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Niichan

von

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Kapitel 22

Kapitel 22

 

Im Waschraum erscheint es ihm heute morgen wärmer zu sein als sonst. Prüfend spürt Kazuo der Wärme der Bodenfliesen nach, die ihm seine nackten Fußsohlen melden. Ja, zweifellos.

Die Fußbodenheizung funktioniert also wieder und außerdem war auch der Wasserdruck diesmal besser. Es geht wirklich bergauf mit dem Technodrome.

Während er in der Ecke mit den Spinden, abseits der Duschen und der Waschtische in seine Klamotten schlüpft, steht sein Bruder fertig rasiert und angezogen vor dem Spiegel und versucht, seine durch den Föhn verursachte Sturmfrisur wieder etwas in den Griff zu bekommen.

Kazuo ist damit schon längst durch. Bei dem Gedanken daran, daß ihre morgendliche Routine immer noch dieselbe Reihenfolge beinhaltet wie damals, zuckt es um seine Mundwinkel verräterisch.

Sie hatten nur ein Badezimmer, mußten aber zur selben Zeit das Haus verlassen – und damals hatte es sich Saki angewöhnt, sich nach dem Duschen sofort in seine Kleidung zu werfen, denn wenn es mit der Zeit eng wurde, war es nicht so schlimm, wenn er sich nicht gekämmt oder sich nicht die Zähne geputzt hatte. Kazuo erinnert sich noch gut an die unzähligen Male, die sich sein Niichan auf den Weg zur Schule kämmte, dabei einen Apfel zwischen den Zähnen und sich im Laufen die Schuluniform zuknöpfte, während Kazuo selbst wie aus dem Ei gepellt neben ihm herlief.

Und das lag daran, weil Kazuo im Bad immer so trödelte, weil er so viel Zeit vor dem Spiegel verbrachte und sich danach erst ankleidete – so wie jetzt. Und damals wie jetzt ließ ihm sein großer Bruder die Zeit, die er brauchte.

Aber heute drängt sie wenigstens niemand mehr zur Eile.

Glücklicherweise.

Müde reibt sich Kazuo über die Stirn. Während er sich den dunkelblauen Sweater (gehört seinem Niichan und riecht so schön nach ihm!) über seinen Kopf zieht, wandern seine Gedanken kurz zur letzten Nacht zurück.

Sein Niichan hat genauso unruhig geschlafen wie die Nächte zuvor, und Kazuo sieht das schon fast als persönliche Beleidigung an. Wieso konnte er, nach dem, was Kazuo alles mit ihm angestellt hatte, nicht in ein anständiges, postkoitales Koma fallen, wie es sich gehörte?

Nach seinem ersten Blick in Shredders Gesicht heute morgen beschlich Kazuo sogar der Verdacht, daß sein Niichan die ganze Nacht über kein Auge zugemacht hatte.

Das würde jedenfalls erklären, wieso Kazuo ebenfalls so schlecht geschlafen hat – wenn er unbewußt spürt, daß sein Niichan neben ihm wachliegt, wie soll sich sein Unterbewußtsein da keine Sorgen machen?

Also wirklich – so kann das nicht mehr weiter gehen!

Entschlossen schlüpft Kazuo in seine Badelatschen und schlendert dann zu seinem Bruder hinüber, der immer noch vor dem Spiegel steht und mit seinen Haaren kämpft.

Aber je näher Kazuo kommt, desto deutlicher fällt ihm das Mal auf Shredders goldbrauner Haut auf. Es ist dunkler und größer geworden. Er kann den Blick gar nicht mehr davon abwenden.

„Gomen", entschuldigt er sich, sobald er ihn erreicht.

Behutsam fährt Kazuo mit den Fingerspitzen über den dunkelroten Fleck am Hals seines Bruders.

Der runzelt nur fragend die Stirn und dreht sich vor dem Spiegel etwas, um einen Blick darauf zu erhaschen. Das ist gar nicht so einfach, denn der Knutschfleck liegt schon fast in seinem Nacken. Er wirft Kazuo einen vorwurfsvollen Blick zu, zieht den Kragen seines Sweaters höher, legt den Kamm fort und greift dann zu seiner Zahnbürste.

Kazuo gähnt einmal hinter vorgehaltener Hand und lächelt schmal, als er Shredders besorgtem Blick im Spiegel begegnet. Er hadert kurz mit sich, gibt sich dann aber einen Ruck.

„Meinst du, ich sollte Krang fragen, ob er ein Mittel gegen deine Schlafstörungen kennt?"

Shredder erstarrt regelrecht. Die Zahnbürste noch in der Hand, dreht er sich langsam zu ihm um.

„Ich habe dich doch gewarnt. Ich schlafe sehr unruhig. Nächstes Mal schlafe ich auf dem Fußboden, damit ich dich nicht mehr störe."

„Das lässt du schön bleiben", abwehrend schüttelt Kazuo den Kopf, greift nach seiner freien Hand und drückt sie einmal kurz, während er ihm tief in die Augen sieht. „Du störst mich nicht. Niemals. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Zuviel Schlafmangel ist gefährlich. Und Krang zu fragen, kostet nichts."

Shredder starrt ihn für einen Moment einfach nur an. Er bezweifelt, daß Krang irgend ein Mittelchen gegen diese Art von Schlafstörungen besitzt, wie er sie hat und es ist ihm nicht recht, daß Kazuo damit zu Krang gehen will, aber … wenn seine Probleme auf Kosten seines kleinen Bruders gehen, muß er dann nicht nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihm anbietet?

„Gut“, gestattet er ihm daher ergeben. „Aber eins sage ich dir gleich: ich lasse mir weder von ihm noch von dir irgendwelche Pillen andrehen.“

„Dann geh ich mal. Bis gleich. Wir treffen uns beim Frühstück in der Küche.“ Mit diesen Worten tritt Kazuo dicht an ihn heran, lehnt sich nach vorne und haucht ihm einen Kuß auf die Lippen, bevor er vergnügt herumwirbelt und sich auf dem Weg zum Hausherren macht.

Shredder sieht ihm innerlich seufzend nach, wie er so beschwingt den Waschraum verläßt. Er fühlt sich nicht wohl dabei, Kazuo alleine Krang gegenüber treten zu lassen, aber er will ihn auch nicht bevormunden, schließlich ist er ein erwachsener Mann und kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Außerdem ist das Schlimmste, was seinem Bruder zustoßen kann, Krangs scharfe Zunge.

Er kann trotzdem nur hoffen, daß die beiden nicht auf die dumme Idee kommen, sich gegen ihn zu verbünden, nur, weil sie es so gut mit ihm meinen...

Andererseits – was könnte er dagegen dann schon machen?

Resigniert fährt er sich mit den Fingern übers Gesicht und anschließend durchs frisch frisierte Haar. Jetzt, wo Kazuos wachsames Auge nicht mehr auf ihm ruht, wagt er es endlich, Kopf und Schultern hängen zu lassen. Er fühlt sich wie durchgekaut und wieder ausgespuckt – wie immer eigentlich, wenn er so übermüdet ist wie heute.

Mit einem tiefen Seufzer dreht er sich wieder zum Spiegel um und beginnt, sich lustlos die Zähne zu putzen.

 

 

Krang sitzt in seinem plumpen Androidenkörper mitten in der Kommandozentrale, hat eine Fernbedienung im Tentakel und betrachtet kritisch, wie sich der große Hauptbildschirm vor ihm einschaltet. Das Bild, das erscheint, ist klar und deutlich und flackert nicht, was ihm ein zufriedenes Lächeln entlockt. Sehr schön. Er freut sich schon darauf, endlich die neue Staffel von Law & Order sehen zu können – ohne Ton- oder Bildausfall. Immerhin ist das eine der wenigen Serien, von denen er sich DVDs besorgt hat und die er noch nicht kennt. Es ist gut, auf alles vorbereitet zu sein. Man will sich ja nicht langweilen, wenn man in der Heimatdimension festhängt.

Hinter sich hört er das Zischen der sich öffnenden Tür, gefolgt von einem munteren:

„Guten Morgen, Krang.“

„Ah, der kleine Bruder“, begrüßt Krang den Mann spöttisch, während er sich zu ihm umdreht. „Was verschafft mir denn die Ehre deines unangemeldeten Besuches so früh am Morgen? Das Portal ist noch nicht betriebsbereit, du kannst noch nicht zurück nach Hause.“

Kazuo, der, wie Krang vergnügt feststellt, auch diesmal wieder einen von Shredders Sweatern trägt, schenkt ihm nur ein strahlendes Lächeln.

„Ich fühle mich ganz wohl hier, ich brauche das Portal nicht, aber danke fürs Angebot.“ Er hält einen Moment inne und aller Frohmut ist plötzlich verschwunden. „Ich bin wegen meines Bruders hier.“

Das Alien seufzt still in sich hinein, tarnt das aber mit einem besonders schroffen Tonfall:.

„Was hat er diesmal angestellt?“

„Gar nichts“, kommt es schnell zurück. „Er schläft schlecht und ich komme, um dich zu fragen, ob du ihm da mit irgend etwas helfen kannst.“

Krangs Großhirnrinde legt sich in viele, tiefe Falten.

„Was verstehst du unter schlecht schlafen? Hat er Alpträume?“

„Nein. Er hat Schwierigkeiten damit, einzuschlafen. Und wenn er schläft, dann niemals wirklich tief. Er sagte, der Schlaf sei des Todes kleiner Bruder. Daraus schließe ich, daß er Angst hat, während des Schlafes zu sterben.“

Krang starrt ihn für einen Moment einfach nur an. Der Satz klingt auswendig gelernt, denn so geschwollen redet doch sonst kein normaler Mensch, schon gar nicht, wenn es sich nicht um seine Muttersprache handelt. Hat der Junge sich diese Worte etwa extra auf dem Weg hierher zurechtgelegt, vielleicht, um ihn zu beeindrucken?

Faszinierend. Krang fühlt sich tatsächlich geschmeichelt.

„Ich verstehe“, erwidert er dann zur Belohnung in akzentfreiem japanisch, nachdem er kurz – also etwa eine Sekunde lang - über das Problem namens Shredder nachgedacht hat. „Schlafpillen würde er daher nicht freiwillig nehmen. Hm... der Bordcomputer könnte seine Biowerte überwachen, während er schläft. Vielleicht beruhigt ihn das.“

Kazuos Augen leuchten auf, als er Krang in seiner Muttersprache reden hört. Er erkennt es als die respektvolle Anerkennung, die es ist. Trotzdem läßt er sich davon nicht übermäßig beeindrucken.„Und das kann das Technodrome? Ah, Verzeihung. Natürlich kann es das. Aber – hat es dafür schon genug Energie?“

„Nein. Noch nicht“, gesteht Krang und zwinkert ihm verschwörerisch zu. „Aber das muß Shredder ja nicht wissen.“

„Ich verstehe“, nickt Kazuo nachdenklich und lächelt dann breit. „Wenn er das jemals herausfindet, schiebe ich die Schuld auf dich.“

„Tu das“, grinst Krang zurück, während in seinen Augen ein spöttisches Funkeln erwacht. „Es wäre schrecklich, wenn euer junges Glück durch solch eine Kleinigkeit getrübt würde. Wo ist er jetzt eigentlich? Ich nehme mal an, du hast ihm nicht gesagt, daß du hier bist?“

„Doch. Er weiß es und er kennt auch den Grund.“ Als er daraufhin Krangs erstaunte Miene sieht, fügt er lächelnd hinzu: „Das sollte dich nicht überraschen. Ich habe ihn noch nie angelogen.“

Krang mustert ihn gründlich.

„Wirklich?“ grinst er lauernd. „Noch nie? Aber daß das mit der Überwachung seiner Biowerte auch eine Lüge ist, das weißt du schon?“

„Du warst doch damit einverstanden, daß ich die Schuld auf dich schiebe. Ich sage ihm nur, daß du vorgeschlagen hast, daß der Bordcomputer seine Biowerte überwacht.“

Krang mustert ihn mit neuem Interesse von Kopf bis Fuß und wieder zurück. „Erstaunlich. Vor anderthalb Jahren warst du noch ganz der pflichtbewußte Bulle. Und jetzt kannst du ja richtig hinterhältig sein. Das imponiert mir. Vielleicht lasse ich dich für mich arbeiten.“

Kazuo starrt ihn daraufhin nur stumm an. Sein Blick, eben noch wach und klar, geht zunehmend in die Leere. Krang kann förmlich zusehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten beginnt.

„Nun?“ erkundigt er sich ungeduldig, nachdem zwei ganze Minuten verstrichen sind ohne daß Kazuo irgend ein Zeichen von sich gegeben hat. „Was sagst du dazu? Würdest du für mich arbeiten wollen?“

Kazuo sieht direkt in Krangs purpurfarbene Augen, blinzelt dann einmal und streicht sich nachdenklich durchs Haar.

„Keine Ahnung“, gibt er offen und ehrlich zu. „Ich weiß nur eines: Niichan gehört mir. Ich werde ihn nie wieder hergeben. Wo er hingeht, was auch immer er macht, ich werde an seiner Seite bleiben. Das ist es, was ich will.“ Er hält kurz inne und dann verziehen sich seine Lippen zu einem erschreckend grausamen Lächeln. „Und Gnade Gott demjenigen, der mich daran hindern will.“

Hat er ihm eben gedroht? Krang ist wirklich beeindruckt.

„Er bedeutet dir wirklich viel, dein Niichan, oder?“

„Mehr als du ahnst.“

Kazuos Blick gewinnt an bohrender Intensität, während seine Miene völlig ruhig bleibt. Krang hat so etwas schon ein paar Mal gesehen – bei Shredder. Diesen Gesichtsausdruck zeigt er immer, wenn es darum geht, sich schützend vor seine Mutanten zu stellen. Oder – in jüngster Vergangenheit – vor Kazuo.

Amüsiert hebt Krang den linken Tentakel.

„Immer mit der Ruhe, Kazuo-kun. Was denkst du, was ich jetzt mit dir und deinem Niichan mache – nach all der Mühe, die ich mir mit dir gegeben habe, damit du und nicht die Tochter meiner reizenden, chamäleonhaften Geschäftspartnerin, den lieben Shredder für sich deklarieren kann? Glaubst du, ich gebe mir all die Mühe, nur, um euch dann mutwillig zu trennen? Nein“, beantwortet er seine eigene Frage noch im selben Atemzug, „natürlich nicht. Ich habe gar nichts gegen solche Techtelmechtel, sofern sie euren Job nicht beeinflussen. Frag die beiden idiotischen Mutanten, wenn du mir nicht glaubst.“

Kazuo entspannt sich etwas, doch ganz schwindet der Argwohn nicht aus seiner Miene. Er nickt einmal, als Zeichen, daß er verstanden hat, kommentiert es aber nicht. Sie stehen sich ein paar Sekunden lang nur schweigend gegenüber und mustern sich abschätzend.

„Wie lange ist er schon dein Niichan?“ will Krang schließlich neugierig wissen.

„Schon immer“, kommt es beinahe herausfordernd zurück.

Um Krangs Mundwinkel zuckt es kurz, als er begreift, daß sich Kazuos Aggressivität nicht explizit gegen ihn richtet, sondern gegen die Welt im Allgemeinen – gegen alle, die es wagen, ihn und seinen Niichan für ihre Gefühle zu verurteilen.

„Warum bist du dann Polizist geworden? Damit ward ihr dazu verdammt, auf gegnerischen Seiten zu stehen.“

„Weil ich dumm war, okay? Ich war egoistisch. Ich habe Saki durch meinen Egoismus in die Arme des Footclans getrieben und ich sah zu, wie er immer krimineller wurde, aber anstatt mit ihm zu reden, wurde ich Polizist, weil ich mir einredete, wenn ihn jemand verhaften sollte, dann lieber ich als irgend ein Fremder. Ich bildete mir ein, nur so könnte ich ihn beschützen. Aber dann war er fort – in den USA und später hier im Technodrome und anstatt ihn zu beschützen, beschützte ich nur mir völlig Fremde. Und das reichte mir.“ Müde fährt sich Kazuo mit den Fingern quer durchs Gesicht und um seine Lippen zuckt ein trauriges Lächeln. „Ich war so dumm. Als Teenager wußte ich genau, was ich wollte: ihn. Nur ihn. Ich wünschte, ich wäre nie erwachsen geworden.“

Krang ist begeistert.

Das ist ja besser als jede Seifenoper!

Er räuspert sich einmal und tätschelt aufmunternd Kazuos Arm.

„Nun, jetzt bist du hier bei deinem Lord Krang und ich erlaube dir, ihn zu behalten.“

 



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