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Equinox

von

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Kapitel II - Abendstern

So, nach langer Zeit wieder was zum Hochladen! Was nicht etwa heißen soll, dass ich wieder Zeit zum Schreiben hätte, nein... dieses Kapitel ist schon ewig fertig, ich bin nur irgendwie nie dazu gekommen, es zu veröffentlichen. Wie man schon am Umfang sehen dürfte - ich hab diesmal noch weit mehr daran arbeiten müssen als bei Kapitel 1. Irgendeine Passage ist, soweit ich weiß, ganz weggefallen, eine andere fast vollkommen neu dazugekommen, aber jetzt mag ich das Kapitel sehr gerne, weil es mich an eigene, wunderschöne Erlebnisse erinnert. So und nicht anders soll die Atmosphäre dieses Kapitels sein und ich bin schon ein bisschen stolz auf sie. Mal sehen, ob der eine oder andere hier auch etwas wieder erkennen wird...

Übrigens: Einige haben mich darauf angesprochen, dass Shinya jetzt ja deutlich älter ist als in der ursprünglichen Equinox-Version (na ja... drei Jahre eben). Dazu sei noch einmal Folgendes gesagt: Erstens habe ich wirklich lange gebraucht, um diesen Charakter wirklich verstehen zu lernen. Klingt dumm, ist aber so. Ich finde, 18 (und 19) ist ein merkwürdiges Alter, dieses mittendrin zwischen Kindheit und Erwachsensein... so wie Shinya ist und in Anbetracht dessen, was ich mit dieser Geschichte gerne ausdrücken und welche Gefühle und Atmosphären ich mit Equinox gerne wecken möchte, wäre ein 15-Jähriger einfach nicht geeignet.

Zweitens - und das ist wohl der weniger schwer in Worte zu fassende Grund - bin auch ich älter geworden. Es ist seltsam für mich, in Hohlbein-Büchern über die Heldentaten von 13-jährigen Kindern zu lesen, und selbst wenn ich mich auf den Kopf stellen würde, ich könnte einfach nie mehr eine Geschichte mit einem 15 Jahre alten Helden zustande bringen und dafür zahllose Liter meines Herzblutes opfern. So ist das nun einmal und es lässt sich nicht mehr ändern.

Ich hoffe, dass trotz aller Änderungen auch dieses Kapitel Gefallen finden wird. Ich habe extra für animexx ein paar mehr Absätze reingemacht... ^_^ wünsche allen viel, viel Spaß beim Lesen! DAISUKI!!!!
 

Es war noch in den ersten, frühen Morgenstunden gewesen, als Shinya aus den Schatten des Waldes auf einen breiten, staubigen Weg hinausgetreten war, der sich bis weit in das sanfte Auf und Ab der Hügellandschaft hineingewunden hatte. Der Himmel war wie so oft zu solch früher Stunde noch ein wahrhaftiges Kunstwerk gewesen, ein Fluss aus Rot und Blau und zartem Violett, in dessen Mitte irgendwo ein schwächlich dumpfes Glühen an die wolkenverhangene Präsenz der Sonne erinnerte.

Dann hatte sich zunächst das Rot hinfort gestohlen, hatte schon bald auch das Violett mit sich genommen und schließlich nichts mehr anderes übrig gelassen als eine grenzenlose Fläche intensiven Hellblaus, frei von jedem Nebel, jedem Wolkenschleier, dafür aber erfüllt und durchflutet von den Strahlen der Sonne, die im Laufe der Stunden immer heißer, immer erbarmungsloser auf die Stirn des Katzenjungen hinuntergebrannt hatte. Ein klebrig warmer Film von Schweiß zog sich mittlerweile über seine gesamte Haut und schien sich insbesondere in den zahllosen Höhlen und Einbuchtungen der Brand- und Schürfwunden ganz außerordentlich wohl zu fühlen, was sein Vorankommen nicht unbedingt erleichterte.

Selbst wenn man vom Pochen und Stechen in seinem Knie, ebenso wie von den quälenden Durstschreien seiner Kehle einmal ganz dezent abgesehen hätte.

Shinya stieß einen tiefen, missmutigen Seufzer hervor. Den Planeten zu retten war anscheinend doch noch weitaus unangenehmer, als er es sich jemals hatte vorstellen können. Aber woher hätte er es denn auch besser wissen sollen? In keiner der großen Legenden, von denen er bereits zahlreiche gelesen hatte, war auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt worden, wie unvorstellbar unangenehm, ja beinahe ekelhaft das mächtige, stolze Rund der Sonne doch werden konnte, wenn es einem Stunde für Stunde die ewig gleiche Stelle auf der Haut erhitzte. Oder wie sehr einem die Füße schmerzen konnten. Oder auch wie gefährlich nahe einen selbst die kleinste Abschürfung der obersten Hautschicht an den Rande eines überaus tiefgründigen Wahnsinns treiben konnte, wenn sie unter einem ätzenden Film von Schweißtropfen schonungslos den Reibungskräften des Kleidungsstoffes ausgesetzt war.

All das wurde in den alten Sagen stets zugunsten von grausigen Drachen und anderen blutrünstigen Bestien beiseite gelassen, und doch waren es nicht zuletzt diese wenig heldenhaften, aber dennoch leider Gottes nicht zu ignorierenden ersten Hindernisse auf seinem wirklich endlos scheinenden Pfad, die jener boshaften Stimme namens Zweifel ganz heimlich, still und leise ein Hintertürchen zurück in Shinyas Bewusstsein öffneten.

Was war denn eigentlich, wenn er diese ganze unmenschliche Prozedur schlicht und einfach völlig umsonst über sich ergehen ließ? Wenn er doch tatsächlich nur ein kleines bisschen lebhafter geträumt hatte, als er das eben sonst von sich gewohnt war, und er jetzt geradewegs in sein Unglück lief? Ein Unglück, das nicht etwa den Untergang des ganzen Planeten bedeutete, wohl aber ein zumindest weithin unbekanntes Land, in dem er sich wohl kaum auf eigene Faust zurechtfinden würde. Auch seine kläglichen Finanzen würden ihm gewiss nicht sonderlich lange zu Diensten stehen können, und dann...

Spätestens an dieser Stelle folgte auf seine vagen Pläne und Zukunftsvorstellungen bestenfalls noch Dunkelheit, im Grunde genommen aber noch nicht einmal das, sondern ganz einfach überhaupt nichts mehr. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass er gar nichts wusste. Nicht, wohin er gehen sollte. Nicht, was er an diesem Ort, wo auch immer er sein mochte, dann tun sollte. Er war mit offenen Augen in eine Sackgasse gelaufen... oder vielmehr in eine Falle, denn nun war ihm der Weg in beide Richtungen verwehrt. Vor ihm erstreckte sich nichts als blinde Leere, aber umzukehren kam sogar noch viel weniger in Frage, und dieser Gedanken barg etwas unvorstellbar Frustrierendes in sich. Aber was hätte er denn auch sagen sollen, um den Betreuern und den anderen Kindern im Heim sein kurzzeitiges Fehlen plausibel zu machen?

Dass er aufgebrochen war, um Youma zu retten, so wie es ihm eine rätselhafte Stimme im Traum vorhergesagt hatte? Dies war natürlich eine ganz besonders sensible, gelungene Strategie - vorausgesetzt er legte es darauf an, sich für den Rest seines Lebens dem Fluch der vollkommenen Lächerlichkeit preiszugeben. Was er jedoch im Übrigen nicht tat. Und außerdem... so sehr er auch zweifelte, sosehr er sich fast schon zur Vernunft zwingen wollte... da blieb doch immer auch der Zweifel in die entgegengesetzte Richtung, jene merkwürdige Überzeugung, dass diese Stimme ihm vielleicht doch die Wahrheit gesagt hatte.

Es mochte naiv und vor allem auch ganz unwahrscheinlich kitschig klingen, aber tief in seinem Inneren meinte Shinya zu spüren, dass er das Richtige tat.

"Nich aufgeben, einfach nich aufgeben...", murmelte er vor sich hin und zwang sich zu einem Lächeln, das seine eigenen Worte und Gedanken stumm bekräftigen sollte. "Du hast zwar keine Ahnung, wo du grad bist, aber das hier is ja immerhin nich die Wüste und hier gibt es Dörfer und irgendwann wirst selbst du eins finden!"

"Und ob du das wirst, Kleiner!", stimmte ihm eine warme, tiefe Stimme zu, die von hinten an seine Ohren drang. "Allerdings wirst du dafür wohl noch die eine oder andere Meile laufen müssen!"

Shinya fuhr erschrocken herum und vergaß einen Augenblick lang sogar den empörten Protest in seinem Knie, der sich mit einem kochend heißen Rumoren reichlich unhöflich wieder zu Wort meldete. Eine Pferdekutsche hatte sich ihm bis auf wenige Meter genähert, unbemerkt und lautlos, obwohl der Boden ja an und für sich sogar überaus hart und trocken war - eine Tatsache, die vor allem seine Füße mit Nachdruck bestätigen konnten. Nun jedoch, da er sich erst einmal umgedreht und das kleine, pechschwarze Gefährt erblickt hatte, da hörte er nur umso deutlicher das Klappern der Räder auf dem steinigen Grund und das Schnauben der beiden prächtigen Rappen, die vor die Kutsche gespannt waren.

Auf dem Bock des Zweispänners saß ein junger Mann mit pechschwarzer Kleidung. Auch sein Haar war schwarz und fiel ihm in langen glänzenden Strähnen über die Schulter hinab, lediglich zusammengehalten von einem recht lose sitzenden schwarzen Band. Seine Haut wirkte angesichts dieser überwältigenden Menge an Schwarz, Schwarz und nochmals Schwarz sogar noch weitaus blasser, als sie wohl tatsächlich sowieso schon war, aber gerade die Härte dieses Kontrastes verlieh seinem fein geschnittenen Gesicht einen gewissen, wenn auch reichlich finsteren Reiz. Über seinen hohen Wangenknochen lagen zwei leicht schräg stehende, dunkelgraue Augen, die jedoch bei aller Dunkelheit von einem steten Blitzen erfüllt waren.

Diese unverhohlene Fröhlichkeit änderte jedoch leider auch nicht mehr sonderlich viel daran, dass über dem ganzen Gespann eine Aura düsterer Morbidität lag, die Shinya an eine ganze Unzahl von Märchen und Legenden erinnerte, die er vor allem in den Jahren seiner Kindheit mit Begeisterung verschlungen hatte. Erzählungen von Kutschen, die geradewegs dem Totenreich entstiegen waren, um jeden mit sich ins Verderben zu reißen, der nur dumm genug war, sich von ihnen auf eine letzte, niemals mehr endende Reise einladen zu lassen. Oder auch an die eine oder andere Sage von bösen Königen und ihren noch viel böseren Söhnen, wobei der Katzenjunge sich Letztere immer ein bisschen so vorgestellt hatte wie jenen in Schwarz gewandeten Fremden, der nun von seinem Platz auf dem Kutschbock aus mit grauen Augen auf ihn hinabblickte.

Andererseits... wenn Shinya sich dann wieder in Erinnerung rief, was ihm allein an dem vergangenen Tag und vor allem in der vergangenen Nacht schon alles zugestoßen war, dann wollte ihm nun wirklich kein plausibler Grund mehr einfallen, sich von einer simplen schwarzen Kutsche das Fürchten lehren zu lassen! Wer hätte es dem jungen Mann denn auch verübeln können, dass Schwarz nun einmal seine Lieblingsfarbe zu sein schien? Und außerdem wirkte das Lächeln auf seinen Lippen und nicht zuletzt auch der Tonfall in seinen Worten so unglaublich warm, so ehrlich und freundlich, dass Shinya sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, einen wirklich bösen Menschen vor sich zu haben.

"Aber weißt du was?", fuhr er auch prompt in unverändert gut gelaunter Stimmlage fort. "Der Weg wäre zwar nicht unbedingt kürzer, aber doch zumindest ein ganzes Stückchen weniger anstrengend, wenn du einfach aufspringen und mit mir mitfahren würdest. Wäre auch übrigens gar kein Problem. Meine Pferde merken nicht, ob sie nun einen oder zwei Menschen hinter sich herziehen, du allerdings siehst ganz schön erschöpft aus!"

"Hm... ja... danke...", murmelte Shinya mit erstickter Stimme. Sein Hals brannte bei jedem Wort, das er in einer wahrhaft unglaublichen Ignoranz seiner körperlichen Grenzen jetzt noch auszusprechen wagte, und er hatte große Mühe damit, sich trotzdem noch ein Lächeln auf das Gesicht zu zwingen. Ob es ihm nun tatsächlich gelang oder nicht, das konnte der Katzenjunge auch gar nicht so genau sagen, in jedem Fall aber ergriff er nur zu gerne die Hand, die der schwarzhaarige Fremde ihm darbot.

Eine Aktion, die an und für sich eigentlich jeder charakterlichen Neigung Shinyas aufs Tiefste, aufs Heftigste widersprach, denn wenn er im Laufe seines Lebens auch nur eine einzige Sache gelernt hatte, dann die, dass so etwas wie Misstrauen jederzeit und gegenüber gleich welcher fremden Person bedingungslos angebracht war. Aus irgendeinem Grund erschien diese goldene Regel jedoch in einem vollkommen anderen Licht, wenn man zuvor einen stundenlangen Marsch über Staub und Stein hinter sich gebracht hatte - ein sehr spezielles Vergnügen, das sich im Falle des Einhaltens besagter Regel sogar noch einmal in exakt demselben, ja wenn nicht sogar in einem noch größerem Ausmaße wiederholen würde. Und somit auch ein Grund, zumindest einmal im Leben ohne ein schlechtes Gewissen selbst die ureigensten Prinzipien verraten zu können.

"Man tut, was man kann!", grinste der Fremde und hievte den Halbdämon mit einem einzigen kraftvollen Ruck auf das dunkle Leder des Kutschbocks hinauf. "Ich weiß zwar nicht, wo genau du nun eigentlich hinwillst, aber ich für meinen Teil bin auf dem Weg nach Tranquila. Nicht unbedingt eine Weltstadt, sicher, aber auf jeden Fall doch ein ganz entzückendes Fleckchen Erde!"

"Hm... also mir ist das eigentlich relativ egal", murmelte Shinya, und ganz unweigerlich stahl sich ein trockenes Husten über seine ausgedörrte Kehle. Er räusperte sich und schenkte dem jungen Mann ein verlegenes Lächeln.

"Durstig, was?", lachte der und angelte mit einer einzigen fließenden Bewegung unter seinen Sitz, wo er ein kleines Fach öffnete und einen - wie hätte es auch anders sein können? - pechschwarzen Lederschlauch hervorzauberte. "Nicht verzagen, mich fragen", nickte er bekräftigend und streckte Shinya mit einem kurzen, verschwörerischen Zwinkern den Wasserbehälter entgegen.

Ein Geschenk, das der Katzenjunge nur allzu gerne annahm. Er hatte es mehr als nur eilig, den Verschluss des Schlauches zu öffnen und ihn an seine Lippen zu setzten, und als dann die ersten Tropfen des Getränkes seine trockene Kehle benetzten, da war es um seine Selbstbeherrschung endgültig geschehen. Mit gierigen Schlucken trank er von dem Wasser, das von der Fahrt durch die pralle Sonne zwar recht lauwarm geworden war und zudem auch einen leicht abgestandenen Nachgeschmack mit sich führte, doch beides interessierte Shinya herzlich wenig. Zumindest in diesen kurzen Augenblicken herrlichster Erfrischung war jene schale Brühe der wohl köstlichste Trunk, von dem er jemals in seinem ganzen Leben gekostet hatte.

Er saugte auch noch das letzte bisschen Flüssigkeit aus dem ledernen Behältnis heraus, dann setzte er es mit einem zufriedenen Seufzen ab und schnappte erst einmal wieder nach Luft. Nun endlich fand er auch tatsächlich die Kraft, seinem Retter in der Not ein aufrichtig dankbares Lächeln zu schenken, das auch prompt erwidert wurde.

"Na, das schien ja wohl höchste Zeit gewesen zu sein!" stellte der Schwarzhaarige lachend fest, hielt dann jedoch kurz inne und blinzelte den Halbdämon einige Momente lang mit fragenden Augen an. "Sag mal... kann es sein, dass ich mich noch überhaupt nicht vorgestellt habe? Oh je... wo hab ich nur wieder mein Gedächtnis gelassen? Aber egal, was nicht ist, kann ja noch werden, oder anders ausgedrückt: Ich heiße Will. Will Inoryan, aber das brauchst du dir nicht zu merken. Will reicht."

Er streckte dem Katzenjungen seine rechte Hand entgegen, die in einem schweren, dunklen Lederhandschuh steckte.

"Ähm... und ich bin Shinya", antwortete dieser, während er den überaus kräftigen Händedruck des Schwarzhaarigen auf angemessene Weise zu erwidern versuchte. "Und... noch mal Danke fürs Mitnehmen und das Wasser und so...."

"Hey - gern geschehen!", entgegnete Will und strahlte über das ganze Gesicht. "Ach, und apropos Wasser: Weißt du, was ich witzig finde? Wenn ich genau dieses Wasser vergiftet hätte, dann... ja, dann wärst du jetzt wahrscheinlich schon tot!"

"Bitte... was?!"

Obwohl Shinya den letzten Schluck von dem lauwarmen Getränk schon vor gut vier oder fünf Minuten genommen hatte, gelang es ihm doch auf wundersame Weise, sich trotzdem noch daran zu verschlucken. Er keuchte, rang um Atem und fixierte mit großen, entsetzten Augen das lächelnde Gesicht des Schwarzhaarigen - ein Blick, der diesen ganz offensichtlich in einen Zustand sogar noch größerer Heiterkeit zu versetzen schien, denn er brach spontan in ein schallendes Lachen aus.

"Nur ein Witz, nur ein kleiner Witz!", verkündete er fröhlich, dann ließ er einen Ruck durch die Zügel der Kutsche laufen und riss so die beiden ruhenden Rappen aus ihrer erschöpften Lethargie. Das Gefährt setzte sich in Bewegung, langsam zunächst, dann jedoch immer schneller, bis sie schließlich in vollem Galopp die staubige Straße in Richtung Tranquila hinabflogen.
 

Die Zeit verging wie im Fluge - was zu einem nicht ganz unerheblichen Teil aber auch einfach nur daran lag, dass Shinya von seiner Umgebung nicht unbedingt viel mitbekam, geschweige denn von dem Verstreichen der Minuten oder sonstigen unbedeutsamen Nebensächlichkeiten. Die Pferde rasten in einer derart halsbrecherischen Geschwindigkeit dahin, dass von der Schönheit der Natur nicht viel mehr als ein wirrer, grünblauer Farbenrausch übrig blieb, und Shinya hatte mehr als genug damit zu tun, sich überhaupt noch irgendwie an dem Kutschbock festklammern zu können.

Diese Art des Reisens war gewiss alles, nur nicht entspannend oder erholsam, und schon nach kurzer Zeit schmerzten Shinyas Finger und seine Arme, vor allem aber der rabiate Schlag seines Herzens, der seinen Brustkorb von innen heraus wie ein glühender Schmiedehammer zu bearbeiten schien. Zumindest aber sollten seine Mühen belohnt werden - die beiden Reisenden erreichten Tranquila tatsächlich noch vor der Abenddämmerung, und kaum dass die ersten Häuser in Sichtweite gekommen waren, verlangsamten die Rappen zunehmend ihr Tempo, bis sie schließlich in fast schon höhnisch gemächlichem Schritt durch die schmalen Straßen des Dorfes schlenderten. Auf dem beschaulich kleinen Rund des Marktplatzes kamen sie dann vollends zum Stehen und Will sprang mit einem fröhlichen Pfeifen vom Kutschbock hinab und klopfte den Tieren ihre kräftigen Hälse.

Dann wandte er sich um und vollführte eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung des Katzenjungen. Dieser ließ sich nicht lange bitten - sein Schmerz über das Verlassen der Kutsche hielt sich nämlich überaus stark in Grenzen, doch selbst als er das nachtfarbene Gefährt endlich hinter sich gelassen hatte, schien das Pflaster unter seinen Füßen immer noch leicht zu schwanken und zu vibrieren. Er schüttelte den Kopf und trat dann unschlüssig auf den lächelnden Schwarzhaarigen zu. Will führte seine Rappen erst einmal zu einer langen steinernen Viehtränke hin, an der sich bereits etliche andere Pferde eine wohl verdiente Ruhepause gönnten, und ließ die beiden Tiere trinken, ohne sie dabei anzubinden.

"Sag mal, was hast du jetzt eigentlich vor?", erkundigte er sich dann, während er sich mit seinem linken Arm auf einen der breiten, kräftigen Pferderücken stützte.

"Öhm... mal schaun...", entgegnete Shinya und zuckte mit den Schultern. "Ich werd mir wohl erst mal ne Unterkunft oder so was suchen müssen, und dann... ja... dann seh ich halt weiter."

"Eine Unterkunft?" Will hob auf reichlich kritische, aber keinesfalls verletzende oder herablassende Art seine Augenbrauen und neigte den Kopf zur Seite. "Und du bist dir ganz sicher, dass du dafür genügend Geld bei dir hast?"

"Ja, klar, das passt schon...", grinste Shinya und bekräftigte seine Worte mit einem etwas zu euphorischen Nicken. "Hey, keine Angst - ich komm ganz gut alleine klar!"

"So, tust du das?", erwiderte der Schwarzhaarige und schenkte dem Halbdämon ein leicht spöttisches Grinsen. "Das werde ich mir merken. Für den Fall, dass ich dich irgendwann mal wieder halbtot durchs Niemandsland irren sehe!"

"Halbtot?" Der Katzenjunge runzelte die Stirn. "Man kann's auch übertreiben..."

"Ich weiß. Wenn man es nicht könnte, würde ich es ja auch nicht tun." Will schüttelte seinen Kopf und lachte. "Hey, du verstehst schon, wie's gemeint ist, oder? Du musst nämlich wissen, ich für meinen Teil gehöre nun einmal zu dieser Sorte Menschen, die man einfach nicht allzu ernst nehmen darf, mache ich selber ja auch nicht. Ist übrigens eine gute Lebenseinstellung, aber ich möchte dich weder belehren noch dir weiter deine kostbare Zeit stehlen, die du ganz bestimmt auch sinnvoller nutzen kannst!"

"Verlass dich drauf!", grinste Shinya und warf sich seinen wieder einmal reichlich in Unordnung geratenen Zopf mit einer schwungvollen Bewegung über die Schulter. "Aber so ein bisschen durch die Gegend kutschieren darfst du mich trotzdem gern mal wieder, so isses nich..."

"Es wäre mir ein Vergnügen!" Der Schwarzhaarige deutete eine Verneigung an. "Aber jetzt mal im Ernst - ich wünsch dir alles Gute, Kleiner, und was immer du vorhast, lass dich nicht unterkriegen. Wer weiß, vielleicht sieht man sich bei Gelegenheit ja wirklich mal wieder?"

"Vielleicht?", entgegnete der Katzenjunge, während er seine Schritte langsam aber sicher auf eine der kleineren Seitengassen zulenkte, an denen es dem Marktplatz alles andere als mangelte. "Ich glaub zwar, ich hab's schon mal gesagt, aber... Danke für die Fahrt, ja? Und... also... bis dann!"

"Bis dann, Kleiner!"

Die beiden tauschten zum Abschied ein kurzes Winken aus, dann schenkte Will dem Katzenjungen noch ein letztes Augenzwinkern, bevor er seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder den beiden erschöpften Rappen widmete, die sich zufrieden schnaubend an dem kalten, klaren Nass der Viehtränke gütlich taten. Shinya zuckte mit den Schultern und wandte sich dann seinerseits von dem jungen Krieger ab und dem schmalen Gässchen zu, das zu erkunden er mehr zufällig als aus irgendeinem Plan oder irgendeiner inneren Eingebung heraus beschlossen hatte. Er war noch niemals zuvor in Tranquila gewesen, und da er sowieso nicht recht wusste, was er denn eigentlich sonst hätte tun sollen, beschloss er kurzerhand, jenes ganz entzückende Fleckchen Erde erst einmal ein klein wenig näher kennen zu lernen.

Tatsächlich war Tranquila in erster Linie eines: ruhig. Ein Dörflein, wie man es in keinem Bilderbuch schöner hätte finden können, in keiner Weise prachtvoll, dafür aber ganz unwahrscheinlich niedlich. Die Häuser standen eng und oftmals ohne rechte Ordnung beieinander. Ihre weißen Fassaden waren mit Fachwerk geschmückt, das jedoch niemals wirklich exakt und planmäßig konstruiert war, sondern immer eine heimelige Schräge an den Tag legte, sodass jedes der Gebäude ein kleines bisschen schief wirkte. Viele der Gässchen waren von einer wahrhaft absurden Schmalheit, andere mündeten in winzige Treppchen und Hinterhöfe, in denen sich zwischen efeuumrankten Mauern kleine Brunnen oder Tische und Bankreihen verbargen.

Auch etliche andere Dinge gab es auf den mit Kopfstein gepflasterten Wegen zu entdecken: Kleine Läden und Handwerksbetriebe verschiedenster Art, Schneider und Krämer, winzige Spielzeuggeschäfte und Bäckereien, in deren Schaufenster sich allerlei Köstlichkeiten stapelten; außerdem Kellergewölbe, hinter deren schweren Toren und steinernen Stufen sich gemütliche Gaststuben verbargen. Einmal konnte Shinya sogar einen kurzen Blick in das Atelier eines Künstlers erhaschen, der sich inmitten von Farbpaletten, Kohlestiften und Bergen zerknüllten Papiers über eine hölzerne Staffelei beugte und mit raschen, sicheren Pinselstrichen ein Bild auf die Leinwand zauberte, das Shinya aber leider nicht näher erkennen konnte. Ansonsten war das Dörfchen allerdings weitestgehend unbelebt, denn die meisten Menschen nutzten die Gunst des spätsommerlichen Wetters und gingen ihrer Arbeit auf den Feldern nach.

Der Gedanke an Arbeit rief Shinya auf überaus schmerzliche Weise ins Bewusstsein zurück, wie wenig Geld er doch eigentlich bei sich trug. Die wenigen Silberstücke, die er sich im Laufe der Jahre zusammengespart hatte, würden ihm wohl bestenfalls einige warme Abendessen bescheren, vielleicht auch gerade noch ein bis zwei Nächte in einer minderwertigen Unterkunft - mehr aber auch nicht. Und was dann?

Er hatte niemals in seinem Leben wirklich gearbeitet, hatte nichts gelernt und ja auch eigentlich nicht damit gerechnet, so plötzlich und unvermutet auf eigenen Beinen stehen zu müssen. Doch eben diese Tatsache türmte sich nun, da er den ersten Schock über die wohl unvernünftigste und kopfloseste Entscheidung seines ganzen Lebens erst einmal mehr oder weniger verdaut hatte, als umso größeres Problem vor ihm auf.

Der Katzenjunge seufzte leise und vergrub seine Hände tief in den Hosentaschen. Die wenigen Menschen, die ab und an seinen Weg kreuzten, musterten ihn mit unverhohlener Neugierde, teils aber auch mit weitaus negativeren, ablehnenderen Ausdrücken auf ihren Gesichtern. Und wenn schon! Er war es doch nicht anders gewohnt. Shinya wusste, dass die Bewohner solch kleiner Dörfer nicht unbedingt viel in der Weltgeschichte herumkamen und deshalb ganz gewiss nicht an den Anblick von Halbdämonen gewöhnt waren. Trotzdem hob er ganz unweigerlich seine Schultern und ließ den Blick auf das unregelmäßige Auf und Ab des Kopfsteinpflasters sinken.

Shinya blickte erst wieder auf, als sich die Reihen der Fachwerkhäuser lichteten und er unvermittelt in eine Flut von Licht hinaustrat. Um ihn herum war erst einmal nichts als Weite, die sich irgendwo am Horizont im Sonnenuntergang verlor. Inmitten dieser ruhigen Abendstimmung wuselten zahlreiche Menschen wie geschäftige Ameisen durcheinander, und der Katzenjunge musste nicht zweimal hinsehen, um zu erkennen, welch harte Arbeit an diesem idyllischen Ort verrichtet wurde. Hier und dort rackerten sich auch etliche Kinder ab, wohl um wenigstens noch ein kleines bisschen Geld für ihre Familien dazuverdienen zu können.

Eine Tatsache, die Shinya auf recht egoistische Weise sogar sehr zugute kam, denn wenn ihm überhaupt irgendwo jemand sagen konnte, wo er für wenig Geld eine Kleinigkeit zu Essen bekommen würde, dann ja wohl an diesem Ort des sicherlich äußerst schlecht entlohnten Schaffens. Die Augen des Katzenjungen tasteten über die goldenen Felder und suchten nach einer erschöpften Seele, die sich inmitten des regen Treibens wenigstens einen Moment der Ruhe gönnte.

Da plötzlich fühlte er, wie ihm von hinten ein Finger auf die Schulter tippte.

"Brauchst du vielleicht Hilfe?"

Der Halbdämon fuhr herum - und blickte geradewegs in das Gesicht eines Mädchens, das scheinbar vollkommen lautlos hinter ihn getreten war. Im ersten Moment flackerte Wut in der Brust des Katzenjungen auf, weniger auf die junge Unbekannte selbst als vielmehr auf die gesamte Menschheit, die es sich an diesem warmen Spätsommertag ganz offensichtlich zum kollektiven Ziel gemacht hatte, ihn durch unvermutetes Anpirschen und -sprechen aus dem Hinterhalt langsam aber sicher einem frühzeitigen Herzinfarkt entgegenzutreiben.

Dieser Anflug von Zorn verebbte jedoch noch weitaus schneller, als er gekommen war, und mit ihm verschwand auch der erste Schrecken, der wie eine eiskalte Dusche über Shinyas Körper hereingebrochen war. Stattdessen lief ein leiser, aber überaus wohliger Schauer über seinen Rücken, als er begriff, dass er jetzt und zur Sekunde in die wohl sanftesten Augen blickte, die er jemals bei einem Menschen gesehen hatte.

Besagte Augen trugen die Farbe von warmem, dunklem Braun, und im selben Ton schimmerte auch das lange, glatte Haar des Mädchens, allerdings mit einem Hauch von Gold darin, aber das konnte auch einfach nur am Licht der untergehenden Sonne liegen, deren Strahlen das Dunkel zum Glänzen brachten. Sie lächelte, und auch in diesem simplen, gar nicht einmal übertrieben fröhlichen Lächeln (eigentlich war es eher ein klein wenig schüchtern), lag so unglaublich viel Wärme, dass es den Katzenjungen erzittern ließ, nur ganz kurz, bevor es ihn mit einem Gefühl von tiefer, harmonischer Ruhe erfüllte.

Er fügte sich endgültig in die bedingungslose Kapitulation jeglicher Empörung über seinen neuerlichen Schrecken und antwortete stattdessen ebenfalls mit einem Lächeln.

"Ähm... Hilfe?", entgegnete er, nicht ohne eine Spur von Verlegenheit in seiner Stimme. "Wenn du's so direkt wissen willst, also... ja. Ich bin nämlich heut zum ersten Mal hier und kenn mich echt absolut nicht aus, und deshalb... weißt du zufällig, wo ich hier was zu Essen kriegen könnte?" Er legte eine kurze Pause ein und verzog seinen Mund zu einem Grinsen. "Es is nur leider so, ich bin momentan ein kleines bisschen knapp bei Kasse, also..."

"Ich verstehe schon", lächelte das Mädchen, und noch während sie sprach, bemerkte er erstmals, dass sie zwei nicht unbedingt sonderlich leicht anmutende Wassereimer in ihren zierlichen Händen trug.

"Wart mal kurz", entgegnete er hastig und streckte der Dunkelhaarigen auffordernd eine Hand entgegen. "Bevor du mir hilfst sollt ich vielleicht erst mal dir helfen, kann das sein? Die Dinger sehn irgendwie... schwer aus."

"Schwer?" Sie hob ihre Schultern, doch allein die krampfhaft überspielte Mühseligkeit in dieser kurzen Bewegung war eigentlich schon Antwort genug. "Nein... das geht schon. Man sieht mir das vielleicht nicht unbedingt gleich an, aber ich habe doch Übung in dieser Art von Arbeit. Du musst mir nicht helfen, du siehst nämlich eigentlich viel erschöpfter aus, als ich mich fühle."

"Ach was, das geht schon!" Er bekräftigte sein Angebot mit einem entschlossenen Nicken und nahm dem Mädchen kurzerhand einen der Eimer aus ihrer Hand.

Es vergingen wohl tatsächlich nur wenige Sekunden, bis Shinya eine Woge tiefster Reue über diese großmütige Anwandlung in sich aufsteigen fühlte, doch ihm selbst kam diese letzte Gnadenfrist sogar noch weitaus kürzer vor. Sein rechter Arm, seine Hand sowie sämtliche Finger wurden durchzuckt von einem rabiaten Schmerzensschrei der Empörung, und er hätte das schwergewichtige Blechgebilde um ein Haar postwendend wieder fallen lassen. Der Katzenjunge presste seine Lippen fest aufeinander und zwang sich zu einem neutralen Gesichtsausdruck, was schon mit sehr großem Abstand das Positivste war, das er jetzt noch zustande bringen konnte.

Das Mädchen lächelte. Ihre tiefbraunen Augen schlossen sich nur ein ganz klein wenig, genug aber, dass ihre langen Wimpern feine Schatten in das Spiel von der Dunkelheit ihrer Iriden und der glitzernden Reflexion des Sonnenlichtes werfen konnten. Sie senkte ihren Kopf ein Stück weit und erlaubte so einigen ihrer dunklen Haarsträhnen, von ihrem Platz hinter den Ohren geradewegs vor ihr Gesicht zu fallen.

Alles in allem war dieser Anblick schon mehr als genug, um Shinya für all seine Leiden angemessen zu entschädigen, selbst wenn das Gewicht des Eimers in seinen Händen dadurch keineswegs erleichtert und der ziehende Schmerz in seinem Arm auch ebenso wenig gelindert wurde. Er nickte tapfer und schenkte der Dunkelhaarigen einen Blick, von dem er eigentlich selbst nicht so genau sagen konnte, was er denn nun zu bedeuten hatte.

"Siehst du?", verkündete er in dem am wenigsten gequälten Tonfall, zu dem er sich eben noch irgendwie zwingen konnte. "Geht doch gleich viel einfacher so!"

"Na ja, für mich schon!", lachte das Mädchen. "Ach, ich... ich weiß jetzt gar nicht so recht, wie ich mich bedanken soll! Oder... doch, eigentlich weiß ich es schon. Du hast mich doch vorhin gefragt, wo du etwas essen könntest, richtig?"

"Absolut!", nickte der Katzenjunge und folgte den Schritten der Dunkelhaarigen, als sie sich mitsamt ihrer immer noch reichlich schweren Fracht langsam in Bewegung setzte.

"Weißt du was? Du kannst heute eigentlich auch bei mir essen. Sonderlich viel wird es dort zwar nicht geben, aber immerhin besser als gar nichts, denke ich. Ich lebe nämlich bei der Dorfältesten, und sie ist wirklich eine unheimlich gute Köchin!" Die Dunkelhaarige nickte bekräftigend, dann jedoch stockte sie und hielt inne. "Oh je, da fällt mir doch gerade eben auf, dass ich mich ja überhaupt noch gar nicht vorgestellt habe! Wie unhöflich von mir... entschuldige. Ich heiße Hoshi Amano."

"Und ich bin Shinya... Shinya Trival!"

Der Halbdämon grinste, und das nicht etwa nur, um seine Worte der Bekanntmachung mit einer gewissen höflichen Fröhlichkeit zu unterstreichen. Irgendetwas an der Erkenntnis, dass er sich nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag hatte vorstellen müssen, amüsierte ihn sogar ganz ehrlich und aufrichtig. Nach so vielen Jahren, in denen ihn stets ein Gefühl von Einsamkeit begleitet hatte, lernte er nun binnen weniger Stunden gleich zwei sympathische Menschen kennen, die ihm wie selbstverständlich ihre Hilfe anbaten. Shinya war überwältigt. So unüberlegt sein Aufbruch gewesen sein mochte, so unsicher die Zukunft war, die noch vor ihm lag, so sehr beflügelte ihn auch die Erkenntnis, dass er am Reisen sogar noch weit mehr Gefallen fand, als er es sich jemals hatte erdenken und erträumen können.

Während seines kurzen Gespräches mit jenem Mädchen namens Hoshi war die Sonne dem Horizont bereits ein gutes Stück näher gekommen und tauchte die belebten Felder in ein bronzefarbenes Licht. Trotz des geschäftigen, ruhelosen Treibens lag über der gesamten Szenerie eine unglaubliche Idylle, wie Shinya sie bislang nur von Bildern kannte, die er in Büchern über die Freuden und Leiden des bäuerlichen Lebens eigentlich niemals wirklich beachtet oder gewürdigt hatte. Auf seine Lippen stahl sich ein Lächeln, während er an Hoshis Seite in das golden schimmernde Netz der schmalen Gässchen eintauchte.
 

Der erste Abend in Shinyas neuem Leben war sogar noch weitaus schöner gewesen, als er es zu irgendeinem vorhergegangenen Zeitpunkt zu hoffen gewagt hatte. Hoshi hatte ihn über etliche verwinkelte Kopfsteinpflasterwege hinweg geführt, bis sie schließlich vor zwei nicht sonderlich hohen und noch viel weniger breiten Fachwerkhäusern zum Stehen gekommen war. Der Katzenjunge hatte sich bereits gefragt, in welche der beiden Bauten sie denn nun eigentlich treten würde, als das Mädchen stattdessen auf eine ganz unwahrscheinlich schmale Gasse zugeschritten war, die sich zwischen den weiß verputzten Mauern dem goldenen Himmel entgegenstreckte.

Wobei die Bezeichnung Gasse als solches beinahe schon vermessen, ja regelrecht größenwahnsinnig erschien im Angesicht dieses feuchten Spaltes, der kaum mehr als einen halben Meter breit war. Umsichtig darum bemüht, so wenig wie möglich von dem Wasser aus seinem Eimer zu verschütten, schob und quälte sich Shinya durch den bedrückend engen Durchgang und war heilfroh, als sich die Wände dann wieder zu einem kleinen Kanal verbreiterten. Ein schmales Bächlein plätscherte munter über etliche Steine und Pflanzen hinweg, die sich unter einem schmalen steinernen Brückchen zu einer ganz eigenen Landschaft inmitten der von Menschenhand geschaffenen Idylle des Dorfes vereinten.

Die Brücke selbst war aus hellgrauem Stein gehauen und gute zwei Meter lang. An ihrem anderen Ende mündete sie erneut in ein Gässchen, das sich auf nicht weniger einengende Art und Weise zwischen zwei Hauswänden hindurchzog. Außerdem zweigte eine hölzerne Treppe von dem grauen Pfad ab und zog sich an der Mauer eines Fachwerkhäuschens bis zu einer niedrigen Türe hinauf. Diesen Weg wählte Hoshi. Sie stieg trotz ihrer schweren Last mit einer wahrhaft traumwandlerischen Sicherheit die schwarzbraunen Stufen hinauf und klopfte dann dreimal laut an das dunkle Holz der geduckten Eingangspforte.

Entgegen seiner ersten Befürchtungen hatte die Dorfälteste den Katzenjungen sogar überaus gerne in ihren heimeligen vier Wänden empfangen und ihn mit noch größerer Begeisterung bewirtet und umsorgt. Die Einrichtung der Wohnung (oder zumindest des Teiles davon, den Shinya zu Gesicht bekam), war verhältnismäßig einfach, meilenweit entfernt von dem schwermütig altmodischen Prunk des Herrenhauses, in dem er aufgewachsen war, trotzdem stand es diesem an einladender Gemütlichkeit in Nichts nach.

Eine der Wände wurde voll und ganz von einem Herd aus weißem Stein und dunklem, schwerem Eisen ausgefüllt, über dem sich eine Leiste aus weiß gestrichenem Holz über die gesamte Breite der Mauer hinwegzog. Zahllose verbeulte Schöpfkellen, hölzerne Kochlöffel und gehäkelte Topflappen hingen daran hinab und verliehen der Kochecke einen überaus chaotischen Charme. Doch auch die Ablagefläche darüber war weise genutzt worden: Neben etlichen, zum größten Teil wohl selbst erstellten Kochbüchern reihten sich viereckige weiße Keramikbehältnisse, auf denen verschnörkelte blaue Buchstaben die Namen zahlreicher Gewürze verkündeten. Sogar zwei kleine Blumentöpfe mit frischen Kräutern fügten sich auf äußerst passende Weise in diese wundervoll Appetit anregende Reihe.

Auch sonst schien der Raum in erster Linie zum behaglichen Miteinander bei gutem Essen gedacht zu sein, denn der größte Teil des verhältnismäßig kleinen Zimmers wurde von einer Sitzecke eingenommen, bestehend aus einem hellen, viereckigen Holztisch und einer Eckbank, auf der eine Reihe dunkel gemusterter Kissen zum gemütlichen Verweilen einluden. Darüber hinaus gab es noch zwei weitere Stühle, in deren Rückenlehnen große, fünfzackige Sterne eingeschnitzt waren. Unmittelbar hinter dem Esstisch durchbrach ein großes Fenster die weiß verputzte Wand und gewährte einen Blick auf die hell erleuchtete Fassade des nahe liegenden Nachbarhauses.

Im Laufe des Essens - die Dorfälteste hatte den beiden erschöpften Jugendlichen, die sich auf der Eckbank niedergelassen hatten, einen tatsächlich überaus köstlichen Eintopf aufgetischt - war Shinya sich mehr und mehr der Tatsache bewusst geworden, dass seine großzügige Gastgeberin ihn wohl keineswegs nur aus bloßer Nächstenliebe zu sich eingeladen hatte, sondern vor allem auch aus Neugierde. Dabei blieb sie jedoch stets diskret genug, um zu merken, wann der Katzenjunge einer Frage bewusst auswich (zum Beispiel der Erklärung dafür, warum er denn nun eigentlich mutterseelenallein und ohne viel Geld in der Tasche so vollkommen planlos durch die Lande zog), und beließ es dann auch dabei, um sich behände dem nächsten Thema zuzuwenden.

Vielleicht mochte es an irgendeinem besonderen Gewürz in der herrlich duftenden Mahlzeit gelegen haben, vielleicht auch an dem beruhigend weichen, gelblich matten Lichtschein, der von der kleinen Blechlampe ausging, die über dem Tisch baumelte, aber irgendetwas verbreitete in der beschaulichen Runde eine gewisse Form von Redseligkeit, wie Shinya sie sonst überhaupt nicht von sich gewohnt war. Hinter dem schwarzen Eisengitter des Herdes brannte immer noch ein wohlig warmes Feuerchen und erfüllte den Raum mit einem leisen Knistern. Der Widerschein der Flammen und die sanfte Helligkeit des alten Lämpchens tauchten die weißen, mit blauem Garn bestickten Vorhänge in ein heimelig flackerndes Licht- und Schattenspiel.

Shinya genoss jede einzelne Minute ihrer angeregten Unterhaltung, und obwohl ihre Themen sicherlich nicht immer fröhlich und unbeschwert waren, so fühlte er sich doch so ruhig und entspannt wie schon lange nicht mehr. Hoshi und die Dorfälteste konnten gleichermaßen gar nicht genug kriegen von den zahllosen kleinen Anekdoten und Erinnerungen, die er aus seiner Zeit im Heim zwischen den Wäldern zu erzählen hatte, doch auch ihnen mangelte es keineswegs an amüsanten und interessanten Erlebnissen, die es wert waren, weitergetragen zu werden. So erfuhr Shinya, dass Hoshi ebenfalls ein Waisenkind war, dass sie sich jedoch im Gegensatz zu ihm niemals hatte alleine durchschlagen müssen, sondern bereits als Säugling von der Dorfältesten aufgenommen und dann auch großgezogen worden war.

Irgendwann - es war spät und draußen längst schon dunkel geworden - hatte dann aber doch die Müdigkeit Einzug in die gemütliche kleine Stube gehalten und insbesondere von der alten Frau mehr und mehr Besitz ergriffen. Auch an Hoshi waren die Anstrengungen des zurückliegenden Arbeitstages keineswegs spurlos vorüber gegangen, und als die Konversation schließlich mehr und mehr in ein wechselseitiges Gähnen abgeglitten war, da hatte man einstimmig beschlossen, dem gemütlichen Beisammensein vorerst einmal ein Ende zu setzen. Zum Abschied hatte die Dorfälteste Shinya sogar noch versprochen, in einem ihrer (offensichtlich überaus zahlreichen) Bücher nachzuschlagen, ob sie nicht doch irgendwo etwas über einen Stamm von Katzendämonen finden könnte, dann hatte man sich gleichermaßen satt und zufrieden getrennt.

Über die hölzerne Treppe, das kleine Brücklein und die schmale Gasse war Shinya in die behagliche Einsamkeit des Dorfes zurückgekehrt. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, den idyllischen Flecken Erde noch einmal im blauen Licht der Nacht zu erkunden, war an Wirtsstuben vorbeigekommen, aus denen laute Musik und rötlicher Fackelschein auf das verlassene Kopfsteinpflaster hinausgedrungen waren, und hatte seine Schritte dann endlich wieder den freien Feldern zugewandt, aus denen mittlerweile jegliche Geschäftigkeit verschwunden war.

In sanften Hügeln erstreckten sich die Ebenen bis hin zum tiefblauen Vorhang des Nachthimmels. Nicht überall wogten noch lange Grashalme und erhabene Reihen von Mais, oft genug waren nach dem beschwerlichen Schaffen der Bauern nur mehr kurze Stoppeln auf der dunklen Erde zurückgeblieben, auf denen im Licht des Mondes ein Hauch von Silber lag. Das ebene Bild der Landschaft wurde durchbrochen von mächtigen Türmen hoch aufgestapelter Heuballen, die langgezogene Schatten in die Weite des Landes warfen.

Für Shinya waren ebendiese aufgetürmten Ballen eine wortlose Einladung, der er nur zu gerne und ohne langes Überlegen folgte. Die Nacht war warm, wunderbar und angenehm warm, und trotzdem war der Himmel sternenklar. Es bereitete dem Katzenjungen keine große Mühe, einen der Heubauten zu erklimmen, und auf den breiten Rollen fand er genügend Platz zum Liegen, ohne einen nächtlichen Sturz befürchten zu müssen. Unter ihm erstreckte sich der sanfte Widerschein von Tranquilas Straßenlaternen und den letzten erleuchteten Fenstern, die das Netz aus verwinkelten Gassen und dunklen Schieferdächern in ein warmes, wenn auch nicht sonderlich helles Licht hüllten.

Diese künstlich geschaffene Helligkeit war aber eigentlich sowieso vollkommen überflüssig, denn immerhin stand der Mond riesengroß und von keinem noch so winzigen Wolkenfetzen getrübt am schwarzblauen Nachthimmel, und auch die zahllosen Sterne funkelten hell und silbrig miteinander um die Wette. Aus irgendeinem Grund, den er nicht kannte, der ihn aber eigentlich auch gar nicht weiter interessierte, war Shinya so glücklich wie nur selten zuvor. Na gut - ein ganz klein wenig vermisste er die vertraute Sicherheit seines Zimmers und vor allem die kuschelige Weichheit seines Bettes ja schon, aber selbst diese leise Wehmut konnte seine Zufriedenheit bestenfalls oberflächlich und in keinem Fall sonderlich nachhaltig trüben.

Die Finger des Halbdämons glitten in seine Hosentasche und zogen seine Glückskugel daraus hervor. Obwohl sie nur recht klein war, mit einem Durchmesser von etwa zehn Zentimetern, rief schon allein das bloße Gefühl ihres Gewichtes in seiner Hand doch ganz unweigerlich eine tiefe Ruhe in dem Katzenjungen wach. Shinyas grüne Augen blickten versunken auf das glasklare Rund, in dessen Mitte eine winzige, tiefviolette Flamme unaufhörlich umhertanzte. Der Halbdämon wusste nicht, woher er diese Kugel eigentlich bekommen hatte, denn er besaß sie schon, seit er denken konnte, und wann immer er sie ansah, fühlte er sich... zuhause.

Was eigentlich eine ganz absurde Beschreibung des Gefühls war, das diese wundersame kleine Glückskugel in ihm wachrief, denn im Grunde genommen hatte Shinya sich ja noch niemals in seinem ganzen Leben wirklich irgendwo zuhause fühlen können, ganz einfach deshalb, weil er überhaupt kein Zuhause besaß. Trotzdem bedeutete der Anblick dieser Kugel für ihn... Sicherheit. Vertrautheit. Ruhe. Und eine merkwürdige Wärme, die er sonst überhaupt nicht kannte und deshalb weder mit irgendetwas anderem vergleichen noch angemessen beschreiben konnte.

Ein herzhaftes Gähnen stahl sich über Shinyas Lippen und zwang ihn einige Momente lang dazu, seine Augen zu schließen. Die mühevollen, wenn auch zum Teil unvergleichlich schönen Stunden des Tages lasteten nun wie Blei auf seinen Gliedern und ließen auch seine Lider ganz unvorstellbar schwer werden, zu schwer, als dass er ihrem Gewicht noch länger hätte standhalten können. Jede einzelne seiner Wimpern schien Tonnen zu wiegen, und es gelang dem Katzenjungen gerade noch, seine Glückskugel wieder an ihrem alten Platz in seiner Hosentasche zu verstauen und sich auf der Seite zusammenzurollen, als er im nächsten Augenblick auch schon eingeschlafen war.
 

Sein Erwachen war ebenso sanft, dafür aber weitaus langwieriger als sein Entschlummern in der Nacht zuvor. Die warmen Strahlen der Morgensonne kitzelten Shinyas Gesicht, und etliche Minuten lang ließ er diese wohligen Weckrufe einfach nur regungslos über sich ergehen und genoss das sichere Wissen, nicht einmal einen einzigen Grund zu haben, um früh aufstehen zu müssen. Irgendwann rang sich der Katzenjunge dann aber doch ein träges Blinzeln ab, bevor er langsam seine grünen Augen aufschlug.

Zunächst einmal sah er nichts als Blau. Endlos weites, ungetrübt strahlendes Blau, das ihn mit einem belebenden Gefühl von grenzenloser Freiheit erfüllte. Shinyas Lippen verzogen sich zu einem durch und durch zufriedenen Lächeln. Was für ein Leben! Er richtete sich gemächlich auf, gähnte und streckte sich erst einmal ausgiebig und musterte dann mit verschlafenen Blicken seine Umgebung. Obwohl es doch noch verhältnismäßig früh sein musste, hatte die Arbeit auf weiten Teilen des Feldes bereits wieder eingesetzt. Shinya sah sich um, ob er nicht irgendwo Hoshis Gestalt erblicken konnte, und tatsächlich schien ihm das Glück auch in dieser Beziehung einmal mehr hold zu sein.

Allerdings nur knapp zwei, drei Sekunden lang, bevor es ihn auf eine überaus hinterlistige Art und Weise wieder fallen ließ. Der Katzenjunge erstarrte. Statt der Wärme seines Blutes schien nun vielmehr eisiges Wasser durch seine Adern zu rinnen, und er musste sich etliche Male die Augen reiben, bevor er sich tatsächlich eingestehen konnte, dass jenes über alle Maßen grauenhafte Bild, das sich ihm da zur Sekunde bot, nicht einfach nur ein boshaftes Spielchen seiner müden Sinne, sondern tatsächlich real war.

Hatte er sich am Abend zuvor sogar noch ein paar Mal Gedanken darüber gemacht, ob der Abstieg von seinem Turm aus Heuballen sich nicht möglicherweise doch als weitaus weniger einfach gestalten würde, als es der wahrhaft mühelose Aufstieg getan hatte, so wurde nun jegliche Sorge augenblicklich von der eiskalten Sturmflut in seinem Inneren hinfort gespült. Mit zwei großen Sätzen war Shinya sogar überaus rasch wieder auf dem festen Erdboden angelangt, verschränkte vorsorglich schon einmal die Arme vor der Brust und stapfte dann mit weiten, festen Schritten auf Hoshis zierliche Gestalt zu.

Besser gesagt: Auf Hoshis zierliche Gestalt und auf eine ganz unvorstellbar grauenhafte Alptraumkreatur, die sich dem Mädchen bis auf knapp einen Meter genähert hatte. Das Monstrum stand der Dunkelhaarigen unmittelbar gegenüber und starrte ihr geradewegs ins Gesicht, die Lippen zu einem furchtbaren Grinsen verzogen, bereit, die Ahnungslose jeden Augenblick zu verschlingen, mit sich in das tiefste aller bodenlosen Höllenlöcher hinabzuzerren, um dort ihren Körper in Milliarden winzig kleine Fetzen zu zerreißen.

Oder... vielleicht war es auch einfach nur gerade beschäftigt damit, eine lebhafte Konversation mit dem Mädchen zu führen.

"Phil!"

Shinyas Stimme bebte vor Wut und er fixierte das Gesicht des Blondschopfes mit dem finstersten, kältesten Blick, den er nur irgendwie noch zustandebrachte, ohne seinem Gegenüber gleich den Kopf von den Schultern zu reißen. Und noch während er so vor sich hinstarrte und -stapfte und knurrte und sich einfach nur alle Mühe gab, möglichst bösartig und furchteinflößend zu wirken, da ging mit einem Mal ein Wandel in dem Katzenjungen vor.

Vielleicht war es auch gar kein wirklicher Wandel, sondern vielmehr eine... Verschiebung. Eine Verschiebung seiner Wut, um genau zu sein. Hatte sich Selbige nämlich bis eben noch auf jene durch und durch fürchterliche Gestalt des wohl schrecklichsten Menschen gerichtet, den er überhaupt jemals in seinem ganzen Leben kennen gelernt hatte, so wurde nun mehr und mehr er selbst zum Zentrum dieses kochend heißen Zornes - und das mit Recht.

Natürlich gab es eine ganze Reihe von Entschuldigungen, die er zur Beruhigung seines eigenen Amok laufenden Gewissens hätte vorbringen können (seine Müdigkeit zum Beispiel, oder die vollkommene Neuartigkeit seiner Situation, in der er sich erst noch zurechtfinden musste), aber keine von ihnen erschien ihm wirklich überzeugend.

Er hatte sich verraten. War ohne auch nur eine einzige Sekunde lang nachzudenken geradewegs in sein Unglück gelaufen und hatte sich zu allem Überfluss auch noch vollkommen berechtigt, ja beinahe sogar dazu verpflichtet gefühlt, genau dies und nichts anderes zu tun! Was hatte Phil wohl in solch einem kleinen Dorf wie diesem hier verloren, fernab seines heimatlichen Herrenhauses und zufälligerweise genau dort, wohin es auch ihn, Shinya, erst vor wenigen Stunden verschlagen hatte? Die Antwort war so einfach, dass sie wahrlich schon wieder schmerzte.

Natürlich hatte man den Blondschopf losgeschickt, um nach ihm zu suchen. Was auch sonst? Es war mittlerweile immerhin ein ganzer Tag vergangen, an dem man sein Fehlen ganz einfach bemerkt haben musste, und angesichts seines doch nicht unbedingt unauffälligen Erscheinungsbildes war es wohl offensichtlich ein Leichtes gewesen, seiner Spur bis hierhin zu folgen. Dabei verwunderte es Shinya keineswegs, dass sich ausgerechnet Phil zur Teilnahme an diesem Einmannsuchtrupp bereit erklärt hatte - gab es eine bessere Gelegenheit, sich postwendend und langfristig über ihn lustig machen zu können?

Er war alles so grauenhaft durchschaubar, dass es Shinya beinahe schwindlig wurde, insbesondere auch deshalb, weil er wieder einmal zielsicher das wohl Falscheste getan hatte, was man in dieser Situation überhaupt nur irgendwie hätte tun können. Immerhin hatte er noch wenige Momente zuvor in vollkommener Sicherheit gute zweieinhalb Meter über den Dingen geschwebt, selig schlummernd auf einem Turm von Heuballen, auf dem man ihn von den Feldern aus überhaupt nicht sehen oder doch zumindest nicht wirklich erkennen konnte. Und nun?

Nun war er Phil geradewegs in die Arme gelaufen, und natürlich hatte dieser ihn längst schon bemerkt, hatte ihm seine hellblauen Augen zugewandt und blinzelte ihm derart erstaunt entgegen, dass es ganz einfach nur noch gespielt sein konnte.

"Shinya? Was.... was um alles in der Welt machst du hier? Das ist doch nicht... bist du weggelaufen oder was?"

Shinya ließ einen prüfenden Blick über das Gesicht des Blondschopfes streifen, und spürte dann seinerseits ein Gefühl tiefer Verwirrung in seiner Brust aufsteigen. Er kannte Phil nun schon lange genug, um zu wissen, dass dieser ein sogar überaus begabter Lügner war, doch er hatte im Laufe der Jahre auch gelernt, hinter die Fassade des Jungen blicken oder sie doch zumindest als solche zu entlarven. Nun jedoch sah er nichts. Kein verräterisches Blitzen in den Augen oder Zucken in den Mundwinkeln, alles in allem keinerlei Anzeichen von Falschheit, und das war weit mehr, als der Katzenjunge in diesem Augenblick begreifen konnte.

"Das... Gleiche könnt ich dich fragen", wich Shinya der Frage des Blondschopfes aus und versagte zugleich kläglich in dem Bemühen, seine Worte ruhig und selbstsicher klingen zu lassen. Ein Missgeschick, in dem Phil ihm jedoch augenblicklich nachzueifern schien:

"Ähm... ich... ich bin auf der Suche nach jemandem, wenn du's unbedingt wissen willst. Im Gegensatz zu dir hab ich nämlich nichts zu verbergen..."

Irgendetwas an dem Tonfall in Phils Worten ließ den Katzenjungen sogar ganz gewaltig an der Richtigkeit ihres Inhalts zweifeln, und so enthielt er sich erst einmal jeglicher Antwort und begnügte sich stattdessen damit, langsam und kritisch beide Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. Es war wirklich kaum zu glauben: Ausgerechnet Phil, der ja sonst wahrlich nie um eine Ausrede verlegen war, geriet nun im Angesicht einer derart simplen Frage ins Stocken? Irgendetwas daran war sogar ganz unwahrscheinlich faul, und dieses etwas - was auch immer es nun sein mochte - weckte Shinyas Neugier, gleichermaßen aber auch eine gewisse Art von Beunruhigung.

"Was denn?", fuhr ihm der Blondschopf reichlich entnervt in seine ewig kreisenden Gedanken hinein. "Habe ich vielleicht irgendetwas in meinem Gesicht oder warum starrst du mich so an?"

"Ja sicher, ich starr dich an!", grummelte Shinya und verdrehte seine Augen. "Sonst noch Wünsche? Ich frag mich nur grad irgendwie, was du ausgerechnet... hier zu suchen hast. Läufst du mir jetzt schon nach oder was?"

"Ich? Dir?" Phil verzog seine Lippen zu dem gemeinsten und spöttischsten Grinsen, das er in seinem überaus breiten Repertoire an gemeinen und spöttischen Grinsen nur irgendwie vorrätig hatte, und strich sich mit einer Hand durch sein verstrubbeltes blondes Haar. Shinya schluckte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck und er wusste, dass er ganz gewiss nichts Gutes verhieß. "Aber weißt du was? So, wie du fragst, musst du ja fast schon irgendwie erwartet haben, dass ich hier aufkreuzen würde. Und wo wir schon einmal beim Thema wären, da würde mich doch wirklich sehr interessieren, was dich denn eigentlich in dieses schöne kleine Dörfchen hier geführt hat... und warum du dich aufführst wie ein Schwerverbrecher auf der Flucht vor den Gardisten!"

"Ich..." Shinya wollte zu irgendeiner Antwort ansetzen, die so bestimmt und nachdrücklich unverschämt war, dass sie jeden Zweifel und jede weitere Frage von Seiten des Blondschopfes schon einmal vorsorglich im Keim ersticken würde, doch in seinem Kopf herrschte plötzlich vollkommene Leere. Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte, wie er sich noch hätte rechtfertigen können, und er las überdeutlich das zunehmende Misstrauen, das gerade seine viel zu lange Pause in dem Blondschopf wecken musste.

"Du... was?", hakte Phil in einem Tonfall nach, der nur allzu deutlich machte, dass er, was auch immer Shinya zu seiner Verteidigung nun vorbrachte, ja sowieso nicht mehr glauben würde.

"Ich... also... na ja..." Shinya ertrug es nicht mehr länger, den zweifelnden Blicken des Blondschopfes standhalten zu müssen, und so wandte er seine Augen rasch dem Boden zu. Die Lage schien aussichtslos - wie bitte sollte er denn auch solch einem ewigen Besserwisser wie Phil glaubwürdig nahe bringen, was in den vergangenen beiden Tagen vor sich gegangen war, wenn er es doch selbst am allerwenigsten verstand?! Nein, das war absurd, das war ganz und gar unmöglich, ja fast schon anmaßend...

Und vielleicht gerade deshalb auch eine Chance, mit der Shinya überhaupt nicht mehr wirklich gerechnet hatte.

Wer sagte denn eigentlich, dass Phil ihm auch tatsächlich glauben musste? Der Blondschopf hatte Shinya doch immerhin schon sein ganzes Leben lang für mehr oder minder verrückt gehalten, und warum sollte an diesem einen merkwürdigen Morgen mit all seinen Schrecken und Überraschungen nicht endlich der Augenblick gekommen sein, selbst das Ruder in die Hand zu nehmen und genüsslich noch ein bisschen mehr Öl ins Feuer zu gießen? Er war an einem Punkt angekommen, an dem selbst die fantasievollste Lüge kaum mehr fantastischer und unglaubhafter erscheinen konnte als die ungeschönte Wahrheit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Was hatte er denn schon zu verlieren außer dem letzten bisschen Ansehen und Respekt, das er in Phils Augen ja wahrscheinlich sowieso niemals wirklich besessen hatte? Wenn der Blondschopf ihn auslachen, sich noch ein, zwei Minuten lang über ihn lustig machen und dann in der Gewissheit über Shinyas endgültigen mentalen Zusammenbruch das Weite suchen würde, dann konnte das dem Katzenjungen doch eigentlich nur mehr als Recht sein!

Er zauberte ein betont aufgesetztes Lächeln auf seine Lippen und trat dem blonden Jungen nun wirklich äußerst gelassen entgegen.

"Also... pass gut auf, Phil, ich habe nämlich wirklich keinerlei Lust, mich später noch mal zu wiederholen, ja?" Er strich sich mit einer provokant gelangweilten Geste einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und reckte sein Kinn noch ein, zwei Zentimeter weiter in die Höhe. "Ich hatte da so einen Traum, und in dem Traum wurde mir gesagt, dass ich ein Auserwählter bin... nein, nicht irgendein Auserwählter, sondern der Auserwählte, der die zehn... also ohne mich sind's noch neun... Estrella suchen muss, um an... ähm... genau, um an Equinox den Planeten zu retten. So unvorstellbar klug, wie du nun einmal bist, sagt dir das alles ganz bestimmt etwas, also Estrella, von wegen legendäre Magier und so. Klingt doch nicht übel, was? Aber jetzt stell dir mal vor: Es wird noch besser! Wie ich ja bereits erwähnt habe, ich bin auch einer von diesen... Estrella. Und weißt du, was passiert, wenn ich das nich schaffe, die alle zu finden? Dann geht nämlich der Planet unter. Na, wie hört sich das an?"

Wonach auch immer es sich anhören mochte - was darauf folgte, war in jedem Fall erst einmal Stille. Kein Lachen, nicht einmal ein Grinsen, auch keine Empörung und schon gar keine beleidigte Fahnenflucht angesichts einer derart haarsträubenden Lüge, kurzum: Nichts, aber auch gar nichts von dem, was Shinya zu Phils möglichem Reaktionsspektrum auserkoren hatte. Stattdessen hatte sich ein merkwürdig atemloses Schweigen über die Runde gelegt, und im Zentrum dieses Schweigens stand der Blondschopf, der ihn mit seinen hellblauen Augen entgeistert anstarrte.

"Du...?", war schließlich alles, was er noch als Antwort vorzubringen hatte, und in diesem einen Wort lag eine derart ernsthafte, schwerwiegende Gewichtung, dass es dem Katzenjungen kalt den Rücken hinablief. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was Phils Reaktion zu bedeuten hatte, aber aus irgendeinem Grund erschreckte sie ihn, mehr noch als jedes Schreien, jedes höhnische Lachen es wohl jemals hätte tun können.

Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, war es ja gar nicht er, der in diesen seltsamen frühen Morgenstunden den Verstand verloren hatte.

"Ähm... ja, ich?", antwortete er schließlich in reichlich verunsichertem Tonfall. Phil blickte ihn noch etliche Momente lang an, nachdenklich und schweigend, bevor er schließlich mit ruhiger, eindringlicher Stimme antwortete:

"Dann... dann müssen wir uns treffen, heute Nacht. Am besten genau hier auf dieser Wiese, aber erst, wenn die Sonne untergegangen ist, hast du das verstanden?"

"Ja, Mann, ich habe es verstanden!" Der Katzenjunge schüttelte den Kopf und schenkte dem Blondschopf einen zweifelnden Blick. "Ganz so blöd bin ich nun auch wieder nicht. Ich frag mich allerdings, was mit dir grad..."

Er brach ab, als Phil ihm mit einer einzigen herrischen Handbewegung das Wort abschnitt. Der blonde Junge schüttelte seinen Kopf, langsam und dabei so unwahrscheinlich bedeutungsschwer, dass es eigentlich jede weitere Erklärung überflüssig machte, die aber auch sowieso nicht mehr folgte. Ein letzter, eindringlicher Blick aus den hellen blauen Augen - dann wandte Phil sich von ihm ab und folgte dem schmalen, unregelmäßig gepflasterten Weg, zurück in das Dorf hinein.

Shinya sah ihm schweigend nach, bis seine Gestalt zwischen den kleinen Häusern verschwunden war.
 

Jede einzelne Stunde des Tages war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen, ganz unnatürlich lang und vor allem auch furchtbar langweilig. Dabei gehörte es an und für sich überhaupt nicht zu Shinyas Charakterzügen, dass er zur Langeweile neigte - im Gegenteil. Er wusste sich manchmal sogar allzu gut zu beschäftigen und so mancher Tag war vorübergegangen, bevor ihm wirklich bewusst geworden war, dass er überhaupt erst begonnen hatte. Doch mehr noch als die generelle Zeitnot quälte den Katzenjungen das Gefühl des Wartens, und genau diese lästige Emotion durchzog jede einzelne Sekunde dieses Tages wie ein hässlicher roter Faden, den zu zerschneiden ihm einfach nicht gelingen wollte.

Zum Dank für das reichhaltige Abendessen (und nicht zuletzt auch deshalb, weil er ihre Gesellschaft schon in der kurzen Zeit, in der sie sich nun kannten, durchaus zu schätzen gelernt hatte), war er Hoshi ein wenig auf den Feldern zur Hand gegangen. Mehr schlecht als recht, freilich, und auch nur mit mäßiger Ausdauer, denn bereits nach kurzer Zeit waren die Schmerzen in seinem Knie aufs Neue erwacht und hatten ihn immer öfter zu Pausen gezwungen. Irgendwann hatte die Dunkelhaarige dann mit Nachdruck darauf bestanden, dass er nun wirklich Ruhe gebrauchen könnte, und so hatte er sich erneut auf einen der Heuballentürme zurückgezogen, in das endlose Blau des Himmels hinaufgeblickt und seinen Körper von den Strahlen der Sonne wie von einer unendlich warmen und dabei doch vollkommen leichten Decke einhüllen lassen.

Er hatte diesen Posten, der ihm mittlerweile durchaus ans Herz gewachsen war, nur ein einziges Mal wieder verlassen, um die kärgliche Mahlzeit herunterzuschlingen, die ihm als Belohnung für seine Hilfe dargeboten wurde. Ansonsten hatte er nur zu gerne auf seinem Platz zwischen Himmel und Erde verweilt, erschien er ihm doch wie kein zweiter dazu bestimmt, seine Gedanken in einigermaßen ruhige Bahnen zu lenken und über alles nachzudenken, was ihn seit den vergangenen Stunden und Tagen beschäftigte.

Zuallererst einmal war da das Rätsel, was Phil überhaupt von ihm wollte... warum er hier war, ausgerechnet hier in Tranquila, wenn er ihn doch angeblich überhaupt nicht gesucht hatte. Oder war doch alles nur eine Lüge gewesen? So sehr er auch darüber nachdachte, ihm wollte und wollte einfach kein Grund einfallen, aus dem der Blondschopf das Heim hätte verlassen sollen. Im Gegensatz zu ihm hatte er dort Freunde, eine ganze Menge Freunde sogar, und schließlich war doch möglichst viel Gesellschaft das, was Phil wohl von allen Dingen am Meisten schätzte.

Es sah dem Jungen überhaupt nicht ähnlich, sich so ganz allein aus dem Ort zwischen den Wäldern davonzustehlen, auch wenn er sich ab und an dort gelangweilt hatte. Und warum hatte er sich dann ausgerechnet mit Hoshi unterhalten wollen? Sicher, die Dunkelhaarige war hübsch, auf ihre Weise sogar sehr hübsch, aber gewiss keines der makellos niedlichen Mädchen, von denen Phil ansonsten so sehr zu schwärmen pflegte. War sie etwa diejenige, die Phil angeblich suchte, die ihn in das idyllische Dörfchen gelockt hatte? Aber warum war er dann einfach wieder wortlos davongegangen, als Shinya zu ihnen getreten war?

Vor allem anderen aber verwirrte den Halbdämon die Reaktion des Blondschopfes auf seine eigenen Worte, die so vollkommen anders ausgefallen war, als er sich das jemals hatte vorstellen können. Wenn er jetzt zurückdachte, dann wollte ihm nicht einmal eine einzige Begebenheit einfallen, in der er bei Phil ein ähnliches Verhalten beobachtet hatte - schon gar nicht, wenn es bei dieser Begebenheit um ihn, Shinya, ging! Diese ernste Miene, dieses Schweigen... und dann der Ausdruck in seinen Augen...

Shinya schüttelte seinen Kopf und rollte sich auf Seite. Es waren so viele Rätsel, zuviele Rätsel, die ihm momentan in seinem Kopf herumgeisterten und deren Lösungen er nicht einmal erahnen konnte. Er suchte und suchte und fand doch keinen Funken Kraft mehr in seinem Leib, den er noch zur Beantwortung all seiner Fragen hätte aufbringen können, und so stellte er sie kurzerhand zur Seite und blickte stattdessen starr zur silberhellen Scheibe des Mondes hinauf. Er war erschöpft, geistig wie auch körperlich, denn die ungewohnte Belastung der Feldarbeit hatte ihm doch weit mehr zugesetzt, als er es erwartet hatte. Im Licht des Mondes lag etwas so unendlich Vertrautes, Beruhigendes... und die Nacht war dennoch vollkommen dunkel, lichtlos, aber vielleicht lag das ja auch einfach nur daran, dass ihm die Augen zugefallen waren.

Und seine Gedanken schwiegen.

Alles, was den Katzenjungen jetzt noch umfing, war eine wundervolle Wärme, das herrlichste Schwarz, das man sich überhaupt nur denken konnte, und auch das Heu schien so unendlich weich, obwohl er es eigentlich überhaupt nicht mehr richtig spürte. Dann, ganz plötzlich, fühlte er ein Kratzen in seinem Hals, eine merkwürdige Trockenheit, und irgendetwas drang an sein Ohr...

Waren es Worte?

"Shinya! Hey, Shinya!"

Diese Stimme... er kannte sie... die Art, wie sie seinen Namen betonte... wie sie nach ihm rief... all das erschien ihm so bekannt und war doch gleichzeitig vollkommen anders als jemals zuvor. Sein Hals fühlte sich ein wenig steif an, verspannt, und erst jetzt bemerkte der Katzenjunge, wie unglaublich unbequem seine Haltung, in der er lag, doch eigentlich war. Er blinzelte und rappelte sich auf. Was war geschehen? War er etwa eingeschlafen? In jedem Fall konnte sein Schlaf nicht allzu lange gedauert haben, denn es war immer noch Nacht und der Mond stand unverändert groß und rund am Himmel.

"Shinya, was machst du da oben? Pennst du? Oder versteckst du dich vor mir?"

Der Halbdämon wandte seinen Blick nach unten und sah - zu seiner größten Freude, versteht sich - eine ihm nur allzu bekannte Gestalt, größer als er selbst, aber dennoch nicht sonderlich groß, und das kurze blonde Haar wie immer in unordentlichen Strähnen nach allen Seiten vom Kopf abstehend. Phil Maxim Amarillo, dessen gewohnt selbstgefälliges Grinsen er doch an und für sich niemals mehr hatte wiedersehen wollen und das ihm nun gefolgt war, um ihn noch in dieser herrlichen Nacht erbarmungslos heimzusuchen.

Manchmal, nur manchmal, konnte das Leben aber auch wirklich ganz verflucht unfair sein!

Shinya verdrehte die Augen, streckte sich kurz, und sprang dann mit einer eleganten Bewegung von dem Heuballenturm herab. Er landete unmittelbar neben dem blonden Jungen in den kurzen Halmen des Grases, fand auch tatsächlich sofort sein Gleichgewicht und verschränkte beide Arme vor der Brust, während sich ein herausfordernder Zug um seine Lippen legte. Was auch immer ihn nun erwarten würde, er sah in jedem Fall keinerlei Grund mehr dazu, sich noch in irgendeiner Art und Weise zurückzunehmen oder zu beherrschen, immerhin war dies nicht mehr sein Heim, in dem er sich mit irgendjemandem arrangieren und dauerhaft auskommen musste. Er war nun frei und er konnte tun und lassen, was er wollte, er und niemand anderes.

"Ich verstecke mich vor niemandem", antwortete er kurz und ohne jede Spur von heuchlerischer Freundlichkeit. "Und ich hab auch ehrlich gesagt keine große Lust dazu, lange mit dir zu reden, also sag mir, was du willst und dann lass mich in Ruhe!"

"Was bist du denn so kurz angebunden heute?" Phil musterte ihn mit einem Ausdruck gespielter Überraschung, dann schüttelte er seinen Kopf und lächelte. "Zu schade. Ich hätte die Gelegenheit doch gerne noch für eine kleine Unterhaltung genutzt, weißt du, letzte Gelegenheiten sollte man nicht einfach so verstreichen lassen."

"Letzte Gelegenheiten?", echote Shinya misstrauisch und zog eine seiner Augenbrauen hoch. "Wenn du mir damit sagen willst, dass du dich danach verziehst und nich mehr wiederkommst, dann lass ich die Gelegenheit so dermaßen gern verstreichen, dass kann ich dir gar nich sagen!"

"...dass ich mich verziehe und nicht mehr wiederkomme?" Der Blondschopf lachte und klang dabei so unwahrscheinlich boshaft, dass es den Katzenjungen ganz unweigerlich einen kleinen, unauffälligen Schritt zurückweichen ließ. "Du bist ja richtig naiv heute, Shinya, oder tust du nur so? Aber Naivität scheint ja gerade so etwas wie dein Lebensmotto zu sein, vorausgesetzt, du glaubst wirklich an all das, was du mir heute Vormittag erzählt hast. Was ich beinahe nicht hoffen möchte, trotz allem. Dass du von den Estrella weißt, hat mich ja schon reichlich erstaunt, und dann der Rest... ich fürchte, du musst da etwas falsch verstanden haben."

"Was habe ich falsch verstanden?" Shinya senkte seinen Kopf ein Stück weit und bedachte den Blondschopf mit einem lauernden Blick. "Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich überhaupt verstanden habe... oder verstehen sollte... und... warum bist du plötzlich hier und... warum weißt du das... das von wegen Estrella und so, ich... ich dachte..."

"Wahrscheinlich dachtest du überhaupt nichts", fiel ihm der Blondschopf in reichlich unfreundlicher Weise ins Wort. "Was du erzählst, kann nämlich gar nicht der Wahrheit entsprechen, hörst du? Ich meine, du... du willst der... Auserwählte sein? Entschuldige bitte, aber das ist lächerlich. Man muss dich belogen haben... oder du belügst mich. Ich habe diesen Auftrag bekommen... Youma den Frieden zu bringen. Ewigen Frieden. Man hat mir schon davon erzählt, dass da noch jemand ist, der mich... stören würde. Aber dass ausgerechnet du das sein würdest... ich muss zugeben, das hätte ich nicht gedacht."

"Mann, Phil, was redest du da eigentlich?" Shinya schüttelte den Kopf, und mit einem Mal konnte er überhaupt nicht mehr anders, als dem Blondschopf einen fast schon flehenden Blick zuzuwerfen. Er hatte mit allem, mit wirklich allem gerechnet - dass Phil mit der versammelten Mannschaft an Betreuern aufkreuzen und ihn in die trauten vier Wände seines Heimes zurückschleppen würde, dass er zumindest seine Freunde mit sich bringen und sie gemeinsam einige Späße auf seine Kosten zum Besten geben und sich über seine Verwirrung vom Vormittag lustig machen würden... nur nicht mit dem, was zur Sekunde vor seinen Augen vonstatten ging und dabei doch so unendlich weit entfernt, so... unwirklich schien.

Er kannte Phil nicht erst seit gestern, und auch wenn sie nicht immer in trauter Einigkeit miteinander gelebt hatten, so war doch niemals zuvor etwas derart Gewichtiges zwischen ihnen gestanden wie in dieser einen Nacht.

"Das sollte ich wohl eher dich fragen", fuhr der blonde Junge in ungerührtem Tonfall fort. "Du scheinst dich ja auch recht gerne blenden zu lassen, habe ich Recht? Glaubst du tatsächlich noch an dieses... dieses Gleichgewicht, von dem all die Priester aus ihren heiligen Büchern vorlesen, von... von dem die alten Legenden immer in so einer unheimlich tiefen Ehrfurcht berichten... schön blöd. Was hat man von diesem Gleichgewicht, außer, dass es sich in irgendwelchen Heldensagen und Tempelreden eben ganz besonders toll anhört? Was ist so toll daran, wenn es für alles Gute immer gleich genauso viel Schlechtes geben muss?"

"Du sprichst wie ein Verrückter, Phil, merkst du das eigentlich nicht?", entfuhr es dem Katzenjungen, doch der Blondschopf quittierte seinen ungläubigen Blick lediglich mit einem weiteren spöttischen Lachen. "Hey, was hast du vor? Willst du... willst du jetzt den ganzen Planeten hier auf den Kopf stellen oder wie? Das is doch irre!"

"Wenn ich irre bin, dann bist du einfach nur dumm, Shinya! Womit haben sie dich gelockt? Was haben sie dir versprochen?" Er wurde wieder ernst und durchbohrte den Katzenjungen förmlich mit dem eindringlichen Blick seiner vernichtend hellblauen Augen. "Du stehst auf der falschen Seite, hörst du mich? Du sollst Leid über die Welt bringen und alles zerstören, aber wahrscheinlich weißt du das noch nicht einmal. Ich möchte ehrlich sein, Shinya: Ich habe dich nie gemocht. Du hast das immer so raushängen lassen, wie unheimlich... anders du doch bist. Hast dich als großer Außenseiter gefühlt und dabei hast du's doch eigentlich provoziert... das war manchmal echt verflucht arrogant von dir, weißt du?"

"Du nennst mich arrogant, Phil?" Shinya keuchte. "Sag mal, geht's noch? Ihr seid euch doch immer so wahnsinnig viel besser vorgekommen als ich, ja?!"

"Als ob du dich nicht wie etwas Besseres gefühlt hättest..." Phil schüttelte den Kopf und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck, der... ja, der beinahe schon traurig wirkte, ganz ungewohnt traurig, dabei aber auch von einer wahrhaft erschreckenden Endgültigkeit. "Aber das ist ja jetzt auch irgendwie alles egal. Es ist, wie es ist, und ich... mir wär's echt lieber gewesen, wenn's anders gekommen wäre. Leider ist es dafür jetzt wohl ein klein wenig zu spät..."

Er wandte sich um und vollführte eine kurze Handbewegung in Richtung einer der Gassen, die in die weiße Front der Fachwerkhäuser hineinführte und sich dort in einem dichten Netz aus Schatten verlor. Obwohl Shinya an und für sich im Dunkeln sehr gut sehen konnte, so machte es das vollkommene Fehlen von Licht, selbst von Mondlicht, in besagter Gasse doch nahezu unmöglich, überhaupt irgendetwas zu erkennen. So bemerkte der Katzenjunge die finstere Gestalt, die dort höchstwahrscheinlich schon während ihrer gesamten Unterhaltung gewartet hatte, auch erst in dem Augenblick, da sie langsam aus dem vollkommenen Schwarz hinaustrat.

"Um ehrlich zu sein", fuhr Phil fort, und seine Stimme klang dabei ganz erschreckend kühl, "du stehst mir im Weg. Du bist eine Gefahr, und zwar nicht nur für mich, sondern für uns alle! Es tut mir wirklich leid, aber Gefahren müssen nun einmal beseitigt werden."

"Bitte was?!" Der Katzenjunge keuchte, und fast gegen seinen Willen verzogen sich seine Lippen zu einem überaus fassungslosen Lächeln. "Phil... du meinst das jetzt nicht ernst, oder? Das ist krank. Das ist absolut krank, was du da von dir gibst, und entweder, du meinst es nicht ernst, oder du hast echt den Verstand verloren..."

"Weißt du, Shinya, im Gegensatz zu dir habe ich nämlich schon einen Estrella gefunden", entgegnete Phil unbeeindruckt, während er die düstere Gestalt mit einem kurzen Fingerzeig in seine Richtung dirigierte.

"Was... was hast du vor, Phil?"

"Ich werde das tun, was getan werden muss, nicht mehr und nicht weniger, also mach nicht so ein unnötiges Drama daraus. Früher oder später müsste dieses Opfer sowieso gebracht werden..." Der Blondschopf wandte sich von Shinya ab und blickte nun dem Schatten entgegen. "Ich habe dir ja gesagt, was zu tun ist. Lass deine Magie vorerst einmal beiseite, solche Spielereien wären hier wieder notwendig noch angebracht. Außerdem weiß ich ja, dass dein Schwert mindestens ebenso mächtig ist..."

"Phil..."

Der Blondschopf lächelte, als er sich Shinya aufs Neue zuwandte, und wieder lag in diesem Lächeln eine Spur von Bedauern, die sich jedoch überaus rasch wieder im Nichts verlor.

"Es ist besser, wenn wir es jetzt gleich hinter uns bringen", sagte er ruhig und wich einen Schritt zurück. "Leb wohl, Shinya..."

Dann wandte er sich um und tauchte nun seinerseits in die Finsternis der Gasse ein. Beinahe im gleichen Augenblick trat die zweite Gestalt, die sich eben noch dort verborgen gehalten hatte, endgültig in das Silber des Mondlichts hinaus - und blieb dann umgehend wieder stehen. Den entgeisterten Blick des Katzenjungen erwiderte sie mit einer durchaus ebenbürtigen Überraschung und ließ noch im selben Moment das mächtige Zweihandschwert sinken, das in ihrer Hand geruht hatte.

Shinya wich langsam zurück, bis er die warmen, feinen Halme der Heuballen in seinem Rücken spüren konnte.

"Will...?", stieß er gerade so laut, so fassungslos hervor, wie er es in seinem reichlich paralysierten Zustand eben noch zustande bringen konnte.

"Kleiner?" Will verzog seine Lippen zu einem traurigen Lächeln. "Scheint, als hättest du Recht gehabt. Wobei ich dich eigentlich lieber unter anderen Umständen wiedergesehen hätte..."

"Du... dann soll das heißen, du... du bist..."

"Ein Estrella, ganz genau. Und du offensichtlich auch. Wenn ich das geahnt hätte..." Er senkte seinen Kopf und stieß einen tiefen Seufzer hervor. "Was für ein merkwürdiger Zufall..."

"Was sind denn das noch für lange Reden?!", rief Phil aus seiner Gasse heraus dem jungen Krieger entgegen. "Habe ich es dir etwa nicht lange genug begreiflich gemacht? Das ist unser Feind! Töte ihn! Töte ihn endlich!"

Will drehte sich nicht sofort zu dem Blondschopf um. Stattdessen verharrte er noch einige Sekunden lang unschlüssig in seiner Position zwischen den letzten Häusern des Dorfes und den ersten Heuballen der Felder, bevor er schließlich den Kopf schüttelte und sich mit einer entschlossenen Bewegung von Shinya abwandte.

"Was soll denn das eigentlich, Phil? Sieh ihn dir an! Er hat doch nicht einmal eine Waffe, mit der er sich verteidigen könnte..."

"Ja! Noch nicht!", schnaubte der Blondschopf wütend, aber gleichzeitig schwang ein beinahe ängstlich anmutender Hauch von Nervosität in seiner Stimme mit. "Begreifst du denn eigentlich gar nicht, worum es hier geht? Was bist du nur für ein Krieger?! Muss man denn wirklich alles selber machen?" Er trat langsam wieder aus der Gasse heraus. "Weißt du, ich denke nämlich, dass meine Magie im Gegensatz zu deiner hier sogar überaus angebracht ist... aber ich hätte ihn doch viel lieber kurz und schmerzlos sterben sehen..."

Er zuckte mit den Schultern und wies Will dann mit einer einzigen Handbewegung an, sich wieder in die Schatten des nächtlichen Dorfes zurückzuziehen. Der Schwarzhaarige bedachte Shinya noch mit einem letzten traurigen Blick, und sein Mund formte zwei nahezu tonlose Worte, die der Katzenjunge jedoch beim besten Willen nicht verstehen oder deuten konnte. Dann presste er die Lippen fest aufeinander, senkte wiederum seinen Blick und trottete mit hängenden Schultern in das schlafende Tranquila zurück, wo er schon sehr bald eins wurde mit dem Schwarz der schmalen Gassen.

Währenddessen hatte Phil seine Arme vor der Brust verschränkt und baute sich dann mit steinerner Miene vor dem Halbdämon auf, ohne wirklich von diesem wahrgenommen zu werden. Shinya fühlte sich wie gelähmt... innerlich und äußerlich gleichermaßen, und so sah er sich diesem körperlichen Zustand wie auch seinem offensichtlichen Schicksal vollkommen wehrlos gegenüber. Dabei wusste er ja im Grunde genommen nur zu gut, was er eigentlich hätte tun sollen - um Hilfe schreien, zuschlagen und -treten und im äußersten Notfall eben ganz einfach davonlaufen -, doch dieses Wissen war vollkommen bedeutungslos angesichts jener unfassbaren Grausamkeit, die dieser durch und durch absurden Situation innewohnte.

Es hatte begonnen wie ein Spiel. Wie ein überaus gewagtes Spiel, ganz unzweifelhaft, aber eben doch nicht viel mehr als eine abenteuerliche Geschichte, die niemand Geringeren als ihn höchstpersönlich zur mehr oder weniger ahnungslosen Hauptfigur haben sollte. So weit hatte der Gedanke ihn zwar beunruhigt, aber trotz allem noch auf seine Weise erfreut, berauscht, beflügelt, und ihn zu Entscheidungen von nie gekannter Risikofreudigkeit getrieben. Natürlich hatte er viel zurückgelassen, als er vom nächtlichen Hof des Heimes in das Dunkel des Waldes gelaufen war, doch erst jetzt, in diesem grauenvollen Augenblick, erschien ihm alles, was hinter ihm lag, unwiederbringlich verloren.

Da war Phil und er wollte ihn töten. Jener unerträglich gut gelaunte, vor Selbstbewusstsein nur so strotzende Junge mit den strubbeligen blonden Haaren und den blitzenden blauen Augen, der sich nur zu gerne im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit sah und dafür auch vor schlechten Witzen durchaus nicht zurückschreckte. Den er ab und an wirklich und aufrichtig gehasst und geradewegs ans andere Ende des Planeten gewünscht hatte, und der doch trotzdem stets nur zwei Türen von seinem eigenen Zimmer entfernt Nacht für Nacht mit ihm unter einem Dach geschlafen hatte.

Und der jetzt vor ihm stand und ihn ohne jeglichen Skrupel umbringen wollte.

"Phil, bitte...", murmelte er leise, während er sich dazu zwang, einen Schritt in Richtung des Blondschopfes zu machen und ihm direkt in die hellblauen Augen zu sehen. "Ich weiß nicht, was du vorhast, aber hör auf damit. Jetzt denk doch mal nach..."

"Nachdenken soll ich?", lächelte Phil und strich sich durch sein kurzes Haar. "Du wirst es kaum glauben, aber das habe ich in den letzten Tagen schon mehr als genug gemacht..."

Dann, blitzschnell und mit einem einzigen kraftvollen Ruck, riss er beide Arme nach vorne, und noch bevor Shinya auch nur begreifen konnte, was eigentlich mit ihm geschah, wurde er von einem hellen Licht geblendet, das sich schmerzhaft grell in seine Augen bohrte. Dabei blieb es allerdings nicht - schon im nächsten Moment schlug irgendetwas hart gegen seinen Körper, erbarmungslos wie die Druckwelle einer gewaltigen Explosion, riss ihn von den Füßen und schleuderte ihn durch die Luft. Der Katzenjunge prallte mit dem Rücken gegen die Heuballen, die während der kurzen Zeit seines Fluges zur steinernen Mauer erstarrt zu sein schienen, und diese unsanfte Kollision trieb schlagartig jegliche Luft aus seinen Lungen.

Shinya kippte vornüber und fiel zu Boden, doch diesen Aufprall nahm er im Gegensatz zum Vorangegangenen kaum mehr wahr. Über seine Sinne hatte sich ein trüber Schleier gelegt und sein ganzer Körper schien sich in ein einziges dumpfes Pochen verwandelt zu haben, ein Vakuum von Schmerzen und Betäubung und von Schwärze, die ihm einige Sekunden lang vollständig den Blick verhüllte. Er keuchte. Rang nach Atem. Sah dann wie durch eine poröse Leinwand hindurch eine schemenhafte Gestalt auf sich zukommen und handelte, ohne sich des Ernstes seiner Lage wirklich bewusst zu sein.

Die Finger des Katzenjungen krallten sich in die trockenen Halme der Heuballen und zogen sich daran wie kleine mechanische Wesen in eine überaus unsichere Höhe, bis Shinya schließlich wankend und mit zitternden Knien zum Stehen kam.

"Phi... Phil... bitte..."

Das Sprechen bereitete dem Halbdämon immer noch größte Mühe, aber wenigstens war er mittlerweile wieder imstande dazu, Phils Gestalt zumindest einigermaßen klar zu erkennen. Was er sah, trug allerdings nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei - im Gegenteil. Der blonde Junge schien auf eine merkwürdige, finstere Art verändert, obwohl er eigentlich momentan alles andere als dunkel war.

Shinya wusste nicht, ob er es nur den letzten Überbleibseln des Flackerns zu verdanken hatte, das seinen Blick immer noch leicht verzerrte, oder ob sein überreizter Verstand ihm langsam aber sicher Streiche zu spielen begann, aber er war sich doch beinahe sicher, um den Körper des Blondschopfes herum eine Art... Licht wahrzunehmen. Oder mehr ein Leuchten, ein klares, ja fast schon aggressives Leuchten von intensiv gelber Farbe.

Phil machte sich nicht einmal mehr die Mühe, auf das kraftlose Stammeln des Katzenjungen noch eine Antwort zu geben. Er hob mit einer vollkommen ruhigen Bewegung seinen Arm, und schon in der nächsten Sekunde wurde Shinya erneut von jener gleißenden Helligkeit erfasst und zurückgestoßen. Wieder fing der Heuballenturm seinen Flug auf, doch diesmal schien das Glück den Halbdämon endgültig verlassen zu haben, denn er prallte ungünstig ab, vollführte eine ungelenkte Rolle vorwärts und schlug dann hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Ein stechender Schmerz raste durch seinen Nacken und raubte ihm einige Augenblicke lang vollkommen den Atem.

Der Katzenjunge öffnete seine Lippen, doch ein grausamer Druck in seinen Lungen schien jedes kleinste bisschen der klaren Nachtluft sofort wieder aus seinem Mund zu treiben, noch bevor es überhaupt wirklich bis dorthin vordringen konnte. Shinyas grüne Augen waren starr und in Panik geweitet, ohne jedoch wirklich ein Bild erfassen zu können, und etliche grausame Momente lang war er durch und durch erfüllt von der fürchterlichen Gewissheit, hier und auf der Stelle ersticken zu müssen. Eine dumpfe Schwärze breitete sich in seinem Kopf aus, zerfloss und verklebte in jeder einzelnen Ecke seines trüben Bewusstseins.

War dies sein Ende? Shinya wusste, dass Phil ihn töten würde, er wusste es auf eine ganz und gar unaufgeregte Art und Weise, doch er fand nicht mehr die nötige Kraft dazu, um noch weiter gegen diese Tatsache anzukämpfen. Sein Körper war voll und ganz seiner Kontrolle entglitten, und das Einzige, was ihm jetzt noch zu tun blieb, war, seinen Geist vor dem Abdriften in die Bewusstlosigkeit zu bewahren, denn dies würde ohne Zweifel den letzten Schritt in seinen sicheren Tod bedeuten. Er mühte sich um ein träges Kopfschütteln, das ihn allerdings auch nicht so recht beleben wollte, und zwang sich dazu, seine Augen offen zu halten.

Eine Anstrengung, die auch Phil nicht zu entgehen schien. Der blonde Junge stand nun unmittelbar über Shinya und blickte auf ihn herab. Als er sah, dass immer noch ein Zucken durch die Lider des Katzenjungen lief, vollführte er erneut eine rasche, unauffällige Handbewegung, und sofort raste ein stechender Schmerz durch Shinyas Brustkorb. Er wollte schreien, doch über seine Lippen drang kaum mehr als ein ersticktes Röcheln. Mühsam und zittrig presste er seine Hand auf die schmerzende Brust, und als er seine Finger schließlich wieder anhob, waren sie von tiefem Rot überzogen.

Shinya hustete und ließ seinen Arm kraftlos wieder zur Seite sinken. Vor seinen Augen tobte ein rötliches Flackern ohne jeden Sinn, ohne jede Ordnung, das ihm schwindlig werden ließ. Jeder Atemzug fiel ihm ein klein wenig schwerer als der Vorherige, und irgendwann begriff der Halbdämon, dass er verloren hatte. Noch ein letztes Mal hob er seinen Blick, dann ließ er in einer Woge vollkommener Erschöpfung die Augenlider sinken und wartete reglos auf den finalen Schlag, der seinem schwindenden Leben ein gnädiges Ende setzten würde.

Und wartete, und wartete, und erlangte doch nichts als die überaus unangenehme wie auch unspektakuläre Erkenntnis, dass der Boden unter seinem Körper ganz unwahrscheinlich hart war, hart und steinig, und dass er auch immer härter und steiniger zu werden schien, je länger der Katzenjunge in seiner erschöpften Reglosigkeit verharrte. Von irgendwoher, aus unendlich weiter Ferne, schien eine Stimme an sein Ohr zu dringen... dann sickerte die Ahnung eines Leuchtens durch Shinyas geschlossene Augenlider. Es war ein sanftes, ruhiges Licht, nicht etwa jene blendende Helligkeit, die Phil umgeben hatte, und es war auch nicht gelb oder golden, sondern vielmehr von einer silbrig weißen Farbe, ähnlich dem Mond und den Sternen.

Dieses Leuchten, so unspektakulär es auch an und für sich sein mochte, rief mit leisen Worten eine letzte, flüchtige Hoffnung in dem Halbdämon wach, und zwang ihn gleichermaßen dazu, noch einmal seinen Kopf zu heben und in das Dunkel der Nacht zu blinzeln. Das mittlerweile freilich nicht mehr dunkel war, sondern vielmehr durchflutet von einem weichen Lichtschein, der aus Richtung der winzigen Gassen Tranquilas auf die Weite der Felder hinausdrang.

Inmitten des leuchtenden Weißes stand eine Gestalt, die zierliche Gestalt eines Mädchens, deren langes dunkles Haar sanft vom Nachtwind bewegt wurde. Sie hatte beide Arme vor den Körper gestreckt, und dort, wo Shinya ihre Finger vermutete (wirklich erkennen konnte er diese nämlich nicht mehr), wuchs eine Kugel desselben wunderschönen Leuchtens, löste sich dann aus ihren Händen und flog derart schnell auf Phils Körper zu, dass die Augen des Katzenjungen ihr kaum mehr folgen konnten.

Auch Phil schien von der Geschwindigkeit des schneefarbenen Geschosses buchstäblich überwältigt zu sein. Er konnte nicht mehr ausweichen, wurde frontal von dem Zauber getroffen und taumelte dann inmitten eines blitzenden Funkenregens nach hinten. Shinya nahm das Verschwinden des Blondschopfes aus seinem getrübten Blickfeld zwar noch wahr, aber es berührte ihn bestenfalls noch oberflächlich und ohne gleich welchen Eindruck zu hinterlassen.

Das Atmen schmerzte.

Das Licht verblasste. Stattdessen setzte sich das Mädchen am Ende der Wiese nun in Bewegung, lief, lief auf ihn zu, und ihre Lippen bewegten sich, ohne dass Shinya auch nur einen einzigen Laut vernommen hätte. Dann verschwommen ihre Konturen, und noch während dem Katzenjungen die Augen zufielen, glitt sein Bewusstsein in einen tiefen See dickflüssiger Schwärze hinab.
 

Shinya erwachte inmitten von Wärme, die seinen Körper wie eine unendlich weiche Decke umfing und einhüllte. In seinem Kopf herrschte ein Zustand vollkommener Leere, und zunächst einmal nahm er nichts wahr außer Licht, gedämpftes, leicht staubiges Licht, das von irgendwoher auf ihn hinabsickerte. Er blinzelte und realisierte nun auch zum ersten Mal, dass es tatsächlich der Stoff einer Decke war, der ihn wärmte, und dass das Licht von einem kleinen Fensterchen her stammte, das über einer einsamen Türe den Raum erhellte.

Ein Gefühl der Verwirrung breitete sich in dem Katzenjungen aus. Wo war er? Er konnte mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass er das Zimmerchen noch niemals zuvor gesehen hatte. Es war recht klein, recht kahl und in gar keinem Fall wohnlich oder gar gemütlich. An zweien der Wände drängten sich hölzerne Regale dicht aneinander, über und über mit einer Vielzahl von Kräutern, Büchern, Schriftrollen, losen Dokumenten, getrockneten Pflanzen und einigen Fläschchen und Döschen von undefinierbarem Inhalt angefüllt. Darüber hinaus gab es noch einen nicht minder unordentlich Schreibtisch mit einem niedrigen hölzernen Hocker und natürlich das Bett, in dem er bis vor wenigen Augenblicken noch selig geschlummert hatte.

Aber wie nur war er dorthin gekommen? Shinya suchte vergeblich nach den passenden Erinnerungen und fand zunächst einmal überhaupt nichts mehr. Dann ein paar Bruchstücke, bestenfalls noch als größere Splitter zu bezeichnen, und erst nach einigen Minuten hilflosen Nachdenkens und An-die-Decke-Starrens fügten sich die wirren Bildfetzen wieder zu einem sinnvollen, wenn auch ganz und gar nicht ansehnlichen Ganzen zusammen.

Er hatte Phil getroffen. Hatte ihm von den Estrella erzählt... von seiner Bestimmung... einer Bestimmung, die er selbst wohl am allerwenigsten begreifen konnte. Dann hatten sie sich nachts auf dem Feld verabredet und Phil hatte ihn töten wollen. Und es beinahe auch geschafft, wäre da nicht... ja, was eigentlich? Mit einem Mal war da dieses Leuchten gewesen... und ein Mädchen... Hoshi? Er hatte nicht gewusst, dass sie Magie beherrschte, doch im Grunde genommen war die Vorstellung gar nicht einmal so abwegig, wenn sie doch immerhin schon von einer Dorfältesten aufgezogen worden war. Außerdem schienen ja urplötzlich ausnahmslos alle Menschen in seiner näheren Umgebung über irgendwelche magische Kräfte zu verfügen...

Alle - außer ihm. Und genau an diesem Punkt begann die Geschichte sogar ganz verflucht unfair zu werden. Während Phil in altgewohnter unbekümmerter Leichtigkeit durch das Leben spazierte und ganz nebenbei auch noch von einem Tag auf den nächsten anscheinend ein ganzes Repertoire an alles vernichtenden Todeszaubern sein eigen nennen durfte, lag er nun in irgendeinem Raum, den er nicht kannte, in einem Bett, das er nicht kannte, und musste sich mit nichts anderem als einem grausam pochenden Kopf und einem nicht minder schmerzenden Rücken durchs Leben schlagen. Gekrönt wurde dieses boshaft sadistische Stelldichein lediglich noch von der Wunde in seiner Brust, durch die bei jedem einzelnen Herzschlag eine glühende Stichflamme zu zucken schien.

Der Katzenjunge verzog das Gesicht. Er wusste, dass er sich wohl eigentlich hätte freuen sollen, denn im Grunde genommen grenzte es ja wirklich und wahrhaftig an ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben war. Seine Verletzungen waren ganz gewiss nicht von harmloser Natur, und irgendetwas an dem nebligen Gefühl in seinem Kopf und der bleiernen Trägheit in seinen Gliedern verriet ihm ganz unmissverständlich, dass er lange, sehr lange geschlafen haben musste.

Und trotzdem... wenn er in diesen seltsamen Minuten zwischen dem Chaos der überfüllten Wandregale und dem staubigen Tanz des einfallenden Lichtes eines nicht war, dann glücklich und genauso wenig erleichtert. Er wusste ja nicht einmal, ob er überhaupt das Recht dazu hatte, so zu fühlen! Sicher, Phil hatte ihm schon mehr als nur einmal ( weit mehr als nur einmal!) ohne mit der Wimper zu zucken mitten ins Gesicht gelogen, doch jetzt...

Obwohl der Katzenjunge nicht einmal die Hälfte aller Sätze wirklich begriffen hatte, die ihm Phil im Laufe ihres Gespräches teils wütend, teils ungerührt lächelnd entgegengeschleudert hatte, so konnte er sie doch nicht mehr vergessen oder verdrängen. Was er zu Anfang schlichtweg als Wahnsinn hatte abtun wollen, geisterte nun fortwährend in seinem dröhnenden Schädel umher und rief ihm auf eine ungemein schmerzliche Weise ins Gedächtnis zurück, wie wenig er doch eigentlich wusste - sofern man in seinem Fall überhaupt noch von wenig sprechen konnte.

Im Grunde genommen besaß er überhaupt nichts, nichts außer einigen Worten, die besonders alt und besonders legendär und gerade deshalb so unwahrscheinlich wichtig geklungen hatten, die aber für ihn höchstpersönlich eben doch nicht viel mehr waren als Worte, deren Sinn er immer noch nicht so recht erfassen konnte. Er hatte ein Ziel, gewiss, aber dieses Ziel bestand doch eigentlich auch nur aus einem einzigen naiv heroischen Satz, einem "Ich breche auf zur Errettung des Planeten!", wie es jedes Kind wohl schon mehr als nur einmal im Spiel beschlossen und in selbigem sicherlich auch meist erfolgreich in die Tat umgesetzt hatte. Er kannte keine Richtung, keinen Weg, nicht einmal die Andeutung eines leisesten Verdachtes darauf, was er denn eigentlich konkret zur Errettung des Planeten würde tun müssen.

Sofern dieses scheinbare Ziel überhaupt den Tatsachen entsprach.

Denn was konnte so falsch, so verwerflich, ja sogar derart gefährlich sein an solch einem edelmütigen Vorhaben, dass es selbst seinen eigenen Tod rechtfertigte? Wieso hatte Phil ihn beschuldigt, auf der falschen Seite zu stehen? Auf der falschen Seite von was denn überhaupt? Der Katzenjunge hatte ja nicht einmal geahnt, dass es bei... was auch immer er gerade im Begriff war zu tun, überhaupt so etwas wie unterschiedliche Seiten gab, geschweige denn, dass eine dieser Seiten falsch oder gar eine Bedrohung für den ganzen Planeten sein könnte, den er doch eigentlich nur hatte retten wollen!

Es war absurd, es war alles so durch und durch absurd, dass es vor Shinyas Augen zu flimmern begann und er einen Moment lang fürchtete zu fallen, obwohl er doch eigentlich sowieso schon lag. Wenn er wirklich der Auserwählte war, wie es ihm die Stimme in seinem Traum prophezeit hatte, welche Rolle spielte dann Phil in dieser ganzen verwirrenden Geschichte? Warum suchte auch er die Estrella? Und warum schien er all jene Antworten, nach denen die Gedanken des Katzenjungen fortwährend suchten, bereits so genau zu kennen und zu durchschauen?

Womit haben sie dich gelockt? Was haben sie dir versprochen?

Die Worte des Blondschopfes hatten sich wie Gift in seinen Adern ausgebreitet und schmerzten beinahe noch mehr als der unaufhörlich brennende Schnitt in seiner Brust. Woher wusste Phil von dem Gespräch, das in jener schicksalhaften Nacht zwischen Shinya und der körperlosen Stimme stattgefunden hatte? Wen meinte er denn überhaupt mit... sie? Und vor allem: Womit nahm der Blondschopf sich eigentlich das Recht heraus, auf so abwertend über die Versprechungen des unsichtbaren Fremden zu urteilen, sie als bloße Köder auf den Pfad des Schlechten abzustempeln, ohne auch nur ansatzweise zu begreifen, was sie für Shinya bedeuteten?

Allein die vage Aussicht darauf, seine Heimat doch noch finden zu können, ja bereits das Wissen darum, dass so etwas wie seine Heimat überhaupt existierte, war sicherlich nicht unbedingt viel; trotzdem war es mehr, als der Katzenjunge jemals zuvor besessen hatte. Was war denn schon das Heim? Nicht mehr als eine bloße Zweckunterkunft, die ihn vielleicht bestenfalls noch als Kind hatte begeistern können - wenn überhaupt! Und jetzt? Da hatte er gerade mal den ersten Schritt in ein neues Leben gewagt, und schon begann der Boden unter seinen Füßen gefährlich zu beben.

Er sah sich einer Aufgabe gegenüber, der er schlicht und einfach nicht gewachsen war. Seine Reise hatte gerade erst begonnen, und schon war er beinahe ums Leben gekommen, getötet von einem Menschen, den er eigentlich zu kennen geglaubt hatte. Was natürlich ein Irrtum gewesen war, genauso wie alles andere, an das er glaubte, auch nur ein Irrtum zu sein schien. Möglicherweise lief er geradewegs in sein eigenes Verderben, war drauf und dran, etwas unglaublich Böses und Falsches zu tun, ließ sich, naiv und geblendet von einer schönen Lüge, von einer finsteren Macht ( "sie" ) als Marionette missbrauchen, ohne es auch nur zu bemerken.

Vielleicht sollte es deshalb so sein, dass Phil ihn ohne Weiteres hätte töten können. Dass man ihm keinerlei magische Kräfte zur Verfügung gestellt, dass man ihm zum Schutz des Planeten den eigenen Schutz verwehrte, ja, und vielleicht war es auch besser so. Es war so unglaublich viel passiert, und mindestens die Hälfte davon konnte und wollte der Katzenjunge eigentlich gar nicht glauben. Er wollte aufwachen und in seinem Bett liegen, weit, weit weg von sämtlichen Wagen und magischen Kriegern und anderen Dingen, die er nicht begriff. Sogar das wohl kaum zu umgehende Übel, im schlimmsten Fall noch bis zum Ende seiner Tage mit Phil unter einem Dach leben zu müssen, erschien ihm als ein relativ geringer Preis für eine schmerzfreie Rast in den vertraut duftenden Laken seiner ureigenen Schlafstätte.

Leider wollten die fortwährenden Grübeleien nur äußerst bedingt zur Linderung seiner Kopfschmerzen beitragen, und so stieß Shinya noch einen letzten resignierten Seufzer aus, bevor er sich zusammenrollte und die Decke über den Kopf zog. Er wollte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, wollte am allerliebsten auch jeglichen Gedanken aus dem schweren Halbdunkel seiner kleinen Höhle unter dem weißen Stofflaken ausschließen, doch einmal mehr schien das Glück, das Schicksal oder was auch immer es nun eigentlich sein mochte, mit diesen Plänen ganz und gar nicht einverstanden zu sein und durchkreuzte sie deshalb auch prompt.

"Shinya? Shinya, du... du bist ja wach! Endlich!"

Der Katzenjunge hörte vorsichtige, leicht nervöse Schritte auf dem hellen Holz des Bodens, dann einen tiefen, erleichterten Atemzug und schließlich erst einmal gar nichts mehr, als Stille den kleinen Raum einkehrte.

"Shinya, wie geht es dir?" Die Stimme des Mädchens klang ein wenig ängstlich, und mit einem Mal hatte er es sogar ganz unerwartet eilig, seinen Kopf wieder unter dem schützenden Weiß der Decke hervorzustrecken und ein mehr oder weniger überzeugendes falsches Lächeln auf seine Lippen zu zaubern.

"Ach... könnte schlimmer sein... glaub ich."

"Ja, da hast du wohl Recht." Hoshi holte ein weiteres Mal tief Luft, bevor sie in leiserem Tonfall weitersprach, den Blick gesenkt, die Finger fest ineinander verschränkt. "Es war schlimmer, viel schlimmer, und zwar fast drei Tage lang."

"Drei... drei Tage?!" Der Katzenjunge machte große Augen. "Nich ernsthaft, oder?"

"Ich glaube nicht, dass ich darüber Witze machen würde. Wir haben uns wirklich große Sorgen um dich gemacht. Ich... ich hatte Angst, du würdest sterben!"

"Ich glaube, da hätt auch nich mehr wirklich viel gefehlt...", murmelte Shinya und schloss seine Finger um den rauen Stoff seiner Decke. "Wenn du nicht... ich meine, du... du hast doch..."

"Ob ich dich gerettet habe?", beendete das Mädchen den Satz an seiner Stelle und deutete eine Kopfbewegung an, die Shinya als ein zaghaftes Nicken auslegte. "Du hattest Glück, dass ich noch einmal aufgestanden bin. Wie er an diesem Morgen mit dir geredet hat... irgendetwas konnte doch da nicht stimmen. Wahrscheinlich hätte ich schon viel eher kommen sollen..."

"Ähm... hey, danke, ja?", entgegnete der Katzenjunge hastig, als er sah, dass sich ein Anflug von Betrübtheit auf Hoshis Gesicht zu legen begann. "Ich weiß jetzt auch irgendwie gar nicht, was ich sagen soll... kommt ja schließlich nicht jeden Tag vor, dass einem eben mal so von jemandem das Leben gerettet wird."

"Nun, das hoffe ich!" Auf Hoshis Gesicht kehrte ein unwahrscheinlich sanftes Lächeln zurück. Sie strich sich eine ihrer dunklen Haarsträhnen hinter das Ohr, dann ließ sie sich vorsichtig auf der Kante von Shinyas Bett nieder, die dem Fußende zugewandt war. "Du siehst müde aus. Schlaf noch ein bisschen, oder ruh dich zumindest aus. Du hast viel vor dir und du solltest rasch wieder auf die Beine kommen."

"Was... was meinst du damit?", erkundigte sich der Halbdämon fast schon ein bisschen zu hastig, als er angesichts der plötzlichen Nähe des Mädchens eine ungewohnte Wärme in seinen Wangen aufsteigen fühlte. "Warum... warum sagst du so etwas? Woher... ich meine... wie kommst darauf, dass ich es eilig haben könnte?"

"Ich glaube, du weißt schon, wovon ich spreche." Hoshi sah dem Katzenjungen direkt in die Augen, und etwas sehr Ernstes lag in ihrem Blick. "Ich warte schon ziemlich lange darauf, dass das irgendwann einmal passieren würde, und als ich dich gesehen habe, da hab ich gleich so etwas gespürt..."

"Moment mal!" Shinya hob seine Hand und richtete sich gerade so weit auf, wie seine körperlichen Kräfte das eben zuließen, ohne an ihre äußersten Grenzen zu stoßen. "Hör auf. Hör bitte einfach auf, so etwas zu sagen! Du kannst das nicht wissen. Phil... ja gut, vielleicht. Aber warum du? Wir kennen uns doch jetzt grad mal etwas mehr als einen Abend lang und ich... ich habe das mit keinem einzigen Wort erwähnt! Das ist nicht möglich! Das ist einfach nicht möglich!"

"Warum sollte es nicht möglich sein?" Das Mädchen wickelte einer ihrer langen dunklen Haarsträhnen ein ums andere Mal um ihren Finger, und es war nicht zuletzt diese Geste, die ihrem ganzen Verhalten eine gewisse Unruhe und Nervosität verlieh, die noch vor wenigen Sekunden nicht dort gewesen war. "Ich habe schon so viele Bücher über diese Legende gelesen, dass ich es gar nicht mehr zählen kann! Und außerdem hat mir Keiko... das ist die Dorfälteste, sie stellt sich nie mit ihrem wirklichen Namen vor, du wirst ihn nicht kennen... sie hat mir so viel davon erzählt. Natürlich hat sie das! Es ist ja schließlich auch meine Geschichte..."

"Soll... soll das heißen..."

"Ja, ich bin ein Estrella. Darum hat dieser Junge auch mit mir gesprochen. Ich weiß nicht, woher er das gewusst hat, aber er wollte mich eigentlich später noch einmal treffen und sich mit mir über seine Pläne unterhalten... aber das dürfte sich jetzt wohl erledigt haben." Sie presste ihre Lippen kurz aufeinander und ein zorniger Ausdruck glitt über ihr Gesicht, konnte sich dort aber nicht allzu lange behaupten und verschwand, ohne jegliche Spuren hinterlassen zu haben. "Als ich dann eure Unterhaltung gehört habe... was du zu ihm gesagt hast, seine Reaktion... da musste ich nur noch Eins und Eins zusammenzählen... eigentlich nicht mal mehr das."

"Was... was soll denn das jetzt wieder heißen?" Shinya ließ sich mit einem reichlich verzweifelten Seufzer wieder auf die Matratze zurücksinken und streckte kurz seine Arme, die schon nach den wenigen Momenten der Belastung müde geworden waren, zu müde, um ihn noch länger tragen zu können. "Warum werd ich eigentlich das dumme Gefühl nicht los, dass hier alle Welt irgendwie mehr zu wissen scheint als ich?"

"Weil das deine Bestimmung ist!"

"Weil das... bitte was?!"

"Weil das deine Bestimmung ist", wiederholte Hoshi ruhig und bekräftigte ihre Worte mit einem langsamen, bedeutungsvollen Nicken. "Vom Schicksal berufen auf einen unbekannten Pfad wird er den Weg ins Licht beschreiten... oder so ähnlich..."

"Aha. Den... den Weg ins Licht, ja? Und zwar vom Schicksal berufen?" Der Katzenjunge runzelte die Stirn. "Das is ne ganze Menge Unsinn, Hoshi, nich mehr. Lass mich raten: Das hast du bestimmt auch in irgendeinem dieser... tollen, uralten Bücher gelesen..."

"Genau das habe ich, und zwar nicht nur einmal!"

"Ja, aber das sind nur Bücher!" Shinya schlug sich beide Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. "Das sind nur ein paar Worte, die irgendwer vor einer halben Ewigkeit mal auf Papier geschrieben hat und jetzt stehen sie da immer noch und die Leute glauben dran. Aber... ich komme nicht aus irgendeinem Buch und ich beschreite keinen... keinen Weg ins Licht oder so einen Müll, sondern ich lieg hier in einem Bett und ich fühl mich so was von zum Kotzen, dass ich's überhaupt nicht mehr sagen kann!"

"Du wirst dich wieder erholen, Shinya", entgegnete das Mädchen, ohne sich von der steigenden Aufregung des Katzenjungen anstecken zu lassen. "Dann wirst du losziehen und du wirst das Gleichgewicht des Planeten wiederherstellen, genau so, wie es in den Büchern geschrieben steht. Vielleicht sind die Legenden alt, vielleicht... sind es nur Worte, aber ich glaube daran und Keiko tut es auch. Und wenn du nicht wenigstens auch ein kleines bisschen an diese Legenden glauben würdest, dann wärst du doch überhaupt nicht hier!"

Shinya schwieg. Sein Blick war starr auf die Wellenlandschaft seiner Bettdecke gerichtet. Er hörte Hoshis rasche Atemzüge an seiner Seite, sonst jedoch nichts, und als die Dunkelhaarige auch nach etlichen Augenblicken nicht antworte, ergriff er stattdessen leise, ja beinahe flüsternd wieder das Wort.

"Ich weiß ja selber nicht, warum ich hier bin..."

"Ich aber." In der Stimme des Mädchens lag eine derartige Sicherheit, dass Shinya eigentlich kaum mehr an Widerspruch zu denken wagte. "Weißt du, was ich nämlich auch gelesen habe? Wenn der Planet am Abgrund steht, dann wird ein Auserwählter kommen, der Licht und Schatten in sich vereint, und der sterbenden Welt zu Hilfe eilen. Und ich glaube... ich glaube, dieser Auserwählte, der bist du, Shinya."

"Ich?" Der Katzenjunge schloss die Augen und schüttelte langsam seinen Kopf. "Warum sagen mir alle so was? Erst... bin ich ein magischer Krieger und dann gleich ein... ein Auserwählter, der irgendetwas... in sich trägt! Wo denn? Wenn ich wirklich dieser... dieser Auserwählte bin, ein... ein Estrella, wo bitteschön ist dann diese tolle Magie, von der hier ständig alle Welt redet?! Ich hab jedenfalls noch nix davon gemerkt und du hast ja auch gesehn, was für ein unheimlich mächtiger Auserwählter ich doch bin!"

"Hör auf, so zu reden", erwiderte Hoshi sanft. "Du kannst doch gar nicht wissen, ob du diese Magie in dir trägst oder nicht. Zaubern ist nämlich gar nicht so einfach, wie viele Leute immer gerne glauben möchten! Alle sehen sie nur das schöne Endergebnis und kümmern sich gar nicht darum, wie viele... endlose Stunden voll langweiliger Magietheorie und natürlich wie viele Übungen dahinter stecken. Ich habe wirklich Jahre gebraucht, um diese ganze Sache zu lernen, die richtige Konzentration und so weiter, und deshalb..."

"...und deshalb kommt Phil auch nach einem Tag mit so nem ganzen Sortiment an Todeszaubern an, oh ja, das ist doch mal ein echt mühsames und langwieriges Üben!"

"Nach einem Tag?" Hoshi blinzelte den Katzenjungen überrascht an, dann legte sie einen Finger an ihre Lippen und zog die Stirn in Falten. "Aber das... das kann nicht sein!"

"Ist aber so", entgegnete Shinya und deutete mit einem Finger auf seine immer noch heftig schmerzende Brust. "Soll ich's dir zeigen?"

"Nein... nein, dass er die Zauber beherrscht, das habe ich schon auch bemerkt. Aber... bist du dir sicher, dass er nicht vorher schon geübt hat? Das war doch kein Zauber, den man mal eben so über Nacht erlernt, ganz bestimmt nicht!"

"Und wie ich mir da sicher bin!", nickte der Katzenjunge. "Ich kenn doch Phil... leider. Der konnte zwar viel, aber bestimmt nicht Zaubern!"

"Hm... dann fällt mir eigentlich nur noch eine mögliche Erklärung ein..."

"Und die wäre?"

"Jemand muss nachgeholfen haben", antwortete das Mädchen und sah den Katzenjungen halb nachdenklich, halb beunruhigt an. "Und zwar jemand sehr Begabtes und sehr, sehr Mächtiges!"

"Wie... nachgeholfen?"

"Na, man lernt Zaubern ja schließlich nicht auf eigene Faust, sondern mit einem Lehrmeister. Klar, es gehört auch Talent dazu, und Ehrgeiz, aber trotzdem schaffen es die wenigsten allein. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass diesem... diesem Phil jemand solche Zauber praktisch über Nacht beigebracht hat... ganz ehrlich, den möchte ich lieber gar nicht kennen lernen!"

"Ich aber", grummelte Shinya und verzog das Gesicht. "Dann könnt der mir auch mal in so zwei, drei Stunden ein bisschen Mördermagie beibringen..."

"Du bist aber der Auserwählte, Shinya", erwiderte Hoshi, und mit einem Mal lächelte sie wieder, wenn auch ein bisschen verlegen. "Und es ist nicht deine Aufgabe, einen wahnsinnigen Lehrmeister zu finden, sondern... andere Estrella."

Der Katzenjunge blickte das Gesicht des Mädchens einige Momente lang schweigend von unten an, dann stahl sich ein breites, wenn auch leicht schiefes Grinsen auf seine Lippen.

"Hab ich doch schon", sagte er und ließ die Dunkelhaarige dabei keine Sekunde lang aus den Augen. "Einen zumindest."

"Eine", verbesserte Hoshi. In ihre dunklen Augen trat ein Blitzen, das selbst im staubigen Halbdunkel des kleinen Raumes nicht zu übersehen war. "Und außerdem weißt du noch gar nicht, ob die auch wirklich mitkommen will."

"Doch... eigentlich schon." Der Katzenjunge lächelte, ganz einfach deshalb, weil ihm zu einem wirklichen Lachen die Kraft fehlte. "Zumindest sieht sie nich wirklich so aus, als ob sie groß was dagegen hätte..."

"Und du siehst fast so aus, als ob du stolz darauf wärst. Dabei ist es doch eigentlich nur so, dass ich endlich einmal etwas anderes kennen lernen möchte als dieses Dorf... und es ist meine Pflicht als Estrella, mit dir zu kommen. Sonst nichts." Sie zwinkerte Shinya zu und stemmte sich dann rasch und mühelos wieder auf die Beine. "Außerdem musst du, wie ich eigentlich schon vor einer halben Ewigkeit erwähnt habe, dich jetzt ausruhen..."

"Ich bin aber nicht müde!", protestierte der Halbdämon auf wenig überzeugende Weise und vollführte mit seiner rechten Hand ein schwaches, kränkliches Fuchteln, das seine Worte leider Gottes auf eine vollkommen andere Art bestätigte, als es eigentlich seine Absicht gewesen war. "Und... wo... wo bin ich hier überhaupt?"

"Du bist im Untergeschoss unseres Hauses. Dort, wo wir alle Kranken oder Verletzten hinbringen, um die Keiko sich kümmert. Ich bin also direkt über dir und ich merke es gleich, wenn du versuchst, wegzulaufen!"

"Genau das habe ich vor", murmelte Shinya und gähnte. "Merkt man das nicht?"

"Hm... nein." Die Dunkelhaarige lachte und schlenderte dann auf die Türe zu, die Augen halb geschlossen und die Hände hinterm Rücken gefaltet. "Es wirkt eher ein bisschen so, als ob du vorhättest, zu schlafen."

"Weil ich auch eine Wahl habe..."

Der Katzenjunge zog sich seine Decke bis zum Kinn hinauf und verzog das Gesicht in einem neuerlichen Gähnen. Doch trotz seiner nicht zu leugnenden Müdigkeit zwang er sich dazu, die Augen weiterhin offen zu halten und Hoshis Bewegungen zu verfolgen, wie sie die niedrige Türe öffnete, wie sie inne hielt und ihm noch einmal kurz zuwinkte, lächelnd, bevor sie dann endgültig das Zimmer verließ. Erst als das hölzerne Eingangsportal wieder hinter ihr verschlossen war und ihn lediglich noch der kleine blaue Himmelsfleck hinter dem staubigen Fenster beobachten konnte, drehte Shinya sich auf die Seite und rollte sich zusammen.

Vielleicht, dachte er, lag es ja nur daran, dass er so unwahrscheinlich müde und erschöpft war, aber aus irgendeinem Grund hatte seine gesamte Situation sogar eine ganze Menge von ihrem Schrecken verloren. Eine durch und durch wunderbare Schläfrigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, und er war tatsächlich vollkommen ruhig, als ihm dann endlich doch die Augen zufielen. Dabei wusste er ja eigentlich auch nicht viel mehr als zuvor, wusste nicht, welchen Weg er zu gehen hatte und wohin dieser ihn überhaupt führen sollte. Auch seine Zweifel waren keineswegs aus der Welt geschafft worden - er hatte immer noch nicht die leiseste Ahnung davon, ob er denn nun auf der richtigen Seite stand oder nicht, aber all das erschien ihm plötzlich nur noch halb so schlimm, denn wenigstens war er nicht mehr allein.

Auf den Lippen des Katzenjungen lag ein schwaches Lächeln, als er einmal mehr in das Reich der Träume hinüberglitt. Es dauerte nicht mehr lange, bis auch die Sonne müde wurde und sich langsam hinter die sanften Hügel der Midlands zurückzog. Die Felder waren nicht mehr grün, sondern rot und golden zugleich, schimmernd, und inmitten dieses abendlichen Farbenspiels zogen zwei Gestalten der Küste entgegen. Vor dem metallenen Horizont wirkten ihre Körper merkwürdig scharf konturiert, schwarz wie Scherenschnitte, doch davon ahnte Shinya natürlich nichts, denn er schlief tief und fest, während draußen vor seiner Türe die Nacht hereinbrach.
 

Ende des zweiten Kapitels



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Winterrose
2006-02-14T16:14:18+00:00 14.02.2006 17:14
Hi Yue-Chan!!

So, dann gebe ich auch mal meinen Senf dazu! :D

Erstmal finde ich's super dass die endgültige Version von Equinox endlich steht!!! *freu*
Ich kann mich zwar nicht mehr in allen Einzelheiten an den Storyverlauf erinnern, aber ich weiß noch, dass ich unbedingt wissen wollte, wies ausgeht (und du uns alle noch mächtig lange auf die Folter gespannt hattest! ;) )

Tja.. ich habe jetzt ca. 40 Seiten gelesen und gerade das dritte Kapitel begonnen - Moment mal, 40 Seiten??? *mal eben die alte Equinox Version aufruf* *auf Seite 40 Scroll*
...
Kapitel Sieben???

Man merkt jedenfalls ganz eindeutig, dass du alles noch mal ausführlichst überarbeitet und ergänzt hast! ^_^;;;;
Hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt dass du (vor allem in der ersten Version) einen ähnlichen Erzählstil wie Wolfgang Hohlbein hast? (Oder geht das jetzt nur mir so? ^^; ) Allerdings im positiven wie im negativen Sinn. Negativ meine ich insofern, dass die Story stellenweise extrem ausschweifend detailliert geschrieben ist, zumindest das erste Kapitel empfand ich dadurch als etwas arg in die Länge gezogen. Das zweite Kapitel ist zwar noch weit aus länger geworden als das Erste, aber hier kommt widerum auch das Positive an deinem Erzählstil durch; du kannst so spannend erzählen, sodass man locker flockig zehn Seiten lesen kann ohne zu merken, wie die Zeit vergeht! ^__^
Man merkt auch, dass sich dein Stil irgendwie weiterentwickelt hat; wie gesagt, er erinnert nicht mehr so arg an Hohlbein wie früher, die Story wird auf ihre eigene, spannende Art erzählt! 

Ich freue mich auf jeden Fall tierisch, dass ich jetzt wieder etwas zu lesen habe, nachdem ich nun Harry Potter und AS ausgelesen habe! Ich habe immer ein riesengroßes Loch, wenn ich ein gutes Buch zu Ende gelesen habe, umso mehr freue ich mich, jetzt wieder etwas Schönes lesen zu können! Thx! ^-^ ^-^ ^-^ ^-^
Von:  TiaChan
2006-02-10T09:28:15+00:00 10.02.2006 10:28
Soooo, wie es auch in der Geburtstags-ENS steht, sammle ich die Kommentare der Woche, um sie heute alle auf einmal hochzuladen. ^_^
Diesen Kommentar hier schreibe ich am Montag, nachdem ich das zweite Kapitel fertiggelesen habe.
Und.... hach, ich hab's wirklich sehr gern gelesen. Das zweite Kapitel der überarbeiteten Version habe ich zweimal angefangen. Nachdem ich damals den inzwischen ein bisschen veralteten Kommentar zum "neuen" ersten Kapitel hochgeladen hatte, fing ich an, das zweite Kapitel zu lesen, musste dann jedoch aufhören. (Ich weiß selbst nicht mehr genau, warum. Aber ich nehme an, Schule oder Uni oder was auch immer in der Art. *seufz*) Als ich vor kurzem wieder weiterlesen wollte, stellte ich fest, dass ich nicht mehr genau weiß, wo ich stehen geblieben war und auch dass ich Kapitel 1 wieder nicht so gut im Kopf hatte wie ich's gern hätte. (Ich wollte es ja am liebsten alles am Stück lesen, und jetzt, wo sich mir diese Möglichkeit bietet, nutze ich sie auch.) Ich habe noch daran gezweifelt, ob ich diese Unmenge von Text wirklich noch mal nachlesen soll. (Hey, sogar Anastasia hat es, was den Umfang angeht, mit den unlesbar langen Proseminar-Texten verglichen, als ich heute in der UB die Fortsetzung ausgedruckt hab! ^^;). Aber als ich im zweiten Kapitel die Stelle suchte, an der ich aufgehört hatte, stellte ich fest, dass es sich einfach unglaublich leicht und angenehm liest. So beschloß ich, das alles doch noch mal zu lesen, wie du ja inzwischen weißt. ^_^

So, nachdem auch das aufgeschrieben ist, kann ich zum Kommentar selbst übergehen. Also, deine letzte Möglichkeit, den Computer auszuschalten, um das hier nicht lesen zu müssen. *fiesgrins*
Und wenn du's jetzt doch nicht machst, hier endlich der Kommentar:

Eine Sache fand ich gleich am Anfang des Kapitels irgendwie unglaublich witzig: Die Stelle, an der die Beschreibung des schönen, farbreichen Sonnenaufgangs fließend und unauffällig in die Beschreibung der wohl im Sommer von uns allen verhassten Sonne übergeht. Ich weiß nicht mehr, ob das in der alten Version auch so war. (Jetzt, nach dem Lesen der neuen Version interessiert mich allgemein bei einigen Sachen, ob sie nun neu sind oder schon so waren - das ist allerdings diesmal eher Neugier als Misstrauen gegenüber der neuen Version. Ich will einfach teilweise gern wissen, ob diese Stelle, die ich hier so lobe, schon seit 5 Jahren da ist oder ob du sie erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit neu ausgedacht hast. Oder manchmal auch ob der Gedanke ganz neu dazukommt, nachdem du selbst die folgenden Kapitel geschrieben hast. Und von daher glaub ich, dass ich's auch nachschauen werde... was aber für den Kommentar nicht von großer Bedeutung ist, also wieder zurück zum Thema.) Jedenfalls musste ich da bei beiden Durchles-Anläufen sehr grinsen. Irgendwie tritt diese Sonne so unerwartet an die Stelle von etwas schönem, beruhigendem. Und das ist auch noch so gemein dem armen Shinya gegenüber.

Dann die Beschreibung von Will. (Oje, ich hoffe, das liest sich nicht zu sehr abgehackt. Ich habe mir beim Lesen Notizen gemacht, was ich in den Kommentar reinschreiben will. So vergesse ich wirklich nichts Wichtiges, was ich gedacht habe.) Die fand ich auch wirklich toll. Ich weiß gerade nicht genau, was mich so daran fasziniert hat, aber jetzt kann ich's auch besser verstehen, wie jemand - wie Yoko damals - ihn gleich nach dem Lesen der Beschreibung zum Lieblingscharakter gewinnen konnte. Ok, Yoko ist das beste Beispiel dafür, dass es auch früher ging (und mir selbst ging's bei Noctan eigentlich auch nicht anders), aber bei Will ist es mir damals nicht so aufgefallen.
Außerdem waren da ja auch noch diese Steckbriefe am Anfang, als ich die alte Version gelesen hab.... und ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, wie man sie weglassen kann, als du angefangen hast, davon zu reden, dass sie nicht mehr ganz so gut sind. Für mich waren das die wichtigsten und ausführlichsten Beschreibungen zu den Charakteren, nach denen ich zum Großteil auch mein Bild von ihnen gemacht habe. Diesmal sind sie mehr in die Geschichte integriert, habe ich das Gefühl. Und abgesehen davon dass es auch irgendwo richtiger so ist (ist ja in den meisten Büchern so), finde ich das auch besser.
Hmm... im Gegensatz zu mir wird vielleicht der ein oder andere Leser dann auch nicht von Anfang an wissen, dass Will, Hoshi und die anderen... und vor allem Phil! (aber darauf komme ich gleich noch mal zu sprechen) Estrella sind ^^;;; ich musste ja damals "nur noch Eins und Eins zusammenzählen", wie es Hoshi so schön sagt - ich meine, es sind 10 Steckbriefe da, Shinya muss nach zehn Estrellas suchen..... hmmmm.... was könnte das nur bedeuten? *drop*
Naja, und wie schon oben geschrieben, ganz abgesehen davon, die Beschreibung von Will finde ich irgendwie einfach sehr schön. Obwohl ich schon die alten 20 Kapitel samt seiner Vorgeschichte kannte, ist er mir hier gleich noch ein Stückchen sympathischer geworden. ^^ Seine Beschreibung und seine Witze. "Man kann's auch übertreiben." - "Ich weiß, sonst würde ich's ja nicht machen." <-- Diesen Spruch mag ich. ^___^ (Oh, und ich hab heute mit Anastasia gesprochen, die am Wochenende auch ein bisschen weiter gelesen hat, und ihr war der Satz auch im Kopf geblieben, das find ich lustig. ^^)

Oh, und das "Nicht verzagen, mich fragen" <-- Kann es sein, dass du hier versucht hast, ohne seinen Namen auszukommen, weil er sich an dieser Stelle noch nicht vorgestellt hat? ^^; Aber...... es ist eigentlich nur fies von mir, das anzusprechen. Es ist mir nur aufgefallen, nachdem ich seinen Steckbrief, die alte Version.... noch mal die alte Version, dann die neue Version (damals hab ich ja noch zu Vergleich gelesen).... und noch einmal die neue Version gelesen hab. Und - was wichtig ist - auch nachdem ich seinen Namen schon seit Ewigkeiten weiß. Wenn man etwas so oft liest/sieht, fallen einem die nichtigsten Kleinigkeiten auf. Du ahnst es nicht, wie viele logische Fehler ich bei dem Film "Zurück in die Zukunft" gefunden hab. Weil ich ihn eben schon an die 100mal gesehen hab und wirklich auswendig kenne.
Und das hier mit diesem Spruch ist nicht mal ein logischer Fehler. *drop* Und im Endeffekt kann ich mir nicht mal sicher sein, ob du's nun tatsächlich wegen dem Namen gemacht hast oder nicht. Oder es ist ihm selbst da aufgegangen, dass er sich nicht vorgestellt hat - was er ja bald danach macht. Naja, der Satz fällt einem kurzgesagt nicht auf, wenn man die Geschichte nicht zum wiederholten Male liest und dabei auch noch versucht, für jeden einzelnen Satz einen Ehrenplatz im eigenen Kopf zu finden, damit er ja nicht wieder verloren geht.... und eben infolgedessen auf solche belanglose Kleinigkeiten achtet. ^^;;;;;;

Dann kommt die wunderschöne Beschreibung von Tranquila, die ich auch sehr mag. Wenn ich mir diese niedlichen Häuschen vorstelle, aus denen das Dorf bestehen muss, werde ich in eine schöne Stimmung versetzt.... ähnlich wie wenn wir zum Mittelrhein fahren oder durch die kleinen Sträßchen vom Tübinger Zentrum laufen. Wobei das Dorf vermutlich sogar noch schöner ist, noch ein bisschen märchenhafter (ist ja sogar mehr oder weniger ein Teil eines... "Märchens" oder so ^^;). Naja, ich soll's eigentlich nicht beschreiben, das ist deine Aufgabe. Aber ich versuche gerade die Freude zu beschreiben, die mir das Lesen an dieser Stelle gemacht hat. ^^;;;

(Oh, mal nebenbei: Hier ungefähr muss ich letztes mal aufgehört haben zu lesen. Ab hier ist die Neufassung für mich also tatsächlich neu. ^_^)

Wenn dann Hoshi auftaucht..... ist mir ein etwas seltsamer Punkt aufgefallen. Aaaalso. Sie erschreckt Shinya ja, indem sie ihm unerwartet mit dem Finger auf die Schulter tippt. An dieser Stelle die Frage: Wie geht das, wenn sie zwei Eimer voll Wasser in den Händen hat? Ok, vielleicht hat sie sie abgestellt, aber ich muss zugeben, dann finde ich's nicht ausführlich genug beschrieben. ^^;; Ich meine, man liest, wie sie ihm mit dem Finger auf die Schulter tippt, gleich darauf ihre Beschreibung - da malt man sich ein Bild vor den Augen, bei dem der besagte Finger vielleicht sogar immer noch leicht angehoben ist... und dann bekommt sie im Text plötzlich zwei Eimer Wasser in die Hände reingedrückt. Gomen ne, aber so empfand ich diese Stelle. ^^;;;;

Kurz danach habe ich auch an noch einen Kritikpunkt gedacht. Ich glaube, diesen Punkt hier habe ich sogar schon etwas länger im Kopf, aber ich konnte ihn hier, glaub ich, plötzlich auch formulieren: Manchmal (übrigens auch nicht immer, sondern nur manchmal, aber das kommt auch gleich) habe ich das Gefühl, du übertreibst gern bei Kleinigkeiten. Wie ich auch diese eine Stelle mit der Treppe und dem verletzten Knie im ersten Kapitel kritisiert habe, so kommt es mir etwas öfter vor, dass so einem, meiner Einschätzung nach, weniger wichtigen Ereignis eine etwas zu große Rolle zugeteilt wird. Wobei ich in derselben ENS auch erwähnte, dass ich's da noch irgendwo nachvollziehen kann, dass es für Shinya in dem Moment wie ein Weltuntergang erscheinen mag - ich weiß ja selbst, wie schwierig solche "alltäglichen" Kleinigkeiten einem erscheinen können, wenn man sowieso schon genervt und traurig und müde ist. Aber .... hmm...... vielleicht hinterfrage ich es hier an dieser Stelle, inwiefern der Leser (der in erster Linie am weiteren Verlauf der Geschichte interessiert ist) alles lesen und nachempfinden können muss, was der Hauptcharakter erlebt und fühlt? (auch wenn es nicht ausschlaggebend für die Handlung ist) Ich weiß es nicht. Die Stelle mit dem Knie jedoch hab ich eigentlich nur zum Vergleich herangezogen, eigentlich halte ich sie spätestens seit deiner ENS-Antwort für abgehandelt. Und.. auch wenn ich hier weitere Stellen noch etwas kritisiere - es wäre ganz bestimmt nicht in meinem Sinne, wenn Equinox noch ein paar Jahre, oder vielleicht auch Jahrzehnte auf sich warten lassen müsste, nur um diese kleineren, weniger wichtigen Kritikstellen zu beseitigen. Trotzdem möchte ich es gern ansprechen, genauso wie ich auch die Punkte ansprechen will, die mir beim Lesen gefallen haben.
Die Stelle... oder eher die Stellen, bei denen ich diesmal auf diesen Gedanken kam, sind jedenfalls erst mal Shinyas Zorn, als Hoshi ihn mit ihrem Auftauchen erschreckt, nachdem ihn schon Will am selben Tag erschreckt hatte. Naja, ich fand's etwas übertrieben. (Auch wenn der Zorn sich ja gleich wieder legt, aber das hat bekanntlich ganz andere Gründe.) Aber du siehst selbst (und beim Schreiben fällt's mir erst richtig auf ^^;): Lange Rede, kurzer Sinn. Es hat mich ein bisschen gestört, aber diese Kleinigkeit wäre es nicht wirklich wert, die Geschichte noch mal zu bearbeiten. Erst recht nicht, weil ich es genauso zulasse, dass nicht alle meine Meinung darüber überhaupt teilen. Und die zweite.... na ja, ich fand die Geschwindigkeit von Wills Kutsche.... auch etwas übertrieben. ^^;;;;; Die Beschreibung von Will selbst mag ich, die Art, wie er jetzt redet, liebe ich. Aber seine Kutsche wird immer noch von Pferden gefahren, und für mich hört sich diese Geschwindigkeit schon eher nach einem Auto an. Es sei denn... ich bin diesmal diejenige, die in ihrer Vorstellung beim Lesen übertreibt. ^^;;;; Wie auch immer, auch hier kann es verschiedene Meinungen geben, ich schreibe jedoch einfach meine eigene auf.

Sollten diese Übertreibungen bei Kleinigkeiten tatsächlich manchmal vorhanden sein, ist es insgesamt trotzdem nicht wirklich schlimm, denn sie müssen meiner Meinung nach wohl von der Fähigkeit kommen, alles schön und genau zu beschreiben, was bei wichtigeren Szenen wie Kämpfen, wichtigen Dialogen oder auch bei Landschaftbeschreibungen unheimlich viel Positives beitragen. (Bäääh, wie sich dieser Text anhört, ich glaub, ich bin müde -.- na ja, ich schreib mal wieder abends.... eigentlich nach Secret of Mana ^^; aber ich kann morgen etwas länger ausschlafen und schreib's gerade noch gern fertig, also egal. Nur wird es vermutlich deswegen etwas mehr in die Länge gezogen. Ich bin nachts immer so zum Labern auferlegt, das gibt's nicht. *drop*) Naja, was ich sagen will - ich glaube es kommt von dem Bemühen, die Landschaften und die wirklich spannenden Szenen genau zu beschreiben, die Geschichte richtig spannend und ergreifend zu machen - und überträgt sich ab und zu auf weniger wichtige Sachen, die vielleicht ein bisschen mehr in den Hintergrund sollten als sie's sind. So, das ist besser formuliert als der Anfang dieses Absatzes. Aber ich möchte noch mal unterstreichen, dass es nur meine bescheidene Meinung ist, ein Eindruck, den ich flüchtig beim Lesen hatte und in meine Notizen mit aufgenommen habe. Andere Leute mögen andere Meinungen dazu haben. Und außerdem.......

Ja, außerdem, ganz wichtig: Nachdem mir dieser Gedanke in den Kopf gekommen war, habe ich etwas mehr als sonst auf die Art der Beschreibung solcher Kleinigkeiten geachtet. Und - ich fand nach dieser Stelle keine weiteren Beispiele mehr innerhalb des zweiten Kapitels. Das Gespräch mit Hoshi und der Dorfältesten fand ich gut zu lesen, und auch sonst gehört - meiner Meinung nach - alles dahin, wo es steht. So.

Jetzt weiter. Es kommen noch Szenen, die ich ganz besonders genial zu lesen fand. Eine davon ist hier die nächste. Shinyas erste Nacht in Tranquila. Er liegt gerade auf dem Heuballen und schaut seine Glückskugel an. "...,und wann immer er sie ansah, fühlte er sich... zuhause", - das letzte Wort kursiv geschrieben. Bei diesem letzten Wort wurde mir beim Lesen plötzlich kalt. Ok, ich habe diese Stelle gestern spät abends gelesen und man friert immer ein bisschen um diese Uhrzeit - erstens, weil man vor Müdigkeit friert und zweitens, weil die Heizung ab 23 Uhr weniger warm wird - aber da bin ich mir sicher, dass es an dem Wort lag. Ich habe da an das 20. und das von mir noch ungelesene 21. Kapitel gedacht.... und daran, dass ich noch immer nicht weiß, was genau es nun mit dieser Kugel auf sich hat - und nicht nur mit dieser Kugel. Die Gedanken an das letzte Kapitel sind bei mir sowieso sehr vermischt. Bei dem Anblick des Wortes "Ende" konnte ich ja einfach gar nichts sagen. Ich stand nur wortlos da und starrte das Blatt an. Hatte ich da eine Brille auf? Ich weiß es nicht mehr. Aber ich konnte nichts richtig lesen, was auf dem Blatt stand. Und trotzdem war mir klar, dass das kleine Wort da unten, in der Mitte des Blattes, aber unter dem restlichen Text "Ende" heißen muss, noch bevor du es mir gesagt hast. Du hättest sehen müssen (Dai-chan hat's gesehen), wie ich kurz danach, als du schon aus dem Zimmer weg warst, immer noch unter Schock mit den Händen nach dem Stuhl tasten musste, um mich - immer noch so wortlos - hinzusetzen. ^^;;;;;; Naja, aber an solchen Stellen wie dieser.... Ich habe das Gefühl, hinter diesem Wort "zuhause" in diesem Zusammenhang mehr erkennen zu können, als jemand, der die Geschichte noch gar nicht kennt. Und trotzdem weiß ich nicht wirklich, was es auf sich hat. Aber jetzt habe ich plötzlich auch die Gewissheit, dass nach dem 20. Kapitel das 21. kommt. Jetzt mal ohne daran zu denken, dass die Geschichte dann zu Ende ist. (Wenn ich das in die Überlegung mit einbeziehe, wird das hier zu lang und kompliziert ^^; ) Irgendwie... ist es seltsam. Ich will wissen, wie es weitergeht, wie es endet. Ich will wissen, was sich hinter all diesen Geschehnissen nun für eine endgültige Bedeutung versteckt. Diese Spannung - wie gesagt, endlich im Zusammenhang mit der Gewissheit, dass ich das Ende auch noch lesen kann - ist wirklich toll!
Und: Ich glaube, ich habe zum erstenmal wirklich verstanden, wie wichtig die kursive Schrift doch manchmal sein kann. Natürlich sind mir auch bis jetzt gewisse Nebenwirkungen der kursiv geschriebenen Textteile nicht entgangen. Aber hier..... wäre dieses Wort nicht kursiv geschrieben, ich denke, es hätte nicht die Hälfte seiner Wirkung. O_O;

So, weiter. Der Dialog mit Phil. Waaaaaaaaaaaaah, es war sooooo toll, diesen Dialog wieder zu lesen! Die Überraschung hier ist sooooo gut gemacht. Ich wusste ja schon beim Lesen der alten Version, dass Phil ein Estrella sein muss, aber auch da dachte ich, die Überraschung ist gut beschrieben. Und jetzt erst recht. Ich find's so toll. Und ich beneide all die Leser, die diese Überraschung auch als solche erleben dürfen. Was würde ich dafür geben, mit Anastasia.... oder einem noch ahnungsloseren Leser mal kurz die Plätze zu tauschen und diese Stelle zu lesen!!
Naja, das ist unmöglich. ^_^ Aber wenn man davon absieht, dass ich weiß, wie die Überraschungen enden, wer alles ein Estrella ist und wie die Handlung noch die nächsten 18 Kapitel weitergehen wird..... irgendwie erlebe ich es doch wieder, all die Gefühle und Gedanken von damals, als ich's zum ersten mal gelesen habe. Und dafür, dass ich weiß, wie es weitergeht, habe ich auch einen Vorteil dem ahnungslosen Leser gegenüber - ich kenne die Charaktere bereits seit 5 Jahren und habe sie inzwischen alle wirklich ins Herz geschlossen. So ist es auch etwas besonderes, vom Anfang ihrer Reise zu lesen. =^_________^=

Und die Tatsache, dass die Geschichte überarbeitet wurde, hat, wie ich feststellen muss, eine ähnliche Wirkung wie die, dass ich die Charaktere schon kenne: Es ist zwar die Geschichte, die ich schon mal gelesen hab, aber sie wird erweitert, ausgebaut. Eben weil ich mehr über die Charaktere schon weiß UND weil jetzt mehr und oft in anderen, wie ich annehme, sorgsamer gewählten Worten dasteht. ^^
Man merkt's, inwischen... ja, allerspätestens seit heute kann man sagen, dass ich mich über die Neubearbeitung richtig freue. ^_^

(Bäääh, wie lang ist dieser Kommentar eigentlich schon? Gibt es bei animexx überhaupt eine Grenze, wie lang der Kommentar sein darf? Ich hoffe einfach mal, dass nicht. ^^; Aber jetzt werde ich langsam wirklich müde und versuche, etwas schneller zum Ende zu kommen.)

Phils Angriff konnte ich - bei all dem guten Willen - nicht mehr so spannend finden wie damals (weder beim Durchlesen der alten, noch der neuen Version), aber gut, die Stelle ist wohl wirklich vor allem so genial wie ich sie damals empfand, wenn man das ganze zum ersten mal liest und wirklich überhaupt nicht weiß, wie es weitergeht.... und wie lang es noch weitergeht. ^-^; Aber an einen Gedanken hat sie mich erinnert, den ich schon vor einiger Zeit, irgendwann nach dem Lesen des 20. Kapitels hatte. Ich habe ja keine Ahnung, worauf das Ganze zugeht und wie es enden wird, aber ich kann nicht um einen offensichtlichen Fehler in Phils Logik umhin denken. Er will doch eine perfekte Welt erschaffen. Dass es nur Gutes gibt, kein bisschen Dunkelheit, Tod oder Trauer. Und gleich von Anfang an versucht er, das mit Hilfe von Mord zu erreichen. Ich weiß, die Menschen machen diesen Fehler oft und gern. Aber eigentlich schlägt doch allein diese Tatsache seine tolle Theorie, von wegen "Wer braucht schon das Gleichgewicht? Die Welt kann auch in Perfektion existieren" komplett um. Irgendwie finde ich den Gedanken interessant. ^^;

Und die letzte Stelle, die ich ansprechen möchte - die zweite von denen, die es mir diesmal besonders angetan haben. Shinya redet am Ende des Kapitels mit Hoshi. (Wobei ich die ganze Zeit an unsere noch mit Steffi zusammen geschriebene Geschichte von Shinyas Katzenohren, Lina und dem ... toten? - auch das noch! - Wucherkater denken muss. ^^;;; Aber das ist nicht das, was ich eigentlich schreiben wollte.) Hoshi sagt hier einen interessanten Satz. *mal kopier* "Vom Schicksal berufen auf einen unbekannten Pfad wird er den Weg ins Licht beschreiten... oder so ähnlich..." Diesen Satz las ich beim Nebenbeilesen in der Vorlesung... aber auch das ist weniger wichtig, er hat mich jedenfalls auch an das letzte Kapitel denken lassen, irgendwie. War er eigentlich in der alten Version auch schon da? Noch eine Stelle, die ich werde nachschauen müssen, wie oben angesprochen. ^.^ Ich will's einfach wissen.
Shinya (und mit ihm auch der arme Leser.... oh, und auch die Equinox-RPG-Mitspieler ^^;) weiß doch eigentlich ganz bis zum Schluss nicht, was genau er machen muss, wozu und wie das alles ausgeht. DARF Shinya das vielleicht nicht wissen? Würde er sonst "falsch" handeln? Waaaaah, ich will's einfach weiterlesen!

Wie du siehst, hat wieder mal das zweite Kapitel in mir erst richtig die Spannung geweckt. Das finde ich lustig. Damals fand ich das erste Kapitel..... weiß nicht, vielleicht nicht ereignisvoll genug? (Und jetzt kritisiere ich, dass es zu ereignisvoll ist. *g* Naja, ich will ja auch "mein" erstes Kapitel behalten können.... aber das braucht dich nun wirklich nicht zu stören. Ich hab ja schon geschrieben, dass ich die schon so oft angesprochene Stelle mit der Dunkelheit ganz einfach nicht einschätzen kann/darf.) Im zweiten Kapitel wurde es dann plötzlich ernst - plötzlich ging es um Leben oder Tod, und das hat beträchtlich zur Spannung beigetragen, sodass ich die Geschichte ab da mit gewecktem Interesse las, nicht nur weil du sie geschrieben hast, sondern weil ich wissen will, wie es weitergeht. Und jetzt... war für mich das erste Kapitel mehr oder weniger einfach "nur" das neugeschriebene erste Kapitel, schön, noch mal zu lesen, auch noch in der neuen Fassung, aber dennoch schon irgendwie bekannt, während das zweite mich zuerst mit dieser Glückskugel und dann erst richtig mit diesem einen Satz von Hoshi daran erinnert hat, dass es noch einiges gibt, was ich nicht weiß und wissen will. Dass ich zwar den ungefähren Handlungsverlauf, der direkt darauf folgen wird, bereits kenne, aber trotzdem noch einiges wissen will. Und so wird die Geschichte wieder richtig spannend und ich will sie unbedingt weiterlesen.

Was ich morgen, am Dienstag, auch wieder vorhabe. ^_^ Und.... ich kann's ja jetzt schon schreiben: Das dritte Kapitel ist eines der für mich besonders wichtigen gewesen. Von daher bin ich jetzt ganz besonders darauf gespannt, wie es sich lesen wird. ^^
Man beachte dabei: Letztes Jahr hätte ich noch geschrieben: ".... wie es sich verändert hat", während ich heute den Satz etwas anders beende. Ich will es einfach lesen und genießen. Und ich hoffe, dass ich's mindestens genauso genießen kann wie letztes mal (<-- oje, hohe Ansprüche ^^;). Aber dabei hoffe ich nicht - im Gegensatz zum letzten Jahr - dass es genauso geblieben ist, was ja irgendwo unsinnig wäre.
Naja, dann.... viel Spaß noch beim Lesen der folgenden Kommentare. ^-^
(Ich hoffe, das braucht nicht zu viel Zeit *drop* Aber vielleicht werden die anderen Kommentare ja auch etwas kürzer. ^^;;; Immerhin habe ich hier jetzt so viel zu Equinox allgemein geschrieben und nicht nur zu diesem einen Kapitel. Naja, mal sehen. ^-^)


mata... öhm, gleich ^^ - oder wann immer du vorhast, weiterzulesen
tía


PS: Hatte schon aufgehört, den Kommentar zu schreiben und Potamû ausgeschaltet, als mir einfiel, dass ich eine wichtige Sache vergessen hab (die irgendwie nicht bei meinen Notizen dabei war ^^;). Und da ich jetzt nicht weiß, wo ich sie mitreindrücken kann, schreibe ich's einfach hier am Ende. ^^
Aaaalso, ich find's soooooooooooooooooo waaaaaaaiiiiiiiiiiiiiii, dass Shinya sich vor dem Einschlafen immer zusammenrollt. =^.^= Tut mir leid, diese langgezogenen "waaaaiii"-Kommentare versuche ich eigentlich zu vermeiden, um mehr Inhalt reinschreiben zu können, aber hier kann man das einfach nicht anders beschreiben. ^__^ Ich meine, ich meine.... Ich weiß nicht mal, ob das überhaupt deine Absicht war. Eigentlich rollen sich viele Menschen zusammen bevor sie einschlafen, ich selbst miteinbezogen. Wobei ich schon wieder irgendwo ein Kater bin, und.... Bei Shinya, mit seinen Katzenohren, passt es einfach so sehr! *Shinya knuddel* Miau! ^.^


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