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Walpurgisnacht

von

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Tanz in den Mai

Ein prasselndes Feuer, Menschen – vor allem Frauen – die in ausgelassener Laune tanzten. Da waren Kostüme, krumme Nasen und spitze schwarze Hüte. Das Hexenklischee. Irgendwie hatte Luna mehr von der ganzen Sache erwartet.

Sie seufzte. Auf einem Felsen hockend musterte sie das bunte Treiben. Sie hatte das Gesicht in ihre Hände gestützt. Eigentlich hielt sie Ausschau nach ihrer Schwester, doch wo diese abgeblieben war, wusste sie nicht. Das Band, den sie beide hatten, verriet ihr jedoch, dass es Lilly gut ging. Wenigstens etwas. Wenigstens einer von ihnen hatte Spaß.

Eigentlich war es ja eine lustige Idee gewesen. Die Deutschen feierten Walpurgisnacht mehr, als man es in England gemacht hatte. Speziell feierten auch die Nicht-Magier hier die Nacht. Die einen als Tanz in den Mai, die anderen eben so. Als Walpurgisnacht.

Sie hatten gerade ihren Führerschein. Sie und Lilly, beide. Eigentlich war es eine gute Idee gewesen. Ein paar Tage mal etwas von Deutschland sehen. Was anderes als München. Sie hatte sich sogar darauf gefreut. Aber jetzt, dass sie hier war, fühlte sie sich fehl am Platz.

Das hier war nicht echt. Es war nur Maskerade. Es wäre doch interessanter gewesen, in die Anderswelt zu gehen. Dort war sie zumindest nicht seltsam.

Sie seufzte, streckte die Beine aus und legte den Kopf in den Nacken.

Der Nachthimmel hing über ihr. Leider ohne Vollmond. Natürlich auch ohne Blutmond. Es war einfach eine normale, relativ kühle Frühjahrsnacht. Ab und an stob ein Schwall Funken vom Feuer in die Höhe und vermischte sich mit den Sternen.

Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, ließ sie sich vom Stein sinken. Sie konnte wenigstens nach ihrer Schwester suchen. Lilly fühlte sich hier wohler. Oder besser gesagt: Sie war nicht ohnehin schon mies drauf gewesen, als sie hergekommen waren.

Luna konnte nicht anders. Sie vermisste England, genau so, wie sie vor ein paar Jahren in England die Philippinen vermisst hatte. Doch mehr. Denn hier war niemand, bis auf Lilly, den sie von vorher kannte. Keine Tanten, keine Onkel, keine strenge Mutter.

Eigentlich ein Grund zu feiern. Sie waren frei. Endlich frei. Und doch …

Neben dem großen Feuer gab es mehrere kleine Feuer, viele davon in Fässern entfacht. Wahrscheinlich um sicher zu gehen, dass es kein Waldfeuer gab.

Diese Wiese hieß „Hexentanzplatz“. Hatten hier je echte Hexen getanzt oder war es immer nur eine Mythe gewesen?

Sie drängte sich durch die Menge. Da hinten waren Buden, die Essen und Getränke verkauften. Ein guter Ort, um zu starten. Sie drängte sich durch die Menge, die speziell um einige Fässer und um den freien Platz, an dem gerade irgendeine Gruppe einen einstudierten Tanz tanzte. Kurz hielt sie inne, um stehen zu bleiben. Eine Sache war sicher: Sie waren nicht die einzigen wirklichen „Hexen“ hier. Es würde auch andere geben. Sie wusste, dass es einige gab, für die es einen gewissen Reiz hatte. Es war, wie diese Vampire, die Vampirfilme sammelten … Es gab ein paar davon.

Jedem das seine, sagte man. Vielleicht sollte sie es einfach dabei belassen.

Endlich. Der Getränkestand. Wenigstens hatte man sich bemüht, ihn dem Ambiente anzupassen. Er war holzvertäfelt. Wahrscheinlich entstammte er einem Mittelaltermarkt oder so. Aber besser, als diese weißen Ungetümer, die sie auf dem Weihnachtsmarkt gesehen hatte.

Ihr Blick wanderte die Reihe der wartenden Menschen entlang. Sie suchte nach einem schwarzen Haarschopf, wie dem ihren. Nach weit über den Rücken hängendem Haar. Irgendwo hier musste Lilly sein.

Ach, verflucht. Wieso war Lilly einfach so losgelaufen und hatte sie zurückgelassen?

Es war nicht fair. Nichts von der ganzen Sache hier war fair.

Jemand berührte ihre Schulter. „Suchst du jemand?“, fragte ein Mann auf Deutsch.

Er hatte einen Accent, den Luna nicht zuordnen konnte. Wahrscheinlich irgendwo aus Ostdeutschland. Sie wusste es nicht.

Sie drehte sich um ein perfektes, einstudiertes Lächeln auf den Lippen. „Nein. Alles in Ordnung“, erwiderte sie und hoffte, dass ihr Deutsch richtig war. Manchmal tat sie sich noch schwer.

Der Mann war jung. Vielleicht Mitte 20. Etwas, doch nicht viel älter als Andrew. Und er war nicht allein. Da war noch ein anderer. Der eine blond, der andere braunhaarig. Der, der sie angesprochen hatte, etwas mager.

„Wo bist du her?“, fragte der Mann prompt.

Sie zögerte. „München.“

„Nein, ich meine eigentlich.“

Das Spiel kannte sie schon. Hier hatte sie wenigstens eine wunderbare Antwort: „York.“

„York?“

„In England“, erwiderte sie zynisch und riss sich los, als der andere auf einmal neben ihr stand.

„Sag mal, bist du alleine hier?“, fragte er. „Magst du vielleicht ein Bier? Hast du überhaupt schon deutsches Bier probiert?“

Die Antwort von vorher, dass sie von München hergekommen war, hatten sie wohl bestens ignoriert.

„Nein, ich bin nicht allein hier“, erwiderte sie. „Ich bin mit meiner Schwester hier.“

Beide Männer grinsten dreckig und tauschten einen Blick. „Ist sie auch so hübsch wie du?“

Am liebsten hätte sie ihn angefaucht, doch würde das nicht dazu führen, dass man sie ernster nahm. Stattdessen hob sie ihre Hand und zeigte den Ring. „Ja, und sie ist genauso verlobt, wie ich.“

Der Typ mit den braunen Haaren grinst. „Ach, wie sagt man? Verlobt heißt nicht mehr, als zurückgestellt und weitergesucht.“ Wieder packte er sie beim Oberarm. „Jetzt komm. Trink einen mit uns.“

Sie schlug seine Hand weg. Dabei rochen die beiden nicht mal betrunken. Waren Männer hier immer solche Arschlöcher? „Nein, danke.“ Sie machte einen Schritt zurück, doch erneut schnappte sie einer der Typen bei der Hand.

Verdammt, es reichte! Es war ihre eigene Schuld. Es war einfacher so. Einfacher.

Sie schloss ihre Augen und sammelte ihre Energie. Wie oft schon hatte sie Zauber wie diesen gewebt? Es war die Art von Zauber, die sie am besten beherrschte. Der Geist eines Menschen, speziell eines nicht-magischen Menschen, ließ sich leicht manipulieren. Was konnte sie tun?

Das Feuer schimmerte sogar durch ihre Lider hindurch. Ja, das würde funktionieren.

Vor seinem inneren Auge erschuf sie ein Bild. Das Bild von Flammen, die ihn verschlangen. Nur eine kleine Pyrophobie, die nach ein paar Tagen verschwinden würde.

Seine Hand zuckte weg. Vielleicht hatte er das leichte Kribbeln des Zaubers gespürt. Er schüttelte die Hand. „Du bist elektrisch geladen, Kleine“, murmelte er und lachte. „Wow.“ Dann auf einmal fiel sein Blick auf die Tonne und das Feuer, das dahin brannte. Er erstarrte, stolperte ein paar Schritte zurück. „Scheiße, ey …“

Sein Kumpane wandte sich ihm zu. „Was ist los?“

Er schluckte, schüttelte den Kopf und verzog eine Miene. „Ich habe nur … Ich glaube ich muss mal ein wenig vom Feuer weg.“ Natürlich versuchte er Gesicht zu wahren. So typisch Mann.

Schon drehte er sich zur Seite, in die Richtung, in der die wenigstens Feuer waren. Sein Blick galt seinem Kumpel. „Kommst du?“

Vielleicht war sein Freund gar nicht so naiv. Er schenkte Luna einen misstrauischen Blick, nickt auch immer. „Wie auch immer“, murmelte er missmutig.

Endlich erlaubte Luna es sich aufzuatmen. Sie hasste es. Sie hasste Typen, die ein „Nein“ nicht verstanden. Es war immer wieder dasselbe. Zumindest konnte sie sich wehren.

Zur Hölle mit allem. Sie war verlobt, selbst wenn es sich noch immer nicht wirklich so anfühlte. Andrew war ihr gegenüber so misstrauisch. Manchmal fühlte es sich geradeheraus negativ an. Dabei wollte sie ihm doch nur helfen. Sie wollte ihm wirklich helfen.

Müde setzte sie ihre Suche nach ihrer Schwester fort. Irgendwo hier musste sie sein. Irgendwo …

Weit kam sie nicht, ehe die vertraute Stimme nach ihr rief. „Luna!“

Sie sah sich um. Da, zwischen zwei Menschentrauben, drängte sich Lilly hindurch. Sie bewegte sich geschickt in der Menge, hatte Luna erstaunlich fix erreicht und griff schon einen Moment später nach ihrer Hand. „Alles in Ordnung?“, fragte sie auf Englisch. „Du hast gezaubert.“ Letzteres war eine Feststellung, keine Frage. Sie hatte es gespürt.

Luna atmete tief durch. „Nur zwei aufdrängliche Typen, die von Dingen überzeugt werden mussten …“ Sie wich dem Blick ihrer Schwester aus.

„Du hast Geistesmagie benutzt?“ Nun senkte Lilly ihre Stimme. Dennoch klang der Vorwurf nur zu klar daraus hervor.

„Ich hatte keine Wahl“, murmelte Luna und seufzte. Sie sah ihre Schwester an. „Können wir zum Hotel fahren? Mir ist nicht so gut.“

Lilly musterte sie. Natürlich wusste sie, dass ihre Worte nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Dadurch musste sie jedoch auch spüren, dass es ebenso wenig eine gänzliche Lüge war.

Schließlich schürzte Lilly die Lippen. Ihre Hände schlossen sich beide um die Lunas. „Was ist los?“

Luna schüttelte den Kopf. „Lass uns einfach zurück.“ Sie seufzte. „Was hast du überhaupt solange gemacht?“

„Ich habe eine Magierin von hier getroffen“, erklärte Lilly. „Ich glaube, du würdest sie mögen.“

„Ja, vielleicht …“ Natürlich meinte Lilly es nicht böse. Trotzdem stieg die Frustration erneut in Luna empor. „Ich will nur wirklich …“

„Komm schon“, meinte Lilly. „Du kannst doch nicht die ganze Zeit Trübsal blasen.“

Luna brummte. „Ich blase kein Trübsal, ich bin einfach nur …“ Sie versuchte ihre Hand die ihrer Schwester zu entziehen. „Ich vermisse einfach nur England, okay?“

„Du vermisst Mutter?“

Natürlich musste so etwas die erste Idee sein, die Lilly kam. Ach, warum sprachen sie überhaupt laut?

Statt mit Worten zu antworten, konzentrierte sich Luna, auf das, was sie meinte. Das Gefühl des Vertrauten im alten Herrenhaus ihrer Familie. Die Natur auf dem Grundstück des Hauses und darum. Das Gefühl niemanden zwangsläufig Angst einzujagen. Um all das zu unterstreichen, setzte sie es in Kontrast mit dem, was ihr Leben hier ausmachte. Die geräumige Suite, die für ihren Geschmack zu modern war. Die vielen, vielen möglichen Portale, die Andrew dort vorbereitet hatte, die ihnen jedoch den Platz zum Leben nahmen. Die Fremdheit von München. Das Misstrauen in Andrews Augen, wenn er sie musterte und glaubte, dass sie es nicht bemerkte. Typen, wie die gerade eben. Sicher, Typen hatte es auch in England gegeben, doch das … Hier war es schlimmer, weil sie ihre Sprache nicht perfekt sprach.

Lilly musterte sie. Verwirrung lag in ihrem Blick und den Gefühlen, die sie mit ihr teilte. Als sie das nächste Mal antwortete, sprach sie die Worte nicht laut aus. „Es ist wegen Andrew?“

„Nicht nur. Es ist so vieles hier. Du hast es leichter. Du siehst ihre Gedanken nicht, wenn du nur kurz die Kontrolle verlierst.“ Wieder teilte sie Dinge mit ihr, die sie gesehen hatte. So vieles. So vieles. In York hatten sie meistens abgeschieden gelebt. Das hier, so viele andere Menschen, es war einfach zu viel.

Tränen brannten in ihren Augen. Also war sie doch wieder die Heulsuse von ihnen beiden. Die Schwache. Sie hasste es.

Wenigstens spürte auch Lilly ihre aufgewühlten Gefühle, legte nun die Arme um ihre Schultern. „Es tut mir leid“, hauchte sie in ihren Gedanken. Unentschlossenheit lag in ihren Gefühlen. Dann setzte sie einen weiteren Gedanken hinterher: „Du solltest mit Andrew reden.“

„Ich weiß“, flüsterte Luna. Dieses Mal sprach sie die Worte laut aus. Warum wusste sie selbst nicht genau.

Lilly löste sich von ihr und lächelte sie vorsichtig an. Auch in ihren Augen standen einige Tränen, die sie wegzublinzeln versuchte. „Wir wussten vorher, dass er nicht einfach sein würde.“

Seufzend wischte sich Luna die Tränen aus den Augen. „Ja. Es wäre nur dennoch … Ich wünschte dennoch …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte ihm doch nur helfen wollen.“

Wieder schob Lilly ihre Hand in die Lunas. „Ich weiß das. Er nicht.“ Sie schürzte die Lippen, wie sie es öfter tat, wenn sie sich weitere Worte verkniff.

Luna drückte die Hand, um sie aufzufordern, weiterzusprechen.

„Na ja. Es war halt eine dumme Idee, oder? Jemanden, der Angst davor hat, verzaubert zu werden, zu verzaubern …“

„Du hast der Idee zugestimmt.“

„Ich sage nicht, dass ich intelligenter bin, oder?“ Lilly schenkte ihr ein mattes Lächeln. „Aber wir kriegen das schon irgendwie hin. Alles. Das hier. Deutschland. Andrew. Irgendwie.“ Dann zögerte sie noch einmal. „Oder?“

Luna sah zu dem großen Feuer, um das herum noch immer die falschen Hexen von hier tanzten. „Ja.“ Auch wenn es schwer sein würde. Doch was hatten sie schon für eine Wahl? Ihre Eltern hatten die Heirat schon lange beschlossen. Und außerdem … Eigentlich war Andrew nett. Lieb. Und ein wenig verplant. Lustig. Für einen Werwolf erstaunlich ausgeglichen. Sie mochte ihn wirklich. Nicht nur, weil es von ihr erwartet wurde. Doch sie würde ihn mehr mögen, wenn er sie nicht immer so misstrauisch betrachten würde.

„Das wird schon. Es wird schon werden“, meinte Lilly sanft. Dann seufzte sie. „Willst du wirklich ins Hotel zurück?“

Kurz zögerte Luna und schürzte die Lippen, so wie es Lilly vorher getan hatte. Die ehrliche Antwort war „Ja“. Doch auf der anderen Seite … „Du kannst mich noch kurz dieser deutschen Hexe vorstellen.“ Sie schenkte ihrer Schwester ein müdes Lächeln. „Aber … Nicht mehr lange, ja?“

Lilly lächelte. „Ja, nicht mehr lange.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Taroru
2019-05-10T07:24:49+00:00 10.05.2019 09:24
also......
darf man hoffen, das es hier noch mal weiter geht? das ich hier noch mal infos zu den zwillingen bekomme? und zu andrew? o.o
du kannst das jetzt nicht hier enden lassen D:

(warst du jemals auf dem brocken? ich fand es jedenfalls echt gut beschrieben, und kann mir gut vorstellen, das es dort wirklich so zu geht)
Antwort von:  Alaiya
10.05.2019 09:56
Na ja, spätere Geschichte der beiden findet man ja in Schleier der Welt :)

Auf dem Brocken war ich schon - allerdings nicht zur Walpurgisnacht. Dafür habe ich mir Videos angesehen.
Antwort von:  Taroru
10.05.2019 10:01
ja schon... aber das reicht mir nicht D:
ich mag noch mehr zu den beiden lesen, zu allen dreien.... (und die knirpse darf man ja auch nicht vergessen XD )

zur walpurgnisnacht war ich auch nie dort, aber mit der traditions bahn sind wir damals da hoch gefahren :-)
und ich fand deine beschreibung, einfach treffend gut :-)


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