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Die Wölfe 4 ~Die Rache des Paten~

Teil IV
von

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~Begegnung am Pier~

Er sieht zwar genau so aus, aber das ist nicht Enrico. Verächtlich sieht Antonio seinem Freund nach, als dieser die Verandatür nach sich schließt. Wie hat er sich auch der Illusion hingeben können, er könnte noch leben. In diesem Kerl ist nichts mehr übrig, von dem Freund, mit dem Antonio durch die Hölle gegangen ist. Enrico hätte ihn nie abgewiesen, wenn er bei ihm schlafen wollte und er hätte ihn auch nie vertrieben. Es macht keinen Sinn hier zu bleiben. Wäre er nur nie her gekommen. Nicht einmal seinen Koffer und die Gitarre nimmt Antonio mit. Ohne einen letzten Blick zurück, verlässt er das Grundstück.
 

Der Weg über die Schotterpiste erscheint ihm unendlich lang. Mit den Händen in den Taschen seiner Hose, tragen ihn seine Beine immer weiter und weiter. Er ist so in Gedanken versunken, dass er von der Landschaft gar keine Notiz nimmt:

Unaufhörlich kreisen die letzten Stunden durch seinen Geist. Der Einbruch in die Bar, das Billardspiel, die Fahrt zurück, als er ihm fast unter den Händen weggestorben wäre. Vielleicht ist Enrico ohne ihn ja wirklich besser dran. Antonio dreht sich um. Das Haus ist nicht mehr zu sehen. Ein tiefer Seufzer verlässt seine Lippen. Enrico arbeitet jetzt als Mechaniker? Das kann er sich nur schwer vorstellen. In seinen Erinnerungen ist er noch immer der Chef einer Gang, die vor Mord und Diebstahl nicht zurückschreckt. Hier mitten im Nirgendwo, da gehört er doch gar nicht hin. Allein nur mit diesen beiden Gestalten und Robin. Sie haben doch in New York jede Nacht durchgemacht, sind immer unterwegs gewesen und jetzt soll Enrico sich mit Büchern und einem Kaminfeuer zufrieden geben? Das ist einfach nicht mehr der Mann, für den er sein Leben gegeben hätte. Sollen doch Jan und Lui mit ihm glücklich werden. Sie können ihn haben. Ein fette Kloß zwingt sich Antonio in die Kehle und schnürt ihm die Luft ab. Unweigerlich drängen sich ihm Tränen in die Augen, doch er wischt sie sich mit dem Handrücken vom Gesicht. Er ist die letzten vier Jahre auch allein zurecht gekommen. Wer braucht schon Freunde? Mal von Enrico abgesehen, hat er sich noch nie auf jemanden verlassen können, dran ist er gewöhnt. Was ist schon so schlimm daran, das es jetzt eben wieder so ist, wie schon immer in seinem beschissenen Leben?
 

Ohne das es Antonio wirklich bewusst wird, wechselt die Schotterpiste in eine befestigte Straße. Ganz von allein finden sein Beine den Weg zum Hafen. Als er das erste mal wieder bewusst aufsieht, steht er bereits am Pier und blickt hinaus auf das weite Meer. Nur ein paar vereinzelte Fischerbote liegen vor Anker, nach einem Passagierschiff sucht er vergebens. Ein alter Mann, wirft ein großes Fischernetz in eines der kleinen Bote und verstaut einige Eimer mit Köder darin. Antonio hält auf ihn zu und will wissen: „Entschuldigen sie bitte. Wann fährt das nächste Schiff nach Amerika?“ Der Mann betrachtet ihn unverständlich. Er hebt die Schultern und sagt etwas in einer fremden Sprache. Na super, hier sprechen alle nur italienisch, das hat er bereits wieder vergessen gehabt. Antonio winkt ab und lässt den fremden Mann hinter sich. Da hat er sich ja mal wieder tief in die Scheiße geritten. Allein in einem fremden Land, ohne Geld und ohne Obdach. Antonio hätte es besser wissen müssen. Er läuft den ganzen Pier ab, doch nirgends gibt es eine Infotafel oder etwas anderes, das ihn über die Abfahrt und Ankunft der Schiffe in Kenntnis setzt. An einem vereinsamten Teil des Hafens lässt er sich auf dem Steg nieder. Die Beine über den Rand baumelnd, betrachtet er sein Spiegelbild, dass immer wieder von den Wellen bewegt wird. Dieser feindselige Blick Enricos, geht ihm einfach nicht aus dem Kopf. Hat er es denn wirklich mit Jan und Lui übertrieben? Menschen umbringen, Bedrohungen aussprechen, handgreiflich werden, den anderen zu erst einschüchtern, das ist in New York sein täglich Brot gewesen. Schon lange ist ihm nicht mehr in den Sinn gekommen, dass er Probleme auch anders lösen könnte. Ist das überhaupt möglich? Für was hat er die letzten Jahre gelebt und gekämpft? Jetzt wo Enrico am Leben ist, erscheinen ihm sein Rachefeldzug sinnlos. Selbst wenn er jetzt zurück in die Heimat fährt, wie soll es dort weiter gehen? Anette will ihn nicht mehr sehen, selbst das Kind hält sie von ihm fern. Nichteinmal die Drachenjagd, macht jetzt noch Sinn. Antonio tritt mit dem Fuß in sein Spiegelbild.
 

„Antonio? Kann das sein?“ Erschrocken fährt er zusammen und wagt nur zögernd sich umzudrehen. Eine junge Frau, mit langen schwarzen Haaren und einem Korb unter dem Arm, steht auf dem Steg. Sie nimmt den vollen Korb aus der Armbeuge und fasst ihn mit beiden Händen.

„Tatsächlich, du bist es.“ Ein warmherziges Lächeln erhellt ihr blasses Gesicht. Sie stellt den Korb ab und kommt die wenigen Schritte zu ihm. Antonio zwingt sich auf die Beine, als er endlich wieder steht, hat Robin ihn bereits erreicht. Sie legt ihre Arme um ihn, ihre Worte überschlagen sich: „Was machst du denn hier? Wie geht es dir?“ Antonio lässt sie gewähren, ohne sich zu rühren, oder die Umarmung zu erwidern. Als sich Robin von ihm löst, ist die Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht verschwunden. Besorgt betrachtet sie ihn.

„So schlimm?“, will sie wissen. Er gibt ihr keine Antwort und sieht sie auch nicht direkt an.

„Du hast ihn schon gesehen, oder?“

„Warum hast du mich nicht eingeweiht?“, will er streng wissen. Robin geht an ihm vorbei, sie holt den schweren Korb und setzt sich an den Rand des Stegs. Mit der flachen Hand klopft sie auf den freien Platz an ihrer linken Seite.

„Danke, ich steh lieber“, erwidert er und rührt sich nicht. Prüfend betrachtet er sie und verschränkt die Arme.

„Lui hat dich eingeladen, oder?“, will sie wissen. Robins Blick gleitet hinaus aufs Meer.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, harkt er nach. Robin schweigt, sie pendelt mit den Beinen und stützt sich mit beiden Händen am Steg ab.

„Wie lange bist du schon hier?“, will sie irgendwann wissen. Antonio dreht ihr den Rücken zu.

„Robin, ich höre nicht auf zu fragen. Also warum? Wolltest du ihn für dich allein?“

„Das alles ist etwas komplizierter“, säuselt sie in die Meeresbrise.

„Ich habe Zeit!“

Sie dreht sich zu ihm, sie legt den Kopf in den Nacken und sieht ihn auffordernd an.

„Dann setzt dich doch zu mir!“, bittet sie. Antonio seufzt, dann geht er zu ihr und setzt sich neben sie.

„Ich freue mich wirklich, dich zu sehen“, sagt sie und lächelt sanft.

„Das kauf ich dir nicht ab!“ Er weicht ihren Blicken aus.

„Du wärst uns gefolgt, wenn du es gewusst hättest, oder?“

„Sicher!“

„Dir ist schon klar, warum wir seinen Tod vortäuschen mussten, oder?“

Er nickt.

„Was glaubst du, wie oft wir das noch hätten tun müssen, wenn du bei uns gewesen wärst? Es musste jemand zurück bleiben, der die Drachen überzeugt.“

„Das selbe Geschwätz, wie von Jan. Ihr könnt mich alle mal. Ich fahr mit dem nächsten Schiff wieder in die Heimat.“ Sie schweigen beide und betrachten das Meer. Robin atmet schwer, sie sieht sie ihn lange eindringlich an, doch er weigert sich, mehr zu sagen. Schließlich ist sie es, die wieder zu sprechen beginnt: „Der nächste Dampfer nach Amerika, legt frühstens in drei Monat hier an.“ Erschrocken richtet er seine Aufmerksamkeit auf sie. Drei Monat, so lange kann er sich hier niemals über Wasser halten. Antonio lässt die Schultern hängen und seufzt tief: „Na toll!“

„Euer Treffen ist wohl ziemlich schief gelaufen, was?“, fragt sie vorsichtig. Von unten herauf schaut sie ihn an und versucht seinen Blick zu erhaschen.

„Er hat sich ganz schön verändert, was?“, versucht sie noch immer ein Gespräch zu beginnen. Gedankenverloren schüttelt Antonio den Kopf.

„Er weiß nichts mehr. Er hat einfach alles vergessen.“

„Ja“, seufzt sie.

„Er hat mich zur Sau gemacht, weil ich heute Nacht bei ihm geschlafen habe und dann hat er mich raus geschmissen, weil ich …“ Antonio stoppt sich selbst. Ob Robin ihn auch dafür verurteilt, was er mit Jan und Lui getan hat? Sie betrachtet ihn eine Weile auffordernd. Als er sonst nichts sagt, harkt sie nach.

„Was hast du ausgefressen?“

„Jan ist selbst schuld. Er hat mich bis zum Erbrechen provoziert und Lui hat seine Waffe auf mich gerichtet.“

„Du hast die Beiden aber nicht umgelegt, oder?“

„Nein“, gibt er zähneknirschend zu.

„Na dann geht’s ja noch“, entgegnet sie und pendelt gelassen mit ihren Beinen. Überrascht sieht er sie an. Robin schmunzelt amüsiert.

„Glaub mir, ich wollte ihn auch schon mehr als einmal erschlagen.“ Sie lächelt verschlagen und zwinkert ihm zu, bevor sie wieder hinaus auf das Meer sieht und ernster fortfährt, „Aber hin und wieder ist er ganz nützlich. Er hat uns mit seinem Job viele Wege geebnet und hin und wieder kann er besser mit Enrico umgehen, als ich.“ Sie macht eine lange Pause, dann fährt sie fort: „Hat Enrico dich deswegen vor die Tür gesetzt?“

„Ja.“

„Mhm ...“ Robin pendelt stärker mit ihren Beinen und richtet ihren Blick in den Himmel. „Es ist seltsam, wenn er sich so ganz normal benimmt, oder? Einer ehrlichen Arbeit nachgeht, lieber einen Tag mit einem Buch vor dem Kamin verbringt, anstatt in einem Bordell oder beim Pokern.“

„Allerdings! Er verträgt gar nichts mehr. Auf dem Heimweg von der Bar, wäre er mir fast krepiert.“

„Du hast ihn abgefüllt?“, lacht Robin vergnügt.

„Er hatte nur drei Drinks und war schon sternhagelvoll.“

„Das hätte ich gern gesehen. Da wird er sich sicher gefreut haben. Wir verbieten ihm schon seit Jahren Alkohol.“

„Ist wohl auch besser so. Es ging ihm danach echt dreckig.“

„Naja, vielleicht lässt er ja jetzt freiwillig die Finger davon.“ Wieder schleicht sich Schweigen zwischen sie. Es dauert ewig, bis sich Robin durchringen kann, ein neues Thema anzuschneiden: „Hat er sich denn an gar nichts erinnert, als er dich gesehen hat?“

„Nur an Kleinigkeiten, nichts von Substanz.“

„Du kennst ihn von uns allen am beste. Glaubst du nicht auch, dass es besser ist, wenn er sich nicht erinnert und hier ganz neu anfangen kann?“

„Keine Ahnung! Den Typen im Sommerhaus kenne ich nicht und er ist mir auch egal. Ich verschwinde von hier. Schlagt ihr euch mit ihm herum.“

„Jetzt schiebe mal deinen gekränkten Stolz bei Seite und gib mir nicht so dumme Antworten. Hast du noch nie darüber nachgedacht, ein normales Leben zu führen? Ist das nicht besser, als ständig auf der Flucht zu sein? Mal ganz langweilig einfach nur vor dem Kamin zu sitzen? Ist das wirklich so schlimm?“ Antonio schweigt, er denkt einen Moment darüber nach, doch schließlich sieht er sie ernst an: „Ihr seid doch immer noch auf der Flucht und ihr werdet es immer sein, oder willst du mir wirklich weiß machen, dass du dich nicht mehr zwei mal umdrehst, wenn jemand hinter dir geht, weil du das Gefühl hast, dir schleicht jemand nach, oder siehst du nie nach, wer hier alle drei Monaten aus dem Schiff aus Amerika steigt? Für Menschen, wie uns, gibt es kein zurück, in ein normales Leben.“

„Ob du das glauben kannst oder nicht: Ich bin hier wirklich zur Ruhe gekommen. Ich sehe nicht mehr in jedem fremden Gesicht eine Bedrohung. Ich bin mir sicher, dass das auch etwas für dich wäre, aber du willst das gar nicht, oder? Du hast nicht das Gefühl, das verdient zu haben, stimmt's?“ Er wendet den Blick ab.

„Tu nicht so, als wenn du mich kennen würdest!“, sagt er abwehrend.

„Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen?“, seuselt sie.

Er knirscht mit den Zähnen, doch sie lächelt nur sanft und steht auf. Auffordernd reicht sie ihm die Hand. „Los steh auf!“ fordert sie.

„Wozu?“

„Wir gehen jetzt zum Sommerhaus und klären das. Du willst doch gar nicht hier weg, solange er hier ist.“ Misstrauisch sieht Antonio zu ihr auf.

„Warum solltest du mir helfen wollen? Wo du doch mit ihm verheiratet bist!“ Herausfordernd sieht er zu ihr auf.

„Guter Einwand. Aber du bist ein Kerl und keine Konkurrenz. Außerdem wollte ich bei euch beiden schon immer mal mitmischen. Vielleicht habe ich ja jetzt die Chance dazu.“ Antonio hebt eine Augenbraue und sieht sie entsetzt an. Robin schmunzelt erst, dann beginnt sie herzhaft zu lachen.

„Du müsstest dein Gesicht sehen.“

„Jetzt tu nicht so, als wenn das nur ein Scherz gewesen wäre. Ich hab dich schon mit mehr als zwei Männern gesehen. Du meinst es, wie du's gesagt hast.“

„Ach lass mir doch meine Träume. Und jetzt komm! Du kannst ja schlecht die nächsten drei Monate hier auf dem Steg verbringen.“

„Ich geh nirgendwo hin!“ Demonstrativ dreht Antonio ihr den Rücken zu. Ihre Schritte kommen näher, ein harter Schlag trifft ihn am Hinterkopf.

„Beweg dich!“

Ärgerlich sieht er sie an und reibt sich über die getroffene Stelle: „Du wagst es einen Killer zu schlagen?“

„Unter uns Mördern, darf ich das. Außerdem steh ich in der Rangfolge noch immer über dir.“ Nur weil sie die Tochter des Paten ist und Enrico und ihn ausgebildet hat? Das ist noch lange kein Grund. Demonstrativ sieht Antonio weg.

„Jetzt steh schon auf! Du hast dir den Mist eingebrockt, nun schaff die Sache auch aus der Welt. Ob du willst oder nicht, du sitzt mindestens drei Monate hier fest und im Sommerhaus ist es ganz sicher angenehmer, als hier am Hafen. Spring mal über deinen Schatten“, Robin macht eine betont lange Pause, bevor sie lächelnd fortfährt, „Außerdem könnte ich jemanden brauchen, der meinen Korb trägt.“ Sie schiebt den randvollen Korb mit dem Fuß in seine Richtung. Antonio seufzt ergeben und richtet sich auf. Zähneknirschend nimmt er den Korb.

„Danke!“, sagt sie übertrieben freundlich und geht voran.



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