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Tausend Sünden

Was ist eine Sünde? Und was geschieht mit denen, die zu viele begangen haben?
von

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E.nttäuschung

Nun stand ich alleine in der Dunkelheit und wusste mit mir nichts mehr anzufangen. ,Irgendwann musst du diesen Menschen töten!', dachte ich.

Ich setzt mich also auf einen kalten Stein und schaute in die Nacht heraus. Es war eine Klare Sternennacht. Der Mond schien sehr hell und man sah nur hier und dort noch eine Kerze im Haus brennen. Und da, wo das kleine Kind lag, standen die Eltern an seinem Bettchen und erzählten ihm wohl gerade eine Gute-Nacht-Geschichte. Dann wurde die Kerze ausgeblasen. Ich legte mich schlafen.

Am nächsten Tag beschloss ich, mir zunächst eine Wohnung zu suchen. Ich fing auch an zu arbeiten und konnte mir bald ein warmes Bett und jeden Tag einige ordentliche Mahlzeiten leisten. Aber ich kam jeden Abend an dieses Haus und schaute mir das kleine Kind an, wie es unschuldig lächelnd in seinem kleinen bett lag und die winzigen Finger nach seinen Eltern ausstreckte. Und diese lachten nur. Sie waren so glücklich...

"Werd' bloß nicht sentimental!", hörte ich es aus der Dunkelheit heraus. Jules kam die Straße hochgelaufen. Schnell wischte ich mir die einzelne Träne weg.

Es war mittlerweile schon Winter geworden. Jules kam in einem Mantel und mit einem Schal daher. "Wenn du deine Aufgabe verweigerst,", sprach er, "wirst du leiden! Und du wirst mehr leiden als De Boilluard!" Er fing an, sarkastisch zu grinsen. "Dafür leg' ich meine Hand ins Feuer!" Schließlich fing er an, lauthals zu lachen: "Verstehst du? Ins Feuer!!!" Er beugte sich leicht nach hinten. Jedes Mal, wenn er lachte, kam eine Atemwolke aus ihm heraus und löste sich in der frostigen Nachtluft auf. "Jules! Hast du getrunken?", fragte ich. "Wo denkst du hin?", entgegnete mir Jules. "Ich hab schließlich auch mein Werk zu verrichten!" - "Aber du meintest doch, dass in den ersten Jahren nichts passiert! Warum muss ich jetzt schon auf diesen Jungen aufpassen?" - "Was weiß ich...? Frag' Keith!" Ich blickte wieder zum Fenster, wo das Licht ausging: "Jules?" - "Mmh?", sagte er verträumt und schaute in den Himmel. "Wir war das bei deiner ersten Person?" - "Wie meinst du das?" - "Fiel es dir schwer, sie zu töten?" - "Ich habe den Großteil meiner Sünden mit Morden verbucht...daher..." - "Sieht man dir aber nicht an!", bemerkte ich erstaunt. "Mag sein...aber die Leute verändern sich, was?" - "Hoffentlich auch dieser hier...ich will nicht...er ist so unschuldig, so klein und..." - "Und was?", raunte mich Jules an. "Er wird schon noch ein Sünder werden! Verlass' dich drauf!!!" Stillschweigend sah ich wieder zum Fenster hinein. Das kleine Kind hustete und drehte sich im bett herum. Er war wohl krank. So blieb ich dort stehen, bis mich Jules wieder unterbrach: "Komm,", sagte er und legte seine hand auf meine Schuler, "ich geb' dir einen aus." Schweigend folgte ich ihm.

Die ersten Jahre verliefen in der Tat sehr ruhig und ich sah mit an, wie das Kind sich entwickelte. Es tollte mit seinen Freunden herum, fiel auch mal hin. Aber im großen und ganzen war es sehr glücklich.

Dann, eines Tages, er war mittlerweile ein stattlicher Kerl geworden, traf er ein hübsches Mädchen. Er versuchte sein Glück bei ihr, aber sie ließ ihn eiskalt abblitzen. Daraufhin rannte er voller Verdruss in den Wald und riss Büsche aus, schlug gegen Bäume und tobte sch wild aus. Als er völlig erschöpft nach hause ging, beobachtete ich ihn von einem Dach aus.

Plötzlich stand Jules hinter mir: "Grüß' dich!" Völlig überrumpelt stürzte ich fast vom Dach: "Musst du mich immer so erschrecken?" - "Darfst dich halt nicht erschrecken lassen...was ist nun? Warum rechnest du ihm nicht die Sünde an?", fragte er mich. "Du hättest so was doch auch gemacht! Er wurde halt verletzt." - "Rechne es ihm an!" - "Ich drück' noch mal ein Auge zu." Jules war plötzlich ganz aufgebracht. Er packte mich am Kragen, flog mit mir auf die Straße und presste mich gegen die nächstbeste Wand: "Ich drücke dir gleich deine Augen zu!", fuhr er mich an. In seiner leicht gehauchten Stimme war ein gekratzter, drohender Ton zu hören. So aufgebracht habe ich ihn bis dahin noch nie gesehen! Er sprach weiter: "Sündenengel haben kein Auge zuzudrücken! Hör zu!", kratzte es in seiner Stimme, während er mich erneut gegen die Wand presste: "Ich habe nicht diese Zeit aufgebracht, um dich jetzt auf der Strecke zu lassen! Ich weiß, es fällt dir schwer, aber denkst du, Catherine hat bei dir auch nur ein einziges Auge zugedrückt? Nein, hat sie nicht! Und nun mach' endlich deine Pflicht!" - "Jaja, ich mach' ja schon, aber lass' mich los!", rief ich. Dann trug ich die Sünde ein und machte meinen ersten Strich auf der Liste. "Und noch etwas:", sagte Jules wieder etwas beruhigt, "Warne ihn nie vor, wenn du die Zettel mit der ,999' verteilst! Sündenengel haben straffe Regeln! Du wirst brennen, ich sag es dir! Brennen!" Seine Stimme erhob sich wieder leicht. Dann ließ er endlich von mir ab und ging ein paar Schritte von mir weg. Dann drehte er sich um und sagte: "Ich werde dich nicht noch einmal darauf hinweisen! Vielleicht werde ich dir noch einmal helfen, aber verlass' dich nicht darauf! Auch ein blutjunger Sündenengel muss sich irgendwie durchschlagen!" Dann flog Jules weg. Zitternd hielt ich noch die Liste in der Hand.

Die Jahre vergingen und die Sünden nahmen zu. Einiges durch Liebeskummer, einiges durch Alkoholismus und zu allem Überfluss zog noch der Krieg ins Land. Der Junge, welcher nun ein Mann war, musste an die Front. Und er schoss seine Widersacher nur so weg. Was für mich bedeutete, meine Striche immer schneller zu vervollständigen.

Da flatterte auf einmal ein Zettel mit einer ,999' an mir vorbei. Er wurde zu einem anderen Mann an der Front geweht. Er bemerkte ihn, warf ihn aber weg und schoss weiter. Und als auf der Gegenfront ein Mann auftauchte, erschoss er ihn. Da kam plötzlich ein weiterer Zettel auf ihn zu und wehte ihm ins Gesicht. Fast blind wirbelte der Mann herum. Ich schaute hinauf: Ein Sündenengel wachte über dieses Feld. Er winkte kurz mit der Hand und zeigte dann mit seinem Finger auf den Mann mit dem Zettel vor der Stirn. Eine Kugel traf ihn und er war tot.

"So kannst du die Person töten, die du bewachst!", sagte er zu mir und machte einen Strich auf seiner zweiten Liste und schrieb eine ,331' dahinter. Ich nickte nur und verfolgte meinen Menschen wieder.

Nach dem Krieg hatte er etwa 850 Sünden. Und auf seine alten Tage wurde er bitter und beschimpfte die Leute. Schließlich griff er auch zum Schlagstock. Da kamen einige Sünden zusammen! Und bald schon zog ich wie durch Magie mehrere Zettel aus der Tasche, auf denen eine ,999' stand.

Dieser Typ hat die Zettel einfach gesammelt und verbrannt. Und als das die Feuerwehr bemerkte, griff er sich nur einen Stock aus dem Feuer und schwang ihn wild um sich. Dabei traf er einen der Feuerwehrmänner. Seine eintausendste Sünde! Was sollte ich jetzt machen?

Blitzschnell stand Jules neben mir und rief: "Beeile dich! Wenn er auch nur noch eine Sünde begeht, wirst du brennen!" Völlig kopflos wusste ich nicht, was ich tun sollte. Jules rief mir immer wieder zu, aber ich konnte nur die Augen schließen. De Boilluard! Das Fegefeuer! Ich schüttelte meinen Kopf mehrmals hin und her. Schließlich griff ich in meine Tasche und holte einen seidenen Faden heraus. Was sollte ich nur damit anfangen? Er holte schon zum nächsten Streich aus! Was nun? Jules rief und rief, aber ich kauerte mich nur noch mehr zusammen.

Plötzlich stürzte ich auf den Mann zu. Der Faden schnürte sich um sein Herz. Schlaganfall, Röcheln, Tod. Alles ging sehr schnell. Kurz vor seiner 1001. Sünde. Das war knapp!

"Dass mir so was ja nicht noch mal vorkommt!", blickte Jules mich mürrisch an.

Nun merkte ich, was ich getan hatte: Ich hatte für meinen Vorteil bewusst gemordet! Und das berührte mich sehr stark. Stundenlang setzte ich mich still auf den kalten Stein, auf dem ich vor Jahren schon einmal saß und damals dieses kleine Kind kennengelernt hatte. Und nun war er ein Mann...ein ziemlich toter Mann! Wie viele Jahre waren eigentlich vergangen? Vierzig? Fünfzig? Noch mehr? Mein Zeitgefühl war verloren.

Stillschweigend wie einst vor vielen Jahren faltete ich die Hände zusammen und stützte meinen Kopf auf die Fingerspitzen. Traurig, aber auch irgendwie erleichternd, atmete ich aus.

Mein erster Auftrag war also vollendet!



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