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Als wir uns trafen

Teil1 der 'Ernte was du sähst' Reihe
von

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... hattest du gelitten

Genma blinzelte und kniff sofort die Augen wieder zusammen, als das fahle Morgenlicht ihn blendete. Er grummelte und zog die Bettdecke über den Kopf. Für einen Augenblick verharrte Genma, bevor er leise aufseufzte und den Kopf wieder hob. Er rieb sich über die Augen und warf einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Genma entwich ein frustriertes Knurren. Wieso war er um halb fünf morgens bereits schon wieder wach? Er, der Frühaufstehen nicht leiden konnte und gerne lange liegen blieb.
 

Genmas Finger vergruben sich in dem weichen Körper seines Plüschtieres, als er ein leises Wimmern hörte. Genma brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass das Geräusch von dem Bett neben ihm kam.

Unsicher kaute Genma an seiner Unterlippe herum, als das Wimmern, trotz der zugezogenen Vorhänge, lauter und schmerzerfüllter wurde. Er presste die Handflächen gegen die Ohren. Diese Laute waren mehr, als Genma ertragen konnte. Er wollte den Schmerz nicht hören, ihn nicht spüren, aber den Geräuschen entfliehen konnte er nicht.

Mangels anderer Möglichkeiten drückte Genma auf den Notknopf, um jemanden zu rufen, der sich um Raidou kümmern konnte.
 

„Raidou-kun?“, fragte Genma, als sich auch schon die Tür öffnete und ein ihm unbekannter Pfleger hereingelaufen kam. Er musterte Genma mit einem fragenden Blick, doch als Raidou wieder leise schrie, schien der Pfleger zu verstehen. Er huschte zu dem Bett neben Genmas und verschwand hinter dem Vorhang, der Raidous Bett ringförmig umschloss.

Genma wusste nicht, was der Pfleger tat. Völlig verstört starrte er auf seine Bettdecke und versuchte, nicht hinzuhören.
 

„Raidou-chan, es ist alles gut. Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir wehtun“, drang die ruhige, dunkle Stimme des Pflegers zu Genma vor. Sie hatte eine tröstende Wirkung auf ihn, sodass er sich langsam wieder entspannte. Auch bei Raidou schienen die Worte Wirkung zu zeigen. Das Wimmern und Schreien wurde leiser und verstummte schliesslich ganz.

„Beruhige dich. Erinnerst du dich? Du bist in Konoha. Im Krankenhaus. Keine Angst, hier du bist sicher.“

Genma konnte angestrengtes Atmen hören und einige gemurmelte Worte, die er jedoch nicht verstand.

„Ganz ruhig, Raidou-chan. Atme tief ein und aus. So ist es gut. Hier hast du …“
 

Die Stimme wurde leiser und Genma zog die Bettdecke höher. Aus irgendeinem Grund war ihm unglaublich kalt. Er spürte, wie er zitterte und eine bleierne Müdigkeit in seine Glieder kroch.

Das war … Genma fand keine Worte, um zu beschreiben, was er gefühlt hatte, als er tatenlos mitanhören musste, wie Raidou sich in seinen Albträume verlor. Was er wohl gesehen hatte?

Das Zittern seines Körpers liess ein wenig nach, als der Pfleger zu ihm ans Bett kam.

„Das hast du gut gemacht, Genma-chan, als du mich gerufen hast. Das war sicher ein grosser Schock für dich, nicht wahr? Wie fühlst du dich?“

„… weiss nicht“, murmelte Genma. Die Situation überforderte ihn zusehends, sodass er seinen Blick auf das kleine Täfelchen auf der Arbeitsuniform des Pflegers fokussierte und den Namen darauf entzifferte.

„Okita-san? Ich …“ Genma brach ab und knetete seine Hände, die sich unangenehm kalt anfühlten. Irgendwie hatte sein Wunsch, ein Shinobi zu werden, einen empfindlichen Dämpfer bekommen. Wenn Albträume und schwerwiegende Verletzungen seine Zukunft waren, war er sich unsicher, ob er diesen Weg weiterhin beschreiten wollte.

„Wie geht es ihm?“, fragte Genma und vermied es, den Vorhang rechts neben ihm auch nur anzuschauen.

„Ich bin mir sicher, dass es ihm besser geht, jetzt da er wieder weiss, dass er in Sicherheit ist. Versuch, noch ein bisschen zu schlafen, Genma-chan. Falls etwas ist, kannst du mich rufen.“

Genma seufzte, bevor er sich hinlegte und die Decke fester um sich wickelte. Als ob er jetzt noch schlafen könnte! Er hatte eher das Gefühl, sein Kopf würde bei den vielen Gedanken, die in ihm umherschwirrten, in ein paar Momenten explodieren.

Genma beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Okita das Zimmer verliess und leise die Tür hinter sich schloss.
 

Fünf Minuten vergingen. Dann zehn Minuten. Eine Viertelstunde, und Genmas Vorahnung erfüllte sich. Der Schlaf blieb aus und mit einem genervten Stöhnen setzte er sich wieder auf.

Genma gähnte und sah zu dem Fenster zu seiner Linken, durch das das Morgenlicht hineinschien. Irgendjemand hatte am Vorabend den Vorhang auf einer Seite des Fensters nicht zugezogen. Genma war dankbar für diesen Umstand, so konnte er wenigstens hinausschauen, auch wenn er kaum etwas erkennen konnte. Viel mehr als dunkle Umrisse von Bäumen und Büschen waren nicht zu sehen.

Langsam wurde es heller im Zimmer, Genma musste also schon eine geraume Zeit hier sitzen. Ein weiterer Blick auf den Wecker bestätigte diese Vermutung: Es war kurz nach fünf.

Genma grummelte leise und verdrehte die Augen. Immer noch viel zu früh. Raidou schlief vermutlich wieder und fiel so als Ablenkung aus.

Blöder Beinbruch. Blödes, langweiliges Krankenhaus.
 

„… Genma-kun?“ Genma biss sich vor Schreck auf die Unterlippe, als er die leise Stimme hörte. Verwirrt sah er sich um. Ausser ihm und Raidou befand sich niemand in dem Zimmer. Ausser ihm und Raidou … Genma hielt den Atem an, bevor er ihn nach einem Moment wieder entliess.

„Ja?“

„… Ich … ich …“

„Kannst du nicht mehr schlafen?“

„Will nicht mehr einschlafen“, murmelte Raidou, bevor Genma ein leises Rascheln und einen erstickten Schmerzlaut hörte.

„Was hast du? Brauchst du Hilfe? Soll ich wen rufen?“ Genma wusste nicht wieso, aber irgendwie war ihm Raidou ans Herz gewachsen und er wollte nicht, dass dieser Schmerzen hatte. Wenn er ihn nur irgendwie ablenken konnte. Ob Raidou das überhaupt wollte?

Genma setzte sich vorsichtig auf, bevor er nach den Krücken und seinem Morgenmantel griff. Er hatte eine Idee, wie er Raidou vielleicht aus der Reserve locken konnte. Hoffentlich war dieser ihm danach nicht böse.

„Raidou-kun?“

„Hm?“

„Neben deinem Bett steht ein Stuhl, ich setz‘ mich mal da drauf, okay?“

„… ‘kay.“

Erleichtert über die positive Antwort, zog Genma das Kleidungsstück über, bevor er vorsichtig mit Hilfe der Krücken aufstand und die paar Schritte zu Raidous Bett hinüber humpelte. Er setzte sich auf den Stuhl und stellte die Krücken neben sich ab.

„Es wird endlich hell. Kannst du das auch sehen? Lässt der Vorhang Licht durch?“ Die Tatsache, dass Raidou nichts gegen seine Anwesenheit hatte, liess Genma jegliche Müdigkeit vergessen.

„Nur ein bisschen“, antwortete Raidou nach einer Weile. „Ich erkenne nicht viel. Es ist noch zu dunkel.“

Bildete Genma sich das nur ein, oder hatte Raidous Stimme am Ende ein bisschen gezittert? Genma starrte auf den Vorhang und legte den Kopf schief. „Willst du denn, dass es dunkel ist?“

„N …Nein. Aber es muss dunkel bleiben. Ich will nicht …“ Raidou verstummte und Genma konnte hören, wie er tief ein- und ausatmete.

„Was willst du nicht?“

Wieder musste Genma eine Weile auf eine Antwort warten. Was auch immer es war, das Raidou beschäftigte, es schien schlimm für ihn zu sein.

„Ich will nicht, dass du mich … siehst. Niemand soll mich mehr ansehen!“ Dieses Mal schien Raidou seine Emotionen nicht mehr kontrollieren zu können.

Seine Stimme drang ungewohnt laut an Genmas Ohr, sodass er zusammenzuckte und sich nur noch mit Müh‘ und Not auf dem Stuhl festhalten konnte. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch das erstickte Aufkeuchen liess Genma innehalten. Seine Augen weiteten sich für einen Moment, bevor sich seine Finger in dem Stoff des Morgenmantels vergruben. Der Schmerz, der aus Raidous Stimme gesprochen hatte, schnürte Genma die Kehle zu. Er schluckte, zwang sich dann aber dazu, wieder in Raidous Richtung zu blicken.

„Soll ich weggehen?“, fragte er unsicher und begann wieder auf seiner Unterlippe herumzukauen. Vielleicht war seine Idee doch nicht so gut gewesen, schoss es ihm durch den Kopf. Die Befürchtung, dass Raidou nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, liess ihn innerlich erschaudern.

„Tut mir leid. Ich lass‘ dich mal in Ruhe. Wenn du es heller haben willst, dann kannst du den Vorhang aufmachen. Ich guck‘ auch nicht, Ninja-Ehrenwort“, sagte Genma und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihm diese Situation missfiel. Auch wenn er nicht so ganz verstand, was eigentlich passiert war und wieso jetzt diese unangenehme Stille zwischen ihnen herrschte.
 

Genma griff nach den Krücken, ehe Raidous leise Stimme ihn wieder innehalten liess.

„Bleib … bitte. Aber dreh dich um, schau zum Fenster.“

„Uhm … okay.“ Genma fackelte nicht lange. Vorsichtig stand er mit Hilfe einer Krücke auf. Mit der freien Hand zog und zerrte er so lange an dem Stuhl, bis dieser dem Fenster zugewandt dastand. Mit klopfendem Herzen liess sich Genma wieder auf den Stuhl sinken, unsicher, was ihn jetzt erwartete.

Er hörte das Rascheln der Bettdecke durch den Vorhang. Raidou schien sich zu bewegen und anders zu positionieren, bevor die Geräusche wieder erstarben.

„Du guckst auch nicht?“

„Natürlich nicht. Ich hab’s dir ja versprochen, oder? Mach den Vorhang auf, ich kann schon ein bisschen die Sonne sehen. Du wirst sehen, es wird dir ganz sicher besser gehen. Meine Mama sagt immer: Sonnenlicht macht glücklich.“

Genma spürte, dass Raidou zögerte, so als ob er sich dazu zwingen musste, Genmas Bitte Folge zu leisten. Und wenn Genma ehrlich mit sich war, war er aufgeregt, denn die nächsten Sekunden würden entscheiden, ob Raidou ihm vertraute oder nicht.

Ein breites Lächeln stahl sich auf Genmas Lippen, als er hörte, wie der Vorhang zur Seite geschoben wurde. Die Erleichterung über Raidous Entscheidung hinterliess ein warmes Gefühl in seiner Magengegend.

„Ich kann die Sonne auch sehen“, murmelte Raidou hinter ihm und dieses Mal war seine Stimme frei von Schmerz.
 

Genma hielt sein Versprechen und blieb mit dem Gesicht zum Fenster sitzen. Die Wärme in seinem Inneren verstärkte sich nur noch mehr, als Raidou ein leises „Danke“ flüsterte. Genma entspannte sich und lachte.

In diesem Augenblick waren er und Raidou nichts weiter als zwei normale Jungen, die zusammen die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages genossen.



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