Nacht
Buch zwei: Nacht
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Unruhig lief Gwyn an Deck auf und ab.
Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören und ihre Beine schienen sie nicht mehr richtig tragen zu wollen.
Nervös drehte Gwyn sich um und trat an die Reling.
Kayleigh tapste ihr hinterher. Auch sie wirkte nervös, der lange Schwanz huschte unablässig über die Planken.
Ansonsten war es vollkommen still.
Der Kapitän und die Matrosen waren schon seit lange unter Deck und schliefen und auch in der Stadt war alles ruhig. Nicht einmal ein Lichtschimmer drang von dort zu ihnen hervor.
Die Nacht hatte sich über das Schiff gesenkt. Die beiden Monde standen hoch am Himmel, warfen silbernes und goldenes Licht auf das Land. Die Festung wirkte in diesem verzauberten Licht sogar noch bedrohlicher als am Tag. Wie ein großer schwarzer Fleck oder ein gewaltiges Insekt, das auf dem Stein hockte...
Schaudernd schaute Gwyn zur Seite.
Die Sterne funkelten am Firmament miteinander um die Wette, direkt über dem Felsplateau prangte das Sternbild des Schwertes. Das Sinnbild für Gefahr und Wandel. Das konnte kein Zufall sein. So viel hatte sie in ihrer Zeit bei Leesha gelernt.
Die Sterne logen nicht. Wenn man in der Lage war ihre Zeichen zu begreifen war man wirklich weise.
Ob Leesha die Sternbilder verstand?
Wusste sie, was ihnen das Schwert sagen wollte?
Was der Grund für die Gefahr war, was die Ursache des Wandels war?
Fröstelnd schlang das Mädchen die Arme um ihren Körper.
Gwyn fühlte sich unwohl wie noch nie.
Das konnte nicht Leeshas Ernst sein!
Etwas stehlen!
Stehlen!
Und dann auch noch aus der Festung!
Der Festung der Priester!
Wie viele von ihnen mochten dort oben sein?
Was würden sie tun, wenn sie sie ertappten?
Neben ihr seufzte Kayleigh schwer: "So etwas hätte ich selbst Leesha nicht zugetraut! Diebstahl, ausgerechnet an diesem Ort! Wer weiß, was uns dort drinnen erwartet? Die Priester werden bestimmt nicht schutzlos sein!"
Gwyn nickte verzweifelt: "Allerdings frage ich mich, um was es geht. Was ist so wichtig, dass Leesha etwas....etwas derartiges tun will?"
Kayleigh knurrte: "Sie wird es uns kaum sagen."
"Nein, dass nicht." Gwyn sah hinauf zu den dunklen Mauern.
In diesem Moment bewegte sich etwas in den Schatten am Ufer.
Gwyns Kopf ruckte herum.
Leesha und Ivas lösten sich aus der Dunkelheit und betraten den Steg, der zum Schiff führte. Ihre Füße und Pfoten verursachten nicht das leiseste Geräusch als sie über das alte Holz schritten und an Bord kamen.
"Seid ihr soweit?" Leesha blickte erst zu Gwyn, dann zu Kayleigh.
"Wir sollen also beide wirklich mitkommen?", zischte das Drachenweibchen und schüttelte sich: "Was soll ich denn...? Wie soll ich denn...?"
"Kommt einfach mit." Damit wandte sich Leesha wieder um und lief los.
Kayleigh und Gwyn sahen sich an.
Was blieb ihnen anderes übrig?
Stumm und zitternd folgten sie dem seltsamen Paar.
Gwyn gestand sich ein, dass sie Angst hatte.
Furchtbare Angst.
Was sie da vorhatten...
Es war unglaublich!
Aber gleichzeitig war sie auch ein wenig neugierig.
Entschlossen lief sie hinter Leesha her.
Nur Augenblicke später hörte sie das Rauschen von Kayleighs Flügeln an ihrem Ohr, dann ließ sich der kleine Drache auf ihrer Schulter nieder. Das Gewicht und die Wärme des Drachenkörpers war beruhigend.
Neben ihnen huschte Ivas wie ein grauer Schatten durch die Nacht, während sie auf das Felsplateau zu marschierten.
Leeshas Gestalt verschmolz fast mit dem Schatten des großen Felsens und Gwyn beeilte sich, sie einzuholen.