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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Fyrirlitning~*

"Hass ist die Rache des Feiglings dafür, dass er eingeschüchtert ist." – George Bernard Shaw
 

Kapitel 13 - Fyrirlitning

-Hass-
 

*Ist Rivalität etwas, über das man schlichtweg nicht hinweg kommen kann? Gelten diese Regeln der Feindschaft selbst noch, wenn seit der letzten Begegnung Jahrhunderte vergangen sind?

Oder schürt die Zeit bloß noch stärkeren Hass zwischen den beiden gegensätzlichen Fraktionen? Und gibt es überhaupt ein Entfliehen aus jenem Teufelskreis der Unversöhnlichkeit?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Aus den länger werdenden Schatten des Waldes löste sich die Silhouette eines großen Tieres, ein paar kleinere Sträucher raschelten, als es an ihnen vorüber streifte.

Aus reinem Reflex heraus, wandte Flúgar den Kopf in die Richtung der Geräuschquelle, fand rasch seine Witterung zwischen den vielen anderen Gerüchen und beobachtete aufmerksam die Stelle, an der die Gestalt in den nächsten Augenblicken auftauchen musste. Kitsune...

Er versteckte sich nicht und gab sich keinerlei Mühe, seine Anwesenheit in irgendeiner Art zu verbergen; er wollte bemerkt werden.

Mit vorsichtigen Schritten verließ er seine Deckung, den Schutz des dichten Unterholzes und gab seine Erscheinung preis; es war ein Fuchs, unglaublich graziös in seinem Körperbau und erhaben in seinem äußeren Eindruck. Sein Fell war cremefarben bis hellbraun, weiß an der stolz gewölbten Brust, seine Rückenhöhe maß wohl so viel wie die Inazumas. Sein Gesicht wies eine merkwürdige, dunkelbraune Zeichnung auf, und er besaß fast ein ganzes Dutzend Schweife.

Midoriko wohnte dem schweigend bei, Kaneko teilte ihre Ruhe. Kitsune waren heilige Tiere und dieser Ort war ihrer Göttin Inari geweiht, sie bereiteten sicherlich keinen Angriff vor, das war undenkbar. Das einzige Problem, das möglicherweise aufkommen würde, war Flúgar. Ihn kümmerte die Heiligkeit dieser Wesen genauso wenig wie das Umkippen eines Sackes Reis am anderen Ende des Reiches. Hoffentlich entsann er sich eines besseren und schlug sie nicht sofort in Stücke, wenn sie näher kamen. Dieses Exemplar war gewiss nicht alleine, seine Gefährten hielten sich abwartend im Gesträuch.

Ein helles Licht erfasste den Fuchs, ließ seine Gestalt kleiner und aufrechter werden und mit seinem Verschwinden gab es den Blick auf eine junge Frau preis.

Die Miko war baff. Der Fuchs war eine...Frau? Oder war es wahrhaftig Inari-sama höchstpersönlich?

Ihre Stimme versagte, sie verneigte sich demütig und senkte das Haupt bis ihre Stirn den Boden berührte.

"I...Inari-sama..."

Die Züge der Fuchsfrau wurden mild, sie lächelte und ließ sich gemächlich auf die Knie nieder. Dann schüttelte sie zaghaft den Kopf.

"Nein, Miko-sama, ich bin bloß eine ihrer Töchter und Untergebenen. Man nennt mich Yumeji. Ich bin das Oberhaupt der Sippe, die hier am Fuße des Schreins lebt."

Unsicher richtete sich die junge Priesterin wieder auf und stellte nun ihrerseits etwas verwundert fest, dass sich die Füchsin vor ihr tief verbeugte. Erst auf ihr Geheiß hin, setzte sie sich wieder auf.

Midoriko prüfte ihr gegenüber von oben bis unten, angefangen mit den feinen Gesichtszügen, dem sorgfältig zurückgesteckten, hellbraunen Haar, das dunklere Akzente aufwies und den nussbraunen Augen, über ihre schlanke, zierliche Figur, den bauschigen Fuchsschwanz bis hin zu ihrem azurblauen Seidengewand.

Sie war atemberaubend schön, man hätte sie ohne weiteres mit einer Hime verwechseln können. Ohnehin gab es kaum etwas, dass sie von einem Menschen unterschied, man musste schon sehr genau hinschauen, um die kleinen Differenzen sicher herauszufinden.

"Was willst du?"

Flúgars tiefe Stimme riss beide Frauen völlig aus dem Kontext. Ängstlich fixierten die Augen der Füchsin den Loftsdreki, der sich mittlerweile hinter der schwarzhaarigen Menschenfrau aufgebaut hatte und demonstrativ die Knöchel seiner Finger knacken ließ.

Erneut warf sich Yumeji auf den Boden.

"Verzeiht bitte, Gebieter, es ist nicht unsere Absicht Euch zu belästigen. Aber beunruhigende Dinge sind geschehen, von denen Ihr wissen solltet, denn sie betreffen nicht nur die Kitsune."

Die Priesterin wurde hellhörig und wandte ihren fragenden Blick an den noch im Gras kauernden Fuchsyoukai.

"Was genau meinst du damit, Yumeji?"

Die Angesprochene zitterte, wagte sich nicht einmal mehr, die Augen zu öffnen. Flúgars Präsenz flößte ihr anscheinend die blanke Panik ein.

"Drück dich präziser aus, Kitsune."

Das war keine Bitte, es war ein Befehl, und zwar ein überaus nachdrücklicher. Langsam fasste sie sich, kam wieder in ihre sitzende Position zurück, beruhigte ihre vor Angst schwankende Stimme. Sie schluckte schwer.

"Kein Tag ist vergangen, seit wir von unserer am Waldrand lebenden Schwesternsippe Nachricht erhielten, dass ein Fremder sich in der Gegend aufhält. Kaum ein Kitsune hat die Begegnung mit ihm überlebt, aber die, die mit ihrem Leben davon gekommen sind, berichten, dass er bevor er angriff nach dem Verbleib der Person mit dem ungewöhnlichen Youki fragte... er meinte, er suche diese, da er ihre Begleitung kenne..."

Midoriko ließ sich Yumejis knappe Erzählung noch einmal durch den Kopf gehen. Wen suchte der Fremde? Sie, oder Flúgar? Jemand, der die Kitsune tötete, konnte eigentlich kein Mensch sein, oder? Also ein Youkai?

Fragend suchte sie nach Flúgars Augen, wechselte einen Blick mit ihm, bat ihn wortlos um Rat.

"Er sucht dich."

Ziemlich erschrocken starrte sie ihn für einen Moment fassungslos an. Diese Aussage erschien ihr unglaubwürdig. Mehr für sich selbst schüttelte sie den Kopf und kam auf Yumeji zurück.

"Und du denkst auch, dass er mich sucht?"

Der Füchsin wurde ihre Hilflosigkeit bewusst, aber sie wusste, dass sie die Menschenfrau auch nicht von ihrer Befürchtung entlasten konnte. Sie würde nicht lügen, daher nickte sie gewichtig.

"Ja. Das einzige Youki in der gesamten Umgebung, das ich als ungewöhnlich beschreiben würde, ist Eures, Miko-sama. Normalerweise besitzen menschliche Wesen keine Aura. Verzeiht, aber eine andere Möglichkeit besteht leider nicht und... wir sind uns einig, dass er nach Eurem Leben trachtet..."

Betrübt wanderte ihr Blick auf den Boden.

"Wir sahen Euer Gebet zu unser aller Anführerin, Inari-sama, deshalb entschlossen wir uns, Euch zu warnen, denn derjenige, der sich zu Inari-sama hingezogen fühlt, zu dem fühlen auch wir uns hingezogen ... verzeiht bitte, aber zu mehr sind wir unglücklicherweise nicht in der Lage, dieser Fremde ist zu mächtig, wir können nichts gegen ihn ausrichten."

Der Kummer, den sie empfand, zeichnete sich überdeutlich auf ihrem Gesicht ab, sie bedauerte zutiefst, der Priesterin nicht helfen zu können. Schier um Verzeihung bittend neigte sie ein weiteres Mal den Kopf gen Erde.

"Er durchstreift den Wald unaufhörlich nach Euch, er wird nicht ruhen, ehe er Euch gefunden hat, das versichere ich Euch, Miko-sama... vergebt mir, aber ich kann Euch nicht helfen..."

Behutsam legte Midoriko der unglücklichen Yumeji eine Hand auf die Schulter, zollte ihr durch diese Gestik ihre Dankbarkeit. Sie hätte sich nicht in ihren entferntesten Träumen vorgestellt, dass sie sich einmal mit einem Kitsune unterhalten würde.

"Ich danke dir für diese Warnung, Yumeji."

Der Fuchsyoukai sah auf, dieser Mensch meinte es ernst mit ihr, deutete eine leichte Verbeugung an und schenkte ihr ein warmes Lächeln, das sie nur erwidern konnte.

"Du sagtest, er wäre der Meinung gewesen mich zu kennen."

Flúgars Miene war nachdenklich, sein Blick abwesend und in die Ferne gerichtet. Yumeji nickte zustimmend.

"Das wurde mir erzählt, ja."

Ihre braunen Augen erfassten den hochgewachsenen Youkai, beobachteten jede noch so kleine Muskelbewegung. Er schloss nun seinerseits die Augen, und mit einem Mal frischte der Wind unheimlich auf.

Der Loftsdreki rief sich die Dämonen ins Gedächtnis, denen er solch eine Dummheit zutrauen würde. Es musste jemand sein, der ihn einigermaßen gut oder aber lange kannte, denn nur diese wussten, dass er nie in Begleitung anderer unterwegs war.

Aber er spürte und witterte nichts, der Wind verriet ihm nichts über einen derartigen Fremdling in der weiteren Umgebung. Andererseits glaubte er nicht, dass der Kitsune log, es gab keinen Grund dafür und es sprangen keine Vorteile für ihre Sippe dabei heraus.

"Er dämmt sein Youki so drastisch ein, wie Ihr, Gebieter, dass selbst wir ihn nicht erkennen können. Viel kann ich Euch nicht über ihn mitteilen, aber die Kitsune, die ihm begegnet sind, sagten aus, er rieche nach Salz und dem Ozean..."

Sie hatte Recht, sein Youki war nicht zu erspüren, nicht zu erfassen... es musste sich um einen sehr mächtigen Dämon handeln, wenn er zu solch einer Tarnung fähig war. Ob er ihm vielleicht sogar mehr als ebenbürtig war? Aber wer?

Aber ihre Ausführung über seinen Geruch brachte ihn nicht weiter, jeder, der zuvor an der Küste gewesen war, konnte diese Witterung mit sich bringen, und damit war es keine sehr hilfreiche Information.

Yumeji unterbrach schüchtern seine Gedankengänge.

"Ich glaube nicht, dass er gelogen hat... er kennt Euch, Gebieter, und aus unerfindlichen Gründen interessieren ihn Eure Angelegenheiten zurzeit mehr als alles andere. Ein Verbündeter würde nicht über Leichen gehen, um Euren und den Aufenthaltsort von Miko-sama zu erfahren... es hat den Anschein, als wäre es jemand, der damit rechnet sich mit Euch auseinandersetzen zu müssen. Also ist er entweder unheimlich dumm, oder unheimlich mächtig, er ist sich seiner Sache sicher. Vielleicht irren wir uns und Miko-sama ist nur das vermeintliche Ziel und... der wahre Anreiz für seine Bemühungen ist Euer Tod."
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Eine dünne Wolkendecke verhüllte den Himmel, der schwache Nieselregen warf einen Vorhang aus matten Grautönen über die klare Sicht, wobei der Wind lau verblieb, die winzigen Wassertröpfchen in seine Zugrichtung hin abtrieb.

Schon den ganzen Tag war das Wetter diesig, schuf eine unangenehme Atmosphäre, die nicht nur mir an den Nerven zu zerren schien; er schwieg, aber das hatte bekanntlich nichts zu bedeuten. Nicht nur uns beiden gefiel das Wetter nicht, auch Kaneko und Inazuma hätten den Tag lieber an einem trockenen Platz verbracht. Zum anderen wollte ich weiter, denn der Wald war mir noch immer nicht geheuer, und Yumejis Warnung spukte ununterbrochen durch meinen Kopf. Eine ganze Tagespause hätte bloß meine Nervosität ins unermessliche gesteigert, und so setzten wir unseren Weg durch das unwegsame Gelände fort.

Die Kitsune wich seit unserer Begegnung nicht mehr aus meinen Gedanken und das, was sie uns mitgeteilt hatte, war Ursache für eine böse Vorahnung, die mich beschlich. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich nicht bewahrheiten würde und eine Ausgeburt meiner Fantasie blieb, denn schon zu oft war etwas Schlimmes geschehen, wenn dieses sonderbare Gefühl in mir wuchs. Ob ich vielleicht Flúgar davon erzählen sollte?

Mir war bewusst, dass er nichts dagegen unternehmen konnte, aber möglicherweise würden seine Worte mich beruhigen; Leute wie er glaubten nicht an solche Ahnungen, und manchmal stimmte mich ihre Argumentation zur Begründung dessen so zufrieden, dass ich an meinen Empfindungen zweifelte. Wenn ich allerdings an das letzte Mal dachte...

"Glaubst du, dass es möglich ist, dass Yumeji gelogen hat?"

Selbst von meiner Position aus konnte ich erkennen, dass Flúgar für einen Moment den Kopf schief legte, ehe er antwortete, ohne sich umzudrehen oder stehen zu bleiben.

"Nein, sie hatte keinen Grund dazu."

Ich hatte sie auch als absolut glaubwürdig eingestuft, eine Lüge dieser Art wäre für sie sinnlos gewesen, aber ich wollte ohnehin auf etwas Anderes hinaus...

"Könnte diese Warnung vielleicht ein schlechtes Omen sein? Seit unserem Gespräch ist der Himmel trüb und der Wald grau."

Mein fragender Blick durchbohrte ungesehen seinen Rücken, er ließ sich diesmal viel Zeit für eine Erwiderung. Ich war schon kurz davor es aufzugeben, und wieder über Deutungen und Vorahnungen zu sinnieren, als er sich zu meiner Bemerkung äußerte.

"Eine Warnung ist kein Omen, und selbst diese betreffen weder das Wetter noch den Wald."

Konnte ich ihm in dieser Beziehung Recht geben?

Ich war mir nicht sicher, immerhin begleiteten mich die Sommergewitter schon über Jahre hinweg als schlechte Omen...

Diese Sache brachte mich durcheinander und in gewissen Punkten war ich seiner Meinung, was sollte den Wald eine Warnung kümmern?

Nichts, denn es betraf ihn ja nicht...

"Über so etwas nachzudenken führt zu nichts, du solltest deine Gedanken nicht an solch einen Unsinn verschwenden."

Und das kam von ihm?

Vielleicht störte ihn, dass ich seine Auffassung in dieser Hinsicht auch in Erwägung ziehen wollte... ich seufzte leise.

Sein beiläufiger Seitenblick in meine Richtung sagte alles; er hielt mich für abergläubisch, mindestens...

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand mich sucht, ich teile Yumejis Ansichten. Hast du eine Ahnung, wer dich so unbedingt aufspüren will?"

Er reagierte kaum erkennbar, zuckte bloß unscheinbar die Schultern.

"Es gibt Einige, die mich lieber tot sehen würden."

Ungläubig blinzelte ich erst einmal, fuhr mir durch die Haare. Wie konnte man solche Tatsachen nur so gelassen aufnehmen und aussprechen?

"Und das beunruhigt dich nicht? Ich meine, macht dir das nichts aus?"

Flúgar schüttelte andeutungsweise den Kopf.

"Es beruht auf Gegenseitigkeit."

Mich verunsicherte es ja bereits, dass jemand angeblich hinter meinem Leben herjagte, und er...?

...sprach davon, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich verstand das nicht, zwischen Dämonen herrschten wohl andere Verhältnisse, obwohl ich auch einräumen musste, dass viele Menschen einander lieber tot als lebendig wieder begegnen würden.

Meinem ärgsten Feind wünschte ich nicht den Tod, diese Einstellung war mir fremd, denn ich war gelehrt worden, den Tod und das Sterben mehr oder weniger zu verachten. Einer Seele den Körper zu rauben war nie ein anstrebsames Ziel für mich gewesen und würde es auch niemals sein.
 

Den Mittag über gingen mir allerlei Dinge durch den Kopf, besonders über gute und böse Omen, Wetterverhältnisse, Geschichten über hellseherische Kräfte und das Racheverhalten bei Menschen und Youkai. In keinem Punkt kam ich zu einem runden Schluss.

Währenddessen hatte sich das Wetter nicht verändert, und die Reisestimmung erreichte gerade einen neuen Tiefpunkt. Uns vier als eine Gemeinschaft einzustufen würde niemandem einfallen, dem war ich mir sicher; die Kommunikation untereinander verlief mehr als stockend, wobei zu beachten war, dass zwei von uns nicht einmal sprechen konnten. Bei Flúgar mochte einem dieser Verdacht auch rasch kommen, aber er war weder unfähig noch stumm, einfach keine sehr redselige Begleitung und daran war sicherlich nicht viel zu ändern. Ich hätte nunmehr viel für einen Gesprächspartner gegeben, denn langsam aber sicher nagte die ständig andauernde Stille an meinen Nerven. Irgendwann war eben Schluss, selbst bei mir. Toleranz über alles, aber nicht über das hier.

Unter Umständen war es besser, wieder meiner eigenen Wege zu gehen... oder? Ob ich allein wirklich besser bedient wäre? Und was würde ich tun, sollte noch einmal so etwas wie in Kakougen No Kyou geschehen?

Ich wusste es nicht...

Gedankenverloren betrachtete ich die Umgebung, gab mir Mühe, mich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Der feine Regen rauschte leise in den Blättern, begleitete das geräuschvolle Fließen des kleinen Flusses, der sich von einer Felswand aus als Wasserfall in ein flaches Steinbecken ergoss und dort sammelte. Das rostbraune Gestein war verwittert, umgeben von Geröll, das den steilen Aufstieg noch komplizierter erscheinen ließ, als er vermutlich war. Zusammen mit dem dunklen Grün des Waldes ergänzten sich die Farben fast perfekt, und die Formation fügte sich passend in die Erscheinung des Waldes ein.

Vertieft in die Schönheit der Natur, stieß ich urplötzlich gegen Flúgar; ich hatte nicht bemerkt, dass er stehen geblieben war. Unmittelbar trat ich einen großen Schritt zurück und holte zu einer umfassenden Entschuldigung für mein unangebrachtes, träumerisches Verhalten aus, als mir auffiel, dass er sich absolut nicht um meine Unaufmerksamkeit scherte.

Verdutzt sah ich ihn an, aber erst, nachdem ich ihn genauer in Augenschein genommen hatte, erkannte ich die Spannung jedes Muskels in seinem gesamten Körper. Eine Haltung, die an eine angriffsbereite Katze erinnerte, die ihre Beute genau vor Augen hatte.

Auch Kaneko begann zu fauchen, legte die Ohren zurück, entfachte ihre dämonischen Kräfte, um sich in die tigergroße Feuerkatze zu verwandeln. Ich hingegen war ratlos, schaute mich um, ohne überhaupt zu wissen, nach was.

"Lange nicht gesehen, Flúgar..."

Alarmiert schreckte ich hoch, starrte in die Richtung, aus der ich die Stimme vernommen hatte. Viel konnte ich nicht ausmachen, denn selbst, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, war es mehr als eine beschwerliche Angelegenheit, Flúgar über die Schulter zu schauen. Um mir einen besseren Ausblick zu verschaffen, drängte ich mich an Kaneko vorbei, wurde aber augenblicklich von dem Dämon neben mir zum Innehalten gezwungen, als er seinen rechten Arm auf Brusthöhe vor mir ausstreckte.

Aus den tiefen Schatten des gegenüberliegenden Nadelwaldes hoben sich zwischen den Bäumen immer deutlicher die Umrisse einer humanen Gestalt ab; die Konturen erhielten ihre Klarheit, als sich die Person aus dem Dunkel löste und sich ohne zu zögern preisgab.

Erstaunt musterte ich den Fremden eindringlich, und allmählich begann sich die Faszination meiner zu bemächtigen. Er war mindestens so groß wie Flúgar, trug edle Gewänder in silbergrauer und meeresgrüner Farbe, Schmuck aus echten Perlen und seltenen Muscheln. Sein Haar war lang, dunkelblau wie die Tiefsee, endete in scharf abgegrenzten, weißen Spitzen und fiel ihm offen über die Schultern und ins Gesicht. Mit der rechten Hand umfasste er eine reichlich mit Edelsteinen besetzte und kostbaren Meeresschätzen geschmückte Lanze, deren Klinge sich im oberen Drittel teilte. Das war ohne Zweifel eine Waffe, eine heilige Waffe.

Lässig schulterte der Unbekannte sein offensichtliches Heiligtum, sodass die Verzierungen klimperten, er hatte eine Ausstrahlung, die ich einfach nicht einzuordnen wusste. Mit sicheren Schritten näherte sich noch ein wenig, blieb schließlich stehen, herausfordernd, seine Körperhaltung sprach von außerordentlicher Sicherheit. Ein listiges Grinsen legte sich auf seine Lippen.

"Sehr gesprächig warst du ja noch nie, aber dass du wirklich gar kein Wort für mich übrig hast, hätte ich nicht gedacht."

Ein Selbstmörder...?

Die Worte, die seine rauchige, aber durchaus angenehm schwingende, milde Stimme formten, klangen nach wahrer Enttäuschung.

"Verräter."

Unbeeindruckt und ohne erkennbare Notiz dessen wanderten seine Augen über Kaneko und Inazuma, dann ruhte sein Blick auf mir. Flúgar begann zu knurren.

"Bloß ein Menschenweib... hübsch, zugegeben, aber was willst du mit ihr?"

Das Grollen in der Kehle des Angesprochenen wurde tiefer. Sein Gegenüber legte den Kopf zurück in den Nacken, sog die Luft hörbar ein, dann wurde der Ausdruck in seinem Gesicht wissend.

"Daher weht also der Wind... sie muss dir aber eine unglaubliche Befriedigung verschaffen, wenn du sie freiwillig so lange mit dir rumschleppst."

Was meinte er mit unglaublicher Befriedigung?! Hatte ich etwas nicht mitbekommen?

Auf seltsame Art und Weise konnte ich seinen Worten nicht so richtig folgen... ich war eindeutig überfragt, wie von selbst strebten meine Augen den Kontakt zu denen des Fremdlings an.

"Von was bitte redest du?"

Er unterdrückte sein Lachen, belächelte amüsiert meine Unwissenheit.

"Erzähl mir nicht, dass Flúgar heute noch nicht über dich hergefallen ist wie ein ausgehungertes Tier. Bei deinem Geruch fällt es selbst mir schwer, mich zurückzuhalten."

Sein Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht...

Aber ich verstand es immer noch nicht, ich konnte mir einfach keinen Reim auf seine Worte machen. Flúgar und über mich hergefallen? Wegen was? Wozu??

"Du hättest es nicht wagen sollen hierher zu kommen, Shiosai."

Der bittere Ernst und der bedrohlich schwankende Unterton in seiner Stimme waren so heftig, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Seine rechte Hand lag auf dem Griff seines Katanas, die verengten Augen fixierten den Gegner; dass die zwei sich nicht ausstehen konnten war nicht schwer herauszufinden, denn beide unterdrückten ihre Auren nicht weiter. Wer von ihnen stärker war, konnte ich nicht sagen.

Ein letztes Mal wandte sich der fremde Dämon, den Flúgar mit Shiosai angesprochen hatte, an mich, und nichts als Lüsternheit sprach aus seinen Zügen...

"Durch deine Witterung verrätst du unverkennbar deine monatliche Bereitschaft einer Empfängnis, und ein Dämon will seine Triebe befriedigt wissen... das ist ein angemessener Preis für meinen bevorstehenden Sieg über diesen verdammungswürdigen Loftsdreki."

Ich spürte, wie mein Herz plötzlich anfing zu rasen und meine Wangen sich rot färbten, mein Körper zitterte. Davon redete er die ganze Zeit?! Flúgar sollte mich...? Wie kam er auf so etwas Abwegiges?

Flúgar hatte mich nicht einmal unsittlich berührt, nicht einmal solche Worte in den Mund genommen... er wollte mich als seinen Siegesbeweis, und zwar buchstäblich...

Tränen brannten in meinen Augenwinkeln, gegen jemanden wie ihn konnte ich mich nicht zur Wehr setzen, würde er es tatsächlich fertig bringen, Flúgar zu besiegen oder gar zu töten, bestand keine Hoffnung mehr. Weder für Flúgar, noch für mich...

"Verschwinde endlich."

Flúgars Tonfall hatte sich grundlegend geändert, überrascht sah ich ihn an, als wäre sein Befehl einfach an mir vorüber gezogen.

"Du bist hier nur im Weg, beeil dich und bleib nicht stehen."

Meine Fassung war dahin, die Tränen liefen mir ungehindert über die Wangen. Ich hatte mir so sehnlichst gewünscht nicht noch einmal in diese Lage versetzt zu werden, mich nicht mehr entscheiden zu müssen...

"Aber-"

Er gebot mir zu schweigen, mein Widerspruch hatte keine Aussichten auf Erfolg. Der flüchtige Blick, den er mir zuwarf, forderte meinen Widerwillen schließlich doch vollkommen ein... ich nickte schwach.

Flúgar zog sein Schwert; es war das erste Mal seit unserem Treffen, dass er es zog, um es in einem Kampf einzusetzen. Die Klinge, befreit aus ihrer Scheide, verfärbte sich in den Händen des Youkai.

Wie gebannt betrachtete Shiosai das nun mit breiten, ungleichmäßigen magentafarbenen Streifen gemusterte Stücke Metall, brachte demonstrativ die eigene Waffe vor seinem Körper.

"Du verlässt dich auf die Macht eines längst krepierten Narren? Ich habe dich noch nie verstanden, Flúgar... Erinnerst du dich an Sui No Rinrou?"

Betont langsam richtete er die Spitzen der beiden Klingen seiner Lanze auf seinen Gegenspieler; sein Gesichtsausdruck wurde finster.

"Mit ihrer Hilfe reiße ich dich in Stücke, Loftsdreki, das ist ein Versprechen!"

Flúgar umschloss das Katana fester mit den Händen, blanker Hass vernahm seine Augen ein. Shiosais Worte quittierte er mit einem abfälligen Laut, bevor er mich unsanft zu Inazuma stieß. Er forderte mich nicht mehr verbal dazu auf zu gehen, aber ich wusste instinktiv, was er mit seiner Gestik bezweckte und dass er Recht hatte.

Schweren Herzens stieg ich behutsam auf den Rücken des schwarzen Wallachs und trieb ihn an, Kaneko folgte unaufgefordert.

Ich sah nicht zurück, hörte aber nur allzu deutlich, wie Stahl auf Stahl traf, und zwar mit solch einem Nachdruck, dass der Klang des vibrierenden Metalls unaufhörlich in meinen Ohren surrte...
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

Sui - zweites Element, Wasser

Rinrou - schöne Perle
 

***>>> Kapitel 14:

>"Mit roher Gewalt prallen die beiden Elemente aufeinander, fechten einen Kampf um Leben und Tod miteinander aus. Nur einer wird den Sieg davontragen, und den anderen wird sein Schicksal ereilen. Wer nun allerdings überlegen ist, bleibt fraglich..."

Urei



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Mondvogel
2005-12-04T08:30:22+00:00 04.12.2005 09:30
Yumeji hat mir sehr gut gefallen, da hast du einen tollen Charakter geschaffen. Und der beginnende Kampf zwischen Flúgar und diesem anderen. Echt spannend!

Dein Schreibstil ist so wunderbar schön. Es ist, als ob du mit Worten malen würdest.
Von:  Lizard
2005-12-02T12:01:57+00:00 02.12.2005 13:01
Die Kitsune war toll. Ich glaub, ich mag Fuchsdämonen. Schade, dass ihnen sonst niemand richtig Beachtung schenkt (Shippo ist ja oft auch nur mehr oder weniger eine Randfigur, weil er ja noch ein Kind ist). Die Begegnung von Midoriko und Yumeji hast du richtig klasse beschieben. Sie kam wunderbar rüber. Genauso wie die gewisse Überheblichkeit Flugar, der mit seinem barschem ,Was willst du', die zauberhaft anmutende Begegnung durchbricht.
Irgendwie kommt bei dem Ganzen auch der Kontrast zwischen Menschen- und Dämonenwelt gut raus. (Das wird später durch die Gedanken und das Gespräch über Omen noch verstärkt) Das gefiel mir sehr.
Und dann wird es zunehmend unheimlich und spannend bis es in eine neue Begegnung von zwei alten Feinden gipfelt. Diese Begegnung war ebenfalls super. Shiosai ist ein Wasserdrache, oder? Oder? Denke ich mir so, wegen seinem Aussehen, seinem Geruch nach Meer etc.
Schade nur, dass du ausgerechnet dann an der spannendsten Stelle aufhören musst, als die beiden Kontrahenten aufeinanderprallen... *grrr*... nun ja, aber das hält die Leser bei der Stange, also sei es verziehen.
Einen Lieblingssatz habe ich und zwar der hier:
>Eine dünne Wolkendecke verhüllte den Himmel, der schwache Nieselregen warf einen Vorhang aus matten Grautönen über die klare Sicht, wobei der Wind lau verblieb, die winzigen Wassertröpfchen in seine Zugrichtung hin abtrieb.<
Irgendwie fand ich den von der Umschreibung soooo toll! Dein malerischer Schreibstil gefällt mir weiterhin unheimlich gut. Er lässt so viele schöne Bilder in meinem Kopf entstehen... weiter so, lad möglichst schnell noch was hoch, damit ich noch was lesen kann, bevor ich in wenigen Tagen für längere Zeit nicht mehr ins Internet kann. Bitte!
Von:  Tigerin
2005-11-23T17:05:45+00:00 23.11.2005 18:05
Super Kapi!
Das Kapi war so schön spannend und es ist immer noch spannend... Mir hat gut gefallen das du ihre Gefühle so gut beschrieben hast,die Kitsune, aber auch der Fremde. Flúgar und er scheinen sich ja nicht riechen zu können...
Schreib schnell weiter und schick mir ne Ens!^^

Bye Tigerin
Von: abgemeldet
2005-11-22T12:36:46+00:00 22.11.2005 13:36
Man diese Spannung erlebt man ja live mit. 1^^
Du hast wirklich sehr großes Talen. gg**
Bitte hinterlass mir wieder ne End wenns weitergeht. gg*+

dich lieb drück

24
Von:  Hotepneith
2005-11-21T21:14:00+00:00 21.11.2005 22:14
Wenn ds jetzt klappt...^^"

Ich finde das Kapitel einfach genial. Der Umschwung zwischen dem gegenseitigen Misstrauen und dann die kitsune und dann der Fremde....das Kaptiel hat eine inhaltliche Spannung - einfach toll. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.


bye

hotep


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