"Was um alles in der Welt hat das zu bedeuten?!" Noctan erdolchte abwechselnd Shinya und Rayo mit eisig kalten und reichlich entgeisterten Blicken. "Bitte sagt mir jetzt, dass ihr euch gerade eben einen überaus schlechten Scherz erlaubt! Wir sollen... rudern?!"

"Au Prima, Misty will Boooooot fahren!", jauchzte das kleine blauhaarige Mädchen, das - ganz im Gegensatz zu Noctan - von dieser Idee sogar hellauf begeistert zu sein schien. "Das macht bestimmt ganz, ganz viel Spaß!"

Oh ja, und was für einen Spaß es mir machen wird, auf solch stilvolle Art und Weise mein Leben aufs Spiel zu setzen", grummelte der Weißhaarige, was von Rayo jedoch lediglich mit einem ungerührten Schulterzucken quittiert wurde.

"Verzeiht, aber ich sehe leider keine andere Möglichkeit, unser Ziel zu erreichen. Ich dachte nicht, dass ich extra erwähnen müsste, dass zu dieser Insel selbstverständlich keine regulären Linienschiffe fahren, und ein größeres Gefährt dürfte wohl keiner von uns angemessen zu navigieren wissen. Aber da wir ja kaum Gepäck bei uns tragen, dürften wir das Fassungsvermögen des Bootes wohl kaum überschreiten, oder? Allerdings..." Er runzelte die Stirn und warf Noctan einen kritischen Blick zu. "Ich frage mich, ob es tatsächlich so eine gute Idee ist - ohne dich kritisieren zu wollen -, eine Waffe mit an Bord eines derart kleinen Holzgefährtes zu nehmen..."

"Moment mal... was möchten Hochwohlgeboren damit andeuten?" Noctan hob langsam den Kopf und fixierte den jungen Adligen mit lauernder Feindseligkeit.

"Andeuten möcht er gar nix, glaub ich", antwortete Shinya vorsorglich an Rayos Stelle, um Schlimmeres zu verhindern. "Aber eine gewisse Logik is an dem Vorschlag wirklich nich von der Hand zu weisen. Holz und Stahl vertragen sich eben doch nich so recht, und auf so engem Raum kann das schon mal gefährlich werden, so ein Schwert..."

"Aber natürlich. Das Schwert. Das böse, böse Schwert. Wie dankbar ich euch doch bin, dass ihr mich vor dieser Gefahr errettet, oh große Helden! Falls wir mit dieser morschen kleinen Nussschale irgendwo in den tosenden Fluten des Ozeans versinken, ja, dann wird es ganz bestimmt an meinem Schwert gelegen haben."

"Noctan!"

"Nein! Hoshi, wenn du das nächste Mal das Bedürfnis verspürst, dieses vorwurfsvolle ,Noctan! Noctan!' zu rufen, dann... lass es. Bitte." Er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte der Gruppe seinen Rücken zu. "Ich kann wirklich nicht mehr sagen, was genau mich nun geritten hat, überhaupt erst mit euch zu kommen, aber gut, jeder macht Fehler und jetzt ist es leider zu spät. Aber wenn von jetzt an dieses verzogene Aristokratensöhnchen hier das Kommando übernimmt, dann ersteche ich mich an Ort und Stelle."

"Das wär vielleicht auch besser so!"

Bevor Rayo auch nur einen einzigen Laut der Empörung von sich geben konnte, trat Shinya vor ihn und riss Noctan mit einer unbeabsichtigt heftigen Bewegung an der Schulter herum. Der Weißhaarige strauchelte und gewann nur mit einiger Mühe sein Gleichgewicht zurück. Als er wieder aufblickte, lag ein zorniges Funkeln in seinen tiefvioletten Augen.

"Was soll das?!", stieß er mit einer... fast schon hasserfüllten Stimme hervor, die Shinya einen eisigen Schauer über den Rücken hinabjagte - seine Wut jedoch keinesfalls linderte.

"Halt! Genau das müsste ich dich fragen!" Der Katzenjunge wich dem vernichtenden Blick des Weißhaarigen nicht aus. "Mir reicht es langsam! Denkst du, wir schleppen dich aus reiner Sympathie und Großherzigkeit mit uns herum? Eben, dann tu aber auch nicht so. Wenn's dir nicht passt, was wir machen, dann bleib halt bitteschön einfach hier. Schon klar, Rayo ist nicht unser Anführer, aber du bist es ganz bestimmt auch nicht! Und ich habe mehr als genug davon, dass du dich so aufführst als wärst du's! Also mach, was du willst - aber dann um Gottes Willen nicht mit mir!"

Noctan antwortete lediglich mit einem noch todbringenderen Blitzen in den leicht geweiteten Augen, und so herrschte einige Sekunden lang bedrückendes Schweigen zwischen dem Rauschen des türkisblauen Meeres und dem Flattern und Kreischen der Möwen am Hafen. Dann schließlich trat Rayo nach vorne und lächelte zögerlich in die Runde.

"Ich wüsste, wo... man das Schwert abgeben kann... so... so lange bis wir wiederkommen, versteht sich... und wo es auch etwas zu Essen gibt. Ich für meinen Teil habe nämlich mittlerweile wirklich großen Hunger und ich könnte euch selbstverständlich auch einladen, ihr scheint ja nicht über sonderlich viel Geld zu verfügen. Also... kommt ihr?"

"Ich komme jedenfalls mit!" Shinya warf Noctan noch einen letzten wütenden Blick zu, dann wandte er sich hoch erhobenen Hauptes von ihm ab und ließ den Weißhaarigen allein an der Hafenmauer stehen. Die Zurückbleibenden tauschten noch einmal stumme Blicke miteinander, dann folgten sie dem Katzenjungen, bis schließlich nur noch Noctan bei ihrem kleinen Boot zurückblieb. Der Weißhaarige legte eine Hand an den Griff seines Schwertes und holte tief Luft.

Dann rollte er mit den Augen und ging dem Rest der Gruppe hinterher.
 

Trotz der sommerlichen Wärme war der Abend früh gekommen und mit ihm eine Dunkelheit, die man eigentlich gar nicht wirklich als solche bezeichnen konnte. Die Nacht wurde nämlich durch ein Meer von Sternen erleuchtet, deren silberheller Glanz mit den Lichtern der Hafenstadt um die Wette strahlte und funkelte. Der Hafenkai war von Laternen gesäumt. Aus den kleinen Fenstern der Puppenhäuser drang warmes Licht in die blaue Nacht hinaus. Die vollkommene Ruhe dieses malerischen Spiels von Licht und Schatten war ohne jeden Zweifel wunderschön, fast schon zu schön, um überhaupt noch real sein zu können, und dieser Gedanke machte Shinya bei aller Idylle doch auch ein kleines bisschen Angst.

Er wandte sich Hoshi zu, die neben ihm an der Hafenmauer stand und versunken auf das Wasser hinausblickte. Am Horizont verlor sich der Ozean in Schwärze - sofern man überhaupt noch von einem Horizont sprechen konnte, denn die Konturen von Himmel und Meer verschwammen vollständig in der Dunkelheit. Dies geschah jedoch, wie gesagt, erst in weiter Ferne, denn unmittelbar zu ihren Füßen spiegelten sich die unzähligen Lichtquellen der Hafenstadt und verwandelten so die Wasseroberfläche in einen bewegten Tanz aus Glitzern und Nachtblau.

"Ist das schön...", flüsterte die Lichtmagierin und Shinya antwortete mit einem stummen Nicken. Er wusste, dass sie jeden Augenblick aufbrechen würden und dass das zauberhafte nächtliche Städtchen nur ein unbedeutender kurzer Zwischenhalt auf dem Weg zu ihrem ganz großen Ziel war und vermutlich auch bleiben würde, und eben dieser Gedanke stimmte ihn melancholisch, wundervoll melancholisch. Vielleicht war genau das ja auch der einzige Grund, warum die junge Nacht überhaupt etwas Besonderes war.

Auf Hoshis Lippen breitete sich ein zartes Lächeln aus. Shinya wusste nicht genau, wie er den Ausdruck in ihren Augen zu verstehen hatte, er war ein bisschen verträumt und sehr zufrieden, und wieder einmal war der Katzenjunge ganz und gar überwältigt davon, wie sehr diese so dunklen Augen doch leuchten konnten. Es war nicht das erste Mal, dass es ihm so vorkam, als ob das Mädchen tatsächlich über die Gabe verfügte, sich voll und ganz in einen Moment zu stürzen und sämtliche bevorstehende oder zurückliegende Ereignisse komplett auszublenden, und Shinya konnte überhaupt nicht anders, als sie dafür aus tiefstem Herzen zu bewundern.

Auch Hoshis dunkelbraunes Haar verfügte über ein ganz besonderes und einzigartiges Talent, nämlich unvergleichlich schön und bewegt im Wind zu tanzen, der übrigens immer noch herrlich salzig schmeckte. Als das Mädchen seinen Blick bemerkte wandte sie ihren Kopf und sah ihm direkt in die Augen, und noch im selben Moment begann Shinya zu verstehen. Er verstand, dass Hoshi es nicht einfach nur gekonnt, aber dennoch krampfhaft vermied, ihre Gedanken an Gestern oder Morgen zu verschwenden, sondern dass einfach alles außer diesem einen Abend vollkommen bedeutungslos war; und zwar wirklich alles.

Die Welt war bedeutungslos und die Reise war bedeutungslos und der Wind und das Meer sowieso, im Grunde genommen war auch der Abend selbst überhaupt nicht wichtig, denn der Mond und die Sterne und auch die Lampen in den Häusern und Laternen schienen ja immerhin nicht zum ersten und schon gar nicht zum letzten Mal. Aber Hoshi lächelte und dann hob sie ihre Hand, nur ein ganz klein wenig und vielleicht - wahrscheinlich auch unbewusst, doch Shinya verstand die Geste. Er spürte, wie sein Herz weit mehr als nur ein bisschen schneller zu schlagen begann und er wusste zwar nicht genau, warum das so war, aber ehrlich gesagt wollte er auch überhaupt nicht darüber nachdenken.

Stattdessen streckte er ebenfalls seine Hand der des Mädchens entgegen, ohne dabei den Blick von Hoshis glitzernden Augen zu nehmen, denn nichts war es wert, den Blick von diesen Augen abzuwenden. Die Luft war auf gar keinen Fall kalt, aber eben doch auf angenehme Weise erfrischend kühl genug, um die nahende Körperwärme der Dunkelhaarigen sehr bald schon auf seinem Handrücken wahrzunehmen. Und obwohl Shinya sich aus irgendeinem Grund ganz furchtbar langsam bewegte - vielleicht, weil er fürchtete, die traumhafte Stimmung durch eine ganz unromantisch schnelle und plötzliche Bewegung zu zerstören -, fühlte er doch endlich Hoshis Fingerspitzen an seinen eigenen und...

"Hey, Hooooshi, Shinyaaaaa, wir brechen aaa-auuuf!"

...und dann hüpfte urplötzlich ein blauhaariges Etwas vergnügt quietschend in ihre Welt irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, die daraufhin schlagartig in sich zusammenfiel und den Katzenjungen überaus unsanft wieder in die Realität zurückversetzte. Er verzog unwillig das Gesicht und beschoss das kleine Mädchen mit einem wahrhaft tödlichen Blick, der dieses allerdings nicht sonderlich zu bekümmern schien. Pfeifend sprang sie zu dem kleinen Holzboot zurück, neben dem - in einigem Abstand zueinander - Noctan und Rayo schon sichtlich ungeduldig warteten, und Shinya kämpfte nur mit großer Mühe das brennende Verlangen nieder, die Kleine einfach bei den Schultern zu packen und möglichst weit ins Meer hinaus zu befördern.

Was aber wahrscheinlich sowieso vollkommen sinnlos gewesen wäre, denn der Zauber der Nacht war verblasst und der Wind war nicht mehr als Wind, ein bisschen kühl vielleicht noch obendrein, und auch die Reflexion der Lichter auf der Meeresoberfläche war zwar ganz unbestreitbar immer noch schön, aber eben nicht mehr als das. Außerdem war die Wärme von Hoshis Hand an seiner eigenen verschwunden und das Lächeln des Mädchens leider auch nicht mehr das, was es noch vor ein, zwei Sekunden gewesen war, und so beließ es der Katzenjunge bei einem resignierten Seufzen und schlenderte dann zu dem Rest ihrer kleinen Gruppe hin.

Rayo schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln.

"Gut, dass ihr endlich kommt! Ich war nämlich gerade dabei, euch in meine Pläne einzuweihen und möchte nur ungern noch länger warten... hört ihr mir alle zu?" Er stellte sich auf eine der Bänke im Boot, was aber eigentlich überhaupt nicht nötig gewesen wäre, um auf den Rest der Gruppe hinabzublicken. "Also, passt auf: Wir brauchen zwei Ruderer und ich dachte da an Shinya und Noctan. Ihr müsstet kräftig genug sein für diese Aufgabe. Hoshi und Misty können dann mit ihren Rudern das Boot in die richtige Richtung lenken."

"Moment mal! Hast du da nicht - im wahrsten Sinne des Wortes - eine ganz unbedeutsame Kleinigkeit vergessen?" Noctan bemaß den jungen Adeligen mit einem vernichtenden Blick. "Was ist mit dir?"

"Nun ja, ich bin schließlich immer noch der Einzige, dem der Weg zu dieser Insel bekannt ist, oder? Ich werde euch folglich die Anweisungen geben!"

"Oh welch ein Plan! Wir niederen Sklaven erledigen also die Drecksarbeit und Hochwohlgeboren de Fugio gibt uns Kommandos und schwingt die Peitsche. Alle Achtung, du verstehst wirklich etwas von fairer Arbeitsteilung!"

"Also, da muss ich Noctan doch ausnahmsweise mal Recht geben", protestierte Shinya, und seine Stimme klang ganz genau so begeistert von dem Plan des jungen Adligen, wie er es auch tatsächlich war; nämlich überhaupt nicht. "Ist's denn echt unmöglich, uns gleichzeitig... ähm... anzuweisen und uns beim Rudern zu helfen, oder so?"

"Vollkommen ausgeschlossen!" Rayo schüttelte energisch seinen Kopf. "Ein Ruderer auf jeder Seite, sonst kommt das Boot aus dem Gleichgewicht und wir kentern möglicherweise! Und..." Er warf Shinya einen eindringlichen, auf eine widerliche Weise ganz unverschämt siegessicheren Blick zu. "Und du willst doch sicherlich nicht, dass Hoshi rudern muss, oder?"

"Warum eigentlich nicht?", warf Noctan schulternzuckend ein, aber Shinya beachtete ihn nicht weiter und ließ sich mit einem ergebenen Seufzen auf eine der schmalen hölzernen Sitzbänke fallen. Er wusste plötzlich nicht mehr, wofür der Planet bei einer Armee von derart resoluten Estrella überhaupt noch einen Auserwählten brauchte.

Und vor allem war er sich langsam nicht mehr sicher, ob er wirklich noch weitere der legendären Krieger kennen lernen wollte.
 

Die Fahrt war zunächst sogar noch ungleich anstrengender, als Shinya es ja ohnehin schon befürchtet hatte. Verspielte kleine Schaumkronen tanzten auf dem schwarzblauen Ozean umher und waren zwar ohne jeden Zweifel hübsch anzusehen, konnten ihr hölzernes Gefährt aber leider auch nicht schneller voranbringen. Ein ums andere Mal musste Shinya sein Ruder in die schlafende Wasseroberfläche schlagen, um sich dann doch nur wie in Zeitlupentempo - wenn überhaupt - von den Lichtern des Hafens zu entfernen.

Der Katzenjunge hatte das Leben in seinen Armen längst schon aufgegeben, als das Festland dann endlich doch hinter der tiefblauen Scheibe des Horizonts verschwand, und es war ihm ein Rätsel, wie ihr hinreißender neuer Weggefährte auf diese Weise und vor allem in diesem Tempo überhaupt irgendeine Insel erreichen wollte, bevor die gesamte Gruppe (von ihm selbst einmal abgesehen, denn er tat ja nichts) von einem wenig rühmlichen Erschöpfungstod dahingerafft werden würde. Als dann irgendwann langsam, aber unbarmherzig die Meeresströmung von ihrem Boot Besitz ergriff, da freute Shinya sich zunächst sogar noch ebenso sehr darüber wie über den aufkommenden Wind, der ihm angenehm den verschwitzten Rücken kühlte.

Der Halbdämon war erschöpft und müde, bewegte seine Arme nur noch mechanisch in einem immer gleichen Rhythmus, und so nahm er auch gar keine rechte Notiz davon, dass der Wind nicht einfach nur sanft und erfrischend blieb und dass sich dichte grauschwarze Wolkenmauern vor dem silberblauen Nachthimmel auftürmten. Sein Blick war starr auf den schmutzig braunen Holzboden des Bootes gerichtet, der sich schleichend mehr und mehr verdunkelte, doch auch das interessierte ihn herzlich wenig. Dankbar schloss Shinya die Augen, als ihm kalte Wassertropfen ins Gesicht spritzten und seine bleierne Müdigkeit zumindest ein kleines Stück weit vertrieben. Er spürte, wie das salzige Meerwasser ihm den Schweiß von der Stirn wischte, und selbst Rayos Anweisungen schienen nun schon deutlich klarer an sein Ohr zu dringen.

Oder lag es nur daran, dass der junge Adelige zu schreien begonnen hatte?

Shinya riss ruckartig beide Augen wieder auf, und plötzlich waren all seine Sinne sogar weitaus wacher und schärfer, als es ihm lieb gewesen wäre. Der Wind schlug ihm mit der flachen Hand mitten ins Gesicht, und er war kalt, eisig kalt, durchdrungen von winzigen Wassertropfen, die sich ihm wie eisige Nadeln in die Haut bohrten. Die Wellen waren ebenso grau und glanzlos wie die bizarr geformten Sturmwolken, die den Mond und die Sterne hinter dicke Mauern sperrten und der Nacht so jegliche Helligkeit raubten. Der Katzenjunge spürte, wie ihm ein Schwall klebrig kühlen Wassers langsam über den Rücken hinablief und wie sich eine klamme Hand fest um seinen Nacken legte, als er endlich begriff, was er da eigentlich gerade mit ansehen musste.

Der Ozean war aus seinem friedlichen Schlummer erwacht.

Leider kam diese Erkenntnis zu spät, um noch irgendwie darauf zu reagieren, denn der Sturm braute sich rasend schnell über den Köpfen der jungen Estrella zusammen. Binnen weniger Augenblicke wurde das kleine Holzboot von den wütend tosenden Wellen hin- und hergeworfen wie ein welkes Blatt im Wind, und Shinya klammerte sich mehr an sein Ruder, als dass er es wirklich noch zur sinnvollen Fortbewegung des Bootes hätte benutzen können.

Das Blickfeld des Katzenjungen war getrübt von dem beißend kalten Wind und der schäumenden Gischt, aber irgendwo hinter diesem Vorhang aus Weiß und Nebel konnte er Rayos Gestalt erkennen. Shinya wusste nicht, mit welcher Kraft der junge Adlige sich aufrecht hielt und nach Leibeskräften gegen den Wind anschrie. Der Regen und das aufgepeitschte Meereswasser liefen in Strömen über seine bleiche Haut hinab, aber er gab tapfer weiter seine Kommandos und Anweisungen und versuchte das Boot in eine Richtung zu lenken, die nur ihm bekannt war.

"Wir haben Glück!", versuchte der junge Adlige mit sichtlicher Mühe und zitternder Stimme die ohrenbetäubende Sinfonie des Sturmes zu übertönen. "Die Strömung scheint uns genau in Richtung der Insel zu ziehen!"

"Warum zum Henker rudern wir dann überhaupt noch?!", brüllte Shinya nicht weniger laut zurück und musste husten, als ihm das salzige Meereswasser die Kehle hinablief.

"Wir könnten vom Kurs abkommen, wenn wir es nicht tun, und das würde unangenehme Folgen haben! Oder wir prallen auf ein Riff, und dann..."

Das Meer hatte ganz offensichtlich sogar noch schlechtere Manieren als der Halbdämon und seine Gefährten, denn es gestattete dem jungen Adligen nicht, seinen begonnenen Satz auch zu Ende zu bringen. Eine wahrhaft haushohe Welle erfasste das Boot und riss es derart vehement mit sich in die Höhe, dass es sich beinahe überschlug. Shinya spürte, wie er nun endgültig seinen eigentlich sowieso niemals wirklich existent gewesenen Halt verlor und auf das beängstigend schmale Ende des Bootes zugeschleudert wurde. Er wollte schreien, aber der Wind fuhr ihm in die Kehle und raubte ihm seinen Atem.

Eine Woge schmutzig grauen Wassers ergoss sich in das Innere ihres hölzernen Gefährtes. Der kleine Bug hob sich ruckartig an und ragte bedrohlich steil dem von bleiernen Wolken verhangenen Himmel entgegen. Shinya erkannte die Gefahr erst im allerletzten Augenblick und machte einen verzweifelten Satz nach vorne, um das Gleichgewicht des Bootes (und sein eigenes obendrein) wiederherzustellen. An und für sich keine schlechte Idee, die auch beinahe von Erfolg gekrönt wurde - aber eben leider nur beinahe.

Shinya war kaum wieder auf beiden Füßen gelandet, als auch schon eine weitere Welle gegen das Heck des Bootes prallte. Der unerwartete Ruck brachte den Halbdämon umgehend wieder ins Taumeln, und seine Hände suchten vergeblich nach Halt in der rasenden Luft. Er schwankte, stieß gegen irgendetwas Weiches und drückte sich dann mit der Kraft der Verzweiflung ein weiteres Mal von dem bereits gut und gern zehn Zentimeter tief unter Wasser stehenden Boden ab. Und tatsächlich schien das Glück nun endlich einmal auf seiner Seite zu stehen, denn Shinyas Hände bekamen die vordere Bank zu fassen und er schlug ohne Rücksicht auf Schmerzen oder Verluste seine Fingernägel tief in das feuchte Holz.

Mit einem lauten Knall grub sich das kleine Holzboot in die unstete Wasseroberfläche, und Shinya wollte gerade erleichtert aufatmen, als er wie zufällig den Kopf wandte und begriff, dass es Hoshi gewesen war, mit der er noch vor wenigen Sekunden zusammengestoßen war. Das Mädchen starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, während ihre Hände hilflos um ihren Körper ruderten und vergeblich nach einem Halt suchten, den es nicht gab und den es auch überhaupt nicht geben konnte. Eine fürchterliche Schrecksekunde lang wusste der Halbdämon mit unumstößlicher Gewissheit, dass sie fallen würde, dass sie fallen musste, und doch konnte er nichts anderes tun als ihren Blick mit ebenbürtiger Entgeisterung zu erwidern.

Dann sprang er auf und hechtete ohne große Vorsicht über das schwankende Holz und über Noctans reglosen Körper hinweg, den die Wucht der Wellen gnädigerweise in eine sichere Position zwischen den beiden Sitzbänken geschleudert hatte. Er riss seinen Arm nach oben und streckte ihn dem Mädchen so weit es ging entgegen, aber der wahnwitzige Tanz der Wellen ließ ihn ein weiteres Mal stolpern und dann war es auch schon zu spät.

"Hoshi!", schrie er, so laut er nur irgendwie konnte, aber den Wind und die Wellen und die Gesetze der Schwerkraft schien das herzlich wenig zu beeindrucken, denn schon im nächsten Moment war der Körper des Mädchens über die rückwärtige Kante des Bootes gestürzt und von den aufgepeitschten Fluten verschluckt worden. Es ging so schnell, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte. Das schwarze Meer verschlang ihren Körper, und dann schrie und tobte es weiter, als ob niemals etwas geschehen wäre.

Shinya ächzte und kroch mit zitternden Gliedmaßen durch das eisig kalte Wasser hindurch, das sich in immer größeren Mengen auf dem Boden ihres ungeschützten Gefährtes sammelte. Ganz am hinteren Ende des Bootes klammerte Misty sich verzweifelt schluchzend an die Bank, auf der sie bis vor kurzem noch gesessen war, doch der Katzenjunge konnte ihr keine größere Beachtung mehr schenken und schob sich an ihr vorbei auf die schmale hölzerne Kante zu. In Panik tasteten seine Augen die Meeresoberfläche ab, doch die war überall so zerklüftet und aufgewühlt, dass er nichts, aber auch gar nichts darin erkennen konnte.

"Hoshi! Hoshi!!", brüllte er ein ums andere Mal, doch die einzige Antwort war das Kreischen und das Donnern von Wind und Wellen, in denen eine menschliche Stimme ja förmlich ersticken musste. Er beugte sich so weit nach vorne wie das eben möglich war, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, und streckte seine Hand tief in die eisigen Fluten hinein. Ein heftiger Schauder lief ihm über den Rücken hinab, schon bei der bloßen Vorstellung davon, in diese trübe und obendrein auch noch verflucht kalte Drecksbrühe einzutauchten. Und dabei wusste er ja nicht einmal, ob Hoshi überhaupt schwimmen konnte! Wie um alles in der Welt sollte sie da...

Der Halbdämon schüttelte heftig seinen Kopf und biss die Zähne so fest aufeinander, dass es knirschte. Das Letzte, was ihm jetzt noch weiterhalf, war ein vorzeitiges Aufgeben, und so wühlte er tapfer weiter in dem schaurigen Nass des sturmgepeitschten Ozeans herum. Tapfer - aber leider auch vollkommen erfolglos. Genau genommen hätte er auch ebenso gut mit beiden Händen in der Luft herumfuchteln können, denn schon nach wenigen Augenblicken hatte er sich so sehr an die Kälte des Wassers gewöhnt, dass er eigentlich überhaupt nichts mehr spürte. Nichts als Leere, grauenhafte, vollkommene Leere, und dabei wusste er nur zu gut, dass ihm die Zeit mit rasenden Schritten davonlief.

Falls Hoshi bei dem Aufprall auf der Wasseroberfläche das Bewusstsein verloren hatte, dann war sie so oder so schon längst in den eisigen Tiefen verschwunden und es gab keinerlei Chancen mehr, sie noch zu retten. Dies war der Fall, über den Shinya nicht nachdenken wollte und auch überhaupt nicht nachdenken konnte, da er dem Mädchen sonst wohl höchstwahrscheinlich selbst mit einer eleganten Rolle vorwärts ganz spontan in die düstere See gefolgt wäre. Falls sie aber tatsächlich noch irgendwo dort unten verzweifelt strampelnd und mit angehaltenem Atem um das Überleben kämpfte, dann zählte wahrhaftig jede Sekunde, denn die Kälte musste rasch an ihren Kräften zehren und es konnte nicht mehr allzu lange dauern, bis das tobende Meer aus diesem ungleichen Kampf als Sieger hervorgehen würde.

Ein heftiges Zittern lief über Shinyas ganzen Körper - und dies lag nicht etwa nur daran, dass ihm der Wind fortlaufend eisiges Meerwasser ins Gesicht peitschte, dass seine Kleidung ihm mittlerweile nur noch als nasser Fetzen am Körper klebte und dass seine Beine nach wie vor von zu schmutzigem Nass zerflossener Kälte umspült wurden. Er sah sich einer Situation gegenüber, in der er nichts, aber auch gar nichts tun konnte außer vielleicht noch hoffen, beten und verzweifelt mit den Fingern in dem Ozean zu wühlen, der vor wenigen Augenblicken den wohl kostbarsten Menschen verschlungen hatte, dem er jemals begegnet war.

Genau an diesem Punkt geschah es, dass sich Shinyas momentan sowieso nicht mehr sonderlich klarer Verstand ganz einfach ausschaltete und er etwas tat, über das er keine einzige Sekunde lang nachdachte. Seine Zehenspitzen berührten fast schon jene schmale Grenze, hinter der seine lähmende, verzweifelte Angst enden und in nackte, kopflose Panik umschlagen würde, als sein Körper seinem Geist das Ruder aus den Händen nahm und ganz einfach handelte, ohne vorher lange bei Logik und Verstand um Rat zu fragen.

Oder anders ausgedrückt: Shinya wandte sich um und griff dann seinerseits nach einem der Ruder, die nicht hinaus in den Ozean, sondern mit irgendeinem der Insassen hinein in das Boot geschleudert worden waren. Seine klammen Finger schlossen sich so fest es nur irgendwie möglich war um das glitschig feuchte Holz, als er es in einer (für ihr schwankendes Gefährt eigentlich viel zu schwungvollen) Halbdrehung über seinen Kopf hinweg riss und dann tief in die wogende Haut des brüllenden Meeres rammte.

Er stocherte nach Links, nach Rechts und selbst tief unter ihr eigenes Gefährt, doch die einzige Kraft, die ununterbrochen an dem Ruder riss und zerrte, war die nur sehr langsam wieder abflauende Gewalt der aufgebrachten Wellen. Vor den Augen des Katzenjungen begann es zu flackern. Ein schwarzweißes Schneegestöber raste wie irrsinnig in seinem Blickfeld umher, und mit einem Mal wusste er nicht mehr, wo genau der Himmel begann und der Ozean aufhörte und was davon nun über oder unter oder neben ihm war. In seinen Schultern schienen glühende Dolche zu stecken und eine Welle von Übelkeit brach über ihn herein, die ihn um ein Haar mit sich ins Meer gerissen hätte.

Durch das Holz in seinen Fingern lief ein Ruck.

Shinya keuchte und rang nach Atem, bekam als kleines Dankeschön der Elemente jedoch lediglich einen Schwall abgestanden schmeckenden Meerwassers in den Mund gespült. Was er jedoch kaum mehr bemerkte, denn der klägliche Rest seines schwindenden Bewusstseins hatte sich wie ein tollwütiger Hundes in diesem einen schwachen Lebenszeichen festgebissen, das es vielleicht niemals wirklich gegeben hatte und wahrscheinlich auch niemals wirklich geben würde. Hustend und würgend stemmte der Katzenjunge beide Füße gegen die immer noch beunruhigend instabil aussehende Rückwand des Bootes (wie gut, dass er sie ja sowieso nicht mehr deutlich erkennen konnte...) und zog so fest er konnte an dem glitschigen Ruder.

Genau das hätte seine ganzen Pläne beinahe doch noch über den Haufen geworfen. Das Ruder war nämlich, wie gesagt, ein sogar überaus glitschiges Ruder, und so konnten die steif gefrorenen Finger des Halbdämons keinen festen Halt auf der schleimig glatten Oberfläche finden. In hilflosem Entsetzen musste er mit ansehen, wie der letzte rettende Strohhalm, an den er sich so verzweifelt geklammert hat, unaufhaltsam seinem Griff entglitt und in die ebenso tödlichen wie hungrigen Fluten gezogen wurde.

Dann lief ein weiterer Ruck durch ihr leidgeprüftes kleines Gefährt, und plötzlich tauchte ein schwarzbraun glänzender Haarschopf an der Wasseroberfläche auf. Shinya krallte sich mehr in das nasse Holz hinein, als dass er es festhielt, bis die eisige Taubheit in seinen Fingerspitzen irgendwann einem warmen, feuchtklebrigen Schmerz wich, der in diesem Augenblick aber absurderweise sogar regelrecht wohltuend war. Seine Schultern protestierten lautstark gegen die unverhältnismäßige Überbelastung (die glühenden Dolche hatten mittlerweile zu rotieren begonnen), aber all das interessierte den Katzenjungen nicht viel mehr das Heulen des Windes oder das schmutzige Grau der Sturmwolkentürme, die nach und nach in immer kleinere Fetzen gerissen wurde.

Im nächsten Moment verlor Shinya das Gleichgewicht und kippte nach hinten weg. Erstaunlicherweise landete er jedoch nicht in der schmutzig kalten Pfütze, die sich im Inneren des Bootes angesammelt hatte, sondern mehr oder weniger warm und weich, und etliche Sekunden lang war er sich vollkommen sicher, noch im Fallen gestorben zu sein. Irgendetwas Schweres und vor allem unglaublich Nasses legte sich über seine Füße, und dann hörte er aus weiter Ferne Rayos entsetzte Stimme an sein Ohr dringen:

"Shinya, geh da weg, du wirst ihn noch umbringen! Bei den Göttern, er ertrinkt!"

Noch bevor Shinya begreifen konnte, was der junge Adlige ihm da eigentlich mitteilen wollte - und ob er nun tatsächlich tot war oder nicht - kam irgendeinen Teil seines Bewusstseins zu dem Entschluss, dass dies vielleicht doch alles ein kleines bisschen zuviel auf einmal gewesen war, und sein Körper wagte es nicht zu widersprechen. Im selben Moment hörten die Wellen auf zu brüllen und der Sturm auf zu toben, selbst das kleine Holzboot schwankte nicht mehr, und was blieb war Schwärze.
 

Rauschen.

Das Erste, was Shinya bewusst wieder wahrnahm, war Rauschen. Und ein stetes, behäbiges Auf und Ab, das ihn aus irgendeinem Grund an eine alte Kinderschaukel denken ließ. Oder an eines der bunt lackierten Pferdchen, die sich zu Drehorgelmusik und fröhlichem Kinderlachen auf einem der Karussells auf dem Jahrmarkt von Haída gedreht hatten. Ganz kurz überlegte er, ob das Jenseits vielleicht doch in Wahrheit ein riesengroßer Rummelplatz war, aber dann schmeckte er das Salz der Meeresluft auf seiner Zunge und besann sich eines Besseren.

Natürlich war er nicht tot. Er saß auch nicht auf irgendeiner Schaukel und schon gar nicht auf einer zumindest in seinen Augen doch irgendwie recht morbiden Attraktion, die ihm aus Kindertagen ganz besonders gut im Gedächtnis haften geblieben war. Was er spürte war nichts anderes als der Tanz der Wellen, begleitet von ihrer tiefen, ruhigen Stimme, und überhaupt hatte eben noch ein Sturm getobt und der Wind gebrüllt und Hoshi war in die schwarzen Fluten des Meeres gestürzt und er hatte versucht, sie zu retten (vergeblich?) und bei dieser Gelegenheit scheinbar irgendjemanden umgebracht oder beinahe umgebracht und...

Und jetzt lag er dort auf dem immer noch leicht feuchten und unangenehm kühlen Boden und ließ seine Gedanken tatsächlich kreisen wie ein durchgedrehtes Kinderkarussell, anstatt einfach nur die Augen zu öffnen.

Shinya atmete tief durch - die Luft war erfrischend klar und duftete noch viel besser, als es Seeluft seiner Meinung nach ja sowieso schon tat - und zwang sich dann mit einer riesengroßen Portion Überwindung dazu, seine Augenlider langsam Millimeter um Millimeter anzuheben. Die Wärme auf seiner Haut ließ ihn hoffen, erst einmal in die Sonne zu blicken und überhaupt nichts sehen zu können, aber dieser gnädige Aufschub der möglicherweise mehr als nur bitteren Wahrheit sollte ihm nicht gewährt werden. Der Himmel war blau, wie er aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte, aber unmittelbar über ihm war es dunkel.

Was ganz einfach daran lag, dass sich jemand über ihn gebeugt hatte und so den direkten Blick auf die Sonne versperrte.

Der Katzenjunge hätte zur gleichen Sekunde weinen und jubeln können, als er geradewegs in zwei dunkle und ein klein wenig müde dreinblickende Augen sah, die in dem allerschönsten Gesicht auf dem ganzen Planeten lagen. Und die seinen Blick erwiderten, die blinzelten, die funkelten und leuchteten, obwohl Hoshi doch eigentlich mit dem Rücken zur Sonne saß und ihre Augen somit im Schatten lagen. Aber das alles war sowieso von vorne bis hinten gleichgültig, denn sie lebte, sie saß neben ihm und sie lebte, was also konnte da denn überhaupt noch irgendwie von Bedeutung sein?

"Hoshi!", rief Shinya, weil ihm nichts mehr anderes einfallen wollte, und zog das Mädchen mit einem erstaunlich kraftvollen Ruck zu sich hinab. Sie gab einen leisen, erschrockenen Laut von sich, und allein dafür hätte der Halbdämon sie an Ort und Stelle zur Frau nehmen können, wenn denn nur ein Priester zur Stelle gewesen wäre. "Du lebst! Du lebst, du lebst, du lebst, du lebst! Du... lebst doch, oder?"

"Ja, ich glaube schon", lachte die Lichtmagierin, und ihr warmer Atem kitzelte Shinyas Hals. Ihr dunkles Haar war offensichtlich von der bloßen Kraft des Windes getrocknet worden und sah nun reichlich zerzaust und unordentlich aus, aber das entstellte sie keineswegs - ganz im Gegenteil. "Und was ist mit dir?"

"Öhm... alles noch dran... denk ich..."

"Ach wirklich? Ich nicht!" Hoshi rappelte sich auf und nahm Shinyas Hand in ihre eigene. Der Katzenjunge genoss die Berührung (so wie er wahrscheinlich gerade mehr oder weniger alles, was Hoshi auch immer tun mochte, genossen hätte), begriff aber erst nach einigen Augenblicken des Schweigens, was das Mädchen ihm damit eigentlich hatte mitteilen wollen. Und bereute es gleich darauf, denn mit einem einzigen Blick auf seine Fingerkuppen kehrten auch die Schmerzen in vollem Maße wieder zurück, die er angesichts seiner überschwänglichen Wiedersehensfreude zunächst einmal erfolgreich verdrängt hatte.

Wobei ebendiese Fingerkuppen kaum noch als solche zu erkennen waren, so sehr waren sie verkrustet von frisch getrocknetem Blut. Shinya wagte es nicht, genauer nachzuzählen, wie viele seiner Fingernägel die Rettung seiner Freundin überstanden hatten - alle zehn waren es jedenfalls nicht mehr - und warf der Dunkelhaarigen stattdessen einen halb verlegenen, halb trotzigen Blick zu.

"Was hätt ich denn tun sollen? Dich ertrinken lassen?"

"Ach Unsinn!" Die Lichtmagierin lächelte nun nicht mehr, sie strahlte. Vorsichtig legte sie ihre Arme um den Hals des Katzenjungen und ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken. "Danke..."

"Oh bitte, erspart mir weitere Rührseligkeiten, bevor ich hier endgültig noch in Tränen ausbreche", trampelte Noctan reichlich unsensibel auf dem gerade erst in Shinya aufflammenden Gefühl von tiefer Glückseligkeit herum. Der Halbdämon blickte grummelnd auf und bedachte den Weißhaarigen mit einem bitterbösen Blick. Aus irgendeinem Grund hielt sich sein Mitgefühl stark in Grenzen, als er die Überreste einer Platzwunde auf dessen Stirn bemerkte, ebenso wie die Tatsache, dass Noctans Haut sogar noch ein klein wenig blasser war als gewohnt.

"Schon klar, is ja auch jetzt nich irgendwie so, als ob ich Grund zur Freude hätte... falls du überhaupt weißt, was das eigentlich ist..."

"Du kannst dich auch freuen und gleichzeitig noch gemeinnützigen Aufgaben nachkommen. Mir beim Rudern zu helfen, beispielsweise." Er rückte demonstrativ ein Stück weit zur Seite, um auf der kleinen Holzbank Platz für einen Nebenmann zu schaffen, und streckte Shinya einladend eines der reichlich mitgenommen aussehenden Ruder entgegen. Dabei wirkten seine Bewegungen keineswegs so sicher und geschmeidig, wie der Katzenjunge das von dem offenbar schon äußerst kampfeserprobten Estrella normalerweise gewohnt war. Einen Moment lang überlegte er sogar ernsthaft, ob er Noctan nicht vielleicht doch Unrecht tat - immerhin war der ja trotz allem auch nur ein Mensch und musste sich mit solch einer Wunde am Kopf nun wirklich alles andere als gut fühlen! -, kam dann aber zu dem Schluss, dass es ein wahrhaft unverzeihliches Verbrechen war, sich nicht angemessen oder gleich gar nicht über Hoshis glückliche Rettung zu freuen.

Leise grummelnd erhob er sich von seinem eigentlich gar nicht mal so unbequemen Platz auf dem mittlerweile schon deutlich weniger überfluteten Schiffsboden - und vergaß noch im nächsten Augenblick vollkommen, dass er sich ja eigentlich hatte ärgern wollen. Der Horizont war nämlich keineswegs mehr einfach nur leer und blau, sondern von einer noch recht kleinen, aber unübersehbaren Erhebung unterbrochen, die in gar nicht mal mehr so weiter Ferne aus dem Ozean emporragte. Als Shinya einen fragenden Blick in Richtung Rayo warf, lag ein äußerst zufriedenes Lächeln auf dessen Gesicht.

"Ich sagte ja bereits, dass die Strömung uns genau in die richtige Richtung gezogen hat!"

"Gibt's ja nicht...", murmelte der Katzenjunge und versuchte gleichzeitig, irgendwelche Einzelheiten an dem dunklen Schemen zu erkennen, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte.

"Gibt's ja doch", entgegnete Noctan trocken und ruderte demonstrativ noch ein klein wenig schneller, als Shinya nicht sofort in sein Tempo einfiel. "Also mach den Mund wieder zu und streng dich lieber ein bisschen an."

Die Aufregung der vergangenen Stunden lastete immer noch schwer auf seinen nach wie vor schmerzenden Schultern, und so war der Halbdämon auch ganz entschieden zu müde, um sich noch auf irgendwelche Diskussionen einzulassen. Er war eigentlich auch zu müde zum Rudern oder zum Atmen oder zu einfach allem, aber die Aussicht auf eine nahende Küste, auf einen Schlummer in sonnenwarmem Sand und vor allem auf sicheren, festen Boden unter den Füßen war einfach viel zu verlockend, um sich nicht doch wenigstens noch kurzfristig von ihr motivieren zu lassen.

Trotzdem waren da, wie gesagt, ja immer noch Shinyas Schultern, die für seinen Geschmack ein bisschen zu eifrig mit seinen geschundenen Fingern und vor allem auch mit seinen Katzenohren, die während der ganzen Fahrt doch entschieden zuviel Wasser abbekommen hatten, um die Wette schmerzten, und so kam ihm die Fahrt dann doch weitaus länger vor, als sie es wohl tatsächlich war. Seine Kleidung, die ihm klamm und merkwürdig starr am Körper klebte, machte die ganze Sache nicht unbedingt besser, doch irgendwann waren selbst die vielleicht längsten zwei Stunden seines Lebens vorüber gegangen und ihr tapferes kleines Boot wurde auf sanften Wellen dem Strand des kleinen Eilands entgegengetragen.

Der Katzenjunge nutzte die letzten noch verbleibenden Minuten ihrer Fahrt zu einer näheren Musterung ihres Zieles - oder zumindest des Teiles davon, den er von seinem Platz auf dem offenen Wasser aus erkennen konnte. Ein großer Teil der Landschaft war nämlich von dichten, schneeweißen Wolken verhangen, die sich über dem Zentrum der Insel bis hoch in den Himmel hinein auftürmten. Was sich jedoch erkennen ließ, war ganz ohne jeden Zweifel schön genug, um Shinyas Herz schon einmal vorfreudig schnell und auch deutlich höher schlagen zu lassen.

Nicht mehr weit von ihnen entfernt erstreckte sich ein lang gezogener Strand, aus dessen schneeweiß schimmerndem Sand sattgrüne Palmen wuchsen. Das Meer schlug in sanften azurblauen Wellen an die flache Küste, und die Strahlen der Mittagssonne tauchten die Wasseroberfläche in ein lebendiges Glitzern. Inmitten dieser überwältigenden Idylle stand ein kleines, blauweiß lackiertes Boot zwischen einigen besonders hohen und fransigen Palmenstämmen, ein paar Vögel flatterten hoch oben im nunmehr wolkenlos blauen Himmel umher, und...

"Ein Boot?!" Shinya war derart perplex, dass er einen Moment lang beinahe sogar das Rudern vergaß, was Noctan sofort zu einem strafenden Seitenblick veranlasste. "Also schön - verrät mir jetzt vielleicht bitte mal einer, wie da ein Boot auf die Insel kommt? Ich meine... hallo, wer ist so bescheuert und fährt bei so einem Sauwetter wie gestern auf irgendeine verlassene Insel? Der muss doch lebensmüde sein!"

Er ignorierte Hoshi, die demonstrativ grinsend in die Runde blickte, und wandte sich stattdessen Rayo zu.

"Hm...", murmelte der und neigte seinen Kopf zur Seite. "Das ist allerdings wirklich seltsam... mir war jedenfalls nicht bekannt, dass diese Insel hier bewohnt sein sollte."

"Das bedeutet dann wohl...", entgegnete Shinya und warf einen beunruhigten Blick in Richtung des paradiesischen Palmenstrandes. "Dass wir nicht als Einzige diese Insel da suchen..."

"Und dass wir dort auf gar keinen Fall alleine sein werden", fügte Hoshi hinzu, wie um seine ungute Vorahnung perfekt zu machen. Shinya schluckte und antwortete nicht mehr, und auch der Rest seiner Gefährten schien keine sonderlich große Lust auf eine lebhafte Konversation zu verspüren, jedenfalls brachten sie den Rest der Fahrt schweigend hinter sich. Was übrigens auch nicht weiter verwunderlich war, denn je näher die Insel rückte, desto schwerer fiel jeder einzelne Ruderschlag, desto heißer brannte die Sonne auf sie herab, und auch die Wellen schienen mit jeder Minute noch ein bisschen widerspenstiger zu werden.

Als das Boot dann endlich Festland statt des ewig gleichen Wellenspiels unter seinem schmalen Bug spürte, da fiel Shinya ein derart gigantischer Felsblock vom Herzen, dass er am allerliebsten laut gejubelt hätte - wenn er denn noch dazu in der Lage gewesen wäre. Im ersten Moment konnte er jedoch nicht einmal mehr aufstehen und sah nur mit müden Augen und nicht ohne einen Anflug von Eifersucht dabei zu, wie sich Hoshi als Erste von dem klebrig feuchten Holz erhob, sich ausgiebig streckte und räkelte und dann mit einem Satz in den schneeweißen Sand hüpfte

"Hach, ist das schön! Hier ließe es sich gut noch eine ganze Weile aushalten, was?"

"Ich habe jedenfalls fürchterlichen Hunger!", seufzte Rayo und stakste etwas ungelenk über den Rand des Bootes hinweg. "Ihr etwa nicht? Dann seid froh, dass ich daran gedacht habe, den Proviant auch sicher und wasserdicht zu verpacken!"

"Wir werden ewig in Eurer Schuld stehen, Hochwohlgeboren!", grummelte Noctan und griff nach einem der gut verschnürten Beutelchen.

"Beachte ihn gar nicht, Rayo, die Idee war super!", versicherte Hoshi hastig und machte sich daran, auch die restlichen Beutel auszupacken. Der Anblick der kleinen Köstlichkeiten, die unter den schützenden Hüllen zum Vorschein kamen, war derart verlockend, dass auch Shinya sich endlich dazu aufraffen konnte, langsam und umständlich den qualvollen Abstieg aus ihrem hölzernen Gefährt auf das bezaubernd schöne Festland in Angriff zu nehmen. Der weiße Sand empfing ihn mit einer wundervollen Wärme, ganz so, als ob er die sanften Sonnenstrahlen tatsächlich einfach in sich aufnehmen und festhalten könnte, und ein wohliger Seufzer stahl sich über die Lippen des Katzenjungen.

Das Meer rauschte sanft und im Halbschatten der Palmenblätter herrschte eine derart angenehme Wärme, dass er einfach gar nicht mehr über ihre große Aufgabe oder das nach wie vor ungelöste Rätsel des fremden kleinen Bootes nachdenken konnte. Die Anspannung ihrer im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlichen Reise fiel nun schlagartig von ihm ab, und schon nach wenigen Bissen brach eine süße, verführerische Schläfrigkeit über Shinyas Körper herein. Ohne lange nachzudenken, ließ er sich einfach an Ort und Stelle in das weiße Sandbett fallen, rollte sich zusammen und ließ dann bereitwillig den zarten Schleier des Schlafes über seine Gedanken sinken.
 

"Shinya..."

"Was...?"

Verwirrt schreckte der Katzenjunge hoch. Hatte er tatsächlich bereits geschlafen? Sein Schlummer musste jedenfalls außerordentlich tief und traumlos und obendrein noch sehr, sehr ausgiebig gewesen sein, denn als er jetzt noch reichlich orientierungslos um sich blinzelte, da fand er sich in vollkommener Finsternis wieder. Wenn es denn nun wirklich Finsternis war. Tatsächlich sah Shinya nämlich schlicht und ergreifend - überhaupt nichts, und absurderweise hätte er beim besten Willen nicht sagen können, ob dieses Nichts nun schwarz oder weiß, hell oder dunkel war.

Darüber hinaus war er allein oder konnte wenigstens niemanden sehen, der ihm noch vor wenigen Augenblicken seinen eigenen Namen ins Ohr hätte flüstern können.

"Jetzt ist es also tatsächlich so weit gekommen, Shinya... ihr steht unmittelbar vor eurer ersten Prüfung."

"Vor unserer... bitte was?!" Der Halbdämon kam mit einem Satz auf die Füße und blickte hektisch nach Links und Rechts, aber er konnte unmöglich sagen, aus welcher Richtung die merkwürdige Stimme an sein Ohr drang. "Wo... wo bin ich hier eigentlich? Das ist doch nicht mehr der Strand, oder?"

"Nein, aber das ist auch überhaupt nicht wichtig. Hör mir gut zu, Shinya: Ihr seid auf diese Insel gekommen, weil ihr eine Entscheidung treffen müsst. Jeder von euch wird - ganz auf sich allein gestellt - eine Aufgabe zu bestehen haben. Und trotzdem..." In die leise nachhallenden Worte mischte sich ein fast schon beschwörend strenger Unterton. "Es wird langsam Zeit, dass ihr endlich die Bedeutung des Wortes Zusammenhalt begreifen lernt, sonst werdet ihr niemals gegen eure Gegner bestehen können!"

Trotz aller Ratlosigkeit konnte Shinya nicht umhin, reichlich entnervt mit den Augen zu Rollen. Es stimmte ihn nicht unbedingt glücklich, an den nicht vorhandenen Gemeinschaftssinn seiner ohnehin recht bunt zusammengewürfelten Mitstreiter zu denken, zumal seine Gedanken eigentlich bei einem vollkommen anderen Thema weilten. Er hatte die Stimme, die da wieder einmal aus dem Nichts zu ihm sprach, natürlich längst schon erkannt - immerhin hatte sein ganzes merkwürdiges Abenteuer mit ihr und ihren manchmal fast schon zu wichtig klingenden Prophezeiungen ja überhaupt erst begonnen! Aber das war nicht alles... das war längst nicht alles, denn so fremdartig ihm die körperlose Stimme zunächst erschienen war, so war er sich doch mittlerweile vollkommen sicher, sie schon lange, ja ganz unwahrscheinlich lange zu kennen.

Aber woher?

"Du musst wissen, dass ihr Estrella euch nicht nur mithilfe von magischen Kräften verteidigen könnt. Auf dieser Insel sollt ihr geprüft werden... soll eure innere Stärke geprüft werden, und eine unendlich kostbare Belohnung erwartet euch. Shinya, du bist der Einzige, der wissen darf, dass diese Insel ein Geheimnis hütet, also pass auf, ich werde dir helfen! Denn nur, wenn du..."

"Waaaah!!"

Von einer Sekunde auf die nächste wurde das farblose Nichts von einer eisigen und vor allem ungemein schmerzhaften Kälte in tausend Stücke gerissen. Shinya fuhr mit einem Schrei hoch und wollte die Augen entsetzt aufreißen, aber eine plötzliche stechende Helligkeit zwang ihn umgehend wieder zum Blinzeln. Verstört und vollkommen ratlos blickte der Katzenjunge um sich, ohne auch nur die winzigste Kleinigkeit zu erkennen. Dann endlich zeichneten sich in dem viel zu grellen Licht die Konturen der paradiesischen Insel ab, und Shinya begriff, dass es nichts anderes als eiskaltes Wasser war, das ihm in kleinen Strömen über den Rücken hinablief.

"Sehr witzig!", stieß er leise knurrend zwischen den Zähnen hervor. "Hoshi, Rayo, Misty, Noctan, wer immer das war, der ist des To..."

"Hallo, Shinya."

Der Katzenjunge erschauderte, als die Wassertropfen auf seiner Haut spontan noch um etliche Grade kälter wurden und der Sand unter seinem Körper zu glitzerndem Eis gefror. Diesmal kostete es ihn weniger als den Bruchteil einer einzigen Sekunde, um jene ihm leider nur allzu wohl bekannte Stimme zu identifizieren, und noch im gleichen Moment verfluchte er sich dafür.

"Du?!" Shinya warf einen vernichtenden Blick auf das Gesicht eines gewissen blonden Jungen (nicht Rayo!), der breit grinsend und breitbeinig über ihm stand, beide Hände so widerlich selbstsicher wie eh und je in die Seiten gestützt. "Phil! Was zum Henker hast... ausgerechnet du hier verloren? Machst du's jetzt deiner nächsten Verwandten, der Pest, nach und suchst harmlose Menschen heim, egal, wohin sie vor dir abhauen?"

"Nein, wie komisch du doch heute mal wieder bist! Aber wenn du's wirklich so genau wissen willst... ich und meine Estrella-Freunde haben spitzgekriegt, dass es hier für uns was Hübsches zu holen gibt."

"Spitzgekriegt?" Shinya wiederholte das Wort mit Todesverachtung in seiner Stimme. "Kann mir mal ein Mensch verraten, woher ihr das jetzt schon wieder habt?"

Phil zögerte einen Moment lang, dann zuckte er langsam mit den Schultern und grinste sogar noch ein bisschen breiter als zuvor.

"Tja... dir wird Dies Ultima aber nicht zufällig ein Begriff sein?"

"Was für'n Ding?!"

"Dies Ultima - der letzte Tag..." Der blonde Junge beugte sich ein Stück weit zu Shinya hinab und sah ihm geradewegs in die Augen. "Das ist... schon seit sehr langer Zeit ein Zusammenschluss der mächtigsten Magier des gesamten Planeten! Und soll ich dir noch was sagen? Die verfolgen rein zufällig die gleichen Ziele wie wir, hörst du? Drum helfen sie nämlich auch uns, nicht euch! Aber war ja klar, dass dir das mal wieder kein Begriff ist..."

"Also, ich würd dich ja jetzt eigentlich für komplett durchgeknallt und krank im Hirn und größenwahnsinnig und so weiter erklären", entgegnete Shinya so missmutig und abfällig er nur irgendwie konnte, während er ein gutes Stück weit von Phil wegrutschte und sich eilig aufrappelte. "Aber das Schlimme is ja, dass dein dummes Gelaber auch noch irgendwie Sinn macht. Kommt daher deine Todesmagie, oder was?"

"Was ist mit Todesmagie?" Hoshi war hinter die beiden Jungen getreten und blinzelte nun verschlafen in die Runde. Shinya war sich nicht ganz sicher, ob sie einfach noch nicht richtig wach war oder ihr Entsetzen über Phils plötzliches Auftauchen tatsächlich nur beeindruckend gut verbergen konnte, jedenfalls war der Katzenjunge doch überaus froh darüber, das Mädchen von nun an unterstützend an seiner Seite zu wissen. Auch Noctan, Rayo und Misty schienen langsam wieder lebendig zu werden, was Shinya allerdings nur sehr bedingt verwunderte. Es musste schwer sein, bei der Lautstärke ihrer Unterhaltung noch ruhig weiterzuschlafen - sofern das in Phils Gegenwart überhaupt irgendwie möglich war.

"Ach, nichts weiter Wichtiges, Hoshi. Phil verzapft nur plötzlich was davon, so mal eben mit den mächtigsten Magiern des Universums im Bunde zu sein..."

"Na, wenn's sonst nichts ist..." Hoshi rieb sich die dunklen Augen. "Aber... igitt, der ist ja wirklich da! Ich meine... gehört dir etwa dieses komische Boot?"

"Boot? Welches Boot?" Phil fuhr sich mit der rechten Hand durch sein blondes Haar, das daraufhin nur noch viel verstrubbelter nach allen Seiten abstand. "Seh ich etwa so aus als ob ich blöd genug wär, mein Boot hier mitten am Strand herumstehn zu lassen, so als Einladung und am besten noch mit nem Schild dran: Nimm mich mit?"

"Definitiv!", stellte Shinya nüchtern fest. "Aber mal abgesehen davon, diese Insel müsste eigentlich verlassen sein."

"Gleiches Recht für alle!" Phil hob wenig beeindruckt seine Schultern. "Wenn ihr da seid, wir da sind... warum nicht noch jemand anderes?"

"Vielleicht dein allmächtiger Magierclub?"

"Also nein..." Der Blondschopf verzog abfällig das Gesicht. "Shinya hat heute seinen ganz besonders witzigen Tag, man höre und staune. Sag mal, wär's vielleicht irgendwie möglich, dass du mir nicht glaubst?"

"Ich glaube nur, dass du..."

Shinya wurde von einem leisen Lachen unterbrochen, das sich irgendwo hinter ihm in das Wispern des Palmenwäldchens gemischt hatte. Erschrocken drehte er sich um - und sah eine junge Frau, die nur wenige Meter von ihnen entfernt im Schatten der Bäume stand. Und dort wahrscheinlich auch schon eine ganze Weile gestanden war, was der Katzenjunge jedoch ebenso wenig bemerkt hatte wie ihr offenbar sogar sehr leises Kommen. Dabei war die Fremde nun wirklich alles andere als eine unauffällige Erscheinung, und überhaupt wirkte sie in ihrer ganzen Umgebung derart unwirklich, dass der Katzenjunge zwei- oder dreimal hinsehen musste, um überhaupt erst glauben zu können, dass sie auch wirklich da war.

Die Frau war nicht sonderlich groß, hatte ihren zierlichen Körper jedoch in mit einem Wort beschrieben ungewöhnliche Kleidung gehüllt. Sie trug einen recht kurzen schwarzen Rock und ein silbrig weißes, eng geschnürtes Oberteil, dazu beinahe kniehohe Stiefel aus einem azurblau schimmerndem und irgendwie reichlich fremdartigen Material, über dessen genauere Beschaffenheit Shinya beim besten Willen keinerlei Aussage treffen konnte. Ihre Arme steckten fast bis zu den Schultern hinauf in nicht weniger intensiv blauen Stulpen, an denen zur Krönung dieses eigenwilligen Gesamtkunstwerks auch noch lange, bläulich transparent schimmernde und hauchdünne Stoffbahnen befestigt waren, die sanft in der warmen Meeresbrise tanzten.

Das lange Haar der Fremden war von einer tiefblauen, lebendig schimmernden Farbe und fiel ihr zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden über den Rücken hinab. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen, und auch sonst war die schöne Unbekannte von einer derart intensiven Aura des Geheimnisvollen umgeben, dass Shinya einfach gar nicht anders konnte, als davon zutiefst beeindruckt zu sein. Ihre meeresfarbenen Augen leuchteten sanft und ein bisschen spöttisch, und ganz unweigerlich drängte sich dem Katzenjungen die Frage auf, wie lang die Fremde sie wohl schon belauscht und beobachtete hatte.

"Also, das nenne ich einen Zufall!" Ihre Stimme klang ruhig, war aber gleichzeitig von einer übermütigen Heiterkeit erfüllt, die Shinya wohl bei jedem anderen Menschen ganz furchtbar aufgeregt hätte. "Ich bin auf diese Insel gekommen, um nach den magischen Kriegern zu suchen, aber dass ich gleich so viele von ihnen auf einmal finden würde, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet! Heute scheint mein Glückstag zu sein."

"Habt Ihr... hast du uns etwa... zugehört?", fragte Shinya eigentlich nur deshalb, um die Fremde bei diesen Worten empört ansehen zu können.

"Du meinst wohl, ob sie gelauscht hat", ergänzte Noctan, der es sich im Schatten einer Palme bequem gemacht hatte und an der ganzen Sache nicht im geringsten beteiligt zu sein schien. "Ja, hat sie."

Erneut gab die junge Frau ein warmes, herzliches Lachen von sich und strich sich durch den schnurgerade abgeschnittenen, etwa kinnlang zu beiden Seiten ihres Gesichts herabhängenden Pony.

"Nicht gerade sonderlich höflich, ich weiß, aber als ich das Wort Estrella hörte, da konnte ich einfach nicht anders! Außerdem könnt ihr ja nun auch nicht unbedingt behaupten, geflüstert zu haben. Genau genommen war es sogar wirklich sehr schwer, euch zu überhören." Sie lächelte entschuldigend und deutete eine Verbeugung an. "Aber da wir nun schon einmal alle hier gemeinsam versammelt sind, kann ich mich euch doch genauso gut auch anschließen, nicht wahr? Ich bin übrigens Cascada Perdido, meines Zeichens wandernde Heilerin und Estrella des Wassers!"

"Also... ich bin Shinya Trival und das sind - in dieser Reihenfolge - Hoshi, gleich neben mir, dort unter dem Baum sitzt Noctan und da hinten, das sind Misty und Rayo."

"Und ich bin Phil", nickte der blonde Junge und lächelte auf jene unnachahmlich sympathische Art und Weise, die Shinya schon seit jeher aus tiefstem Herzen an ihm gehasst hatte. Es fiel ihm sehr leicht, ein überaus boshaftes Grinsen auf seine Lippen zu zaubern, als er sich wie beiläufig wieder an seinen alten Bekannten wandte.

"Sag mal, Phil... wo hast du denn eigentlich deine... ach so mächtigen Estrella-Freunde gelassen? Die haben doch wohl nich etwa schon genug von dir?"

"Aber nicht doch!" Phil lachte kurz und hämisch auf. "Sie warten nur darauf, all deine... sympathischen Gefährten endlich einmal näher kennen zu lernen, und zwar am Eingang der legendären Höhle..."

"Häh?" Shinya gönnte dem Blondschopf den unverdienten Triumph eines ratlosen Blickes und wandte sich dann hastig in Richtung Rayo ab. "Hey, von einer legendären Höhle oder so was hast du aber nix gesagt!"

Der junge Adelige erhob sich von seinem Platz an der sanften Meeresbrandung und kam ihnen eilig entgegen. Er unterzog Phil einer kurzen, herablassend kritischen Musterung und schenkte Cascada ein höfliches Nicken, das wohl so etwas ähnliches wie eine Verneigung andeuten sollte.

"Ehrlich gesagt war mir bislang auch nichts von einer Höhle bekannt. Ich sagte doch, ich kann nur das wiedergeben, was ich in den Büchern gelesen habe." In seinen tiefblauen Augen spiegelte sich ein Kampf zwischen hochmütiger Empörung und schuldbewusster Unsicherheit, und dann machte er plötzlich einen Schritt zurück und senkte den Blick. "Es... war hoffentlich kein falscher Ratschlag, oder?"

Shinya musste lachen.

"Ach was, Rayo! Ich glaub sogar langsam, das war ne verdammt gute Idee, hierher zu kommen... nich wahr, Leute?"

"Genau", fügte Phil grinsend hinzu. "Man merkt sofort, dass sie nicht von dir stammt."

"Halt dein dummes Maul, Phil!" Shinya verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich frag mich ja eh, warum deine tollen Magierfreunde dich ausgerechnet jetzt hierher schicken mussten. Hab ich jemals erwähnt, dass du eine echte Plage bist?"

"In dem Punkt muss ich dich leider enttäuschen." Um Phils Lippen spielte ein überlegenes Lächeln. "Der Tipp kam aus ner andren Richtung. Weißt du... du bist nicht der Einzige, der hier fleißig seine Estrella gesammelt hat. Und wie der Zufall es so wollte, habe ich seit kurzem den Herren des Windes auf meiner Seite... der übrigens auf einem Schiff aufgewachsen ist und die Gegend hier kennt wie seine Westentasche!"

"Nein, wie schön für dich, oh du vom Schicksal beglückter Meister der Estrella! Aber wie wär's denn, wenn wir jetzt langsam mal zu dieser mysteriösen Höhle gehn statt ewig nur drum rumreden würden? Oder ist dir am Ende wirklich dein Gefolge davongerannt und du willst es nur nicht zugeben und..."

"...und wenn du eifersüchtig auf meinen Erfolg bist, darfst du mir das gerne sagen, liebster Shinya! Du weißt doch, ich würde mich niemals über dich lustig machen."

"Bist du dann endlich fertig?"

"Fertiger als fertig! Cascada?"

Die blauhaarige Frau musterte die jungen Estrella mit blitzenden Augen. Dann lächelte sie.

"Ja... ich denke, das könnte noch durchaus interessant werden. Phil, nicht wahr? Bring uns doch bitte zu dieser Höhle. Und auf dem Weg dorthin erklärt ihr mir am Besten, was ihr zwei nun eigentlich für Pläne habt!" Sie schenkte den beiden Jungen ein amüsiertes Zwinkern. "Aus irgendeinem Grund habe ich nämlich nicht unbedingt das Gefühl, dass ihr beide ein eingespieltes Team seid - oder irre ich mich?"
 

Ein schmaler Weg führte die jungen Estrella durch den Urwald aus Licht und grünen Schatten. Die Sonnenstrahlen bahnten sich nur hier und dort spielerisch ihren Weg zwischen Blattwerk und Lianen hindurch und die Luft war von einem steten Vogelgezwitscher erfüllt. Beinahe schien es so, als ob noch nie zuvor ein Mensch diesen ruhigen und doch noch bis zur kleinsten Wurzel hin mit Leben erfüllten Wald betreten hatte, was aber - wenn man Phils Worten tatsächlich glauben schenken durfte - natürlich überhaupt nicht möglich war. Die von farbenfroh blühenden Ranken umschlossenen Bäume bildeten eine dichte Mauer, die dann jedoch ganz plötzlich aufriss und den Blick auf eine kleine Lichtung freigab.

"So... da wären wir!"

Phil trat mit einem triumphierenden Grinsen auf den weißen Sandboden heraus, der wie ein leuchtender Flickenteppich von hohen Grasbüscheln durchwachsen war. Vögel in allen nur erdenklichen schillernden Regenbogenfarben flatterten zwischen dem Wald und einer steilen, glatten Felswand umher, die nur wenige Meter hinter dem blonden Jungen bis weit in einen dichten Ring aus Wolken emporragte. Pflanzen hatten sich wie ein grünes Spinnennetz um die silbergrau schimmernden Felsen geschlungen, die in dem Sonnenlicht glänzten wie der spiegelglatt polierte Boden eines Ballsaales. Zwei große schwarze Eingänge klafften wie alte Wunden in dem hellen Stein. In ihrer Mitte war ein kleiner Brunnen in den Fels gehauen, in dem sich türkis schimmerndes Wasser sammelte, das wie ein lebendiger Vorhang aus einer kleinen Felsspalte über das silbrige Gestein plätscherte.

Shinya war einige Augenblicke lang vollkommen überwältigt von der unwirklich ruhigen Schönheit dieses seltsamen Ortes.

"Hey, wo seid ihr denn alle? Jetzt kommt schon her!" Phils lauter Ruf scheuchte hier und dort ein paar kleine Vögel auf, verfehlte seine Wirkung jedoch keineswegs. In der Palmenwand zu ihrer Rechten begann es zu rascheln, als drei Gestalten aus dem Unterholz ins Freie traten. Ihnen voran schritt ein junger Mann mit einer schwarzen Rüstung und ebenso schwarzem Haar. Er strich sich eine Liane aus dem Gesicht und zwinkerte Shinya grinsend zu. Ihm folgte Tierra, die nicht weniger gut gelaunt aussah und mit behutsamen Bewegungen die Pflanzenwand beiseite schob. Ihre grünen Katzenaugen blitzten auf, als sie Shinya und Hoshi auf der Lichtung erblickte. Sie nickte ihnen zu, dann warf sie einen besorgten Blick über die Schulter zurück, als ihr Hintermann lautstark fluchend ins Straucheln geriet.

Der Halbdämon war jedoch viel zu entsetzt, um in die offensichtliche Wiedersehensfreude seiner alten Reisebekanntschaften mit einzustimmen. Er vergaß sogar einen Moment lang, sich über Phils zufriedenes Lächeln aufzuregen, als ihm in einer grauenhaften Sekunde des Begreifens klar wurde, wer da gerade eben zwischen den Bäumen hervorgestolpert kam.

"Hoshi... sag mir bitte, dass ich... ich meine... da ist irgendwas in diesem Urwald und davon krieg ich Halluzinationen. Oder wegen der Hitze. Irgendetwas. Bitte!!" Der Katzenjunge warf seiner Freundin einen flehenden Blick zu, den sie mit einem nur mühsam und nicht unbedingt gekonnt unterdrückten Grinsen erwiderte.

"Shinya, so was bringst auch echt nur du fertig! Hab ich nicht gesagt, dass du Estrella irgendwie anziehst? Aber dass du dich gleich mit ihnen prügeln musst..."

"Na so was - ihr kennt euch?" Phil hob zweifelnd die Augenbrauen.

"Ja, leider!", knurrte Shinya und bleckte die Zähne. "Gratuliere, da hast du ja endlich mal nen Estrella gefunden, der so richtig gut zu dir passt! Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass der überhaupt weiß, was Magie ist!"

Der rothaarige Junge warf den Kopf in den Nacken und stieß ein abfälliges Lachen hervor.

"Träum weiter, Kätzchen! Aber was für ein geiler Zufall, dass wir uns so verdammt schnell wieder übern Weg laufen! Nur dass du's weißt, ich bin Tempest O'Hara, und zum Thema Magie..."

Der Rotschopf schloss seine Augen, zog mit seiner rechten Hand eine unsichtbare, senkrechte Linie vor seinem Gesicht und stieß sie dann blitzschnell dem Katzenjungen entgegen. Der weiße Sand wurde aufgewirbelt und die Vögel stoben wie ein grellbunter Blütenschauer auseinander. Shinya blieb gerade noch Zeit, entsetzt seine Augen aufzureißen, als er im nächsten Moment auch schon von den Füßen gerissen und hilflos wie ein Blatt im Wind durch die Luft gewirbelt wurde. Der Halbdämon stieß einen Schrei aus und suchte verzweifelt nach einem rettenden Halt, doch sein unfreiwilliger Flug endete erst, als sein Rücken äußerst unsanft gegen einen der Palmenstämme prallte und er sich wenige Sekunden später im kühlen Unterholz wiederfand.

"Sag mal, geht's noch?" Hoshis Augen verdunkelten sich, während sie beide Hände in ihre Seiten rammte und bedrohlich wie eine Rachegöttin auf den grinsenden Tempest zustapfte.

"Da geht noch Einiges!", grinste der und strich sich mit beiden Händen durch sein kupferrotes Haar. "Ich wollt deinen superschlauen Freund nur schon mal kurz mit meiner Windmagie bekannt machen, ja? Ich kann's nämlich ganz verdammt nich ab, wenn man sich über mich lustig macht, alles klar, Süße!"

"Die Süße macht dich gleich auch mal mit ihrer Lichtmagie bekannt, ja?", funkelte das Mädchen ihm mit zornig geballten Fäusten entgegen. Und während Shinya noch immer hilflos gegen die unbarmherzige Umarmung der einen oder anderen Schlingpflanze ankämpfte, konnte er trotz des hellen Sonnenlichtes sogar überaus gut erkennen, dass sich ein weißes Glühen um die Finger der Dunkelhaarigen legte. Er schluckte und wurde sich wieder einmal überdeutlich bewusst, wie froh er doch war, Hoshi nicht zum Feind zu haben.

"Au cool, ne Schlägerei!", entgegnete Tempest hingegen reichlich unbeeindruckt und schlug sich mit der linken Faust in seine rechte Hand. Tierra trat hinter ihn und musterte die ihr gegenüberstehenden Gestalten mit einem übermütigen Blitzen in den grünen Augen.

"Eine Schlägerei?", wiederholte sie kopfschüttelnd und warf Tempest einen beschwörenden Blick zu. Dann jedoch lachte sie und rieb sich die Hände. "Das könnte durchaus interessant werden..."

"Ja, total interessant", grummelte Shinya aus seinem grünen Gefängnis heraus, woraufhin sich Hoshi - oh Wunder! - mit einem letzten geringschätzigen Blick von dem Rotschopf abwandte und ihm schuldbewusst entgegeneilte. Der Halbdämon begrüßte seine Freundin mit trotziger Miene und hängenden Katzenohren. "Is ja mal echt nett von euch, dass ihr nicht einfach weitersprecht und mich hier vergesst oder so... ihr doch nicht!"

"Tut mir ja leid!" Hoshi seufzte unwillig und streckte dem Halbdämon eine Hand entgegen. "Aber verdient hätte er's trotzdem..."

"Na, darauf kannst du Gift nehmen!" Shinya verzog seine Lippen zu einem schiefen Grinsen und ließ sich dankbar von dem Mädchen in die Höhe ziehen. Dann klopfte er sich erst einmal den Sand von der Kleidung und zupfte einige Grashalme aus seinem langen braunen Zopf, bevor er sich wieder dem Rotschopf zuwandte.

"Na, was is?", empfing der ihn mit kampfeslustig erhobenen Fäusten. "Habt ihr's jetzt mit der Angst bekommen oder?"

"Vielleicht besitzen wir ja auch ganz einfach nur noch ein Minimum an Stolz und Schamgefühl, das uns im Gegensatz zu gewissen anderen Personen daran hindert, hier wie kleine, beleidigte Kinder aufeinander einzuprügeln", entgegnete Noctan trocken, und Shinya wollte ihm gerade schon beinahe dankbar sein für seinen unnachahmlichen Sarkasmus, als ihn seinerseits ein finsterer Blick aus zwei tiefvioletten Augen traf. "Wenigstens manche von uns."

"Aber sonst geht's noch, Noctan?" Die helle Spitze von Shinyas dunkelbraunem Katzenschwanz begann gefährlich zu zucken. "Ich soll jetzt hier also einen auf diplomatisch machen und der darf mich gegen einen Baum werfen, ja klar!"

"Genau", erklärte der Weißhaarige seelenruhig, "und zwar weil er primitiv ist und du... nein... ich spreche lieber doch nicht weiter."

"Jetzt mach aber mal halblang!" Hoshi trat neben den Katzenjungen und funkelte nun zur Abwechslung einmal Noctan mordlüstern an. "Ich bin ja nun wirklich ein sehr friedliebender Mensch, aber alles hat Grenzen und was zuviel ist, ist zuviel!"

"Außerdem", grinste Phil siegessicher, "hätt ich rein gar nix gegen ein kleines Kräftemessen einzuwenden..."

"Ich allerdings schon", entgegnete Rayo und trat hinter dem Rest der Gruppe hervor, nur um sich hoch erhobenen Hauptes der Felswand zuzuwenden. "Und zwar, dass ich diesen ganzen Streit für ebenso kindisch wie überflüssig halte. Stattdessen könnten wir uns beispielsweise endlich einmal darüber Gedanken machen, welcher dieser beiden Eingänge hier der Richtige ist, meint ihr nicht? Oder was diese Schriftzeichen dort zu bedeuten haben."

"Schriftzeichen?" Shinya stieß Phil zur Seite und trat neben den jungen Adligen. Tatsächlich bemerkte er erst jetzt die feinen Reihen langgezogener Linien und Punkte, die neben den beiden schwarzen Löchern in den silbernen Fels gemeißelt worden waren. Die vor sehr langer Zeit in den Fels gemeißelt worden war, um genau zu sein, denn die zarten Inschriften waren beinahe schon verblasst. Der Katzenjunge fuhr mit den Fingerspitzen darüber und betrachtete ratlos die langen Kolonnen der fremdartigen Buchstaben.

"Die sind ja schön!", lachte Hoshi, während sie die Zeichen über Shinyas Schulter hinweg betrachtete. "Kaum zu glauben, dass wir das um ein Haar übersehen hätten..."

"Ihr wart ja auch beschäftigt damit, euch gegenseitig die Köpfe einzuschlagen", entgegnete Noctan, während seine violetten Augen auf dem blanken Gestein ruhten. "Weiß zufällig irgendjemand, was das hier zu bedeuten hat?"

"Davon wusste ja nicht mal ich!" Phil runzelte kritisch die Stirn. "Und klüger macht's mich, ehrlich gesagt, auch nicht. Also, was jetzt? Münze werfen?"

"Hey, wir können doch Will vorschicken!", grinste Tierra. "Und wenn er dann nach drei Tagen noch nicht zurückgekommen ist, nehmen wir den anderen Weg."

"Einverstanden!", lachte der Schwarzhaarige. "Aber nur, wenn ich dann auch den ganzen Schatz für mich behalten darf."

"Oder ihr könntet euch wenigstens ein einziges Mal daran erinnern, dass es auch gebildete Menschen in dieser Runde gibt!" Rayos Stimme klang aus irgendeinem Grund ganz furchtbar genervt, und Shinya wollte gerade zu einer entsprechenden Antwort ansetzen, als er mit einem Mal begriff, was der Blondschopf ihm wohl eigentlich hatte mitteilen wollen.

"Moment - soll das heißen, du kannst es lesen? Ähm... kannst du das vielleicht in Zukunft auch noch ein bisschen später sagen?!"

"Ihr habt mich nicht danach gefragt!"

"Nein, das haben wir wirklich nicht", antwortete Hoshi in versöhnlichem Tonfall, bevor Shinya es auf eine vollkommen andere Art und Weise tun konnte. "Aber lasst uns doch bitte nicht auch noch darüber streiten. Lies es einfach jetzt vor, in Ordnung?"

"Also gut...", seufzte der junge Adlige. "Obwohl die Worte keinen großen Sinn ergeben. Hier links, dort steht... atreya vana'in... also... das müsste soviel bedeuten wie... Stärke von innen. Oder innere Stärke. Und dort... estya na lestis... Macht des Geistes."

"Ach nein, wie kitschig!", kicherte Will. "Das haben sich bestimmt irgendwelche uralten Priester oder so ausgedacht, die sich dabei ganz unwahrscheinlich wichtig und toll vorgekommen sind! Schrecklich!"

"Nein, Will, schrecklich ist nur dein Humor." Tierra verzog die Lippen und wandte ihren Blick abwechselnd beiden Inschriften zu. "Und die Tatsache, dass ich keine Ahnung habe, was um alles in der Welt mir das jetzt sagen soll!"

"Wow, und Rayo kann das wirklich lesen?", staunte Misty.

"Natürlich kann Hochwohlgeboren das!", verkündete Noctan an dessen Stelle. "Das sind litische Runen - eine wirklich uralte Schrift, aber was am Hof nicht so alles unterrichtet wird... die wahre Essenz des Lebens!"

"Erspare mir diesen verächtlichen Tonfall! Nur, weil du wahrscheinlich nicht über eine gute Ausbildung verfügst, musst du die meinige nicht verurteilen. Immerhin hat sie uns, wie ich noch einmal betonen möchte, nun ja auch weitergeholfen, oder?"

"Darüber lässt sich streiten..." Shinya seufzte ergeben - und schlug sich im nächsten Moment mit der flachen Hand gegen die Stirn, als ihm wieder einmal auffiel, was für ein riesengroßer Vollidiot er doch eigentlich war. "Meine Fresse, bin ich blöd!"

"Wissen wir!", nickte Phil. "Wieso?"

"Na, du bist der Letzte, dem ich das jetzt sagen werde!" Der Katzenjunge reckte triumphierend das Kinn in die Höhe, dann wandte er sich von den beiden Höhlen ab und stolzierte mit wichtiger Miene auf den tiefgrünen Dschungel zu. "Kommt mal alle mit, Leute!"

"Vorsicht, geheime Versammlung!", grinste Tempest spöttisch, aber Shinya ignorierte den Rotschopf ebenso wie Wills enttäuschtes Gesicht, als er mit großen Schritten einige Meter weit in den Palmenwald hineinstapfte.

Immerhin erfüllte ihn ganz plötzlich wieder das unbeschreiblich gute Gefühl, als Einziger in ihrer großen, merkwürdigen Spielrunde einen sicheren Trumpf in den Händen zu halten.
 

"Ich gebe diesem rothaarigen Etwas ja nicht gerne Recht, aber... Shinya, findest du nicht auch, dass diese Aktion von wegen spontaner Geheimrat nicht doch irgendwie ein wenig... peinlich ist?"

"Aber natürlich, Noctan, lassen wir's bleiben und gehn auf die Lichtung zurück, Spitzenidee!" Der Katzenjunge drehte sich um und warf dem Weißhaarigen einen entnervten Blick zu. "Wir ham ja heut alle unsren netten Tag, warum sagen wir nicht einfach den Feinden, welcher Weg der richtige ist?!"

"Ach, und woher dieser plötzliche Geistesblitz? Haben irgendwelche freundlichen Stimmen zu dir geflüstert?!"

"Jetzt stell dir mal vor, genau so war's!" Der Katzenjunge ließ sich von den kritischen Blicken des Weißhaarigen nicht weiter beeindrucken und machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor er mit gesenkter Stimme fortfuhr. "Was ihr nicht wisst und was Phil nicht weiß und auch gar nicht wissen soll... ich hatte eine Vision."

"Man höre und staune", murmelte Noctan gelangweilt. "Shinya ist unter die Visionäre gegangen. Oder unter die Größenwahnsinnigen, je nachdem."

"Wie wär's wenn ihr mir - wenn du mir erst mal zuhören und danach dumm rumlabern würdest?! Ich hab das nämlich rein zufällig nicht zum ersten Mal, sonst wüsst ich auch überhaupt nicht, dass ich ein Estrella bin und so weiter, also kann's so verkehrt ja wohl nicht sein!"

"Ist ja gut!" Der Weißhaarige hob abwehrend beide Hände. "Du hattest also eine Vision, und weiter?"

"Das war grad erst vorhin, unten am Strand. Angeblich soll's auf dieser Insel irgendein Geheimnis geben, das aber nur ich kennen darf. Und wir müssen eine Prüfung... an unserer inneren Stärke bestehen. Versteht ihr? Innere Stärke!"

"Aber natürlich!" Rayos Gesicht hellte sich auf. "Das stand doch neben dem linken Eingang, erinnert ihr euch?"

"Vielen Dank für den Hinweis Rayo, darauf wäre ich nie im Leben gekommen!", entgegnete Noctan in wenig begeistertem Tonfall. "Wir sollen also eine Prüfung bestehen. Wie weiter?"

"Tja... die Stimme sagte auch, dass wir das nur schaffen können, wenn wir... wenn..."

"Wenn - was?! Sag nicht, dass du es vergessen hast!"

"Nein, das ist es nicht... es gibt da nur... ein kleines Problem..." Shinya stieß geräuschvoll die Luft zwischen seinen Zähnen hervor. "Ich hab's nicht mehr gehört, ich bin davor aufgewacht. Oder besser gesagt, aufgeweckt worden. Und zwar von Phil, der es irgendwie ganz besonders witzig fand, mir Wasser über den Rücken zu kippen."

"Also ich sage so was ja wirklich nicht oft", murmelte ausgerechnet Hoshi in jenem ganz besonderen Tonfall, den Shinya mittlerweile durchaus zu fürchten gelernt hatte, "aber ich könnte diesen... diesen... diese Person wirklich umbringen! Oder ihm zumindest sehr, sehr weh tun!"

"Hey, es hätte schlimmer kommen können!" Der Katzenjunge fand es ganz ungemein absurd, dass plötzlich er derjenige war, der seine Freundin beschwichtigen musste, und nicht mehr umgekehrt, aber er fühlte sich einfach viel zu überlegen und gut, als dass er sich diesen Augenblick des Triumphes von irgendetwas hätte trüben lassen. "Immerhin wissen wir ja, welchen Weg wir nehmen müssen und alles Weitere wird sich dann sowieso von selbst ergeben!"

"Wahrscheinlich hast du Recht..." Die Dunkelhaarige seufzte grimmig. "Aber verdient hätt er's trotzdem!"

"Meine Rede!"

"Dann sollten wir jetzt aber wirklich aufbrechen, oder?" Rayo wandte sich wieder der Lichtung zu, die beinahe vollständig hinter einer grünen Pflanzenmauer verborgen war.

"Und wie!" Der Katzenjunge stieß ein gehässiges Lachen aus und warf sich seinen Zopf über die Schulter. "Diesmal zeigen wir's ihm! Auf geht's, Leute, lasst es uns genießen..."

Shinya fühlte sich ein ganz kleines bisschen so wie einer jener sagenhaften Helden, der mit einem Drachenkopf in der einen und einer wunderschönen Prinzessin an der anderen Hand nach vollbrachter Ruhmestat in sein Heimatschloss zurückkehrte, als er sich den Weg über Wurzeln und Sträucher auf das kleine sandige Eiland inmitten des sattgrünen Ozeans erkämpfte. Eigentlich wusste er ja, dass er bislang noch wahrlich nichts, aber auch gar nichts vollbracht hatte (außer vielleicht die undurchsichtigen Worte einer gewissen rätselhaften Stimme nachzuplappern), aber er fühlte sich so unvorstellbar gut dabei, dass ihm weder Phils schleimiges Grinsen noch der Anblick seiner allerliebsten rothaarigen Reisebekanntschaft die Laune verderben konnte.

"Wir werden den linken Weg nehmen!", verkündete er mit feierlicher Stimme. "Ihr könnt von mir aus auch gerne mitkommen. Wie heißt es doch so schön? Gemeinsam ist man stark!"

"Grandiose Idee! Ich hoffe nur, dass du das nicht ernst meinst!" Phil winkte ab. "Ich wollte sowieso nach Rechts gehen. Macht des Geistes... hm... wieso nur finde ich, dass das einfach nicht zu deinem mickrigen kleinen... Haufen... passen will?"

"Was fällt diesem... diesem... also, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!" Rayo warf sich in gewohnt überheblicher Manier sein langes blondes Haar über die Schulter. "Und das, wo nicht einmal einer von euch eine simple Inschrift zu entziffern wusste!"

"Sag mal... wird Arroganz seit neustem irgendwie bezahlt und du möchtest reich werden oder was geht hier ab?"

"Arroganz?" Rayos Tonfall rutschte um gut eine halbe Oktave in die Höhe und seine helle Haut wurde sogar noch ein wenig bleicher. "Wer spielt sich denn hier groß auf, nur weil er zu meinen scheint, dass ein Pakt... dass ein simples Bündnis mit noch so mächtigen Magiern jahrelanges Training bei den besten Ausbildern des Reiches ersetzen könnte! Lächerlich!"

Phil antwortete mit einem herablassend milden Grinsen.

"Ich bin wirklich gerührt von so viel ehrenhafter... gut, verzichten wir auf das Wort Arroganz, nennen wir es... Überheblichkeit. Aber mir ist so ein schäbiges Bündnis immer noch lieber, als gar keine Magie zu besitzen, was, Shinya?"

"Ich warne dich, Phil, du solltest lieber..."

"... ruhig sein, wie wir alle übrigens!" Hoshi trat eilig in die Schusslinie der eisigen Pfeile, die der Katzenjunge mit seinen hasserfüllt blitzenden Augen zu dem Blondschopf hinüberschoss. "Ihr seid euch doch sowieso gleich wieder los, also wo ist das Problem?"

"Das einzige Problem ist", erklärte Phil in jenem oberlehrerhaften Tonfall, den er wohlgemerkt nur zu ganz besonderen Gelegenheiten hervorkramte, "dass sich ein Mensch leider nicht in zwei Hälften teilen kann. Womit sich mir ganz unweigerlich die Frage aufdrängt: Cascada, wem wirst du dich anschließen?"

Die junge Frau war die ganze Zeit über nur wenige Schritte von den Gruppen entfernt gestanden - sie hätte jedoch genauso gut auch mitten auf der Lichtung zu Shinyas Füßen sitzen können und wäre trotzdem immer noch das geblieben, was sie war, nämlich eine scheinbar vollkommen unbeteiligte Beobachterin. Sie lächelte, und dieses bloße Verziehen ihrer Mundwinkel reichte voll und ganz aus, um sie derart überlegen wirken zu lassen, dass es Shinya trotz der Wärme in ihren tiefblauen Augen kalt den Rücken hinablief.

"Na schön... wie sagtet ihr noch gleich? Phil, du und deine Freunde, ihr möchtet eine Welt ohne alles... Böse, wie ihr es nennt... ohne Dunkelheit... eine Art verheißenes Land, richtig? Ganz im Gegensatz dazu wollt ihr... sozusagen die Gegenseite... das bestehende Gleichgewicht bewahren... und zwar genau so, wie es jetzt gerade ist und mit allen Konsequenzen." Ihre Augen wanderten langsam zwischen den beiden Jungen hin und her. Schließlich blieb ihr Blick an Phil hängen. "Beides klingt vom jeweiligen Standpunkt aus gesehen durchaus vernünftig. Aber ich denke, ich habe meine Wahl getroffen. Phil..."

In die Augen des blonden Jungen trat ein Blitzen, das sie nicht weniger hell als den wolkenlos blauen Spätsommerhimmel strahlen ließ.

"Also wirst du..."

"Also werde ich mit Shinya gehen." Sie verzog ihre Lippen zu einem Lächeln, während Phils triumphierendes Grinsen langsam aber sicher zu Eis erstarrte. "Ich zweifle nicht daran, dass ihr eine nette kleine Truppe seid, mit der ich gewiss viel Spaß haben würde, aber ich kann mich schließlich, wie du schon ganz richtig bemerkt hast, nicht zweiteilen, und Shinyas Pläne erscheinen mir doch weitaus vernünftiger."

"Hat jemals einer das Gegenteil behauptet?" Der Katzenjunge schenkte Phil ein vernichtendes Lachen.

"Gewiss nicht", entgegnete ausgerechnet Rayo und stieg wohl nicht ganz ohne Hintergedanken die erste Stufe der steinernen Treppe hinab, die sich in der Dunkelheit des Felseingangs verbarg. "Aber jetzt sollten wir uns wirklich auf den Weg machen, oder? Ich würde jedenfalls gerne noch vor Einbruch der Dämmerung aufbrechen!"

"Gute Idee, sonst könntet ihr ja auch dort in der Höhle tief unter der Erdoberfläche vielleicht nicht mehr richtig sehen!" Phil gab sich keinerlei Mühe, die Enttäuschung über Cascadas Entschluss zu verbergen. Hatten Shinyas wütende Blicke kurz zuvor noch eisigen Pfeilen geglichen, so mussten die des Blondschopfes mit tödlichem Gift getränkt sein. "Wir brechen nicht sofort auf... nur für den Fall, dass du dich doch noch anders entscheiden möchtest, Cascada... woran ich übrigens nicht zweifle... wirst du uns noch bis morgen früh an dieser Stelle hier finden!"

"Danke für das Angebot. Ich werde es mir merken, doch ich glaube nicht, dass ich darauf zurückkommen muss." Die blauhaarige Magierin lachte, und wieder lag eine kindliche Freude in ihren Augen. "Aber wollten wir nicht gerade noch aufbrechen? Wie sagt man doch so schön? Mögen die Spiele beginnen!"
 

Vorsichtig stieg Shinya Stufe um Stufe der steinernen Wendeltreppe hinab - was wohlgemerkt sehr viel leichter gesagt als getan war, denn der zerklüftete graubraune Fels unter seinen Füßen war nicht nur feucht, sondern auch ganz verflucht glatt, und beides zusammen war eine wahrhaft halsbrecherische Kombination. Die Decke war niedrig - er konnte gerade noch aufrecht stehen - und mit zahllosen wachsgleichen Steinfingern übersäht, von denen kühle Wassertropfen wahlweise auf den Stein zu seinen Füßen oder auf seine Stirn, in seinen Nacken und im allerbesten Fall auf seine Katzenohren hinabstürzten.

"Hilfe, ist das rutschig! Wir sollten wirklich vorsichtig sein..." Hoshi sprach nicht laut, doch ihre Stimme wurde explosionsartig von den Wänden zurückgeworfen und hallte als düsteres Echo durch das Zwielicht des Ganges (von dem sich Shinya sowieso nicht erklären konnte, woher es denn eigentlich kam, denn sie waren längst schon viel zu tief unter der Erde, als dass die Sonnenstrahlen sie noch hätten erreichen können). Unweigerlich wurde der Katzenjunge an einen gewissen Korridor erinnert, durch den er vor so langer Zeit in jener schicksalhaften Nacht im Heim gelaufen war. Vor langer Zeit? Shinya hätte beim besten Willen nicht mehr sagen können, wie viele Tage oder Wochen tatsächlich schon seit Beginn seiner Reise vergangen waren - ihm erschien es jedenfalls wie eine halbe Ewigkeit. Er hatte doch schon so viel erlebt! Und nun sollte dies also wirklich ihre erste Prüfung sein? Es fiel ihm schwer, das zu glauben.

Shinya hatte sich in den vergangenen Tagen mehr als nur einmal gefragt, ob er nicht tatsächlich noch in seinem Bett lag, umgeben von dem ganzen menschlichen Rest der Heimkinder, schlafend, träumend... er hatte die Legenden über große Helden längst vergangener Zeiten immer schon mit besonderer Vorliebe verschlungen. Und wie wahrscheinlich jedes kleine Kind hatte auch er sich unzählige Male in wundervollen Tagträumereien verloren, in denen er fremde Länder bereist und schwierige Aufgaben gelöst und am Ende eine wunderschöne Prinzessin als wohl verdiente Belohnung zur Frau bekommen hatte.

Nun lief also Hoshi nur wenige Stufen hinter ihm und er stand auch immerhin schon mal der überaus komplexen Aufgabe gegenüber, auf den nassen Steinstufen nicht das Gleichgewicht zu verlieren und garantiert vollkommen unheldenhaft zu Tode zu stürzen. Eine geheimnisvolle Belohnung erwartete ihn obendrein, und außerdem hatte er jetzt schon mehr fantastische Orte gesehen, faszinierende Menschen getroffen und tödliche Gefahren überwunden als jemals zuvor in seinem ganzen Leben. Er seufzte leise. Der einzige Nachteil an derart schönen Träumen war für gewöhnlich, dass man irgendwann auch wieder aus ihnen erwachen musste.

"Misty hat sooo Hunger! Haben Mistys Freunde noch was zum Essen dabei?", platzte das kleine Mädchen dann auch prompt in Shinyas Gedankenwelt und ließ sich demonstrativ auf einer der Stufen nieder, sodass Rayo, der hinter ihr gegangen war, beinahe über sie stolperte.

"Nur keine Panik, ich habe ein paar Leckereien im Gepäck... für den Notfall", versicherte Cascada lächelnd. "Aber dies hier ist kein sonderlich gemütlicher Ort für eine Rast..."

"Ach was, das passt schon!", meinte Shinya und ließ sich ebenfalls auf einer der zwar unvermeidlich glatten, dafür aber nicht ganz so feuchten Steinstufen nieder. Er hatte immerhin seit den Morgenstunden nichts mehr zu sich genommen, und auch das Frühstück war viel zu schnell von seiner überwältigenden Müdigkeit unterbrochen worden, was seinem Magen übrigens alles andere als zu gefallen schien. Außerdem wusste er zwar nicht, welche Gefahren und Lebensbedrohlichkeiten ihn erst noch erwarten würden - sehr wohl aber, dass er ihnen lieber nicht mit leerem Bauch und trockener Kehle die Stirn bieten wollte.

"Ich würde allerdings eher Cascada zustimmen", widersprach Rayo und warf dem kleinen Mädchen einen missbilligenden Blick zu. "Mir gefällt diese Treppe ganz und gar nicht! Wir sollten lieber weitergehen und uns nach einer Höhle oder einem anderen geeigneten Rastplatz umsehen, oder?"

"Gute Idee. Denn wenn wir nicht alle fünf Minuten eine Pause einlegen würden, dann wären wir womöglich Morgen bereits nicht mehr an diesem reizenden Ort und das wäre ja nun wirklich ganz entsetzlich!" Noctan rollte entnervt mit den Augen. "Aber ohne drängen zu wollen: Ich könnte gerne auch darauf verzichten, noch einmal Phil und seinen Jüngern über den Weg zu laufen, wenn sie ihren Teil des Berges erkundet und ganz nebenbei auch bemerkt haben, dass sie sich - womöglich - für den falschen Eingang entschieden haben."

"Mensch, Noctan, kannst du nicht einmal auch noch was anderes als immer nur Schwarz sehen?!" Shinya merkte augenblicklich an Hoshis Stimme, dass die Dunkelhaarige sich krampfhaft darum bemühte, ruhig zu bleiben. "Die brechen doch eh erst morgen auf!"

"Fantastisch!" Der Weißhaarige stieß ein humorloses Lachen aus. "Mit ein bisschen Glück haben wir uns bis dahin ja auch entschieden, ob wir nun hier essen möchten oder nicht."

"Also, jetzt ist aber mal gut!" Shinya sprang mit einem leisen Knurren wieder auf die Füße. "Immerhin bist du ja wie üblich der Einzige, der sich wieder über alles beschweren muss!"

"Ach, und was ist mit unserem Adelskindchen? Möglicherweise hat mich ja auch irgendwo auf halbem Wege nach unten die Amnesie befallen, aber ich meine doch, mich düster daran erinnern zu können, dass nicht ich es war, der mit den Einwänden begonnen hat..."

"Offensichtlich scheinst du auch vergessen zu haben, was Respekt ist!" Rayo stemmte sich die Arme in die Seiten und funkelte Noctan mit seinen tiefblau blitzenden Augen an. "Ich sehe jedenfalls nur einen, der sich hier andauernd aufspielen und wichtig machen muss, und das bin ganz bestimmt nicht ich! Du solltest dir wirklich einmal überlegen, mit wem du gerade sprichst!"

"Ich zittere vor Angst." Sofern das überhaupt möglich war, wurde der Blick des Weißhaarigen noch ein kleines bisschen kälter als zuvor. "Jetzt hör mir mal gut zu, Rayo-sama. Du bist hier nicht mehr in deiner heilen kleinen Palastwelt, in der du dich bei jeder Gelegenheit hinter dem großen Namen deiner Eltern verstecken kannst!"

"Rede nie wieder von meinen Eltern, hast du das verstanden?!" Rayos Stimme überschlug sich beinahe und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Shinya spürte, wie einmal mehr ein nervöses Zucken durch seinen Katzenschwanz lief.

"Das gehört jetzt aber echt nicht zum Thema, Leute! Wir wollten was Essen, ja? Also macht hier mal nicht groß einen auf Katastrophenstimmung!"

"Und du..." Noctan wandte sich dem Katzenjungen zu, und obwohl sich dieser dafür hätte ohrfeigen können, lief doch ein Frösteln über seinen ganzen Körper. "Hör endlich auf damit, dich hier als großer Anführer aufzuspielen!"

"Ach! Aber vielleicht bin ich das ja? Ohne mich hätten wir uns doch alle gar nicht erst getroffen, schon vergessen?"

"Was für eine wunderschöne Vorstellung..."

"So?" Shinya hatte all seine Pläne, aus Rücksicht auf Hall und Echo leise zu sprechen, längst schon über den Haufen geworfen. "Dann hau doch ab! Geh doch zu Phil und diesen anderen Vollidioten! Mir reicht es langsam echt, hörst du?! Immer dieses..."

"Nein! Es reicht schon lange!" Cascada war bereits einige Treppenstufen hinter den anderen Estrella stehen geblieben. Etwas in ihrem Blick hatte sich verdüstert, und das lag keineswegs nur an den ungünstigen Lichtverhältnissen. "Sieht das bei euch etwa immer so aus? Na dann vielen Dank!"

"Moment mal! Hier sah überhaupt nichts irgendwie aus, bevor er zu uns gestoßen ist!" Noctan deutete mit einer Kopfbewegung zu Rayo hin.

"Du meinst wohl, bevor ihr beide zu uns gestoßen seid?", knurrte Shinya. Rayo sog geräuschvoll die Luft ein und blickte mit flammenden Augen auf ihn herab.

"Was fällt euch eigentlich..."

"Halt!" Die Wassermagierin ließ ihren Fuß von einem dumpfen Platschen begleitet auf die feuchte Treppenstufe niedersausen. "Es reicht! Es reicht vollkommen, ja? Also, entschuldigt bitte, ich dachte ja wirklich, ihr hättet die vernünftigeren Ziele, aber von Vernunft spüre ich hier absolut nichts mehr! Von dieser makellosen Sonnenscheinwelt kann man ja nun wirklich halten, was man will, aber Phil und die anderen schienen sich wenigstens gut zu verstehen!"

"Ja, natürlich tun sie das!" Shinya blickte trotzig zu der blauhaarigen Frau auf, obwohl er eigentlich sehr wohl begriff, dass nun genau der richtige Zeitpunkt für feinfühlige Diplomatie gekommen war und er wahrscheinlich am besten sowieso den Mund halten und Hoshi für sich sprechen lassen sollte. Andererseits hatte er weiß Gott schon genug damit zu tun, das unwiderstehliche Bedürfnis niederzuringen, mindestens zwei der anwesenden Personen rücklings die steilen Stufen hinabzustoßen, und da war für Taktgefühl nun wirklich keinerlei Platz mehr! "Die sind ja auch alle miteinander gleich bescheuert!"

"Nun, dann möchte ich gar nicht wissen, was euch zusammenhält..." Cascada senkte den Kopf und atmete tief durch. Als sie wieder aufblickte lächelte sie, und auch die geheimnisvolle Ruhe war in ihre dunkelblauen Augen zurückgekehrt. "Aber nein, wahrscheinlich seid ihr ja alle gar nicht so schlimm, wie... das vielleicht jetzt gerade den Anschein hat. Betrachten wir es lieber als eine Art... Wink des Schicksals. Und wenn mich dieses Schicksal nur ein einziges Mal in meinem Leben vor einem Unglück bewahren will, dann sollte ich das Angebot wohl lieber annehmen. Vielleicht klingt es in dieser Situation ja ein wenig makaber, aber... lebt wohl!"

Shinya schluckte und wollte irgendetwas sagen, aber ihm rasten zeitgleich viel zuviele Gedanken und Worte durch seinen Kopf, als dass er sie zu irgendeinem sinnvollen Ganzen hätte zusammenfügen und so das Ruder in letzter Sekunde möglicherweise doch noch herumreißen können. Hilflos schweigend sah er dabei zu, wie die Wassermagierin sich umwandte und dann mit einem wahrlich bewundernswerten Geschick die glitschigen Stufen der steinernen Wendeltreppe hinaufeilte. Etliche Wassertropfen zerplatzten geräuschvoll zu seinen Füßen, andere auch auf seiner Haut oder seiner Kleidung, aber ansonsten herrschte äußerst betretenes Schweigen, das auch mehrere Minuten lang nicht mehr enden wollte.

"Das war dann wohl nichts...", murmelte Shinya endlich, weil er die nasskalte Stille einfach nicht mehr länger ertragen konnte, und zuckte etwas verloren mit den Schultern.

"Ja, so könnte man es allerdings auch ausdrücken. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um einen derart hochwohlgeborenen Menschen mit sich..."

"Noctan... bitte." Der Katzenjunge schüttelte den Kopf und blickte ernst in die Runde. "Es reicht jetzt! Meint ihr nicht auch, das war genug Streit für heute?"

"Ist ja gut... aber bitte verschone mich mit deinen Moralpredigten! Falls ich dich erinnern darf, ganz unbeteiligt warst du an der ganzen Sache schließlich auch nicht..."

"Schon klar. Und soll ich euch mal sagen, was diese komische Stimme in meinem Traum nämlich noch gesagt hat? Dass wir zusammenhalten sollen. Ich weiß, dass es blöd klingt, aber irgendwie hat sie schon Recht, oder? Vielleicht liegt's ja wirklich an der kollektiven Blödheit, aber Phil und sein Gefolge scheinen irgendwie deutlich besser miteinander klarzukommen und wir haben ein echtes Problem, wenn wir das nicht langsam auch mal hinbekommen!"

"Gut gesprochen, Professor Shinya!", erwiderte Noctan in tatsächlich etwas weniger missmutigem Tonfall und strich sich eine seiner schneeweißen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Aber bitte bedenkt, dass diese Regel nicht allein nur für mich gilt."

"Schon klar!" Der Katzenjunge seufzte leise. "Drum hab ich's ja auch zu allen gesagt, einschließlich mir selbst. Zufrieden? Ich frage mich nur... warum kriegt dieses unerträgliche Großmaul eigentlich immer alles sooo viel besser hin als jeder Normalsterbliche?"

"Ach... ich hab da schon so eine Ahnung..." Hoshi kicherte, obwohl in ihren Augen immer noch ein gewisser Anflug von Trübsinn und vor allem von Enttäuschung lag. "Wahrscheinlich wird ganz einfach jeder von Phils Estrella-Anhängern, der es wagt, gegen seinen großen Führer aufzumucken, mit mindestens fünfzig Peitschenhieben belohnt... äh, bestraft!

"Man Hoshi, das ist doch die Idee!" Auch Shinya rang sich ein Lächeln ab, das von dem Mädchen dankbar erwidert wurde. "Schau nicht so ängstlich, Misty, bei dir können wir ja eine Ausnahme machen... aber auf jeden Fall..."

Er stockte. Seine grünen Augen weiteten sich und mit einem Mal machte sich ein seltsam beengendes Gefühl in seiner Kehle breit, so als ob er ein ganzes Fischgerippe am Stück verschluckt hätte.

"Was denn?" fragte Noctan und zog eine Augenbraue nach oben.

"Auf jeden Fall ist da hinten jetzt eine Wand!"

Der Halbdämon deutete die Treppe hinauf, und tatsächlich: Dort, wo eben noch der - übrigens mittlerweile schon ganz schön weite - Weg zurück nach oben geführt hatte, zurück ans Tageslicht, zu der Lichtung und dem Urwald aus gedämpften Sonnenstrählen und bunten Vögelchen, endete der steinerne Gang nun in einer massiven Felswand. Trotzig streckte sie der kleinen Gruppe ihr graubraunes, feucht glänzendes Antlitz entgegen und fügte sich dabei so perfekt in das umliegende Gesteinsmassiv ein, als ob sie niemals zuvor etwas anderes getan hätte.

"Aber... das ist doch nicht möglich!" Rayo schüttelte den Kopf und blinzelte etliche Male verwirrt dem massiven Hindernis entgegen. "Bis eben war doch dort noch eine Treppe, oder?"

"Ein Wink des Schicksals...", murmelte Hoshi. "Jetzt haltet mich ruhig für verrückt und abergläubisch, aber vielleicht hatte Cascada ja gar nicht mal so Unrecht damit..."

"Du meinst... sie sollte einfach überhaupt nicht mit uns kommen?" Shinya sah das Mädchen lange an. "Das ist zwar irgendwie blöd, aber irgendwie auch logisch. Ich meine, fünf Estrella auf jeder Seite... ach kommt, dann hätten wir uns das eben aber auch gleich sparen können!"

"Tja, die Wege des Schicksals..." Die Dunkelhaarige seufzte. "Ist ja jetzt auch egal, oder? Lasst uns weitergehen, umkehren können wir schließlich eh nicht mehr."

"Und was ist mit Mistys Es..."

Shinya warf der Kleinen einen derart finsteren Blick zu, dass er sich für einen ganz kurzen Augenblick fast schon selbst mit Noctan verwechselte. Sie verstummte schlagartig und sah den Katzenjungen ängstlich an, aber der verspürte nicht einmal den Anflug eines schlechten Gewissens. Wortlos wandte er sich um und nahm tapfer den Kampf gegen die feuchten Treppenstufen wieder auf. Und obwohl es natürlich vollkommen falsch und absurd war, hatte er doch plötzlich das merkwürdige Gefühl, als ob zwischen seinem anfänglichen zögerlichen Abstieg nach dem Betreten der Höhle und seinem jetzigen zögerlichen Abstieg, noch viel länger nach dem Betreten der Höhle, doch eigentlich überhaupt nichts geschehen wäre.
 

Was folgte, waren Stufen - viele Stufen, glitschige Stufen, feuchte Stufen, Stufen und kein Ende. Das Bild vor Shinyas Augen veränderte sich im Grunde genommen überhaupt nicht. Wieder und wieder schob sich die gleiche graubraune Felswand, die gleichen unregelmäßigen Steinstufen, die gleichen geisterhaften, deformierten Tropfsteinfinger hinter der engen Windung des unterirdischen Treppenhauses hervor. Eigentlich waren nur die langsam, aber ungemein sicher einsetzenden dumpfen Schmerzen in seinen Fußsohlen ein stummes Zeugnis davon, dass er sich auch tatsächlich vorwärts bewegte.

Der Katzenjunge verfiel so sehr in einen immer gleichen Trott, dass er es zunächst einmal noch gar nicht wirklich begreifen konnte, als sich vor ihm endlich die vage Ahnung eines flackernden Lichtscheins erkennen ließ. Dann jedoch sammelte er noch einmal all seine Motivation und beschleunigte seine Schritte, so weit das auf der glatten Steintreppe eben möglich war. Das Licht wurde heller - oder vielmehr, reiner und durch den mehr und mehr schwindenden Schleier aus dumpfer Feuchtigkeit auch deutlich intensiver. Shinyas Herz machte einen kleinen Hüpfer. Er wusste zwar nicht ganz genau, was sie nun eigentlich geschafft hatten, aber dass sie überhaupt irgendetwas geschafft hatten war allein schon Grund genug zur Freude.

Ihr Ziel... ihre Prüfung musste ja förmlich in greifbarer Nähe liegen!

Leider schienen die Füße des Halbdämons nicht minder ungeduldig zu sein als er selbst. Er trat auf eine Kante, setzte mit dem rechten Fuß nach - und begriff erst einen Augenblick später (und leider auch einen Augenblick zu spät!), dass er soeben seinen sicheren Halt aufgegeben hatte. Seine Ferse rutschte nach vorne und sein Fuß trat ins Leere. Er taumelte, versuchte vergeblich, mit seinem Oberkörper die davonrasenden Beine einzuholen - und streckte dann im allerletzten Moment beide Arme zur Seite weg.

Seine Handflächen schrammten schmerzhaft über den kalten Fels, verfehlten allerdings nicht ihr Ziel - Shinyas Fall wurde gebremst und seine zitternden Beine fanden mehr oder minder festen Boden unter den Füßen. Was der Rest seines Körpers anscheinend jedoch noch nicht so recht begriffen hatte, denn sein Puls jagte ihm das Blut mit doppelter Geschwindigkeit durch die Adern und ließ tosende Wasserfälle in seinen Ohren rauschen. Er schloss die Augen und musste etliche Sekunden lang tief durchatmen, bevor sich sein Herzschlag langsam wieder normalisiert hatte. Die feuchte Luft strömte kühl in seine Lungen und hinterließ ein unangenehm klebriges Gefühl in seiner Kehle.

Da fiel ihm plötzlich auf, dass er keine Schritte mehr hinter sich hörte. Wieder einmal herrschte tropfende Stille in dem unterirdischen Gang.

"Hey, was ist los... wo bleibt ihr?" Shinya drehte sich langsam um, konnte aber weder Hoshi noch Misty noch sonst irgendjemanden hinter sich erkennen. Nur eine winzige Sekunde lang war der Katzenjunge heilfroh, dass niemand seinen alles andere als eleganten Ausrutscher beobachtet hatte - dann aber kamen ihm Zweifel. War er denn wirklich so schnell gegangen, dass er die Nachfolgenden um etliche Meter abgehängt hatte?

"Leute... wo seid ihr denn alle? Jetzt sagt doch mal was! Hört ihr nicht?"

Shinya wartete mehrere Sekunden und schließlich auch mehrere Minuten lang vergeblich auf eine Antwort. Die allerdings zunächst nur in Form seines eigenen hohlen Echos erfolgte, das aber auch recht schnell wieder verstummte, um dem ewig gleichen Tropfkonzert auf den steinernen Stufen zu weichen. Was fehlte, waren Schritte, Atemzüge und menschliche Stimmen. Der Katzenjunge wartete weiter, doch niemand antwortete und niemand kam über die Wendeltreppe zu ihm hinabgestiegen.

Er war allein.
 

Ende des fünften Kapitels



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  TiaChan
2006-04-13T00:12:56+00:00 13.04.2006 02:12
Gomen ne, diesmal hat es länger gedauert. Und wie es aussieht, werde ich "Equinox" auch nicht in den Ferien fertig lesen können - ich hatte es gehofft, aber eigentlich ist es utopisch. Ich brauche normalerweise mehr als einen Tag für ein Kapitel, und auch der Gedanke, dass die Ferien bald vorbei sind, macht auch nur Zeitdruck. Naja, aber solange ich nicht gleich nach Semesterbeginn wieder eine Hausarbeit machen muss (was ich voraussichtlich auch tatsächlich nicht muss ^^;), sollte ich es wieder abends lesen können. ^_^
Mit der Hausarbeit war ich ja sehr unter Druck geraten und konnte gar nicht mehr weiter lesen, auch nicht abends. Ich konnte kaum schlafen und habe von der Hausarbeit geträumt - wie kann man da etwas lesen, was nichts mit der Uni zu tun hat? -.- Naja, bzw. am Anfang habe ich noch etwas gelesen, habe aber meine Notizen vernachlässigt. Und das war, glaube ich, ein Fehler. Ich habe festgestellt, dass mir die Notizen nicht nur beim Comment-Schreiben helfen, sondern auch dabei, das gelesene Kapitel auch gut im Kopf zu behalten - was ja eigentlich mein Ziel ist bei diesem Durchlesen. *seufz* Naja, dann muss ich wohl versuchen, den Comment jetzt irgendwie aus dem Kopf zu schreiben, während ich das Kapitel noch mal durchfliege, und danach weiß ich bestimmt auch wieder besser, was alles drin war. ^^; Ich meine, einmal habe ich's ja vor kurzem erst gelesen, und wenn ich die wichtigen Textstellen wieder finde, sollte ich mich an das Ganze auch erinnern können.
(Irgendwann habe ich das Kapitel in meiner Verstreutheit sogar für das 4. gehalten... obwohl's doch das 5. ist. Aber sogar bei meinen wenigen - definitiv zu diesem Kapitel hier gehörenden - Notizen steht "Kap. 4" als Überschrift. *droooooop*)
Jedenfalls war diese lange Pause während der Hausarbeit, zusammen mit der Abwesenheit der Notizen, wohl der Grund, warum es mir jetzt so schwer fiel, diese eine letzte Seite des fünften Kapitels durchzulesen und endlich mit dem Comment anzufangen. Und das obwohl ich abends wirklich gelitten habe wegen fehlendem Lesestoff. *drop* Andere Bücher lese ich ja zur Zeit nicht, denn wenn sie langweilig sind, macht's eh' keinen Sinn, sie zu lesen, und wenn nicht, dann will ich das Buch womöglich vor Equinox fertig lesen - und jetzt ist Equinox dran. Und wenn ich unbedingt etwas vor dem Einschlafen lesen will, muss ich eben den Comment schreiben, dann habe ich wieder etwas wirklich Schönes zum Lesen. ^_^
Und in nächster Zeit sollte ich wirklich, wirklich, wirklich nicht mehr "sparen" müssen, weil ich zumindest gerade noch genug Zeit haben sollte für die Comments und so immer weiterlesen kann. *hoff*

Aber wie auch immer, ich sollte mit dem eigentlichen Comment anfangen. ^^; Aaaaalso, was mir schon am Anfang des Kapitels auffiel, ist die Tatsache, dass ich Rayos anfängliches Auftreten wohl ganz vergessen haben muss. Der arme Shinya tut einem wirklich leid in dem Moment, in dem er denkt, dass "er immer wieder mit dem [...] doch etwas schwierigeren Teil der Estrella beglückt" wird. ^^; Ich meine, Ok, am Anfang hat er Hoshi getroffen (oder eigentlich ist "treffen" ja auch nicht ganz richtig - eher.. "finden"? "Getroffen" hat er ja ganz am Anfang Will, wenn man von Phil absieht ^^; aber du weißt, was ich meine) und scheint darüber soweit glücklich zu sein. Aber dann - der Eisberg Noctan, der immer an allem, was Shinya (oder im Grunde auch jemand anders) macht, etwas zu Meckern findet, dann Misty, die Shinya wohl für ein nerviges Kind hält, das noch zu klein ist für ihre Aufgabe und von daher keine große Hilfe sein kann, und jetzt auch noch Rayo, der sich aufgrund seiner Herkunft für den Anführer zu halten scheint. ^^;;
Wer kommt dagegen alles mit Phil mit? Will und Tierra - alles Menschen, die Shinya am liebsten gleich bei der jeweils ersten Begegnung mitgenommen hätte. Ok, zu dem Zeitpunkt wohl auch Tempest, aber davon weiß Shinya ja noch nichts. ^^;; Kurz gesagt: Abgesehen von Hoshi und von Phil selbst gehen alle Estrella, die Shinya sympathisch findet, zu Phil, und alle, die er nicht leiden kann auf seine eigene Seite. Wie gesagt, irgendwie tut er da einem doch wirklich leid.
Was ich auch witzig fand, ist, dass Shinya, als er hört, dass Rayo der Estrella ist, den sie suchen, darauf genauso reagiert hat wie auch bei Noctan, und zwar jeweils mit einem "Nee, oder?!" (Ok, in Rayos Fall ohne das Ausrufezeichen, aber so kleinlich will ich ja nicht sein ^^;;;;) Jaaaa, dieses "Also... du... danke, aber dich kann Phil haben!" kann zwar nichts schlagen, aber ich finde einfach den Vergleich lustig. ^^; Und auch dass er beide erst mal mit Phil vergleicht. Der eine wie Phil und soll mit ihm am Feuer sitzen und um die Wette fies grinsen, der andere sogar noch schlimmer als Phil, was das fiese Grinsen angeht. ^^;;; Naja, alles Vergleiche, die man anstellen kann, wenn man weiß, wie es weitergeht, die man nur dann witzig findet. Eben der Effekt des zweiten Durchlesens - ich hatte ja nicht umsonst noch vor, Equinox noch mal durchzulesen sobald es fertiggeschrieben ist, als ich noch nicht wusste, dass es überarbeitet werden soll. Ebenso muss ich zur Zeit jedes mal grinsen, wenn Noctan irgendwas zu Rayo sagt. ^^;

Ach ja, und zum Thema Noctan... innerhalb des Themas Noctan und Rayo.... ich hätte wirklich nicht gedacht, überhaupt nicht gedacht, dass ich das noch schreiben würde, aber.... ich möchte gerade alles zurücknehmen, was ich Negatives über Noctan in "One Night Only" geschrieben habe. (*drop* Und das "gerade" muss doch da rein - na ja, bis ich mir ganz sicher bin, muss ich Equinox und auch diese kurze Geschichte noch mal durchlesen, aber jetzt, beim fünften Kapitel, denke ich so.) Noctan ist ein Eisberg, der zu allem, was er hört oder auch sonst anders wahrnimmt, etwas Sarkastisches sagt. Und das passt zu ihm.
Ich weiß nicht, wie mich das stören konnte - irgendwie musste ich sehr vieles vergessen haben, was ich über Noctan gedacht habe, als ich Equinox zum ersten mal las. Ich hatte wohl wirklich - wie auch schon geschrieben - sein erstes Auftreten im Kopf, und dann... und dann was eigentlich? Naja, die Szene im Wald, und dann dieses "Oh Gott, wer denn jetzt? Bitte nicht Noctan!" Ach ja, und dazwischen noch die Szene am Meer.... und dann das letzte Kapitel. (Я das "letzte" schreibe ich da? ^^; so was, dabei hab ich das vorletzte gemeint. ... ... na ja... für Noctan wohl das letzte -.-) Irgendwie ist Noctan da viel offener - er sagt da ab und zu doch tatsächlich Sachen, die er wirklich denkt, auch gut gemeinte Sachen. Nicht sehr oft, aber immerhin. Naja, und dann dein Die-Charas-werden-geändert, und dann ein Noctan, der mir wohl angesichts der letzten Kapitel übertrieben "noctanisch" erscheint und so weiter.... das hatten wir ja alles schon. Aber jetzt merke ich immer mehr, dass Noctan wirklich so ist. Oder.. na ja, vielleicht war er ja nicht ganz so im alten Equinox? Du hast ja nicht umsonst vom Charas-Ändern gesprochen. Aber irgendwie hast du's am Ende so.... richtig gemacht, dass es gar nicht mal auffällt. Sein erstes Auftreten ist so wie es ... eigentlich war, so wie es sein muss, sein ständiges Genervt-Sein, und dann kommt auch noch Misty dazu, und dann ist er einfach weiterhin immer so genervt und sarkastisch wie am Anfang.... es passt. Und es muss so sein. Das ist Noctan, wie ... Noctan eben ist. Waren bei der alten Version tatsächlich Fehler dabei, sind sie mir damals nicht aufgefallen, vielleicht weil ich da nicht wusste, wie es weitergeht, wie die Charas sich entwickeln, weil das eben die erste und einzige Equinox-Fassung war, die ich da kannte - aber jetzt sind sie wohl verbessert, und das offensichtlich zurecht, denn es fällt mir nicht auf. Ich bin zwar überrascht über meine Vorstellung des ein oder anderen Charakters, aber sie sind alle so, wie sie sein sollen - und irgendwie, wie auch immer das funktionieren soll, genauso wie beim Durchlesen damals. Ich hoffe, man versteht zumindest mehr oder weniger, was ich sagen will. >_<;;

Und irgendwie ist es... komisch und.... vielleicht süß?... wenn sie dann alle weggehen und Noctan weiterredet, dass es die Insel (mit der Prüfung) vielleicht gar nicht gibt und so weiter und blablabla.... ^.^ Da versteht man auch wieder, was die Komik an Noctans Eisberg-Dasein ist.

Ach ja, und der uns gut bekannte Fehler der alten Version (Und es spielt gerade so eine ... mir fällt das Adjektiv nicht ein.. mehr oder weniger "Tadaaaaaa!"-Musik im Hintergrund. ^^;;) - Noctans Schwert. ^_^ Als es dir aufgefallen ist, wolltest du ihn ja das Schwert auf dem Schiff nach Hoshiyama abgeben lassen, soweit ich das in Erinnerung habe. Da war ich jedoch so auf Tempests Auftauchen konzentriert, dass ich ganz vergessen habe, mich zu wundern, dass er's wieder nicht tut. Und jetzt aber. ^^ (Waaah, ich kann mich nicht konzentrieren! Ich habe gerade so komische Sätze im Kopf wie: "Diesmal beim Lesen: Aha! Stimmt ja, da war doch was!" - ok, oder habe ich's doch inzwischen etwas besser ausformuliert? *drop* Auf jeden Fall ist das kein akzeptabler Satz. Tía, wach wieder auf, sonst wird der Comment ganz unverständlich. -.-)

Ach ja, zum Thema Hoshiyama. Ich möchte wissen, wo es eigentlich genau liegt. Und wenn ich das frage... lieber gleich alle Equinox-Orte. ^__^ Kannst du mir vielleicht mal eine Youma-Karte skizzieren, wo alle wichtigen Equinox-Stationen markiert sind? *gaaaaanz lieb guck* Miaaaau? ^^;;;; Naja, oder eine Youma-Karte, und ich nerve dich dann jedes Mal, wenn ein neuer Ort in der Geschichte auftaucht. Ich möchte auf jeden Fall diesmal das ganze vor Augen haben, auch aus der Weltkarten-Sicht. Das habe ich mir schon mal beim ersten Durchlesen gedacht, vor allem an der einen Stelle, wo die Dunklen im Eis waren und die Hellen in der Wüste (das war doch so, oder?), durchreisen also ganz unterschiedliche Teile der Welt, fahren aber am Ende alle zu dieser einen Insel. Hach, die Vorstellung ist toll, die möchte ich gern genauer im Kopf haben. =^______^=

Und dann, auch an dieser Schwert-Abgeb-Stelle fand ich's auch toll, wie Shinya die Geduld geplatzt ist - ich mag Noctan, auch dafür, dass er so ein Eisberg ist, aber er muss doch als Mitreisender einfach unmöglich sein. Jemand muss ihn mal auch darauf hinweisen. ^-^ (Hier irgendwie ... Gedanken, als würde ich's zum ersten mal lesen. *mir jetzt beim Schreiben erst auffällt* O_O)
Und was hat unser liebe Noctan darauf zu erwidern, nachdem die anderen auch noch essen gehen und ihm die offene Wahl lassen, ob er überhaupt noch mitkommen will? Er rollt mit den Augen und kommt dann mit. ^^;;; Wenn er schon nichts sagen kann nachdem er so runterargumentiert wurde, dann rollt er immer noch zumindest mit den Augen. ^-^;; Könnte ihn auch nur irgendetwas an diesem Punkt der Geschichte besser charakterisieren?

Und wieder zurück zu Rayo. Seine Selbstsicherheit und Arroganz hatte ich wohl doch nicht so ganz umsonst vergessen - sie fängt ja noch im gleichen Kapitel an, abzunehmen. Sobald er von Zuhause, wo ihn wohl jeder Schritt und jeder Blick eines jeden Menschen um ihn herum an seine Position und die damit verbundenen Pflichten erinnert haben, weg ist und dazu auch noch ständig von Noctan kritisiert wird, wobei Shinya es auch ein paar Mal betont, dass er hier der Anführer ist - ach ja, und dann noch ein gegnerischer Phil, der etwas besser wusste als er selbst.... fangen bald die "..., oder?"-Sätze an. ^^

So. Hier (oder eigentlich sogar ein bisschen früher) hören meine Notizen auf. Jetzt wird's also RICHTIG chaotisch und ich entschuldige mich einfach mal im Voraus. ^^;

Es hat mich gewundert, dass sie tagsüber beschließen, zu der Insel zu rudern. Ich hatte diese Hoshi-Rett-Aktion noch mehr oder weniger vor Augen und wusste genau, dass diese nachts stattfand. (Das Bild enthielt nämlich bläuliche Dunkelheit im Hintergrund. ^^;) Und dann dachte ich: "Aha, sie beschließen es tagsüber..... na, dann werden sie wohl kaum nachts aufbrechen, ich muss da diese Nacht irgendwie selbst reininterpretiert haben". Naja, und dann hat es mich eben gewundert, dass sie's doch tun. ^^; Aber das ist auch etwas, was mir nicht aufgefallen wäre, wenn nicht dieser lange, durch das wiederholte Durchlesen und das Einiges-vergessen-haben-nach-der-langen-Pause bedingte Gedankengang da wäre. Und sie werden wohl schon ihre Gründe haben, nachts aufzubrechen. ^^;

Die Szene mit Shinya und Hoshi, die dann von Misty gestört wird... sie war auch schon in der alten Version da, oder? Zumindest hatte ich sie zwar nicht in Erinnerung, beim Lesen kam sie mir aber irgendwie bekannt vor. Und irgendwie... kam mir das Lesen dieser kurzen Szene so lang vor, na ja, klingt irgendwie unsinnig, aber ich habe sie uhrzeitlich gesehen ziemlich schnell durchgelesen und hatte dann da Gefühl, sie schon mindestens eine halbe Stunde lang gelesen zu haben. ^^; *seufz* Ich weiß nicht, ob das nicht doch irgendwie reininterpretiert ist, aber Misty zerstört da für die beiden einen wirklich schönen Augenblick. *drop*

An den Sturm hatte ich mich nicht mehr erinnert... ich wusste nur noch, dass Hoshi irgendwann plötzlich - warum auch immer - im Wasser war und von Shinya gerettet wurde.
Und hat Misty nach dieser Rettung in der alten Version nicht noch was von einer Mund-zu-Mund-Beatmung gesprochen? Naja, wie auch immer, hier ist ja Shinya gleich umgekippt. ^_^;;
Aber.. wie lange fahren sie eigentlich zu dieser Insel? Ok, blöde Frage, eine Nacht. Hach, ich will aber wirklich so eine Youma-Karte haben. >.<

Was interessant ist, jetzt, wenn ich Shinyas... Gespräche mit dieser Stimme lese, stelle ich mir eine weibliche Stimme vor. ^^; Warum wohl? Früher.... hatte sie überhaupt am Anfang ein Geschlecht? Aber entweder gar nicht oder sie war männlich, so viel steht fest. Aber diese kleine Gedankenirreführung ist hier nicht mehr wieder herzustellen, nachdem ich etwas mehr über die Stimme weiß. ^_^ (Ach je, ich hoffe, das alles liest wirklich niemand, der die Geschichte nicht kennt. Aber im Endeffekt, wie schon mal geschrieben, wer würde das hier denn lesen, ohne uns zu kennen? Also, ich würde mir so etwas mit Sicherheit nicht antun. ^^;)
Wer Shinya aufweckt, wusste ich auch nicht mehr und war sehr glücklich darüber, dass es Phil war - der einzige Charakter in der Geschichte, den zu mögen es einem wirklich schwer fällt. Alles andere wäre gemein. Die Visionen sind einfach viel zu wichtig.
Hach, und es ist doch wirklich interessant, wie sie da im Dunkeln herumtapsen und nicht wissen, wohin. Ich meine jetzt nicht die Höhle, sondern allgemein ihre Aufgabe. Sie wissen überhaupt, überhaupt, überhaupt nicht, was sie tun müssen. Und obwohl ich jedoch schon von so vielem weiß, was ihnen noch passieren wird.... fühle ich mich eigentlich nicht viel besser als sie, denn was sie eigentlich, im Endeffekt machen müssen, was ihr Ziel ist, für das sie die ganzen Prüfungen bestehen müssen und für das sie auch die Waffen brauchen.... weiß ich ja nicht besser als sie selbst. *drop*

Weiter auf der Insel. Irgendwie hat es mich überrascht - ich glaube, auch genauso wie beim ersten Lesen - wie sie alle dastehen und darüber plaudern, was sie jetzt auf der Insel machen sollen, über die zwei Höhlen und über die Aufschriften... die Dunklen und die Hellen. Natürlich nicht ohne die ganze Zeit zu streiten, aber was gesagt wird, hören alle - dabei wollte Phil Shinya bei ihrer letzten Begegnung doch töten. Aber am Ende geht ja Shinya mit "seinen" Estrella doch weg, was ich an seiner Stelle wohl auch längst gemacht hätte. ^^;
Hmm.... aber was mir jetzt gerade erst auffällt... vielleicht besprechen sie ja da mehr zusammen als sie's getan hätten, wenn... Cascada nicht da gewesen wäre. Sie sind ja alle daran interessiert, dass auch sie von ihren weiteren Plänen erfährt. Aber es ist doch sehr richtig von Shinya, meiner Meinung nach, von seiner Vision nicht vor den Hellen zu erzählen.
Ok, ich weiß inzwischen auch, dass es auf der Insel im Endeffekt keinen so großen Unterschied macht, welche Höhle man nun wählt. (Das war doch so, oder?) Aber die Estrella wissen es ja hier noch nicht - die Entscheidung könnte alles weitere beeinflussen.

Ach ja, und Cascada. Ich muss zugeben... ihre Beschreibung... die Kleidung, die sie trägt ist zwar bestimmt wunderschön, aber irgendwie... stelle ich sie mir etwas zu bunt vor. Wie ein AnimagiC-Cosplayer mitten in Koblenz im Winter. Oder nein, im Winter würde er womöglich noch einen normalen Mantel tragen, also... im Sommer 2006. Aber soviel ich verstanden habe, ist das auch beabsichtigt, und dann ist es dein gutes Recht, sie so zu beschreiben. ^_^
Versteh mich nicht falsch (wobei ich dich hier vielleicht falsch verstanden habe, das kann schon sein), ich trage ja auch selbst gern auffällige Kleidung, auch wenn nicht gerade eine Convention stattfindet. Aber diese Kleidung stelle ich von der Beschreibung her etwas... zu künstlich vor - alles glänzt und schimmert. Von daher der Cosplay-Vergleich, weil die Con-Besucher ja oft auch eher unnatürliche Farben tragen, die genau wie im Anime grellbunt sind. Und in meinem Kimono zum Beispiel laufe ich ja auch nicht im Alltag durch die Straßen. *drop* Ich rede mich schon wieder noch schlimmer herein. Grellbunt ist ihre Kleidung ja auch nicht, die Farben sind schön. Aber glänzend und schimmernd und... schön, aber bunt. ^^; Ich hoffe, man versteht, was ich meine. Und ich hoffe, das ist wirklich das, was beabsichtigt war. Es wird ja immer wieder dazugeschrieben, wie unnatürlich sie aussieht - und ja, das tut sie, also passt es. *drop*

Etwas anderes zum Thema Cascada. Ich habe eigentlich vor kurzem während dem Final Fantasy - Spielen darüber nachgedacht. Cascada fährt zu der Insel, um Estrella zu suchen, und alle anderen (ja, stimmt ja, jetzt sogar wirklich ALLE anderen ^^;) Estrella fahren auch dahin - zum gleichen Zeitpunkt. Ok... hier heißt es, Shinya zieht alle Estrella an. (Und Phil vermutlich auch.) Bei Final Fantasy habe ich irgendwo ganz am Anfang des Spiels, in diesem Shinra-Gebäude, auch gedacht: na so was, gerade dann, wenn die Rebellen dahin gehen, taucht "plötzlich" Sephiroth auf und tötet den alten Präsindenten. In Büchern, Filmen und Spielen kommen solche "Zufälle" immer wieder vor, ob das auch im Leben so wahrscheinlich ist? Und dann dachte ich, dass es eigentlich schon möglich ist. Ich möchte es nicht als "Schicksal" bezeichnen - davon halte ich genauso wenig wie du.. und wie meine Eltern, die es mir wohl ausgeredet haben ^^;, auch wenn ich das Wort wohl etwas öfter als du benutze, einfach weil ich nicht jedem einzelnen Menschen erklären möchte, wie ich die Welt sehe und "Schicksal" doch ein verbreiteter Ausdruck ist, den zumindest alle verstehen - aber es ist doch so, dass Gedanken und dann doch erst recht Handlungen die Welt manchmal mehr beeinlussen als man denkt. Wenn man anfängt etwas zu machen, bewegt sich etwas, und es fängt an zu funktionieren. Und andere, die das auch mal machen wollten, fangen's auch an, sogar wenn es ihnen nicht bewusst ist, dass andere gerade auch damit anfangen. Es hat nicht sooo viel mit Equinox zu tun, eher mit Geschichten allgemein. Aber im Endeffekt ist es dasselbe, wie die Tatsache, dass Shinya und Phil Estrella anziehen - sie müssen nur auf die Suche gehen, und die Estrella gehen genau zu den Zeitpunkten zu den Orten, die sie besuchen wollten, wenn die zwei Estrella-Anführer dort sind. Cascada kennt die Legende ja nicht von den zweien und hätte genauso gut eine Woche früher oder später hinfahren können, und doch fährt sie genau da - meiner Meinung nach fühlt sie da unbewusst, dass sie jetzt hinfahren muss. Nicht weil es so vorbestimmt ist, sondern weil sie den Wunsch und die Motivation hat, die anderen Estrella zu finden - und so findet sie sie dort tatsächlich an dem Tag, an dem sie auch dort sind. Und alles führt sich wohl wieder auf das "Wünsche erfüllen sich"-Thema zurück. Und ich stelle fest, es gibt doch Gespräche, die ich lieber nicht schreibe sondern ausspreche. ^^;; Das Thema hier ist irgendwie nur in meine Worte nicht zu greifen, da brauche ich deine Antworten, um es zusammen zu finden und beschreiben zu können. ^^;; Oder so. Aber da fällt mir auch ein, zum Thema "Wünsche erfüllen sich" und "Man sollte vorsichtig mit den Wünschen sein"....... allerdings möchte ich das doch lieber so sagen. ^-^ Werde ich auch machen, wenn wir uns nächstes mal sehen/hören.

Naja, aber wieder zu Equinox zurück.... wobei es hier nicht mehr soooo viel zu schreiben gibt. Hieß das Kapitel nicht früher Wink des Shicksals? Naja, aber sollte es so sein, weiß ich wohl, warum du's verändert hast. Und - auch sollte es überhaupt wirklich so sein - ich finde hier gut, dass die negative Überraschung nun weg ist. Ich meine, die Kapitel davor haben alle schöne Namen, die die Charaktere weiterbringen, und hier erwartet man auch so etwas und stellt dann beim Lesen plötzlich fest: "A-ha. Diesmal ist es also ein Schritt zurück". Naja, zumindest für die Hauptcharaktere, also für die Dunklen. Für die "Guten", denen man eher Erfolg wünscht. ^^;;;
Dann weiß ich noch, wie ich letztes mal schon bei Cascadas Zuteilung Böses ahnte: Es sind insgesamt 10. Jetzt sind es schon 5 Dunkle und 4 Helle - es ist logisch, dass Cascada zu Phil geht, und zuerst sieht es ja auch so aus, und dann eher Verwirrtheit als positives Überrascht-Sein - wie jetzt, 6 und 4? Ich würd's ja verstehen, wenn Phil 6 und Shinya 4 hätte, aber so? ^^;;; Irgendwie erwartet man doch immer, dass die... die "Guten" eben in einer Geschichte es auch am schlechtesten haben. *drop* Aber wer will auch etwas über einen Hauptcharakter lesen, dem alles von selbst gelingt? Man muss schon etwas für den Erfolg tun (ob dieser am Ende gelingt oder nicht - oder auch etwas ganz anderes am Ende der Geschichte passiert), und um etwas tun zu können, braucht man eben Schwierigkeiten, die man überwinden kann. (Hach, Mama hat mir vor kurzem eine tolle russischsprachige Kettenmail zu dem Thema vorgelesen.. die muss ich euch mal bei Gelegenheit erzählen. ^-^ Aber ich bin wieder dabei, abzuschweifen. ^.^;;)
Naja, und dann ist es irgendwie doch nur richtig, wie es sich verteilt.

So, und hier bin ich auch schon am Ende des Comments angekommen. Er ist etwas kürzer geworden als die letzten (wobei eigentlich wiederum länger als ich es diesmal erwartet hätte) - ich fange gerade die 6. Word-Seite an. ^^; Aber erstens hatte ich meine Notizen nicht, zweitens habe ich in den vorangegangenen Kapiteln schon so viel zum Vergleich altes Equinox - neues Equinox, alter Charakteraufbau - neuer Charakteraufbau... geschrieben, dass ich mich hier noch tausendmal wiederholen könnte, was ich nicht machen will. ^^;

Ich habe ein paar Schreibfehler markiert, aber die zeige ich dir lieber, es ist etwas nervig, die Stelle immer zu beschreiben. Ich denke, ich werde auch mal die vorangehenden Kapitel noch mal überfliegen um die Fehler, die mir beim letzten Lesen aufgefallen sind, die ich jedoch nicht erwähnt habe (ehrlich gesagt habe ich mich nicht getraut ^^;;;;;; Ich dachte, du bist vielleicht so genervt von dem ständigen Durchlesen und Korrigieren, dass du vielleicht nichts mehr davon hören willst), auch zu markieren.

Tja, sonst...
Ich hoffe, dass wir uns bald wieder alle in unserer Katzen-WG sehen und freue mich schon sehr darauf. Ab und zu war ich zwar zusammen mit Dai-chan da, aber zu den schönen romantischen Abenden in meiner Gruft gehören einfach nun mal drei, und so haben wir dich sehr vermisst, miiiaaaaaau.

Ek han Pilt, mata bald und ich lese auf jeden Fall und sehr gern weiter,
der Kater =^.^=

PS: Ich hab den Comment in Word geschrieben... und dann geh ich zu animexx und hier steht mir so ein kleines Fenster zur Verfügung. ^^;;;; Irgendwie finde ich das jetzt doch lustig, nachdem sich der Text über den ganzen Bildschirm erstreckte.


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