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Herz über Kopf

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Was wäre, wenn?… Ach, was soll ich große Worte machen? Hier ein alternatives Ende, für alle, denen Marios Tor gegen Viktor nicht genug war.
Und für dich, Tasha88 ❤️

Spielt nach dem Antrag. Komplett anzeigen

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Special: Schuld

Kurz bevor die Türen sich schließen, schlüpft Elsa als letzte in den Schnellzug nach Sapporo City. Immer noch atemlos läuft sie durch die Gänge. Sie hat Glück und findet einen Platz mit Tisch, denn so ganz ist die Arbeit noch nicht erledigt. Mit einem erleichterten Seufzer lässt sie sich in den Sitz fallen und schließt kurz die Augen.

Der Tag war anstrengend gewesen, aber die Fahrt raus zum Flughafen hatte sich gelohnt. Wenn die 30 Eishockey-Mannschaften nächste Woche in Sapporo Chitose zum Hokkaido-Turnier eintreffen, würde zumindest hier alles glatt laufen. Das hatte sie gerade abgeklärt. Das Eishockey-Turnier ist das erste Event, dass sie in alleiniger Verantwortung für die Stadt organisiert. Sie will einfach nichts dem Zufall überlassen. Sie runzelt die Stirn. Wie von selbst greift ihre Hand in ihre Tasche und holt das abgewetzte Notizbuch heraus. Sie schlägt die Seite mit dem Bändchen auf. Ihre To-do-Liste. Mit einer gewissen Befriedigung setzt sie einen Haken hinter den Punkt „Flughafen“. Rasch überfliegen ihre Augen den Rest der Liste. Dann klappt sie das Büchlein wieder zu. Das konnte auch morgen noch erledigt werden.

Entspannt lässt sie sich nach hinten in die Lehne sinken. Jetzt freut sie sich auf ein warmes Abendessen zu Hause. Mit halb geschlossenen Augen sieht sie aus dem Fenster und betrachtet die verschneite Landschaft, die draußen vorbeirast. Nach einem knappen Jahr hier oben, fühlt sie sich inzwischen heimisch auf Hokkaido. An den Schnee hat sie sich am meisten gewöhnen müssen. Den hattes in ihrer alten Heimat nur äußerst selten gegeben. Und wenn doch, dann war er so gut wie nie liegen geblieben. Elsa muss schmunzeln, als sie die mannshohen Schneewehen draußen betrachtet.

Ein Geräusch holt ihre Aufmerksamkeit wieder in das Innere des Zuges zurück. Sie fühlt sich plötzlich unwohl, so, als würde sie jemand beobachten. Langsam nimmt sie den Blick vom Fenster und schaut nach vorn. Als sie hier hereingestürzt kam, war ihr gar nicht aufgefallen, dass der Platz gegenüber besetzt gewesen war. Tatsächlich sitzt dort jemand. Ein junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren und braunen Augen. Er trägt eine Daunenjacke mit dem Aufdruck eines Sportvereins aus Osaka. Neben ihm auf dem Tisch hat er eine grüne Kappe abgelegt. Und dieser junge Mann aus Osaka mit kurzen schwarzen Haaren und dunklen Augen und grüner Kappe starrt sie mit offenem Mund an.

Elsas Herz setzt einen Schlag aus. „M… M… Mario!“
 

~~~
 

„Was machst du hier?“

„Das selbe könnte ich dich fragen.“

„Ich saß als erster hier, als du atemlos hereingestürzt kamst. Du hast mich gar nicht bemerkt!“

Elsa schluckt einmal und sortiert ihre Gedanken. „Bist du gerade hier gelandet? Was hast du in Sapporo vor?“

Ein leises Stimmchen meldet sich in ihrem Kopf. So viele plausible Szenarien gab es gar nicht, warum Mario hier hoch kommen könnte.

„Ich wollte zum Sapporo FC. Wir werden im Frühjahr gegen sie spielen. Und ich dachte ich schaue mir die Mannschaft mal an.“

Elsa schluckt ein weiteres Mal. Das stimmt. Sie hatte bereits mit Viktor darüber gesprochen, dass dieser Tag irgendwann eintreten würde.

„Außerdem haben wir zufällig erfahren, dass Viktor in Sapporo spielt. Wusstest du das?“

Elsa blinzelt. „Hmmm… ja weiß ich….“ Etwas nervös nestelt sie an ihrer Handtasche herum.

„Aber was machst du hier? Die siehst nicht so aus, als wärst du für einen Ski-Urlaub hier.“ Mario lacht etwas gekünstelt. Ohne Zweifel will er seine eigene Unsicherheit überspielen.

Elsa kann ihm nicht ins Gesicht sehen. Sie merkt eine altbekannte Röte in ihrem Gesicht aufsteigen. „Ich lebe hier“, sagt sie einfach nur.

„Tatsächlich? Seit wann?“

„So ziemlich seit ich aus Osaka weg bin. Ja, so ungefähr.“ Sie zwingt sich zu einem Lächeln. Sie wollte nicht an diese Zeit zurückdenken.

An Marios Gesichtsausdruck kann sie erkennen, dass auch er sich daran erinnert.

„Ich arbeite bei der Stadt im Tourismusbüro“, fährt sie schnell fort, bevor die Erinnerungen Überhand nehmen. „Sapporo sucht dringend Arbeitskräfte und so konnte ich direkt anfangen und gleichzeitig mein Studium hier an der Uni beenden. Ich organisiere Sportevents, die in der Stadt stattfinden. Jede Menge Wintersport, wie du dir vorstellen kannst.“ Sie lacht. „Aber Fußball kommt auch hin und wieder vor.“

Mario schmunzelt. „Du sahst ziemlich geschäftig aus, wie du hier reinkamst.“

„Ja, ich musste am Flughafen etwas für nächste Woche organisieren.“

Plötzlich zuckt sie zusammen. Ihr Handy vibriert. Rasch zieht sie es aus der Tasche.

„Hallo?“ fragt sie, obwohl sie natürlich weiß, wer dran ist.

„Hallo Schatz, hast du den Zug bekommen? Ich bin auf dem Rückweg und könnte dich vom Bahnhof abholen.“

„Äh ja, entschuldige, dass ich noch nicht Bescheid gesagt habe. Ich bin im Zug und komme um 17:35 an.“

„Sehr gut. Ich hole dich ab!“

Bevor Elsa noch irgendetwas antworten kann, hat Viktor bereits aufgelegt.

„Dein Freund?“ fragt Mario und beobachtet, wie sie das Handy wieder zur Seite legt.

„Ja.“

Sie weiß nicht warum, aber rasch verdeckt sie den Ring an ihrer linken Hand.

„Und du? Wie ist es dir ergangen?“
 

~~~
 

„Wo wirst du eigentlich übernachten?“ fragt Elsa als sie in Sapporo aussteigen und auf dem Bahnsteig stehen. „Ich hoffe du hast bereits ein Hotelzimmer reserviert. Wir haben Hauptsaison, die Stadt ist voll!“

„Ja, das habe ich bemerkt. Ich habe noch ein Zimmer im ‚Sapporo City Hotel‘ bekommen.“

Sie nickt. „Hmm… das ist ein gutes Hotel.“

Langsam machen sie sich auf den Weg Richtung Ausgang. Als Elsa in die Menschenmenge blickt, schlägt ihr Herz plötzlich stärker. Viktor hatte gesagt, er wolle sie abholen. Was würde geschehen, wenn er und Mario sich gegenüber stehen? Sie hatte Viktor am Handy nichts erwähnt und auch im Gespräch mit Mario hatte sie alle Klippen diesbezüglich gekonnt umschifft. Mario wusste nur, dass sie einen Freund hatte. Nervös reibt sie an ihrem Ring. Sie konnte Mario ja auch nicht einfach hier stehen lassen…
 

Als sie sich dem großen Eingangstor nähern, hebt sich eine Hand über die Köpfe der anderen. Zielstrebig steuert Elsa darauf zu. Mario folgt dicht hinter ihr durch das Gedränge.

„Da bist du ja“, begrüßt Viktor seine Verlobte, „Beeilen wir uns, ich stehe im Parkverbot.“

„Hi“, bringt Elsa nur heraus und bleibt unsicher stehen.

Viktor blinzelt irritiert. Dann fällt sein Blick auf die Person neben ihr.

„Ähh…. Mario?“

Rasch sieht er wieder zu Elsa, versucht in deren Gesicht irgendetwas zu lesen, doch diese mustert nur ihre Schuhspitzen.

„Viktor!“, entfährt es schließlich auch Mario überrascht. „Das ist ja ein Zufall! Zu dir wollte ich. Mal über das Spiel im April sprechen und so… Dass ich dich so schnell treffen würde...“ Unbehaglich zupft er an seiner grünen Mütze herum. Elsa muss über diese Geste schmunzeln. Er scheint sich diesbezüglich nicht geändert zu haben. Plötzlich fühlt sich sich eigenartig wohl. Ihr ist, als wäre sie wieder zu Hause.

„Das Spiel?“, blinzelt Viktor immer noch überrumpelt, „Äh, ja, sicher… aber nicht hier und nicht während mein Wagen im Halteverbot steht.“ Mit einem letzten schnellen Blick auf Elsa dreht er sich herum und winkt sie hinaus.

Der dunkle Sportwagen steht direkt vor dem Haupttor zwischen den aus dem Bahnhof strömenden Menschen, argwöhnisch beäugt von einem uniformierten Herren, der bereits mit spitzen Fingern einen Zettelblock zückt.

„Schon gut, schon gut“, unterbricht Viktor ihn rasch, „wir sind sofort weg.“

Der Mann bekommt kurz große Augen, dann steckt er seinen Block lächelnd wieder in die Tasche. „Uesugi-san, Sie sind das! Na, dann will ich nicht so sein. Für den gehaltenen Freistoß neulich, lasse ich Ihnen das einmal durchgehen.“

Viktor zwinkert ihm noch einmal dankbar zu und öffnet schnell die Beifahrertür. „Hopp, rein da! Lasst uns hier erst einmal wegkommen.“

„Viktor, ich kann auch ein Taxi…“ versucht Mario sich zu wehren, doch sein ehemaliger Kapitän drückt ihn mit Bestimmtheit in den Sitz.

„Papperlapapp, wir müssen hier weg, bevor der Typ zurückkommt.“
 

„Mario, wo musst du hin? Übernachtest du in einem Hotel?“, fragt Viktor als sie sich endlich in den Verkehr eingefädelt haben.

„Er ist im City Hotel“, antwortet Elsa von der Rückbank aus, bevor Mario auch nur Luft holen kann.

Viktor sieht sie durch den Rückspiegel an. Ihre Augen haben dieses kämpferische Leuchten, wie immer, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Etwas daran versetzt ihm einen Stich. Er blickt hinüber zu Mario, der nur bestätigend nickt.

„Hmm.. okay“, brummt er und wechselt die Spur.
 

Als sie vor dem Hotel ankommen, legt Elsa Mario eine Hand auf die Schulter. „Warte, du hast sicherlich kein Abendessen reserviert, oder?“

Verdutzt schüttelt Mario den Kopf. Daran hatte er gar nicht gedacht.

„Lass uns doch gemeinsam etwas essen. Geh kurz rein, bring deine Tasche aufs Zimmer und dann kommst du zurück. Wir warten hier solange.“

„Oh… ähh, gerne.“

Er blickt noch einmal kurz zu Viktor, welcher überrascht den Mund öffnet, ihn aber unverrichteter Dinge wieder zuklappt. Rasch schält er sich aus dem Auto und betritt das Hotel. Den entgeisterten Blick, den Viktor Elsa währenddessen zuwirft, bemerkt er nicht mehr.
 

„Würdest du mir das Ganze jetzt bitte mal erklären?“, entfährt es Viktor, sobald sich die gläsernen Türen hinter Mario geschlossen haben.

„Ich habe ihn im Zug getroffen“, entgegnet Elsa schulterzuckend. „Ich habe ihn erst gar nicht bemerkt.“

„Das meine ich ja gar nicht!“

„Sondern?“

„Hast du es ihm gesagt?“

„Was?“

„Das mit uns?“

„Ähmm“ Elsa zögert kurz. Hektisch rekapituliert sie die letzte Stunde. „Nein, ich glaube nicht.“

„Warum nicht?“

„Warum soll ich es ihm denn sofort sagen?“ Viktors offensichtliche Anspannung macht sie zunehmend nervös. „Wie stellst du dir das vor? ‚Hallo Mario, lange nicht gesehen, übrigens bin ich jetzt mit Viktor zusammen.‘ So in etwa?“

Viktor rollt mit den Augen. „Natürlich nicht. Aber du tust gerade so, als würden wir uns nur beiläufig kennen.“

„Das stimmt doch gar nicht.“

„Ach ja?“ Beinahe grob greift er nach ihrer Hand und hebt sie vor ihr Gesicht. Der silberne Ring an Elsas Finger funkelt im Schein der vielen Lichter draußen. „Und der hier? Will er ihn einfach nicht sehen oder hast du ihn vor ihm versteckt?“

„Viktor!“ Empört reißt sie ihre Hand aus seiner. „Weder noch! Es war einfach kein Thema.“

Ihr Verlobter kneift leicht die Augen zusammen, als wüsste er nicht, ob er ihr glauben sollte.

„Außerdem habe ich heute Abend noch nicht einmal eine Begrüßung bekommen“, nörgelt er und zieht einen Schmollmund. „Und dabei habe ich für dich ‚nen Strafzettel riskiert.“

Nun muss Elsa schmunzeln. „Du wusstest, dass du keinen Strafzettel bekommen würdest. Nicht mit dem Nummernschild.“ Schließlich beugt sie sich vor und greift in seinen Nacken. „Komm her und hol dir deinen Begrüßungskuss.“
 

Als er sich wieder von ihr löst, ist seine Stimmung nur geringfügig besser.

„Trotzdem, wie stellst du dir das jetzt vor? Es ist Freitag Abend. Dass du jetzt noch irgendwo einen Tisch im Restaurant bekommst, kannst du vergessen.“

„Oh, stimmt.“ Elsa kaut auf ihrer Unterlippe herum. „Und wenn wir ihn mitnehmen?“

„Wie bitte? Zu uns? In unsere Wohnung?“

„Warum nicht?“

„Und was willst du ihm dort sagen? Dass wir in einer WG leben?“

„Viktor bitte, wir sagen es ihm schon noch.“

„Du sagst es ihm, und zwar gleich, wenn er zurückkommt!“

Elsa seufzt nur.

„Der Kühlschrank ist übrigens ziemlich leer“, stellt Viktor nach einem eigenen Seufzer fest.

„Dann holen wir einfach drei Portionen Ramen von Tanakas“, fällt Elsa ein und entlockt Viktor damit ein weiteres Seufzen.

„Sonst bist du nie so spontan“, grummelt er.

Da wird die Autotür aufgerissen und Mario setzt sich wieder auf den Beifahrersitz. „Das ist eine gute Idee mit dem Essen, aber ich hoffe ihr wisst, wo wir noch einen Tisch bekommen. Das Restaurant im Hotel ist komplett voll.“

„Keine Sorge“, brummt Viktor und startet den Motor.

„Wir haben gerade beratschlagt und wir holen einfach etwas zu essen“, lächelt Elsa. Durch den Rückspiegel kann Viktor erkennen, dass sie vor Aufregung unter dem Haaransatz rot wird. Er wartet noch einen Augenblick, ob sie noch etwas sagt, aber Elsa lehnt sich lächelnd zurück und blickt aus dem Fenster.

Seufzend gibt Viktor Gas.
 

~~~
 

Fünfzehn stille Minuten und etliche Abzweigungen in einem dunklen Wohngebiet später, parkt Viktor das Auto vor einem dreistöckigen Appartmenthaus.

„Nett hier“, kommentiert Mario beim Aussteigen.

„Ja, durchaus“, murmelt Viktor, öffnet geschäftig den Kofferraum und holt seine Tasche heraus. Als er die Klappe wieder schließt, fällt Marios Blick auf das Nummernschild. Er grinst.

„Ue-111. Unbescheiden wie immer, was, Herr Uesugi?“

„Hat Vorteile, wenn man erkannt wird. Hast du ja heute abend gesehen.“ Mit einem kurzen Wink leitet er Mario zum Haus. Dieser wundert sich noch über die kurze Angebundenheit seines Freundes, doch das seltsame Gefühl verschwindet sogleich wieder, als er Elsa an der Eingangstür warten sieht. Sie war ein paar Meter zuvor ausgestiegen, um im Kombini an der Ecke die versprochenen Ramen zu holen. „Die besten von ganz Sapporo“, verkündet sie mit leuchtenden Augen.

Viktor schließt die Tür auf und Elsa tritt sogleich in die Küche, um die mitgebrachten Schüsseln abzustellen. Ohne sich großartig orientieren zu müssen, holt sie Besteck und Gläser hervor.

„Bist du öfter hier, Elsa? Du scheinst dich gut auszukennen.“ Neugierig lugt Mario durch Tür. Für den Bruchteil einer Sekunde zögert sie, dann fährt sie mit ihren Vorbereitungen fort.

„Hmmmh“ Sie nickt, hält aber ihren Blick eigenartig fest auf die Küchentheke gerichtet.

Mit einem leisen Schnauben betritt Viktor die Küche, durchquert zielstrebig den Raum und öffnet eine weitere Tür, die offensichtlich zur Speisekammer führt. Kurz wühlt er darin herum, dann erscheint er wieder mit zwei klimpernden Bierflaschen in der Hand.

„Original aus Sapporo.“ Er streckt eine Flasche Mario hin. „Damit du richtig ankommst.“

„Gute Idee, danke“, antwortet Mario und nimmt die Flasche an.

Während er sie mit dem ebenfalls überreichten Öffner köpft, blickt Viktor mit einem zufriedenen Lächeln zu Elsa, deren Gesichtsausdruck gerade verrät, dass sie mit diesem Angebot gar nicht einverstanden ist.

„Nur um sicher zu gehen“, raunt er ihr noch zu, bevor er Mario ins Wohnzimmer schiebt. Die Plastiktüte unter Elsas Händen knistert.
 

„Nun, wie kommst du mit der Mannschaft klar? Hast du die Jungs im Griff?“

„Ähm, ja. Es war zwar ein ganzes Stück Arbeit, aber inzwischen bin ich gut akzeptiert. Sicherlich mache ich auch einige Sachen anders als du…“

Als Elsa das Wohnzimmer mit dem großen Esstisch betritt, haben es sich Viktor und Mario bereits dort bequem gemacht und fachsimpeln über Fußball. Irgendwie fühlt es sich an wie früher, findet sie. Würde nicht der Schnee draußen liegen, könnte man meinen, sie wären wieder in Osaka.

„Warte, ich helfe dir.“ Mario springt auf, als er sie mit den Suppenschüsseln hantieren sieht.

Doch Elsa winkt ab: „Lass nur. So viel ist es ja auch nicht.“

Entgegen ihrer Worte stellt sie Viktors Schüssel äusserst unsanft auf dessen Platz. Mario kann nicht leugnen, einen gewissen Vorwurf in ihrem Gesicht zu erkennen. Er runzelt die Stirn. Was ist das für eine komische Stimmung? Warum könnte Elsa sauer sein?

„Wir können gerne auch über etwas anderes reden, als über Fußball“, schlägt er versöhnlich lächelnd vor.

Und während Viktor beinahe erleichtert nickt, winkt Elsa erneut ab. „Nicht nötig. Ihre beiden ohne Fußball… das ist doch gar nicht vorstellbar.“

Mario runzelt wieder die Stirn. Will sie einfach nur höflich sein? „Wo in Sapporo wohnst du denn, E…“, versucht er es dennoch mit einem Themenwechsel. Doch er wird regelrecht unsanft ausgebremst:

„Wirklich, Mario, redet ruhig über Fußball. Ich meine, das ist doch der Grund, warum du hier bist.“

Nun sehen beide Männer am Tisch Elsa ungläubig an.

Viktor greift nach ihrer linken Hand und drückt sie.

Mario sieht irritiert zwischen den beiden hin und her. Was für ein seltsames Verhalten. Konnte es sein, dass Elsa etwas vor Viktor geheim halten will und sie Angst hat, er würde unabsichtlich darauf stoßen? Er muss schlucken. Was ist ihr in den letzten Monaten zugestoßen?

„Ähm…“, er räuspert sich, „Na gut, ist ja nicht so, dass wir nicht genug zu bereden hätten.“ Er blickt wieder auf Viktor, der Elsa immer noch mit einem undefinierbaren Blickt ansieht. „Ich war ja schon sehr erstaunt, dass du kein Käpt‘n bist.“

Das Wort ‚Käpt‘n‘ scheint Viktor wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Er zuckt kurz zusammen und wendet sich wieder seinem Gast zu. „Nein, stimmt. Ich bin kein Käpt‘n. Der Posten war natürlich schon vergeben als ich nach Sapporo kam.“ Ein schiefes Grinsen zieht sich plötzlich über sein Gesicht. „Aber dafür bin ich Manager. Und das heißt, dass der Kapitän nach meiner Pfeife tanzen muss.“

Neben ihm ertönt ein unterdrücktes Prusten.

„Shinji wäre da anderer Meinung.“

„Die Meinung kann er ja haben, ich bin trotzdem sein Manager.“

„Aber auf dem Platz musst du trotzdem auf ihn hören.“

„Wenn er mir dumm kommt, kriegt er beim nächsten Auswärtsspiel das schlechteste Hotelzimmer.“

„Nennt man das einen guten Manager?“

„Auf jeden Fall ein erfolgreicher.“

Belustigt verfolgt Mario den Schlagabtausch vor seinen Augen. „Ihr benehmt euch wie ein altes Ehepaar“, platzt es aus ihm heraus, bevor er richtig darüber nachdenken kann, was er da gerade sagt.

Der Schlagabtausch auf der anderen Seite des Tisches hält abrupt inne. Stattdessen starren ihn die beiden mit weit aufgerissenen Augen an.

„Ähm…“

„Ähm…“

Marios Herzschlag beginnt plötzlich unangenehm zu stolpern. Was hatte er da gerade gesagt? Hatte Elsa nicht im Zug erzählt, dass ihr Freund sie vom Bahnhof abholen würde? Hatte sie sich in dieser Wohnung nicht bewegt, als wäre sie hier zu Hause?

‚Ihr benehmt euch wie ein Ehepaar.‘

Seine Augen wandern zu Elsas linker Hand, die immer noch unter Viktors liegt.

„Ihr…“ Seine Stimme klingt seltsam kratzig. „Ihr seid … zusammen, … ja?“

Während Elsa ihn weiterhin mit schreckgeweiteten Augen ansieht, nimmt Viktor ihre Hand und streicht mit dem Daumen zärtlich über den silbernen Ring, der an ihrem Ringfinger steckt. Er nickt.

„Ja, das sind wir.“

Mario starrt immer noch mit angehaltenem Atem auf das Paar vor sich. Sein Kopf hat die Information noch nicht vollständig verarbeitet, doch sein Mund redet bereits weiter. „Das…, ich…, das hatte ich nicht erwartet. Das… das ist doch schön. Dann habt ihr… habt ihr euch hier in Sapporo wieder getroffen und seid zusammen gekommen, ja?“

Viktor nickt erneut. „Und ich habe Elsa gefragt, ob sie mich heiratet. Sie hat ‚ja‘ gesagt.“

Die Worte sind wie eine Pistolenkugel, die genau durch Marios Herz fährt.

„Nein.“

Ungläubig wenden sich die Blicke der beiden Männer Elsa zu, die Mario immer noch mit großen Augen ansieht und nicht mehr gesagt hat, als dieses eine Wort: ‚Nein‘

„Was meinst du mit ‚Nein‘, Elsa?“

Mario meint, ein leichtes Zittern in Viktors Stimme erkennen zu können.

„Es… stimmt nicht“, haucht Elsa leise.

„Du hast auf meinen Antrag ‚ja‘ gesagt!“ Wie zum Beweis reißt Viktor ihre Hand nach oben und deutet auf den Ring.

Doch Elsa bleibt ganz ruhig. „Das meine ich nicht.“ Wie in Trance zieht sie ihre Hand zurück und streicht damit unschlüssig über die Tischplatte. „Wir haben uns nicht hier wieder getroffen“, flüstert sie, „Ich wusste, dass er hier ist.“

Marios Kopf ist leer. „Wie? Du wusstest es?“

„Elsa?“ Viktors Stimme klingt jetzt warnend.

„Er hat mir erzählt, dass er hier ist und ich wollte zu ihm.“

„Warum?“ Die Frage kommt Mario dämlich vor, aber ihm fällt gerade nichts besseres ein.

„Weil ich mich in ihn verliebt habe“, antwortet Elsa schlicht.

„Damals schon?“

„Ja“

Mario starrt in seine Schüssel mit Ramen, die wahrscheinlich längst kalt sind. Plötzlich fällt ihm etwas ein.

„Warst du deshalb so komisch zu mir, nachdem er aus Osaka weggegangen ist? Wegen ihm?“

Elsa zuckt kaum merklich zusammen.

„Ja“, flüstert sie. Und nach einer Pause setzt sie nach: „Es tut mir Leid.“

Mario atmet tief aus. Er hat das Gefühl, dass all diese neuen Erkenntnisse aus seinem Körper heraus müssen. Abrupt steht er auf.

„Tut mir Leid, ich muss mal raus.“

Bevor die anderen beiden ihn aufhalten können, stürmt er aus dem Zimmer, rafft Jacke und Schuhe zusammen und flieht zur Tür hinaus.

„Das hätte ich ihm jetzt nicht so gesagt“, meint Viktor trocken, nachdem die Wohnungstür ins Schloss gefallen ist. Er will Elsa in den Arm nehmen und sie an sich drücken, aber sie springt bereits ebenfalls auf, stürmt zur Tür und lässt ihn allein am Tisch zurück.
 

~~~
 

Die kalte Luft sticht in ihren Lungen, als sie vor das Haus tritt, doch das kümmert sie jetzt wenig. Hektisch sieht sie sich nach allen Seiten um.

„Mario!“

Er lehnt an der Hauswand in der Nähe des Parkplatzes, an dem sie vorhin angekommen sind.

„Mario…“

Kurz bevor sie ihn erreicht, verlangsamt Elsa ihre Schritte. Mario starrt in die Dunkelheit.

„Lass mich bitte in Ruhe, Elsa. Ich will jetzt nicht reden.“

„Doch Mario“, Elsa macht noch einen weiteren Schritt auf ihn zu, „wir müssen reden. Es muss endlich raus.“

Mario entfährt ein höhnisches Lachen. „Gibt es etwa noch mehr zu beichten, von dem ich nicht weiß?“

„Es tut mir Leid.“

„Jetzt tut es dir Leid. Den ganzen Nachmittag hast du nichts gesagt. Hast so getan, als wäre alles in bester Ordnung.“ Ein Ruck durchfährt ihn. Er stützt sich von der Wand ab, ballt die Fäuste und dreht sich zu Elsa um. „Wie hast du dir das vorgestellt?“, schreit er beinahe. „Dass wir hier einen netten Abend miteinander verbringen und ich anschließend wieder wegfahre, in dem Glauben, ihr wärt immer noch meine Freunde? Während ihr mich hinter meinem Rücken betrügt?“

Elsa schluckt. Still kämpft sie mit der ersten Träne, die sich in ihrem Auge bildet. Doch sie weiß, dass Mario alles Recht der Welt hat, sie anzuschreien.

Er scheint es zu bemerken. Mit einem resignierten Seufzer lehnt er sich zurück an die Wand. „Wie lange ging das schon?“

„Zu lange.“

„War es die Party? Erics Geburtstagsparty? Als du dich so komisch benommen hast?“

Elsa senkt den Blick. Mit traumwandlerischer Sicherheit hat Mario genauer ins Ziel getroffen, als er ahnt.

„Eigentlich…“, sie zögert, „Nein, bereits früher.“

Marios Augen werden groß. Sie spürt, dass die Erkenntnis über ihren Betrug noch tiefer in ihm einsinkt.

„Noch früher…?“, flüstert er.

Elsa durchfährt ein Zittern. Ob es an der Kälte oder an Marios Entsetzen liegt, kann sie nicht sagen.

„Erinnerst du dich an den Abend, als ihr nach dem Training alle zusammen bei Viktor und Eric gegessen haben? Und wir darüber gesprochen haben, wie du Sarah bei einem Partyspiel mit einem Kuss auslösen musstest?“

Marios Augen flackern fast unmerklich. „Damals hat Viktor dich im Spaß geküsst.“

„Ja.“ Schuldbewusst mustert Elsa ihre Schuhspitzen.

Hinter ihr knirscht Schnee unter Schuhen. Mit etwas Abstand bleibt Viktor stehen und verfolgt mit ernster Miene ihr Gespräch. Mario blinzelt kurz, beachtet ihn aber nicht weiter. Seine Aufmerksamkeit gilt seiner Ex-Freundin, die noch immer seinem Blick ausweicht.

„Aber das war doch nur im Spaß! Oder war es das nicht? Lief da etwa bereits etwas zwischen euch?“

Elsa schüttelt heftig den Kopf. „Nein! Es begann an diesem Abend. Dieser Kuss ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf! Egal, was ich gemacht habe, alle meine Gedanken drehten sich von da an nur noch um Viktor. Und ihm ging es genauso.“

Als Elsa kurz innehält, blickt Mario hinüber zu Viktor. Dieser nickt nur.

„Wirklich? Wegen so einer kleinen Sache? Verliebst du dich einfach in einen anderen? War ich dir so wenig wert?“

Rasch hebt Elsa den Kopf. „Nein, Mario! Das ist nicht wahr! Du hast mir sehr viel bedeutet und ich habe sehr lange sehr mit mir gekämpft, weil ich wusste, wie unfair es dir gegenüber war. Aber…“

„Aber?“

„Es war zwecklos. Ich konnte einfach nichts dagegen tun.“

Marios Blick wandert zu Viktor, seinem Nebenbuhler, den er bis eben noch gutgläubig seinen Freund genannt hätte.

„Warum hast du nichts dagegen getan?“

„Ich habe etwas getan“, antwortet Viktor ruhig, „Ich bin auf Abstand gegangen, 1.000km weit um genau zu sein.“ Er zuckt mit den Schultern. „Doch es hat nichts gebracht.“

„Ich habe wirklich alles versucht, dass unsere Beziehung wieder in Ordnung kommt, Mario“, lenkt Elsa seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Wie weit war das damals schon, als er gegangen ist? Habt ihr euch geküsst?“

Sie zittert wieder. Will er es wirklich so genau wissen?

„Ja“

Mario muss merklich schlucken.

„Miteinander geschlafen?“

Stumm mustert Elsa sein Gesicht. Es ist verzerrt vor Wut und Enttäuschung. Ihn so zu sehen, tut ihr unendlich weh. Kann sie es noch schlimmer machen?

„Ja“, haucht sie.

Marios Körper sackt in sich zusammen. Seine Schultern sinken ein, sein Blick wird plötzlich ganz leer. Er sieht zu Boden, als könnte er dort die einzelnen Schneeflocken zählen.

Elsa hält angespannt die Luft an.

Doch dann fängt Mario an zu lachen. Er legt den Kopf in den Nacken und lacht laut ein bitteres Lachen in den schwarzen Himmel.

„Konntest nichts dagegen tun, ja?“, wiederholt er höhnisch „Nun, dann ich ja wohl auch nichts dagegen tun.“

„Bitte verzeih mir.“ Nun rollt wirklich die erste Träne über ihre Wange.

Noch immer lachend schüttelt Mario den Kopf. „Irgendwann vielleicht, Elsa. Jetzt kann ich das noch nicht.“ Abrupt kehrt er zu seiner ernsten Miene zurück. Er stellt sich dicht vor Elsa, und sieht ihr tief in die Augen.

„Mit dieser Schuld musst du selbst fertig werden. Ich habe damit nichts zu tun.“

Über ihre Schulter hinweg fällt sein Blick auf Viktor, der ihn weiterhin ernst ansieht. Mit einem schnellen Schritt tritt Mario an Elsa vorbei und baut sich vor dem Älteren auf. Einen unendlichen Moment lang fechten die beiden ein stummes Blickduell aus. Schließlich gibt Viktor sich geschlagen: „Na los“, sagt er gefasst, „Ich werd’s überleben.“

Und bevor er es sich versieht, landet Marios Faust hart auf seiner Wange. Viktor taumelt, stützt sich an der Hauswand ab und keucht. Doch kein Wort des Protests kommt über seine Lippen. Mit zusammengebissen Zähnen sieht er Mario nur stumm an.

Dieser tritt einen Schritt zurück und blickt in den schwarzen Himmel. Er sieht zu, wie Elsa mit entsetztem Gesicht Viktor stützt und seine Wange befühlt. Doch es berührt ihn nicht mehr. Er fühlt sich eigenartig leicht ums Herz.

„Ich wünsche Euch“, sagt er beinahe feierlich, „das eure Beziehung besser endet als sie begonnen hat. Das ist das letzte, das ich euch als Freund wünschen kann.“

„Mario“, flüstert Elsa.

Der schüttelt erneut den Kopf. „Ich gehe. Wir sehen uns irgendwann wieder. Spätestens zum Spiel.“

Schuldbewusst greift sie nach Viktors Hand und drückt sie. Der Ring presst sich kalt in ihre Haut.

„Soll ich dich zum Hotel fahren?“, bietet sie mit leiser Stimme an, doch sie kann sich seine Antwort bereits denken.

Mario winkt ab. „Lass, Ich nehme ein Taxi.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tasha88
2023-05-18T18:33:58+00:00 18.05.2023 20:33
Liebe Rike,

danke hierfür.
ich habe mir vorher lange GEdanken gemacht, warum ich dieses Kapitel eigentlich so mag - obwohl es nicht schön ist. obwohl es traurig ist, ein wenig das Herz bricht.
Dann kam mir die Antwort:
weil es sich jetzt vollständig anfühlt - zumindest für mich. natürlich passt es nicht einhundertprozentig mit der Geschichte sonst zusammen, aber für mich hat es sich vollständig angefühlt.
dieses Gespräch mit Mario, dass er endlich die Wahrheit erfährt. es fühlt sich richtiger an, als dass er viktor einen ball reinhaut und sagt - so, quitt. denn auch ein ruhiger Mario darf genauso reagieren wie hier im Kapitel.

doch trotzdem hätte mir auch die Geschichte so ausgereicht und sie war auch so sehr gut.
aber für mich ist es einfach nochmal ein Sahnebonbon ... und vllt bin ich ein wenig seltsam, dass ich mich darüber freue >.<
danke dir vielmals.
ich freue mich, dass du es geschrieben hast :)

Liebe grüße
tasha
Antwort von:  Centranthusalba
18.05.2023 21:05
Liebe Tasha,
Bitte, bitte.😊
Die Frage müsste ja eigentlich sein, warum hat mich Marios Reaktion in der Ursprungsgeschichte nicht so interessiert, dass ich es wert fand, den Konflikt noch einmal am Ende ‚eskalieren‘ zu lassen?
Wohl, weil es mich anfangs tatsächlich nicht interessiert hat.
Ich wollte Elsa und Viktor zusammenbekommen und am Ende sollten sie sich der Welt als Paar zeigen. Wie die Welt sich dabei fühlt (vor Allem der gehörnte Ex), lag wirklich nicht in meinem Fokus.
Das kam erst nach und nach auf, während unserer VIELEN Gespräche über die Geschichte. Und in deinen Geschichten hast du das Thema ja auch verarbeitet, natürlich mit einem stärkeren Fokus auf Mario.

Also so hätte es auch laufen können. Wobei hier natürlich die Frage nach Gregor offen bleibt. Wird Mario ihm davon erzählen? Vielleicht, vielleicht auch nicht.

So…. Jetzt bin ich aber wirklich endlich durch mit der Story!!!
Antwort von:  Tasha88
18.05.2023 21:26
💖💖💖💖
Ich würde ja sagen, wir beide haben uns gegenseitig sehr beeinflusst.
Ich liebe Viktor mehr udn du kannst zumindest Mario mehr abgewinnen 😂😂


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