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Oneshot

Draußen herrschte eisige Kälte und Uruha war froh, dass er hier in einem überfüllten Café saß und gemeinsam mit seinem besten Freund eine heiße Schokolade trank. Er war hierher geflohen. Geflohen von seinem Alltag und dem tristen Treiben seiner selbst. Er fühlte sich frei – frei wie schon lange nicht mehr, und dies lag einzig und allein an Aoi, der vor ihm saß, gelegentlich einen Schluck aus seiner bauchigen Tasse nahm und Uruha von schönen Dingen erzählte. Dinge, die Uruha selbst auch gerne sehen und erleben wollte und sicher auch irgendwann würde, wie Aoi ihm einzureden versuchte. Uruha wünschte es sich, versuchte, Aoi Glauben zu schenken, dessen Worte ernst zu nehmen. Aber irgendwie gelang es ihm nicht. Er fand den Gedanken abwegig, irgendwann auch einmal lächelnd von solchen Erfahrungen zu erzählen, wie es Aoi gerade tat. “Minami möchte dich auch mal wieder zu Gesicht kriegen. Ihr Bauch ist jetzt schon riesig und sie will, dass du das auch siehst!“, redete sein bester Freund glücklich, der vor etwas mehr als einem Jahr geheiratet hatte und bald Vater werden würde.
 

Uruha freute sich für die kleine Familie. Und immer, wenn er seinem Lebenspartner, mit dem er nun schon seit anderthalb Jahren zusammen war, davon erzählte, starrte dieser ihn nur emotionslos an und zischte, “Na und?“ Dass Uruha mal wieder von seinen eigenen Gedanken gefangen genommen wurde, merkte Aoi sofort, weshalb er auch, seine ständige Besorgnis unterdrückend, fragte, woran der Jüngere dachte. “Ach, es ist nichts!“ Das sagte Uruha immer wieder auf so eine glaubwürdige Art und Weise, dass es Aoi wehtat, den Brünetten bewusst zum Lügen zu animieren. Uruha war schon seit längerem so verschlossen und unehrlich und wollte ihm nicht wirklich erzählen, was ihn bedrückte. Denn Aoi konnte in der Tat sehen, dass Uruha etwas am Herzen lag, er sich aber nicht traute, mit der Sprache herauszurücken. “Hm.. Und was sagst du dazu?“ “Wozu?“, fragte Uruha verwirrt und spürte den Kloß in seinem Hals, der sich durch quälend langsames Schwellen bemerkbar machte, als Aoi wissen wollte, wann er ihn denn mal wieder besuchen kam. “Du kannst Reita ja mitbringen. Immerhin hatten Minami und er noch immer nicht die Gelegenheit, sich kennen zu lernen“ Uruha spürte Unbehagen in seinem leer stehenden Körper aufkommen. Wieso musste Aoi ihm das Leben mit solch simpel klingenden Angeboten erschweren?
 

Für jeden anderen war es sicher kein Problem, seinen Bekannten oder Freunden einen Besuch abzustatten. Dass Uruha selbst seiner Familie längst keinen Besuch mehr abstatten konnte, dafür hatte Reita schon vor langem gründlich gesorgt. Der Brünette wurde erneut aus seinen Gedanken gelockt. “Uruha?“ “Ähm, ja, ich kann ihn ja darauf ansprechen“ "Nicht", hang Uruha in Gedanken hinterher und fühlte sich plötzlich völlig unwohl in seiner Haut. Die Ladentür hatte sich mit einem lauten Klingeln bemerkbar gemacht und der eiserne Wind war für einige Sekunden hereingebrochen. Für seinen Geschmack einige Sekunden zu viel. Es fühlte sich für Uruha so an, als würde der Wind ihn von Kopf bis Fuß umhüllen, obwohl er nahe einer voll aufgedrehten Heizung saß. Wieso kam es ihm nur so vor, dass die Klingel der Vorankündiger einer verzwickten Situation werden würde? “Okay, nun mal ehrlich. Du bist doch sonst auch nicht so sehr aus dem Konzept, dass du verwirrt durch die Gegend schaust, Uruha!“, lachte Aoi und versuchte, die Stille, die nur sie beide zu umgeben schien, zu verscheuchen. Mit einem freundlichen Lächeln, welches Uruhas trauriges Herz immer wieder erfreut zum Klopfen brachte, setzte er sich neben den Jüngeren auf die gepolsterte Sitzbank und legte einen Arm um die Rückenlehne und somit auch um Uruha.
 

Genau so hatten sie sich zu ihrer Schulzeit auch besser kennen gelernt. Aoi war zwei Klassenstufen höher und somit sein Senpai gewesen, und sie hatten sich damals gemeinsam in ein Café gesetzt, hatten geredet und gelacht und hatten irgendwann gemerkt, dass sie dafür bestimmt waren, eine besondere Freundschaft zu teilen. Viele auf ihrer damaligen Schule waren immer sehr eifersüchtig auf ihre Freundschaft gewesen, und nicht selten hatten sich viele zwischen sie beide zu drängen versucht, Jungen sowie Mädchen. Doch nie hatte jemand es geschafft, dieses zähe Band der Freundschaft zu zerreißen, welches sie beide noch immer zusammenhielt. Doch Uruha hatte jeden weiteren Tag aufs Neue die Befürchtung, dass Reita auch dies irgendwann zustande bringen würde. Er hörte jemanden reden, und die Stimme, die er zu kennen schien, wurde immer lauter, bis ihm auffiel, dass es nur Aoi war und er selbst wie schon sooft weggedriftet war. Erschrocken verschluckte er sich an seinem eigenen Speichel, als Aoi den Arm diesmal richtig um seine Schulter legte und ihn fest an sich drückte, während die freie Hand des Älteren freundschaftlich seinen brünetten Schopf durcheinander brachte. Er versuchte noch verkrampft, sich vom lachenden Aoi freizukämpfen, als plötzlich sein Name ertönte, so kalt und schneidend, kälter noch als der Wind, der draußen durch die überfüllten Straßen fegte.
 

Sofort spannte sich Uruhas gesamter Körper an und jede Zelle schien in ihm zu gefrieren und sogleich zu zersplittern. Aoi bemerkte dies sofort, weshalb er auch seine Arme ruckartig zurückzog und stattdessen leicht überfordert zu Reita rüber sah, der, wie aus dem Nichts erschienen, mit geballten Fäusten in der Jackentasche und einem leicht drohenden Gesichtsausdruck vor ihrem Tisch stand und sie abschätzend musterte. Dann schien wieder etwas Leben in Reita einzufahren, und er fragte langsam, “Was machst du hier, Uruha?“ Unbewusst sank Angesprochener in sich zusammen, was verwirrt und zeitgleich besorgt von Aoi zur Kenntnis genommen wurde, und Uruha versuchte zu reden, ohne dabei verräterisch zu stottern oder unterwürfig zu klingen. Aoi sollte nichts merken. Er sollte nicht merken, dass Uruha Angst vor dieser Situation hatte und sich unverzüglich an einen anderen Ort wünschte. Am liebsten an einen der Orte, von denen Aoi immer so viel erzählte. “I-ich wollte nur ein wenig was trinken“, bemühte sich Uruha, standhaft zu klingen, doch biss er ängstlich die Zähne fest zusammen, dass seine markanten Kieferknochen zum Vorschein kamen, als Reita schnarrend, “Das kannst du auch zu Hause machen. Wozu also unnötig Geld ausgeben und hier herumsitzen, wenn du doch zu Hause bleiben kannst?“, höhnte und ihn mit seinen fordernden Blicken dazu zwang, aufzustehen. “Ähm, hey Reita!“, wollte sich Aoi mit gehobener Hand bemerkbar machen, doch er kassierte nur einen schneidenden Blick, der ihm unverzüglich durch Mark und Bein zu gehen schien. “Hallo“, gab Reita dann doch noch von sich, jedoch völlig lieblos und desinteressiert.
 

Dann wandte er sich wieder an Uruha und sagte gespielt liebevoll, “Na los, steh auf. Ich möchte die Zeit mit dir lieber zu Hause verbringen, als in der Öffentlichkeit“, und hielt Uruha die rechte Hand hin, die dieser nur sehr zögerlich und zittrig ergriff. Er blickte noch einmal zu Aoi, versuchte ihm mit seinen Blicken zu sagen, dass er Angst hatte und nicht nach Hause wollte, doch der Ältere verstand ihn nicht, und so sahen sie sich nur flüchtig in die Augen, bevor ein Ruck durch Uruhas Körper ging, da Reita schroff an seiner Hand gezogen hatte. Der Blonde hatte bemerkt, wie Uruha nach Hilfe verlangt hatte. Er kannte die Körpersprache des Brünetten inzwischen zu gut. Amüsiert grinsend zog er Uruha hinter sich her, der nur stolpernd folgen konnte und es nicht wagte, sich noch einmal zu Aoi herumzudrehen. Das müsste er ihm erklären, wenn sie sich das nächste Mal treffen würden. Wenn es denn überhaupt ein nächstes Mal gab.
 

Reita ließ so lange nicht von Uruhas Hand ab, bis letzterer im Wagen des Blonden saß. Er beobachtete Reita ängstlich dabei, nebenbei unauffällig seine schmerzende Hand reibend, wie dieser einmal um das Auto herumging. Uruha könnte noch aussteigen. Er könnte aussteigen und so schnell laufen, wie er nur konnte. Doch wirklich viel würde es ihm im Endeffekt auch nicht bringen, weshalb er lieber sitzen blieb und den Anschnallgurt fest umklammert hielt. Wohin sollte er denn auch flüchten? Sein Partner hatte ihm jegliche Freundschaften zerstört, und selbst seine Familie interessierte sich nicht mehr für ihn. Reita stieg ein, knallte die Tür hinter sich zu und legte sich den Gurt kommentarlos um. Erst als der Motor zu wimmern begann und der Wagen sich in Bewegung setzte, fragte der Blonde drohend, “Wo ist dein Handy?“ Uruha, erneut in sich zusammengesunken, erwiderte nur leise, “In m-meiner Hosentasche“, und holte es zum Beweis auch hervor, doch blieb sein Herz für einige Sekunden stehen, als er entsetzt feststellte, dass es ausgeschaltet war. “Und wieso ist es dann aus, wenn du es bei dir hast? Wozu hat man ein Handy? Damit man es ausgeschaltet mit sich durch die Gegend schleppt und somit nicht erreicht werden kann?!“, wurde Reita immer lauter und wirkte beinahe so, als wolle er das Lenkrad ausreißen, da er es so fest umklammert hielt. Der Blonde machte immer wieder aus einer Mücke einen Elefanten. Doch Uruha würde den Teufel tun und ihm das ins Gesicht sagen. Er wollte gar nicht daran denken, was das für Konsequenzen für ihn haben würde. “I-ich hatte es angemacht, aber anscheinend ist der Akku leer gegangen“, versuchte er, den anderen zu besänftigen, der jedoch nur abfällig schnaubte und, “Du bist wirklich nur zum Ficken gut. Was anderes kriegst du einfach nicht auf die Reihe!“, blaffte, was erbarmungslos ein weiteres Stück aus Uruhas malträtiertem Herz riss.
 

Er redete sich immer wieder ein, dass Reita so etwas nur sagte, weil er verärgert war. Aber was brachte es ihm, sich selbst zu belügen? Er machte sich damit nur kaputt, doch anscheinend machte ihm selbst das nichts aus. Uruha konnte nichts dafür, er liebte Reita nun einmal abgöttisch, auch wenn er inzwischen große Angst vor diesem hatte. So jemanden nannte man dann wohl einen Masochisten. “Wenn das noch einmal vorkommt, sorge ich dafür, dass du keinen Fuß mehr vor die Türschwelle setzt. Somit bist du wenigstens immer zu erreichen“, schnarrte Reita, während er Gas gab und gleichzeitig Gefallen an der Idee fand. Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Reita, der nur ab und an leise schnaubte und Uruha, der vor Furcht bibberte und es immer wieder auf die Kälte schob, wenn Reita ihn kurz auf sein Zittern ansprach. Als der Wagen vor einem Hochhauskomplex parkte, stieg Reita als erster aus, so wie es sein sollte. Uruha durfte nie zuerst aussteigen, musste warten, bis Reita ihm die Tür aufhielt. Für viele mochte das wie eine nette Geste wirken, doch Uruha kannte die Wahrheit dahinter. Reita ging immer wieder sicher, dass Uruha nicht weglaufen konnte. Er hielt dem Brünetten gewohnt die Hand hin, der keine andere Wahl hatte, als sie zu ergreifen und über die Schmerzen zu schweigen, die Reita ihm zufügte, indem er seine Hand, unbemerkbar für andere, beinahe zerdrückte, dass seine Knochen kurz davor waren, zu zersplittern.
 

“Nh.. Reita“, krächzte Uruha dann doch und zauberte somit ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht des Älteren, der es liebte, wenn Uruha seine Schwäche und seinen Schmerz nicht mehr zurückhalten konnte und sie ihm präsentierte. “Ja, Liebling?“, säuselte er giftig und ließ tatsächlich etwas locker, als Uruha, all seinen Mut zusammenfassend, “Bitte, kannst.. kannst du etwas locker lassen? Das tut ein wenig weh..“, flüsterte und dabei die aufkommenden Tränen runterschluckte. Wie sehr vermisste er es und wünschte sich, dass Reita ihn wieder aus tiefstem Herzen und mit liebevollen Augen „Liebling“ nannte. Wann hatte es ungefähr aufgehört? Uruha konnte sich nicht wirklich daran erinnern und eigentlich wollte er es auch nicht. Das waren hässliche, zerstörerische Erinnerungen und er wollte ihnen jetzt keine Angriffsfläche bieten. Wobei er 24 Stunden am Tag Reita gegenüber genügend Angriffsfläche bot. Er ließ sich also vom körperlich Kleineren hinter sich her ins nicht minder kühle Treppenhaus ziehen und stolperte die Stufen bis zum vierten Stock hinauf, da sich ihre gemeinsame Wohnung dort befand. Die Vorfreude, ihre gemeinsamen vier Wände zu betreten, lag schon längst in der Vergangenheit. Uruha konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal glücklich darüber gewesen war, endlich nach Hause zu kommen, um mit seinem Partner allein zu sein. Reita schloss die Tür auf, zog Uruha an sich vorbei und schubste diesen in den langen Flur, um die Tür sogleich wieder hinter sich zuzuschlagen und zu verriegeln. “Ausziehen und mitkommen.“, lautete der einzige Befehl des Älteren, was Uruha schmerzhaft schlucken ließ. Doch trotz seiner Angst fragte er leise, “Ganz?“, und brachte Reita somit tatsächlich kurz zum Überlegen.
 

“Hm, die Hose kannst du anbehalten. Der Rest wird ausgezogen, aber etwas schnell!“ Und somit durchquerte Reita den Flur und verschwand im Wohnzimmer. Uruha verlor lieber keine Zeit und entledigte sich schnell seiner Klamotten. Sofort packte ihn ein Schüttelanfall, da es nicht gerade warm in ihrer Wohnung war. Zögerlichen Schrittes steuerte er aufs Wohnzimmer zu, welches am anderen Ende des Flures war, und als Reita, der am großen Fenster stand und hinaus starrte, sich zu ihm herumdrehte, schlang Uruha sofort beschämt die Arme um den eigenen Oberkörper, um die blauen, grünen und violett verfärbten Flecken auf seiner gesamten Haut zu verbergen. Reitas Mundwinkel zuckte ob diesen erbärmlichen Anblicks nur kurz amüsiert gen Zimmerdecke, als er dies erblickte, ehe er wieder ausdruckslos drein sah, seine Arme ausbreitete und Uruha aufforderte, zu ihm zu kommen. Eben jener näherte sich schluckend dem Mann, der sich einen Spaß draus machte, Uruha zu schikanieren, ihn zu erniedrigen und sich an dessen Leid zu ergötzen. Der Brünette malte sich ängstlich aus, was nun wohl wieder in Reitas Kopf vorging. Lange würde es auch nicht brauchen, bis er es erfuhr. “Schneller!“, grölte Reita, dem das alles viel zu langsam ging, woraufhin Uruha aufjapsend in die ausgebreiteten Arme sprang und sich für einige glückselige Sekunden an den festen Körper des anderen presste.
 

Sein Körper verzehrte sich nach Reita, selbst wenn dieser ihm Dinge antat, die er nicht verdient hatte. “Wieso hast du die Wohnung verlassen? Ich kann mich nicht erinnern, dir die Erlaubnis gegeben zu haben“, wisperte Reita nahe dem Ohr des Jüngeren und hauchte leicht hinein, der nur verkrampft in den Armen Reitas hing und kurz schwieg. “Du bist doch heute Morgen raus, und weil mir.. ohne dich langweilig war, habe ich Aoi angerufen, damit wir ein wenig miteinander reden können“, gab Uruha eingeschüchtert zu und spürte wohlige Wärme in jedem Körperteil, da Reita angefangen hatte, ihn während ihrer Umarmung sanft zu streicheln. Aber der Brünette wusste, dass diese Situation nicht lange währen würde, weshalb er so lange wie möglich zu genießen versuchte. Ganz sachte legte er seine Arme um Reitas Körper und drückte den Kleineren an sich, wagte es, sein Gesicht in dessen Halsbeuge zu verstecken und den markanten Duft einzuatmen, den er so sehr begehrte. “Ach, das nennst du also Reden, ja?!“, fuhr ihn der Ältere plötzlich an und Uruha spürte, wie sich alle zehn Fingernägel Reitas unverzüglich in seinen blanken Rücken gruben, sodass ein pochender Schmerz entstand, der ihn zusammenfahren ließ. “Reita, bitte, du-“ “Der Wichser befummelt dich in aller Öffentlichkeit und du sitzt da nur herum und lässt es geschehen. Und dann versuchst du mich auch noch zu verarschen, indem du mir was von „Reden“ vorgaukelst? Nicht mit mir, du Schlampe!“, brüllte Reita und stieß den Größeren mit enormer Kraft von sich, dass dieser nach hinten strauchelte und gerade noch so beim Fallen mit dem Hinterkopf die scharfe Kante des Fernsehtisches verfehlte.
 

Uruha, sich ächzend den schmerzenden Ellenbogen reibend, versuchte, wieder aufzustehen, während Reita die Tür zum Balkon hastig aufriss und dem Brünetten sogleich fest an den Hals griff, um zuzudrücken und ihn so wieder auf die Beine zu ziehen. “Viel Spaß da draußen. Ich hoffe für dich, dass du deine Lektion somit lernst und mich ein wenig mehr ernst nimmst!“, schäumte Reita vor Wut über und ließ Uruha gar nicht erst zu Wort kommen, sondern zwang ihn, rückwärts in die Kälte zu treten. Uruha gab sich gar nicht erst die Mühe, Reita zu bitten, ihn wieder hereinzulassen. Mit feuchten Augen bemerkte er, wie sein gesamter Körper sofort von Gänsehaut übersät wurde. Es war verdammt kalt und seine Zähne klapperten jetzt schon ununterbrochen. Reita schickte ihm mit einem hämischen Gesichtsausdruck noch einen Luftkuss, ehe er ihm den Rücken zudrehte und das Zimmer schlendernd verließ. Der Brünette, froh darüber, dass ihr Balkon von Betongeländer umgeben war und er somit ungesichtet blieb, hatte sich auf den Boden gehockt und sich zusammengekauert, um sich ein wenig warm zu halten. Mit seinem stetig kälter werdenden Atem versuchte er, sich ein wenig zu wärmen, doch vergebens. Die Kraft, sich zu bewegen, hatte er nicht wirklich. Diese wenigen Sekunden in der Kälte hatten seine Muskeln anscheinend schon jetzt eingefroren. Aus leeren Augen starrte er durch den winzigen Schlitz im Betonboden und konnte somit die vorbeiziehenden Menschen sehen. Frohe Gesichter, lautes Gelächter, das alles drang bis zu ihm hoch und ließ ihn fantasieren.
 

Wie weggetreten und mit getrockneten Tränen im Gesicht, die auf seinen Wangen wie eingefroren schienen, malte er sich mit Regenbogenfarben seine eigene, glückliche Welt, in der auch Reita eine Rolle spielte. In seiner Fantasie und seinen Erinnerungen war Reita nie so ekelhaft zu ihm. Er erinnerte sich sehnsüchtig daran, wie Reita mit einem breiten Lächeln im Gesicht ihm gegenüber in der vollen Badewanne saß und ihm Schaum ins Gesicht pustete, ihn lachend an sich zog, umarmte und ihm unendlich lange Liebesgeständnisse ins Ohr wisperte, während er gleichzeitig Uruhas Körper verwöhnte. Der Brünette seufzte unbewusst und voll Sehnsucht auf und bemerkte dabei nicht, dass Reita, der wieder am Fenster stand, ihn mit gehobenen Brauen beobachtete. Während Uruha ganz langsam über seine Arme rieb und es sich somit langsam aber stätig so anfühlte, als würde sein gesamter Körper der Kälte wegen brennen, zündete Reita sich eine Zigarette an und überlegte stumm vor sich hin. Herzlos beobachtete er den Mann vor sich, den er einmal abgöttisch geliebt hatte dabei, wie dieser kurz vor dem Erfrieren war. Menschen konnten sich so schnell ändern und machten sich keine Gedanken um andere, als um sich selbst, und besonders Uruha hatte ihm dies bewiesen. Es war einzig und allein die Schuld des Brünetten, dass Reita sich so drastisch verändert hatte, sich ihm gegenüber so unmenschlich verhielt. Uruha war der eigentliche Übeltäter, er hatte alles zerstört, obwohl Reita immer gut zu ihm gewesen war und ihm jeden Wunsch erfüllt hatte. Einzig der Brünette hatte ihn dazu gebracht, ihn so sehr zu hassen, dass er ihm nun solche Dinge antat.
 

Mit zusammengekniffen Augen und hin- und her schüttelndem Kopf versuchte er, das Bild von Uruha zu verdrängen, welches sich aus seinen verschlossenen und verdrängten Gedanken freigekämpft hatte und ihn erneut zu quälen begann. Schlimmer noch als die Qualen, die er Uruha zufügte. Reita sah Uruha vor sich, wie er in den Armen eines ihm heute noch immer Unbekannten hing, sich von diesem überall küssen und anfassen ließ und dabei so genießend seufzte, wie er es sonst nur bei Reita getan hatte. Der Größere hatte ihm das Herz gebrochen, seine Gefühle mit Füßen getreten und sein Vertrauen missbraucht, und noch heute wusste Uruha nicht, dass er damals in ihrer gemeinsamen Wohnung von Reita erwischt worden war, wie er sich einem anderen willig angeboten hatte. Und das in ihrem gemeinsamen Bett, ihrem Zufluchtsort. Durch Blinzeln versuchte Reita, die wenigen Tränen in seinen Augen wieder loszuwerden. Es stand ihm nicht zu, hier in Tränen auszubrechen, er durfte nicht verweichlichen. Immerhin musste er den Schein wahren. Seine Zigarette rauchend ging er im Wohnzimmer auf und ab und konnte genauestens hören, wie Uruha viermal hintereinander nieste. “Verreck’ doch..“, murmelte er seiner Zigarette entgegen, nahm noch einen Zug und drückte sie dann im Aschenbecher aus, die auf dem Couchtisch stand.
 

Es war eine lange Zeit vergangen. Das wusste Uruha, denn er fühlte schon lange nichts mehr. Und zudem zeigten sich am leicht verdunkelten Himmel die ersten blassen Sterne, die fröhlich umherfunkelten und Uruha innerlich zum Lächeln brachten. Reita hatte es immer geliebt, ihn nachts auf den Balkon zu tragen und dort mit ihm die Sterne zu beobachten. “Siehst du den Stern dort?“, hatte der Blonde immer gefragt, und wenn Uruha lächelnd bejaht hatte, hatte Reita jedes Mal gesagt, “Wenn du willst, schenk’ ich ihn dir. Und jedes Mal, wenn du gen Himmel blickst, denkst du an mich!“, was Uruhas Herz immer zum Rasen gebracht hatte vor lauter Glückseligkeit. Genau jetzt blickte er seinem Stern entgegen, der heute nicht mehr so hell leuchtete, wie er es einmal getan hatte. Seine Gesichtszüge wurden traurig. Er war Reita nicht böse, wirklich nicht. Und er fand inzwischen, dass er die heutige Behandlung verdient hatte. Uruha würde von nun an versuchen, gehorsamer zu sein und Reita zu gefallen. Der Blonde sollte keinen Grund haben, sauer auf ihn zu sein. Uruha fing gerade an, leise zu summen und verloren gen Himmel zu blicken, als Reita sich dazu entschloss, den anderen wieder hereinzulassen. Schließlich waren nun zweieinhalb Stunden vergangen, seit er den Größeren ausgesperrt hatte, und es war ein Wunder, dass der andere vor Kälte nicht zusammengebrochen war.
 

Die Tür zum Balkon wurde leise geöffnet und Reita trat neben den Brünetten, der anscheinend in seiner Position festgefroren war, da er sich nicht erheben konnte, als Reita ihn dazu aufforderte. Und auch schien sich die Kälte auf sein Hirn ausgewirkt zu haben, da Uruha nur wirres Zeug von sich gab, als Reita, “Steh schon auf!“, motzte und mit einem Fuß ungeduldig wippte. “Gleich, ich kann.. musst warten.. geht nicht“, brabbelte er wirr und mit kratziger Stimme, und auch wenn Reita immer versuchte, in solchen Situationen standhaft zu bleiben, so bahnten sich wieder große Sorgen an, die er zu vertreiben versuchte. Er durfte kein Mitleid mit Uruha haben! Keine Schuldgefühle! Immerhin hatte der Brünette sich auch nicht um Reitas Gefühle geschert, als er mit einem anderen geschlafen hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen und nervigen Stimmen in seinem Kopf, die ihn zu überreden versuchten, Uruha zu verzeihen, beugte er sich zum Größeren und zerrte ihn mit Leichtigkeit hoch, doch kniff er sofort die Augen zu, als Uruha einfach laut und hemmungslos zu weinen begann. Anscheinend war sein Körper von der Temperatur so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass jede winzige Berührung schmerzte, anders konnte sich Reita diesen weinenden Haufen nicht erklären. “Hör auf damit, das nervt! Du bist zu laut, verdammt!“, giftete Reita den Jüngeren an, dessen Finger so schwach waren, dass er sich nicht einmal richtig an Reitas Arm festhalten konnte. “Bitte.. es tut weh!“, schniefte Uruha weinend und schaffte es kaum noch, die Augen offen zu halten vor Schwäche. Alles in ihm schmerzte, pochte, barst auseinander, wie ihm schien.
 

Der Blonde ergab sich der Situation, aber auch nur, weil Uruha nicht mehr klar denken konnte und nur die Schmerzen im Kopf hatte, und hob ihn an, um ihn ins warme Innere der Wohnung zu tragen. Der Brünette wurde aufs Bett im Schlafzimmer verfrachtet, doch gab er bei jeder kleinsten Bewegung einen ächzenden Laut von sich, da ihn die Schmerzen bis an seine Grenzen trieben. So viel konnte er einfach nicht aushalten! Aber dennoch.. er hatte es verdient, er durfte Reita dafür nicht hassen. “Ist gut, hör schon auf zu heulen!“, redete Reita laut und deckte Uruha lieblos zu, verließ dann jedoch den Raum und kam mit zwei Wärmflaschen wieder, die er mit unter die Decke legte und diese dann fest um den Brünetten wickelte, der in Sekundenschnelle eingeschlafen war und dann und wann noch ein leises Schluchzen von sich gab. Reita, der neben ihm auf dem Bett saß, beugte sich mit zusammengezogenen Brauen zu Uruha vor, um das schlafende Gesicht zu betrachten. War er nicht gut darin, vorzuspielen, als wäre ihm egal, was mit Uruha war? Schauspieler sollte er mal werden! Er wollte es nicht, aber konnte nicht anders, und so biss er sich reuleidig fest auf die Unterlippe, bemerkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, und wischte sich schnell mit dem Handrücken übers Gesicht, ehe er seine Hände an die fahlen, kühlen Wangen Uruhas legte und sanft zu reiben begann. Noch tiefer beugte er sich vor und lehnte, stumm seine Tränen vergießend, seine Stirn an Uruhas und zuckte der Kälte wegen kurz zusammen. Uruha fühlte sich an wie ein einziger Eisblock. “Es tut mir leid.. so unendlich leid. Wenn es dir doch auch nur leid tun würde..“, flüsterte der Blonde mit seinen verdrängten Gefühlen kämpfend und wich nicht von Uruhas Seite. Doch der nächste Morgen würde für sie beide wieder wie immer ablaufen.
 


 

“Oi, Uruha?“ Ertappt zog Angesprochener die Schultern an, als er Aois Stimme vernahm. Wieso musste sein bester Freund ihm auch jetzt über den Weg laufen? Japan war groß, warum gerade hier, warum gerade jetzt? “Wusst’ ich’s doch, dass du das bist! Na, wie geh-“ Der Schwarzhaarige stockte in seiner Begrüßung und seine Augen weiteten sich ungläubig. Er hatte Uruha an der Schulter gepackt und schnell zu sich herumgedreht, der den Kopf vorher noch schützend gesenkt hatte, und bei dieser Bewegung war dem Brünetten der Pony aus der linken Gesichtshälfte geweht worden, sodass das blaue, angeschwollene Auge, welches er vergebens kräftig zu überschminken versucht hatte, Aoi nur so entgegenleuchtete. “U-uruha, was.. verdammt, was ist passiert?!“, fragte er und nahm das Gesicht des Jüngeren besorgt in beide Hände und musterte es fassungslos, dem die Situation ziemlich unangenehm wurde. Sich räuspernd klammerte er sich an die Hände Aois und entzog diese sachte seinen Wangen. Die Leute um sie herum, die einfach nur einkaufen wollten, schauten alle schon so komisch. Jetzt brauchte er eine Ausrede, ganz schnell! “Ich habe zu Hause beim Aufräumen nicht aufgepasst, wo ich hingelaufen bin“, versuchte er mit einem Lächeln, den Älteren zu befriedigen, der ihm aber nicht glauben wollte. Aoi sprach das aus, wovor Uruha bis jetzt immer abzulenken versucht hatte. “Er war’s, stimmt’s?“, fragte er geradeheraus und sah Uruha auf so eine Art und Weise an, dass dem Jüngeren klar wurde, dass Aoi die Wahrheit hören wollte. Aber die konnte er ihm nicht sagen, verdammt! Also mimte er den Ahnungslosen und lachte gespielt heiter, “Wer war was?“
 

Sofort erstarb sein Lachen jedoch und seine Mundwinkel wurden schlaffer, als Aoi mit fester, kühler Stimme, “Reita hat dich so zugerichtet, gib es zu!“, verlangte und ihn dabei weiter gegen das Regal hinter sich drängte. Der Brünette fing an, den Kopf zu schütteln. Immer schneller und schneller, bis Aoi ihn davon abhalten musste. “Rede nicht so über ihn! Er liebt mich, er würde mir so etwas niemals antun!“, redete sich Uruha selbst ein und hielt dabei die Augen fest zugekniffen, um Aois ungläubigen und auch traurigen Ausdruck nicht sehen zu müssen. “Hey, tut mir leid, ist gut.. Ich glaub’ dir ja..“, murmelte der Ältere und klopfte dem Größeren kurz auf die Schulter, der zaghaft die Augen öffnete und sich durch langsames und regelmäßiges Atmen wieder zur Ruhe brachte. Er hatte kurzzeitig einen schnelleren Puls gehabt, der ihn verraten hätte, hätte er nicht so wunderbar gelogen. Der Brünette atmete stoßweise aus und beruhigte sich somit weitestgehend. Um die angespannte und auch leicht peinliche Lage ein wenig zu entschärfen, kämmte er sein Pony erneut in sein Gesicht, lächelte zerknirscht und fragte unsicher, “Kaufst du für Minami ein?“ Der Ältere war verwirrt aber auch froh über den Themenwechsel, und er nickte, zeigte auf den halbvollen Einkaufskorb zu seinen Füßen und lächelte ebenfalls unsicher, bevor er, “Sie leidet an Stimmungsschwankungen, hat ununterbrochen Hunger und wirft sich jedes Lebensmittel in ihrer Reichweite ohne Bedenken rein, wovon mir allein vom Zusehen schlecht wird“, erzählte. Sie beide lachten wieder heiter, und Uruha fühlte schlagartig diese Geborgenheit aufkommen, die er nur bei Aoi verspürte.
 

Sie schlenderten gemeinsam durch die Regale, wobei Uruha nicht zu sehr zu trödeln versuchte, da Reita zu Hause war und auf ihn wartete. Er hatte dem Brünetten ein Zeitlimit von zwei Stunden gegeben. Wenn er bis dahin nicht wieder zurück war, würde Reita ihn kommen holen, das hatte er ihm versprochen. Die unangenehmen Gedanken verdrängend ging Uruha vor und lachte ab und an erheitert, wenn Aoi einen Witz über Minamis Stimmung und aktuellen Essgewohnheiten riss. Doch im nächsten Augenblick lief er, unachtsam wie er in dem Moment war, in jemanden hinein, strauchelte zurück und verbeugte sich sofort mehrmals und entschuldigte sich ohne aufzusehen. Und als ein dunkles, erheitertes Lachen zu hören war und ein tiefes “Halb so wild!“ ertönte, gefror er sofort zu Eis. Nein, das konnte nicht sein! Was war das nur für ein Tag?! Erst wurde er von Reita nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst, dann musste Aoi ihn auch noch in dieser Verfassung sehen und jetzt stand ER vor ihm?! "Das ist ein Scherz..", dachte er verzweifelt, als er aufsah und in das Gesicht blickte, welches er sehr gut kannte. Viel zu gut, um ehrlich zu sein. “Uruha, alles in Ordnung?“, ertönte die leise Stimme Aois von hinten, doch der Brünette schluckte nur den trockenen Kloß in seinem Hals hinunter und starrte ungläubig in die großen, fast schwarzen Augen des Mannes vor sich, der sicher einen Kopf größer als er war. “Uruha. Schön, dich wieder zu sehen“, hauchte der Unbekannte und grinste dabei breit, und Uruha konnte nur nicken. Zu etwas anderem war er nicht imstande. Ihn hätte er in all der langen Zeit beinahe vergessen..



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Pharao-Atemu-
2023-07-24T20:46:31+00:00 24.07.2023 22:46
*fiep?
Keine Fortsetzung? Aufklärung?
Irgendwas?
Antwort von:  Bara-sama
10.08.2023 11:29
Tatsächlich habe ich mal angefangen, aber habe nie etwas fertig geschrieben, also bleibt es auf ewig ungelöst 🫠 Danke für den Kommi ❤️ (und sorry für die späte Rückmeldung. Ich bin nicht mehr aktiv hier)


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