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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Árekstur~*

"Kampf ist überall, ohne Kampf kein Leben. Und wollen wir weiter leben, so müssen wir auch auf weitere Kämpfe gefasst sein." – Otto (Eduard Leopold) Fürst von Bismarck
 

Kapitel 45 – Árekstur

-Kollision-
 

*Wenn feindlich gesinnte Energien aufeinander treffen, ist der Ausgang jener Begegnung bereits vorherbestimmt?

Löschen sie sich unweigerlich gegenseitig aus, sodass letztendlich nichts bleibt, die ursprünglichen Mächte sich vollkommen tilgen? Oder verschlingt die stärkere der beiden die schwächere und verleibt sie sich ein?

Ist nur demjenigen das Überleben gestattet, und gesichert, der sich behaupten kann und den Gegner gnadenlos ins Aus stößt?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Nachdenklich, jedoch mit schwindendem Interesse, beobachtete Kali, wie die kleinen Rauchwölkchen, die er aus Mund und Nase stieß, von der sachten Brise erfasst und Richtung Meer getragen wurden, sich währenddessen mehr und mehr verflüchtigten, schlussendlich vollkommen im Wind vergingen.

Noch immer hing der schwere Geruch von verbranntem Holz in der Luft, vereinzelte Ascheflocken tanzten schwerelos, einen stummen Reigen aufführend über die Hafenmauer, an ihm vorüber, verschwanden gen Horizont außer Sichtweite.

Kali langweilte sich – und das im Grunde nicht erst seit Sonnenaufgang, mit dem absolute Ruhe eingekehrt war. Selbst in der Nacht hatte er seinen Posten nicht verlassen dürfen, und dementsprechend fehlten ihm jegliche Informationen über das Feuer, das unvermittelt in einem der großen Hauptgebäude der Residenz ausgebrochen war.

Seufzend legte er den Kopf in den Nacken, zog ein weiteres Mal an seiner Pfeife.

Was Menschen und die Sonderregelungen betraf, die in ihrer Nähe galten, konnte er Súnnanvindur einfach nicht beipflichten; die Vorsicht des Oberhauptes der Luftdrachen war maßlos übertrieben, wenngleich in gewissem Sinne verständlich.

Zum einen, da Flúgars Präsenz ein unheimliches Risiko darstellte und auf anderem Wege kaum in den Griff zu bekommen war, zum anderen, weil Súnnanvindur zurzeit all seine Hoffnungen in diese Angelegenheit und ihr Gelingen setzte.

Sobald sich die wahren Gegebenheiten offenbarten…

Kali wollte sich nicht vorstellen, was dann geschehen würde. Nur zu gut erinnerte er sich an die tiefblauen Druckmale an Flúgars Hals.

Nun, es war nicht zu ändern. Warum also sollte er sich den Kopf darüber zerbrechen…?

Seine momentane Situation würde sich dadurch ohnehin nicht verbessern, Befehl war Befehl. Auch, wenn das für ihn nichts als pure Langeweile bedeutete.

Natürlich wusste sich der Luftdrache Abhilfe zu verschaffen, und allmählich begann er die Wirkung des Opiums im Pfeifentabak zu spüren. Der Effekt war nicht unbedingt berauschend, zum Zeitvertreib und zur Beruhigung reichte es allemal aus.

Eine ganze Weile döste Kali, die sanften Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht und den Klang der leise rauschenden Wellen genießend, vor sich hin.

Warum er letztlich aus seinem wonnigen Dämmerschlaf hochschreckte, konnte er im Nachhinein nicht mehr sagen, doch dass er schlagartig hellwach war, hatte sicherlich einen guten Grund.

Benommen fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen, setzte sich auf. Sorgfältig prüfte er die Witterung, ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen.

Eigenartig.

Dann jedoch vermeinte er am Himmel eine flüchtige Bewegung zu entdecken, richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf den unscheinbaren grauen Fleck, der sich in relativ weiter Entfernung gegen das strahlende Blau des beinahe wolkenfreien Firmaments abgrenzte.

Das war keine Wolke.

Kali mochte die Form des Objekts nicht erkennen können, dafür waren seine Augen bei Weitem zu schlecht, aber er bemerkte sehr wohl, dass es sich bewegte, und das rasch, auf ihn zu, damit gegen die derzeitige Windrichtung.

Skepsis beschlich ihn, sämtliche Muskeln in seinem Körper spannten sich an. Zeitgleich wanderte seine rechte Hand an die Tsuka seines Katanas.

Youki…
 

Neisti hatte alle Mühe damit, sein Amüsement über die derzeitige Situation unauffällig zu verbergen, presste die Hände auf den Mund und hielt zeitweise die Luft an, um das Kichern zu unterdrücken, das ihm vehement zu entfleuchen drohte.

Bundoris Teint war im Vergleich zum Zeitpunkt ihrer Abreise um mindestens zwei Nuancen aufgehellt, das ruckelige, unsichere Flugverhalten des Eldursdreki Logi, auf dessen Rücken er saß, ging wahrhaftig nicht spurlos an dem Drachenfürsten vorüber.

Für gewöhnlich nutzten Feuerdrachen ihre relativ kurzen Flügel lediglich zum Segeln, und das auch nur, wenn es entsprechende Aufwinde oder warme Luftsäulen gab, die jenes Unternehmen unterstützten. Lange Strecken durchgehend fliegend zurückzulegen war schlichtweg unmöglich, einerseits strengte es ungemein an, verlangte den Einsatz von nicht gerade wenig Youki, und andererseits besaßen die Drachen des Feuers keinen besonders guten Orientierungssinn.

Die für Logi unbegreifliche Thermik über dem Ozean und die schiere Unmenge an Wasser, die seine Sinne zusätzlich verwirrte, taten ihr Übriges.

Aufgrund dessen hatten sie dem Sonnenweberdrache bereits im Vorhinein jede erdenkliche Vollmacht eingeräumt, was die Navigation betraf.

Alles andere hätte im glatten Selbstmord geendet.

Doch infolge des mangelnden Komforts und die Langwierigkeit des Fluges war Bundoris Laune langsam aber sicher bis weit unter den Nullpunkt gesunken. Letzteres hatte der junge Eldursdreki am eigenen Leibe erfahren dürfen, als er besagten Dämon ungefragter Weise angesprochen hatte. Die Quittung für diese Dreistigkeit hatte er augenblicklich in Form einer überdeutlichen Verwarnung kassiert, wie die mittlerweile beinahe völlig verheilten Striemen auf seiner linken Wange bewiesen.

Neisti empfand es als äußerst ermüdend und Nerven zehrend mit einer solchen Begleitung zu reisen; Logi hatte sich bis jetzt nicht getraut, sich zu Wort zu melden und Bundori hüllte sich geflissentlich in Schweigen, beschränkte sich darauf, ihm in regelmäßigen Abständen einen vernichtenden Seitenblick zuzuwerfen.

So blieb dem Feuerdrachen bloß sein eigenes Reittier, ein monströses Feuerpferd, als Gesprächspartner. Das weiße Tier mit der flammenden Mähne zeigte allerdings keinerlei Interesse an Zuwendung dieser Art, wandte ihm weder Kopf noch Ohren zu, von irgendeiner Erwiderung ganz zu schweigen.

Widerwillig fügte sich Neisti in sein Schicksal und hielt den Mund, wagte erst wieder eine hörbare Lautäußerung in Form eines erleichterten Aufatmens, als das Festland Japans in Sichtweite auftauchte.

Näher und näher rückte die Küste ihres Bestimmungsortes, die Vorfreude des Eldursdreki steigerte sich ins Unermessliche. Eben diesen Kampfeseifer hatte er vermisst, diese Aufregung, diese Lust

Der Wind stand günstig für sie, die Gelegenheit schien perfekt – der Anschein täuschte. Und je näher sie kamen, desto offensichtlicher wurde es.

Jemand erwartete sie, einer der Loftsdrekar, wie die auffällige Färbung seiner Bekleidung bekundete, und er hatte sie unlängst als Feinde eingestuft. Woher rührte dieses Wissen? Oder verfuhr er nach dem Prinzip des reinen Glücks…?

Nein, sicher nicht.

Denn jetzt wurde Neisti bewusst, dass sich die Luftströmungen gedreht hatten, ihnen jetzt verräterisch im Rücken standen.

Cleverer Bursche…

Ob ihm seine Intelligenz jedoch den Hals retten konnte…?

In Angriffsstellung, das Schwert einhändig in einer schrägen, seitlich nach unten geneigten Position der Ruhe haltend, verharrte er regungslos, geduldig, bis Logi den Zirkel seiner eigens festgelegten Aktionsradius schnitt.

Blitzartig stürmte er los, folgte zunächst dem Verlauf der Kaimauer eher er sich abstieß, einen weitläufigen Abschnitt der Steilküste übersprang und einen einigermaßen flachen Felsvorsprung frequentierte, um den nötigen Schwung für seine bevorstehende Attacke zu sammeln.

Noch im Sprung hob er das Katana auf Schulterhöhe, fasste es mit beiden Händen; sein Fokus lag unverkennbar auf Bundori.

Neisti tat der Luftdrache leid, die Begegnung mit dem missgelaunten japanischen Fürsten würde er nicht überleben. Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein konnte durchaus verheerende Folgen tragen.

Was für eine Verschwendung von Leben…

Ein ohrenbetäubendes Brüllen erschallte, als Logi seinen mächtigen Leib zur Seite wälzte und anschließend mühevoll um sein Gleichgewicht rang. Verärgert schnappte er mit den gewaltigen Kiefern nach dem fremden Angreifer, verfehlte dessen linkes Bein um Haaresbreite.

Doch Kali ließ sich nicht beirren, packte die Chance, sich am Kopf des Eldursdreki erneut abzustoßen, beim Schopfe. Mit einem flinken Überschlag brachte er sich hinter seinen selbst gewählten Gegner, der nun endlich eine Reaktion zeigte, sich betont langsam zu voller Größe aufrichtete.

Gleichzeitig bäumte sich der Feuerdrache in seiner wahren Gestalt ein weiteres Mal auf, schlug ungeahnt heftig mit den Flügeln, was Bundori dazu nötigte, Halt an dem von Dornen gespickten Plattenpanzer zu suchen; dabei wich sein kühler missbilligender Blick einem düsteren Ausdruck, einem mordlüsternen Funkeln in den Augen, das Bände über seine derzeitige Gemütsverfassung sprach.

Kali musterte das Antlitz seines Gegenübers, Bundori zog sein Schwert.

Ein Sonnenweberdrache…

Die weiße Maske mit den schwarzen Streifen auf seiner Stirn verriet ihn; über Súnnanvindur hatte der Loftsdreki am Rande einmal erfahren, dass der Hundeclan des Öfteren Schwierigkeiten mit dieser Art der Lindwürmer zu verzeichnen hatte, sich gefährliche Spannungen entwickelten und allgegenwärtige Feindseligkeit einstellten, einen offenen Krieg war seitens des Inu no Taishous dennoch vermieden worden. Sicherlich waren die Zwischenfälle und die damit verbundenen Verluste verdrießlich, aber auf solch mindere Provokationen mit einem unüberlegten Feldzug zu antworten, entsprach nicht dem durchweg stolzen Charakter der Hunde.

Nur… was hatte ein dermaßen hochrangiges Exemplar hier verloren? Noch dazu in Gesellschaft von zwei Feuerdrachen?

Etwas Gutes verhieß das garantiert nicht.

Eine wiederkehrende Regung durchlief den Körper des Eldursdreki, und sein schwer gepanzerter Schädel ruckte herum. Aus Nüstern und Rachen quollen giftige Dämpfe, es roch nach Schwefel und diversen anderen hochentzündlichen Substanzen.

Grollend fixierte Logi den Luftdrachen, sog begierig den Sauerstoff aus der Luft in seinen Schlund. Er würde diesen Plagegeist zu Asche verbrennen…

So weit sollte es allerdings nicht kommen.

„Lass das bleiben, wenn du an deinem Leben hängst.“

Es war nicht Bundoris sonore, gleichwohl eiskalte Stimme, die Logi zum Zusammenzucken veranlasste, sondern vielmehr die Gestik, die seine Anordnung unterstrich. Der verwarnende Hieb gegen die Schnauze war glücklicherweise halbherzig angesetzt gewesen und hatte keine empfindsame Stelle getroffen; dessen ungeachtet meinte es der Drachenfürst verdammt ernst. Sich mit ihm anzulegen war – gelinde ausgedrückt – debil, und demgemäß gehorchte der Eldursdreki, obgleich unwillig, flog gedämpft murrend eine Schleife, um nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau zu halten.

Unterdessen schätzte der Sonnenweber den augenscheinlich suizidgefährdeten Loftsdreki ab, prägte sich seine Haltung ein, rief sich seine Bewegungen ins Gedächtnis. Das Katana, das er trug, maß ein wenig mehr als drei Shaku, und Bundori bezweifelte nicht, dass er es geschickt einzusetzen wusste.

Trotz dessen gebührte der Vorteil im Punkt Reichweite ihm selbst, das doppelseitig geschliffene Schwert in seiner rechten Hand besaß eine längere Klinge, außerdem wog es schwerer, und das ohne seine Geschwindigkeit im Kampf herabzusenken.

Mit einem siegessicheren Lächeln auf den Lippen trat er einen Schritt vor, den Schwertarm hielt er im Gegensatz dazu ruhig.

„So ein dummes Kind. Es ist fast schade, dass du aus meiner Lektion nichts mehr lernen können wirst. Fast.

Wenn du mich nicht zu Tode langweilen willst, fang an!“

Kali schob seine Bedenken und aufkeimende Verunsicherung beiseite, atmete tief durch. Für einen Augenblick schloss er die Augen, konzentrierte sich, festigte den Griff um die Tsuka seiner Waffe.

Jetzt oder nie, alles oder nichts…

Entschlossen stürzte sich der Loftsdreki in die Offensive, das Echo der aufeinander prallenden Stahlklingen hallte über die Weite des Meeres hinweg.

Zu spät wurde Kali sich dem Umstand gewahr, dass das unangenehme Kribbeln auf der Haut nicht der Eifer des Gefechtes war, der ihn packte – nein, es war Bundoris Youki, gegen das er in seiner gegenwärtigen Gestalt nicht viel ausrichten konnte.

Gleichermaßen von der Intensität der rein technischen Parade überrascht, machte er hastig einen Satz zurück, fluchte tonlos. Seine Arme waren verletzt, von mäßig tiefen Schnitten gezeichnet. Feine schwarzrote Rinnsale bahnten sich ihren Weg über seine helle Haut.

Wie mächtig war dieser Sonnenweberdrache wirklich, wenn alleinig das Aufflammen seiner Dämonenenergie solchen Schaden verursachte?

Ob es womöglich klüger war, sich zu verwandeln…?

Allzu viel Zeit zur Reflexion gewährte der Drachenfürst ihm freilich nicht, unbarmherzig und mit einem rasanten Tempo setzte er Kali nach, griff ihn nun seinerseits mit einem schier unmöglich zu blockenden Querhieb an.

Keine dem Jüngeren bekannte Defensive hätte ihn gegen diesen Schlag schützen können, ausweichen hieß die Devise.

Zugegeben, das Manöver gestaltete sich knapp und alles andere als elegant, doch es erfüllte seinen Zweck.

Nach einigen, taumelnden Schritten fing er sich wieder, riss derweil sein Katana hoch, um Bundoris nachfolgenden Angriff zu parieren. Aufkeuchend stemmte er sich, die linke Hand unterstützend an der stumpfe Klingenseite, gegen die Übermacht seines Gegners; erfolglos, eben jener war wesentlich stärker als er, hoffnungslos überlegen und drängte ihn stetig weiter zurück.

Verzweiflung erfasste ihn, wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde er hier tatsächlich sterben…

„Genug gespielt.“

Unwirsch stieß ihn der Sonnenweberdrache zurück, löste so die Verkeilung der Schwerter und sandte postwendend einen vertikalen Schlag hinterher, dem der Luftdrache nur mühevoll durch ein seitliches Abrollen entrann. Jeden näheren Kontakt mit dem Youki des anderen musste er tunlichst vermeiden.

Abwägend fokussierte Kali den Lindwurm in menschlicher Form, verharrte in seiner halbseitig knienden Körperhaltung.

So hatte das keinen Sinn.

Kurzerhand sprang er vom Rücken des Feuerdrachen in die Tiefe, vollführte einen grazilen Salto bevor er geschickt zwischen den Felsen der Steilküste landete. Bundori folgte ihm unverzüglich – ein süffisantes Grinsen verzerrte sein Gesicht zu einer diabolischen Grimasse.

Kali schluckte unwillkürlich, säuberte nervös die blutigen Hände an seinem Hakama.

Ohne den Einsatz seines Youkis würde er nicht überleben, aber wenn er nicht aufpasste, lief er Gefahr die Kontrolle zu verlieren und es entsprach gewiss nicht seiner Intention, sich selbst auf das Niveau eines Tieres zu degradieren.

Vorsichtig tastete er nach der Quelle seiner Energie, berührte diese nur flüchtig, um den abrupt aufwallenden Youkistrom im Zaum halten zu können – zeitgleich pulverisierte eine neuerliche Attacke des Sonnenweberdrachen ein riesiges von erodiertem, spitzen Gesteinsformationen bedecktes Areal zu exquisitestem Staub.

Unglaublich… die Gewalt, die hinter dieser immensen Stärke steckte, faszinierte und ängstigte ihn zugleich.

Erschrocken kniff Kali die Augen zusammen, als die Druckwelle des Angriffs ihn erfasste, und er daraufhin ins Wanken geriet. Genau jener Moment der Unachtsamkeit war es, den Bundori auszunutzen wusste; mit ungemeiner Befriedigung erkannte er den Schock in den Augen des jungen Luftdrachen, als dieser ihn keine zwei Schrittlängen von ihm entfernt erblickte. Diesmal würde er nicht entwischen.

Um vernünftig zu reagieren tauchte der Drachenfürst um Einiges zu plötzlich vor ihm auf, sein Verstand versagte, an einen Konter dachte er nicht einmal. Der Situation zum Trotz, herrschte in seinem Kopf eine gespenstische Leere vor, irgendwie erschien ihm die Angelegenheit so surreal… das konnte doch einfach nicht die Wahrheit sein… oder?

Dass er sich zweifelsfrei in der Realität befand, teilte ihm bald darauf eine der elementarsten Empfindungen mit, die sein Körper kannte. Schmerz, und das in einer dermaßen brutalen Abart, dass seine Nerven zu kollabierten drohten, ihm die Sinne schwanden, und das Bewusstsein beinahe entglitt.

Einen Aufschrei unterdrückend, grub er die Finger in den rauen Untergrund, biss sich auf die Unterlippe.

Was hatte er von seinem Stolz, wenn er dafür mit dem Leben bezahlte?

„Vertu ekki að þessu… gera svo vel…“

Ja, zur Hölle, er bat um Gnade, war es denn verwerflich sich davor zu fürchten, bis in die Ewigkeit verdammt zu sein als zersplitterte, ruhelose Seele existieren zu müssen?

Wenigstens verstand Bundori ihn nicht, ein schwacher Trost im Angesicht der Tatsachen…

Der Sonnenweberdrache hingegen spürte, wie ihn der Blutrausch zu überwältigen begann, die Maske auf seiner Stirn schmunzelte hämisch.

Töte ihn…

„Halt’s Maul!“

Meinte er ihn?

Nein. Verschwommen nahm er wahr, dass der Drachenfürst sich abwandte. Aber… mit wem stritt er sich?

Beleidigungen, diverse Schimpfworte, die Kali bis dato noch niemals zu Ohren gekommen waren, echoten in bemerkenswerter Lautstärke über die nun bis auf weiteres ebene Landschaft.

Anscheinend führte er Selbstgespräche, was, wie Kali fand, auf abstrakte Art und Weise sehr gut zur Persönlichkeit des Anderen passte. Schwach erinnerte er sich daran, dass der Stamm der Sonnenweberdrachen aus der Synthese zweier unterschiedlicher Lebewesen entsprungen war, und das Resultat, durch einen lebenslänglichen Pakt besiegelt, lediglich eine Symbiose eben dieser darstellte, keine eigenständige Rasse…

Diese Atempause würde nicht endlos fortwähren.

Da er in seinem rechten Arm keinerlei Gefühl hatte, schob er den linken in einer lahmen Bewegung über seine Brust, Blut benetzte seine Fingerkuppen, als er die rechte Schulter erreichte. Es bestätigte seine Vermutung…

Flüchtig streiften seine Finger das kühle Metall der Schwertklinge seines Kontrahenten, schlossen sich erst zögerlich, dann jedoch fest um den unnachgiebigen Stahl.

So konnte, so durfte es mit ihm nicht enden.

Was wurde aus der Zukunft des Clans, wenn er hier elendig krepierte? Was wurde aus seiner Zukunft, aus seinen Träumen?

Tränen brannten in seinen Augenwinkeln.

Keine Familie, keine Gefährtin, keinen Erben…

Nichts desgleichen hatte er vorzuweisen, es war beschämend.

„Habe ich dir gestattet, mein Schwert zu berühren?“

Natürlich war das eine rhetorische Frage, eine Erwiderung konnte er sich getrost sparen. Nebenbei erwähnt hielt Kali diese Variante für die gesündere, Bundori zu provozieren grenzte an heillosen Wahnwitz, der den des Sonnenweberdrachen in seiner Verquertheit noch übertraf.

Kalis Überlegungen brachen jählings ab, als ihm gewaltsam die Luft aus den Lungenflügeln gepresst wurde, und ein ungeheures Gewicht auf seiner Brust lastete. Beständig, unbarmherzig nahm der Druck auf sein Brustbein zu, das Geräusch von berstenden Knochen ergänzte sich – dem Geschmack des Drachenfürsten nach – vorzüglich mit dem gequälten Stöhnen des Loftsdreki, seinem fruchtlosen Ringen nach Atem zu einer süßen Melodie der Pein, der er andächtig und schweigsam beiwohnte.

Eine Weile weidete er sich am Leid seines Opfers, doch sein Spiel langweilte ihn zusehends, die Lust daran war ihm vergangen.

Schulterzuckend vollführte er eine elegante Kehrtwende. Es war nicht schade um den Luftdrachen, er war schwach, nutzlos, so etwas taugte zu nichts als zum Sterben. Was das richtige Vergnügen anbelangte, weswegen er überhaupt hier stand, so würde er sich noch gedulden müssen.

„Wo… willst du hin? Noch… bin ich nicht tot…“

Missmutig hielt Bundori inne. Hatte er sich eben verhört oder bettelte dieser Idiot tatsächlich darum, von ihm an Ort und Stelle in Fetzen gerissen zu werden?

In seinem miserablen Zustand sollte er wahrlich nicht mehr in der Lage sein, solche Unverfrorenheiten zu verbalisieren, indirekt Forderungen zu stellen.

Bundori fuhr herum, zu langsam, zu unvorbereitet, um dem verzagten Angriff des Luftdrachen vollends auszuweichen; die Klinge seines Katanas streifte den linken Oberarm des Fürsten, dessen Augen sich ungläubig weiteten.

Er wagte es, ihm in den Rücken zu fallen…?

Dunkle Schatten überlagerten seine Züge, der unermüdlich in ihm aufwallende Zorn entstellte das makellose Gesicht.

Dafür würde er büßen.

Ehe Kali ein weiteres Mal blinzeln konnte, schlug sein Gegenüber ungehalten zu. Die Wucht des Schlages schleuderte ihn ein beachtliches Stück nach hinten, ließ ihn unsanft auf dem harten Boden aufprallen.

Wahrscheinlich war er dadurch kurzzeitig in Bewusstlosigkeit gesunken, denn als er wieder zur Besinnung kam, konnte er Bundoris heißen Atem über seine Wange streichen fühlen, sein eiserner Griff drückte ihm gnadenlos die Kehle zusammen. Er schnitt ihm die Luftzufuhr ab, beabsichtigte sicherlich, ihn jämmerlich ersticken zu lassen…

Der Sonnenweberdrache lächelte milde herablassend, die Maske auf seiner Stirn tat es ihm gleich.

„Selten ist mir so ein dummes Kind wie du begegnet, deshalb verrate ich dir, wem du dein vorzeitiges Ableben verdankst.

Merk dir meinen Namen gut, es ist das letzte, was du jemals hören wirst.“

Gewissermaßen zärtlich berührten seine Finger die leicht geöffneten Lippen der wehrlosen Beute, sandte einen Schauer durch deren Leib.

„Bundori.“

Kalis ohnehin nicht nennenswerte Gegenwehr erstarb, die Welt um ihn herum verblasste und die Dunkelheit verschlang ihn.

Aus, vorbei, das war’s…

Just in diesem Moment erlosch Bundoris Interesse, er lockerte die Anspannung in seiner rechten Hand, ließ den leblosen Körper achtlos fallen; seine Aufmerksamkeit galt nunmehr etwas Anderem, die Hauptattraktion, für die er einige Mühen auf sich genommen hatte, lockte ihn mit lieblicher Stimme.

Wie in Trance näherte er sich eiligen Schrittes der Hafenmauer, eher beiläufig schaute er zu Neisti, der zusammen mit dem Feuerpferd und Logi – indes in Menschengestalt – an der Wassergrenze des umgestalteten Terrains wartete, winkte ihn mit einer brüsken Geste heran.

„Mach dich gefälligst nützlich und räum den Dreck hier weg.“

Gelassen schob der Drachenfürst sein Schwert zurück in die Scheide.

Äußerlich mochte er ganz und gar unbeeindruckt von der kurzen Kampfeinlage wirken, innerlich kochte er vor Wut.

Auch wenn es nur ein Kratzer war…

Dreckiger Bastard…

Während Bundori abfällig schnaubend in Richtung Residenz verschwand, tat der junge Eldursdreki wie ihm geheißen und näherte sich, nicht ohne Vorsicht, wie er einräumen musste, dem reglos auf der Erde liegenden Drachen der Luft. Geräuschlos ging Neisti neben ihm in die Hocke, tippte mit dem Zeigefinger an die – nach seinem Empfinden – viel zu kalte Wange. Keine Reaktion, was für den Feuerdrachen Entwarnung bedeutete.

Einigermaßen beruhigt kniete er sich dann in den Staub, betrachtete aufmerksam das Gesicht des Bewusstlosen, die blasse Haut, die ausdruckslose Miene…

„Tut mir leid.“

Neisti seufzte abgrundtief.

Nein, es war nicht fair, und ja, diese Verschwendung war eine Schande…

Sich zu beschweren oder gar zu weigern würde nicht helfen, nicht bei Bundori, und noch war es zu früh, um es sich mit ihm zu verderben, nicht zuletzt um seines Bruders willen.

Eines schien der Sonnenweber jedoch vergessen zu haben, die Entscheidung, was er mit dem Luftdrachen anstellen sollte, betrug sich offen. Die Kehle würde er ihm sicherlich nicht aufschlitzen.

Sein Blick schweifte zum Meer, ihm wurde schwer ums Herz…
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

vertu ekki að þessu - aufhören, hör auf

gera svo vel - bitte
 

***>>>Kapitel 46:

>“Im Wirbel der Ereignisse treten sich Feinde von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und die Atmosphäre droht unter dem Hass und der Feindseligkeit der Dämonen zu bersten.

Unheil braut sich zusammen, der Himmel zeigt ein böses Omen, und manch einer soll nicht mit dem Leben davonkommen, wenn er zufällig den Weg des Falschen kreuzt…“

Chousen



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Lizard
2008-01-08T14:12:10+00:00 08.01.2008 15:12
Tatsächlich... ich habe tatsächlich noch keinen Kommentar hierzu abgegeben... Schande über mich!

Tja, was soll ich sagen. Eigentlich kannte ich dieses Kapitel netterweise ja schon (deswegen war ich zunächst fast enttäuscht, dass da nicht noch was längeres Neues, mir Unbekanntes kam), aber es fesselt auch beim wiederholten Lesen.
In Sachen Sprachgewandtheit hast du mal wieder einen Höhepunkt erreicht. Die Sprachwahl, die Beschreibungen und die bestaunenswerte Lautmalerei war stellenweise atemberaubend.
Ich bekomme hier immer wieder das Gefühl ein altes Lied-Epos zu lesen. Das berauscht mich immer wieder (du hast nicht zufällig an Beowulf, dem Nibelungenlied, der Artussage und ähnlichen Dingen mitgewirkt, oder? Könnte ja sein, dass du eine Inkarnation von ehemals berühmten, heute namenlosen und vergessenen Barden bist?!?^^)

Der Inhalt ist nicht weniger begeisternd.
Die Konstellation der Figuren ist mehr als interessant und zeitweise auch angenehm erheiternd (wie drückte Carcajou es aus, drei Drachenarten: bekifft, luftkrank und orientierungslos?!?).
Besonders Neisti hat es mir mittlerweile sehr angetan, er hat was, das ihn mir sehr sympathisch macht, auch wenn er womöglich auf der falschen Seite steht (wobei fraglich ist, wo bei diesem vertrackten Intrigenspiel eigentlich die falsche Seite ist).
Und Entei (oder ein Vorfahr davon?) kam auch vor... klärst du in deiner Geschichte vielleicht auch die Frage, wo Entei herkam und wie dieses Pferd gebannt wurde (im Manga wird ja nicht viel über die Herkunft dieses Feuerpferdes gesagt)?

Aus dem zunächst noch sehr amüsanten Anfang wird schnell grausamer Ernst. Armer Kali, der hat sich eindeutig den falschen Gegner auserwählt... gehörte das denn zum Befehl, das er sich jedem erdenklichen potentiellen Feind entgegen stellen muss? Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte Hilfe geholt? Dann hätte er vielleicht auch noch jemanden warnen können (fraglich allerdings, ob ihm das in dem derzeitigen Chaos mit dem Feuer in der Residenz gelungen wäre).

Zu Bundori kann ich nur bemerken, dass ich es schon fast beängstigend finde, wie sich eine Nebenfigur aus einer ganz anderen Geschichte in einer neuen Story und in den Händen eines anderen Autoren entwickeln kann. Der Kerl ist bei dir so was von erschreckend realistisch, dass es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Beispielsweise, wenn man das hier liest:
>Beständig, unbarmherzig nahm der Druck auf sein Brustbein zu, das Geräusch von berstenden Knochen ergänzte sich – dem Geschmack des Drachenfürsten nach – vorzüglich mit dem gequälten Stöhnen des Loftsdreki, seinem fruchtlosen Ringen nach Atem zu einer süßen Melodie der Pein, der er andächtig und schweigsam beiwohnte.<
Woah, der Satz ist echt krass...was für ein grässlicher Sadist !!! (ich beginne meine einst eigens geschaffene Figur zu fürchten! Frankenstein grüßt...^^)
Die Idee mit der Entstehung der Sonnenweberdrachen (als Symbiose aus zwei Wesen) find ich auch toll, das ist sehr originell und faszinierend (ich hoffe, du erlaubst mir diese Idee aufzugreifen und auch in einer meiner Fanfics zu verarbeiten?!)

Äh tja, was war sonst noch?
Ach ja, diese kleine Nebenbemerkung, durch die klar wird, wie Kali als Luftdrache die Mächte des Windes nutzen kann und den Wind dreht, fand ich irgendwie sehr schön. Und den Anfang mit dem Meer und dem Pfeifenrauch.
Irgendwie passte diese Szene ein wenig zu einem Gedicht und erinnerte mich daran, nach dem Lesen des Kapis musste ich das Gedicht daher unbedingt suchen und hab's glatt gefunden:

Liegst du auf der Ottomane,
Und die Pfeife in den Zähnen:
Darfst du schaukelnd dich im Kahne
Auf dem Meer des Nicht-mehr wähnen.

Silbern steigt der Rauch nach oben.
Mit den leisen weiten Kreisen
Fühlst du selber dich gehoben
Und im Wolkenreigen reisen

Erde, Mond und Sonne sangen.
Alles geht in Rauch und Luft auf.
Alles geht in Hauch und Duft auf.
Du vergehst. Und bist vergangen.

(Klabund)

P.S. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Lyrik mag? Und du sehr lyrisch schreibst?)

P.P.S.Wieso dauert es nur immer noch so lange bis das nächste Kapitel kommt?
Von:  Carcajou
2008-01-06T22:31:11+00:00 06.01.2008 23:31
Ein bekiffter Luftdrache.
Ein Luftkranker Sonnenweberdrache.
Und ein orientierungsloser Feuerdrache, der ohne Lotse nicht mal die Japanischen Inseln finden würde...
^______________^
Man könnte fast denken, das wäre eine Actionkomödie- bis man weiterliest.
Der Kampf war gut beschrieben. Auch Kalis Verwirrung auf Bundoris ruhige Reaktion, dann die zunehmende Angst, als er dessen Stärke erkennt und doch nicht aufgibt.
Man hofft doch sehr, das der arme Kerl das irgendwie überlebt...
Etwas witziger hingegen fand ich wieder die Szene, bei der Bundori mit sich selbst streitet- Schizophrenie auf Drachenart... gibt es dazu eigentlich Vorlagen, oder ist das deine Interpretation von Ryukotsusei und seinem Bruder?
Auf jeden Fall scheint es jetzt zu einem Höhepunkt zu kommen... ich bin ja ÜBERHAUPT nicht gespannt.

Die ganze Szenerie wieder einmal wunderschön intensiv und bildhaft beschrieben... habe gerade den ST von Pirates o t C auf den Ohren.
Passt^^!

LG,
Carcajou

Von:  Tigerin
2007-12-29T19:54:47+00:00 29.12.2007 20:54
Ich fand es viel besser, als ich wusste, dass er nicht mehr lebt.. er ist ja so ein netter Drache... und auch sooo freundlich zu anderen..^^' Irgendwie kam er mir noch gemeiner als bei Lizard vor..
War das Kapitel kürzer als sonst, oder kam mir das nur so vor...?
Jedenfalls war der Kampf sehr schön beschrieben. Immerhin konnte Kali ihn verletzen..
Ist das was Bundori anlockt Sou'unga?
So, ich freu mich aufs Nächste Kapitel^^

Bye Tigerin
Von:  Hotepneith
2007-12-23T20:55:55+00:00 23.12.2007 21:55
Bundoiro ist wirklich ein reizendes Wesen..^^
Lizard sei dank.
Aber du verleihst ihm eine fast noch deutlichere Ausstrahlung. Denn sein Umgang mit den anderen Drachen ist, gelinde ausgedrückt, nicht sehr nett^^
Es steht also erneut Krieg und Ärger und Leid bevor..
Du schienst es wirklich zu mögen.
Irre ich mcih eigentlich oder waren die Bilder, die Bildsprache diesmal wieder einmal noch ausgeprägter?


bye

hotep


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