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Die Suche nach dem Korallenschloß

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Die Suche nach dem Korallenschloß

Da Tsü-Zse nicht wußte, welchen Weg sie einschlagen sollte, um den Drachenprinzen und das Korallenschloß zu finden, wollte sie bei einem weisen Mann, der im Wald in der Nähe des Dorfes wohnte, Rat einholen und machte sich zuerst dorthin auf den Weg.
 

Der weise Mann lebte in einer finsteren Höhle. Tsü-Zse glaubte zuerst, einen Bären vor sich zu haben, als der bärtige Mann mit den verfilzten Haaren, in ein räudiges Bärenfell gewickelt, aus der Höhle trottete, um zu sehen, wer ihn in seiner Zurückgezogenheit störte. Doch als der Bär zu sprechen begann, erkannte Tsü-Zse ihren Irrtum.
 

"Was willst Du hier, Mädchen? Hast Du Dich verlaufen?" fragte der weise Mann unfreundlich (er hatte sich schon vor langer Zeit von der Menschheit zurückgezogen, da sie ihn tief enttäuscht hatte).
 

"Ich habe mich keineswegs verlaufen, Weiser. Ich wollte zu Euch, denn ich hörte, Ihr wüßtet für fast Jeden einen Rat... ich suche das Korallenschloß", antwortete Tsü-Zse ihm.
 

Doch der Weise hatte ihr gar nicht zugehört. Mit seiner großen Nase schnupperte er wie ein leibhaftiger Bär und kam auf Tsü-Zse zu, die sich erschrocken ein paar Schritte zurückwich. "Hab keine Angst, Mädchen", sagte der Weise beschwichtigend und blieb stehen. "Aber ich habe lange nichts mehr von Menschenhand bereitetes gegessen und mir scheint, in deinem Beutel befindet sich Reiskuchen. Gib mir ein Stück davon, ich bin sehr hungrig."
 

"Aber das ist meine Hochzeitsgabe", protestierte Tsü-Zse, während der weise Mann sie mit flehenden Augen hungrig anstierte. "Du kannst doch einen Neuen backen. Gib mir den, den Du hast, und ich werde Dir ewig dankbar sein."
 

Und da sich Tsü-Zse Informationen über das Korallenschloß erhoffte, gab sie dem Weisen schließlich widerstrebend den Reiskuchen und sah, wie er mit seinen klauenbewehrten, tatzenartigen Händen danach grabschte und ihn mit großen Bissen verschlang.
 

Und während er Weise noch mit vollen Backen kaute fragte Tsü-Zse: "Wißt Ihr, wo ich das Korallenschloß finde?"
 

Nachdenklich kratzte sich der Weise an seiner großen Nase, dann sagte er: "Dem Namen nach müßte es sich in der Nähe des Meeres befinden... könntest Du nicht etwas genauer sein, Mädchen? Was ist das für ein Schloß? Was für Leute wohnen da?"
 

"Einer der Bewohner ist der Drachenprinz Hen-Yüe", antwortete Tsü-Zse.
 

Versonnen bohrte der Weise mit seinen krallenartigen Nägeln den Reis aus seinen gelben Zähnen. "Hen-Yüe? Nie gehört. Ein Drachenprinz sagst Du? Bist Du sicher?"
 

"Er erschien in der Gestalt eines jungen, vornehmen Mannes und verwandelte sich in einen Drachen", erklärte Tsü-Zse ungeduldig.
 

"Das spricht in der Tat dafür, daß es sich um einen Drachenprinzen handelt", gab der Weise zu. "Nun, um ehrlich zu sein, mit Drachen kenne ich mich nicht aus, aber es gibt einen Zauberer, der soviel über sie weiß, wie einem Sterblichen überhaupt möglich ist." In Gedanken versunken ging der Weise vor dem Eingang seiner Höhle auf und ab. "Dieser Zauberer wohnt in der Residenzstadt und nennt sich Lei-Sun, 'Herr der Geister'. Geh zu ihm und frage ihn nach Deinem Drachenprinzen." Und nach diesen Worten verschwand der Weise grußlos in seiner Höhle und ließ sich nicht wieder blicken, solange Tsü-Zse, die sich sofort auf den Weg machte, noch in der Nähe war.
 

*
 

Drei Tage nach ihrem Aufbruch von Zuhause erreichte Tsü-Zse zur Mittagszeit endlich die Tore der Residenzstadt, die im heißen Licht der Sonne träge vor sich hin brütete. Nichts war von der Geschäftigkeit zu bemerken, die man der Stadt nachsagte, niemand befand sich auf den Straßen zu den Stadttoren. Die einzigen Menschen, die außerhalb der hohen Häuser zu sehen waren, waren zwei Torwächter, die Tsü-Zse argwöhnisch beäugten, als sie sich näherte.
 

"Wohin willst Du?" fragte der eine, der einen dicken Bauch hatte und nach saurem Wein stank.
 

"Woher kommst Du?" wollte der andere wissen, ein schmächtiger Kerl, der sich durch einen buschigen Bart auszeichnete.
 

"Ich suche Lei-Sun, den Zauberer", antwortete Tsü-Zse und wollte sich an den Wächtern vorbeischieben.
 

"Was mag eine wie Du von einem Zauberer wollen?" fragte der Dicke und sah sie prüfend an. "Gegen solche Häßlichkeit kann selbst ein Zauberer nichts ausrichten und Lei-Sun schon gar nicht. Ein jeder in der Stadt weiß, daß es mit seiner Kunst nicht weit her ist... aber wenn Du nur einen Mann suchst...", mit zusammengekniffenen Augen taxierte der Dicke Tsü-Zse. "Wenn man Dich gründlich abschrubbt, wärst Du wahrscheinlich gar nicht mal so unannehmbar."
 

"Und was ist mit mir?" fragte der Kleine giftig. Der Dicke sah den Kleinen böse an. "Was soll mit Dir sein?" fragte er scheinheilig und für einen Moment schien er Tsü-Zse's Anwesenheit vergessen zu haben.
 

Diesen Moment nutzte Tsü-Zse, um durch das offene Tor zu schlüpfen. Erst, als sie einige Straßen heruntergerannt war, um etwas Abstand zwischen sich und die Wächter zu bringen, nahm sie sich die Zeit, sich über ihr sonderbar verwandeltes Äußeres Gedanken zu machen. Es war ihr kaum aufgefallen, daß niemand sich auf ihrer Wanderschaft nach ihr umgesehen hatte, denn sie dachte an keine anderen Männer mehr, alle ihre Gedanken kreisten allein um Hen-Yüe, den Drachenprinzen, den sie durch den Zauberer Lei-Sun zu finden hoffte.
 

In der Straße, in der sie stand und nach dem Lauf um Atem rang, war der Laden eines Metallwarenverkäufers, vor dem auf hohen Ständern auch einige frisch polierte Spiegel hingen. Tsü-Zse ging dorthin, um sich anzusehen und ihr blickte ein eher häßlich aussehendes Geschöpf, unter der dicken Schmutzschicht vermutlich weiblichen Geschlechts, entgegen. Erschrocken wich Tsü-Zse vor ihrem Spiegelbild zurück und da erschien auch schon der Verkäufer, um sie wegzujagen.
 

"Was ist nur geschehen?" fragte sie sich leise und ein Mann, der gerade vorüber kam, fragte: "Was sagtest Du?"
 

Schnell fing Tsü-Zse sich wieder. "Ich suche den Zauberer Lei-Sun. Könnt Ihr mir sagen, wo ich ihn finde?"
 

Der Mann lachte fröhlich. "Was für ein Zufall, das bin ich selbst!" rief er aus. "Aber warum suchst Du mich? Damit ich diese Verzauberung von Dir nehme? Das kann ich nicht, das ist Drachenzauber."
 

Im Stillen fragte Tsü-Zse sich, wie sie zu einer solchen Verzauberung gekommen sein mochte, doch schnell trat sie dem Zauberer in den Weg, der sich bereits anschickte, fortzugehen. "Ich möchte Euch einige Fragen stellen... ich komme von dem weisen Mann, der als Einsiedler in einer Höhle in einem Wald nahe des Meeres lebt. Er hat mich zu Euch geschickt", sagte Tsü-Zse rasch.
 

Der Zauberer strich sich mit spitzen Fingern seinen langen, schmalen Kinnbart. "Tja... Geschäfte sollte man nicht auf der Straße besprechen, auch wenn ich Dir gleich sagen möchte: gegen diese Verzauberung kann niemand etwas ausrichten, allenfalls ein Drache."
 

"Ich will ja gar nichts über die Verzauberung wissen", wandte Tsü-Zse ein. "Wo wohnt Ihr, wo habt Ihr Euer Laboratorium?" fragte sie dann.
 

"Komm mit." Nachlässig winkte Lei-Sun mit der Hand, daß sie ihm folgen möge, dann durchquerte er mit raschen Schritten zielstrebig die halbe Stadt.
 

Das Haus des Zauberers wollte nicht so recht zu der doch eher prächtigen äußeren Erscheinung des Mannes passen. Seine Kleidung war nicht übermäßig wertvoll, aber reich geschmückt, sein Äußeres, besonders der Kinnbart, sorgfältig gepflegt, und alles an ihm zeugte von einem Menschen, dessen Wesen über einen guten Teil Eitelkeit verfügt. Das Haus dagegen stand in einem heruntergekommenen Teil der Stadt, die Wände des Gebäudes waren rissig, die graugrüne Farbe blätterte an vielen Stellen ab und die Fensterläden hingen lose in ihren verrosteten Angeln. Mit einiger Mühe schob Lei-Sun die aufgequollene Holztür auf, die ehemals wohl auch einen Anstrich besessen hatte und gab Tsü-Zse mit einer weitausholenden Armbewegung, die dem Ort spottete, den Weg frei. "Mein Palast", verkündete der Zauberer großspurig und im Innern des verfallenen Hauses stockte es Tsü-Zse den Atem.
 

Als der Zauberer die Tür geschlossen hatte, befanden sie sich in einer hellen, weitläufigen, marmorgepflasterten Halle, an deren Ende man ein zweiflügliges goldenes Portal erblickte, das von einem großen bronzenen Drachenrelief eines meisterhaften Künstlers umrahmt wurde. Die hölzernen Streben zwischen den Fenstern waren mit aufwendigen Schnitzereien verziert, die von höchster Kunstfertigkeit der Ausführenden zeugten. Staunend sah Tsü-Zse sich um und versuchte, die plötzliche Wandlung des Gebäudes zu verstehen, als Lei-Sun, der ihre Verwunderung sichtlich genoß, auf das von vier Drachen eingeramte Portal zuging und Tsü-Zse mit dem Winken eines Fingers bat, ihm zu folgen.
 

Hinter diesem prachtvollen Portal befand sich ein ganz gewöhnliches Zaubererlaboratorium mit den Globen, Sternkarten und Astrolabien, ausgestopften Eidechsen und Fledermäusen, wie man sie allerorten finden kann. An Leinen, die quer durch den ganzen Raum gespannt waren, hingen Büschel getrockneter Kräuter, die einen betäubenden Geruch verbreiteten. Auf bis unter die hohe Decke reichenden Regalen entlang der Wände standen wohl an die tausend kleinerer und größerer Porzellangefäße, die mit Aufschriften wie 'Sonnenmilch', 'Krötenwarzen' und 'Lotosblütentau' versehen waren. Ein von Sonne und Alter gedunkeltes Brett mit einigen undefinierbaren Flecken, daß unter einem kleinen Fenster montiert war, diente als Arbeits- und Schreibfläche, davor stand ein niedriger Hocker, den Lei-Sun sich nun heranzog, um sich auf ihm niederzulassen. Tsü-Zse bot er keine Sitzgelegenheit an.
 

"Nun, was willst Du von mir?" Dann sah er Tsü-Zse noch einmal sinnierend von oben bis unten an und schüttelte nachdenklich den Kopf. "Eindeutig ein Drachenzauber, was immer das bezwecken soll... also der Bär hat Dich geschickt", sagte der Zauberer dann plötzlich munter.
 

Tsü-Zse dachte, daß mit dem 'Bär' wohl der weise Einsiedler gemeint war und nickte. "Ich wollte fragen, ob Ihr wißt...", begann Tsü-Zse, doch Lei-Sun ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
 

"Deine Frage hat etwas mit Drachen zu tun, stimmts?" fragte er neckend. dann grinste er breit. "Ich bin der einzige anerkannte Drachenspezialist in diesen Breitengraden, auch wenn mein Talent hier praktisch verschwendet ist. Hier in der Gegend gibt es kaum Drachen... ich schätze, Du kommst aus der Nähe des Meeres, stimmts?" Wie von einem Bogen abgeschossen schnellte plötzlich der Arm des Zauberers mit ausgestrecktem Zeigefinger hervor und nahm sich Tsü-Zse's Nase als Ziel.
 

Tsü-Zse schluckte, dann nickte sie mühsam. "Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe des Meeres. Ich wollte Euch nach dem Korallenschloß fragen", sagte sie schnell, bevor der Zauberer sie ein weiteres Mal unterbrechen konnte.
 

Nachdenklich spitzte Lei-Sun die Lippen und kraulte seinen Kinnbart. "Das Korallenschloß suchst Du, sosoahahmhm." Lei-Sun wackelte mißmutig mit dem Kopf, seine Fingerspitzen zwirbelten die Spitze seines Kinnbartes. "Das Korallenschloß", wiederholte er noch einmal. "Ich habe schon von ihm gehört, aber es zu finden wird mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein. Aber wenn Du Deine Verzauberung loswerden willst, ist es natürlich der beste Weg, es gleich beim Kaiser der Drachen zu versuchen." Plötzlich schien der Zauberer zu einem Entschluß gekommen zu sein, er erhob sich mit einem Ruck und suchte sich aus den Gerätschaften, die auf den Regalen herumstanden, einen bronzenen Mörser und einige Porzellangefäße heraus. Von einem weiter entfernten Regal nahm er eine große Flasche, die sich zu seinem Erstaunen jedoch als leer herausstellte. "Es tut mir leid, aber ich kann Dir nicht helfen. Ich brauche unbedingt Brunnenwasser für diesen Zauber, aber mein einziger Vorrat ist verbraucht." Schicksalsergeben seufzte Lei-Sun und ließ sich schwer zurück auf den Hocker fallen.
 

"Aber was für Wasser nehmt Ihr denn für den gewöhnlichen Gebrauch?" fragte Tsü-Zse erstaunt.
 

"Wasser aus dem Fluß natürlich. Die Stadt ist auf massivem Fels gebaut, hier kann man nicht einmal mit Zauberei einen Brunnen bohren", erklärte Lei-Sun geduldig. "Brunnenwasser muß für teures Geld eingeführt werden... von der Küste zum Beispiel."
 

Tsü-Zse überlegte kurz, dann suchte sie aus ihrem Gepäck den fest verschlossenen Krug mit dem Wasser heraus, das sie aus dem Brunnen hinter der Hütte ihres Vaters geschöpft hatte, und das eigentlich für den Drachenprinzen Hen-Yüe als Hochzeitsgabe gedacht war. Schweigend reichte sie dem Zauberer den Krug und hoffte, daß das Opfer wenigstens den gewünschten Erfolg brachte.
 

"Was ist das?" fragte Lei-Sun und nahm den Krug entgegen. Er öffnete ihn und besah sich den Inhalt kritisch, dann sagte er befriedigt: "Brunnenwasser." Rasch mischte er Teile der Inhalte der verschiedenen bereitgestellten Gefäße in dem Mörser, dann schüttete er das gesammte Wasser aus Tsü-Zse's kleinem Krug dazu und rührte alles sorgfältig um. Von einem Regal ließ er sich dann von Tsü-Zse eine große, flache Schale geben und goß die ganze Mischung hinein, wartete, bis sich die Wellen geglättet hatten, dann bließ er über die trübe, hellblaue Flüssigkeit und betrachtete sie intensiv. "Es ist am... nein, im Meer. Eine Insel liegt in der Nähe, auf ihr wohnt der Torwächter. Nur er allein ermöglicht den Zutritt zum Korallenschloß... es ist Man-Yin-Tau, die 'Insel des Sonnenaufgangs'..." Der Zauberer verstummte und wandte sich wieder Tsü-Zse zu, die ihn fragte: "Ich muß also nach Man-Yin-Tau suchen?"
 

"Ja, und ich wünsche Dir dabei viel Erfolg, ebenso bei Deiner Entzauberung... gewöhnlich kostet dieser Zauber zwei Silberbarren, aber da Du das Brunnenwasser geliefert hast... sagen wir ein Silberbarren und zwei Kupferbarren." Mit einem gewinnenden Lächeln streckte Lei-Sun Tsü-Zse die leere Handfläche entgegen und wartete auf seine Bezahlung.
 

Tsü-Zse opferte die Hälfte ihrer Barschaft und verließ durch die marmorgepflasterte Halle das Haus, dessen Äußeres in so auffälligem Gegensatz zu seinem Inneren stand.
 

* * *
 



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