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Cassie

Verrücktes Internatsleben (abgeschlossen!)
von

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Alles Gute zum Geburtstag

Hi, hoffe, es geht euch allen gut!

Tut mir leid, aber momentan habe ich ziemlichen Stress.

Wird aber bestimmt wieder besser.
 

Vielen Dank an meine Betaleserin!
 

Und los geht's!
 

Kapitel 11 - Alles Gute zum Geburtstag
 

Still und verlassen zog sich die Strasse hin, nur schwach von Straßenlaternen beleuchtet. Die meisten Leute hatten in ihren Häusern längst die Lichter gelöscht und waren vor Stunden zu Bett gegangen.

So sah auch niemand die Gestalt, die sich um diese unmenschliche Stunde aus einem großen, im Dunkel liegenden Haus stahl. Niemand sah, wie sie mit schnellen Schritten den kleinen Vorgarten hinter sich ließ und am Tor noch einmal stehen blieb, sich umdrehte und zu den schwarzen Fenstern hinauf sah.
 

Sekunden später drehte sie dem Haus abermals den Rücken zu, verließ das Anwesen und eilte auf einen kleinen Ford Fiesta zu.

Die Gestalt kramte in ihrem Rucksack, fand die Schlüssel und stieg ein.

In dem grellen Licht der Innenbeleuchtung ließ sich der junge Mann mit geschlossenen Augen in den Fahrersitz zurückfallen. Das dunkle Haar fiel ihm ins Gesicht. Mit einer müden Handbewegung strich er es zur Seite.

Resigniert schlug er die blauen Augen auf.

Er hatte es versucht. Und das allein zählte, oder?

Nein, nicht für seinen kleinen Bruder.
 

Er starrte auf das leuchtende Ziffernblatt seiner Armbanduhr.

5:11 Uhr.

Die Fahrt zum Versalle dauerte nicht allzu lang. Er würde rechtzeitig dort sein.

Wofür?

Um seinen Geschwistern die Wahrheit zu sagen? Cassie zu sagen, dass sie Recht gehabt hatte, was ihre Mutter betraf? Patrick an seinem achtzehnten Geburtstag zu erklären, dass seine Mutter ein gefühlskaltes, gebrochenes Miststück war?

Langsam führte er die Hand zum Schlüssel und startete den Motor.

Er musste sich dringend etwas einfallen lassen.
 

Mit halb geschlossenen Augen tastete sich Cassie zum Kühlschrank vor.

"Na los! Mach schon, bevor die anderen aufwachen!"

Das Mädchen hob die Augenbrauen. Oder zumindest so weit, wie es ihr in diesem halbschlafartigen Zustand möglich war.

"Aaron, es ist halb sechs. Und Sonntag. Kein Mensch ist um diese Zeit wach, außer er ist wahnsinnig oder wird von seinem Zwillingsbruder dazu gezwungen!"

Endlich fand Cassie den Griff und zog die schwere Türe auf. Die Innenbeleuchtung des Kühlschrankes strahlte ihr entgegen und sie drehte blinzelnd den Kopf zur Seite.

Okay, schön. Sie tat das für ihren großen Bruder. Und sie machte es halbwegs gerne, wirklich!

Und doch wünschte sich Cassie, Patrick hätte einfach wie jeder andere normale Mensch in seinen achtzehnten Geburtstag reingefeiert.
 

Es wäre so praktisch gewesen. Schließlich war heute Sonntag. Sie hätten alle ausschlafen können, anstatt sich um halb sechs Uhr früh mit einem Beinahe-Herzinfarkt aus dem Schlaf reißen zu lassen.

Langsam gewöhnten sich Cassies Augen an das grelle Licht und sie warf einen prüfenden Blick in das Kühlschrankinnere.

Da stand sie. Die Torte, die sie ein kleines Vermögen gekostet hatte. In Cassies Augen war sie perfekt. Sie hatte die Größe einer mittleren Hochzeitstorte, war dreistöckig - sie hatten dafür fast alle anderen Lebensmittel aus dem Kühlschrank schaffen müssen - und über und über mit grünem Zuckerguss verziert. Ganz oben stand eine total niedliche Figur aus Zucker: Ein Basketballspieler. Und natürlich fehlte auch der Schriftzug nicht. Erst das übliche: Happy Birthday, Patrick. Und untendrunter: 18 - Die Welt gehört dir!
 

Es brach Cassie schier das Herz, wenn sie daran dachte, dass dieses Kunstwerk bald zerstückelt werden sollte.

Vorsichtig umfasste das Mädchen den Porzellanteller, der die Torte hielt und hob ihn heraus. Aaron schloss den Kühlschrank.
 

Cassie war zum Heulen zumute gewesen, als Patrick versucht hatte, sie alle davon zu überzeugen, dass er eine Party heute Abend viel lustiger fand. Angeblich hätten sie dann alle einen Grund, am Montag zu spät zum Unterricht zu kommen.

Dabei waren seine wahren Beweggründe so offensichtlich.
 

Er ging davon aus, dass seine Mutter ihn besuchen kam. An seinem achtzehnten Geburtstag. Und scheinbar wünschte er es sich mehr, als Cassie geahnt hatte. So sehr, dass er eine rauschende Party dafür hinschmiss. Nur damit er am nächsten Morgen fit war für...nichts?

Cassie drehte sich um, hielt Aaron die Torte hin und verdrängte den Gedanken.

"Was soll ich damit?"

"Tragen. Aaron, du kennst mich. Sie wird auf dem Boden liegen, da bin ich nicht mal aus dem Zimmer raus."

Ihr Bruder grinste, legte sein Geschenk auf dem Tisch ab und nahm die Torte. Cassie schnappte sich das in Geschenkpapier gewickelte Etwas, rauschte zur Tür und hielt sie ihrem Tortenträger-Bruder auf.
 

Sie schlichen zwei Türen weiter.

Bevor Cassie die Türe zu Patricks und dem Zimmer der anderen drei Jungs aufzog, lauschte sie einen Moment. Alles war still.

Sie griff nach der Klinke und drückte sie hinunter. Während sie sich in das dunkle Zimmer schob drehte sie sich zu Aaron um.

"Hast du eine Ahnung, wo hier der -"

Cassie unterbrach sich.

Sie meinte, aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten zu sehen, doch es war zu spät. Mitten im Lauf prallte sie gegen einen Widerstand. Einen, wie das Mädchen sehr schnell feststellte, oben herum unbekleideten Widerstand.
 

Sie hörte ein ebenso erstauntes wie gedämpftes Luftholen.

Verwirrt drückte Cassie beide Hände gegen den nackten Oberkörper und stolperte einen Schritt zurück.

"Lass mich raten..."

Die nur zu bekannte Stimme, die vom Sprecher auf ein Minimum reduziert worden war, jagte Cassie gegen ihren Willen einen heißkalten Schauer über den Rücken. Der offensichtliche Sarkasmus drang fast gar nicht zu ihr durch. Zu sehr war sie damit beschäftigt zu verarbeiten, dass die menschliche Wärme, die der Körper vor ihr ausstrahlte zu keinem anderen als Nick gehörte.

"Cassie?"

"Ähm, woher weißt du ...das?" Das Mädchen hätte sich für ihre Stotterei am liebsten selbst geohrfeigt.

"Wer sonst würde es wohl schaffen, mich um halb sechs an einem Sonntagmorgen in meinem eigenen Zimmer umzurennen?"
 

Cassie antwortete nicht. Vorsichtig machte sie einen Schritt rückwärts, wurde aber sofort von einer anderen, etwas unwirsch klingenden Stimme zurückgehalten.

"Noch fünf Zentimeter und du sitzt in der Torte!"

Cassie fühlte sich eingeengt. Sie konnte weder vor noch zurück und keiner der beiden Jungs schien gewillt, sich vom Fleck zu bewegen.

"Also schön. Was macht ihr hier?"

Cassie glaubte nicht, dass irgendjemand sonst auf diesem Planeten es schaffen könnte, eine Frage so abgrundtief genervt klingen zu lassen.

Das Mädchen hob den Kopf und versuchte, in der Dunkelheit Nicks Augen auszumachen.

"Sag mir doch lieber, was du hier machst?" Cassie bemerkte mit Stolz, wie sicher und fest ihre Worte klangen.

"Ich wohne hier?"
 

Das Mädchen spulte im Gedächtnis noch einmal zu ihrer Frage zurück und fühlte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Wer, bitte schön, stellte solch dämlichen Fragen?

"Ich...meine doch, was du um diese Zeit im Wohnzimmer machst und so..." ...ohne was an, hatte sie sagen wollen, doch kam gerade noch rechtzeitig zur Besinnung. Es konnte doch nicht sein, dass die simple Tatsache von Nicks Nähe - okay, Nicks halbnackter Nähe - aus ihr ein stotterndes, hirnloses Girlie machte.

"Und so...was?" Trotz der Dunkelheit war Cassie sich sicher, dass der Junge zu grinsen begonnen hatte.

"Willst du nicht endlich zur Seite gehen?"

Themawechsel. Nicht ganz unauffällig, aber hey! Das war hier jetzt wirklich nicht das Hauptproblem. Tatsache war, dass Nick auf ihre herausfordernde Frage eingehen musste, ob er wollte oder nicht, was Cassie Zeit geben würde sich zu sammeln und...
 

Das Mädchen stoppte ihren Gedankenfluss, als ihr eine Ungereimtheit auffiel.

Nick.

Wieso sagte er nichts?

Cassie sah auf und bekam noch gerade so mit, wie Nick mit den Schultern zuckte und ihr Platz machte.

Es war eine Geste, die das Mädchen härter vor den Kopf stieß als jede Beleidigung.

Nur undeutlich nahm sie war, dass Aaron sie zur Seite schob, um die Torte auf den Tisch zu stellen.

"So wie ich das sehe, wollt ihr Patrick überraschen?"

Halt suchend lehnte Cassie sich an eine Stuhllehne. Sie fühlte dünnen Stoff und fragte sich, wer zur Hölle seine Klamotten über öffentliche Stuhllehnen hing, wenn er ein eigenes Zimmer hatte.
 

"Ja", grummelte Aaron zustimmend und dem Mädchen fiel mit einem Mal die Prügelei ein. Nick war mit Abstand die schlechteste Partie, die sie in diesem Zimmer hätten machen können. Nicht nur wegen ihr selbst.

"Und da habt ihr nicht mal Jessie mitgebracht?"

Für einen Moment hatte Cassie die Vorstellung, das alles wäre nur ein besonders bizarrer Traum. Sie, Aaron und ein halbnackter Nick, der plötzlich anfing von Jessica zu reden. Zu abstrakt, um wahr zu sein.

"Was, zur Hölle, meinst du?", rang sich das Mädchen zu einer Antwort durch.

"Wollt ihr euch vielleicht bei Licht weiter unterhalten", fragte Aaron in diesem Moment dazwischen und bewegte sich zur Wand hin.

"Nein!", meinte Cassie entschlossen, als sie auch schon geblendet die Augen zusammenkneifen musste.
 

Aber, schön, so hatte sie wenigstens einen plausiblen Grund, die Augen geschlossen zu halten. Andererseits...was sollten diese Kindereien denn? Es war ja nicht so, als hätte sie Nick noch nie in Boxershorts gesehen. Erst am Dienstag...okay, da war sie blöderweise zu wütend gewesen, um genauer hinzusehen.

"Sagt mir nicht, ihr wisst es nicht!"

Nun sah Cassie doch auf - und verlor sich prompt in verschlafenen, blaugrünen Augen.

"W...was denn?"

Die Lippen zu einem leichten Grinsen verzogen, strich Nick sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht.

Dann wandte er sich von ihr ab und ging zum Kühlschrank. Dabei schüttelte er den schwarzen Haarschopf.
 

Mit einem Kloß im Hals ließ Cassie sich auf den Stuhl fallen. Dabei starrte sie Nicks Gestalt an, wie sie den Kühlschrank öffnete und eine Wasserflasche zutage förderte.

"Ich denke, das würde Patrick euch lieber selbst sagen..."

Er setzte die Flasche an die Lippen und Cassie wartete auf das dünne Rinnsal Wasser, welches den Models in Werbefilmen das Kinn hinunterzulaufen pflegte. Doch dies hier war die Realität - und Nick offensichtlich darin geübt, aus der Flasche zu trinken.

Kein Sabbern, kein Verschütten.

Cassie hing immer noch ihren Gedanken nach, als sie bemerkte, dass Nick seinen Durst gestillt hatte und auf sie zukam. Die Flasche hatte er einfach stehen lassen, als gäbe es jemanden, der hinter ihm her räumte. Beim Gehen schnappte er sich das T-Shirt, welches über Cassies Stuhllehne hing.
 

"Ich geh sie holen", sagte er noch, zog sich das Shirt über und verließ das Zimmer.

"Cas?"

Das Mädchen betrachtete den Parkettboden.

"Cas? Alles okay?"

Nichts war okay. Absolut nichts.

Bis auf den Moment ganz am Anfang, als sie ihn umgerannt hatte, bis auf den hatte Nick sie wie eine x-beliebige Person behandelt. Wie irgendjemand.

Dabei war es nicht so, dass er sie ignoriert hätte oder kalt gewesen wäre. Nein, er hatte sie nur behandelt, wie er Jessie oder Scarlett oder Gil oder jeden anderen behandelte. Neutral. Mehr oder weniger.

Und Cassie ertappte sich dabei, wie sie sich nichts sehnlicher wünschte, als wieder etwas Besonderes für ihn zu sein. Ob auf eine positive oder negative Weise - wen kümmerte das schon?
 

Wie lange sie auf Nicks Rückkehr warteten, wusste Cassie nicht.

Nervös trommelte sie auf der Tischplatte herum und betete, Aaron möge endlich die Klappe halten.

"Was hat Jessie mit Patrick zu tun?"

"Denkst du, sie sind zusammen?"

"Weiß dieser Kerl denn immer alles?"

Genervt ließ Cassie den Kopf auf den Tisch fallen.

"Äh...Cas?"

"Was denn?"

"Tut das nicht weh?"

Gerade als Cassie aufspringen und sich auf ihren Bruder stürzen wollte, stand plötzlich Nick wieder im Zimmer.
 

"Hier ist sie!", meinte er triumphierend und blickte hinter sich.

"Ähm...wo?", fragte Aaron irritiert und musterte den leeren Raum hinter dem schwarzhaarigen Jungen.

"Verdammt!"

Nick verschwand wieder und Cassie traf gerade den Blick ihres Zwillings, als Nick abermals durch die Tür stiefelte, diesmal ein kleines braunhaariges Etwas hinter sich her zerrend. Jessica wirkte beinahe wie eine sehr zierliche Statue, als Nick sie bei den Oberarmen packte und mitten im Zimmer abstellte.

"Na also", seufzte er und drückte dem verschüchtert wirkenden Mädchen eine kleine, runde Schachtel in die Hand.
 

Cassie beobachtete, wie der Junge sich gut gelaunt durch das dichte, schwarze Haar fuhr. Sie konnte es nicht fassen.

"Was hast du mit ihr gemacht?", fragte sie und ließ den Blick besorgt über ihre Mitbewohnerin schweifen.

"Tja, weißt du...manche Menschen muss man eben zu ihrem Glück zwingen." Nick lachte kurz auf und ein verschmitztes Glitzern stahl sich in seine Augen.

Cassie runzelte die Stirn. Sie war nicht fähig, den Blick von ihm zu nehmen, als er begann in einem Rucksack zu wühlen, der mitten auf der Couch lag. Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte und mit einem quadratischen, flachen Geschenk in der Hand drehte er sich zu ihr und Aaron um.
 

"Was ist? Ich dachte, ihr wolltet Patrick überraschen?"

Mehr als ein Nicken brachte Cassie nicht zustande.

Wieso, verdammt noch mal, fiel es diesem Jungen so leicht, alles was zwischen ihnen passiert war zu vergessen? So zu tun, als wären sie nie etwas anderes als flüchtige Bekannte gewesen? Und auch noch offensichtlich glücklich damit zu sein?

"Also los!"

Nick stellte sich an Patricks Zimmertür, lauschte kurz und bedeutete dann Cassie voran zu gehen.
 

Das Mädchen fühlte Nicks Nähe hinter sich und bevor sie nach der Klinke griff, drehte sich noch einmal den Kopf.

"Sollen wir...äh...singen oder so?"

Cassie fing einen amüsierten Blick aus hellen Augen auf.

"Bloß nicht! Der Schock, dass wir mitten in der Nacht in seinem Zimmer stehen wird reichen, schätze ich."

Wieder lachte er. Ein leises, angenehmes Lachen. Und noch viel wichtiger: Ein ansteckendes Lachen.

Und Cassie bekam kaum mit, wie sie ihn ansah und ebenfalls zu lächeln begann.

"Okay."
 

Es war eine lustige Sache. Patrick hatte tatsächlich noch tief und fest geschlafen, als ihn das erste Geschenk am Kopf traf. Das erste, was er sah war Aaron und man konnte in seinen noch halb geschlossenen Augen sehen, wie er sich nicht entscheiden konnte, seinen kleinen Bruder anzuschreien oder in den Arm zu nehmen.

Er tat beides.

Während Patrick vor sich hin fluchte und Aaron schließlich wieder von seinem Bett schubste, drückte Cassie Nick die Torte in die Hand und stürzte sich ebenfalls auf ihren großen Bruder. Zur Feier des Tages gab sie ihm sogar einen Kuss auf die Wange, was dieser halb angewidert, halb grinsend geschehen ließ.
 

Sie verbrachten etwa eine halbe Stunde damit, Patrick dazu zu bringen, die Torte anzuschneiden und ihm seine Geschenke zu überreichen. Er freute sich riesig über den Basketballdress von Aaron und das Album seiner neuen Lieblingsband von Nick.

Am Ende blieb nur noch Jessi übrig, die wie bestellt und nicht abgeholt neben der Tür stand. Auf einmal wurde es still im Zimmer.

Selbst in dem Dämmerlicht von Patricks Nachttischlampe konnte man die Röte sehen, die langsam aber sicher Jessicas Wangen hinauf kroch.

Seltsamerweise war es Nick, der als Erster reagierte. Er packte Cassie am Ärmel und zog sie Richtung Tür.

"Na los, Aaron, willst du da Wurzeln schlagen? Wo ist deine Sensibilität geblieben?", fragte der Junge, während er Cassie jetzt eine Hand in den Rücken legte, um sie nach draußen zu schieben.

Das Mädchen versteifte sich.
 

Nick schien das nicht entgangen zu sein, denn kurz darauf ließ er sie auch schon wieder los und bedeutete ihr nunmehr mit Gesten, Jessie und Patrick allein zu lassen.

Sie gehorchte, einmal mehr verwirrt über Nicks Sensibilität und selbst Aaron verstand den Wink mit dem Zaunpfahl.

Wenig später standen die drei wieder im Wohnzimmer. Aaron blickte fragend in die Runde.

"Was die beiden da drin jetzt wohl machen?"
 

Cassie zuckte mit den Schultern, Nick grinste.

"Weißt du, manchmal, wenn ein Junge und ein Mädchen sich ganz doll lieb haben-"

"Okay, okay. Lass deine dreckigen Fantasien gefälligst in deinem Schlafzimmer."

Nick begann zu lachen und drehte sich um.

Cassie kämpfte mit zwiespältigen Gefühlen. Sie konnte nicht leugnen, dass es ihr gefiel, Nick so locker und fast kindisch zu sehen. Das war ein Charakterzug an ihm, den sie bisher nur wenige Male erlebt hatte, nämlich die ersten Tage nach ihrer Anreise und selbst dann nur zufällig. War er sich ihrer Gegenwart bewusst gewesen, hatte er sich anders verhalten.

Damals war es Cassie nicht aufgefallen. Sondern erst jetzt, als sie genauer darüber nachdachte.
 

Sie wusste nicht, wieso Nick das getan hatte. Sie wusste nur, dass es schwer war, Nick nicht zu mögen oder gar sauer auf ihn zu sein, wenn er so war wie jetzt. Cassie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand gegen diesen verspielten Charme ankam.

Andererseits war spätestens jetzt eines mehr als klar: Nick hatte es geschafft. Sie hatten abgemacht, sich aus dem Weg zu gehen, was unter diesen Umständen des Tür an Tür Lebens eigentlich eher bedeutete: Keine Zusammenstöße provozieren.

Und der Junge tat genau das: Er behandelte sie wie jeden anderen auch. Wie jeden anderen, mit dem er normal umgehen konnte. Wie jeden anderen, der ihm nichts bedeutete.
 

Cassie hob den Blick und sah Nick auf seine Schlafzimmertüre zugehen.

"Wollen wir auch?"

Cassie nickte und folgte Aaron. Ihr Bruder öffnete gerade die Tür, da fiel die von Nick ins Schloss.

Das Mädchen runzelte verwirrt die Stirn und lauschte.

"Kommst du?"

Cassie zögerte einen Moment, dann folgte sie Aaron auf den Flur. Ihr Bruder war schon weiter gegangen, als das Mädchen noch einmal inne hielt. Dann schloss sie die Augen und zog die Tür zu.

Und doch.

Sie hätte schwören können, Tatjanas Stimme gehört zu haben.
 

Polizeibeamter Hennik lehnte sich erschöpft gegen seinen Einsatzwagen.

Seine Schicht war so gut wie zu Ende.

Und es wurde auch Zeit. Sicher, er war bei der Polizei und man sah öfter mehr als unerfreuliche Sachen, doch dies hier... Es war zum verrückt werden.

Hennik drehte sich um, als er einen Kollegen nach ihm rufen hörte. Dabei streifte sein Blick das Wrack des kleinen Ford Fiesta.

Die Sanitäter kümmerten sich um den LKW-Fahrer, der immer noch völlig unter Schock stand. Er hatte nur stockend und teilweise kaum verständlich seine Aussage machen können.

Offenbar war der Ford auf der Nebenspur gefahren, keine zwei Meter vor dem LKW. Dann hatte der Fahrer plötzlich geblinkt, aber dem LKW keinerlei Zeit gelassen abzubremsen.

Der hintere Teil des kleinen Wagens war vollkommen zerstört, man konnte von Glück sagen, dass keines der beiden Autos die Leitplanke durchfahren hatte.
 

"Hennik!"

Der Polizist schreckte aus seinen Gedankengängen, als sein Kollege ihn zum dritten Mal beim Namen rief.

"Was ist denn?"

"Hier!"

Hennik wurde eine Geldbörse in die Hand gedrückt.

"Ist das...?"

Er hatte die Frage noch nicht einmal beendet, da nickte sein Kollege auch schon und wandte sich ab.

Hennik hob den Kopf und beobachtete, wie die Hintertüren des zweiten Rettungswagens zugezogen wurden und dieser mit Blaulicht davon raste. Er hatte nicht viel von dem einzigen Verletzten mitbekommen. Aber dass es nicht gerade gut um ihn stand war selbst bis zu ihm durchgedrungen.
 

Gedankenverloren sah Hennik dem Rettungswagen nach.

Dann besah er sich den Gegenstand in seiner Hand genauer. Es war ein schlichtes, schwarzes Portemonnaie, das Logo einer ihm unbekannten Band war auf die Vorderseite gestickt.

Er öffnete es vorsichtig und fand sofort, nach was er gesucht hatte. Neugierig und gleichzeitig mit einem sehr flauen Gefühl in der Magengegend betrachtete er das Foto im Personalausweis.

Ein junger Mann sah ihm entgegen. Er hatte unordentliches schwarzes Haar und blaue Augen.

Seufzend wandte Hennik sich den Personalien zu und stockte. Er hob den Kopf, gerade noch rechtzeitig um den Rettungswagen in die Ausfahrt einbiegen zu sehen.

Mein Gott. Der Junge ist erst zwanzig...
 

Verwirrt schloss Cassie ihre Zimmertür hinter sich, als sie auf den Flur trat. Es war halb zehn Uhr abends und immer noch kein Anruf von Chris. Geschweige denn, dass er oder gar ihre Mutter im Internat aufgetaucht wären.

Das Mädchen hatte mittlerweile schon vier Mal versucht, ihren ältesten Bruder zu erreichen - Fehlanzeige.

Gut, jetzt war Chris aber jemand, der sein Handy immer und überall liegen ließ, kein Wunder also, dass man ihn nicht erreichte und vielleicht konnte er aus irgendeinem Grund nicht von zu Hause aus telefonieren. In dieser Familie war so einiges möglich.
 

"Hey!"

Cassie wandte den Kopf. Und wünschte, sie hätte einfach nicht hingehört.

"Was gibt's?" Betont lässig musterte sie Tatjana, die sich offensichtlich in ihr Partyoutfit geworfen hatte. Minirock, kniehohe Stiefel, tiefer Ausschnitt...

Beinahe konnte Cassie verstehen, dass Nick auf sie stand. Schließlich waren es doch immer diese Mädchen, die bei Jungs ankamen, oder? Die, die offen präsentierten, was sie zu bieten hatten.

Cassie wollte sich an dem Mädchen, welches gerade die Treppe vom zweiten Stock herunter gekommen war, vorbeidrängen, doch Tatjana fasste sie am Ärmel.

"Hast du sie noch-"

"Du kriegst ihn nicht!"

Einen Moment lang starrte Cassie das Barbiepüppchen an, dann riss sie sich los und verzog das Gesicht.

"Was?"

"Du hast mich schon verstanden."
 

Es war fabelhaft. Hatte sie nicht schon genug Probleme? Mit ihrer Mutter, ihrem unauffindbaren Bruder?

Musste diese Schnepfe jetzt auch noch einen auf Besitz ergreifend machen? War die Tussi blind, dass sie nicht checkte, dass ihr heiß geliebter Nickyboy und sie selbst sich aus dem Weg gingen?

"Hör zu, du Nervensäge: Ich will nichts von ihm, klar?"

Wieder versuchte sie, Tatjana einfach stehen zu lassen. Doch das Mädchen schnitt ihr den Weg ab, indem sie sich mit verschränkten Armen vor die Treppe stellte.

"Ich hab dich nicht angesprochen, um mit dir dieses "Ich-will-nichts-von-ihm, willst-du-wohl!"- Spielchen zu spielen."

"Nein?"

Cassie merkte, wie das schlichte Gefühl der Gereiztheit von Wut abgelöst wurde. Was sollten die Kindereien?
 

Tatjana hatte doch alles, was sie wollte.

Sie stiefelte heute schon den ganzen Tag Händchen haltend mit Nick durch die Gegend. Und wenn Cassie sich nicht getäuscht hatte war auch sie es, die neuerdings Nicks Bett teilte.

Das erste Mal spürte Cassie das konkrete Gefühl der Eifersucht. Den ganzen Tag hatte sie die Leere niedergekämpft, die Nicks Platz hinterlassen hatte. Der Verlust seiner genervten Blicke, seiner spöttelnden Worte...es fehlte einfach.

Und jetzt kam diese braungebrannte Zicke und tat so, als wäre sie das Opfer?

Also, entschuldige mal...
 

"Vielleicht hättest du die Güte mir zu verraten, was du dann willst!"

"Dir nur sagen, dass du ihn nicht kriegst."

"Ich will ihn auch nicht, verdammt!"

Tatjana seufzte. "Wir drehen uns im Kreis."

"Ach ja? "

Die Mandelaugen sahen Cassie einen Augenblick lang prüfend an, dann ging das Mädchen einen Schritt auf sie zu.

"Hör mal, ich weiß nicht, was zwischen euch läuft oder gelaufen ist. Aber jetzt gehört er mir. Ich wollte nur, dass du das weißt."

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ Cassie einfach stehen.
 

Es war nicht so, dass Tatjana Cassandra hasste. Tatsächlich glaubte sie, dass sie das Mädchen sogar ganz gut leiden könnte, wäre sie nicht zufällig...ja was?

Tajana saß auf der untersten Treppenstufe und nippte an irgendeinem süßen Alkopop, während jemand die Musik lauter stellte und die ersten Leute in der Eingangshalle zu tanzen begannen.

Nicks Ex?

Tatjana hatte schon öfter darüber nachgedacht. Vieles deutete darauf hin, dass die beiden einmal zusammen gewesen waren.

Die Streitereien. Die ständigen Beteuerungen, dass der jeweils andere ihnen egal sei. Die offensichtliche Zuneigung.

Denn dass da etwas war, das hatte sie erst an diesem Morgen wieder bestätigt bekommen. In aller Herrgottsfrühe war sie aufgewacht nur um festzustellen, dass Nick nicht mehr neben ihr gelegen hatte.
 

Und als sie die Tür geöffnet hatte war ihr ein höchst seltsames Bild entgegen gesprungen. Leise hatte Tatjana die Türe noch ein Stückchen weiter geöffnet und alle Details, die sie in dem vom Flur kommenden Lichtschein hatte erkennen können, in sich aufgenommen.

Nick stand da, das Gesicht der geöffneten Zimmertüre zugewandt, so dass Tatjana etwas mehr als sein Profil sehen konnte. Sie war seinem Blick gefolgt und sofort hatte sich etwas in ihr verkrampft.

Cassandra.

Sie hatte keine zehn Zentimeter von dem Jungen entfernt gestanden. Die Hände abwehrend erhoben. So als hätte sie ihn gerade weggestoßen.

Tatjana hatte sich den Hals verdreht, so dass sie Nicks Augen sehen konnte. Und dieser Ausdruck war es gewesen, der sie dazu gebracht hatte, Cassandra vorhin auf dem Flur anzusprechen.
 

Es war ein Ausdruck, wie Tatjana ihn in den hellen Augen noch nie gesehen hatte. Und sie bezweifelte, dass Nick ihr jemals solch einen Blick schenken würde.

Ein Blick, der kaum auffiel wenn man den Jungen nur flüchtig betrachtete.

Ein Blick, der so viel sagte, wenn man genau hinsah, Nick ein bisschen kannte und imstande war, neutral zu werten.

Ein Gemisch aus Verwirrung, Hoffnung und Enttäuschung.

Schön, verwirrt hätte er aus vielerlei Gründen sein können. Doch wieso machte Nick sich Hoffnungen, wenn er Cassandra sah. Hoffnungen, von denen er offensichtlich wusste, dass sie nichts wert waren. Das war der Part der Enttäuschung.
 

Und doch.

Mit all dem hätte Tatjana leben können. Wen interessierte es, was zwischen den beiden war, solange Nick wusste, dass es nichts brachte? Solange er sich damit abgefunden hatte.

Doch da war noch etwas anderes gewesen.

Scheu.

Und genau das konnte Tatjana nicht akzeptieren. Vielleicht kannte sie Nick noch nicht wirklich lange, aber sie wusste, dass er nicht schüchtern oder zurückhaltend oder etwas in der Richtung war. Das passte einfach nicht zu ihm.

Und wenn es einen Menschen gab, der solch ungewöhnliche Reaktionen in ihm hervorrief, musste das bedeuten, dass diese Person etwas Besonderes für Nick war.

"Hey, willst du tanzen?"

Tatjana sah auf und traf den Blick zweier blaugrünen Augen. Bei dem verspielten Ausdruck auf dem hübschen Gesicht musste sie grinsen.

"Okay."

Nick reichte ihr die Hand und Tatjana ließ sich hochziehen. Sie würde diesem Jungen noch eine Chance geben.
 

Gehen. Bleiben. Gehen oder bleiben?

Was hielt sie hier?

Cassie ließ zum etwa hundertsten Mal den Blick durch die Eingangshalle schweifen.

Sie sah tanzende und lachende Jugendliche, alle um einiges besser drauf als sie selbst.

Sie sah einen gerade achtzehnjährigen Bruder, der seit sie hier unten war nichts anderes tat, als sich zu betrinken.

Und sie sah ein dunkelhäutiges, schwarzhaariges Modepüppchen, das mehr als eng umschlungen mit einem blauäugigen Aufreißer tanzte.

Cassie seufzte und ließ sich von Mikael, der neben ihr saß, noch eine Flasche Colabier geben.

Konnte ihr das nicht egal sein?

Natürlich konnte es das. Nur war es eben nicht.

Warum? Das konnte Cassie beim besten Willen nicht genau sagen. Es hatte etwas zu tun mit dem: "Etwas Besonderes sein wollen."
 

Das war so albern.

Mit den Augen suchte Cassie die Tanzfläche nach einem bestimmten Gesicht ab. Sie fand es in der Nähe des Billardraumes, so weit von Nick weg, wie es in dem begrenzten Raum möglich war.

Pascal.

Er tanzte mit Gil und nur, wenn seine Freundin nicht hinsah, wagte er einen mörderischen Blick in Richtung seines Bruders.

In gewisser Weise war er wie Cassie.

Auch Pascal hatte ein Problem mit Nick. Und auch er bekam es nicht hin, ihn einfach links liegen zu lassen. Beinahe sah es aus, als hätte Nick etwas an sich, das es einfach unmöglich machte, ihn zu ignorieren.
 

Cassie beobachtete, wie Gil sich an Pascals Brust schmiegte und sie fragte sich, ob ihre Freundin mittlerweile mehr wusste als sie. Wegen der Sache mit Lara, ihrem Selbstmord und der angeblichen Vergewaltigung. Vielleicht sollte sie Gil bei nächster Gelegenheit mal darauf ansprechen...

"Sag mal, ist alles okay?", fragte Mikael misstrauisch, als Cassie abermals die Hand nach einer neuen Flasche ausstreckte.

"Sicher, was soll denn nicht okay sein?" Aus den Augenwinkeln beobachtete Cassie Tatjana, die Nick kurzzeitig allein ließ, um sich etwas zu trinken zu holen. Täuschte sie sich, oder war die Flasche, mit der das Mädchen zurückkehrte, wirklich Wodka? Hochprozentiges Zeug war im Internat verboten.
 

Für einen Moment kam Cassie die Idee, Tatjana einfach zu verpetzen. Aber was wäre dadurch gewonnen? Für eine Flasche Wodka flog niemand vom Internat, genauso wenig wie für das Verlassen des Geländes mitten in der Nacht...

"Warum sind eure Eltern eigentlich nicht gekommen?"

Cassie runzelte die Stirn und sah Mikael in die Augen. Warum nicht einfach alles erzählen? Warum nicht endlich mit jemandem reden?

"Unsere Mutter ist krank und unser Stiefvater wollte sie nicht alleine lassen. Wir feiern demnächst noch mal mit der Familie."

Mikael nickte. Er glaubte ihr.

Cassie wusste es. Sie war eine gute Lügnerin.

"Willst du tanzen?"

"Klar."
 

Sie standen auf und mischten sich unter die Leute. Mikael hatte ein ruhiges Lied gewählt und Cassie meinte zu wissen, was er damit bezwecken wollte. Sie legte ihre Hände in seinen Nacken und spürte Mikaels an ihrer Hüfte.

Sie begannen, sich zum sanften Rhythmus der Musik zu bewegen und Cassie wagte einen Blick über Mikaels Schulter.

Helle Augen waren auf sie gerichtet.

Nick tanzte wieder mit Tatjana und das Mädchen redete ununterbrochen auf ihn ein. Der schwarzhaarige Junge schien das gar nicht wahr zu nehmen.

Seine Aufmerksamkeit galt etwas anderem.

Es dauerte einen Moment, bis Nick zu realisieren schien, dass das blonde Mädchen zurückstarrte.

Cassie verfolgte, wie sich sein Gesichtsausdruck änderte. Nachdenklichkeit wich Ausgelassenheit. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und er lachte Cassie zu.

Das Mädchen drehte den Kopf weg. Ihr war schlecht.
 

Cassie hatte keine Ahnung, wie lange sie mit Mikael tanzte und vorgab, Nicks freundliche Blicke nicht zu sehen.

Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und schielte doch zu dem anderen Paar - doch da war es bereits verschwunden. Cassie löste sich von ihrem Tanzpartner und suchte mit den Blicken die Halle ab. Schließlich entdeckte sie die beiden am Treppenabsatz. Sie waren auf dem Weg nach oben und es schien, als könnte Tatjana sich kaum noch auf den Beinen halten. Nick hatte einen Arm um ihre Hüfte gelegt und trug sie mehr die Stufen hinauf, als dass er sie stützte. Schien, als vertrug das dunkelhäutige Mädchen nicht allzu viel Wodka.
 

Cassie tanzte noch eine Weile mit Mikael, doch merkte schon bald, wie ihr die Nähe des Jungen zu viel wurde. Eben, als Nick noch getanzt hatte, war Mikael so etwas wie eine Zuflucht gewesen. Er hatte sie geschützt. Doch nun, wo keine Gefahr mehr drohte, fühlte Cassie, wie sie lieber etwas Abstand hätte.

Sie sah zu dem Finnen auf.

"Sei mir nicht böse, ich setz mich ein bisschen hin, ja?"

"Hey, kein Problem."

Er machte Anstalten, ihr hinterher zu kommen.

"Ich möchte allein sein. Für eine Weile."
 

Mikael sah enttäuscht aus und mit schlechtem Gewissen wandte Cassie sich ab. Wahrscheinlich war es falsch. Wahrscheinlich sollte sie Mikael einfach sagen, was Sache war, doch mit der Wahrheit hatte sie ja selbst Probleme.

Cassie erreichte den Klapptisch, auf dem ein Dutzend angebrochener Getränke stand und schnappte sich einen Stuhl. Noch bevor sie sich darauf fallen lassen konnte, vibrierte ihr Handy.

Fluchend zerrte sie es aus der Jeans und ging mit großen Schritten auf die Treppe zu, hoffend, dass die Musik nicht genauso laut in den ersten Stock drang.

"Ja?"

Cassie kämpfte sich durch die Schülerschar und verstand kaum ein Wort von dem, was der Anrufer sagte. Doch die Stimme war ihr vertraut.
 

"George? Warte mal, ich versteh hier nichts..."

Cassie meinte, ein "Okay!" verstanden zu haben und stiefelte die Treppe hoch.

Hier war es merklich ruhiger.

"George? Bist du noch dran?"

"Ja."

"Also, was gibt's?"

Cassie lehnte sich an die Wand und ihr Blick ruhte auf der Flurtapete. Etwa zehn Möglichkeiten gingen ihr durch den Kopf, wieso der Mann ihrer Mutter sie am Geburtstag ihres älteren Bruders, zu dem sie nicht gekommen waren, anrief.

Auf den wahren Grund, mit dem sie Sekunden später von ihrem Stiefvater konfrontiert wurde, war sie nicht vorbereitet. Hatte sie nicht vorbereitet sein können.

"Cassie, es geht um Chris..."
 

Kaum eine Minute später fiel das Handy zu Boden. Es gab einen dumpfen Laut von sich, doch das Mädchen hörte es nicht mehr. Sie fühlte sich betäubt, spürte, wie die Luft knapp wurde und sah die Schwärze, die sich in ihr Blickfeld drängte.

Sie dachte an Chris, an sein schwarzes Haar und an sein fürsorgliches Lächeln. An seine liebenswerte Zerstreutheit und der Flur begann sich zu drehen. Cassie hatte das Gefühl, die Wand hinter ihr würde nachgeben. Das Atmen fiel ihr immer schwerer und schließlich rutschte sie zur Seite, streckte beide Arme aus, um sich irgendwo festzuhalten und fiel.

Jemand fing sie auf.

Cassie war egal, wer es war. Sie lehnte sich an den warmen Körper und wünschte, sie würde ohnmächtig werden
 

Nick hielt sie fest. Er war in die Knie gegangen und presste den zitternden, schmalen Körper an sich. Der Schock stand dem Jungen ins Gesicht geschrieben.

Er hatte keine Ahnung, was passiert war. Er war die Treppe runter gekommen, nachdem er Tatjana auf ihr Zimmer gebracht hatte. Und dann hatte er Cassie hier stehen sehen.

Leichenblass.

Er war auf sie zugegangen und in dem Moment, als er sie erreichte war sie ihm entgegen gefallen.

Nick strich dem Mädchen beruhigend über den Kopf. Er spürte, dass sie nicht ohnmächtig war. Sie klammerte sich an ihm fest und machte nicht den Anschein, als wollte sie ihn je wieder loslassen.
 

Cassie vergrub ihr Gesicht in dem Stoff von Nicks Shirt. Ihr war schlecht und schwindelig, doch die erlösende Ohnmacht wollte einfach nicht kommen.

"Was ist los?"

Sanft wurde sie weg geschoben. Helle Augen suchten ihren Blick, doch Cassie starrte auf einen unsichtbaren Punkt zwischen Nicks Kopf und der Wand.

Es war so unwirklich.

Nicht die Sache mit Chris. Sie wusste, das war real.

Aber diese Situation. Vielleicht kam es daher, weil ihr Sichtfeld noch immer etwas verschwommen war.
 

"Komm schon. Sag mir, was passiert ist!"

Langsam hob Cassie den Blick. Sie sah Nick an und sah ihn doch nicht. Cassie wusste nicht, woher die plötzliche Wut kam, doch sie ließ sie an dem einzigen Menschen aus, der da war.

"Lass mich in Ruhe!" Sie schubste Nick weg und stand auf.

Es war so unfair!

Warum tat Chris das? Warum passte er nicht besser auf? Warum kümmerte sich ihre Mutter nicht mehr um ihre Kinder? Warum?
 

Verzweifelt starrte sie Nick an. Sie wollte weinen, wollte schreien, wollte um sich schlagen. Wollte der ganzen Welt zeigen, wie sie sich fühlte. Und sie wollte jemandem wehtun. Sie wollte Chris wehtun, und ihrer Mutter und George, weil er ihr einfach solch eine Nachricht überbrachte und Nick, weil er einfach da stand und nichts tat und Aaron, weil er jetzt nicht da war.

"Es tut mir leid", flüsterte Nick und kam auf sie zu.

"Du weißt doch gar nicht, um was es geht! Lass mich!" Sie schlug seine Hand zur Seite, als er versuchte, sie in den Arm zu nehmen.
 

"Hat es etwas mit deiner Familie zu tun?" Nick griff nach ihren Handgelenken und hielt sie fest. Er sah ihr in die Augen. Dann zog er sie an sich.

"Was ist passiert?"

Cassie versuchte den Jungen wegzustoßen, doch er hielt sie fest. Sie schlug nach ihm, wehrte sich mit aller Kraft, doch Nick war wie ein Fels in der Brandung. Eine Hand auf ihrem Rücken, eine in ihrem Nacken, redete er mit beruhigender Stimme auf sie ein.
 

"Hör auf damit, lass mich los! Lass mich los! " Doch sie spürte, dass sie zu schwach war, um sich gegen ihn wehren zu können. Und das machte sie noch wütender.

Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen.

Sie weinte aus Wut und Hilflosigkeit und hörte nicht auf, sich gegen Nicks sanften, aber bestimmten Griff zu wehren.

"Ich hasse dich! Ich hasse dich, Nick! "

Der Junge begann, ihr das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Liebkoste zärtlich ihr Gesicht. Cassie sah in die besorgten hellen Augen.

Und die unbändige Wut war verraucht.

Sie ließ sich an Nicks Brust sinken und begann zu schluchzen.
 

Sie weinte lange. Bald spürte Cassie, wie ihre Augen von dem Salzwasser brannten und den Stoff von Nicks T-Shirt, der völlig durchweicht war.

Und doch fühlte das Mädchen, dass es half. Zumindest meinte sie nicht mehr, jeden Augenblick vor Wut und Verzweiflung platzen zu müssen.

Eine gewisse Leere machte sich in ihr breit, so als würde mit den Tränen auch ihr gesamtes Inneres ausgeschwemmt.

Irgendwann spürte sie, wie Nicks Hand ihren Hinterkopf verlies und sich stattdessen um ihre Kniekehlen legte. Er hob sie hoch und Cassie wehrte sich nicht. Sie verbarg ihr Gesicht weiterhin an seiner Brust. Sie vertraute ihm.
 


 

Ich hoffe, es hat euch gefallen. Auch wenn nicht, Kritik ist genauso willkommen wie Lob!!!
 

Bis dann!

Kendra



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)
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Von: abgemeldet
2005-09-25T14:57:35+00:00 25.09.2005 16:57
Ich muss sagen du hast echt talent zum Schreiben. Ich freu mich schon total auf's nächste Kapitel und wie es weiter geht und vor allem was ist genau mit Chris los. Ich hoffe er lebt noch.

bye
Von: abgemeldet
2005-09-21T17:56:50+00:00 21.09.2005 19:56
Heee Hi ^^
Wow deine geschichte is echt Coool!!!!
Sei stolz auf deinen Schreibstyl, echt einfach geil.
ich hopffe wirklich du schreibst weiter. (Schau nähmlich jedes mal nach wenn ich im Net bin....^^)
Kira
Von:  Renako
2005-09-11T16:49:20+00:00 11.09.2005 18:49
1. Mein Kommentar kommt etwa zwei Monate zu spät *drop* Tut mir Leid T.T Ich gelobe Besserung, ehrlich!!!

2. Ich höre definitiv jedes Mal die falsche Musik, wenn ich Cassie lese. "A Man With A Harmonica" aus "Once Upon A Time In The West" (oder auch Das Lied vom Tod -.-') und Cassie schreit "Ich hasse dich Nick". Wahhh, das macht einen fertig! Wie schlimm T.T

3. Kommen wir zum konstruktiven Teil *räusper*
Also an sich war das Chap echt supertoll. Diese ganzen Szenen zwischen Nick und Cassie, es ist wirklich so, als stände man direkt daneben, bzw. befände sich irgendwo in den beiden drin. Ganz große Klasse. Besonders die Szenen am Ende. Wow, wow, wow. Ich hab mich auch mal versucht, sowas zu schreiben, aber bei mir wirkte es viel zu hölzern. Bei dir kann man mitheulen ^.^

Und das mit Chris. Oh man, das ist so schlimm T.T Das ist so schrecklich, ich will gar nicht wissen, was da passiert ist!

Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich sehr stolz auf dich bin, dass du so viel regelmäßiger weiterschreibst als ich ^^d

Ich freu mich aufs nächste =)

lg, Renako
Von:  Renesmee-Bella
2005-08-23T07:54:59+00:00 23.08.2005 09:54
Wow, das ende fand ich besonders toll....ich hätte fast mit heulen können!
Ich möchte noch unbedingt wissen was mit Chris passiert ist, ich hoffe es ist nix schlimmes.

Ich hoffe das nächste Kapitel kommt bald bin schon total gespannt darauf.

Bye Bye
Von: abgemeldet
2005-07-05T14:59:40+00:00 05.07.2005 16:59
toll... du hast es mal wieder geschafft, dass ich angefangen habe zu heulen... wehe... und ich sage es noch mal WEHE chris ist irgendwas passiert!!!! ich weiss wo dein auto steht (hast du überhaupt eins? ^^") also du schaffst es echt mich fertig zu machen... deine geschichte wird immer geiler... ich höre dabei immer HIM und das is vielleicht auch der grund warum ich so leicht anfange zu heulen... ich hoffe mal dass das nächste kapitel nicht so lange auf sich warten lässt auch wenn du viel stress hast...jaja ich bin so ein egoist :P jedenfalls finde ich die entwicklung der charaktere sehr interessant und vorallem MENSCHLICH... ich glaube jeder kennt das bedürfnis etwas besonderes für jemanden sein zu wollen. und grade weil deine charas diese ecken und kanten haben, habe ich sie so in mein herz geschlossen und kann mich mit ihnen identifizieren... niemand ist perfekt und das sollte auch niemand sein.
naja was soll ich noch sagen... ich liebe deine story und vielleicht gibt es ja auch noch einen zweiten teil wenn sie abgeschlossen ist?? (ich egoist muhahaha)
die mutter von cassie & co scheint ja echt ein miststück zu sein... an dem 18. Geburtstag ihres Sohnens scheinbar nich mal anzurufen, geschweige denn vorbeizuschauen... ist gleichgültigkeit nich sogar schlimmer als hass? ich wünsch ihr jedenfalls die pest an den hals
und was cassie und nick betrifft... die beiden gehören einfach zusammen... glaube kaum dass nick vor hat tatjana zu heiraten... ich meine.. ein bisschen grips hat der junge ja doch... :P
mikael tut mir ein bisschen leid, er scheint ein echt netter kerl zu sein (aber wer will schon einen netten kerl?) aber diese Sielchen gehören wohl einfach dazu... einer ist immer der gearschte
ich fände es schön, wenn wir mal mehr über diese mysteriösen umstände um Lara erfahren würden... ich wüsste wirklich zu gerne was damals genau vorgefallen ist... aber das bleibt natürlich ganz deine entscheidung uns weiterhin im dunkeln tappen zu lassen ^^"
bis zum nächsten chap

mfg YamiSun
Von:  Asketenherz
2005-07-05T08:00:31+00:00 05.07.2005 10:00
Ji haaaa! Ich meine mein Kommi haste ja eigentlich schon, aber ich denke es ist gut für die Zahlenstatistik. Ich finde es endgeil, dass Nick es einfach nicht lassen kann mit ihr zu spielen und es tut es, keine Widerrede. Ist halt seine Machonatur. Hach und ehrlich gesagt bin ich ja schon riesengroßer Fan und les Tag für Tag immer mal wieder aus den Anfängen und so....weil es immer soooooooo lange (jedenfalls in meinen Augen) dauert, bis ich das nächste Kapitel betalesen kann...also Cassie ist sozusagen zu meiner Bibel geworden....äh....ja. ^-^'

Lg

Dark
Von:  capricious
2005-07-04T13:37:15+00:00 04.07.2005 15:37
Wow das war ganz ganz toll geschrieben
die story wird einfach immer immer besser!!!!
schreib ganz schnell weitaaaaaaaaaaaaaa!!!!

einen kritikpunkt hab ich aba=)
aba nur einen klitzeklitzekleinen;)
du sagst immer dunkelhäutig!
ist tatjana jetzt ne schwarze? weil du sonst sagst sie wär sone tussi die braungebrannt wär
darunter versteh ich aber keine schwarze;)
also weiß nciht den ausdruck find ich nicht so gut;)

WEITER SO!!!
UND ZWAR SCHNELL!!!
Von: abgemeldet
2005-07-03T16:13:08+00:00 03.07.2005 18:13
hach jaaa.. wie immer ein tolles kappi! *thumbs up!*
ich liebe diese ff alsoo! weiiter :-p

Ich hoffe, dass ich kappi 12 bald lesen kann ;)
Von:  Ming-Ling
2005-07-02T11:19:17+00:00 02.07.2005 13:19
Hach, war das schön, erst diese Ignorierungsversuche von Cassi und Nick und dann liegen sie sich doch in den Armen. Aber, ich glaube der Grund dafür ist weniger schön oder....hoffentlich ist es nicht das, was ich denke, was es ist...aber ich denke schon*verwirrtist*!!!

Ich hoffe, dasss es bald weiter geht!!!

BYE deine Ming
Von: abgemeldet
2005-07-01T19:02:56+00:00 01.07.2005 21:02
Hurra, endlich ein neues Kapitel...

Ich liebe deine Story. Du hast einen tollen Schreibstil und man kann alles gut nachvollziehen.

Ich hoffe es geht bald weiter... warte ungeduldig darauf...

Bye ^^'


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