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Nichts bleibt für sie

von

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Winter

In schweren Flocken fiel der Schnee zur Erde hinab. Diese war bereits vollständig bedeckt von ihm und auch die kahlen Äste der Bäume bogen sich unter seinem Gewicht. Es war bereits späte Nacht und es war eisig kalt.

Die Elfe war eine alte Frau geworden. Das Blond ihres Haars war vergangen und stattdessen zierten nun silberne Strähnen ihr Haupt. Tiefe Falten hatten sich in ihrem einst so glatten und weichen Gesicht gebildet und ihr Leib wirkte stets ein wenig geduckt. Er war in etliche Decken eingehüllt, damit die Kälte nicht allzu sehr an ihm nagte. Mühevoll beugte sich die Elfe hinab, hob einen Holzscheit auf und gab ihn ins Feuer des kleinen Kamins, der die Hütte erwärmte und erleuchtete. Sie wiederholte dies noch einige Male und streckte dann ihre müden und von Gicht geplagten Finger ein paar Male aus, als wollte sie diese geschmeidig halten. Danach wandte sie sich um und erkannte, dass sie nicht länger alleine war. Der jugendliche Geist, ein alter Freund aus Jahren, die Dekaden her waren, besuchte sie ein weiteres Mal.

"Es tut gut, Dich zu sehen." sprach sie und ihre Worte waren von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit beseelt. Sie gebot ihm, sich doch zu setzen und mit einem Nicken folgte er der Aufforderung. Er setzte sich auf einen der grob gezimmerten Stühle, die nahe des Feuers standen. Beide Beine verschränkte er im Schneidersitz ineinander und er nahm seinen großen Hut ab und wischte ein wenig Schnee von diesem. Wo er herkam, wo er lebte, da gab es keinen Schnee, das wusste die Elfe, doch es überraschte sie auch nicht, dass seine niemals endende kindliche Neugier ihn nach draußen getrieben hatte in den Winter hinaus.

"Es erinnert mich an unsere Zeit in der Himmelsfeste." sagte sie und nahm nun ebenfalls Platz. Sie zog die Decken fester um sich, was mühevoll war, denn hierfür stand ihr – wie für alles – nur ein Arm zur Verfügung. Ein Umstand, an welchen sie sich niemals so recht hatte gewöhnen können. Aber sie hatte ihn akzeptiert.

"Eine weiße Decke. Sie deckt die Erde zu, hält sie aber nicht warm. Nein, sie… hält sie kalt."

Die Elfe nickte ob der Worte des Geistes.

"Hält sie auch Dich kalt?" fragte er und sah sie mit großen blauen Augen an. Er war hier, weil er sich sorgte, weil er sichergehen wollte, dass es ihr gut ging.

"Ich friere, ja." schmunzelte sie.

"Aber ich erfriere nicht."

"Das ist gut, sehr gut."

Er rieb sich seine Hände und wandte seinen Blick den Flammen zu, die gierig nach dem neuen Holz schlugen.

"Du stirbst", sagte er, "aber Du hast keine Angst. Du bist auch nicht traurig. Warum?"

"Wir alle sterben irgendwann. Nun ja, die meisten von uns. Das ist der Lauf der Dinge."

"Aber es ist so viel ungetan, ungesagt, ungemacht. Der Wolf, er heult noch immer. Er plant noch immer. Verändert, im Stillen."

Schwermütig nickte sie.

"Es war eine Suche, eine Jagd, aus der ich niemals hätte erfolgreich fortgehen können, alter Freund. Ich habe es dennoch versucht, doch bin gescheitert."

Sie zog ihren Stuhl ein wenig näher an die Flammen heran und seufzte.

"Es ist bitter, dass am Ende die Zeit mein größter Feind war. Ein weiser Schachzug von ihm."

"Er wartet. Will Dir ein Leben schenken, kann Dich nicht… kann nicht sie alle morden."

"Es war kein Leben, das mir geblieben ist." sagte sie leise.

"Doch ich bin ohne Reue."

"Ja. Ich fühle es. Ruhig, still. Vergebend."

Sie nickte.

"Aber eine kleine Schuld ist da."

"Ja, ich… sie sind alle tot." begann die Elfe schließlich.

"Die Zeit hat alle geholt. Leliana, Cassandra, Cullen. Ich wollte, sie hätten nicht, alles versucht, alles gegeben. Ich wollte, sie hätten gelebt."

"Sie konnten nicht leben, wenn das Leben bedroht ist. Das der anderen vor allem, aber auch ihr eigenes. Thedas, nein, die ganze Welt. Wenn der Schleier fällt, dann fällt er für alle."

Nachdenklich umfasste die Elfe eine ihrer langen silbernen Haarsträhnen und begann, diese zu flechten. Ihr Blick verriet, dass sie mit ihren Gedanken weit weg war. Der Schein des Feuers reflektierte sich in ihren Augen.

"Einst dachte ich, es gäbe keine Gefahr, keine Bedrohung, die wir nicht abwenden können."

Ein bitteres Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.

"Wie dumm und naiv wir doch waren. Trunken ob des Sieges über einen zerrissenen Himmel dachten wir, dass jeder weitere Sieg auch der unsere sein musste."

Langsam wandte sie den Kopf in Richtung des Geistes und ihre Blicke trafen sich. Einen langen Moment über sahen sie einander an.

"Ein Gott. Wie konnten wir nur glauben, dass er sich nicht unserer entziehen kann? Dass er nicht uns täuschen und umgehen kann? Doch dass…"

Sie senkte ihr Haupt.

"Dass er wartet. Dass er die Zeit tun lässt, wozu er selbst nicht imstande ist, das schmerzt."

Ihre Stimme schwächte gegen Ende es Satzes und verlor sich in einem leisen, fast tonlosen, Schluchzen. Dann folgte ein Kopfschütteln und heiße Tränen rannen über die Wangen der alten Frau.

"Ich wollte, ich wäre ihm mehr wert gewesen." gab sie schließlich ehrlich zu, ein wenig beschämt.

"So sollte ich nicht reden, nicht denken im Angesicht derer, die ihr Leben dem Kampf gegen die Bedrohung gewidmet haben. Und doch…"

"Du bist ihm alles wert." sprach der Geist und seine Stimme klang so dabei, als gäbe es keinerlei Zweifel, der daran gehegt werden könnte.

"Nein." sagte sie bestimmt.

"Nein, bin ich nicht. Ich habe mich abgefunden damit vor langer Zeit. Den Respekt, den ich mir erhofft hätte, erhoffte ich nicht als eine ehemalige Liebschaft. Nicht als die, die ihr Herz verloren hatte. Ich erhoffte ihn mir als Gegner, als Opponent."

Sie beendete das Flechten. In feinen, ineinander gewobenen kleineren Strähnen lag der Zopf nun über ihre Brust und rollte sich in ihrem Schoß zusammen.

"Zwei Kämpfer im Ring, sie sehen sich doch auch in die Augen, nicht?"

"Du bist kein Gegner. Du bist eine Erinnerung. Schmerz. Liebe. Eine Mischung, bittersüß. Eine Klinge, die nie aufgehört hat, zu schneiden. Nie aufhören wird."

Er starrte vor sich hin, während der sprach, und es schien so, als sähe sie nicht mehr sie oder den Raum, der sie beide umgab. Er sah einen anderen Ort, weit weg von ihr und sie ließ ihn dort.

"Es ist nun gleich." sagte sie und meinte es.

"Vergiss, was ich sagte. Ich nehme die Ruhe, den Frieden, gerne an – solange er währt. Für mich wird er allzu bald schon dauerhaft währen."

"Du stirbst." wiederholte er.

Dann herrschte eine lange Weile über Stille. Noch immer fielen die Flocken in der dunklen Welt vor der Tür des kleinen Verschlags, in welchem der Geist in dieser Nacht die Elfe gefunden hatte. Kein Wind wehte und die Welt, bedeckt vom weißen Schleier des Winters, war friedlich.

"Er fühlt noch immer für Dich."

"Nicht." bat sie und hob in einer abwehrenden Geste ihre Hand. Das laute Knacken eines Holzscheits, das von den Flammen verschlungen wurde, ließ sie zusammenfahren.
 

Die Nacht kam und als der Geist sich verabschiedet hatte und die süße Umarmung des Schlafes sich um die alte Elfe gelegt hatte, da spürte sie, dass er da war. Der Wolf. Er war oft ein Teil ihrer Träume gewesen in früheren Jahren, doch diese waren nunmehr lange her. Irgendwann hatte sie es nicht mehr ertragen. Sie hatte ihn so oft gefühlt, doch immer dann, wenn sie ihn sehen, ihn heranbitten wollte, war er verschwunden. Es wurde zu viel. Sie verlangte, dass er ging. Machte sich frei von Träumen und wurde fast ein wenig besänftigt dabei. Er ließ ab von ihr, ließ ihr ihren Frieden. Auch, wenn die Einsamkeit sie oft zu zerreißen drohte – die Nähe zu ihm, die keine war, tat es noch mehr.

Heute Nacht aber war er wieder da. Der Traum war ein einfacher: Sie war aufgestanden und hatte die kleine Hütte verlassen. Barfuß trat sie durch den Schnee hindurch, doch sie fror nicht dabei und kein Abdruck ihrer Schritte zeichnete sich auf der glatten Oberfläche ab, die die Flocken gebildet hatten. In der Ferne hörte sie andere wie ihn heulen, doch er war still. Sie wusste, dass er still war. Bald schon entdeckte sie Spuren im Schnee. Pfotenabdrücke, die sie führten, und sie folgte ihnen instinktiv. Sie entfernte sich von den sicherer Pfaden und ging alsbald schon verloren zwischen den Bäumen des Waldes, die mit Schnee geschmückt waren. Es war finster um sie herum, doch sie verspürte keine Angst und auch nicht den Drang, sich ein wenig Licht mithilfe ihrer Magie zu schaffen. Nein, sie fühlte sich wohl.

Die Spuren verschwanden. Eben noch waren sie im Schnee eingezeichnet, doch sie wurden blasser und blasser und bald waren sie fort. Die Elfe befand sich nunmehr auf einer kleinen Anhöhe, einer Lichtung im Wald. Über ihr funkelten durch die Wolken, die den Schnee brachten, einige Sterne hindurch.

Dann waren da Schritte hinter ihr. Sie vernahm das angenehme Geräusch, wenn schwere Stiefel in Schnee einsanken und sie wusste, dass sie nicht alleine war. Auch wusste sie, wer dort war. Sie atmete tief ein und schloss ihre Augen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es ohne Sinn war, sich umzuwenden und ihn ansehen zu wollen.

"Es ist lange her." sagte sie und ihr Atem bildete nicht die vertrauten Wölkchen der Wärme in der eisigen Winternacht. Er berührte ihre Schulter und fast war ihr, als wäre sie wie Schnee. Als trüge sie von jeder Berührung einen Abdruck davon. Als sei sie weich und unbeständig, kurzlebig und doch von einer seltsamen Schönheit.

"Ir abelas, ma vhenan." sprach er.

Eine Stimme, die sie sehr unzähligen Jahren nicht mehr gehört hatte. Er war dicht an sie getreten, sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken und ohne sich umzuwenden wusste sie, dass sein Antlitz das gleiche war wie damals, unberührt von Zeit und Alter. Sie schämte sich plötzlich für das, was sie war: Die, die verloren hatte in diesem Krieg, die, die von der Zeit erschlagen wurde.

Die Tränen, die sie weinte, gefroren auf ihren Wangen. Er küsste ihren Haarschopf und sie ließ ihre Augenlider niedersinken.

All die Jahre. All die Jahre und nichts in ihrem Herzen hatte sich geändert. Nicht für ihn. Da war Leid gewesen und Schmerz. Final nur der Wunsch, die Welt zu bewahren vor dem Schleierfall. Doch nun, da sie sich des Scheiterns mehr als bewusst war, konnte sie diesen Wunsch als unerfüllt fallen lassen und konnte sich erinnern an das verliebte Mädchen, das sie einst gewesen war.

All die Jahre.
 

Der Geist fand sie am nächsten Morgen. Sie lag im Schnee, der sie zugedeckt hatte, und schien zu schlafen. Doch er wusste, dass es kein Schlaf war, in welchen sie sich hatte sinken lassen. Sie war fort. Wie stille Wächter ragten die Bäume des Waldes um sie herum auf und die Sonne sandte einige Strahlen, hell und ein wenig warm, vom Himmelszelt herab. Ihr erfrorenes Gesicht war von einem Frieden belegt, die dem jugendlichen Bewohner des Nichts das Herz aufgehen ließ. Er legte seine flache Hand auf ihr Gesicht und schloss vorsichtig ihre Augenlider, wohl bedacht darauf, ihre Wimpern nicht abzubrechen.

"Frieden. Ohne Wut, ohne Trauer, nicht mehr allein. Sie ist still, sie ist… friedlich."



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