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Aschenstaub

Der erste Zauberkrieg
von

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Wider den Erwartungen


 

Umgebung von Exeter, März 1971

 

East Devon war deutlich wärmer als Nordschottland. Das fiel Minerva nach ihrer Apparation direkt auf. Das Zweite waren die Narzissen, die mutig zu ihren Füßen die Köpfe aus der harten Erde streckten. Der Frühling kam in großen Schritten näher und mit ihm die neue Quidditchsaison.

Normalerweise hätte sie heute im Stadion auf den Rängen gesessen, um das Training ihrer Hausmannschaft zu unterstützen. Aber was war in diesem Jahr schon normal? Dass sie am Mittwochmittag in Gestalt einer rothaarigen Frau auf einem Feld unweit von Exeter mitten in Südengland landete jedenfalls nicht.

Unruhig nestelte sie die obersten Knöpfe ihres schlichten Umhangs auf, der für das Wetter viel zu dick war, da ploppte es auch schon hinter ihr. Eine zweite Person tauchte aus dem Nichts auf, genau wie sie ganz in Schwarz gewandt. Sie erkannte das glatte Gesicht des Mannes nicht wieder – dafür aber sehr wohl das Lächeln, bei dem der rechte Mundwinkel stets ein Stück höher wanderte als der linke.

»Zehn Mal«, sagte er, bevor sie den Mund auch nur geöffnet hatte.

Selbst ohne Zutun des Frühlingswindes erwärmten sich ihre Wangen genauso wie ihr Herz. Sie lächelte ebenfalls. »Und meine Frage? Ich will die Verwandlung nicht ruinieren und zur Katze werden. Es hat lang genug gedauert, die Sommersprossen glaubwürdig hinzubekommen.«

Elphinstone legte den Kopf – heute mit hellbraunem Haar darauf – schief. »Du kannst mir sagen, wo ich es zum elften Mal versuchen darf.«

»Denk nicht mal dran.« Schnaubend wandte sie ihm den Rücken zu und sah über die seichten Hügel in die Ferne. Dann fügte sie leiser an: »Madam Puddifoots Café. Der Tisch ganz links, am Fenster. Immer derselbe seit 1959. Wenn –«

»– es so weit ist.« Mit einem sanften Glucksen schob Elphinstone seinen Arm unter ihren. »Ich weiß.«

Heute war er ein Stück größer als sie, da sie nicht nur ihre Gesichtszüge, sondern gleich ihren ganzen Körper für diese verdeckte Mission angepasst hatte. Ein Vorteil für ihn, denn so konnte er ihr mühelos einen Kuss auf den Haaransatz drücken. Sie erschauderte.

Um sich von dem Ziehen in ihrem Magen abzulenken, besah sie sich sein verzaubertes Gesicht im Detail. Rasch kam sie zu dem Schluss, dass er ihr mit allen Spuren seines wahren Alters und den volleren Wangen deutlich besser gefiel als diese Erscheinung eines konventionellen Schönlings. Was sie auch sogleich aussprach. Dass sich Elphinstones Ohrenspitzen trotz seiner Verwandlung noch auf ihre übliche Art röteten, versöhnte sie zumindest etwas mit seiner gewählten Gestalt. So sehr sie ihre Lieblingsmagie auch schätzte, so ungern beobachtete sie deren Veränderungen an bekannten Menschen. Sie liebte Elphinstone nicht umsonst für all seine Eigenheiten – umso beruhigender war es daher, die vertrauten Details seiner Mimik wiederzufinden.

»Du weißt, wohin wir müssen?«, fragte sie, wohlwissend, dass ein richtiger Kuss nicht passieren würde, solange sie beide ein fremdes Gesicht trugen. Egal, wie sehr sie es sich herbeisehnte. Das brachte sie einfach nicht über sich.

Elphinstone nickte. »Es ist nicht weit. Nur ein Stück ...« – er legte seinen Zauberstab auf die Handfläche und murmelte einen Vier-Punkte-Zauber – »... dorthin.«

»Dann komm.«

Beieinander untergehakt setzten sie sich in Bewegung. Minerva hatte erwartet, dass sie nervös sein würde – beim Frühstück in der Großen Halle hatte sie Pomona damit vertrösten müssen, dass sie wirklich nur einen gebutterten Toast runterbrachte. Und zwar nicht wegen des baldigen Wiedersehens mit Elphinstone. Doch nun, da ihrer beider Ermittlung tatsächlich weiterging, war das Gedankenkarussell abrupt verstummt.

»Was macht unser Freund Benjamin Cowper?«, erkundigte sie sich. »Hast du ihm erzählt, dass wir heute seinem alten Arbeitsplatz einen Besuch abstatten?«

»Nein, das wär eh aussichtslos. Nachdem er letzte Woche auch auf die doppelte Dosis Veritaserum nicht angesprochen hat, müssen wir uns wohl mit der Aussicht abfinden, dass er nicht nur einem beliebigen Zungenfesselfluch unterliegt, sondern einem wirklich gelungenen.«

»So schlimm?«

Aus dem Augenwinkel registrierte sie, wie Elphinstone sich auf die Innenseite der Wange biss. »Er windet sich wie ein Flubberwurm. Ich schätze, die Befragung bereitet ihm Schmerzen ... auch wenn er versucht, es nicht zu zeigen.«

Sie hob eine Augenbraue. »Das klingt furchtbar!«

Er rieb sich den Nacken. »Nun, ja ...«

Prüfend musterte sie sein Profil. Er mochte verwandelt sein, aber die zu schmalen Strichen aufeinandergepressten Lippen oder verräterische Falten auf der Stirn waren bei allen Menschen ähnlich. »Phin ...«

»Ich bin nicht Mulciber, das weißt du, oder?«

»Natürlich.«

»Gut. Denn da es mir nichts bringt, diesen Mann sinnlos zu ärgern, befrage ich ihn selbstverständlich nicht weiter. Er wird seine gerechte Strafe so oder so bekommen. Das Dunkle Mal auf seinem Unterarm ist schließlich eindeutig.«

Zustimmend brummte sie.

»Hat sich denn an der Kirche noch etwas ergeben?«, fragte Elphinstone nun im Gegenzug. »Du hattest ja geschrieben, dass Professor Dumbledore sich selber ein Bild machen will.«

Jetzt war sie diejenige, die nur ein vages Seufzen von sich geben konnte. »Wir haben überhaupt nichts entdeckt. Nicht mal mit Albus’ Genie lassen sich Dinge finden, die gar nicht da sind. Und da wir keinen weiteren Vestigiator zur Verfügung haben ...« Sie hob die Schultern. »Cowpers Verbindung zu diesem Bestattungsinstitut ist unser einziger Anhaltspunkt.«

»Na, was für ein Glück, dass wir dort heute eine außerordentliche Betriebsprüfung vornehmen werden!«

»Glück ...« Sie warf Elphinstone einen durchdringenden Seitenblick zu. »Ich will wirklich nicht wissen, was du in den letzten zwei Wochen getan hast, um das alles hier zu arrangieren.«

»Dann werde ich auch nichts sagen.« Äußerst selbstzufrieden gluckste er und erinnerte sie daran, dass er eben ein wahrer Slytherin war. »Ach ja – hier ist im Übrigen dein Ausweis.« Er langte in seine Umhangtasche und zog ein in Leder gebundenes Stück Pergament hervor, auf dem das goldene Siegel des Zaubereiministeriums prangte. »Herzlichen Glückwunsch, Miriam McDougal, Sie sind jetzt eine frischgebackene zauberamtliche Betriebsprüferin.«

Mit zusammengekniffenen Lidern starrte Minerva auf den Ausweis, den er ihr vors Gesicht hielt. Das Passbild darauf war echt, denn es hatte sich von alleine ihrem verwandelten Äußeren angepasst. Diese Art magischer Bilder war durch das kostspielige wie aufwändige Herstellungsverfahren selten, aber ebenso notwendig für Pässe unterschiedlicher Art, um zu verhindern, dass Verwandlungen allzu häufig missbraucht wurden. Und sie waren in der Regel fälschungssicher. Was allerdings nicht hieß, dass man sie nicht auf einem gefälschten Pass anbringen konnte.

»Ich hoffe nur, dass niemand Verdacht schöpft«, grummelte sie. »Was du tust ist eine Sache, du bist immerhin Strafverfolger und hast gewisse Befugnisse, aber ich als Zivilistin sollte definitiv nicht hier sein. Wenn das auffliegt, bin ich meine Stelle in Hogwarts los. Mindestens.«

»Keine Sorge«, erwiderte Elphinstone und drückte ihr den Ausweis in die Hand. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, diese sacht zu streicheln. »Ich habe Pippa informiert. Jetzt ist es endlich mal von Vorteil, dass ihre Moral stellenweise ähnlich lose ist wie Mulcibers. Sie wird nichts sagen, aber falls irgendwas schiefgeht, ist sie darauf vorbereitet uns zu helfen. Sie teilt nämlich meine Meinung, dass wir diese Verbindung so schnell es geht untersuchen sollten. Diskret versteht sich.«

Minerva seufzte und streckte ihr Gesicht in den Wind. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, dass er Elphinstones zärtliche Berührung war. »Mir ist trotzdem nicht ganz wohl dabei, ausgerechnet einen gefälschten Ausweis zu benutzen. Das ist etwas anderes, als eigenständig nach einem verschwundenen Jungen zu suchen oder ein paar Häuser zu beobachten. Das ist genauso illegal wie Vielsafttrank zu benutzen. Und du weißt, in welche Schwierigkeiten uns das letztes Jahr gebracht hat.«

Sie hörte Elphinstone tief Luft holen. Ihr war klar, was er sagen würde.

Nachdem der Tagesprophet in den letzten Wochen gleich zweimal die Schlagzeile ‚Grabschänder schlagen (wieder) zu‘ hatte bringen müssen, war die mögliche Verbindung zwischen Benjamin Cowpers alter Arbeitsstätte und Voldemorts Umtrieben bedeutsamer denn je. Dass bereits fünf Tage nach den Ereignissen in der Kirche die erste Leiche von einem magischen Friedhof vermisst gemeldet worden war, hatte jeden Gedanken an einen Zufall bei ihr getilgt.

»Ich weiß, Phin«, kam sie ihm matt zuvor. »Wir tun nur Gutes. Das will ich gar nicht anzweifeln. Ich habe nur Sorge um uns.«

Elphinstone atmete leise pfeifend aus. Statt etwas zu sagen, zog er seinen Arm unter ihrem hervor und schlang ihn im Austausch eng um ihre Taille. Dankbar lehnte sie sich gegen seine Seite, obwohl das ihrer beider Schritte behinderte.

Eine Weile spazierten sie so durch die südenglische Hügellandschaft und genossen ihr gegenseitiges Schweigen, bis sich in der Ferne ein großes, schiefwinkliges Haus abzeichnete. Gleich vier Schornsteine ragten aus dem Dach, die ein jeder auf Hochtouren liefen. Je näher sie kamen, desto lauter wurde es zudem. Sägen, Schleifen, Hämmern – alle Geräusche stammten von verzauberten Werkzeugen unter der Kontrolle einer Hexe in Arbeitskleidung. Mit gezücktem Zauberstab stand sie auf dem Vorplatz und dirigierte Holzplatten umher. Hinter ihr an der Hauswand lehnten bereits einige fertige Werke: Särge.

Der Anblick genügte, damit Minervas Magen sich zusammenzog. Schweren Herzens löste sie sich von Elphinstone. »Na dann ...« Sie strich ihre Kleider glatt. »Auf in den Kampf.«

Elphinstone nickte und zog seinen falschen Ausweis hervor. Fast augenblicklich änderte sich seine gesamte Haltung. Die Sanftheit trat in den Hintergrund, um dem Strafverfolger in ihm Platz zu machen. In großen Schritten hielt er auf das Bestattungsinstitut zu. »Hallo?«, rief er schon von Weitem.

Die arbeitende Hexe wandte sich um. »Oh hallo!« Vorsichtig platzierte sie ein halbfertiges Bauteil neben sich, ehe sie die Hände überflüssigerweise an ihrem Overall abwischte und ihnen entgegenkam. Ihr ovales Gesicht zeichnete sich ausnahmslos durch Freundlichkeit aus. »Willkommen bei Burtons«, sagte sie in einem gemessenen Tonfall. »Wie darf ich Ihnen weiterhelfen? Falls Sie Interesse an unseren Sarggarnituren haben, müssten Sie bitte erst einen Termin ausmachen.« Mit dem Daumen wies sie über ihre Schulter zu einem großen Schild an der Hausfassade.

Kein Probeliegen/schlafen zu Geschäftszeiten, hieß es da.

»... Probeliegen?«, echote Elphinstone dumpf. Mit hochgezogenen Augenbrauen beäugte er die Särge in verschiedensten Fertigungsstufen, als könnte einer davon sich entscheiden, ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen, wenn er sich nur näherte.

Die junge Sargmacherin runzelte die Stirn. »Entschuldigung – sind Sie keine Tagwandler?«

»Was?« Elphinstone lachte leise. »So würde ich mich jetzt nicht bezeichnen ... Was soll das überhaupt sein?«

»Nun, das ist natürlich nur einer von vielen Begriffen für vampirische Nachkommen«, erklärte die Hexe mit einem nachsichtigen Lächeln, als würde sie mit einem Kind sprechen. »Vielleicht ist in Ihrem Umfeld die Bezeichnung Scion geläufiger?«

»Ehrlich gesagt weder noch.« Elphinstone tauschte einen Blick mit Minerva, die ebenfalls nur mit den Schultern zucken konnte. »Ich höre auch gerade zum ersten Mal davon, dass es Vampire gibt, die bei Tageslicht nicht verbrennen.«

Ihr Gegenüber verkniff sich das Schmunzeln. »Ein hartnäckiger Aberglaube. Diejenigen, die nicht als Vampir geboren werden, sondern sich als Mensch an einen Meister binden, können bis zu ihrem ersten Tod durchaus in die Sonne treten. Aber da dies offensichtlich nicht auf Sie zutrifft, wollen Sie wahrscheinlich zu unserem Trauerberater? Der Haupteingang ist auf der anderen Seite. Ich bringe Sie gerne hin.«

Ausgebremst von so viel unerwarteten Erklärungen, vergaß Elphinstone glatt, ihr seinen Ausweis unter die Nase zu halten. »Danke, aber ich fürchte, wir haben keinen Termin ...«

»Das ist in diesem Fall kein Problem. Wir sind auch gerne im Notfall für Sie da.« Die Hexe bedachte sie beide mit einem entschuldigenden Nicken. »Mein Beileid im Übrigen für Ihren Verlust.«

Verlegen räusperte Elphinstone sich, doch Minerva kam ihm zuvor. »Wir sind weder zum Probeliegen noch in privater Angelegenheit hier«, gab sie zu. Kombiniert mit einem höflichen Kopfrucken ihrerseits zeigte sie das gefälschte Pergamentdokument vor.

»Oooh ...« Die Augen der jungen Hexe wurden so rund wie ihr Mund. »Eine Betriebsprüfung?«

»Leider«, erwiderte Elphinstone. »Ich würde mich auch lieber aufs Ohr legen. Wenn auch nicht unbedingt in einem Sarg.« Er hatte sich wieder gefangen und zeigte ein charmantes, aber doch professionelles Zwinkern.

»Nun, wenn das so ist, bringe ich Sie trotzdem gerne nach vorne zu unserem Institutsleiter. Hier entlang bitte.«

Sie folgten der Sargmacherin über das von Sägespänen übersäte Pflaster ums Haus. Obwohl es lächerlich war, lief Minerva beim Passieren der unfertigen Holzgestelle ein Schauer den Rücken hinab. Ihr Vater konnte in seinen Trauerpredigten noch so oft behaupten, dass der Tod nicht das Ende war und stets das Leben zu feiern blieb, sie mochte trotzdem nicht damit konfrontiert werden. Selbst Jahrzehnte später verfolgte sie der Anblick ihrer Großmutter, die starr auf weißem Samtfutter ruhte.

Elphinstone ließ sich nichts anmerken, aber er vermied es ebenfalls, die Sargrohlinge anzusehen. Wahrscheinlich war er in Gedanken bei seiner Schwester Elladora, die gerade erst ein halbes Jahr tot war. Am liebsten hätte Minerva seine Hand ergriffen – oder besser noch ihn in den Arm genommen. Lange konnte sie ihre Situation freilich nicht bedauern, denn schon gelangten sie durch Flügeltüren in einen kühlen Flur mit zur Hälfte holzgetäfelten, zu anderen Hälfte moosgrün gestrichenen Wänden. Magische Gemälde, auf denen langsam die Sonne über dem Meer aufging (oder eher unterging?), zierten den Weg.

Im Gegensatz zum geschäftigen Hinterhof strahlte das Innere des Bestattungsinstituts eine eigentümliche Ruhe aus. Fast so, als wäre es aus der Zeit gefallen. Dabei hörte man eindeutig das Pendel einer Standuhr schwingen. Vielleicht war das gedämpfte Licht schuld. Alles schien einen goldenen Schimmer zu haben, vom dunkelbraunen Parkett bis zu dem Broschürenständer, in dem Faltblätter aus Pergament über eine Reihe an Vampirservices informierten, gleich neben den Unterlagen für magische Einäscherungen und Ansichtsbeispielen von Grabschmuck.

Die angestellte Hexe führte sie daran vorbei zu einer weiteren Tür, an der ein Schild das Büro von Gwynn Galburn, dem Institutsleiter ankündigte. Sie klopfte dreimal, nur um im selben Atemzug schon einzutreten.

Das Zimmer dahinter verströmte ebenfalls eine geradezu heimelige Atmosphäre – was sicher auch an der gewaltigen Rankenpflanze lag, die sich um den Rahmen eines nicht minder riesigen Fensters wand und das Tageslicht mit ihren zarten Blättern filterte.

Anerkennend pfiff Elphinstone durch die Zähne. »Pandorea pandorana, noch dazu ein echtes Prachtexemplar!«

Nur zu gerne hätte Minerva sich ebenso an den wunderhübschen weißen Blüten erfreut. Doch in einem von zwei gemütlich aussehenden Sesseln unterhalb des Blumenrahmens saß jemand, den sie kannte. Zusammen mit dem Leiter von Burtons Bestattungsservice drehte ausgerechnet ihr ehemaliger Ministeriumskollege Alston Mulciber seinen Kopf zur Tür.

Elphinstones Pfiff verklang abrupt.

»Purnia, was soll die Störung? Ich habe noch einen Kunden.« Der überraschend junge Mann, der Gwynn Galburn sein musste, begutachtete sie mit gerunzelter Stirn.

Am liebsten wäre Minerva an Ort und Stelle eins mit dem Boden geworden. Es kostete sie alle Kraft, ihre Augen nicht ertappt von der Szenerie abzuwenden. Die Erkenntnis, dass Galburn zudem viel zu jung war, um Benjamin Cowper vor seinem Rauswurf gekannt zu haben, half nicht dabei, dass sie sich besser fühlte.

»Tut mir leid Gwynn, ich wusst nicht, dass du noch wen dahast«, erwiderte ihre Begleiterin. »Stand nicht im Kalender. Aber das hier sind Beamte von der Betriebsaufsicht, also ...«

»Schon gut. Ich bin hier eh fertig.« Ein angestrengtes Lächeln, das wohl sein äußerstes Maß an Höflichkeit darstellte, zierte Mulcibers Züge, als er aufstand. Im Gegensatz zu Galburn widmete er ihrem Dreiergespann keinen zweiten Blick.

Gleichwohl wagte Minerva kaum zu atmen. Was, wenn er sie trotz ihrer Verwandlung erkannte? Sie schielte aus dem Augenwinkel zu Elphinstone hinüber. Er trug einen neutralen Gesichtsausdruck zur Schau, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Nur sie konnte sehen, dass er die Fingernägel in den Handballen bohrte.

»Ich nehme das blaue Frühlingsarrangement für Maybells Grab«, erklärte Mulciber derweil in gelangweiltem Tonfall. »Mit wöchentlichen Auffrischungszaubern. Das Gleiche in Gelb für meine Mutter. Aber pflanzen Sie bei May zusätzlich drei Maiglöckchen. Und für meinen Vater ... nutzen Sie, was immer wegmuss. Hauptsache, es kostet nicht mehr als zwei Galleonen. Das sollte reichen, damit er mich nicht heimsuchen kommt.«

»Ah ...« Gwynn Galburn rang sich ein Nicken ab. »Natürlich. Laufzeit wie immer?«

»Sicher.« Mit diesem Wort drehte Mulciber sich auf dem Absatz um und hielt geradewegs auf die Tür zu, seine Hände in den Umhangtaschen vergraben. Falls er sie erkannte, verriet er es mit keiner Regung.

Instinktiv drückte Minerva sich eng an Elphinstone, um ihrem alten Bekannten Platz zu machen. Der gab nicht mal ein »Danke« von sich, sondern rauschte in einem Schwall kalter Luft an ihnen vorbei. Minerva war nicht sicher, ob sie es sich einbildete, aber sie hätte schwören wollen, dass er nach Räucherwerk roch. Bevor sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, wandte Gwynn Galburn Elphinstone und ihr seine Aufmerksamkeit zu.

»Nun«, sagte er und lächelte matt, »da geklärt ist, dass der werte Herr seinen Vater wirklich nicht leiden kann – was darf ich für Sie tun? Sie sind wahrscheinlich nicht bloß hier, um meine Pandorea zu bewundern.«

Wenn man Minerva gefragt hätte, wie sie sich einen Bestatter vorstellte, dann hätte sie an einen dürren älteren Herrn in schwarzem Anzug gedacht. Mit Halbglatze, einer kleinen Drahtbrille und ohne jeglichen Sinn für Humor. Nichts davon traf auf den Mann zu, der ihnen nun entgegentrat. Außer vielleicht, dass er von schmalem Körperbau war und nicht aussah, als könne er einen Sarg stemmen.

Gwynn Galburn – der volles, braunes Haar hatte – trug eine taillierte Robe in dunklem Aubergine, die mit bronzenen Seidenfäden bestickt war. Trotz dieser modischen Gemeinsamkeit mit Albus schaffte er es, nicht altbacken auszusehen. Vermutlich retteten ihn seine Jeans und Stoffschuhe, die zwar sauber und ordentlich, aber alles andere als magisch waren.

Überhaupt wirkte er wie ein grundlegend entspannter Mensch, was in seinem Beruf wahrscheinlich nur von Vorteil war. Selbst als Minerva ihren angeblichen Ministeriumspass vorzeigte, funkelte in Galburns Augen ungebrochene Fröhlichkeit.

»Bitte sehen Sie mir die Überraschung nach«, meinte er unbekümmert, »ich dachte, wir wären erst im nächsten Jahr wieder an der Reihe damit, unsere Betriebsgenehmigung zu erneuern.«

»Das stimmt, aber das ist der Charme an außerplanmäßigen Kontrollen«, gab Elphinstone zurück. »Man weiß nie, wann es so weit ist. Wir wollen schließlich alles sehen, was für gewöhnlich weggeräumt wird. Sonst können wir ja gar keine unbequemen Fragen stellen.«

»Verständlich.« Galburns verschmitztes Lächeln flackerte nicht einen Moment. »Dann müssen Sie aber auch damit vorliebnehmen, dass wir heute noch keinen Erfrischungszauber durch die untere Etage geschickt haben. Es könnte also etwas ... speziell riechen. Vielleicht möchten Sie ein Taschentuch mitnehmen? Dann zeige ich Ihnen sofort unsere Räumlichkeiten.«

Noch während er sprach, nickte er seiner Angestellten zu und diese wieselte rasch davon, nur um sogleich mit zwei stark parfümierten Stofftüchern zurückzukehren. Dankbar nahm Minerva eines an sich. Ihr Stolz durfte heute gerne zurücktreten, wenn sie schon nicht Elphinstones Hand zerquetschen konnte wie bei ihrem letzten Ausflug in eine Leichenhalle.

Elphinstone nahm das Tuch ebenfalls an und dann begaben sie sich auf die Reise durch Gwynn Galburns Reich. Große Nachfragen brauchten sie gar nicht stellen, der junge Bestatter sprudelte auch so vor Enthusiasmus über. Er zeigte und erzählte ihnen alles, angefangen von den Beratungszimmern für trauernde Angehörige und den angebotenen Optionen für Beisetzungen jeglicher Art. An Land, zu Wasser und sogar in der Luft, mitsamt dem Verstreuen der Asche von einem Besen aus – natürlich in feinsäuberlich Abstimmung mit Muggelschutzmaßnahmen – nichts war unmöglich. Auch die bereits gesehene Sargherstellung (aus sämtlichen gängigen Zauberstabhölzern, abgestimmt auf die eigene Persönlichkeit, und ergänzt von allerlei Sonderoptionen für Schutzrunen) ging er detailliert durch, bis schlussendlich nur die eigentliche Behandlung der toten Körper ausstand.

»Hier haben wir unseren großen Versorgungssaal, in dem wir die frisch Verstorbenen für ihre letzte Reise vorbereiten«, verkündete Galburn im Kellergeschoss angelangt mit ausgebreiteten Armen.

Minerva presste sich das Taschentuch fester vor die Mundpartie. Der Raum erinnerte stark an die Gerichtsmedizin des St.-Mungo-Hospitals mit seiner metallischen Einrichtung und den blanken Fliesen. Es half nicht, dass in der Mitte der Körper eines alten Zauberers unter einem eigenartigen grünen Schimmer thronte.

»Der eigentliche Abschied von den Toten findet natürlich oben, in der kleinen Andachtskapelle oder auf dem ausgewählten Friedhof statt – manchmal auch im Heim der Familie, je nach den Umständen«, führte Galburn ungerührt weiter aus, bevor er damit begann, ihnen in erschreckender Detailverliebtheit den Prozess der Aufbereitung eines Leichnams zu beschreiben (was unter anderem den Ablass diverser Körperflüssigkeiten beinhaltete – eine Vorstellung, die Minervas Mageninhalt definitiv beunruhigte).

Wäre sie echte Betriebsprüferin, hätte sie sämtlichen persönlichen Abneigungen entgegen dennoch kaum Negatives in ihren Bericht schreiben können. Alles war genau im rechten Maß unordentlich – ein paar Akten aus denen lose Blätter hervorquollen beispielsweise oder ein Kühlzauber, der wenige Tage über sein angegebenes Haltbarkeitsdatum hinaus war. Die Unterlagen des St.-Mungos waren feinsäuberlich den richtigen Toten zugeordnet und es gab keinen Körper, der nicht eindeutig zur Beerdigung freigegeben oder in einem tadellosen Zustand war. Etwas anderes hatte sie freilich nicht erwartet, immerhin war Benjamin Cowper einst der Arbeitsvertrag gekündigt worden, aber ernüchternd blieb es dennoch, wie normal der Betrieb ablief. Keine der demonstrierten Tätigkeiten eignete sich nur im Entferntesten für schwarzmagische Umtriebe.

Zum Glück sah Galburn hinter dem parfümierten Taschentuch ihren missmutigen Ausdruck nicht. Nachher hätte er es als Reaktion auf seine Arbeit missverstanden, denn er präsentierte ihnen gerade – nicht ohne Stolz – jene Körperstellen des Toten in der Raummitte, die er zuletzt kosmetisch behandelt hatte.

»Sehen Sie, eigentlich haben sich bei dem armen Mann schon längst wenig erfreuliche Totenflecken gebildet, aber mit unserer patentierten Tinktur und einigen geschickten Zaubern sieht man inzwischen nicht mehr, dass der Herr fast drei Wochen in seiner Wohnung lag, bevor man ihn gefunden hat. Jetzt kann seine Familie Abschied von ihm nehmen, ohne dass ihre Erinnerungen von den Spuren des Todes überschattet werden.« Geradezu andächtig zog Galburn das weiße Laken wieder bis zum Hals des Toten. »Das ist für mich persönlich immer der wichtigste Part. Dass wir den Hinterbliebenen mit unserem Service ein bisschen Frieden geben können. Egal wie die Umstände des Todes auch gewesen sein mögen.«

Elphinstone, der sein Taschentuch inzwischen unter den Ellenbogen geklemmt hatte, um sich anzusehen, was seine selbstschreibende Feder notiert hatte, nickte dem Bestatter anerkennend zu. »Das haben Sie schön gesagt, Mr Galburn. Ich muss gestehen, ich bin das erste Mal auf einem Einsatz wie diesem und hätte nicht erwartet, ausgerechnet hier so viel ... Fürsorge zu erleben.«

Ein verlegenes kleines Husten kam von Galburn. »Dieser Beruf ist nicht gerade positiv konnotiert, was? Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Die meisten Menschen, die mich kennenlernen, halten mich für einen Exzentriker.« Seufzend sah er auf seine Hände hinab. »Oder sie erwarten gar, dass ich der schwarzen Magie verfallen bin und Unaussprechliches tue.«

Das Schuldgefühlunkraut in Minervas Brust raschelte mal wieder leise mit den Blättern. Der Höflichkeit halber zwang sie sich, das Taschentuch ebenfalls vom Mund zu nehmen und Galburn ein Lächeln zu schenken. »Dabei tragen Sie in Wahrheit eine Menge Verantwortung. Man könnte Ihre Position leicht missbrauchen ...«

»... aber Sie helfen lieber den Menschen«, beendete Elphinstone ihren Satz.

Galburn rieb sich den Nacken. »Irgendwer muss diese Arbeit ja machen. Und ich hatte irgendwie nie diesen ... Ekel, schätze ich, den andere Menschen vor dem Umgang mit dem Tod haben. Aber er fasziniert mich auch nicht, verstehen Sie mich da bitte nicht falsch! Sehen Sie das?« Er wies gen Decke. Dort hing eine Art umgedrehte Käseglocke, in deren Innerem heller Nebel wirbelte. »Das habe ich installieren lassen, als ich vor zwei Jahren aus Wales hierher gewechselt bin und die Verantwortung von Mr Burton übernommen habe.«

»Eine Art Diebstahlsicherung ...?«, mutmaßte Elphinstone.

»Nein, nein – dieser Alarmzauber reagiert auf eine Liste von rund 32 schwarzmagischen Zaubern und Flüchen. Sobald einer in diesem Raum ausgeführt wird, verfärbt sich der Schleier rot und lautes Geheul ertönt. Es ist mir sehr wichtig, ein Auge darauf zu haben, was hier unten passiert. Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, sollte sich herausstellen, dass jemand versucht, unlautere Praktiken an den Toten in meiner Obhut durchzuführen. Egal ob es Auszubildende sind, die eine schnelle Galleone mit dem Verkauf von Organen an illegale Tranklabore verdienen wollen, oder schwarze Experimente.«

»Ist es denn schon vorgekommen, dass ihr Zauber ausgelöst hat?«, hakte Minerva nach.

Gwynn Galburn schüttelte den Kopf. »Zum Glück nicht.«

»Mh ... worauf würde er denn so hypothetisch reagieren? Wenn Sie den Zauber kreiert haben, müssen Sie ja eine Idee haben, was man mit Leichen schlimmstenfalls anstellen kann.«

»Ah ...« Einen Moment lang rang Galburn seine Hände. »Ich weiß nicht, ob ich da wirklich ins Detail gehen sollte.«

Verständnisvoll lächelte Elphinstone ihm zu. »Glauben Sie mir, ich bin auch nicht scharf auf diese Unterhaltung, aber meine Kollegin hat recht – wenn es zu Ihren Sicherheitsmaßnahmen gehört, müssen wir uns ein Bild davon machen.«

»Natürlich.« Galburn leckte sich über die Lippen. »Also zum einen wären da Zauber, die dem Körper Energie entziehen. Wussten Sie zum Beispiel, dass die körpereigene Magie nach dem Tod noch mehrere Wochen aktiv bleibt? Deshalb wirkt beispielsweise die Tinktur gegen Totenflecken so gut, weil sie sich diese Kraft zunutze macht.«

Überrascht ließ Minerva die Hand mit ihrem Taschentuch weiter sinken. Ihr war, als hätte sie von dieser Art Magiefunken schon einmal gehört, aber sie konnte nicht den Finger darauf legen wo und wann.

»Diesen letzten Rest Magie kann man für eine Vielzahl äußerst schwarzmagischer Rituale missbrauchen«, fuhr Galburn fort. »Er ist leider ein sehr wirkungsvolles Ingredienz. Das ist unter anderem einer der Gründe dafür, warum St. Mungo in den 60ern damit aufgehört hat, den Eltern von vor oder während der Geburt verstorbenen Babys diese konservierten Lebensfunken als letztes Andenken mitzugeben. Heutzutage ist es allgemein Konsens in der Heilerschaft, dass es besser ist, den Körper nicht von seiner Magie zu trennen. Nicht anders handhaben wir es hier.«

»Huh ...« Nachdenklich tappte Elphinstone mit der Fußspitze auf den Fliesenboden. »Für welche Rituale braucht man bloß solch finstere Maßnahmen? Das muss ja wirklich schreckliche Magie sein ...«

»Oh sicherlich«, brummte Galburn. »Aber mit den Details dieser Hexerei bin ich selbstverständlich alles andere als vertraut!«

Ehe er sich weiter aufregen konnte, intervenierte Minerva. »Natürlich nicht. Aber worauf reagiert der Alarm denn noch? Ich finde diese Erfindung wirklich faszinierend. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, sie verpflichtend für alle Einrichtungen dieser Art zu machen, wenn so große Gefahr für Missbrauch besteht.«

Bei dieser Anmerkung wuchs Galburn sichtlich. »Das wäre eine große Ehre! Sicher kann man den Alarm auch noch verbessern, aber im Moment reagiert er zusätzlich noch auf Flüche, die darauf ausgelegt sind, einen Körper zu animieren.«

»Sie meinen ... Nekromantie? Also einen Toten wiederbeleben?«

Galburn verzog das Gesicht. »Diesen Begriff würde ich nicht verwenden. Eine wahre Wiederbelebung dürfte unmöglich sein. Ich weiß, schon seit Anbeginn der Zeit haben Menschen daran geforscht, geliebte Personen zurückzubringen. Aber ich denke, wenn es eines gibt, das Magie nicht besiegen kann, dann ist das der Tod. Vielleicht weil er selber der Urmagie entstammt ...«

»Glauben Sie etwa an das Märchen der drei Brüder?« Elphinstone klang amüsiert.

Sichtlich ertappt zuckte Galburn zusammen. »Natürlich glaube ich nicht, dass der Tod eine Person ist – aber egal. Was ich meinte sind Zauber, die den toten Körper mit schwarzer Kraft erfüllen und ihn dazu zwingen, sich zu bewegen oder gar dem Willen eines anderen zu dienen. Allerdings ist der Erfolg dessen vor allem eins – bloße Theorie.«

Minerva blickte hinüber zu Elphinstone. In seinen Augen konnte sie das Funkeln derselben Befürchtung weichen sehen, die auch ihr Herz erfüllte: Noch. Mit einem schalen Gefühl in der Magengegend bedankten sie sich bei Galburn und ließen sich von ihm zurück in das warme Obergeschoss führen, wo die junge Sargmacherin schon auf sie wartete.

»Ich habe den Kamin bereits vorgewärmt«, sagte sie und streckte ihrem Chef eine Schatulle voller Flohpulver entgegen.

»Kamin?« Mindestens ebenso überrascht wie Minerva sah Galburn seine Angestellte an. »Wovon redest du, Purnia?«

Die Hexe zuckte mit den Schultern. »Soll es nicht nach Caerphilly gehen? Ich dachte, das würd zur Tour gehören.«

»Caerphilly ... ich wüsste nicht ...« Galburn lachte verlegen und rieb sich die Schläfe.

»Caerphilly in Wales?«, wandte Elphinstone sich an Purnia. »Meinen Sie den Ort, wo Mr Galburn vorher gearbeitet hat? Er erwähnte unten so etwas.«

»Genau.« Purnia wies auf den Broschürenständer, wo diverse in Walisisch bedruckte Pergamente steckten. »Ursprünglich hatten wir eine Dienststelle in Caerphilly, wo auch Gwynn und ich unsere Ausbildung gemacht haben. Allerdings mussten wir diese Anfang letzten Jahres schließen, weil wir nicht genug Angestellte haben, um beide Institute zu unterhalten. Und dank des Flohnetzwerks können wir ja auch so alle Inseln abdecken, von daher ... wahrscheinlich ist es wirklich nicht wichtig, dass Sie das Gebäude besichtigen. Da ist ja nix mehr los. Wir warten eigentlich nur noch darauf, dass sich ein Käufer findet –«

»Solange es noch offiziell zu Ihrem Betrieb gehört, müssen wir uns das ansehen«, fiel Minerva ihr rasch ins Wort. Vor lauter Aufregung wurde das Pergament in ihrer Hand ganz knittrig. »Tut mir leid, aber das ist Vorschrift, Mr Galburn.«

Der Institutsleiter sah auf. »Oh, ähm ...« Er blinzelte wie eine Katze nach einem ausgiebigen Mittagsschläfchen. »Ja. Caerphilly ... tut mir leid. Das hätte ich fast vergessen – ich schätze, ich bin gerade etwas müde. Aber natürlich bringe ich Sie hin. Purnia, holst du uns bitte die Adresse?«

»Die kennst du doch.«

Galburn massierte in kreisenden Bewegungen seine Schläfe. »Für unsere Gäste«, brachte er grimassierend hervor.

»Na gut ...« Die junge Hexe zog ihre Augenbrauen hoch, verschwand dann aber, um eine Broschüre zu holen, auf der die Waliser Adresse aufgedruckt war.

Nicht lange danach standen Minerva und Elphinstone in der nächsten holzgetäfelten Eingangshalle, die sich nur insofern von ihrem Pendant in Südengland unterschied, dass eine dicke Staubschicht auf den Bilderrahmen und dem Broschürenständer hier residierte.

Ursprünglich hatte das Institut gar nicht zu Burtons gehört, klärte Galburn sie auf. Erst vor einigen Jahren waren die beiden Bestattungsunternehmen nach dem Tod des eigentlichen Gründers verschmolzen und dann wiederum hatte Mr Burton sein gesamtes Geschäft Galburn vermacht.

»Eine Schande, das Gebäude jetzt verfallen zu sehen«, meinte dieser mit einem Seufzen, während er an seinem Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel zur unteren Etage suchte.

»Ganz so ungenutzt kommt es mir hier gar nicht vor.« Elphinstone deutete mit der Spitze seines Zauberstabs auf den Fußboden ringsum. »Hier liegt kaum Staub. Nur auf der Einrichtung.«

Minerva folgte seinem Blick. Er hatte recht – wie schon in der Kirche zogen sich verdächtig saubere Spuren über das Parkett. Sie ging in die Hocke und schnupperte. In Menschengestalt waren ihre Sinne zwar längst nicht so effektiv, doch der stechende Geruch von Zitrone schaffte es trotzdem in ihre Wahrnehmung.

»Das war ein Reinigungszauber«, murmelte sie. »Ziemlich frisch ...«

»Nein – das kann nicht sein.« Galburn schüttelte den Kopf. »Hier hat niemand Zugang, höchstens meine Mitarbeiter!«

Kling.

Es war nur ein ganz leises Geräusch, als käme es aus einem sehr schlecht eingestellten Fernseher, in dem wiederum ein Krimi lief, der sich auf seinen Höhepunkt hinarbeitete. Und gerade deshalb reichte das Klirren, damit sie alle drei ihren Atem anhielten.

Minerva schnappte nach Elphinstones Umhangärmel. Vielsagend sah sie in Richtung der Kellerräume und er nickte. Mit ausgestrecktem Zauberstab ging er vor. Beide ignorierten sie Galburn, der erst erbleichte, ehe er so hastig die Schlüssel auf seinem Bund durchging, dass er direkt durcheinanderkam.

»Das sind bestimmt nur Wichtel«, haspelte er. »Im Garten ist ein Nest von denen, freche Biester ...«

Elphinstone musterte den abgegriffenen Türknauf, dann seinen Stab – und schließlich stupste er mit dessen Spitze gegen das Metall. Die Tür schwang umgehend ein Stück zurück. »Ich sage es ungern«, wisperte er über die Schulter nach hinten, »aber Wichtel knacken keine Schlosszauber.«

Hätte Galburn noch blasser werden können, wäre er durchsichtig gewesen wie ein Geist. »Aber weshalb ... wer sollte ...« Aus weit aufgerissenen Augen starrte er von Elphinstone zu Minerva. In gepresstem Ton ergänzte er: »Ich habe den Kamin immer geschlossen gehalten, ich schwöre es!«

Mahnend hob Minerva ihren Zauberstab gegen die Lippen, bevor sie ihn flach auf die Hand legte und »Homenum Revelio« murmelte.

Nichts geschah.

Galburn atmete hörbar aus, doch Minerva ließ ihm diesen Triumph nicht. »Haben Sie je dran gedacht, Ihr Kaminpasswort zu ändern?«, zischte sie. »Oder gar zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen? Oder hätte jeder hereinspazieren können, der das in Erfahrung gebracht hat?«

Aus Galburns Blässe wurde Röte. »Wir haben ein sehr sicheres Passwort ... außerdem ist es es schwer, sich ständig ein neues zu merken ... schon mein Vorgänger hat diesen Schutz verwendet –«

»Dann sind Wichtel wohl unser geringstes Problem.« Ohne auf Galburns Gestammel zu achten, schob Minerva sich an ihm vorbei. Den Zauberstab erhoben, stieg sie die Treppe hinab, Elphinstone direkt auf ihren Fersen.

Mit jedem Schritt wurde die Luft stickiger, anstatt kühler. Natürlich – das Institut war ja stillgelegt. Dazu passend schien auf den ersten Blick im Schein ihres Lichtzaubers alles unberührt. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren fortgeschafft und somit fehlte dem Raum ein großer Teil seiner unheimlichen Wirkung. Insbesondere wenn man sah, dass tatsächlich mehrere flügellose blaue Geschöpfe durch die Luft jagten und kichernd so etwas wie einen Ball hin und her warfen.

Sobald sie Minerva bemerkten, stellten die Wichtel allerdings ihr Treiben ein und drängten sich dicht um ihr Spielzug. Im gleichen Atemzug keuchte weiter hinten Galburn auf.

»Mein Zauber!«

Dieses Mal schob er Minerva unsanft zur Seite.

»Aber ...«

In der Käseglocke unter der Decke, von der kopfüber ein Wichtel baumelte und ihnen eine lange Nase zeigte, waberten die Spuren roten Nebels.



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