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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Bandalag~*

"Engere Bande schlingt um zwei verwandte Seelen die Freundschaft, einen Bund, worin sich spiegelt die Harmonie Gottes und des Unendlichen." – Bernhard Brach
 

Kapitel 19 - Bandalag

-Bund-
 

*Sind die Knüpfungen der Fäden des Schicksals wirklich unergründlich?

Führen uns nicht jene zusammen, auch wenn über unzählige Ecken und Enden, Irrungen und Wirrungen, die sich durch unser Umfeld ergeben? Und ist der, der dann vor uns steht, ein so gänzlich Unbekannter?

Oder vergeht diese Fremde rasch, womöglich sofort, weil man auf gewisse Weise mit eben dieser Person verbunden ist - wenn auch durch einen Dritten, bei dem die Schicksalsfäden letztlich zusammenlaufen?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

"Hast du Geschwister?"

Midoriko schob einen Teil seiner Haare über seine rechte Schulter, und hielt kurz inne, als ihr ein wesentlicher Unterschied in deren Färbung auffiel; sie war nicht durchgängig so gemustert, wie ihr Anblick vermuten ließ. Bloß die Deckhaare waren weiß, alle darunter befindlichen waren dunkler, gingen fließend in die verschiedensten Blau- und Grautöne über und entfachten etwas wie Faszination und vielleicht auch ein wenig Neid, aufgrund der Einfarbigkeit und Schlichtheit ihrer eigenen Haare im Vergleich, in ihr.

Der Loftsdreki nickte leicht.

Warum erzählte die Miko ihm auf eine so selbstverständliche Art von ihrer Familie, von dem Tod ihrer Eltern und der Beziehung zu ihrer Schwester? Versuchte sie auf diesem Wege möglicherweise etwas über sein Umfeld in Erfahrung zu bringen?

Aber die Menschenfrau stockte gelegentlich und es fiel ihr zuweilen schwer, ihre Erinnerungen in klare Worte zu fassen, nicht weiter auf ihre eigenen Emotionen einzugehen und gefasst zu sprechen - es machte ihr Mühe, sich zu den Geschehnissen aus ihrer Kindheit zu äußern. Und dennoch eröffnete sie ihm diese persönlichen Eindrücke und Ereignisse als wäre er ihr jahrelang ein loyaler Vertrauter gewesen.

Midoriko war kein Mensch, der mit leichtem Herzen durch das Leben ging und sich an ihrem bloßen Dasein erfreute; sie zeigte es nur eben nicht sehr offen...

Scheinbar musste man keine hunderte von Jahren alt sein um wegen vergangener Tage zu leiden und zu trauern - für Flúgar war ein Menschenleben nichts weiter als ein flüchtiger Augenblick in dem seinen. Er hatte es für nicht sehr wahrscheinlich gehalten, dass Menschen unter der Vergangenheit leiden konnten, die nicht einmal ein Jahrhundert zurücklag.

Menschen waren schwach und nicht sehr widerstandsfähig, vermutlich hing es damit zusammen, dass sie selbst in einem so dermaßen kurzen Leben großen Kummer und Leid empfanden.

Oder war diese Frau, die so anders war als alle anderen Menschen, einfach zerbrechlicher als ihre Artgenossen?

Flúgar wusste, dass es alles andere als ein Segen oder ein Privileg war, sich von der groben Materie abzuheben, anders zu sein. Es ergaben sich keinerlei Vorteile, es war lediglich eine Qual, mit der man sich abfinden musste, die einen fast zum Leben verurteilte. Er hatte seinen eigenen Erfahrungen machen und sich damit auseinandersetzen müssen, und es war keine leichte Prozedur gewesen, aus diesem Abgrund wieder emporzusteigen. Zumal er nicht über Zeit nachdenken musste, er würde nicht sterben, sondern ewig leben... ihre Lebensspanne dagegen war stark begrenzt, eine Tatsache, die viel Menschen belastete und in Verzweiflung stürzte...

"Tveir."

Er kam auf ihre Frage zurück, und schob diese verwirrenden Überlegungen erst einmal beiseite, er würde später noch einmal darüber nachdenken, wenn nichts mehr im Raum stand, das Bedarf an Erklärungen aufwies.

Die Miko jedoch war redlich irritiert von dem, was er eben von sich gegeben hatte, blinzelte einige Male in Unverständnis, bevor sie nachhakte.

"Wie bitte?"

Flúgar wurde es in dieser Sekunde schlagartig bewusst, dass er mal wieder nicht unbedingt aufmerksam gewesen war und seine Konzentration etwas Anderem als der Antwort auf ihre beiläufige Frage gegolten hatte. In seinem Wohlsein war er erneut in seine Muttersprache verfallen und hatte es nicht einmal bemerkt.

Es herrschte eine Weile Stille, und Midoriko vermeinte zu erkennen, dass der Loftsdreki leicht den Kopf senkte und den Boden fixierte. Scheinbar war es ihm peinlich, aber sie hatte ohnehin nicht verstanden, was er gesagt hatte.

"Ich habe zwei Brüder, auch wenn mein Vater das anders beurteilt."

Sein Japanisch klang anfangs etwas brüchig, pendelte sich aber wieder auf seinen Normalzustand ein; ihm fiel es schwer eine andere Sprache zu sprechen und sich darauf zu konzentrieren, wenn in seiner vollen Entspanntheit nur ein winziges Bisschen dazu fehlte, dass er im nächsten Augenblick wegdöste.

Midoriko runzelte die Stirn, entschied sich dafür, die Sache zu hinterfragen, obwohl sie unsicher war, ob sich das als gute Idee erweisen würde.

"Wie kann dein Vater bei so einer Sache anderer Meinung sein? Ist es unklar, ob es sein Sohn ist?"

Sie konnte ihre Neugier kaum unterdrücken, denn seine Aussage an sich hatte schon etwas gehabt, das zum Nachfragen nahezu verleitet hatte. In ihr breitete sich Erleichterung aus... es war absolut kein Fehler gewesen, Flúgar von ihrer Familie zu erzählen. Es war schwer gewesen, ja, aber es hatte ihr gut getan, und er zeigte nun keine eindeutige Abneigung ein wenig über sich preiszugeben. Sie war froh, dass sie es getan hatte, sie bereute es nicht...

"Das ist unbestritten, aber er hat ihn nicht anerkannt."

Es war leicht herauszuhören, dass Flúgar seinem Vater diesen Zug in keinem Fall verzieh, was auch immer dieses ,nicht anerkannt' bedeutete. Bei diesem Thema bewegte sie sich auf dünnem Eis, es konnte heikel werden, und das merkte sie nur zu deutlich.

Die Priesterin setzte sich zurück, betrachtete den reglos verweilenden Dämon, ehe sie zu einer Erwiderung ansetzte.

"Gab es einen plausiblen Grund dafür?"

Der Angesprochene fuhr sich - schier prüfend - durch die langen Haare, setzte sich langsam auf. Schließlich erhob er sich und ging einen Schritt in Richtung der Veranda.

"Er ist ein voreheliches, nicht von seiner rechtmäßigen Gefährtin stammendes Kind, und Súnnanvindur hat ihm selbst den Namen verweigert. Von seinem Rang, seiner Heimat und seiner Familie ganz zu schweigen..."

Damit verließ er den Raum.
 

Ich sah ihm eine Weile nach, versunken in meine eigenen Gedanken über diese Angelegenheit; es schien eine von Flúgars Angewohnheiten zu sein, die Konversation abrupt zu beenden - oder eher abzubrechen - wenn ihm der Kernpunkt der Unterhaltung nicht mehr behagte. Eine Eigenheit, die ich nicht unbedingt guthieß, aber ich konnte auch nichts dagegen ausrichten. Wenn er nicht mit mir reden wollte, sollte es in Ordnung sein, immerhin war es seine Entscheidung, wann er sich mit wem über was unterhielt.

... zumindest wich er mir nicht mehr ganz so aus, ging zum Teil gänzlich auf meine Fragen ein und gab eine klare Antwort.

Er hatte also zwei Brüder - und einer davon war anscheinend ein Halbbruder aus einer anderen Verbindung. Und dieser fremdartige Name? War das der tatsächliche Name seines Vaters? Súnnanvindur?

Dass es sich bei 'Gyousei' nur um einen Titel, der sich unter den Menschen verbreitet hatte, handelte, hatte ich mir bereits gedacht, denn allzu geläufig war dieser Ausdruck nicht, man hörte ihn zwar hier und da, aber nur in gewissen Gegenden und vergleichsweise selten.

Ich seufzte leise, stand schließlich auch auf und rief Kaneko zu mir. Gemeinsam verließen wir das Wirtshaus, um ein wenig frische Luft zu schnappen, vielleicht das Dorf zu erkunden und einige Kräuter in der Nähe des Waldes zu sammeln.

Es war ein milder Tag mit lauem Wind, der das hier üppig wachsende Shinobu-Gras sanft in seine Richtung bog und sich in den nadelbewährten Ästen der Tannen verfing, die sich auf der bergzugewandten Seite des Dorfes befanden. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es kurz nach Mittag, und während die Insekten und Vögel bereits in ihr geschäftiges Treiben verfallen waren, kamen die Dorfleute erst jetzt aus ihren Häusern um wieder an die Arbeit zu gehen.

Als ich noch einmal einen Blick über die Schulter auf das Gasthaus des Städtchens warf, fiel mir plötzlich eine kleine, hagere Gestalt mit hochgesteckten, vom Alter grau gefärbten Haar ins Auge, die wild mit den Armen in der Luft herumfuchtelte und in einer beeindruckenden Lautstärke einen Gruß in Richtung der Wirtschaft rief.

Es gab verrückte Leute auf dieser Welt... ich schüttelte den Kopf, wollte mich gerade abwenden, als ich erkannte, dass sie nicht einer beliebigen Fantasiegestalt winkte, sondern ihr Verhalten eindeutig der Person zugedacht war, die das auffällige Verhalten der Greisin für den Augenblick geflissentlich ignorierte. Die Gestalt saß auf dem Dach des aus dunklem Holz gefertigten Hauses, und ihre Haltung allein genügte bereits, um mir zu verraten, um wen es sich handelte...

Was hatte das zu bedeuten? Kannte die Alte ihn etwa - und umgekehrt? Oder war diese ernstlich dem Wahnsinn verfallen und ihre verquere Wahrnehmung spielte ihr vor, sie kannte ihn?

Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen, setzte mich augenblicklich in Bewegung und ging zurück. Diese alte Frau war mir nicht geheuer, aber trotz dessen wollte ich nicht allzu unhöflich erscheinen. Flúgar zu befragen war in dieser Situation reine Zeitverschwendung.

"Entschuldigung, Obaasan?"

Der Förmlichkeit halber deutete ich eine Verbeugung an, sie tat es mir gleich und brachte mir kurzzeitig ihre Aufmerksamkeit entgegen. Ihr Blick wurde prüfend, und mit einem kritischen Ausdruck im Gesicht begann sie mich einmal mit gemäßigten Schritten zu umkreisen, mich vom Scheitel bis zur Sohle genauestens zu mustern. Dann legte sie, schier nachdenklich, eine Hand ans Kinn. Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich.

"Hm..."

Dann drehte sie sich ruckartig um und nahm ihre Tätigkeit von eben wieder auf, würdigte mich keines Blickes mehr.

"Huhu, schöner Mann, mein Liebling! Ich wusste, dass wir uns wieder sehen würden!"

Perplex starrte ich sie an, ich war baff. Liebling? Sie nannte Flúgar ihren Liebling?!

Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, mein missbilligender Blick glitt an ihr ab als wäre er vollkommen nichtig, und Flúgar schien absolut nichts aus der Ruhe bringen zu können. Er ignorierte mich genauso wie die wahnsinnige Alte, die kurzerhand die Hände vor ihr von Verlegenheit gerötetes Gesicht schlug und ihm abermals etliche Kosenamen entgegenbrachte.

Allmählich wurde es mir zu bunt...

"Kennst du diese... eigentümliche Großmutter?"

Ich presste die Zähne zusammen, durchgeknallte Schabracke hielt ich zwar für angebracht, aber ich zog es vor, mich noch eine Weile zurückzuhalten. Diese ganze Sache konnte nur eine dumme Verwechslung sein...

Urplötzlich fuhr die Greisin herum, funkelte mich verengten Augen ärgerlich an.

"Großmutter?!"

Eine ihrer Augenbrauen wanderte verdächtig in die Höhe, ihre Stimme hielt sie gleichermaßen ruhig und leise.

Unsicher erwiderte ich ihren Blick, kam mir gegen diese alte Frau reichlich hilflos vor. Wie sollte ich aus dieser misslichen Lage nun wieder herauskommen?

"Hat dir nie jemand wenigstens ein bisschen Anstand und Respekt gelehrt, Kindchen? Du solltest eine Dame erkennen, wenn du sie siehst und dementsprechend behandeln! Außerdem..."

Sie erhob mahnend den Zeigefinger, als würde sie einem kleinen Kind eine Strafpredigt halten, dass es in Zukunft nicht mehr wagen sollte, ihr nicht die Wahrheit zu erzählen.

"... bin ich weder verheiratet, noch habe ich Kinder; ich habe mich mein Leben lang für meinen Liebsten aufgespart!"

Ihr Tonfall wurde theatralisch und mit einem feuchten Glänzen in den Augen und leicht geröteten Wangen wandte sie sich wieder an Flúgar, faltete die alten Hände vor ihrem Herzen und rief ihm die süßesten Betitelungen zu, die ihn aber - wie es zu erwarten gewesen war - völlig ungerührt ließen.

Das kalte "Iie.", das er bald darauf von sich gab, überhörte die Alte einfach, und versuchte weiterhin, ihren ,lange vermissten Liebsten' davon zu überzeugen, doch das Dach dieser Baracke zu verlassen und sie in ihr bescheidenes Heim zu begleiten.

Ich stand fassungslos daneben, begriff immer noch nicht ganz, was hier vor sich ging. Flúgar musste es ähnlich ergehen, aber im Gegensatz zu mir merkte man es ihm nicht unbedingt an. Ratlos blickte ich zu ihm empor.

"Bist du dir auch sicher?"

Leichter Unglaube lag in meinen Worten, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass diese verrückte Oma ihn grundlos so hartnäckig belästigte, und soweit ich es einzuschätzen vermochte, log sie tatsächlich nicht.

"Absolut."

Er regte sich weiterhin nicht, doch dafür hielt die alte Frau inne und beobachtete mich kurze Zeit grimmig aus den Augenwinkeln, ehe sie sich erneut zu mir umwandte.

"Du bist mit ihm vertraut, nicht wahr, Liebchen?"

Die Forschheit und Neugier, die in ihren Zügen und ihrer Frage lag, verleiteten mich zur Vorsicht; ich war mir nicht sicher, was sie damit bezweckte. Ich nickte behutsam.

Ein Schatten von Skepsis ergriff sich ihrer Züge, verschwand aber rasch wieder und ein Lächeln breitete sich auf den alten Lippen aus.

"Man nennt mich Okashisa. Und wer bist du, mein Herzchen?"

Um meine Fassung bemüht, unterließ ich ein Zähneknirschen und erzwang einen etwas freundlicheren Gesichtsausdruck als zuvor, verbeugte mich ansatzweise.

Wenn man sie schon bei solch einem Namen nannte...

"Ich heiße Midoriko, Okashisa-baasan."

Sie überlegte einen Moment, bevor sie sich leicht bückte und ihren Gehstock aufhob, mich dann aufforderte ihr zu folgen. Zögerlich ging ich dem nach, erreichte mit ihr zusammen ihre Behausung und staunte nicht schlecht, als sie mich nicht dorthin, sondern zu einem kleinen Pavillon führte, der etwas weiter abseits, nahe des Flusses, lag. Man hörte dessen leises Rauschen, ein kleiner Momiji warf seinen Schatten über den kleinen Garten, den man dort angelegt hatte, und auf dem unzählige, wunderschöne Kiku wuchsen.

"Ein schöner Ort für einen Teepavillon, nicht wahr? Ich werde eben das Wasser aufsetzen gehen. Setz dich nur, Mädchen."

Es dauerte eine Weile bis sie mit der Teekanne und drei Trinkschalen zurückkehrte, zusätzlich noch einen Krug Reiswein heranbrachte. Wie hatte die Greisin es nur bemerken können, dass er uns gefolgt war?

Etwas wie Misstrauen fing an sich in meinem Inneren zu entwickeln. Ob sie doch nicht so harmlos und verrückt war, wie es den Anschein machte?

Da mich Flúgar nicht aus den Augen ließ und uns selbst diese kleine Distanz über gefolgt war, verstärkte und bestätigte es nur meinen Verdacht, dass mit dieser Dame etwas nicht in Ordnung sein konnte.

Langsam setzte Okashisa sich nieder, strich ihr verblichenes, einstig wohl tiefgrünes Gewand glatt und füllte zwei Schalen mit Tee auf.

"Wie man unschwer sieht, bin ich nicht aus diesem Land. Ich mag schon lange hier sein, aber meine Heimat liegt fast am anderen Ende der Welt..."

Sie schaute in die Ferne, von Sehnsucht ergriffen und verharrte in ihrer Position. Dass sie nicht aus diesem Land stammte, war mir fast klar gewesen. Ihre Augen waren ungewöhnlich hell, und obwohl sie ein gutes, fließendes Japanisch sprach, war das Klangmuster unverkennbar das einer Ausländerin.

"Ich war noch ein furchtbar junges Ding, als ich ihm begegnete, aber ich verfiel ihm sofort... da meine Eltern früh starben und meine Brüder im Krieg fielen oder spurlos verschwanden, war ich auf mich alleine gestellt und versuchte so gut es ging über die Runden zu kommen."

Sie legte eine Hand an die Wange und schloss kurz, in Erinnerungen schwelgend, die Augen. Aber der Eifer des Erzählens hatte sie gepackt und sie führte ihre Erzählung sogleich weiter aus.

"Es war ein heißer Sommernachmittag und ich war auf dem Weg zum Fluss, um meine Kleidung zu waschen und Wasser zu holen, als mich aus heiterem Himmel ein Ungetüm von einem Dämon angriff. Ein gräuliches Biest mit einem endlos langen, gewundenem Körper, und dem Kopf eines Drachen. Er hatte sich gerade dort eingenistet und fühlte sich durch mich so gestört, dass er kurzerhand versuchte seine Fänge in meinen Körper zu schlagen. Ich hatte schon mit meinem Leben abgeschlossen, und fiel vor Angst in eine Ohnmacht, aus der ich erst gegen Abend wieder erwachte."

Ihre Wangen färbten sich purpurn, sie kicherte leise.

"Als ich die Augen öffnete, blickte ich geradewegs in sein makelloses Antlitz, und sofort verlor ich mich in seinen weißen, klaren Augen. Er hatte die ganze Zeit lang neben mir gewacht, und er war auch derjenige, der den Dämon getötet hatte. Meine Dankbarkeit war grenzenlos und ich schenkte ihm schließlich jene Nacht, da ich nichts anderes von Wert besaß..."

Unbewusst schaute ich in Flúgars Richtung. Sie hatte ihm jene Nacht geschenkt, weil er ihr Leben gerettet hatte?

Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg... Flúgar hatte mich mehr als einmal beschützt oder gar vor dem Tode bewahrt; hieß das, ich war ihm in jener Größenordnung etwas schuldig?

"Seitdem denke ich nur noch an ihn, und es gibt keinen anderen Mann in meinem Leben. Aber ich habe ihn bis jetzt nicht wiedergetroffen, und vorhin traf mich fast der Schlag, als ich deine Begleitung erspähte. Die zwei sehen sich zum Verwechseln ähnlich - aber er ist es unglücklicherweise nicht..."

Ihr entfuhr ein tiefes Seufzen, dann sah sie auf. Flúgar stand an einer der fünf weißen Stützen, die das Dach des Pavillons hielten, und bedachte die Alte mit einem neutralen Blick.

"Wo hast du ihn getroffen?"

Okashisa lief merklich ein wohliger Schauer über den Rücken, als der Loftsdreki seine Stimme erhob und sich an sie richtete.

"Auf dem Festland, weit im Westen, in der Nähe der Stadt Rom."

Flúgar schien die Antwort nicht zu gefallen, murmelte unverständlich vor sich hin. Ob er wusste, wem diese alte Frau dort begegnet war?

Ich war mir fast sicher, dass er die Umstände durchschaute, sein Ausdruck und sein Betragen verrieten so Einiges.

Sie goss ihm Sake in die übrige Schale, während ich einen kleinen Schluck Tee nahm und mich fragte, aus welchem Grund Okashisa so plötzlich ihre Meinung geändert und mir diese Geschichte offenbart hatte. Womöglich war sie eine einsame, alte Frau, die sich ab und an nach etwas Gesellschaft und einer Unterhaltung sehnte.

"So, und was ist das mit euch beiden für eine Sache? Habt ihr eine Affäre?"

Langsam stellte ich meine Schale vor mir ab, runzelte leicht die Stirn.

"Sieht es danach aus?"

Eigentlich sollte es eine rhetorische Frage sein, aber das listige Leuchten in den alten, hellgrauen Augen gab mir etwas anderes zu verstehen und insgeheim war ich froh darüber, dass Flúgar dieses Zeichen nicht so richtig zu deuten wusste.

Mittlerweile saß selbst er auf den hölzernen Dielen des kleinen Teehauses und betrachtete den Sake in der Schale, den er noch nicht angerührt hatte. Möglicherweise missfiel ihm der alkoholische Geruch des Gebräus, oder er mied das Teufelszeug nach der Angelegenheit mit Yumeji und dem Kräuterschnaps...

"Was hat euch denn in diese karge Gegend verschlagen? Die Landschaft hat ihren Reiz, aber der ist rau, und für ein zartes Mädchen wie dich kein angemessener Ort."

Es dauerte eine Weile bis ich etwas erwiderte, allerdings immer noch unsicher, wie viel ich ihr bedenkenlos mitteilen sollte. Meine Augen schweiften zu dem in feinen Nebel gehüllten Gebirgszug.

"Wir sind auf dem Weg in die Berge, um dort etwas zu erledigen."

Während ich sprach, fügte sie ihrem Tee einen ordentlichen Schuss Sake zu, nippte an dem Gemisch, und nickte zufrieden.

"Zu Pferd? Ihr beide? Ihr seht nicht so aus als wüsstet ihr, was euch erwartet. Ich habe im Hochsommer einen der niedrigsten Pässe gewählt, und selbst dieser war im Grunde unzugänglich."

Sie schüttelte abwesend den Kopf.

An Inazuma hatte ich wirklich noch nicht gedacht, ihn mitzunehmen war wahrlich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber was sollte ich mit ihm machen?

Ihn hier einfach zurückzulassen war keine gute Lösung... betrübt hob ich den Kopf, blickte zu Flúgar, der gerade das Schälchen Sake in einem Zug leerte.

"Ihr lasst euch da auf etwas ein... ich werde euch nicht davon abbringen können, aber wahrt eure Obacht und seid mit warmer Kleidung nicht sparsam. Dort oben herrscht etwas Schlimmeres als Eiseskälte."

Auch sie trank ihren Tee mit einem Schluck aus und schenkte sich und dem Loftsdreki Reiswein nach. Dann schaute sie mich fragend an, aber ich verneinte mit einem Kopfschütteln.

"Warum bist du uns gegenüber so vertrauensselig?"

Okashisa zuckte zunächst die Schultern, legte die rechte Hand an ihr Kinn und dachte einen Moment darüber nach. Sie schloss die Augen, und ein Ausdruck von Ernsthaftigkeit und purer Wahrheitstreue vernahm ihre alten Züge ein.

"Weil ihr zwei etwas Besonderes seid, und ich nach meiner schicksalhaften Begegnung ein feineres Gespür, was die Menschen angeht, erlangt habe. Mit Sicherheit ist das auch sein Verdienst, obschon ich nicht zu sagen weiß, wie er das angestellt hat."

Die Augen der Alten glitzerten feucht, und eine Anwandlung von Sehnsucht und quälender Pein zogen schattenartig über ihr Gesicht.

Ich spürte, dass es Zeit war zu gehen. Ohne einen ausführlichen Abschied verließen wir den weißen Teepavillon und ließen die greise Frau mit ihren Erinnerungen alleine...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

tveir - zwei

Súnnanvindur - Südwind
 

***>>>Kapitel 20:

>"Mitten im Zwielicht der Nacht, zwischen Regen und Wind, fordert die Unachtsamkeit des Schlafes ihren Tribut. Während den einen die Panik über den Rand seiner Beherrschung treibt, stürzt es den anderen in einem Strudel aus steter Unruhe und Sorge. Der Keim des gegenseitigen Vertrauens beginnt scheinbar langsam zu sprossen..."

Aijaku



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Lizard
2006-01-30T14:53:09+00:00 30.01.2006 15:53
Ein Drache, der Flugar ähnlich sieht und sich auf dem Festland rumtreibt? Und das auch noch derart weit im Westen? Klingt geheimnisvoll... wer ist das? Der vorher erwähnte, verstoßene Bruder? Was hat es überhaupt mit diesem Bruder auf sich? Irgendwas ist da doch in der Vergangenheit geschehen, ist ja nicht das erste Mal, dass der erwähnt wird... Hmm, diese ganzen Rätsel, die Flugars Vergangenheit und seinen Clan betreffen, sind ganz schön faszinierend und ich bin sehr neugierig, was da eigentlich alles genau dahinter steckt. Ich hoffe, du erzählst mehr davon!
Was ist eigentlich mit den Wasserdrachen? Man hat ja schon länger nichts von ihnen gehört. Tauchen bald auch noch andere Clans auf?
Ich bin weiterhin gespannt!
Von:  Tigerin
2006-01-28T20:22:56+00:00 28.01.2006 21:22
Schönes Kapitel!
Hatte jetzt erst Zeit einen Kommi zu schreiben...
UND? Weiß Flúgar etwas? Diese alte Frau ist echt verrückt. Auch Midorikos Gedanken hinsichtlich auf Flúgar... spielst du auf irgentetwas an?
Ich freu mich aufs nächste Kapitel, schreib schnell weiter und schick mir ne Ens!

Bye Tigerin
Von:  Mondvogel
2006-01-22T08:04:39+00:00 22.01.2006 09:04
So dann will ich mal den Kommentar Nummer 101 schreiben und es wird mir ein Vergnügen sein!^^
So ein schönes Kapitel verdient nämlich allemal ein Kommi. Es gefällt mir immer wieder wenn man etwas von der Vergangenheit von Flúgar erfährt. Seine Vergangenheit kommt mir nämlich sehr geheimnisvoll vor und macht mich deshalb umso neugieriger.
Hm. Dieser Dämon, der Okashisa damals gerettet hatte könnte doch der Vater von Flúgar sein... Interessant, dass sie sich Rom getroffen haben. ^^ Warum denn genau dort?
Bin gespannt wie es weitergehen wird.
Von:  Hotepneith
2006-01-21T08:55:24+00:00 21.01.2006 09:55
Hm, ob Flugar etwas davon weiß? Wie gesagt, Menschen und Dämonen haben sehr unterschiedliche Lebensspannen. Und Italien liegt ja zwischen Island und Japan...
Netter Einfall, mit der alten Dame. Auch Midorikos Frage, ob sie ihm jetzt etwa auch eine Nacht schulde. Man kölnnte fast auf die Idee kommen, du arbeitest auf etwas hin...


bye

hotep
Von: abgemeldet
2006-01-21T08:08:21+00:00 21.01.2006 09:08
Erste!!!!!!!!!

Oh man was für ne verrückte Oma- gg**
Die war ja echt der Hammer!


Mach schnell weiter und hinterlass mri wieder ne Ens.



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