Veränderung
Kapitel 4
Auf dem Gang blieb ich kurz stehen und filterte Satorus intensiven Geruch heraus. Als ich
ihn fand, folgte ich seiner Spur und sah mich etwas um. Die offenen Korridore ließen viel
Einblick auf die verschiedenen Häuser. Zentral lag ein großer öffentlicher Garten, durch die
sogar einige Yokaikinder flitzen. Sicherlich waren das Kinder der Angestellten oder hatte der
Taisho eigenen Nachwuchs? Aber dann wären sie sicher nicht so öffentlich und in
wertvollere Stoffe gekleidet.
Ich kam an einem Großen Platz vorbei auf dem eigenartige Dinge standen. Ob die wohl zum
Trainieren gedacht waren? Als ich Satorus Geruch ganz nah aufspürte, vermischte sich dieser
mit unzähligen anderen männlichen Gerüchen. Außerdem herrschte hier eine beachtliche
Lautstärke, weswegen dieser Trakt wohl mit Absicht, so weit von der Küche und dem
Restlichen Palast entfernt war.
Zögernd öffnete ich die Tür und wurde regelrecht von den vielen Stimmen erschlagen.
Ohrenbetäubend musterte ich den Raum, oder eher gesagt den Saal in dem an die fünfzig
Männer saßen, speisten und tranken. Einige der Männer die genau vor mir saßen, musterten
mich kurz und gaben sich dann wieder ihrem Sake hin. Sie schienen schon angetrunken zu
sein und ich fragte mich wie viel Sake ein Yokai trinken musste, um angeheitert zu sein.
Doch das war nicht meine Mission hier und so sah ich über die unzähligen schwarzhaarigen,
Brünetten und rothaarigen Köpfe hinweg, um genau den zu finden, welcher silberne strähnen
hatte. Ich fand ihn. Natürlich am anderen Ende des Raumes, wodurch ich gezwungen wäre
durch alle hindurchzulaufen, nur um zu diesem Satoru zu gelangen. Grummelnd starrte ich
ihn an, bis einer der Männer vor mir an meiner Hose zog. “Was willst du hässlicher
Bengel?!”, fragte er und Wut kochte in mir auf. Schnippisch entzog ich ihm mein Hosenbein
und knurrte kurz auf. Sofort drehten sich alle Köpfe nach mir und dem Mann herum und man
hätte eine Nadel fallen hören können.
Mein Blick glitt durch die Reihen, bis er auf Satorus traf der mich breit grinsend musterte.
“Was willst du Nousagi?”, fragte er und alle begannen zu lachen. “Wer hat ihm nur solch
einen Namen gegeben?”, kicherte einer unter ihnen. “Vielleicht weil er so schnell flüchten
kann wie einer”, rief ein anderer und das Lachen wurde noch größer, umschwänglicher und
manche prosteten sich für diesen schlechten Scherz sogar zu.
Unter meiner Haut brodelte es und ich hätte sie am liebsten alle gelyncht. Doch diese
schwäche. Satoru funkelte mich noch immer an und brachte mit einem Schnipser alle zum
Schweigen. “Los. Zeig uns mal wie schnell du bist”, befahl er und ich weitete meine Augen.
Reichte es denn nicht, dass sie sich schon so über mich lustig machten? Musste ich das auch
noch demonstrieren? Sie waren alle Krieger und sicherlich Zehnmal so schnell wie ich
kleiner Hänfling. Herausfordernd stand Satoru auf und streckte mir eine Flasche Sake
entgegen.
“Hol sie dir Nousagi”, befahl er und ich seufzte schwer. Ich musste mich fügen sonst würden
diese Männer mein tot sein. Also fixierte ich die Flasche und lief. Lief so schnell ich konnte,
sprang zwischen den Männern hindurch und schnappte mir die Flasche. Ebenso schnell
machte ich kehrt und kam wieder auf meinem Ausgangpunkt an. Zögernd wanderte mein
Blick zu Satoru, der etwas perplex dort stand und mich musterte. Auch die anderen Blicke
hafteten auf mir und ich sah verwirrt in die Runde.
Genau in diesem Moment trat jemand an die Tür und die Männer kreischten auf. Als ich zu
der Person sah, entdeckte ich eine Junge rothaarige Frau, welche augenrollend zu den
Männern sah und am Ende ihren Blick zu mir lenkte. “Ich soll dich holen Nousagi. Taishosama verlangt nach dir”, sprach sie und ich sah verwirrt zu Satoru und wieder zu der Frau.
“Satoru-sama sollte mir neue Kleidung geben”, erklärte ich der Frau und versuchte das
Gepfeife und vulgäre Schreien zu verdrängen.
Sie lächelte und zeigte auf Satoru. “Der weiß doch nicht mal wo neue Kleidung für ihn selbst
liegt. Komm Junge ich gebe dir welche, bevor du zu Taisho-sama gehst”, erklärte sie und
ergriff meinen Arm. Wieder herrschte kurze Stille, bevor wieder alle lauthals lachten. Diese
Frau hatte sich gegen Satoru aufgelehnt und die anderen lachten ihn für diese Beschämung
nun aus. Ein bisschen Schadenfreude breitete sich in mir aus und ich warf ihm noch einmal
einen Blick zu. Doch ihm schien dieses Gelächter nichts auszumachen und sah mit
nachdenklichem Blick zu mir und rieb sich das Kinn.
~
Yukara, wie sie sich vorstellte führte mich durch die Gänge und schlussendlich in einen
großen Waschraum. “Zieh dich schon mal aus und wasch dich. Du siehst aus, als ob du Jahre
nicht gebadet hättest und entschuldige, aber du riechst auch so”, bemängelte sie und hielt sich kurz die Nase zu. Ihre grünen Augen strahlten trotzdem so etwas wie Freude aus und als ich
zögerte kicherte sie los. “Nun zier dich nicht! Runter mit deinen Lumpen. Waschen! Los Los!
Ich hole derweil deine Kleidung”, befahl sie und als sie den Raum verlassen hatte, entledigte
ich mich meiner Kleidung. In einem Spiegel erblickte ich mich und musste feststellen, dass
ich wirklich schmächtig war. Nun wo ich noch ein Stück gewachsen war und doch kaum
gegessen hatte, glich ich eher einem Skelett als einem lebendigen Wesen.
Angewidert über mein eigenes Gesicht, drehte ich mich zum Waschbereich und setze mich
auf einen der Hocker. Warmes Wasser stand bereit. Sicher hatte Yukara es bereitgestellt,
bevor sie mich holen ging. Eilig kippte ich mir einen der beiden Eimer über den Kopf und
mein schwarzes Haar, ergoss sich über meine Schultern. Mit einem Lappen schruppte ich mir
den Dreck von der Haut und nahm den zweiten Eimer um diesen über mir zu entleeren. Als
ich gerade fertig war, wurde mir ein Tuch auf den Kopf geworfen und ich sah im
Augenwinkel wir Yukara meine Kleidung in ein Regal ablegte. “Zieh dich an. Ich warte so
lange vor der Tür”
Dankend, dass sie den Raum verließ stand ich auf und rubbelte meine Haut, ebenso mein
Haar trocken. Am Regal nahm ich die Kleidung heraus und streifte mir zunächst die braune
Hose und dann den grünlichen Suikan über. Am Ende erwarteten mich braune Stiefel und ich
musterte sie zunächst mit fragendem Blick. Bis jetzt hatte ich nur normale Zori getragen.
Sicher würde Yukara mir nicht erlauben, sie wieder anzuziehen und als ich mich umsah
bemerkte ich, dass meine ehemalige Kleidung verschwunden war. Kurz knurrte ich, denn es
war das letzte was ich noch selbst besessen hatte. Geschlagen, schlüpfte ich in die Schuhe
und trat zu Yukara nach draußen.
Sie musterte mich und ihre Augen strahlten ein wenig mehr. “Na da steckt ja noch ein Yokai
unter dem ganzen Dreck!”, lobte sie. Allerdings schien eine Sache noch nicht zu passen und
sie zog mich mit sich mit. In dem Raum neben dem Waschraum, stieß sie mich förmlich
hinein und drängte mich auf einen Stuhl. Hart schluckte ich, denn ich war mir nicht ganz
sicher was diese, ich musste zugeben, sehr hübsche Frau nun mit mir vorhatte. Als sie dann
noch eine Schere zur Hand nahm und auf mich zu kam, ergriff ich ihre Hand und hielt sie auf
Abstand.
“Was willst du damit?”, fragte ich und fixierte ihre grünen Augen. Lächelnd strich sie mir mit
der freien Hand über den Kopf. “Lass mich das noch etwas begradigen. So stören sie dich
doch nur”, erklärte sie und ich sah zu meinen Haaren die weit über meine Brust hingen. Sie
gingen mir schon fast bis zum Bauch und so ergab ich mich. Yukara trat hinter mich und
begann damit mein Haar zu kürzen. “Ich mache es nicht ganz zu kurz. Inuyokai tragen sie
stets lang. Das zeigt ihren hohen Rang in der Natur. Doch sie sollten nie länger, als die des
Taishos sein, das würde unehrenhaft aussehen. Und du willst unserem Herrn ja zeigen, dass
du Respekt vor ihm hast” sagte sie hinter mir und irgendwie genoss ich ihre Berührungen,
wenn sie mein Haar glatt strich. Wie bei Mutter, schoss es mir durch den Kopf und ich kniff
die Augen schmerzlich zusammen. Ich sollte nicht mehr an sie denken. Ich war schuld, das
sie mir nicht mehr über den Kopf streicheln konnte.
“So fertig!”, hörte ich wieder Yukara und blickte zu ihr. Sie lächelte freudig, bis ihr plötzlich
etwas einfiel. “Wir sollten es trotzdem etwas hochbinden. Vielleicht wie Taisho-sama es
selbst trägt, damit er sieht das du dich ihm hier fügst?” sprach sie mehr zu sich, als zu mir
und kramte in der Kommode herum die neben mir stand. Aus dieser holte sie ein Haarband, legte es sich an die zarten rosigen Lippen und trat wieder hinter mich. Doch klaubte sie meine
Haare zusammen und band sie zu einem hohen Zopf. Mit dem Haarband befestigte sie ihn
und klatschte dann in die Hände. “So kannst du gehen! Und nun schnell! Wir haben viel zu
lange gebraucht!”, plapperte sie los und zog mich auf die Beine. Kurz erhaschte ich einen
Blick im Spiegel und erkannte mich selbst nicht wieder. Ich war ein gänzlich anderer
geworden.
~
Yukara führte mich durch die Gänge und erklärte mir nebenbei wo sich was befand. Es gab
den Dienstbotentrakt, in dem sie mich zurecht gemacht hatte, den Kriegertrakt, die
Hauswirtschaft und eben das Haupthaus in dem der Taisho und seine Berater, wohnten und
arbeiteten. In eben diesen Trakt des großen Schlosses brachte sie mich und blieb vor einer der
Türen stehen. „Ich werde dich ankündigen“, sagte sie und klopfte vorsichtig an, bevor sie auf
die Knie ging und auf ein kleines Zeichen hin, die Tür aufschob.
„Herr, der Junge ist nun da“, erklärte sie ihr Anliegen, obwohl es ja eher seines war, denn er
verlangte schließlich nach mir. „Er soll reinkommen“, sprach die tiefe Stimme und Yukara
sah auffordernd zu mir. Nun kam mir erst einmal in den Sinn, das ich gar nicht wusste wie
ich mich vor ihm verhalten sollte. Bis zu meiner Ankunft, hatte er nicht nach irgendwelchen
Gepflogenheiten verlangt, aber hier im Schloss, wo eine Hierarchie herrschte die ich nicht
verstand, war das anders. Schluckend und nervös ging ich an Yukara vorbei und betrat den
großen Raum.
Dieser Raum war das Arbeitszimmer wie ich feststellte. Zentral stand ein großer Tisch aus
massivem dunklem Holz, welcher zum Schreiben und lesen gedacht war. Dahinter an der
Wand war Deckenhoch ein riesiges Regal, aus dem man viele verschiedene Schriftrollen
herausragen sah. Links von mir war ein Zugang zu einem Teil des Gartens den ich zuvor
noch nicht gesehen hatte. Es musste so eine Art privater Garten sein.
Der Taisho saß an seinem massiven Tisch und besah sich eine Schriftrolle. Schweigend sah
ich ihm einige Momente zu, bis er sich räusperte und mich kurz ansah. „Setz dich Junge“,
befahl er und ich sah zu dem Platz ihm gegenüber. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als
ich mich niederlies und ihn weiter beobachtete wie er las. Wieder verstrichen einige
Sekunden, bis er die Schriftrolle beiseitelegte und sich kurz streckte. Dabei vielen die Ärmel
seines Kimonos herunter und entblößten seine kräftigen Muskeln. Sicher könnte er mich mit
nur einem Griff zerquetschen.
Als er sich bequemer hinsetzte sah er zur Tür. „Yukara! Bring mir noch Sake bevor du
gehst“, rief er und durch das kurze rumpeln ihres Herzens, wusste ich das sie wohl gewartet
hatte, was nun mit mir passieren würde. Sie verschwand und nun war ich wirklich alleine mit
dem Taisho. Dachte ich zumindest, bis eine kleine Gestalt auf mich zu sprang. „Kaum zu
glauben das du derselbe bist! Was ein Bad doch alles bewirken kann“, lobte er Yukaras
Vorbereitungen.
Ich musterte den kleinen Mann, welcher vier kleine Ärmchen an seinem runden Körper trug.
Er musste ein Flohgeist sein. Vater hatte mir mal einen gezeigt der zufällig bei uns vorbei
kam. Schüchtern neigte ich meinen Kopf um den Fremden zu begrüßen, welcher auf meine
Nase sprang. Ein kurzes stechen durchzog meine Nase und aus eine, Reflex heraus schlug ich
den Floh platt. Sofort fiel mir mein Vergehen auf und ich fing den flatternden Mann auf. „Oh bitte verzeiht mir! Das war keine Absicht“, bat ich eilig und stupste den Floh in meiner
Handfläche an.
Dieser ploppte auf und sah mich an. „So etwas ungehobeltes!“, schimpfte er und ich legte mir
in Gedanken, schonmal meine letzten Worte zurecht, bis Taisho wieder das Wort ergriff.
„Mach nicht so einen Aufstand Myoga. Du müsstest es doch gewohnt sein“