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Tears and Laughter

von

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Aushilfsdetektive


 

Sky
 

„Nein!“, schrie ich.

Meine Lungen brannten. Ich rannte atemlos durch die schwarze Nacht. Ich spürte die Überanstrengung in meinen Beinen, doch das Adrenalin in meinen Venen ließ mich immer und immer und immer weiter rennen. Die Welt um mich herum war formlos. Eisige Luft zieht an meinen Kleidern. Meine nackten Fußsohlen schrammten beim Rennen über das unregelmäßige Kopfsteinpflaster. Hinter den verwitterten Straßenlaternen hörte die Welt auf. Wurde zu einer schwarzen Maische großem Nichts. Doch ich rannte. Immer weiter. Immer weiter in das Nichts hinein. Hinter mir langsam, aber viel zu nah die bedrohlichen Schritte. Die gelben Lichtkegel der Laternen flogen an mir vorbei, wie wütende Glühwürmchen, während ich durch meinen raschelnden Atem und mein wummerndes Herz nur zu überdeutlich diese Schritte hinter mir hörte.

Tip tap tip tap.

„Geh weg! Lass mich in Ruhe! Hilfe! HILFE!“, meine Tränen flogen von meinen hitzigen Wangen.

Doch ich rannte. Trotz aller Schmerzen rannte ich immer weiter. Öfter strauchelte ich, fing mich gerade rechtzeitig mit den Händen ab und rannte weiter. Immer, immer weiter. Die Straße vor mir verlassen und endlos lang. Niemand dort, der mir helfen konnte. Niemand der mich schreien hörte.

„Hilfe! Hört mich denn niemand?!“

Tip tap tip tap.

„HILFE!“

Tip tap tip tap.

„Irgendjemand! BITTE!“

Tip tap tip tap.

„HIL… ARG!“, meine nackten Zehen blieben schmerzhaft in einem der grobschlächtigen Spalten hängen. Brutal schlug ich auf den Boden auf.

Tip tap tip tap.

Hastig wollte ich aufstehen, doch mein Vater hatte mich am Arm gepackt und zog mich zu sich herum. Sein Griff, schmerzhaft und stramm wie ein Schraubstock, zog sich um meinen Bizeps: „Lass mich los! Zur Hölle, lass mich in Ruhe. VERSCHWINDE!“

Ich zog an meinem Arm, wie von Sinnen, in schierer Todesangst. Doch ich kam nicht frei.

„Nein! Nein!“, ich rief und flehte: „Lass mich los! Nein! Lass mich los!“

Meine weit aufgerissenen Augen klebten an ihm. Er holte aus.

„NEIN!“
 

„NEIN!“, ich saß aufrecht im Bett. Schwitzend. Keuchend. Mein Kopf surrte. Heiße Tränen mischten sich auf meinen Wangen mit meinem kalten Schweiß.

Ich schaute mich in dem Zimmer um. Dem Gästezimmer der Phantomhives.

Ich war in Sicherheit.

Ich war wahrscheinlich im sichersten Haus von ganz London. Weit, weit weg vom East End. Weit, weit weg von… ihm.

Meine Augen fielen zu, als ich erleichtert ausatmete und mir mit zittriger Hand über das Gesicht wischte: „Ein Traum… Es war nur ein Traum...“

Ich schnappte mein Handy und schaute auf das Display: 07:09 Uhr, Mo. 2. Nov. 2015.

Ich rieb mir über den Oberarm, an dem mich das grauenhafte Alptraumbild meines Vaters gegriffen hatte. Dann zog ich meine Beine zu mir und versteckte schluchzend mein Gesicht in meinen Händen. Ich fühlte mich so furchtbar alleine. So unendlich, furchtbar alleine.

Nach einigen Minuten rieb ich mir Schweiß und Tränen aus dem Gesicht. Ich atmete tief durch und warf die Beine aus dem Bett. Solche Alpträume waren nichts Besonderes. Regelmäßig erwehrte ich mich, oder eben nicht, in meinem Träumen meinem eigenen Vater, der mir nur Böses wollte. Doch… Wahrscheinlich hatte ich nichts anderes verdient…

Ich schüttelte mich und versuchte das klamme Gefühl los zu werden. Es war nur ein Traum. Nun war er vorbei. Das war alles was zählte.

Stöhnend wischte ich mir den nassgeschwitzten Pony aus dem Gesicht. Ich musste dringend duschen gehen. Wahrscheinlich ging es mir nach ein paar Minuten unter der riesigen Regendusche gleich besser.

Ich war ja schon ein wenig neidisch auf die Phantomhives. Ein Heimkind aus dem East End kannte so einen Wohlstand nicht. Doch die Phantomhives und ihre Angestellten gaben mir nicht eine Minute das Gefühl ein minderer Mensch zu sein. Im Gegenteil.

So tapste ich, die Kleidung die mir Sebastian gestern gab über den Arm gelegt hatte, aus meinem Zimmer und wollte die paar Schritte quer durch den Flur in das Badezimmer gehen, da stoppte mich das Aufgehen eben dieser Türe.

Eine Gestalt mit nassen, langen, silbernen Haaren kam heraus.

Ich holte Luft, um den Bestatter einen guten Morgen zu wünschen, doch er ging zu seiner Zimmertüre ohne mich anzuschauen.

Tropfen sickerten von seinen langen Haaren in den Stoff seines weißen Baumwohlhemdes mit dem Stehkragen und den überlangen Ärmeln und machte ihn an den Schultern fast durchsichtig. Doch das Gesicht des Bestatters lag in ungeahnt dunklen Schatten. Seine Mundwinkel ließen sein übliches Grinsen missen und waren düster gerade.

‚Fein erkannt‘, surrte seine kalte Stimme durch meinen Kopf. Mir war viel zu spät gewahr geworden, wie hart meine Worte den Totengräber getroffen haben mussten. Eine weitere Art von Panik wallte in mir auf. Ignorierte er mich? Hatte ich ihn gestern Abend doch so sehr verärgert, dass er mich nun mit einer kalten Schulter strafte? Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war...

Mit einem Klicken schloss sich seine Zimmertür hinter ihm, ohne dass ich ihn stoppte.

Meine Augen wanderten zu Boden. Ich glaubte ich verstand erst jetzt, wie viel giftigen Staub ich aus dem Grunde der Seele des Bestatters aufgewirbelt hatte, indem ich ihn gezwungen hatte sich seiner Trauer gewahr zu werden.

Ich wollte es ändern. Mich entschuldigen. Doch ich wusste nicht wie.

Also setzte ich vorerst meinen Weg fort.

In dem für mich großen, für die Verhältnisse der Phantomhives aber relativ kleinen, marmorgetäfelten Badezimmer mit der ebenerdigen Regenwalddusche schaute ich mich sorgfältiger um.

Die Haare des Bestatters waren nass gewesen, also tippte ich, dass er gerade aus der Dusche gekommen war.

Doch der Spiegel über dem großen, weißen Waschbecken war nicht beschlagen. Generell war es in dem Badezimmer relativ kühl.

Mit meinen nackten Füßen lief ich über den schwarzen Boden auf die Dusche zu. Sie war nass. Doch der Blick auf den Wasserregler ließ mich verwundert blinzeln. Der Einhebelmischer war komplett nach rechts gedreht. Hatte der Bestatter mit kaltem Wasser geduscht? Wer macht denn sowas? Ich konnte es mir nicht vorstellen und öffnete den Hahn. Aus dem großen, eckigen Duschkopf prasselte das Wasser auf die großen Kacheln. Ich hielt meine Hand darunter. Das Wasser war nicht nur kalt, es war eiskalt und ließ mich schaudern.

Eine unwillkürliche Sorge wallte in mir auf. Das düstere Gesicht des Totengräbers geisterte durch meinen Kopf. So schwer. So düster.

Ich seufzte und drehte den Mischer ein ganzes Stück nach Links. Während mein Nachthemd zu Boden fiel und ich mir mit der großen Bürste durch meine Haare fuhr, waberte die Dampfwolke des mittlerweile warmen Duschwassers zu mir herüber. Mein Gesicht in dem Spiegel verschwand hinter dem dunstigen Niederschlag. Ich stellte mich unter die warme Dusche und rieb mir meinen Nacken. Das Fluchmal... Ich seufzte gestresst und hielt mein Gesicht in das warme Wasser. Doch der Gedanke an das Fluchmal wurde schnell wieder von der Frage fort gewaschen, warum jemand mit komplett kaltem Wasser duschte. Sicherlich könnte man nun sagen es sei nicht weiter verwunderlich, da der Bestatter eh durch und durch komisch war. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl es war ein Indiz dafür, dass er schon um sieben Uhr Morgens einen schlechten Tag hatte.

Ich diskutierte mit mir selbst, während ich mich wusch.

Sollte ich mit ihm reden?

Ich war mir nicht sicher.

Wenn ich richtig dachte, hatte so sein schlechter Tag ja erst angefangen. Vielleicht, oder eher wahrscheinlich, will er mich gar nicht sehen…

Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, während mir die warmen Tropfen in Strömen über das Gesicht rannen. Ich hatte keine Ahnung was ich ihm sagen wollen würde.

Es sei alles ok?

Eigentlich war das alles gar nicht so schlimm?

Natürlich… ungefähr 2 Jahrhunderte lang seine eigenen Freunde unter die Erde zu bringen ist ja keine große Sache. Ich könnte verstehen, wenn er jemanden für so eine Aussage ziemlich skrupellos die Nase einmal schief und wieder gerade bog. Wenn er sich darauf überhaupt beschränkte, verdiente er für seine Selbstbeherrschung eigentlich einen Orden.

Ich glaubte einfach, gerade gab es nichts wirklich Sinnvolles was man ihm sagen konnte, was nicht prinzipiell dazu einlud es in den falschen Hals zu bekommen.

Sollte ich einfach fragen wie es ihm ging?

Ob er gut geschlafen hatte?

Doch eigentlich konnte ich mir diese Fragen nach dem Anblick seines halb abgewandten Gesichtes selbst beantworten.

Ich trocknete mich ab und zog mich an. Dann föhnte ich mir die Haare. Ich drehte sie in einen lockeren Dutt, wischte mit einer Hand den Dunst vom Spiegel und schaute mir nachdenklich eine Weile in die eigenen Augen.

Ich sollte seine Gefühlslage einfach akzeptieren und auch, dass er augenscheinlich nicht zum Reden aufgelegt war. Auch wenn ich selbst nichts dringlicher wollte, als ihm zu helfen. Doch… das wollte ich gestern auch… und es war augenscheinlich furchtbar schief gegangen...

Auch ich verschwand in mein Zimmer und begann mich zu schminken. Ich schaute auf mein Handy. Es blinkte. Mit meinem Gesicht nur halbfertig zückte ich es.

– Amy [02.11.15; 07:36] Guten Morgen :* Falls du schon wach bist^^ Frühstück heute um 8! Die Reaper müssen arbeiten. Solltest du noch schlafen weckt dich Sebastian. Nur damit du nicht zu Tode erschrocken aus dem Bett fällst ;D -

Ich schaute auf die Uhrzeit in der oberen Ecke des Displays: 07:42 Uhr. Der Butler würde sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.

– Sky [02.11.15; 07:42] Morgen! Ich bin wach. Ist Undertaker schon unten? -

Amys Antwort kam prompt: – Amy [02.11.15; 07:42] Nein. Warum? -

Ich seufzte: – Sky [02.11.15; 07:42] Interesse -

– Amy [02.11.15; 07:43] Aha? Das heißt? -

– Sky [02.11.15; 07:43] Nichts -

– Amy [02.11.15; 07:43] Siiiiiiiicher? ~8D -

– Sky [02.11.15; 07:43] Ja... -

– Amy [02.11.15; 07:44] Du weißt schon, dass er das Zimmer neben dir hat, wenn du Sehnsucht nach ihm hast, ja? <(¬v¬<) -

Ich merkte sofort eine unangenehme Wärme in meinem Gesicht: – Sky [02.11.15; 07:44] Amy! -

– Amy [02.11.15; 07:44] So heiß ich :P -

– Sky [02.11.15; 07:44] Sehnsucht?! (o)_(o) Du solltest weniger Wein trinken! Das bekommt dir nicht! -

– Amy [02.11.15; 07:44] Du hast noch eine viertel Stunde. Nutze sie c[= -

– Sky [02.11.15; 07:44] Wofür denn bitte?! (¬_¬*) -

– Amy [02.11.15; 07:45] Ich hab gehört Gardinenbänder eignen sich super zum fesseln -.^ -

Mein Rot wurde dunkler: – Sky [02.11.15; 07:45] D8… Hallo?! Ich wiederhole!: Weniger Wein! -

– Amy [02.11.15; 07:45] >///< ← Dein Gesicht! -

– Sky [02.11.15; 07:45] (눈_눈) Du kannst mich mal... -

– Amy [02.11.15; 07:45] Gern haben? Tu ich doch immer. Weißt du doch ( ˘ ³˘) -

– Sky [02.11.15; 07:46] -.-* … Bis gleich… Werd nüchtern! Oder ich zeige die Nachrichten Sebastian!-

– Amy [02.11.15; 07:46] Willst du mich umbringen?! o_O"' -

– Sky [02.11.15; 07:47] (҂`_´) <︻╦╤─ ҉ - - - - - - Ra Ta Ta Ta Ta Ta Ta! -

– Amy [02.11.15; 07:47] Spielverderber °^° -

– Sky [02.11.15; 07:47] Bis gleich! -

Mit einem Stöhnen legte ich das Handy weg und schminkte mich zu Ende. Ich seufzte dem noch nicht ganz wachen Ich in dem Kommodenspiegel entgegen. Dann griff ich mir eine Packung Foundation aus meiner Make up Tasche. Eigentlich benutzte ich sie kaum. Doch nun schmierte ich sie mir unter die Augen um meine Augenringe zu verdecken. Ich war immer noch müde. Ich hatte zwar geschlafen, doch es war nicht viel und nicht sonderlich erholsam gewesen.

Mit einem letzten Blick auf mein Handy entschloss ich mich, meinen Weg zum Esstisch anzutreten. Ich stand nur vor der großen Frage: Welchen?

Esszimmer oder Wintergarten?

Der Butler wusste sicher, dass ich wach war, weil Amy es wusste. Deswegen konnte ich mir vorstellen er kam nicht um mich zu eskortieren. Sicherlich denkt er ich kämme wieder mit Undertaker zum Frühstück. Doch da stand ich auch schon vor dem nächsten Problem: Der Totengräber will mich sicherlich nicht sehen und ich ihn nicht nerven… Warum hab ich Hohlfrucht auch meine verdammte Klappe so weit aufgerissen? Gut gedacht war immer noch weit entfernt von gut gemacht…

Seufzend stellte ich fest, dass mich einfach nichts mehr retten konnte. Nicht in Punkt A) und nicht in Punkt B).

Also verließ ich mein Zimmer und versuchte meinen Bestimmungsort eigenständig zu finden.

… Erfolglos….

Irgendwann stand ich in einem Teil der Villa, den ich definitiv noch nie gesehen hatte und hatte keine Ahnung mehr wo ich eigentlich war.

Ich sah auch keinen Bediensteten. Die Welt schien mich ein weiteres Mal verlassen zu haben. Warum hatte ich nur immer so ein Pech?

Ich konnte lediglich sagen, dass ich im Erdgeschoss sein musste. Eine Erkenntnis, die mich auch nur minimal weiter brachte. Sowohl Wintergarten, als auch Esszimmer waren im Erdgeschoss. Das war es aber auch schon mit meiner Orientierung gewesen.

Also wanderte ich weiter durch die Villa, vollkommen überfordert mit der unsäglichen Größe dieses Hauses.

Mein Handy vibrierte: – Amy [02.11.15; 08:22] Sky? Wo bist du? -

Ich seufzte, als ich meine Antwort tippte: – Sky [02.11.15; 08:22] Ich habe keine Ahnung... -

– Amy [02.11.15; 08:23] Wie? -

– Sky [02.11.15; 08:23] Ich… hab mich verlaufen -

Jetzt dauerte es eine Minute bis Amy antwortete: – Amy [02.11.15; 08:24] Warum sagst du denn nichts? Undertaker hätte dich doch hergebracht! -

Ich seufzte abermals, als ich nicht wusste wie ich Amy meine Situation erklären sollte: – Sky [02.11.15; 08:24] Ist er denn schon da? -

– Amy [02.11.15; 08:25] Ja. Er sitzt vor mir und schaut mich verwundert an -

– Sky [02.11.15; 08:25] Warum verwundert? -

Wieder dauerte es eine Weile länger bis mir die Phantomhive antwortete: – Amy [02.11.15; 08:27] Er fragt sich warum du ihn nicht gefragt hast, wo du hin musst -

Erklärungsnot die Zweite. Was sollte ich Amy jetzt darauf antworten?

– Sky [02.11.15; 08:29] Ähm… Ich dachte er wäre schon unten -

– Amy [02.11.15; 08:29] Du hast mich doch gefragt und ich hab nein gesagt! -

– Sky [02.11.15; 08:30] Er ist doch nicht mein Fremdenführer! -

‚Scheiße...‘, ließ ich den Kopf hängen. Das war ja mal ein wunderhübsches Eigentor gewesen.

– Amy [02.11.15; 08:35] Sag ihm das selbst -

– Sky [02.11.15; 08:35] Wie… meinst du das? -

– Amy [02.11.15; 08:36] Dreh dich um #-) -

Ich drehte mich um… und bekam einen halben Herzinfarkt.

Ein breites Grinsen schaute mir aus einer langen Robe, unter einem langen Pony mit verschränkten Armen und einen Keks zwischen den Lippen entgegen.

Ich starrte den Totengräber nur an: ‚Er… ist hier?‘

Doch Undertaker lachte wie eh und je. Sein Grinsen war wie gewohnt und sein Gesicht wirkte nicht mehr im Ansatz düster oder verstimmt: „Eh he he he. Du weißt schon, dass du in die komplett falsche Richtung gelaufen bist, oder?“

Ich schüttelte immer noch perplex den Kopf: ‚Warum ist gerade er gekommen, um mir zu helfen?‘

Und warum wirkte er auf einmal wieder so, als sei Nichts geschehen? Wenn man das Gesicht des Bestatters musterte, lag kein Anzeichnen mehr für unsere, für ihn recht unerfreuliche, gestrige Konversation darin. Es grinste einfach amüsiert vor sich hin. Jeder andere wäre jetzt wahrscheinlich erleichtert, doch mir stieß dieser Ausdruck sauer auf. Ich konnte mich noch allzu deutlich an sein Gesicht vor knapp 1 ½ Stunden erinnern, welches gänzlich gegensätzlich gewesen war. So schnell konnte auch Undertaker seine Launen nicht wechseln.

„Nun ja, tehehe, jetzt weißt du es. Folge mir“, der Bestatter ging an mir vorbei. Immer noch im Unreinen mit der Welt, ging ich hinter ihm her. Doch ließ ich die Augen hängen. Mein schlechtes Gewissen war so massiv, dass ich es nicht einmal schaffte den Rücken des Totengräbers zu mustern. Wir gingen durch die langen Flure. Schweigend. Nur unsere Schritte störten die Stille, denn nun hörte man auch wieder die Absätze des Leichengräbers auf dem feinen Steinboden.

Ich fragte mich, ob ich ihn darauf ansprechen sollte.

Auf die kalte Dusche.

Auf diesen unendlich düsteren Gesichtsausdruck.

Doch ich blieb stumm.

„Warum belügst du deine beste Freundin, kleine Sky?“, brach Undertaker das Schweigen.

„Ich ähm...“, meine Kopf raste: ‚Mist! Verdammt! Scheiße! Was soll ich nur sagen?!‘

Mein Kopf spuckte keinen Masterplan aus.

Sollte ich die Wahrheit sagen?

Doch mir war das alles so peinlich. Ich schämte mich so sondergleichen für meine vorlaute Klappe. Ich legte eine Hand beschämt über meine Augen und lief, den Kopf immer noch zu Boden, weiter hinter dem Bestatter her.

Dann stoppte ich.

Unfreiwillig.

Denn ich rasselte in den Rücken des Totengräbers, dessen Stoppen ich nicht gesehen hatte. Aufgrund der unvorhergesehenen Berührung schreckte ich zurück und schaffte es immer noch nicht Undertaker anzuschauen: „… Sorry… ich ähm… wollte nicht in dich hineinlaufen...“

„Hehehe. Was ist los mit dir, Skyler?“

Ich verschränkte die Arme hinter meinem Rücken und schaute meinen über den Steinboden scharrenden Fuß an: „Nichts… was soll denn sein?“

„Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste“, erwiderte der Totengräber hörbar unangetan von meiner Aussage: „Ich finde es allerdings seltsam, dass du Amy und nun auch mich belügst.“

„Ich… ähm… also… äh… es ist nichts...“

„Sky?“

„Ja?“

„Höre auf zu lügen. Es gibt keinen Grund dafür.“

Doch… gab es. Nur leider keinen guten, das wusste ich selbst. Eigentlich müsste ich mich entschuldigen. Rede und Antwort stehen. Am Besten falle ich einfach auf die Knie und bitte, nein flehe, untertänigst um Vergebung! Doch mein Körper verwehrte mir jede Bewegung. Der Kloß in meinem Hals würgte mich und machte Sprechen unmöglich. Ich fing an zu zittern, aufgrund meiner Nervosität, der Scham, dem schlechten Gewissen und meiner vollkommenen Inkompetenz.

„Skyler?“, hörte ich die Stimme des Totengräbers und die Spitzen seiner Lackschuhe erschienen in meinem zu Boden gesenkten Blickfeld: „Schau mich an.“

„Ich… ähm… Ich“, ich konnte nicht. Meine Unterlippe begann zu zittern und ich hatte ein saures Gefühl in meinem Hals. Doch zwei Finger an meinem Kinn sagten mir, dass ich zu können hatte: „Was ist los, hm?“

Das Gesicht des Bestatters schien mir mit einem so herrlich weichem Lächeln entgegen, dass es mir einen Tritt in die Magengrube versetzte. Meine Augen wanderten wieder nach schräg unten, in dem verzweifelten Versuch diesem weichen Blick auszuweichen, der mein schlechtes Gewissen zum überschäumen brachte. Doch nun legte er seine ganze lange Hand an meine Wange und schob meinen Kopf so, dass ich seinen grünen Augen nicht mehr fliehen konnte: „Warum sprichst du nicht?“

Ich kniff meine Augen zu: „Es… es- es- es- es- es tut mir leid!“

Nichts.

Für eine Minute hörte ich von dem Bestatter gar nichts.

Jetzt war es soweit.

Sicherlich überlegte er gerade wie er mir unmissverständlich klar machen konnte, wo ich mir meine Entschuldigung denn bitte hin stecken könne. Meine Hände fingen an zu schwitzen und ich rieb meine Finger mit einem nervösen Brennen in meinem Magen aneinander.

Doch dann flogen mir die paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich wie immer aus meiner Frisur gestohlen hatten. Das Lachen des Bestatters war so laut und unendlich belustigt, dass ich anfing ihn verwundert anzublinzeln. Seine Hand war verschwunden. Sie war mit seiner anderen zu seinem Bauch gewandert und er krümmte sich ein wenig nach vorne. Wie üblich dauerte es ein paar Minuten bis sich Undertaker wieder so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. Als er mich wieder anschaute wischte er sich ein paar Tränen aus den Augen, die man allerdings heute nicht sah. Sie waren wieder hinter seinem langen Pony verschwunden.

„Awuwuwuwuwuwu! Du denkst doch nicht tatsächlich ich würde dir gestern Abend nachtragen, oder? Fuhuhuhuhu!“

„Öhm...“, meine Gedanken purzelten durcheinander und ich musste ein paar weitere Male blinzeln, bis ich meine Sprache einigermaßen wiedergefunden hatte: „Doch?“

Wieder lachte der Bestatter und hielt sich dabei die Hand vor den Mund: „Pahahahahahaha! Wieso denn?!“

Ich ließ den Kopf ein weiteres Mal hängen und scharrte wieder nervös mit meinem Fuß: „Naja… Du hast heute Morgen so düster geschaut… und du hast kalt geduscht… Da dachte ich… ja.. du seist… also...“

Wieder hob seine Hand mein Gesicht zu seinem. Durch seine fehlenden Augen war sein Gesichtsausdruck kaum zu deuten. Das Einzige, was man erkennen konnte, war sein riesiges Grinsen, was ja bekanntlich alles bedeuten konnte: „Ehehe. Woher weißt du das?“

„Nun ja“, irgendwie fühlte ich mich wie ein Spanner. Dabei hatte ich gar nicht gespannt! Er war mir ja zufällig über den Weg gelaufen! Ich fühlte mich trotzdem mies…: „Als ich unter die Dusche wollte, kamst du gerade aus dem Bad… I-i-i-ich wollte dich nicht bespitzeln! D-d-du bist mir einfach über den Weg gelaufen und und und da da da hab ich dein Gesicht gesehen und du hast mich vollkommen ignoriert und d-de-deswegen dachte ich du seist sauer auf mich... Da-das mit der Dusche hab ich gemerkt, als ich selber drunter wollte. Es… tut mir leid! Dass ich dich heute Morgen bespitzelt habe und und dass ich dir gestern solche… solche Sachen an den Kopf geworfen habe! I-ich wollte dich nicht traurig machen. Ich Ich wollte dir helfen!“, ich holte tief Luft, da sich meine Stimme beim Sprechen immer wieder überschlagen hatte. Auch meine Augen fielen wieder nach schief unten, da die Finger des Bestatters abermals verhinderten, dass mein ganzer Kopf folgen konnte: „Doch das ist wohl reichlich nach hinten losgegangen… Es tut mir wirklich so... so unendlich leid… Ich… möchte nicht… wollte nicht… dass du sauer auf mich bist...“

Die andere Hand des Bestatters landete ebenfalls auf meinem Gesicht und ich schaute den Totengräber von unten an. Ich fühlte mich so niedergeschlagen. Dieser Gesichtsausdruck von heute Morgen… er war so schlimm gewesen. Auch wenn er nun fehlte, die Gewissheit, dass er da gewesen war, war furchtbar.

Doch Undertaker lächelte: „Ich bin nicht sauer auf dich. Ehehehe! Ich habe dich einfach nicht gesehen! Warum hast du nichts gesagt?“

Er hatte mich nicht gesehen? Das kam mir komisch vor. Ich hatte offen auf dem Flur gestanden und eigentlich wirkte Undertaker immer so, als ob er einem auch im besten Versteck aller Zeiten einfach sofort finden könne.

„Nun…“, redete ich zögerlich, was sowohl auf meine emotionale Angeschlagenheit aufgrund dieses unsäglich schlechten Gewissens, als auch auf meine Verwirrtheit seiner vorangegangenen Aussage gegenüber zu münzen war: „Wie gesagt, ich dachte du seist sauer... zeigst mir die kalte Schulter und… und möchtest mich nicht sehen...“

„Das ist Blödsinn“, dann fuhr er mich mit seinen langen Fingern durch meinen Pony. Es fühlte sich so gut an und das Brennen in meinem Magen verschwand: „Hach kleine, süße Skyler. Das kommt davon, wenn man vermutet und nicht spricht“, er drehte seinen Zeigefinger in einer meiner dicken Strähnen: „Es ist alles ok. Hehehe. Ich war heute Morgen nur ein wenig in Gedanken, aber das hatte nichts mit dir zu tun.“

Ich zog meine Augenbrauen zusammen, als Undertaker seinen Finger wieder aus meinen Haaren zog. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht so unschuldig an seinen Gedanken war, wie es klang. Des Weiteren war ich mir mehr als nur sicher, dass es keine schönen Gedanken gewesen waren. Warum duschte man sonst kalt?

Doch Undertaker giggelte mich nur an: „Das nächste Mal, hehehehe, frage doch einfach und zerbrich dir nicht dein schönes Köpfchen mit irgendwelchen Vermutungen“, dann nahm er auch die andere Hand von meiner Wange und hielt mir seinen Ellbogen hin: „Frühstück?“

Nach einem erleichterten Ausatmen schaute ich dem Bestatter wieder in sein verhangenes Gesicht. Mir war als sei das Gewicht der Welt von meinen Schultern gewichen, als ich so etwas wie ein Lächeln zustande brachte und mich einharkte: „Frühstück.“

Mit Undertaker als Begleitung fand ich nun ohne Schwierigkeiten den Weg in den Wintergarten und zu den Anderen. Nur waren William, Grell und Ronald schon fort.

„Ohne sich zu verabschieden, hehe“, fiel Undertaker auf seinen angestammten Platz griff sich seinen Löffel und, zu meinem großen Bedauern, leider auch das Glas Marmite: „Wie unhöflich. Tihihi!“

Ich setzte mich ebenfalls zwischen ihn und Amy, wo schon ein bis zum Rand gefüllter Teller auf mich wartete. Sebastian warf mir ein unheilverheißendes Lächeln zu, also nahm ich den Teller in Angriff, bevor mir der Butler ein weiteres Mal seine ‚Unterstützung‘ anbieten konnte.

Frank seufzte, eine Reaktion, die ich schon mehr als nur erwartet hatte: „Die Drei haben auch geregelte Arbeitszeiten, im Gegensatz zu dir.“

„Was soll das heißen?“, nuschelte der Totengräber fast beleidigt an seinem Silberlöffel voll Marmite vorbei: „Ich leite schließlich ein ganzes Bestattungsunternehmen!“

Frank schaute ihn mit gestresst großen Augen an: „Aber dein Bestattungsunternehmen besteht nur aus dir!“

„Ja, tut es“, stimmte Undertaker zu, doch brach dann in ein schrilles Lachen aus: „Pahahahahaha! Und ich bin wahrlich nicht einfach zu leiten! Tihihihihihihi!“

Mir fiel ein Stück Spiegelei von der Gabel, als ich mein Gesicht, eine Augenbraue erhoben, zu dem Leichengräber drehte.

Frank war der Kiefer aufgeklappt: „Das hast du jetzt gerade nicht wirklich gesagt“, hauchte der Deutsche und musterte Undertaker, als würde der Bestatter gleich sein Pferd satteln um gegen Windmühlen in eine epische Schlacht zu ziehen.

„Doch“, lachte der Totengräber belustigt hinter seinem nächsten Löffel der schwarz-braunen Abscheulichkeit: „Nihihihi! Habe ich!“

Frank stützte seine Augen hinter seine Hand: „Oh mein Gott.“

Dieses Mal fing ich als Erste an zu kichern. Doch Amy und auch die Anderen ließen nicht lange auf sich warten. Vor allem Undertaker nicht. Das Frühstück verlief entspannt und alle schienen bester Laune zu sein, auch wenn mir Undertakers Amüsement immer noch bitter aufstieß.

Er war heute Morgen in Gedanken gewesen?

Das waren aber definitiv keine Gedanken gewesen, die er irgendwie belustigend fand, so düster wie er drein geschaut hatte.

Wie war er sie so schnell los geworden?

Wie konnte er jetzt wieder so fröhlich sein?

Gerade amüsierte sich Undertaker nur darüber, dass Ronald wohl mit einem gehörigen Muskelkater zur Arbeit gehumpelt sei, wie Charlie ihm erzählte.

War er sie überhaupt los geworden?

Oder hatte er sie wieder einfach hinter sein breites Grinsen gesperrt?

Amy holte mich aus meinem Grübeln, als sie mich darüber ausfragen wollte warum ich mich verlaufen hatte. Doch sie bekam nur als Antwort, dass ich alle Anderen nicht immer mit meinem Mangel an Orientierung nerven wolle. Vor allen Leuten wollte ich meine Gefühlslage von heute morgen nicht ausbreiten. Undertaker fiel mir auch nicht in den Rücken, obwohl er den wahren Grund kannte. Ich tippte er war schon dahinter gestiegen, dass es mir hier für die Wahrheit ein paar Ohren zu viel gab.

Als ich meinen Teller mit dem fabelhaften, traditionellen english Breakfast zur Hälfte bekämpft hatte, stellte Undertaker sein leeres und bis zum letzte Tropfen ausgeschabtes Marmiteglas auf den Tisch: „Puuuuh… Ehehehe! Das war gut!“

Ich unterdrückte ein Würgen: „Jirks… Wenn du es sagst...“

„Hey“, drehte er seinen Kopf zu mir: „Ihihi! Nicht so abfällig! Es ist eine wahre Delikatesse!“

Ich zog nur eine Augenbraue hoch: „Wenn du es sagst.“

Amüsiert seufzend schüttelte der Bestatter den Kopf: „Du kleiner Banause. Da ist wahrlich Hopfen und Malz verloren, ehehe!“

Auch ich schüttelte den Kopf, konnte mich dem kleinen Grinsen aber nicht erwehren, welches sich auf meine Lippen schlich. Dann erhob sich Undertaker: „So Earl. Ich empfehle mich, ehehe. Schließlich warten 15 neue Gäste auf meine Dienste und ein paar verstörte Familien, denen ich irgendwie erklären muss, warum man sie nicht in einem offenen Sarg aufbahren sollte. Fu fu fu!“

Der Earl Phantomhive nickte kurz: „Ich versteh schon. Während ihr im Dispatch unterwegs wart, hat Sebastian im Naturschutzamt ein paar… Unterlagen bereit gelegt“, ein vielsagendes Lächeln erschien auf den Zügen des Earls und seines Butlers: „Offiziell hat sich ein Rudel Wölfe in unser Waldstück verirrt und diese traurigen Gestalten hatten zur falschen Zeit die Idee eine kleine Nachtwanderung durch den Wald zu unternehmen. Natürlich sind die Tiere schon eingefangen. Wir mussten allerdings deinen Laden angeben. Wundere dich also nicht, solltest du Besuch bekommen“, ein weiteres vielsagendes Lachen, das verriet, dass Sebastian wohl in ein Amtsgebäude eingebrochen war und Dokumente gefälscht hatte, um so jeden Verdacht von dem abzulenken, was wirklich vorgefallen war. Auch verriet dieses Lachen, dass es definitiv nicht das erste Mal vorgekommen war.

Auch Undertakers Grinsen war ein klares Zeichen dafür, dass was er hörte mitnichten neu war: „Fu fu fu. Ja, ja der gute, eifrige Butler, nehehe! Ich werde sagen sie seien wilden Tieren zum Opfer gefallen und ansonsten auf dich verweisen, Earl. Mit Besuch werde ich schon fertig. Die Frage ist eher ob, kehehehe, er mit mir fertig wird. Hihi!“

Auch das erschloss sich mir. Undertaker log nicht, auch nicht für den Earl. Eher sagte er gar nichts: „Was allerdings denkt ihr sagen die Familienmitglieder, die gerade so ihre liebe Haut retten konnten und über dem Vorfall mehr als nur bestens im Bilde sind? Ehehehe!“

Alexander seufzte nun: „Frag mich nicht. Mir sind wegen diesem Vorfall schon 6 Geschäftspartner abgesprungen. Wenn es die Intension der Trancys war, dass mir Geschäftspartner abhanden kommen, muss ich leider zugeben sie haben ihr Ziel erreicht. Diesen Verlust zu kompensieren stellt mich wahrlich vor eine Herausforderung.“

„Ihr schaffte das schon, Earl“, verriet Undertakers Grinsen sein offenes Desinteresse an trockenen Geschäftsvorgängen und wandte sich zum gehen: „Wenn ihr mich nun entschul...“

„Eine Sache noch“, unterbrach ihn allerdings der Earl im Satz und Undertaker drehte noch einmal den Kopf zu ihm: „Kannst du hinterher die Mädchen mitnehmen? Ich müsste mit Lee, Fred und Sebastian ins East End.“

Der Kopf des Bestatters fiel zur Seite: „Ah! Haben meine Erkenntnisse doch etwas gebracht? Tehehe!“

„Einiges sogar“, wackelte Lee mit einer Augenbraue: „Die Zusammensetzung war sehr typisch für einen Händler, von dem ich recht genau weiß, wo er ist. Ich hab ihn schon länger im Blick, doch dank dir weiß ich nun, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag. Er kauft von mir, panscht dann MEINE Ware und verdient sich so mit dreckigem Zeug und meinem guten Ruf dumm und dämlich!“

Ich zog eine Augenbraue hoch. Ein Drogenbaron und ein guter Ruf? Inwiefern dieser Ruf ‚gut‘ war kam wohl definitiv auf das Milieu an, in dem man sich bewegte.

Doch Undertaker belachte es: „Hehehe. Du wirst ihn lehren, Lee. Da bin ich mir sicher.“

„Aber hallo!“, rief der Asiate: „Darauf kannst du Gift nehmen!“

„Nehehe!“, lachte der Bestatter auf: „Das ist nicht halb so effektiv wie du denken mögest. Tihihihi! Ich lehne trotzdem dankend ab. Fu fu fu.“

„Metaphern, Undertaker!“, erwiderte der Chinese: „Metaphern!“

„Ich weiß, ich weiß, hehe“, dann wandte sich sein verhangenes Gesicht zu Alexander: „Natürlich kann ich die Mädchen mitnehmen, doch Eine muss Sarg fahren. Nehehehe!“

„Sarg fahren?“, fragte ich verwirrt, doch Amy verhinderte mit einem auf und ab hüpfenden Handwedeln jede Antwort: „Oh! Hier! Ich! Ich fahr Sarg! Ich fahr Sarg!“

Kopfschüttelnd griff ich Amy am Handgelenk und drückte ihre Hand wieder auf den Tisch: „Wovon redet ihr?!“

Doch Amber lachte weiter: „Na, ist dir das noch nicht aufgefallen? Du kennst sein Auto doch!“

„Ja, klar. Aber was soll mir denn aufgefallen sein?“

„Es hat nur zwei Sitze! Also muss Einer im Sarg im Kofferraum mitfahren!“

Ich klimperte Amy mit großen Augen an: „Warum willst du das unbedingt? Ich meine… er bringt doch in dem Sarg jetzt wahrscheinlich die Lei… Kada… seine Gäste weg!“

„Nihihi. Nein. Das dauert mir zu lange.“

Mein Kopf wandte sich wieder zu Undertaker: „Wie?“

Doch dieser lachte wieder schrill: „Gihihihihi! Zu Fuß bin ich schneller! Meine Damen? Seid in 15 Minuten reisefertig! Tehehehe!“

Dann fegte ein leichter Luftstoß über den Esstisch hinweg und Undertaker war einfach verschwunden.

Ich blinzelte verwirrt auf die Stelle, an der der Bestatter eben noch gestanden hatte. Ein weiteres Detail, an das ich mich definitiv noch gewöhnen musste.

Frank klaubte seine Serviette, die ihm der Luftzug ins Gesicht gepustet hatte, von seinen Augen und seufzte abermals: „Warum tun wir uns den Irren eigentlich an?“

‚Irren?!‘, schaute ich Frank an und ein heißes, unangenehmes Gefühl gluckerte in meiner Magengrube auf, als ich den Deutschen mit zusammengezogenen Augen musterte, der auch noch mit einem abfälligen Gesichtsausdruck seine über alle Maßen unfreundliche Aussage unterstreichen musste. Dieser Ausdruck in seinem strengen Gesicht war mir gelinde gesagt einfach nur zuwider.

Doch Alexander lachte seicht: „Weil er gut ist, Frank und eigentlich weißt du das auch. Es ist praktisch ihn zu haben, ansonsten müssten wir uns ständig mit dem Scotland Yard herumärgern.“

Während Charlie wieder kicherte, seufzte Frank erneut: „Er könnte von mir aus trotzdem immer öfter in seiner Höhle bleiben, die Andere fälschlicherweise als Laden bezeichnen...“

Das Gefühl wurde schlimmer und mir aus irgendwelchen Gründen auf einmal furchtbar warm. Was denkt Frank sich? Warum hatte er das Recht hier zu sein und Undertaker nicht? Die ständig schlechte Laune des deutschen Nobelmannes empfand ich als weitaus störender, als Undertakers übersteuerte Heiterkeit.

„Warum so böse, Frank?“, breitete Lee die Arme aus: „Denkst du nicht es ist für ihn nicht hin und wieder schön aus seiner ‚Höhle‘ herauszukommen?“

„Für den Spinner ist das doch das Paradies auf Erden“, grummelte der Deutsche verständnislos.

‚Spinner?! Bitte was?!‘, war das Letzte was ich dachte, bevor meine Gedanken endgültig aussetzten: „Du bist trotzdem gemein!“, sprudelte es aus mir heraus, ohne dass ich darüber nachdachte. Doch das Gefühl in meinem Magen war eine heiße Wut geworden. Sie brodelte auf wegen den gehäuften lauten und auch stummen Beleidigungen Franks gegenüber des lachenden Totengräbers und überrannte mich aus heiterem Himmel: „Undertaker hilft euch immer und du beleidigst ihn pausenlos!“

Kaum hatte ich zu Ende gesprochen fiel eine erschrockene Stille über den Esstisch. Alle, auch Frank, blinzelten mich mit leicht geöffnetem Mund an. Selbst Sebastian klimperte verwundert mit den Augen, behielt jedoch als einziger seine Kinnlade unter Kontrolle. Die Schamesröte schoss in mein Gesicht, als ich merkte wie vorlaut ich, ein Heimkind aus dem schlechtesten Winkel des East Ends, einen deutschen Nobelmann angekeift hatte, der in der gesellschaftlichen Rangordnung wahrscheinlich mehrere hundert Stellen über mir stand. Aber ich empfand Franks Verhalten teilweise wirklich als furchtbar gemein und auch vollkommen pietätlos, wie er Undertaker immer als Irren beschimpfte und sagte er solle den Mund halten oder verschwinden. Das hatte der Bestatter wirklich einfach nicht verdient! Er war komisch, ja, aber wenigstens behandelte er jeden in dieser Runde trotz allem mit Respekt und Achtung, auch wenn es eine äußerst kuriose Form davon war. Etwas, dass der deutsche Adelige dem Bestatter gegenüber fast immer vollkommen vermissen ließ. Und das obwohl er es schon von seiner Abstammung her besser wissen müsste. Doch nun wo ich wieder ans denken gekommen war, wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte. Mein eigener Ausbruch hatte mich so dermaßen überrascht, dass ich selbst nicht wusste wie ich damit umgehen sollte. Offenbar war ich auch nicht die Einzige die ein bisschen überfordert war. Denn die Stille am Tisch währte lange.

Unangenehm lange sogar.

Warum war ich so sauer geworden?

„Sie hat recht!“, eilte schließlich Amy zu meiner Rettung: „Du benimmst dich teilweise wirklich unmöglich!“

Es fühlte sich an als entwich langsam die Spannung aus einem zu straff aufgeblasenen Ballon. Denn alle schienen wieder zu atmen angefangen zu haben.

Alexander lachte zu mir herüber: „Für die Beiden ist das ein Spiel, Skyler. Keiner von ihnen wäre glücklich, könnten sie den anderen nicht ein wenig foppen, auch wenn unser lieber Frank das nie zugeben würde.“

Besagter Deutscher grummelte etwas mit einer düsteren Mine in seinen drei Tage Bart. Alexander wandte ihm den Kopf zu: „Trotz allem, die Mädchen haben Recht. Denke mal darüber nach.“

Frank verschränkte die Arme: „Wenn ihr meint. Denkt doch was ihr wollt.“

Dann erhob sich der Earl: „Sebastian. Fred. Lee. Es wird Zeit.“

Die beiden Jungs erhoben sich und die Gruppe um den Earl verabschiedete sich kurz. Alexander gab mir noch wie besprochen eine Liste mit allen Telefonnummern, die ich sicher in meine Tasche steckte. Heather ging in einen der Salons. Kurz darauf gingen auch Charlie und Frank. Frank meinte er habe noch ein paar Besuche zu erledigen, doch ich war mir relativ sicher er wollte nur seine Wunden lecken. So blieben ich und Amy alleine zurück.

Amy schaute zu mir: „Gemein, ja?“

Ich stocherte in dem letzten Rest meines Frühstücks herum und schaute nicht zu meiner besten Freundin hoch: „Lass mich...“

„Ich habe nie erlebt, dass du so eine große Klappe hast.“

„Das ist doch einfach unfair… oder?“

„Ja, schon. Trotzdem wundert es mich, dass du die Zähne auseinander gekriegt hast!“

„Du bist auch gemein...“

„Warum?“

„Darum…“

Doch Amy lachte auf: „Was ist los mit dir, Sky?“

„Warum?“

„Weil du heute so komisch bist.“

Ich pikste eine einzelne Bohne auf meine Gabel und beschaute sie: „Inwiefern?“

„Naja. Du fährst Frank einmal quer übers Maul, belügst mich und als ich dich frage wieso, belügst du mich wieder.“

Ich seufzte und ließ die Gabel wieder sinken: „Ich wollte dich nicht belügen. Ich wollte nur nicht, dass es gleich jeder weiß...“

„Was denn?“

„Warum ich dich belogen habe.“

„Nun sind wir aber allein.“

Ich legte meine Gabel komplett weg und verschränkte die Arme auf der Tischplatte. Nun hatte ich wirklich keinen Appetit mehr: „Ich hatte ein schlechtes Gewissen...“

„Warum?“

„Ich habe mich gestern Abend noch mit Undertaker unterhalten und es maßlos übertrieben...“

„Aha? Das geht?“

Ich schaute sie an: „Wie?“

Doch die Phantomhive lachte leise: „Na, es bei ihm übertreiben natürlich!“

Ich seufzte und schaute wieder auf meinen Teller: „Wenn man das falsche Thema anspricht...“

„Es gibt falsche Themen?“

Nun wanderten nur meine Augen zu ihr: „Tust du gerade nur so, als wärst du ein bisschen blöd?“

„Nein!“, rief Amy aus: „Ich habe nur in mittlerweile 18 Jahren kein Thema gefunden auf das er so reagiert hat, dass man ein schlechtes Gewissen haben musste. Was hast du denn gesagt?“

Meine Augen wanderten wieder zurück. Ich merkte wie mein Bein nervös zu wippen begann. Doch wenn ich nicht mit Amy über so etwas sprechen konnte, mit wem dann?

Sollte ich einfach gar nicht darüber sprechen?

Ich schwieg ein paar Augenblicke und sinnierte darüber, ob es wirklich sinnvoll war irgendjemanden von gestern Abend auf dem Balkon zu erzählen.

„Nun spuck‘s schon aus. Es belastet dich doch immer noch“, schaute Amy wie immer direkt in meine Seele. Das konnten nicht viele Menschen, doch die junge Phantomhive schien immer genau zu wissen wie es in mir aussah. Vormachen konnte ich ihr schon lange nichts mehr. Wahrscheinlich weil sie der einzige Mensch war, der mich länger gut kannte. Ich hörte das Knarren ihres Stuhles und wusste, dass sie ihn in meine Richtung gedreht hatte.

Ich seufzte: „Wir haben so ein bisschen hin und her geredet und irgendwie kamen wir durch seine Anhänger auf seine Vergangenheit zu sprechen. Über all die Leute, die er kannte und die jetzt weg sind...“

„Ja und?“

Ich schüttelte den Kopf: „Dann habe ich gefragt wie er sich fühlt, wenn er daran denkt, dass wir bald auch alle weg sein werden...“

Jetzt war es Amy, die ein paar Sekunden schwieg.

„Wow“, sagte sie schließlich: „Damit hast du tatsächlich das einzige Thema erwischt bei dem ich mir vorstellen kann, dass er empfindlich reagiert.“

„Tat er auch“, seufzte ich: „Er ist sauer geworden...“

„Nein, ist er nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Wenn Undertaker sauer wird, geht die Welt unter. Du lebst noch, also war er nicht wirklich sauer auf dich.“

Ich seufzte abermals: „Er war auf jeden Fall… nicht gut drauf...“

„Und weiter?“

„Nichts weiter“, ich schüttelte den Kopf: „Er ist relativ schnell wieder normal geworden und ich bin ins Bett gegangen.“

„Was hat er denn geantwortet, dass du dachtest er könnte sauer sein?“

„Er… meinte, dass es ihm gut ginge. Er sagte allerdings nicht er sei glücklich, nur es ginge ihm gut… Dass er alle vermisse und es ihn traurig mache wenn seine Freunde starben, er aber kein andere Wahl hätte als einfach weiter zu machen, Freundschaften nehme wie sie kommen und gehen und sich daran gewöhnt habe…“

„Was du ihm nicht glaubst.“

„Nope...“

Überlegend legte die Phantomhive eine Hand ans Kinn: „Also heute wirkte er wieder ganz normal. Er war ein bisschen verdutzt, dass du nicht in deinem Zimmer warst, als er dich zum Frühstück abholen wollte und dass du mich belogen hast. Aber ansonsten war alles wie immer.“

Ein wenig verwirrt drehte sich mein Kopf zu Amy. Sie saß tatsächlich halb in meine Richtung gedreht, die Beine überschlagen: „Er wollte mich abholen?“

Amber nickte: „Jup.“

Meine Augen fielen herunter.

„Du siehst nicht überzeugt aus“, stellte Amy fest.

„Wie duscht Undertaker?“, fragte ich Amy und schaute sie wieder an. Augenscheinlich war meine Frage für sie vollkommen kontextlos und brachte sie dazu mit verwirrt großen Augen zu blinzeln: „Woher soll ich das denn wissen?“

Ich ließ die Schultern hängen: „Ich dachte du hast es vielleicht mal mitbekommen.“

„Nein“, schüttelte sie immer noch recht verwundert ihren wilden, schwarzen Schopf: „Warum ist das überhaupt wichtig?“

„Weil...“, ich rieb mir durch mein immer noch müdes Gesicht: „Ich ihn heute morgen kurz gesehen hatte...“

„Und?“

„Er hat… komisch geschaut… Düster und echt mies gelaunt...“

„Und was zur Hölle hat das mit duschen zu tun?“

„Naja… er lief mir über den Weg, da war ich auf dem Weg ins Bad und… da kam er da gerade raus und… seine Haare waren nass und er schaute halt so finster. Ich habe mich nicht getraut was zu sagen und er meinte er habe mich auch gar nicht bemerkt. Auf jeden Fall ging ich ins Bad und die Dusche war auch nass und da sah ich das der Hahn komplett auf kalt Wasser stand...“

„Komplett auf kalt Wasser?“, Amy schüttelte sich: „Brrrr! Ich krieg‘ ne Lungenentzündung wenn ich nur daran denke. Aber ihn als Shinigami kratzt das wahrscheinlich nicht. Aber doch, das ist schon irgendwie komisch. Undertaker bemerkt einen eigentlich sofort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ketten so stark sind, dass er es nicht rafft wenn jemand genau vor ihm steht.“

„Die Ketten?“, fragte ich verwirrt.

„Hat dir das noch keiner erzählt?“

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung von irgendwelchen Ketten.

Doch Amy zückte die kleine Pentagrammkette, die laut Undertaker jeder von uns hatte: „Na, die hier! Das ist nicht nur ein Schmuckstück. Dad hat es mir erklärt. Da drin ist irgendein komischer Stein, der unsere Präsenzen verschluckt. Übernatürliche Wesen können die Anwesenheit von Menschen und anderen übernatürlichen Lebewesen auch spüren. Nur Menschen schaffen das nicht wirklich. Sie haben höchstes ein vages Gefühl. Auf jeden Fall die Trancys haben wohl solche Dinger als erstes gehabt, deswegen war ihr Angriff auf dich an meinem Geburtstag auch so überraschend gewesen. Da ist Undertaker mit Charlie losgezogen, hat ein paar der Steine besorgt und uns auch welche gemacht. Jetzt haben wir wieder Chancengleichheit. Naja“, Amy lachte hämisch: „Zum größten Teil. Doch wir sind im Vorteil!“

„Warum?“

„Wegen dir!“

„Hö?“

„Sebastian und Claude tragen auch so ne Kette. Weder Undertaker, noch Grell, noch Will und auch nicht Sebastian können den Träger so einer Kette spüren. Wir Menschen schon gar nicht. Doch du. Du schon.“

„Echt?… Ähm… okaay...“

„Du verschaffst uns einen riesen Vorteil, Sky!“

Ich wusste ja atok nicht, ob diese Information ein gutes oder ein schlechtes Gefühl auslöste. Natürlich war es gut, dass sie… wir… einen Vorteil gegenüber der Trancys hatten, doch… warum sollte ich in irgendetwas besser sein als Reaper oder Dämonen? Nur weil ich verflucht war? Ich war immer noch ein Mensch und dachte folglich, dass was auch immer ich konnte die übernatürlich Fraktion nie schlagen konnte. Ich war verwirrt. Ein weiteres Mal. Und verunsichert. Endlos verunsichert. Die ganzen Warums trieben mich noch in den Wahnsinn. Wieder einmal schien Amy genau zu wissen wie es mir ging: „Freue dich einfach darüber, ja?“

Ich nickte, was laut Amys Seufzer nicht wirklich überzeugend war. Doch die Phantomhive wechselte wieder das Thema: „Wie auch immer. Also dass Undertaker dich nicht sah, kommt mir auch komisch vor. Ich habe ihn auch noch nie wirklich düster schauen sehen. Über die Dusche kann ich nichts sagen, aber im Kontext… Vielleicht… hat er gerade wirklich intensiv nachgedacht. Hin und wieder kommt es mir so vor als würde er denken“, beendete die Phantomhive ihre Aussage mit einem kleinen Lachen.

Dieses Lachen gefiel mir genau so wenig wie Franks Gesichtsausdruck: „Warum bist du jetzt so schnippisch?“

„Wie schnippisch?“

„Natürlich denkt er! Undertaker ist doch nicht doof!“

„Gott, das war ein Witz!“, klimperte Amy mit ihren großen, königsblauen Augen: „Er hätte gelacht.“

„Aber ich nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil das nicht lustig ist!“

„Warum erträgst du es nicht, wenn man Witze über ihn macht? Eben bei Frank auch.“

„Das war kein Witz“, ich verschränkte Arme und Beine: „Der hat das doch wirklich so gemeint. Was einfach Scheiße ist.“

„Höre ich da den Anklang eines Beschützerinstinktes?“

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und musterte Amy betont verständnislos: „Nein. Wieso?“

„Na, weil du Undertaker total in Schutz nimmst!“

„Tue ich nicht!“

„Neeeeein“, lachte Amy gedehnt: „Gar nicht. Hihi!“

„Warum sollte ich ihn in Schutz nehmen?“

„Weiß ich auch nicht, deswegen hab ich ja gefragt.“

„Ich tue das auch gar nicht!“

„Doch! Total!“

„Nein!“

„Aber hallo!“

„Nein, man!“

„Aber sowas von!“

„Nein!!“

„Doch klar!“

Ich nahm eine Serviette vom Tisch, knüllte sie zusammen und bewarf sie damit: „Nein!“

Doch Amy drehte mit lachend erhobenen Händen den Kopf weg und die Serviette prallte von ihr ab: „Doch, tust du.“

Ich warf die nächste Serviette: „Hör auf so einen Mist zu erzählen!“

„Das ist kein Mist!“

Und die dritte Serviette: „Doch!“

Amy fing derweilen an zu lachen.

„Nihihihi!“, unterbrach mich allerdings ein weiteres Lachen, was nicht zu Amy gehörte, als ich mit der vierten Serviette ausgeholt hatte. Amys und mein Kopf flogen herum. Undertaker schaute uns breit grinsend, mit in der Hand gestütztem Kopf, an: „Krieg im Paradies?“

„Nein!“, rief ich genervt.

„Jap“, lachte Amy gleichzeitig.

Wir schauten einander an. Ich sauer, sie belustigt.

Undertaker lachte amüsiert: „Hehehe! Wir herrlich ihr euch einig seid.“

Ich schaute wieder zu dem Totengräber: „Wie lange stehst du hier?“

„Ihihi! Zwei Servietten“, giggelte er.

Ich atmete erleichtert aus. Hätte er das ganze Gespräch mit gehört, wäre ich von der nächsten Brücke gesprungen. Mit Anlauf und einem dreifachen Auerbach.

„Nehehe. Wieso? Störe ich?“

„Ja!“, rief ich.

„Nein“, lachte Amy.

Wieder schauten die Phantomhive und ich uns an. Amy lachte recht ungeniert. Ich fühlte mich einfach nur verarscht.

Undertaker lachte derweilen noch lauter und ungenierter als Amy: „Wie köstlich! Pahahahahaha! Was nun? Fuhuhuhu!“

„Nein...“ seufzte ich geschlagen: „Tust du nicht...“

„Frauengespräche“, legte Amy ihren Ellbogen auf die Stuhllehne und schaute den Bestatter an: „Aber wir waren eh gerade fertig.“

„Ehehe! Wie ihr meint. Seid ihr bereit?“

Wieder schauten meine beste Freundin und ich uns an. Wir hatten komplett vergessen unsere Sachen zusammen zu packen und uns aufbruchsfertig zu machen.

„Nein“, grinste Amy den Totengräber betont unschuldig entgegen: „Sind wir nicht. Wir haben uns total verquatscht.“

Lachend verschränkte der Bestatter die Arme: „Nehehe. Das muss ja auch mal sein. Doch nun hop! Ich habe einiges an Arbeit auf dem Tisch. Tihihihihi!“

„Ay!“, riefen Amy und ich aus einem Munde und verschwanden schleunigst in unsere Zimmer, um unsere Sachen zusammen zu suchen.

Es dauerte vielleicht 10 Minuten und wir fanden den Bestatter mit verschränkten Armen und Beinen, sowie seinem großen Grinsen im Gesicht, auf dem Parkplatz an seinem Wagen lehnend.

Er grinste uns an. Sein Pony war ein Stück auseinander geschoben und seine dicken Brillengläser blitzten in der hellen Novembersonne: „Nehehe. Fertig?“

Amy und ich nickten. Dann nahm mir Amy meine Gitarrentasche ab und stellte sie mit ihrer in den Kofferraum. Sie öffnete den Sarg und kletterte hinein.

„Wenn wir da sind“, grinste sie eine Hand am Sargdeckel: „Weckt mich, ja?“

Dann schloss sie den Deckel.

Ich schaute Undertaker mit einer erhobenen Augenbraue an: „Wecken?“

Das eh schon große Grinsen des Totengräbers war noch größer geworden: „Sie schläft immer ein. Nihi!“

„Also… fährt sie nicht das erste Mal… Sarg?“

Mit einem lachenden Kopfschütteln schloss der Bestatter seinen Kofferraum: „Mitnichten“, er ging um sein Auto herum und öffnete mir die Beifahrertür: „Immer wenn ich sie und Fred mitgenommen habe, bestand Fred auf das Recht des Älteren und verbannte sie in den Kofferraum. Tihihihi! Eine Geschwistersache vermute ich.“

Dann nickte er mit seinem Kopf auf den Innenraum seines Wagens. Ich verstand und stieg ein. Während ich mich anschnallte stieg auch der Bestatter ein und ließ den Wagen an. Kaum drehte er den Kopf um rückwärts auszuparken, stoppte ich ihn: „Warte!“

Er schaute mich mit blinzelnden grellgrünen Augen an: „Nihi. Was hast du?“

Ich hangelte mich wieder halb über den Totengräber, griff seinen Sicherheitsgurt, den er mal wieder mit Bravour ignoriert hatte, und zog ihn über ihn herüber in sein Schloss.

Undertaker lachte mir entgegen: „Tehehe! Du denkst nicht wirklich ein Autounfall wäre gefährlich für mich, oder?“

Ich stockte… wahrscheinlich war es das nicht, doch diesmal spuckte mein Gehirn wenigstens recht schnell einen halbwegs plausiblen Grund für meine einfach nicht durchdachte Aktion aus: „Nein, aber öööööhm… Wenn du kontrolliert wirst gibt es ein Bußgeld, wenn du nicht angeschnallt bist.“

„Aha“, lachte der Bestatter: „Wenn du es sagst, hehe.“

Dann drehte er sich um und fuhr das Auto aus der Parklücke.

Relativ schweigsam rollten wir in dem alten Leichenwagen über die Straßen Londons. Durch das Randgebiet, in dem die Villa Phantomhive lag, kamen wir relativ zügig, da dort nicht viel Verkehr herrschte. Doch je näher wir der City of London kamen, umso dichter wurde der Verkehr. Undertaker allerdings wirkte, als habe er alle Zeit der Welt. Selbst als wir das dritte Mal in eher schleppendem Verkehr festhingen machte der Bestatter kein Anstalten irgendwie ungeduldig zu werden. Irgendwann hatte er sogar angefangen mit in eine Hand gestütztem Kopf eine Melodie vor sich hin zu summen. Ich erkannte sie. Es war ein relativ altes Volkslied: Tom was a Pipersson.

Ich selber verrannte mich irgendwann wieder in meinen eigenen Gedanken. Mein Kopf war immer noch so voll mit allem, was in den letzten paar Tagen passiert war. Es hatte meine Welt auf Links gedrehte. Im Handumdrehen. So schnell, dass es schon fast gruselig war. Alles was ich dachte, was war, begann ich in Frage zu stellen. Wie die Wirklichkeit wirklich aussah wusste ich kaum noch.

Nachdem auch dieser Knoten irgendwann geplatzt war, trennten uns noch knapp 20 Minuten von unserer Schule. Dort angekommen wollte Undertaker aussteigen, doch ein spontaner Geistesblitz verleitete mich dazu ihn am Arm festzuhalten: „Warte!“

Ein weiteres Mal schaute mich der Bestatter ein wenig irritiert an: „Ehehe. Was ist denn nun? Laufe ich wieder Gefahr mir ein Bußgeld einzuhandeln, hm?“

„Ääääh…“, machte ich gedehnt und fasste all meinen Mut zusammen, den die reichlich amüsierte Aussage des Totengräbers fast wieder zerschlagen hatte: „Nein… Ich ähm… Hast du etwas zu schreiben?“

Der Kopf des Leichengräbers fiel ein Stück zur Seite: „Ja, wieso?“

„Weil… ich dir etwas aufschreiben möchte...“

„Ehehehe! Was denn?“

„Gib… mir doch bitte einfach etwas zu schreiben, ja?“

Aus irgendeinem Grund bekam ich nicht über die Lippen, was ich vorhatte. Ich merkte wie ich ein weiteres Mal rot anlief, was mir mindestens genau so peinlich war wie meine Unfähigkeit zu sprechen.

Doch Undertaker langte mit seiner langen Hand an meine Seite des Armaturenbretts und öffnete mit einem Knopfdruck ein Handschuhfach.

Mir schaute Sämtliches entgegen. In dem kleinen Stauraum herrschte das heillose Chaos. Darin tummelten sich zwei Rosenscheren mit Taschentüchern - sowohl Stoff, als auch Papier - , zerknüllten Zetteln, kleinen, braunen Glasflaschen - die so aussahen als waren sie mal Behälter für Chemikalien, zumindest verriet mir das der sympathische Totenkopf und diese vertrauensselige Abbildung eines sterbenden Fisches wie Baumes auf signalorangenen Quadraten -, ein paar schwarzen Plastikrosen, einigen verirrten Keksen: ‚Na yami...‘, 5 alten Füllern, einem Paar schwarzer Leder- und einem anderen Paar reinweißer Stoffhandschuhe, einem kleinen Notizblock und einem Brillenetui.

Die langen Finger des Bestatters hielten mir besagten Notizblock und einen der alten Füller entgegen.

„Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genau so schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer“, blinzelte ich ihn an und nahm das Schreibwerkzeug entgegen: „Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?“

Der Totengräber lachte schrill: „Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.“

Ich machte ein betont verständnisloses Gesicht: „Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?“

Wieder kicherte der Bestatter nur so schaurig schrill: „Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig.“

Mit einem Seufzen suchte ich eine leere Seite und schrieb mein Anliegen darauf. Als ich den Block zu machen wollte fischte der Bestatter ihn mir nonchalant aus der Hand und hielt ihn mit zwei Fingern vor sein Gesicht. Sein Grinsen wurde während er las immer weiter und mein Rot immer dunkler. Ich ballte die Hände auf meinen Knien zu Fäusten und ließ den Kopf hängen.

„Nehehehe! Deine Handynummer?“

Ich nickte mit hochrotem Kopf.

„Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchte, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber, nehehehe, was verschafft mir die Ehre?“

„Ich...“, ich seufzte und befühlte die Tasche, in der die Liste mit allen Telefonnummern steckte: „Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen...“

„Sky? Meine Telefonnummer ist eine Geschäftsnummer und für die ganze Welt einsehbar, seitdem es dieses komische Internet gibt und Ronald unbedingt meinte er müsse sie angeben und mein Geschäft mit 5 Sternen bewerten. Was auch immer das heißt. Tehehehe!“

„Das sagt anderen Kunden dein Geschäft sei gut. Eigentlich war das ziemlich nett. Du hast übrigens viele ziemlich gute Kundenbewertungen.“

„Fu fu fu. Wirklich?“

Ich nickte.

Undertaker kicherte: „Nihihihi! Das freut mich natürlich ungemein“, dann wedelte er grinsend mit dem Notizblock: „Ich schreibe mir deine Nummer auf jeden Fall in mein Telefonbuch. Für, tihihihi, den Fall der Fälle.“

‚Warum hast du das getan, Sky~?‘, ich nickte beschämt: „Tu das...“

Mit einem weiteren Lachen seitens des Totengräbers stiegen wir aus und Undertaker öffnete wieder mit einem kleinen Lachen seinen Kofferraum und den Sarg darin. Das Lachen wurde mit einem Blick in den Sarg lauter.

Ich stellte mich an den Kofferraum: „Was hast du?“

„Nihihi! Sie ist tatsächlich mal wieder eingeschlafen“, dann beugte er sich zu dem Sarg, dessen Deckel er mit einer Hand offen hielt. Ich konnte nicht richtig sehen was er tat, doch es sah aus als drehte er seinen langen, beringten Zeigefinger auf Amys Nase: „Schlafmütze. Ehehehe! Aufwachen, Prinzessin!“

Trotz des Lachens wirkte seine Stimme ganz weich, als er Amy weckte. Mein Herz hüpfte bei diesem Tonfall in meiner Brust herum und verschlug mir fast den Atem.

Amys Kopf erschien als sie sich aufsetzte, ein paar Mal verschlafen blinzelte und sich reckte: „Manno… Ich hatte gerade so gut geschlafen...“

Amber rieb sich durch die Augen, als Undertaker ihr natürlich lachenderweise antwortete: „Tehehehe! Es bricht mir das Herz dich aus deinen schönen Träumen reißen zu müssen, Amber. Doch wir sind da.“

Amy krabbelte aus dem Sarg und schnappte sich die Taschen: „Ich weiß, ich weiß“, gähnte sie: „Danke für‘s herbringen.“

Sie hüpfte aus dem Kofferraum und gab mir meine Gitarrentasche. Ich hing sie über eine Schulter: „Bist du echt eingeschlafen?“

„Ja“, gähnte Amy ein weiteres Mal: „Diese Särge sind einfach sowas von gemütlich.“

Dem konnte ich nur zustimmen. Schließlich hatte ich selber schon mal die Erfahrung gemacht in einem von Undertakers Särgen zu liegen. Schlafen wie ein Toter hatte seit diesem Tag in vielerlei Hinsicht eine neue Bedeutung bekommen.

Neben uns ging der Kofferraum zu. Unsere Köpfe drehten sich zu Undertaker. Dieser verneigte sich ein Stück: „Die Damen? Ehehehe. Ich entschuldige mich nun.“

„Okay“, irgendwie hatte ich ein komisches Gefühl bei diesem Abschied, hatte ich doch die letzten drei Tage eigentlich kontinuierlich mit dem Bestatter zu tun gehabt: „Danke für‘s herbringen. Viel Spaß bei deiner Arbeit.“

„Werde ich haben“, lachte der Totengräber und ich glaube ihm sofort: „Bis übermorgen. Ehehehe.“

Ich wunderte mich kurz, doch dann fiel mir ein dass Alexander ja wollte, dass Undertaker jeden zweiten Tag nach dem Rechten sah.

Amy nickte mit einem kleinen Lächeln: „Jup. Bis dann!“

Dann harkte sie sich bei mir ein und zog mich Richtung Tor. Doch nach drei Schritten stoppte sie abrupt und schaute mich mit schreckgeweiteten Augen an.

„Was hast du?“, fragte ich verwirrt.

„Scheiße!“, machte Amy nur laut.

Eine kleine Panik schlich sich in mein Unverständnis. Offensichtlich war Amy gerade siedend heiß irgendwas Wichtiges eingefallen.

„Was?“, fragte ich weiter verwirrt.

„Hast du für die Klausur in bildende Kunst gelernt?“

Es traf mich wie ein Schlag. Ein schmerzhafter Schlag.

Da war ja noch etwas Anderes neben Dämonen, Sensenmännern, Engeln, anderen Welten, irgendwelchen komischen Steinen und abstrusen Flüchen.

Das ganz normale Leben.

Die Klausur war nämlich morgen in den ersten beiden Stunden und auch ich hatte sie komplett vergessen: „Nein… Oh Mist!“

„Wir sind am Arsch. Lowell viertelt uns...“, mit diesem Satz drehte sich Amy noch mal um. Mein Kopf folgte ihr. Undertaker lehnte auf seiner Fahrertür und schaute uns leise lachend entgegen.

„Undertaker?“, rief Amy zu ihm.

„Was kann ich noch für dich tun, liebste Amber? Ehehehehe!“

Amy hob zwei Finger in die Höhe: „Zwei Särge bitte. Einmal 1,72m und einmal 1,78m.“

Der Kopf des Bestatters fiel lauter lachend zur Seite: „Wieso meinst du ihr bräuchtet sie? Gihihi!“

„Verarsch‘ mich nicht“, konterte Amy lachend: „Du hast doch alles gehört!“

„Ihr werdet das schon schaffen. Nihihihihihihi! Außerdem glaube ich nicht, dass du mich bezahlen kannst!“

„Doch, kann ich!“

Undertaker lachte schriller: „Tihihihihihihihi! Dann mach. Nachdem sowohl Ronald, als auch dein Vater noch nicht bezahlt haben, kassiere ich im Voraus. Ehehehehehehe!“

Ich schaute Amy an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Amy, auch wenn sie eine Phantomhive war, das nötige Kleingeld einfach so im Portmonee hatte, um mal eben zwei, bei seiner Qualität definitiv kostspielige, Särge von dem Bestatter zu kaufen. Doch Amy lachte: „In Deutschland macht ein Hund wau wau, in Tschechien Haff Haff, und in Holland Blaf Blaf! Wie macht er in China?!“

‚Was?‘, war Amy jetzt ebenfalls verrückt geworden?

Was will sie denn damit bezwecken?

Ich musterte Amy mit schüttelndem Kopf: „Was in aller Herren Länder tust du da?“

Doch Amy gebar mir mit einer Hand zu schweigen.

Undertaker grinste amüsiert erwartungsvoll. Es wunderte mich, dass er nicht lachte oder giggelte: „Ich weiß nicht. Wuff wuff?“

„Nein! Bruzzel bruzzel!“

Mir entgleisten die Gesichtszüge.

Warum riss Amy jetzt diesen total dämlichen Witz?

Dann flogen mir ein weiteres mal die Haare aus dem Gesicht. Undertaker hatte angefangen zu lachen und zu grölen und war hinter seiner Autotür einfach umgefallen. Er hing der Länge nach auf seinem Fahrersitz und nur seine wedelnden Beine waren hin und wieder in dem Spalt zwischen Autotüre und Boden zu sehen. Es wunderte mich irgendwie nicht, dass er selbst so etwas lustig fand.

Doch Amy und ich blieben stehen, bis erst die lange Hand des Bestatter die Autotür griff und sich der Totengräber wenig später schwer atmend und mit hängenden Armen darüber hing: „Fuhuhuhuhuhu! Lass den Lee nicht hören!“

Amy grinste: „Den hab ich von Lee!“

Wieder fing Undertaker an zu lachen und rutschte wieder fast seitlich von seiner Autotür: „Ahuhuhuhuhuhu! Ok, ok. Bezahlt! Tihihihi! Ich glaube trotzdem nicht, dass ihr sie so früh brauchen werdet, aber ich mache mir eine Notiz. Puhuhu!“

Ich hatte in meinem Leben wahrscheinlich noch nie so ein dummes Gesicht gemacht wie in diesem Moment. Bezahlt?

Amy hatte ihn nicht bezahlt!

Sie hatte ihm doch nur einen Witz erzählt!

Doch Amy grinste: „Sei dir dessen nicht so sicher. Lowell ist echt streng.“

Undertaker richtete sich wieder auf: „Dann solltet ihr zwei Hübschen euch hier nicht die Beine in den Bauch stehen, sondern in euer Zimmer verschwinden und lernen. Fu fu fu fu!“

Amy seufzte: „Ja, du hast wahrscheinlich Recht. Bye, Onkelchen!“

Undertaker winkte, setzte sich in seinen Wagen und ließ den Motor an.

„Anschnallen!“, rief ich ihm zum Abschied zu.

Ich sah durch die Windschutzscheibe wie der Bestatter lachend seinen Gurt griff und ihn in sein Schloss harkte.

Dann zog mich Amy auch schon mit sich. Als wir durch das Tor gingen hörten wir das Auto wegfahren.

Wir schlenderten über die gewohnten Wege. Sie waren fast leer. Nur Schüler der höheren Klassen waren zu sehen. Es war halb elf und gerade Fag Time. Na herrlich. Ich kam heute vielleicht um Unterricht, aber nicht um meine Pflichten als Fag herum. Doch gerade hatte ich etwas viel dringlicheres auf der Seele. Ich schaute Amy an: „Was sollte das?“

„Was?“

„Dieser dämliche Witz natürlich!“

„Ich hab Undertaker bezahlt.“

„Hä?“, war das Einzige, was mir in meiner geistigen Verwirrung über die Lippen kam.

„Undertaker macht sich nichts aus Geld. Er hat Tonnen davon und für seine normalen Dienste berechnet er es natürlich. Dank William auch nicht gerade knapp, aber angemessen. Doch von uns will er eine Bezahlung, die ihm besser gefällt.“

„Und… das sind… Witze?“

„Nicht zwingend“, grinste Amy: „Er will nur irgendwie zum Lachen gebracht werden.“

In meinem Kopf machte es klick. Also hatte er auch von Ronald und Alexander kein Geld erwartet. Er wollte, dass die Beiden ihn irgendwie geartete amüsierten. Das war… ungewöhnlich. Doch musste ich zu geben, dass es zu dem generell sehr ungewöhnlichen Bestatter passte.

„Okaaaay“, antwortete ich gedehnt: „Komisch.“

„An Undertaker ist vieles komisch“, zwinkerte mir Amy entgegen.

„Ich glaube“, sagte ich mit einem leicht angesäuerten Gesichtsausdruck: „Das habe ich am Rande mit bekommen.“

Doch die Phantomhive lachte: „Gut zu wissen.“

„Du kannst mich mal...“

„Ich habe dich doch immer gerne, Sky.“

„Nein! Am Arsc...“

Phantomhive! Rosewell!“, die strenge Frauenstimme hinter unseren Rücken ließ uns zusammenzucken.

„Oh Mist“, murmelte die Phantomhive.

„Aber hallo“, murmelte ich genauso leise zurück.

Dann wirbelten wir zu Miss Lowell herum. Die Hauslehrerin der Wölfe sah unangetan aus, als sie zu uns herüber kam: „Was macht ihr Beiden ständig?!“

Amy lächelte verunglückt: „Hallo Miss Lowell. Was… äh... meinen sie genau?“

Lowell verschränkte die Arme in ihrer langen Lehrerrobe: „Es geht nicht, dass euer Vater euch immer länger Zuhause lässt, Phantomhive.“

„Miss Lowell... Das war nicht unsere Entscheidung...“

Doch Lowell war von der Ausrede der Phantomhive sichtlich unbegeistert: „Wessen Entscheidung das war interessiert mich wenig. Wie wollt ihr den Abschluss schaffen, wenn ihr so oft fehlt?“

„Es war bis jetzt zweimal Miss Lowell und...“

„Zweimal zu viel, Phantomhive!“

Wir neigten unsere Köpfe: „Es kommt nicht wieder vor, Miss Lowell. Ich werde mit meinem Vater sprechen...“

„Seid euch eurer Noten nicht zu sicher! Die Abschlussprüfungen kommen schnell näher und sie werden euch nicht geschenkt!“

„Ja, Miss Lowell“, antworteten Amy und ich mit gesenkten Köpfen.

„Da ihr beiden euch bester Gesundheit erfreut“, sprach die Lehrerin weiter: „Erwarte ich euch zur nächsten Unterrichtstunde. In die Uniformen mit euch!“

„Natürlich, Miss Lowell“, antworteten wir wieder untertänigst im Chor.

Dann rauschte die Lehrerin an uns vorbei.

Amy und ich schauten uns niedergeschlagen an.

„Wenn wir die Klausur versieben“, stellte Amber fest: „Haben wir ein monströses Problem...“

Ich nickte nur. Dann gingen wir ins Wohnheim, zogen uns um und der ganze normale Schulwahnsinn hatte uns wieder.
 

Ich hatte nachdem wir im Wohnheim angekommen waren noch die letzten 20 Minuten der Fag Zeit damit verbracht Amys Blusen zu bügeln. Dann waren wir in den Unterricht gegangen. Doch konzentrieren konnte ich mich kaum. Die meiste Zeit musterte ich die wehenden Flaggen vor dem Fenster. Meine Gedanken tanzten ohne mich. Ich dachte an den Besuch im Dispatch, doch nicht zwingend an die Fluchgeschichte wie ich es eher erwartet hätte. Ich brütete darüber was wohl vorgefallen sein musste, dass Undertaker seine Vergangenheit so vehement abstritt.

Langeweile?

Es gab für ein so altes Wesen wohl kaum etwas schlimmeres, weswegen ich seinen Austritt verstand. Doch das erklärte mir nicht, warum er es abstritt eine Legende und ein Vorbild zu sein. Er stritt es ja nicht nur ab, es schien ihn regelrecht auf die Nerven zu gehen, wenn man ihn als dieses bezeichnete. Dann erinnerte ich mich an das Gespräch auf dem Balkon. Es verfolgte mich wie ein unglaublich aufdringlicher Poltergeist. Ich hatte so viele Fragen, doch ich glaubte nicht, dass der Totengräber sie mir wirklich beantworten würde. Ich hatte das Gefühl auf dem Balkon hatte ich mein Maß an Antworten, die er mir eigentlich nicht geben wollte, ausgeschöpft.

Das gefühlt hundertste Mal zog ich mein Handy unauffällig halb aus meiner Tasche. Nichts. Keine SMS, keine verpassten Anrufe. Irgendwie war es komisch von dem verrückten Totengräber einfach nichts zu hören und irgendetwas in mir hoffte inständig, dass es sich änderte. Es war albern und überaus peinlich. Warum ich es so unbedingt hoffte wusste ich nicht. Doch irgendwie vermisste ich die Stimme des silberhaarigen Mannes, dessen Lachen und Kichern mit in Gedanken ständig und überall hin nach lief. Ich versuchte diese Gedanken zu verbannen, doch immer wieder brachten sie mich aus den hintersten Winkeln meines Kopfes dazu auf mein Handy zuschauen, nur damit er wieder in den Vordergrund meiner Gedankenwelt preschen konnte.

Ich seufzte, als ich das Gesicht in meine Hand gestützt weiter aus dem Fenster schaute und dem Giggeln in meinem Kopf zuhörte. Es war schön. Ich mochte es und…: „Rosewell!

Mein Kopf flog zur Tafel: „Ja?“

„Antworte!“

„Öhm…“, ich hatte keine Ahnung worauf. Ich war viel zu sehr in Gedanken gewesen: „Ähm… also...“

„Rokoko“, zischte Amy: „Was, wann, wo und woraus entstanden.“

„Ah!“, machte ich: „Äh… Rokoko war eine Stilrichtung der europäischen Kunst von etwa… öööhm... 1730 bis 1780 und entwickelte sich aus dem späten Barock. Äh… Ausgangspunkt war Frankreich.“

Lowell hatte eine skeptisch Augenbraue hochgezogen: „Richtig. Glück gehabt, Rosewell.“

Dann wandte sie sich zu Tafel und schrieb auf, was ich gerade gesagt hatte.

Ich seufzte erleichtert.

„Mitschreiben“, zischte Amy lachend.

„Danke“, nuschelte ich ihr zu.

„Kein Ding, aber pass‘ auf. Unser Leben hängt am seidenen Faden.“

„Wie gut, dass du unsere Särge schon bezahlt hast...“

„Trotzdem!“

Ich schlug mein Heft auf und schrieb seufzend von der Tafel ab.

Amy rettete mich an diesem Schultag noch ganze dreimal. Ich konnte meine Gedanken einfach nicht in die richtigen Bahnen lenken. Als der Unterricht vorbei war, machte ich drei Kreuze. Auch beim Mittagessen war meine Aufmerksamkeitsspanne eher schmal bemessen. Amy erzählte mir und erzählte mir und fragte mich mehr als nur einmal, ob ich ihr überhaupt zuhörte. Ich tat es nicht wirklich, obwohl ich gewollt hätte. Doch was die Phantomhive mir erzählte bekam ich nur so am Rande mit, dass nichts davon hängen blieb. Ich stocherte nur ziemlich lustlos in meinem Essen herum und bekam keinen Bissen wirklich herunter.

In unserem kleinen Apartment entschuldigte ich mich sofort in mein Zimmer, mit dem Vorwand ich wollte lernen. Und tatsächlich klappte ich an meinem Schreibtisch meinen Laptop auf mit dem Vorsatz Rokoko zu googeln, über das wir unsere Arbeiten schreiben würden. Ich legte mein Medaillon ab und nach einem leichten Zaudern auch die Pentagrammkette. Sie fanden ihren Platz neben dem Laptop auf dem Schreibtisch. Während ich mir meinen Nacken rieb, was ich seitdem ich von dem Mal wusste ziemlich oft tat, tippte ich mit der anderen Hand »Rokoko« in die Suchzeile. Doch bevor ich Enter drücken konnte fiel mein Blick wieder auf die Pentagrammkette. Ich nahm sie in beide Hände und beschaute sie. Sie war also eigentlich ein Stein, der unsere Präsenz versteckte. Wahrscheinlich hatte sie deswegen auch jeder bekommen, der dem Totengräber irgendwie wichtig war. Auch ich. Also war ich ihm wichtig… oder? Irgendwie traute ich mich fast nicht auch nur daran zu denken, dass die Möglichkeit bestünde. Doch er hatte genau das gesagt, oder? Dann stolperte mein Kopf über einen ganz anderen Zusammenhang. Nämlich über etwas, was Ronald mir vor der Statue erzählt hatte: ‚Ich wollte ihm ins Handwerk fuschen, also hat er mir reichlich in die körperliche Unversehrtheit gefuscht. Ich war für ihn ein One Hit Wonder...‘

Doch Ronald hatte auch eine Kette. Also war auch Ronald ihm wichtig. Auch wie er mit ihm trainierte erhärtete diesen Eindruck. Warum hatte er ihn also damals verletzt? Das passt doch einfach nicht zusammen!

Ich löschte wieder den Suchbegriff »Rokoko« und tippte stattdessen »Campania April 1889« ein.

Etliche Links blinkten auf meinem Bildschirm auf. Ich wühlte mich hindurch. In vielen wurde nur die Jungfernfahrt des Schiffes beschrieben, die mit dem Auflaufen auf einen Eisberg ein jähes Ende fand. Doch das wusste ich schon. Ronald hatte es erzählt. Auch das eigentlich nicht der Eisberg, sondern Undertaker das Schiff endgültig versenkt hatte.

Doch ich suchte weiter und stieß schließlich auf die Bachelorarbeit eines Psychologiestudenten zum Thema Massenhalluzinationen.

Ich blinzelte: ‚Massenhalluzinationen?‘

Doch der Artikel erzählte die Geschehnisse auf dem Kreuzfahrtschiff nicht. Nur in einer kleinen Passage berief er sich unter anderem auf die Ereignisse auf der Campania, wo wohl die gesamte Crew einschließlich aller überlebenden Passagiere einer solchen Halluzination zum Opfer gefallen waren. Noch nicht einmal was für eine es gewesen war fand Erwähnung. Er führte diese Halluzination lediglich auf ein Trauma zurück, was sich die Überlebenden in Folge einer wohl recht blutigen Massenschlachterei zugezogen hatten, welche er wiederum auf die Panik aufgrund des sinkenden Schiffes und den negativen Ausmaßen von Gruppendynamik zurückführte.

Doch was genau vorgefallen war, blieb mir weiter ein Rätsel. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass die Präsenz mehrerer übernatürlicher Wesenheiten gänzlich unschuldig an dieser Massenhalluzination gewesen war. Doch das Wort ‚Massenschlachterei‘ stieß mir sauer auf. Als Ronald erzählte, er habe dort Seelen sammeln wollen, dachte ich an die Ertrunkenen, oder im Eiswasser Erfrorenen, nicht an ein blutiges Massenmordszenario.

Ich fand in den Quellen des Artikels allerdings einen kleinen Anhaltspunkt: Ein Zeitungsartikel in den Archiven der British Library.

Ich schaute auf die Uhr auf meinem Display: 17:16 Uhr. Es war kein Problem mit dem Bus nach Kings Cross zu fahren und pünktlich zur Ausgangssperre wieder daheim zu sein.

Also schlüpfte ich schnell in eine schwarze Schlaghose, einen violetten Rollkragen Pulli und meine schwarzen Segeltuchschuhe. Während ich mir den Poncho überwarf erklärte ich Amy ich wolle in der Bibliothek weiter lernen und mir dort ein paar Bücher anschauen. Ich musste sie nicht abwimmeln. Die Phantomhive war wie erwartet von sich aus zu faul mich zu begleiten.

Obwohl ich hoffte, dass mich meine Musik in den Ohren etwas beruhigte, war ich die ganze Busfahrt relativ unruhig. Die Wörter ‚Massenhalluzination‘ und ‚Massenschlachterei‘ hallten in meinem Kopf nach und machten mich auf meinem Bussitz fast rastlos. Ich spielte pausenlos mit dem geflochtenen Zopf herum, den ich mir immer noch genau dort band, wo es auch Undertaker getan hatte: ‚Das wird ein Zeichen. Für unsere Verbundenheit.‘

Ich seufzte stumm: ‚Verbundenheit...‘

Ich wusste nur leider nicht genau, was mich und den Totengräber verbannt. Mein Grübeln wurde auch je unterbrochen, als der Bus an der Haltestelle der British Library hielt.

Dank des Schülerausweises vom Weston Ladys College schaffte ich es tatsächlich in die Zeitungsarchive der Bibliothek zu kommen. Ich durfte zwar nichts von dort mitnehmen, doch wozu hatte ein Handy bitte eine Kamera?

Ich suchte angestrengt in den vielen, mittlerweile braun gewordenen, alten Zeitungen bis mir schließlich die vom 22. April 1889 in die Hände fiel, in der die Vorfälle auf der Campania Schlagzeile sein sollte.

Und tatsächlich schaute mir das Foto eines Schiffes aus der alten Ausgabe der London Times entgegen. Ich setzte mich an einen Tisch und schlug raschelnd das trockene Papier auf:
 

»Tragödie auf der RMS Campania
 

Jungfernfahrt des Luxuskreuzers stürzt hunderte Menschen in den Tod
 

Nord Atlantischer Ozean: Massenpanik auf dem sinkenden Kreuzfahrtschiff endet mit ca. 2195 Toten.«
 

Mein Atem stockte: ‚2195 Tote?! Bitte was?!‘

Ich wusste nicht mehr. ob ich wirklich wissen wollte was auf diesem Schiff vorgefallen war, doch meine unsägliche Neugier trieb mich dazu doch weiter zu lesen:
 

»Am 17. April diesen Jahres trat das große Luxuskreuzfahrtschiff der Blue Star Line, die ‚RMS Campania‘, mit knapp 1500 Passagieren ihre Jungfernfahrt von Southampton in Richtung New York an. Unter den Passagieren befanden sich einige Prominente der britischen High Society.

Doch nach drei Tagen auf See kreuzte das Schiff einen großen Eisberg. Durch einen Riss im Bug trat Wasser ins Schiffsinnere ein und zog es auf den Grund der Meere. Aufgrund dieser Gefahrensituation muss auf dem Schiff eine Massenpanik ausgebrochen sein, die zum Tod mehrerer hundert Menschen führte. Eine genaue Zahl zu ermitteln sei unmöglich, versichert Inspector Fred Abberline: „Viele Opfer konnten noch nicht geborgen werden, die Bergungsarbeiten dauern noch an. Des Weiteren ist es schwer zu unterscheiden, welche Verletzungen durch das sinkende Schiff oder andere Passagiere hervorgerufen wurden.“

So ist unter anderem der Stararzt des Karnstein Hospital, Dr. Rian Stoker, immer noch verschollen.

Zu weiteren Aussagen war der leitende Inspector Abberline nicht zu bewegen. Doch anderen zuverlässigen Quellen aus dem Hause des Scotland Yards war zu entlocken, dass nun schon die Zahl der Überlebenden und geborgenen Toten deutlich über der Passagiergrenze der Campania lag, selbst wenn man die knapp 900 Mann starke Besatzung dazu rechnen möge. Genaue Zahlen sind noch nicht bekannt. Woher diese Differenz stammt ist ebenfalls ein Rätsel, an dessen Lösung noch gearbeitet wird.

Sicher konnte jedoch gesagt werden, dass einige Leichen mit schweren Verstümmlungen im Kopf- und Brustbereich geborgen wurden und andere seltsame Bissmarken aufwiesen. Auch waren einigen Verblichenen die Augen verbunden, was das Scotland Yard nach wie vor vor ungeklärte Fragen stellt.

„Es war ein Blutbad“, offenbarte uns der Überlebende und Augenzeuge der Massenpanik, Viscount Aleistor Chamber of Druitt: „Traumatisierend gar! Blut und Schreie überall! Diese Monster haben Menschen angefallen wie wilde Tiere!“

Die von dem Viscount of Druitt erwähnten ‚Monster‘ sind eine weitere mysteriöse Tatsache, von der eine Vielzahl der knapp 700 Überlebenden der Campania berichteten. Die Augenzeugen beteuerten vehement in den Sälen des Kreuzfahrtschiffes von mehreren hundert ‚Zombies‘, wie sie sie nennen, angefallen worden zu sein.«
 

Ich stockte eine weiteres Mal und las diese Zeile noch 4-mal: ‚Zombies?! Waren denn um 1800 alle verrückt?‘

Doch nun war meine eh schon sengende Neugierde nur noch größer:
 

»Lediglich der junge Earl Ciel Phantomhive stemmt sich dieser Behauptung entgegen: „Es gab keine Zombies oder Monster auf dem Schiff“, berichtet der 13-jährige Kopf der Familie Phantomhive und der Funtom Company: „Als das Schiff zu sinken begann sind die Anwesenden in Panik verfallen. Jeder war sich selbst der Nächste. Wer auf der Strecke blieb hatte Pech. Die Betroffenen spinnen sich eine abstruse Geschichte von Zombies und Monstern zusammen, um sich von aller Schuld rein waschen zu können. Erbärmlich. Höchst erbärmlich.“

Doch von der aufkommenden Differenz wolle auch der Earl nichts wissen: „Das ist die Angelegenheit des Scotland Yards. Ich habe wichtigeres zu tun.“

Experten führen die ungewöhnlichen, doch einheitlichen Aussagen der Passagiere auf eine so genannte ‚Massenhalluzination‘ zurück, der ein schweres psychisches Trauma aller Überlebenden zu Grunde liegen könnte.

Warum der Kapitän und die Crew der Campania den Eisberg nicht rechtzeitig entdeckten und den Kurs änderten, ist immer noch unklar. Denn der Kapitän der Campania ist ebenfalls eines der vielen Opfer des Vorfalles. Führende Offiziere des Schiffes berichteten ebenfalls von einer Zombieepidemie, die sie noch vor dem Aufprall auf den Eisberg in ein Kampf um Leben und Tot verstrickte, so das eine Sichtung und Umschiffung des Eisberges unmöglich war.

Viele der Passagiere und Crewmitglieder wurden vom Krankenhaus direkt in eine Nervenheilanstalt verlegt.

Der Fall der Campania bleibt weiter hin ein Mysterium mit vielen Rätseln, deren Lösung wohl noch einiger Ermittlungs- und Bergungsarbeiten bedarf.«
 

Ich ließ die Zeitung sinken. Was ich von dem halten sollte, was ich gerade gelesen hatte, wusste ich nicht. Zombieepidemie?

Massenpanik?

Kampf um Leben und Tod?

Das klingt total verrückt!

Und wie es klang hielt auch der damalige Earl Phantomhive nicht viel von der Geschichte. Doch die Aussage eines Einzelnen, gegen die Aussagen von knapp 700 anderen Überlebenden? Ich konnte mir weder vorstellen, dass das was die Betroffenen gesehen haben wollen stimmte, noch dass alle derselben Wahnvorstellung unterlagen. Anderseits war eine Massenhalluzination ein weit diskutiertes Phänomen, welches genau so oft widerlegt wie bestätigt wurde.

Ich war verwirrt.

Aber es gab einen Menschen, nein, ein Wesen, welches in der Lage war Licht in mein Dunkel zu bringen: „Undertaker...“

Ich fotografierte den Artikel ab, legte die Zeitung zurück und haderte mit mir selbst. Eigentlich war mir danach direkt zu seinem Bestattungsunternehmen zu fahren und ihn zu fragen, was auf der Campania damals wirklich geschehen war. Andererseits hatte ich aber noch Miss Lowell und eine Klausur im Nacken. So entschloss ich den Bestatter heute nicht mehr zu nerven. Er kam ja eh übermorgen vorbei.

Also lieh ich mir noch drei Bücher über die Kunstform des Rokokos aus dem normalen Bestand der Nationalbibliothek aus und fuhr zurück ins Wohnheim, wo ich versuchte mir irgendwie trockene Fakten über Rokoko einzupauken. Doch etliche Fragen über Zombies, fast 2200 Toten und Ronalds vorangegangenen Erzählungen hielten mich fast gänzlich erfolgreich davon ab.
 

Wie gänzlich sie mich davon abhielten, stellte ich am nächsten Morgen in der Klausur fest. Nicht, dass mich dieser Zeitungsartikel schon ums lernen gebracht hatte. Er hatte mir dazu noch den größten Teil meines Schlafes geraubt.

Es gab keine Zombies.

Das war vollkommener Blödsinn.

Doch die in dem Artikel erwähnten Bissmarken verursachten in mir in Kombination mit den Aussagen der Überlebenden kein sonderlich gutes Gefühl.

Des Nachts war ich ein-, zweimal fast geneigt gewesen in Betracht zu ziehen, dass die Passagiere der Campania die Wahrheit gesprochen hatten und nicht einfach nur alle verrückt geworden waren. Doch mein gesunder Menschenverstand hatte sich eingeschaltet, bevor ich wirklich daran glauben konnte. Vielleicht waren nur ein paare Leute in ihrer Todesangst so durchgedreht, dass sie gebissen und gekratzt hatten um auf jeden Fall ein Platz im Rettungsboot zu erhaschen. Vielleicht waren es auch eben diese Ausfälle gewesen, die die Halluzination der Zombieapokalypse auf hoher See ausgelöst hatte. So muss es gewesen sein! Es war das einzig Logische.

Das andere einzig Logische war, dass ich die Klausur natürlich horrend in den Sand setzte. Ich musste sogar einmal das Wort ‚Zombie‘ aus meinem Aufsatz killern, da meine Gedanken zu einem sehr ungünstigen Zeitpunk wieder angefangen hatten ihre unguten Runden zu drehen.

Warum musste ich auch ausgerechnet einen Tag vor einer Klausur über ein untergegangenes Schiff nachforschen, wo ich mir schon auf Grund von Ronalds Erzählungen hätte denken können, dass nichts Schönes dort geschehen sein konnte?

Ich hätte einfach Rokoko googeln sollen!

Ich überlegte dennoch, ob ich vielleicht heute zu dem Bestatter fahren sollte, da mir die ganze Angelegenheit mit dem Kreuzfahrtschiff furchtbar unter den Nägeln brannte. Doch eine unerwartete Nachricht von Amy, kurz nach dem Mittagessen, hielt mich davon ab: „Sky? Wir sind tot! Tot, sag ich dir! Einfach tot!“

Ich schaute nicht von meinem Wäscheberg auf, den ich gerade am zusammenfalten war und in einen Stapel für Amy und einen für mich sortierte: „Hast du Lowell getroffen, nachdem sie den ersten Blick in die Klausuren geworfen hatte?“

„War deine so schlecht?“

„Oh ja.“

„Meine auch… aber nein. Schlimmer, Sky. Viel, viel schlimmer.“

Jetzt schaute ich Amy an: „Wir haben heute wahrscheinlich unsere schulische Laufbahn zu Grunde gerichtet. Was kann denn bitte schlimmer sein?“

„Sebastian!“

Ich gluckste: „Okay, Touché. Das hat definitiv viel Potenzial schlimmer zu sein. Aber was will Sebastian von uns, dass uns umbringen wird?“

„Wir haben November, Sky!“

Ich zog die Augenbrauen zusammen: „Ja, ich weiß. Ich besitze einen Kalender.“

„Was ist Ende November?!“

„Keine Ahnung. Anfang Dezember? Was willst du von mir, Amy?“

Amy nahm mich an den Schultern und schüttelte mich: „Das Volleyballturnier!“

‚Hirks!‘, machte es in meinen Gedanken: ‚Verdaaaaaaaammt...‘

Aber das war wirklich nicht mein Problem. Ich würde nie, niemals, niemals nie und unter gar keinen Umständen Volleyball spielen und damit mein letztes bisschen Ehre, Würde und Anstand aufs Spiel setzten: „Ja, viel Spaß dabei! Hör auf an mir herum zu ruckeln!“

„Ey, ey, ey, halt stopp“, Amy hörte tatsächlich auf, doch hielt sie mich immer noch an den Schultern, als sie mich musterte: „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du mich hängen lässt, oder?“

„Ich lass‘ dich nicht hängen. Ich war nie im Sportteam im Gegensatz zu dir. Sport ist Mord und meine Nase wirkt auf Bälle magnetisch. Äh-äh! Unter keinen Umständen bekommst du mich hinter ein Volleyballnetz. Das steht so nicht im ‚Beste-Freundinnen-Vertrag‘!“

Amy klappte der Kiefer auf: „Aber… du bist mein Fag!“

„Genau“, erwiderte ich: „Dein Fag, nicht dein Hauself.“

„Aber Sky!“

„Nope! Nope, nope, nope, nope! Eher stelle ich mich im Winter in einem Bikini auf den Schulhof und tanze la cucaracha!“

Amy streckte mir ihre Hand hin: „Deal?“

Ich schlug sie weg: „Im Leben nicht!“

Dann wandte ich mich wieder meiner Wäsche zu.

Amy fiel mit einem lauten ‚Plumps‘ neben mir auf die Couch: „Aber du kannst doch nicht einfach vom Rand aus zusehen und la paloma pfeifen, während ich mich abstrample, man!“

„Oh, ich kann“, konterte ich trocken: „Und wie ich kann. Wirst du sehen.“

„Aber da spielt Sebastian nicht mit!“

Ich schaute sie wieder an: „Was hat denn bitte Sebastian mit mir zu tun?“

„Ne Menge“, sagte Amy mit großen Augen: „Wenn er das will.“

„Was euer Butler will, ist mir egal. Er hat mir nichts zu sagen.“

„Oh“, Amy zückte ihr Handy und tippte darauf herum: „Warte. Ich klingel kurz bei ihm durch, dann kannst du ihm das selber sagen.“

Ich riss ihr das Handy aus der Hand: „Bist du Gaskrank? Der bringt mich um!“

„Aha“, machte Amy mit finster zusammengekniffenen Augen: „Hast du vielleicht ein kleines Deja vú?“

Ich seufzte: „Du bist nicht tatsächlich noch sauer, wegen der Nachricht von gestern morgen, oder?“

Amy kniff ihre Augen weiter zusammen: „Das war eine ernstzunehmende Drohung, Sky.“

„Und du könntest mich endlich mal ernst nehmen und aufhören auf diesem dämlichen Fesselthema herum zu reiten, verdammt!“

Amy kicherte dreckig.

„Was?“, fragte ich sie verständnislos.

„Herumreiten war vielleicht nicht die beste Formulierung. Tihi!“

Ich nahm einen meiner langen Socken, zog ihn stramm und ließ ihn der Phantomhive ins Gesichts schnacken, woraufhin Amy mit wedelnden Gliedmaßen von der Couch polterte: „Oh! Du bist sowas von unmöglich!“

„In der Tat“, sprach eine leise Stimme. Nur gehörte sie nicht zu Amy oder zu mir. Der Kopf meiner besten Freundin erschien über den Wäscheberg und blinzelte mich verwirrt an: „Hast du was gesagt?“

„Nein“, sagte ich mit einem unguten Gefühl: „Du?“

„Äh-äh“, schüttelte Amy den Kopf.

Wir schauten uns um.

„Aber“, Amys Stimme war ein wenig zittrig: „Du hast das auch gehört, oder?“

„Uh-huh“, machte ich zustimmend und suchte mit meinen Augen und einem kalten Schreck in den Gliedern die Stube ab.

„Gut, oder eher nicht“, sagte Amy in einen gegruselten Ton: „Geisterhafte Stimmen sind in unserer Welt kein gutes Zeichen...“

Ich stockte und konzentrierte mich. Ich spürte gar nicht. Nicht den kleinsten Hauch von Unwohlsein. Mein Nacken kribbelte nicht und das unangenehme Gefühl in meiner Wirbelsäule war klar auf den Schreck über die gespenstische Stimme zurückzuführen: „Aber… hier ist keiner. Ich… spüre nichts.“

„Mylady“, erklang die Stimme wieder und wir schauten einander mit schreckgeweiteten Augen an: „Euer Handy.“

Unsere Blicke fielen auf das Handy, das ich mir in den Schoss gelegt hatte, als ich Amy mit meinem Socken beschossen hatte. Der Anrufbildschirm leuchtete. Auf dem Display stand groß der Name ‚Sebastian Michaelis‘.

„Och nö...“, stöhnte Amy: „Oh, verdammt...“

Wir müssen versehentlich auf ‚Anrufen‘ gedrückt haben, als ich Amy das Handy aus der Hand gerissen hatte. Die Geisterstimme war lediglich die Stimme des Butlers aus dem Telefon.

„Was kann ich für euch tun, junge Lady? Außer mir euren schmutzigen Ausdruck anzuhören“, hörten wir die leise Stimme des Butlers: „Ich glaube ich muss mit euch noch einmal die gängigen Umgangsformen durchgehen.“

In Amys Gesicht stand kreideweiß der Anbruch der Apokalypse. Ich kicherte schadenfroh. Die Phantomhive schaute mich daraufhin boshaft an, dann erschien ein fieses Grinsen in ihrem Gesicht, was mir sofortige Rache versprach. Sie griff ihr Handy.

„Was hast du vor?!“, rief ich aus.

Doch Amy hatte schon auf Lautsprecher gedrückt und grinste weiter wie eine kleine Hyäne: „Wir wollten dir nur sagen, dass sowohl ich, als auch Sky, am Wochenende zum Training kommen!“

„Training?!“, fragte ich verwirrt: „Was für ein Training?!“

„Fabulös“, lachte der Dämon, sich wohl gewahr, dass meine Partizipation in Was-auch-immer nicht meinem freiwilligen Wunsch entstammte: „Ich hole sie am Samstag gegen 11 Uhr zum Volleyballtraining ab. Es ist wichtig, dass Prefect und Prefect Fag Vorbilder für die restliche Schülerschaft sind. Eine respektable Einstellung.“

Mir krachte der Kiefer nach unten: „Hey! Halt! War…!“

„Alles klar, Sebastian“, lachte nun Amy schadenfroh und unterbrach mich mit lauter Stimme: „Bis Samstag!“

„Bis dann, junge Lady. Ach ja! Lady Phantomhive? Nehmt bitte euer Benimmbuch mit.“

Dann hatte der Butler auch schon aufgelegt.

Amy grinste: „Wenn ich untergehe, nehme ich dich mit.“

Ich tat einen Satz über den Wäschehaufen: „Du Natter!“

Amy lachte allerdings nur, als ich versuchte ihr an die Gurgel zu gehen.
 

Der nächste Schultag ging auch eher schleppend voran. Hatte der Schock über meinen definitiv ungewollten Platz im Volleyballteam mich gestern weitestgehend von der Schiffsgeschichte abgelenkt, war sie heute nur allzu gegenwärtig. Denn heute wollte der Bestatter vorbei schauen und ich hatte mir fest vorgenommen ihn darauf anzusprechen. Was auch immer auf den Schiff wirklich passiert war, ich war mir sicher Grell, Ronald, Sebastian und auch Undertaker hatten dort ihre Finger im Spiel gehabt.

Doch erst einmal quälte ich mich durch 6 Stunden zermürbenden Unterricht. Mir war der Unterricht in den letzten 4 Jahren nie so schwer vorgekommen. War es das letzte Jahr oder meine geistige Zerstreutheit, die ihn so anstrengend machte?

Ich wusste es nicht.

Zumindest schien Amy ähnlich angestrengt wie ich. Denn beim Mittagessen seufzte sie: „Lass uns heute einen Kaffee bei Ginos trinken gehen.“

Ich schaute von meinem zerstocherten Teller auf: „Aber Undertaker kommt doch heute vorbei.“

„Ach, der taucht wahrscheinlich erst gegen Abend hier auf. Der hat ‘ne Menge Arbeit und lebt deswegen im Moment wie Gott in Frankreich.“

„Ich weiß nicht“, nuschelte ich: „Letztes mal war er auch Nachmittags, da...“

„Du musst es ja wissen“, triezte mich Amy.

„Ja… Ich hab mich ja auch zu Tode erschreckt...“

„Und ihm voll eine reingehauen!“

„Das war im Affekt!“

„Sah trotzdem gut aus“, grinste die junge Phantomhive.

Ich seufzte: „Du bist unverbesserlich. Diese hämische Schadenfreude. Wie eine kleine Hyäne.“

Amy klimperte mit ihren großen Augen: „Aber ich bin eine schöne Hyäne, oder?“

Ich schüttelte nur den Kopf: „Hyänen sind nie schön...“

„Oh! Du Elster!“

„Elstern sind schön.“

„Und Diebe!“

„Wenigstens seh‘ ich dabei gut aus.“

Jetzt seufzte Amy: „Wie auch immer. Also?“

„Ist es nicht unhöflich? Wenn er doch früher kommen sollte und wir sind nicht da? Er macht sich doch dann Sorgen, oder? Und dein Vater auch.“

„Ach! Der kommt nicht so früh. Ich kenn‘ ihn, glaub‘ mir doch. Komm. Wir gehen uns umziehen und ab zu Ginos. Wir waren ewig nicht mehr dort. Irgendwann verfällt noch unser Stammkundenrabatt.“

Ich seufzte. Eigentlich würde ich schon gerne mal wieder die Nase ein wenig in den Wind halten und Amy hatte recht, sie kannte Undertaker länger als ich. Also nickte ich, wenn auch mit einem kleinen Widerstand: „Wenn du dir wirklich sicher bist.“

„Klar!“, Amy stand auf und ich ging hinter ihr her.

Nachdem ich meine Schuluniform gegen den violetten Rollkragenpullover, eine schwarze Strumpfhose, Hotpants und Beinstulpen, sowie meine Segeltuchschuhe ausgetauscht hatte, verließ ich in meinen Poncho gewickelt an Amys Seite das Gelände. Die Phantomhive trug eine schwarze ripped Röhrenjeans, Rockerboots, ein weißes Top und ihre enge Lederjacke.

Wir fuhren mit der Metro nach Westminster und waren eigentlich bester Laune. Lediglich die Geschichte mit der Campania schoss mir hier und da durch den Kopf und ich hoffte wirklich, dass wir vor dem Bestatter wieder zurück im Vampires Castle waren. An der Embankment Station stiegen wir aus und plauderten so vor uns hin, als wir den Restweg zu Ginos, unseren Stammcafé mit dem besten Bicerin außerhalb Italiens, über die Victoria Embankment an der Themse entlang schlenderten. Auf der Höhe der Whitehall Gardens surrte es auf einmal in meinem Nacken. Eine Hand an meinem zwickenden Mal fuhr ich herum.

„Was hast du?“, fragte Amy.

„Hier...“, ich musterte die Straße hinter uns, doch konnte niemanden ausmachen. Lediglich einer schlanken Frau mit schönen Kurven und langen, silbernen Haaren war ihre Handtasche heruntergefallen und sie bückte sich um sie aufzuheben.

Ich schaute von ihr weg zu Amy: „Ist irgendwer.“

„Ein Dämon?“

Ich nickte.

Auch Amy schaute sich um: „Aber ich sehe… da!“

Ich folgte Amys ausgestrecktem Zeigefinger. Ein paar Meter vor uns lief ein blonder Junge in dunklen, teuer trendigen Designerklamotten die Straße entlang. Neben ihm eine große Gestalt im Frack. Ich schluckte, als ich den Dämon Claude erkannte. Doch die Beiden hatten uns nicht gesehen. Denn sie gingen einfach weiter, ohne uns zu beachten. Dank unseren Ketten wussten sie wahrscheinlich gar nicht, dass wir da waren.

Amy nahm mich von hinten an den Schultern, beugte ihr Gesicht zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Oliver und Claude. Die Beiden haben keine Ahnung, dass wir da sind.“

„Was gut ist“, machte ich flüsternd einen Schritt nach hinten: „Komm weg hier!“

„Ah, ah, ah, ah“, hielt Amy mich am Handgelenk fest und mein Laufschritt zurück zum London Underground wurde nur eine Runde im Kreis. Als ich vor der Phantomhive zum Stehen kam, hielt sich mich an den Schultern fest und flüsterte weiter: „Das ist unsere Chance!“

„Chance wofür denn?“, zischte ich: „Den Freitod? Die sind offensichtlich nicht wegen uns hier. Lass uns sämtlichen Göttern dafür dankbar sein und hier verschwinden.“

„Wer weiß wo die hinwollen“, wisperte Amy: „Wir könnten was herausfinden!“

„Bist du des Wahnsinns?“, tuschelte ich zurück: „Wenn die uns sehen machen die sonst was mit uns!“

„Wenn“, wackelte Amy mit den Augenbrauen: „Die Straße ist belebt, Claude kann hier nicht einfach durchstarten und solange sie uns nicht sehen ist alles gut. Komm! Sei nicht so ein Hase!“

„Lass uns die anderen anrufen.“

„Lass uns doch vorher schauen, was wir finden.“

„Vielleicht wollen die Beiden nur einkaufen und das Einzige was wir finden ist die Mall. Unter Einsatz unseres Lebens übrigens! Schon mal daran gedacht?“

„Oder sie treffen sich mit dem Engel“, munkelte die Phantomhive: „Das ist eine Information, die wir dringend bräuchten.“

Sie zog mich am Arm mit sich: „Komm! Die Beiden sind schon fast außer Sicht.“

Ich hatte keine Chance. Wenn die Jüngste der Phantomhives sich erst einmal etwas in den hübschen Kopf gesetzt hatte, brauchte es einiges um sie davon abzubringen.

Wir holten flotten Schrittes ein paar Meter auf. Obwohl wir ein gemütliches Tempo angenommen hatten, klopfte mein Herz als liefe ich einen Marathon. Wir blieben außer Hörweite. Folglich konnten wir nur sehen, dass Oliver immer mal wieder mit seinem Butler sprach, aber nicht verstehen was sie sagten. Nach einer Weile zückte Claude ein Handy und telefonierte kurz. Wieder wechselte er ein paar Worte mit seinem Meister, doch wir konnten immer noch nicht verstehen was gesprochen wurde.

Ich hatte ja keine große Lust auf dieses Abenteuer.

Das ungute Gefühl lief mir Nacken und Wirbelsäule auf und ab und machte mich halb wahnsinnig. Ich rieb meinen Nacken immer wieder. Sicher war er schon ganz rot. Irgendwie war das Gefühl auch stärker, als an Halloween im Flur.

„Nervös?“, hauchte mir die Phantomhive zu.

„Du hast ja keine Ahnung wie es sich anfühlt, einen Dämonen zu verfolgen wenn man ihn spüren kann.“

„Reiß dich zusammen, ja?“

„Warum? Damit für deinem Vater etwas zum auseinandernehmen übrig bleibt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Alexander dich für diese heroische Tat sonderlich hoch loben wird.“

„Wenn wir was Wichtiges herausfinden hat er keine Wahl“, raunte Amy verstimmt und sah fast traurig drein: „Ich habe keine Lust mehr das Nesthäkchen zu sein... Fred ist voll im Aristokratengeschäft mit drin, nur ich, ich bleib immer außen vor...“

„Willst du mir etwa erzählen du wirfst gerade dein Leben, und meins nebenbei, in die Waagschale, weil du eifersüchtig auf deinen großen Bruder bist?“

„Ich bin nicht eifersüchtig“, zischte Amber enttäuscht. Nicht wegen mir, sondern eher wegen ihrem Stand in ihrer Familie: „Aber ich bekomme nie die Chance zu beweisen, dass ich auch was kann... Weil ich die Jüngste und ein Mädchen bin… Und hier hab ich sie auf dem Silbertablett!“

Ich wollte protestieren, doch merkte ich gleichzeitig wie wichtig es Amy war. Sie sah fast leidend aus bei dem Gedanken, dass ihr Vater Fred mehr zutraute als ihr. Ich seufzte. Gegen dieses Gesicht war ich einfach machtlos: „Bei der kleinsten Komplikation ziehen wir aber Leine.“

„Versprochen“, grinste Amy und harkte sich bei mir ein: „Tu einfach so, als gingen wir spazieren. Verhalte dich ganz natürlich.“

„Erkläre das mal meinem Dämonen-Peilsinn!“

„Versuchs‘s einfach!“, dann schaute sie mich komisch an: „Abgesehen davon: Dämonen-Peilsinn? Echt jetzt? Nein, nein. Wir brauchen ein Wort dafür, dass besser von den Lippen geht.“

Ich schaute sie verständnislos an: „Ist das jetzt echt dein einziges Problem?“

„Spidersense!“, ignorierte sie mich einfach.

„Was? Warum? Warte. Ist das nicht aus Spiderman?“

„Jop. Aber es beschreibt doch genau die Sache, oder? Außerdem ist Claude ein Spinnendämon.“

„Da gibt‘s Unterschiede?“

„Klar. Sebastian zum Beispiel ist ‘ne Krähe.“

„Aha… aber Sebastian spüre ich doch auch.“

„Aber auf Claude achtest du. Doch, Spidersense find‘ ich gut. Kurz, prägnant und jeder weiß was gemeint ist!“

Ich seufzte geschlagen: „Wenn du meinst...“

Mit diesen Worten gingen wir unseren Zielpersonen eine Weile nach. Wir verließen kurz den Weg an der Themse, als wir den Palace of Westminster passierten. Doch an Oliver und Claude war nichts außergewöhnlich, außer dass Claude eigentlich ein Dämon war. Aber das sah man ihm ja nicht direkt an. Hinter dem Victoria Tower Gardens folgten wir den zwei Männern zurück an die Themse. Sie schlenderten unaufgeregt den großen Fluss entlang. Auf Grund des Gefühls in meinem Nacken waren meine Nerven bis zum zerreißen gespannt und ich hatte das Gefühl unter ständiger Alarmbereitschaft zu stehen. Verständlich. Schließlich lief ich hinter dem Dämonen(!) und seinem Meister her, die mir schon zweimal recht brutal das Licht ausgeknipst hatten.

Ich wollte doch nur nach ein paar anstrengenden Tagen mit meiner besten Freundin einen Kaffee trinken gehen. Mich gemütlich mit Amy in Gino‘s Café an das große Schaufenster setzen, wo unser Stammplatz war. Mit ihr die Leute beobachten, die am Fenster vorbei liefen und über Amys gehässige Kommentare über eben jene lachen. Mit meiner besten Freundin liebevoll über das, durch ihren italienischen Dialekt schwer erkennbare, Englisch der nur wenig älteren Kellnerin Romana schmunzeln, die sich ihr Studiengeld dort erschuftete, während ich meinen heißgeliebten Bicerin und Amy ihren Ciocolaccino trank.

Warum?

Was hatte ich der Welt getan, dass ich nun hier gelandet war?

Nachdem wir die Chelsea Harbour passiert hatten verließ mich langsam die Orientierung. Mir war nicht wohl, doch Amy wollte davon nichts wissen. Sie verfolgte die Beiden unabdingbar und mit einem Eifer, zudem ich einfach nicht nein sagen konnte. Die Phantomhive würde nicht mehr umdrehen und ich konnte sie ja nicht einfach alleine lassen. Ich hatte schließlich Undertaker versprochen immer bei ihr zu bleiben und mit meinem eigenen Gewissen hätte ich es auch nicht ausmachen können.

Als wir die Beiden einige Zeit verfolgt hatten, gingen sie über eine längere Brücke, die ich schon nicht mehr kannte und bogen schließlich in einen kleinen, ruhigen Park ab. Doch verdeckten Bäume und dichtes Buschwerk fast den ganzen Blick von der Straße. Das bisschen was ich sah war allerdings verlassene Grünfläche.

Amy wollte hinterher, doch ich blieb stehen: „Amy nein! Dahinten ist niemand mehr!“

„Aber da muss was sein!“, zischte sie leise.

„Woher willst du das wissen?“

„Weil dahinten gar nichts ist. Nur ein kleiner Park an der Themse. Warum sollten die sonst dahin wollen? Komm. Sonst verlieren wir sie.“

Wir huschten zu der Ecke. Nun war aus einem ‚Wir laufen ihnen nach und tun so als seien wir einfach da‘ ein ‚Wir schleichen wie die Verbrecher von Ecke zu Ecke und kundschaften sie wie die Möchtegernassasinen aus‘ geworden.

„Das kann nicht gut gehen, Amy“, wisperte ich, als wir um die letzte Mauerecke lugten und sahen, dass Oliver und Claude in dem kleinen Park vor dem Zaun vor der Themse zum stehen gekommen waren. Wir waren mittlerweile relativ weit ab von allem, was ich kannte. Der Park war, abgesehen von Oliver, menschenleer.

„Komm! Sei leise“, Amy hielt den Finger vor ihren Mund und huschte mit mir am Handgelenk zu einer Buschgruppe relativ nah an den beiden Gestalten. Mein Herz raste wie verrückt und das Kribbeln war zu einem stechend heißen Brodeln geworden. Ich hatte noch nie etwas so unangenehmes gefühlt. Ich merkte auch wie Amys Hand an meinem Handgelenk zitterte. Denn sie hatte es immer noch nicht los gelassen, obwohl wir mittlerweile schon in den Büschen versteckt waren. Amy gab sich bei weitem cooler, als sie war. Sie hatte Angst, ich konnte es spüren, doch der unablässige Wille ihrem Vater etwas zu beweisen trieb sie weiter an.

Für meine Verhältnisse waren wir dem Dämon schon seit mindestens zwei Stunden viel zu nah. Denn das war die gefühlte Zeit, die wir schon hinter ihnen her schlichen. Doch nun waren wir definitiv viel zu nah, denn wir konnten hören, was die beiden sprachen.

„Glaubst du sie sind schon da, Claude?“, fragte Oliver amüsiert lachend.

„Wir werden sehen, Eure Hoheit. Hannah wird uns Bescheid geben“, antwortete sein Butler mit dem unbeteiligtsten Tonfall, den ich je gehört hatte. Er übertraf selbst Frank und William. Bei weitem.

„Es wäre eine Schande wenn sie nicht kommen würden, oder?“, lehnte sich der Blonde mit verschränkten Armen an den Zaun.

Claude schob seine Brille hoch: „Ich glaube das steht außer Frage.“

„Ich hoffe“, grinste der Trancy verschlagen: „Ansonsten hat sich das alles ja gar nicht gelohnt.“

„Geduld. Es mangelt euch an der Fähigkeit abzuwarten.“

„Ich will auch nicht warten! Wo bleiben sie?! Sie sollen kommen, verdammt!“

„Wer?“, zischte Amy kaum hörbar und eher zu sich selbst: „Wer soll kommen?!“

Aus einem unbestimmten Impuls drehte ich meinen Kopf ein Stück zu ihr. In diesem Moment fielen ein paar silberne Haarsträhnen zwischen mir und Amy. Mein Herz sackte ab: ‚Under...‘

Doch dann stockten meine Gedanken und bevor ich meinen Kopf weiter drehen konnte, setzte mein Herz endgültig aus.

Ich fror ein.

In tiefem Schock.

Die Welt zog sich wie Teer und ging in Zeitlupe an mit vorbei.

Denn es roch weder nach Gras, noch nach Zucker, noch nach Zedernholz. Es roch nach einem hochwertigen, aber künstlichen Rosenparfüm.

„Ihr“, sprach eine Frauenstimme hinter uns.

Unsere Köpfe flogen herum. Die silberhaarige Frau hockte hinter uns. Nur jetzt erkannte ich, dass ihre Haare gar nicht silbern waren, wie beispielsweise die des Bestatter, sondern eher einen Stich in Richtung lavendel inne hatten. Ihre marineblauen Augen musterten uns kalt und eines war hinter einer Bandage versteckt. Sie trug einen hellen lilanen Lippenstift, zu ihrem schlichten schwarzen Kostüm. Über ihre Schulter hing eine kleine Handtasche. Zum Erfassen all dieser Details hatte ich nur eine, vielleicht auch zwei, erschrockenen Sekunden in denen ich mich nicht rühren konnte. Ihre Hände packten uns und schubsten uns grob aus unserem Versteck.

Mit einem lauten und schrillen Aufschrei landete ich hart auf dem Boden. Die Phantomhive landete hart auf mir und drückte mir schmerzhaft die Luft aus den Lungen.

„Seht ihr“, hörten wir Claudes kalte Stimme: „Sie sind da, eure Hoheit.“

Füße erschienen in unserem Sichtfeld. Claude und Oliver waren zu uns herangetreten. Auch die Frau stand nun dabei und bildete einen Kreis um uns.

„Du hast lange gebraucht, Hannah“, lachte Oliver bösartig belustigt.

„Verzeiht mir, eure Hoheit“, senkte die Frau, Hannah, demütig den Kopf.

Hannah. Ich hatte diesen Namen schon einmal gehört: ‚Und Hannah und Canterbury und Thompson und Timber. Hehehe!‘

Natürlich! Die Erkenntnis war scharf wie gesprungenes Glas: Hannah war einer der anderen Dämonen der Trancys!

Wir lagen also zwischen zwei Dämonen und dem Erzfeind der Phantomhives.

Ich sah es ein.

Wir waren einfach tot.

Das Gefühl in meinem Nacken und Rücken war sengend heiß und fast unerträglich. Während mich die pure Panik übermannte und mein verlorengegangener Atem nun zu hyperventilieren drohte, stemmte sich Amy auf die Hände und schaute Oliver giftig an: „Woher…?!“

„Ihr könnt“, unterbrach Claude sie mit einer Stimme kälter als Eis. Er beugte sich hinunter und griff Amys Pentagrammkette. Der Butler ging auf ein Knie und zog die Phantomhive vor seine Nase: „Vielleicht eure Präsenz verstecken, doch nicht eure wild wummernden, von Aufregung geplagten Herzen.“

Der Dämon hatte uns gehört?

Er hatte unseren Herzschlag gehört?

Anscheinend haben euch Dämonen teuflisch gute Ohren.

Eigentlich ein Faktum, was im Nachhinein nicht wirklich überraschend war.

Doch gerade wusste ich nicht, was mein Herz tat. Es raste und gleichzeitig hatte ich das Gefühl es war stehen geblieben. Meine Hände waren klamm und schwitzig und der kalte Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Auch Amy war weiß wie die Wand. Nur hatte sie sich selbst besser im Griff, als ich. Gönnte es den Trancys nicht ihre Angst zu sehen.

„Wir mussten euch nur von den belebten Straßen weglocken. Während ihr der naiven Ansicht unterlagt unentdeckt zu sein, hatte Hannah euch ständig im Blick“, redete der junge Trancy im Plauderton, doch mit einem abartig widerlichen Pläsier in der Stimme.

„Scher dich zum Teufel“, spuckte Amy ihm entgegen und Claude zog wieder harsch an ihrer Halskette, was sie dazu brachte ihren Kopf zu ihm zu drehen: „Ihr liegt vor ihm, Lady Phantomhive.“

Die Art wie der Dämon den Namen ‚Phantomhive‘ aussprach zeugte das erste Mal von Emotionen und ließ mich schaudern. Darin lag Abfälligkeit, Missgunst und der blanke Hass.

Auf einmal griff eine Hand mit lila lackierten, manikürten Nägeln meine Kette.

„Hey!“, rief ich der Dämonin entgegen und griff ihren Arm: „Lass mich los! Finger weg!“

„Die braucht ihr nicht mehr“, sprach die Frau ruhig, doch mit einem klaren Anflug nahenden Unheils in der Stimme.

Synchron riss mir Hannah und Claude Amy schmerzhaft die Ketten von unseren Hälsen.

Dann griff Claude Amy am Hals und drückte sie auf dem Boden. Ein Glucksen entfleuchte ihr, als sie erstickend begann mit den Beinen zu strampeln und versuchte die Hände des dämonischen Butlers von ihrem Hals zu ziehen.

Ich holte Luft um etwas zu rufen, wollte aufspringen und ihr helfen, doch dann hatte ich selber Hannahs Hand am Hals. Auch mich drückte die Dämonin ins Gras, eine Hand wie eine Schraubzwinge und erstickte jedes Geräusch was ich hätte machen wollen. Meine Lunge verlangte glühend und krampfend nach Luft.

Schwarze Ränder krochen in mein Blickfeld: ‚Nein… Nein, nicht nochmal! Amy… Amy!‘

Ich blinzelte die Ränder weg und bot alles auf was ich hatte.

Ich versuchte nach ihr zu treten, kratze wie eine Furie an ihren Arm, doch nicht passierte. Weder traf ich das dämonische Hausmädchen, noch hinterließ mein Kratzen irgendwelche Spuren an ihr. Sie hatte einen Körper hart und glatt wie Marmor. Schmerzhaft brachen mir daran zwei Fingernägel ab, doch ich kratzte weiter, was rote Schlieren meines Blutes auf ihrer gebräunten Haut zurück ließ. Ich rammte ihr mein Knie in den Magen und ein heißer Schmerz schoss hindurch, als es auf ihren Marmorkörper traf. Die Dämonin sah aus, als hätte sie meinen Tritt gar nicht bemerkt. Sie schaute mir stumm in die Augen, verfolgte aufmerksam wie mich langsam die Kräfte verließen.

„Stellt sie ruhig und packt sie ein“, ordnete Oliver kalt an und drehte sich dann zur Themse. Er lachte ekelerregend in die Spätnachmittagssonne: „Hahaha! Was ein herrlicher Tag! Zwei auf einen Streich und ganz von alleine!“

Meine Augen wanderten von Hannah weg. Amys Strampeln unter Claudes Hand war schwächer geworden. Lange konnte sie ihre Gegenwehr und wahrscheinlich auch ihr Bewusstsein nicht mehr halten. Ich musste ihr irgendwie helfen! Mein erstickender Verstand raste.

Dann hatte ich eine Idee.

Eine Schnapsidee, aber eine Idee: Wenn ich jetzt die Augen schloss und so tat als hätte mich mein Bewusstsein schon verlasen, vielleicht ließ Hannah dann von mir ab und gab mir die Möglichkeit zu Amy zu hechten.

Ich war gerade dabei betont langsam meine Lider zu schließen, da schnitt ein Sirren durch die Luft und ließ sie wieder aufspringen.

Oliver fuhr mit wut- und schreckgeweiteten Augen herum.

Hannah sprang von mir weg, genau wie Claude von Amy. Wo die beiden Dämonen vor weniger als einer Sekunde noch gehockt hatten, bohrten sich zwei Holzplanken die an ihren Enden spitz zu liefen in die Erde. Rote japanische Schriftzeichen prangten darauf.

„Verdammt!“, zischte Oliver erbost, als Claude und Hannah neben ihm gelandet waren: „Scheiße! Nicht der!“

Ich schnappte nach Luft und stützte mich halb auf. Auch Amy japste und drehte sich hechelnd auf dem Bauch, um sich auf die Unterarme zu stemmen. Trotz meines fehlendem Atems kam ich nicht umher mich über Olivers Ausruf zu wundern: ‚Nicht der?‘

„Tehehehehe!“

Ein weiteres Mal blieb mir die Luft weg. Doch nun aufgrund des Lachens, welches definitiv von weiter oben kam und mir mehr als nur bekannt war. Mein Kopf flog zu den Bäumen. Auch Amy und die Trancys schauten in die Baumkronen.

Was wir sahen ließ uns alle stocken.

Auf einem dicken Ast einer alten Borke hockte eine nun wirklich silberhaarige Gestalt im langen Mantel, Lederhose und schnallenbesetzten Lackschuhen.

„Undertaker!“, rief Amy mit erschöpftem Atem aus.

„Schnappt die Mädchen!“, brüllte Oliver vor Wut schäumend und nun hörbar unter Stress: „Und dann schnell weg hier!“

„Ja, eure Hoheit!“, sprachen die Dämonen im Chor und stürmten auf uns zu.

„Ehehehe! Ihr hättet laufen sollen“, Undertaker verschwand von dem Ast und tauchte vor Amy und mir auf. Sein Mantel flog auseinander. Darin kamen 8 weitere der seltsamen Holzscheite zum Vorschein: „Als ihr die Möglichkeit dazu hattet. Tihihihhihi!“

Seine Hände verschwanden kurz und zwei weitere Scheite sirrten durch die Luft. Hannah musste in ihrem Sprint abdrehen um nicht getroffen zu werden. Erde und Grashalme stoben vom Boden auf, als sie mit ihren Absatzschuhen durch ihren überschüssigen Schwung über den Rasen schlitterte.

Oliver ächzte kurz und sprang um Haaresbreite unter dem Stück Holz weg, dem Hannah ausgewichen war.

Claude drehte sich im Sprint halb um seine eigene Achse und trat vor den Holzscheit. Er flog drehend in die Höhe und landete platschend hinter dem Trancy in das Wasser der Themse. Hätte der Butler dies nicht getan, hätte Undertaker zumindest Oliver damit gepfählt. Es war klar zu sehen, dass der Blonde ebenfalls ein Ziel des Totengräbers war. Claude verlor durch seine Rettungsaktion allerdings den Großteil seines Schwungs und sprang zur Seite.

„Was willst du mit deinen überdimensionalen Zahnstochern erreichen, Shinigami?“, putzte Claude teilnahmslos seine Brille an seinem Frack und setzte sie wieder auf die Nase: „Damit kommst du nicht weit.“

„Oh, sicher?“, grinste der Bestatter amüsiert: „Und nenne mich nicht Shinigami. Hehe. So hat mich seit Jahren niemand mehr genannt. Kehehehe!“

„Wie auch immer“, Claude schob ein Bein nach vorne und Hannah spannte ihren Körper an: „Gegen uns beide hast du so keine Chance.“

„Au contraire“, lachte Undertaker: „Aber redet ruhig weiter. Mehr Spaß für mich. Hehehe.“

Auf Claudes Gesicht erschien ein von Wut verzerrter Ausdruck. Aber er stürmt ein weiteres Mal auf den Bestatter zu. Auch Hannah erschien neben dem silberhaarigen Mann. Die Füße der Dämonen wollten ihm im Gesicht und der Andere am Hinterkopf treffen, doch der Totengräber griff die Knöchel der beiden Trancydiener und warf sie zu anderen Seite weg. Sie fingen sich ab und landeten sicher.

„Wenn ihr so weiter macht“, fiel der Kopf des nicht menschlichen Leichengräbers zur Seite: „Fu fu fu fu. Brauche ich noch nicht einmal meiner ‚Zahnstocher‘ für euch. Nehehehe!“

Claude und Hannah entfuhr ein gereiztes Zischen.

„Holt die Weiber!“, keifte Oliver von hinten: „Ich will hier… Nah!“

Kaum hatte Oliver seinen zweiten Satz begonnen, schnellte ein weiterer Holzscheit auf ihn zu. Für das menschliche Auge war er zu schnell geflogen. Oliver sah ihn nur, weil Claude los gesprungen war und ihn vor seiner Nase gefangen hatte.

„Wo sind deine Manieren, Oliver?“, lachte der Leichengräber: „So redet man nicht über zwei Damen!“

Doch der bleiche Schreck in dem jungen Gesicht mit den abgrundtief hasserfüllten eisblauen Augen, wich schnell einer satten Zornesröte: „Du! Du kleiner…!“

„Sprich dich aus, Oliver. Nehe!“, lachte Undertaker: „5 habe ich noch.“

„Claude!“

Claude nahm den Holzscheit des Bestatter und stieß damit wie mit einem Degen zu. Mit einem seiner übrigen wehrte Undertaker ihn ab. Die beiden Männer tauschten unfassbar schnell ein paar Schläge, da wollte Hannah dem Totengräber in den Rücken fallen, wofür sie aber nur einen Ellbogen in der Magengrube als Dankeschön bekam. Im Vergleich zu meinem immer noch schmerzenden Knie, hatte der Ellbogen des Bestatters einen sehr wohl sichtbaren Effekt. Hannah fiel auf ihre Knie und hielt sich die Stelle wo Undertaker sie getroffen hatte.

Doch die kleine Ablenkung hatte Claude einen ebenso kleinen Vorteil verschafft. Sein Holzscheit traf den Leichengräber an der Schulter. Das Reißen von Stoff flog durch die Luft und Undertaker trat einen Schritt nach hinten um sich wieder auszubalancieren. In dem Moment setzte Claude nach. Obwohl der Bestatter nun eine defensive Kampfhaltung gerutscht war, wirkte er nicht ansatzweise als sei er in Bredouille.

Im Gegenteil.

Er lachte und giggelte unbeirrt weiter, während er die Tritte und Schläge des Dämons abwehrte oder ihnen auswich. Irgendwann schaffte er es sich mit einem gekonnten Ausweichen hinter den Dämon zu drehen und rammte ihn seinen Absatz ohne Gnade in den Rücken. Claude taumelte auf die Hände, fing sich und sprang einige Schritte von den Inkognito- Sensenmann weg. Der Dämon warf den Holzscheit weg.

„Es reicht. Hannah!“, die Dämonin erschien neben ihm: „Wir machen ernst.“

Sie nickte stumm. Dann klappte sie ihren Mund auf. Sehr weit auf. Zu weit auf… und steckte ihre Hand in ihren Schlund. Sie zog und zog und zog. Mit einem schmatzenden Geräusch riss sie ein in sich gewundenes Schwert von einer komischen blauen Farbe mit einem genau so komischen gelben Schimmer aus ihrem Rachen. Ein zischendes Geräusch ertönte, als Hannah die Waffe, der sie wohl selbst als Schwertscheide diente, einmal kurz durch die Luft fahren ließ.

Claude streckte derweilen seine rechte Hand aus. Unter ihr färbte sich der Boden in ein tiefes teerschwarz und begann zu schwellen. Es stank fürchterlich. Ein großer Einhänder kam hervor geschossen. Das Schwert war pechschwarz. In seiner Klinge waren Rillen ausgespart, durch die das Blut der Gegner abfließen konnte. Der dämonische Butler umfasste mit einer Hand den Griff und zog es aus seinem schwarzen Schlammloch. Die Luft vibriere, als Claude einmal das große Schwert um seine Schultern drehte, bis es auf selbiger zum Ruhen kam.

Diese Schwerter waren mehr als alles Anderen zum töten geschaffen. Es war als verzerrten sie die Realität, die sie direkt berührten in eine höllische Fratze, die man nicht sehen, aber deutlich spüren konnte.

Doch Undertaker lachte. Erst ganz gewöhnlich: „ Wen haben wir denn da? Hehehe! Lævateinn und Dáinsleif“, dann lachte der Bestatter wieder durch die geschlossenen Lippen. Es klang so grausam, wenn er es tat. So kalt, nach Untergang und vollkommener Verdammnis: „Dämonenschwerter. Eh he he! Ich habe lange keine mehr gesehen.“

‚Dämonenschwerter?‘, ich war ein weiteres Mal mit der neuen Welt um mich herum überfordert. Doch verwundert war ich nicht. Diese Waffen waren nicht von dieser Welt.

Claude schob seine Brille hoch: „Dáinsleif ist ein besonderes Schwert. Von ihm geschlagenen Wunden können nie wieder verheilen.“

„Ich weiß, ich weiß. Ich kenne Dáinsleif. Ne he he. Aber du anscheinend noch nicht ganz genau.“

‚Nie verheilen? Bitte was?! Und… er kennt es schon?!‘, es gefiel mir ganz und gar nicht den Bestatter, nur bewaffnet mit einem Stück Holz, den zwei Schwertern gegenüber stehen zu sehen, von dem eins Wunden schlagen sollte, die nie wieder heilen sollten. Noch weniger erschloss sich mir, dass er sich nicht im Mindesten unsicher zu sein schien. Im Gegenteil! Er wirkte so als freue er sich diebisch auf das, was kommen und was folgen möge. Das konnte ich nicht nachvollziehen, da er um den grausamen Fähigkeiten dieses Schwertes Bescheid zu wissen schien. Das war doch verdammt nochmal furchtbar gefährlich!

„Du bist tot“, setzte Claude vollkommen emotionsfrei nach: „ Wenn du Dáinsleif kennst, weißt du wie stark es ist.“

„Um mich ins Grab zu bringen“, Undertaker legte den Holzscheit auf seiner Schulter ab und wischte sich den Pony aus dem Gesicht. Dabei fiel sein Hut zu Boden: „Musst du trotz deines schönen, neuen Spielzeugs noch ein bisschen üben. Tehehe!“

„Wir werden sehen“, raunte der Dämon kalt.

„Dann lasse mich nicht länger warten, Dämon. Ehehe!“

Ein zweites Mal musste er Claude auch nicht bitten. Kaum hatte der Bestatter zu Ende gesprochen waren die Dämonen von ihren Plätzen verschwunden und es erklang ein lautes Klirren.

Das Klirren von Metall auf Metall.

Was unmöglich war.

Denn Undertaker hatte beide Schwerter mit seinem Holzscheit abgewehrt. Ich fragte mich gleichzeitig was für ein Holz das bitte sein musste, denn es hatte nicht eine Kerbe von den Klingen der monströsen Schwerter.

„Was?!“, wurde Hannahs sichtbares Auge größer, als sie meinen Gedankengang zu teilen schien: „Wie kann das sein?!“

„Überraschung“, grinste der Totengräber belustigt und kurz verschwand die Welt in einem gleißendem, grünem Licht.

Ich blinzelte und hielt mir eine Hand vor die Augen. Das Licht schmerzte, so hell war es. Doch ganz schließen konnte ich meine Augen nicht. Was war, wenn Undertaker etwas passiert war? Was war das für ein Licht, verdammt?! Kam es von Claude und Hannah? Hatten sie endgültig ernst gemacht? Es machte mich fast wahnsinnig nicht zu wissen was passierte.

Zwei Schatten flogen durch die Luft. Mehr erkannte ich durch den Lichtschleier nicht. Als er verebbt war, atmete ich erleichtert aus. Die Dämonen lagen auf dem Rasen. Undertaker stand breit grinsend an Ort und Stelle, anstatt dem Holzscheit seine Death Scythe in der Hand.

„Reingefallen, hehe!“, lachte er fies und mehr als nur gehässig.

Mit langsamen Schritten ging er auf den sich aufrappelnden Claude zu und hielt ihn die Spitze seines Sensenblattes unter die Nase: „Ist dir dieser Zahnstocher lieber, Butler? Kehehe!“

Das Wort ‚Butler‘ spuckte Undertaker mit einer Abfälligkeit aus, die das Maß welches er Sebastian immer entgegen brachte weit überstieg.

Als Antwort quoll ein dunkles und erbostes Grollen aus Claudes Kehle: „Sei dir deiner Unsterblichkeit nicht zu sicher!“

„Der Einzige“, das Grinsen des Bestatters wurde kälter, als die Stimme des Dämonenbutlers obwohl eine Menge Pläsier darin lag. Ein dunkles Pläsier. Ein blutiges Pläsier: „Der heute sterben wird“, hob er mit einem langsamen, düster-freudigen Lachen seine Sense mit beiden Händen über seinen Kopf: „He he he. Bist du!“

Die Sense schnellte hinunter. Mit einem Satz entkam der Dämon nur knapp. Undertaker setzte sofort nach und schlug mit runden und drehenden Bewegungen auf den Dämon ein, der nun reichlich in die Enge gedrängt wirkte. Es krachte und schepperte, wenn die Klingen der beiden Kämpfer, hart und brutal, aufeinander krachten.

Was ich sah, konnte ich nicht verarbeiten. Man konnte die beiden Kämpfer nur mit einem Ausdruck beschreiben: Bestialische Eleganz.

So brutal ihre Hiebe und Tritte waren, so weich und flüssig wirkten sie. Nicht halb so kraftvoll, wie sie dem Lärmpegel nach sein mussten.

Hannah wollte Claude zur Hilfe eilen. Doch parierte Undertaker den einen mit der Sense, trat er den anderen mit seinem Fuß weg. Immer im Wechsel. Die Dämonen setzten keinen Treffer. Undertaker selbst zerriss Claude nur das Frack. Der Kampf schien weder vor, noch zurück zu gehen.

„Weg hier!“, hörte ich Olivers Stimme, der sich auch sicher zu sein schien, dass sie trotz doppelter Kampfkraft keinen Vorteil inne hatten: „Wir verschwinden!“

„Wie ihr wünscht, eure Hoheit!“, riefen die Trancydiener angestrengt, aber perfekt synchron. Hannah sprang zurück, griff sich Oliver und verschwand mit einem großen Satz mit ihm über den Zaun. Claude hielt Undertaker bei der Stange, sodass die Beiden sicher fliehen konnten.

„Dein kleines Extra, pahaha!“, lachte der Bestatter Claude abfällig direkt ins Gesicht, als dieser mit seinem Schwert auf seiner Sense hing: „Nützt nichts, wenn du nicht triffst!“

„Irgendwann“, grollte der Butler dämonisch wie er war: „Bekommst du das alles zurück.“

„Für dich gibt es kein Irgendwann mehr, wenn ich mir dir fertig bin, Dämon. Tehehe!“

„Oh doch, gibt es“, fauchte Claude: „Auch du hast Schwachstellen.“

„Zum Beispiel?“, lachte der Bestatter.

„Zwei, die sich nicht wehren können.“

Der Dämon sprang von Undertaker weg in die Höhe. Er zog eine Hand hoch. Etwas blitzte in der untergehenden Sonne auf und surrte durch die Luft. In unsere Richtung! Das Etwas wird uns treffen. Niemand kann das verhindern. Es wird Amy treffen und meine beste Freundin wird wahrscheinlich furchtbar verletzt werden. Ich wollte nicht, dass sie verletzt wird!

„Amy!“, in einem Geistesblitz warf ich mich über sie. Ich war mir egal, doch ich wollte unter keinen Umständen, dass Amy etwas passierte. Ich wollte sie beschützen, egal was es mich kosten sollte und bereitete mich darauf vor von dem, was Claude geworfen hatte, in den Rücken getroffen zu werden.

Doch der Schmerz blieb aus.

Stattdessen schwand auf einmal der Boden unter mir. Mit einem spitzen Aufschrei fielen Amber und ich umeinander geklammert ein paar Zentimeter in die Tiefe.

Der Boden, der uns fing war steinern.

Kopfsteinpflaster.

Hart schlug ich mit meinem Rücken auf und sah für einen Moment viele bunte Sterne hinter meinen zusammengekniffenen Augenlidern.

Ich fühlte mich auf plötzlich furchtbar erschöpft.

Mein Körper brannte ohne ersichtlichen Grund.

Doch das sengende, bedrohliche Brodeln in meinem Nacken. Es war verschwunden.

„Wie?“, hörte ich Amys fragende Stimme nach einigen Augenblicken durch meine Sternchen: „Sind wir denn hier her gekommen?“

Ich öffnete die Augen, blieb allerdings alle Viere von mir gestreckt liegen. Amy kniete mittlerweile neben mir und schaute sich weiter verwundert um. Meine Augen huschten über die Umgebung. Ich glaubte ihnen nicht was sie sahen: Die Landschaft um uns herum war der Irrgarten hinter dem Vampires Castle!

Wir waren genau in der Mitte vor dem großen Steinengel gelandet.

Wie auch immer wir das getan hatten.

„Öhm… Undertaker vielleicht?“

Amy blinzelte weiter durch die Gegend: „Das er so was kann wäre mir neu.“

„Dann“, schüttelte ich langsam den Kopf: „Hab ich keine Ahnung.“

Wie waren wir nur hierher gekommen?

Dann sprang siedend heiß ein ganz anderer Gedanke durch meine Verwunderung. Mein Kopf schnellte zu Amy und ich saß mit einem mal kerzengerade: „Undertaker! Er ist alleine mit Claude!“

„Jap“, hatte sich Amber in einen Schneidersitz gesetzt und wirkte nicht ansatzweise besorgt, was mir schleierhaft war und mich gleichzeitig furchtbar wütend machte. Schließlich war sie ja eigentlich Schuld an der ganzen Misere!

Doch die Phantomhive schien die Situation um den Bestatter nicht als halb so dramatisch zu empfinden, wie ich: „Für ihn fallen gerade Weihnachten, Ostern, Totensonntag und Geburtstag auf den selben Tag“, sie zog eine Augenbraue hoch und schaute überlegend schräg nach oben: „Obwohl keiner mehr weiß wann er Geburtstag hat. Selbst er nicht.“

„Wie?“, fragte ich sie irritiert und verlor aufgrund meiner Verwirrung für einen Moment meinen eigentlichen Gedanken aus dem Auge: ‚Keiner weiß wann er Geburtstag hat? Auch er nicht? Man weiß doch wann man Geburtstag hat!‘

Sie schaute mich an: „Der Mann weiß nicht mal mehr wie alt er ist. Woher soll er denn dann noch wissen wann er Geburtstag hat, du Depp. Außerdem ist er entstanden, da hat noch keiner daran gedacht einen Kalender zu erfinden.“

„Hast ja recht...“, gab ich mich geschlagen. Doch dann fiel mir wieder ein, dass wir gerade ganz andere Probleme hatten: „Doch… Claude hat dieses Schwert. Was ist wenn stimmt was er sagt und die Wunden wirklich nicht mehr verheilen?! Und er Undertaker erwischt?!“

„Was willst du denn tun, sollte es so kommen? Dich in endlosem Todesmut davor werfen?“

„Was weiß ich denn?!“, schnauzte ich die Phantomhive laut an, als meine Wut über ihre fehlende Besorgnis überzukochen drohte: „Du warst bis eben noch ganz wild darauf die Welt zu retten!“

„Ja… Ich gebe ja zu, es lief anders als geplant...“

„Anders als geplant?!“, mir sprang die Hutschnur. Ich nahm sie an den Schultern und schüttelte sie: „Du hattest rein GAR NICHTS geplant, Amy! Du und dein verdammter Dickschädel! Wie oft habe ich dir gesagt, dass das voll in die Hose geht? Habe ich nicht prophezeit, dass es genau so endet?!“

„Ist ja gut!“, schrie mich Amy zurück an und schubste mich ein Stück weg: „Du hattest recht und ich hatte unrecht! Zufrieden?!“

Ich warf meine Hände nach vorne: „Darum geht es doch gerade gar nicht! Es geht darum, dass sich Undertaker gerade wegen uns mit einem Dämon prügelt, der irgendein komisches Höllenschwert mit sich herumschleppt, das schon echt nicht nett aussieht! Wenn Claude dann auch noch die Wahrheit gesagt hat, ist das scheiße gefährlich verdammt noch mal!“

Amy griff sich gequält mit beiden Händen an den Kopf, als sie zu begreifen schien in was für eine Situation wir Undertaker manövriert hatten : „Ich weiß, ich weiß! Man! Aber wir können nichts tun!“

„Es muss doch etwas geben, Amy! Irgendwas!“

Die Phantomhive wedelte verzweifelt mit ihren Händen: „Aber ich weiß nicht...“, dann schaute sie mich mit einer riesigen Erkenntnis in den Augen an und zeigte mit einem hüpfenden Zeigefinger auf mich: „Doch! Doch, ich weiß!“

„Was?!“, rief ich hysterisch.

Wenn Undertaker wegen uns irgendwas passierte, ich weiß nicht was ich dann tun würde. Ich würde meines Lebens nicht mehr froh werden!

Amy zückte ihr Handy: „Ich ruf Sebastian an und schick ihn hinterher. Sobald es um Claude geht ist er Feuer und Flamme!“

„Red nicht lange! Hau in die Tasten!“

Kaum hatte die jüngste Phantomhive ihr Smartphone entsperrt, nahmen ein paar lange Finger es ihr harsch aus den Händen: „Nicht nötig. Lass den Hund in seiner Hütte.“

Amy fiel erschrocken schreiend und mit rudernden Armen wieder auf den Rücken, als Undertaker auf einmal neben ihr aufgetaucht war und ihr grob das Handy wegnahm. Ich schaute mit großen Augen zu dem Shinigami. Es ging ihm gut, zumindest sah ich nichts was auf größere Verletzungen hin deutete. Lediglich die kleine rote Schramme von Halloween schien immer noch matt und fast verheilt aus seinem Gesicht, sein nach hinten gestrichener Pony war etwas wirr, sein Hut fehlte und der äußere Mantel stand immer noch offen. Ein paar der Holzscheide schienen noch durch die Ritzen.

Ich schnellte auf meine Knie: „Undertaker! Geht es dir gut?!“

Doch der Bestatter antwortete mir nicht. Mit verschränkten Armen musterte er uns. Sein rechter Fuß tippte unaufhörlich auf das saubere Kopfsteinpflaster und sein Mund war zu einem geraden Strich verzogen, als uns seine reichlich unbegeisterten grellgrünen Augen erwartend anschauten.

Meine Worte verließen mich bei diesem Anblick sofort. Strauchelnd schreckte ich zurück und setzte mich zwischen meine Füße wieder auf den Hosenboden. Ich hatte das Gefühl der Leibhaftige stand vor mir. Wahrscheinlich tat er es auch. Amy ging es augenscheinlich sehr sehr ähnlich. Doch während ich in eine erschrockene Starre verfiel, krabbelte sie wieder auf ihre Knie und rief aus: „Undertaker, wir…!“

„Hush!“, unterbrach Undertaker Amy mit unbeschreiblich strenger, autoritärer Stimme und gebar ihr sofort zu schweigen, indem er die Hand hob, in der er Amys Handy hielt. Amy und ich stellten sofort und synchron sogar das Atmen ein, um wirklich kein Geräusch mehr machen zu können. Ich hätte nie gedacht, dass er so klingen konnte. Der Bestatter überraschte mich immer und immer wieder. Hinter seinem konstanten Grinsen verbargen sich Seiten, die definitiv nicht witzig waren und gerade sah ich eine davon.

Wenn ich dachte Lowell sei furchteinflößend wenn sie verärgert war, wusste ich nun, dass sie eigentlich aussah wie ein beleidigtes Kätzchen. Denn das Gesicht des Bestatters, garniert mit seinem strickten, kühlen und von jedem Pläsier befreiten Ton. Das war wirklich furchteinflößend. Denn im Vergleich zu letztens schien er jetzt wirklich sauer auf mich zu sein. Auf mich und auf Amy.

„Ich will deine Ausflüchte nicht hören, Amber“, der Totengräber schob seine Hand wieder unter die Andere. Der Ton, mit dem er Amys vollen Namen aussprach, war der Ton eines Erwachsenen, der gerade dabei war ein außerordentlich vorlautes Kind zu schallen: „Ich will wissen wie ihr Beide darauf gekommen seid, es sei eine wunderbare Idee den Wesen hinterher zu schleichen, die euch offenkundig entführen wollen. Wenn nicht sogar Schlimmeres. Welcher Teufel euch geritten hat, das interessiert mich wirklich brennend.“

Brennen würde hier gleich nur eins: Mein Gesicht.

Denn mir war sämtliches Blut was ich hatte in den Kopf geschossen und pulsierte schmerzhaft durch meine Venen. Es hämmerte gegen meinen Schädel wie eine Abrissbirne. Es könnte daran liegen, dass ich immer noch nicht atmete. Denn der Totengräber war nun nur allzu offensichtlich wirklich mies gelaunt: „Warum denkt ihr veranstalten wir so einen Zirkus, damit euch nichts passiert, hm? Weil die Trancys ja eigentlich gar nicht so gefährlich sind und wir eigentlich nur nichts Besseres zu tun haben? Habt ihr den Verstand verloren?“

Ich schaute auf das Kopfsteinpflaster und blieb stumm wie ein Fisch. Ich schaffte es nicht in dieses Gesicht zu schauen, was ich eigentlich so gerne mochte. Diesen Ausdruck ertrug ich einfach nicht.

„Ihr sollt mir jetzt übrigens antworten“, setzte er nach zwei Minuten mit immer noch tippenden Fuß nach, die Amy und ich uns weiter auf schweigen, starren und beten beschränkt hatten.

„Wir… also… nein“, Amy ließ mit einem Seufzen ihren Kopf hängen: „Sky hat nichts gemacht. Wirklich. Sie hat die ganze Zeit probiert mich davon abzuhalten...“

Ich schüttelte den Kopf und meine hängenden Augen wanderten zu meiner besten Freundin, als ich es kurz schaffte meine dünne Stimme an dem riesigen, mich würgenden Kloß in meinem Hals vorbei zu schieben: „Wir, Amy... Mitgehangen, mitgefangen...“

Amy schaute mich mit einem verwundert fragenden Blick an.

„Eure Loyalität in allen Ehren“, schnitt die strenge Stimme des Totengräbers durch die Luft: „Eine Antwort von euch habe ich immer noch nicht. Nun?“

„Ich...“, begann Amy: „...Wir… Wir wollten… eigentlich nur einen Kaffee trinken und...ja ...“

„Da dachtet ihr es wäre eine fabulöse Idee die Trancys zum nachmittäglichen Kaffeekränzchen einzuladen.“

Dieser Satz hätte lustig sein können, hätte er ihn nicht so ausgesprochen, wie er ihn ausgesprochen hatte.

„Nein…“, schüttelte Amy den Kopf. Sie schaute wie ein geprügelter Hund zu dem Bestatter hinauf: „Wir haben sie zufällig auf der Straße gesehen und da dachte ich… wir können die Gelegenheit beim Schopfe packen.“

„Die Einzigen, die hier am Schopfe gepackt wurden, seit ihr, meine Damen.“

„Ich weiß“, druckste Amy: „Es war keine… sonderlich weise Entscheidung.“

„Die Einsicht kommt ein bisschen zu spät, findest du nicht auch?“

„Ja...“

„Ich habe“, Undertaker stemmte die linke Hand, in der er immer noch Amys Handy hielt, in die Hüfte. Mit der Anderen fuhr er sich kopfschüttelnd und einmal tief ein- und wieder ausatmend durch den Pony, bis er auch sie an die Hüfte legte. Seine strickte Stimme war ruhig, doch alles andere als angenehm: „In meinem langen Leben schon unsagbar viel erlebt, aber nur selten ist mir etwas so unfassbar Dummes unter gekommen. Ihr habt selbst Ciel um Längen geschlagen, meine Damen. Und das ist eine Leistung, die ihres Gleichen sucht. Was dachtet ihr könntet ihr tun, außer euch umbringen zu lassen? Ihr wart dort draußen mutterseelenallein. Dass ich euch zur Hilfe eile war übrigens vom Schicksal nicht vorgesehen. Ich habe einen Herzinfarkt bekommen, als William mich in meinem Laden anrief und mir erzählte, dass Skylers Name auf der Liste steht.“

Mein Kopf flog hoch und mein Herz blieb endgültig stehen: „Mein… Mein...“

„Was?!“, rief Amy aus: „Skyler sollte sterben?“

„In der Tat. Sollte sie. An Blutverlust.“

‚Blutverlust? Aber… Hannah hatte mich doch gewürgt‘, ich war viel zu erschrocken um meine Gedanken auszusprechen.

Ich hätte sterben sollen?

Diese Information hatte mir einen harten Schlag in meine Magengrube versetzt und mir war furchtbar übel geworden. Doch nun war ich mir sicher, dass unsere Tortur noch um einiges weitergegangen wäre, hätte Undertaker nicht ungeachtet aller Widrigkeiten interveniert.

Mit einem erneuten Kopfschütteln fuhr der Bestatter fort: „Wie habt ihr euch denn vorgestellt, endet euer kleines Abenteuer, hm? Grell ist wie von der Tarantel gestochen in Williams Büro geplatzt und hat ihm wie eine Furie seine Liste unter die Nase gehalten. Ihr solltet den Beiden untertänigst danken, wenn ihr sie das nächste Mal seht.“

Dann hob er seinen ringlosen Zeigefinger: „ ‚Einmischen in die Angelegenheiten der Menschen‘ “, er klappte den Mittelfinger auf: „ ‚Einmischen in den Lauf des Schicksals‘ “ , der Ringfinger folgte: „ ‚Eigenmächtiges Ändern von Todesdaten, ohne Erlaubnis der Administrative‘ “, der kleine Finger: „ ‚Zurückhaltung von Information gegenüber der Führungsebene‘ “, und zu Letzt der Daumen: „ Und ‚Weitergeben von Informationen an Ausgetretene‘. Das sind die fünf Regeln, die William alle auf einmal gebrochen hat, indem er mich anrief und mir erzählte das, wann und vor allem WO du sterben sollst, Skyler. Hätte er mir nicht von sich aus alle Informationen gegeben, hätte ich euch erst suchen müssen. Dann wären wir alle aufgeschmissen gewesen. Denn dann wäre ich nicht mehr pünktlich gekommen. Ich hätte erst eine Ahnung gehabt wo ihr überhaupt seid, als euch die Dämonen die Ketten abgerissen haben. Ich bin schon so gerade einmal 2 Minute vor deinem eigentlichen Todeszeitpunkt bei euch angekommen, Sky“, er hob noch einmal seinen langen Zeige- und Mittelfinger: „2 Minuten. 120 Sekunden. Vielleicht versteht ihr jetzt, wie knapp ihr eigentlich mit eurem Leben davon gekommen seid.“

Kalter Schock ließ mich komplett einfrieren. Mein Körper versagte mir jede aktive Bewegung. Doch zittern konnte er. Zittern wie Espenlaub.

Die Farbe aus meinem Gesicht war verschwunden. Meine Hände waren steif und klamm geworden. Mein Gehirn raste.

Eigentlich sollte ich jetzt schon tot sein. Einfach weg. Nicht mehr da.

Mein Kopf suchte ratternd nach dem wie. Ich war nicht erwürgt worden, also hätte noch irgendetwas passieren müssen. Ich dachte nicht das Undertaker so kurz vor knapp zu uns gestoßen war.

Was wäre passiert?

Nach ein paar strapaziösen Sekunden fiel es mir ein. Die Schnapsidee!

Ich hatte vorgehabt Hannah zu linken und Amy zur Hilfe zu eilen.

Jetzt wurde mir klar, dass mein Einfall nicht von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte mich die Dämonin bei dem Versuch Amy zu retten einfach umgebracht. Schließlich war die Phantomhive Olivers primäres Ziel gewesen.

Amys Mund stand für ein paar Sekunden offen, bis sie überfordert schluckte: „2… 2 Minuten?“

Undertaker hatte derweilen seine Arme wieder verschränkt und musterte unseren Schock mit mitleidloser Mine: „Ja, 2 Minuten. Das Schicksal zu ändern ist schwierig, wenn man keine Liste hat. Doch ich war gezwungen genau das zu tun, ansonsten würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen. Denn dann wärst du tot, Sky und du, Amy, würdest gefesselt und geknebelt in den Kerkern der Villa Trancy hocken und der Dinge harren die da kommen mögen, während wir versuchen die Scherben zusammen zu kehren, die ihr uns hinterlassen habt. Hätte ich auch nur einen falschen Schritt zur Seite getan, wäre Zappenduster eine sehr nette Beschreibung für alles gewesen, was euch noch erwartet hätte. Alexander und Ronald hatten schon den Verdacht geäußert, dass genau so etwas passieren könnte als wir uns beratschlagt haben. Erinnerst du dich, Amy? Was habe ich ihnen geantwortet?“

Amy schaute zu Boden und kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum.

Doch sie sagte nichts.

„Ich möchte, dass du es aussprichst, Amber“, hörte man Undertakers Geduldsfaden deutlich kürzer werden.

„Die Mädchen sind nicht blöd...“, nuschelte sie.

„Lauter.“

„Die Mädchen sind nicht blöd!“, rief sie mit zusammengekniffenen Augen: „Du hast gesagt wir seien nicht blöd, verdammt!“

„Genau“, er seufzte langsam mit schrecklich geradem Mund durch die Nase: „Ich habe mich wohl geirrt.“

„Oh mein Gott...“, ich versteckte das Gesicht in meinen Händen. Mir stiegen die Tränen in die Augen, als der volle Umfang der Worte des Totengräbers mich endgültig erreicht hatte. Ich hatte mein Leben mehr aufs Spiel gesetzt, als mir bewusst gewesen war. Doch was ich als viel schlimmer empfand war, dass ich den Bestatter, der mir eh schon am laufenden Band das Leben rettete, so sondergleichen enttäuscht hatte: „Wir haben Mist gebaut… Es tut mir so... so unendlich leid...“

„Mist ist weit untertrieben. Ihr habt euch wissentlich und vor allem willentlich in eine Gefahr gebracht, die ihr euch in euren schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könnt. Doch wozu? Warum zum Himmel und zur Hölle habt ihr das getan?“

Sprachlos rieb ich mir mit dem Fingerknöchel die Tränen aus den müden Augen und schaute Amy an. Sie krallte ihre Hände in ihre Hose und ihre Stimme zitterte unter einer Horde unterdrückter Tränen: „Ich… Ich wollte auch mal etwas tun… Immer… Immer! Wirklich immer sagen alle nur ‚Pass auf Amy auf‘, ‚Bring Amy hier weg‘. Ich… Ich hasse es! Ich bin eine Phantomhive, verdammt! Und trotzdem total nutzlos! Ein Klotz am Bein! Das kann doch nicht sein! Fred schlägt sich tagtäglich neben seinem Studium mit Mördern und Verbrechern herum und bewirkt was! Er ist nützlich! Ich… Ich tauge zu gar nichts! Ich habe gedacht, jetzt… jetzt könnte ich mal etwas tun… Ich wollte wissen wo Oliver und Claude hin wollten. Ich hoffte ich konnte herausfinden, wer der Engel ist und damit… endlich mal… nützlich sein!… Doch… ich habe gar nichts geschafft… mal wieder… Ich bin einfach nur eine Vollniete und ein totaler Versager… Sky habe ich auch in Gefahr gebracht… in Lebensgefahr sogar!… Und dich… Dich auch...“, sie krallte ihre rechte Hand über ihrem Herzen in ihr Oberteil und machte einen erstickenden Laut: „Ich bin so ein verdammt blöder Egoist...“, hauchte sie gequält und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen. Ich hörte ein leises Schluchzen.

Ich krabbelte zu ihr herüber und nahm sie in den Arm.

„Es tut mir leid, Sky“, schluchzte sie durch ihre Hände und legte ihren Kopf auf meine Schulter: „Ich hätte auf dich hören sollen… Wenn du gestorben wärst, ich...“, die Phantomhive drückte mich fest an sich und zitterte. Der Rest ihres Satzes wurde erstickt von meiner Schulter, in der sie ihren Kopf versteckte und von ihrem Schluchzen, was sie zu unterdrücken versuchte aber nicht schaffte.

Mit einem Seufzen setzte sich Undertaker in einem Schneidersitz zu uns auf den Boden: „Ja, hättest du. Keine Information der Welt ist es wert, dass euch etwas passiert“, dann legte er ihr mit einem zweiten Seufzen die Hand auf die Haare, was Amy dazu brachte ihr Gesicht auf meiner Schulter zu dem Bestatter zu drehen: „Aber es ist ja alles noch einmal gut gegangen. Irgendwie, aber es ist gut gegangen. Wir leben alle noch. Das ist die Hauptsache.“

Amy warf ihre Arme nach vorne: „Gut gegangen?! Papa bringt mich um!“

Undertakers Kopf kippte zur Seite und ich hatte das Gefühl mein Herz fing erst wieder an zu schlagen, als ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erschien. Die Spannung zwischen uns verschwand mit diesem unerwarteten, breiten Grinsen: „Tihihi! Was der Earl nicht weiß, macht den Earl nicht heiß!“

„Wie?“, fragte Amy mit tränenschwerer Stimme.

Er verwuschelte Amys wilde Haare, nahm dann die Hand heraus und hielt ihren Handrücken vor seinen giggelnden Mund: „ Fu fu fu! Er kann dich nicht umbringen, wenn er nicht weiß wofür.“

„Soll das heißen... du hältst dicht?“, fragte die jüngste Phantomhive in totalem Unglauben und richtete sich auf. Ich ließ von ihr ab und sackte ein Stück zusammen.

Ich war müde.

So unsagbar und furchtbar müde.

Die Aufregung und dieses furchtbare Gefühl in meinem Nacken, als wir den Trancys gefolgt waren. Der Schreck, als sie uns in dem Park erwischt hatten. Die Sorge um Undertaker, der sich mit den zwei Dämonen und ihren fürchterlichen Schwertern herum geschlagen hatte. Dieses plötzliche Gefühl von Schwäche, als wir im Swan Gazebo gelandet waren und dann noch Undertakers Standpauke und die Offenbarung, dass ich eigentlich tot sein sollte. All das hatte mein Nervenkostüm merklich in Mitleidenschaft gezogen.

Undertaker nickte grinsend: „In der Tat. Ich schweige wie ein Grab“, dann hob er einen Zeigefinger: „Vorausgesetzt ihr versprecht mir hoch und heilig, dass dies die erste und letzte eigenmächtig in Angriff genommene Heldentat von euch war.“

„Wir versprechen es“, beteuerten Amy und ich untertänigst im Chor.

„Ich weiß allerdings nicht wie es um die Schweigsamkeit von Grell und William bestellt ist“, mit diesen Worten drückte er Amy kichernd ihr Handy wieder in die Hand: „Hihihi! Es ist schon erstaunlich. Ihr rennt ständig mit diesen kleinen Dingern in der Hand herum und tut etliches damit. Doch wenn sie nützlich wären benutzt ihr sie nicht. Fu fu fu fu!“

Amy sah ihn recht zerknirscht an.

Der Bestatter stand auf und hielt uns beide Hände hin: „Nun kommt, hehe. Das war definitiv genug Aufregung für einen Tag.“

Mit einem Ruck zog er uns auf die Füße: „Ihr seid in Ordnung?“

Ich nickte stumm.

„Ja“, sprach Amy für uns beide: „Uns ist nichts passiert.“

Bei dieser Aussage fiel meine Blick auf die große blutig Schramme an Undertakers Schulter: „Aber… aber dir...“

Ich fühlte mich so mies. Nur wegen unserer Blödheit war der Bestatter verletzt worden.

„Ach, das ist nichts“, grinste er aufmunternd. Dann drehte er meine Hand. Es war die Hand, an der mir die zwei Fingernägel abgesplittert waren. Meine Nagelbetten bluteten immer noch: „Das sieht schmerzhaft aus.“

Ich schüttelte den Kopf: „Ach Quark. Für das, was alles hätte passieren können… sollen... bin ich wirklich glimpflich davon gekommen… Dank dir, Undertaker… Danke...“

Der Bestatter seufzte lachend: „Haaaaaa… Nehehehe! Ihr beiden habt mich zu Tode erschreckt! Das ist gar nicht so einfach. Wäre dieses Unterfangen nicht so zum himmelschreiend dumm gewesen, würde ich euch dafür meinen tiefen Respekt aussprechen.“

Dann ließ er unsere Hände wieder los.

Amy verschränkte die Arme: „Das wäre sicherlich alles ganz anders gelaufen, hätten wir Hannah gesehen. Ich wette Claude hat mir ihr telefoniert und sie war eigentlich diejenige, die uns bemerkt hat!“

Ich ließ seufzend die Schultern hängen: „Ich habe sie gesehen...“

„Wie bitte?!“, entfuhr es die Phantomhive: „Warum sagst du denn nichts?! Das hätte alles wie am Schnürchen laufen können!“

Mein Kopf flog schon wieder fast wütend zu ihr herum: „Weil ich nicht wusste, dass Hannah Hannah ist vielleicht? Man, Amy! Du Hohlfrucht!“

„Ich bin keine Hohlfurcht! Wer weiß, was wir herausbekommen hätten! Man! Wie ärgerlich!“

„Hast du sie noch alle?!“, rief ich ihr kopfschüttelnd entgegen.

„Natürlich hab ich sie noch alle! So kompliziert kann das doch nicht sein! Dad und Fred machen sowas mittlerweile im Schlaf!“

„Alexander und Frederic haben ganz andere Grundvoraussetzungen als wir!“

„Trotzdem muss das doch zu schaffen sein! Mit der Info, dass Hannah hinter uns steht hätte sich alles geändert! Wir hätten… Au, au, au, au!“

Amy konnte ihren Satz nicht beenden, denn der Bestatter hatte mit zuckender Augenbraue jeweils eins unserer Ohren gegriffen und zu sich gezogen. Er schüttelte uns daran vor und zurück: „Habt ihr Beiden mir überhaupt zugehört!“

„Wir ergeben uns!“, riefen Amy und ich aus einem Munde.

Der Bestatter hörte auf uns zu schütteln, doch hielt er unsere Ohren weiter fest: „Ihr zwei Grazien solltet trotz allem ja nicht denken mit eurer verspäteten Einsicht sei die Sache ausgestanden!“

Ich blinzelte zu ihm hoch: „Wie meinst du das?“

„Na! Ihr beiden steht mächtig in meiner Schuld. Tehehehe! Findet ihr nicht?“

„Diese Aussage...“, Amy seufzte geschlagen: „Ist der Anfang unsere Endes, oder?“

„Nein“, lachte der Bestatter: „Aber ich finde ihr könntet mir einen kleinen Gefallen tun. Nihihi!“

„Du“, stockte ich kurz: „Bestrafst uns?“

Verdient hatten wir es. Alle male.

„Hihi. Wenn du es so nennen möchtest. ‚Gefallen tun‘ gefällt mir allerdings besser. Fuhuhu.“

„Was“, runzelte Amy mit einem halb zusammen gekniffenen Auge aufgrund der langen Finger an ihrem Ohr die Stirn: „Für einen Gefallen denn?“

„Nun ja“, grinste Undertaker uns entgegen: „In meinem Laden könnte mal wieder Staub gewischt werden. Ich finde es, fu fu fu, über alle Maßen fabelhaft, dass ihr euch so freiwillig dafür meldet.“

Amy seufzte ein weiteres Mal: „Ich weiß nicht ob ich erleichtert bin, dass dieser Gefallen nichts mit Toten zu tun hat, oder ob ich Angst davor haben sollte...“

Doch Undertaker lachte uns nur entgegen und setzte sich in Bewegung: „Für heute reicht es allerdings erst einmal“, wie stolperten unserem Ohr hinterher, das der Bestatter mit sich nahm: „Ich erwarte euch übermorgen um 17 Uhr bei mir, meine Damen! Seid pünktlich!“

„Aua!“ zeterten Amy und ich im Chor, als Undertaker uns an unseren Ohren Richtung Eingangstür des Vampires Castle zog.

Vor der Treppe des Wohnheims ließ Undertaker unsere Ohren endlich los. Er verschränkte dieses Mal grinsend seine Arme: „Nihihi. Ihr werdet jetzt auf euer Zimmer gehen und gut daran tun, es heute nicht mehr zu verlassen.“

Wir nickten untertänigst mit dem Kopf.

„Es tut mir Leid, Undertaker“, hauchte Amy: „Wirklich...“

Undertaker schüttelte allerdings nur mit einem seichten Schnauben den Kopf: „ Ich kann mir vorstellen wie schwer es ist eine Phantomhive zu sein und dich zum Teil sogar verstehen. Doch Entschuldigungen ändern nichts, Amy. Es ist gelaufen, wie es nun mal gelaufen ist. Ich kann nichts anderes tun, als mich auf euer Versprechen zu verlassen. Und das tue ich auch, hört ihr?“

Wir nickten stumm.

„Nehehe. Und jetzt nutzt den Rest des Abends um euch zu beruhigen. Ach ja! Wie lief eigentlich eure Klausur?“

Amy und ich sahen verstimmt einander an und dann zu dem grinsenden Totengräber.

„Total scheiße“, seufzte Amy.

„Voll in den Sand gesetzt“, bestätigte ich sie: „Lowell dreht uns durch den Wolf.“

Der Bestatter lachte: „Fuhuhu! So schlimm wird es schon nicht sein!“

„Oh doch...“, antworteten Amy und ich im Chor.

Mit einem abschließenden belustigten Schnauben giggelte Undertaker uns an: „Na, na, hehe! Ihr werdet das schon durchstehen. Ich glaube an euch.“

Dann hielt er uns unsere Ketten vor die Nase. Ich hatte bis jetzt keinen Gedanken daran verschwendet, dass wir sie ja verloren hatten: „Hier, ehehe. Ich gebe euch übermorgen eine neue Kette dafür. Steckt sie solange in die Tasche. Und nun kusch! Rein mit euch!“

Amy nahm ihre Kette und winkte: „Bye, Undertaker… und danke nochmal.“

Ich schaute nach schräg unten, nachdem ich meine Kette genommen hatte. Es fiel mir immer noch schwer den Bestatter in sein hübsches Gesicht zu sehen: „Mach‘s gut… Bis… bis übermorgen… Danke..“

Dann ging ich hinter Amy her zum Wohnheim. Ich musterte den Anhänger an seiner zerrissenen Kette. Bei dem Anblick der Kette fiel mir etwas ein, dass ich heute unbedingt noch gemacht haben wollte. Doch der ganze Schreck und Trubel hatte es verdrängt.

Ich haderte kurz mit mir selbst, blieb auf der Treppe stehen und drehte mich um. Ich sah noch Undertaker den Gehweg entlang laufen. Im Gang knöpfte er seinen Mantel zu.

Ich entschloss mich ihn heute nicht wegen der Campania auszufragen. Es brannte mir unter den Nägeln, nein, sogar auf der Seele, doch für heute hatte ich jedes Recht darauf verspielt.

Ich konnte mir denken, dass er von dem Thema nicht begeistert war, so wie er Ronald in Othellos Labor deswegen angefunkelt hatte. Ronald hatte ein Gesicht gemacht, als habe er begonnen mit der puren Verheerung zu rechnen. Vielleicht sollte ich das Thema ganz Schweigen lassen. Doch Zombies… So viele Tote und Ronalds Erzählungen. Als Ron von der Campania erzählte klang es fast so, als hätte Undertaker die Rolle des Antagonisten gehabt. Aber Undertaker war kein Antagonist. Antagonisten ziehen nicht los und retten kleine, dumme Mädchen vor bösen Dämonen. Das war etwas, was Helden taten… Legenden…

„Kommst du?“, Amys Stimme ließ mich aus meinen Gedanken fahren und den Kopf zu ihr drehen. Sie stand im Türrahmen und wartete auf mich.

Ich schaute ein letztes Mal dem Bestatter hinter her, der schon einige Meter weiter gegangen war, doch dessen lange, silberne Mähne ich über all und auf hunderte Meter erkennen würde.

„Ja“, sagte ich schließlich und wandte mich zur Tür: „Ich komme schon.“
 

Undertaker
 

Ich konnte nicht behaupten, dass ich viel erholsamen Schlaf gefunden hatte, auch wenn ich erschöpfter war als ich mir selbst gegenüber zugeben wollte.

Ich lag noch lange wach und wälzte meine Gedanken und Gefühle. Alte schwappten über Neue, nur um wieder von den Alten verdrängt zu werden.

Meine innere Unruhe verwirrte und vor allen Dingen störte sie mich. Denn unruhig war ich wirklich nur sehr sehr selten.

Irgendwann gegen 2 Uhr nachts war ich aufgestanden und durch den großen Irrgarten der Familie Phantomhive gewandert. Die Blüten der weißen und roten Rosenhecken, aus denen er bestand, hatten schon ihren Kampf gegen den hereinziehenden Winter aufgegeben.

War es kälter als sonst? Ich konnte es nicht sagen. Es fühlte sich einfach gleich an. Kälte fühlte sich einfach immer gleich an. Ich wusste nicht mehr wie es war zu frieren.

‚Ich würde es nicht vermissen‘, erinnerte ich mich daran wie ich mich einmal bei einer Tasse Tee im Wintergarten mit Vincent unterhalten hatte, während meine Füße mich wie von selbst den bekannten Weg durch den Irrgarten führte, der mich nun schon seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr verwirren konnte: ‚Es ist ein lausiges Gefühl. Genau wie Erkältungen. Sei froh davon nichts zu wissen.‘

Daraufhin hatte sich der Earl die Nase geschnäuzt: ‚Schnupfen ist übrigens auch nichts, um das man sich reißen müsste.‘

Während ich angefangen hatte den verschnupften Earl auszulachen, hatte dieser sein Taschentuch in die Hosentasche gesteckt: ‚Was macht einem Sensenmann noch Angst, Adrian?‘

Mein Lachen war zu einem Giggeln geworden: ‚Hihihihi. Wenn du so fragst. Die Dornen des Todes, wahrscheinlich.‘

‚Und dir?‘

Ich hatte mich zurück in meinen Stuhl gelehnt: ‚Njaaaaa… Langeweile.‘

‚Nur Langeweile?‘

‚In der Tat.‘

‚Das klingt… langweilig‘, hatte Vincent nasal wegen seiner verstopften Nase gelacht.

‚Tehehehe! Ja, es ist recht ironisch. Hihihi! Aber wozu habe ich dich?‘

Ich stoppte und schaute auf den Rasen: „Hatte… ich dich...“

Ich schaute auf das Manor, das über den Rosenhecken deutlich zusehen war. Sie brannte nicht. Natürlich tat sie das nicht. Doch ich wusste nur noch allzu genau wie sie brennend aussah. Ich wusste noch genau wie heiß es gewesen war…

Hitze… Ich hasste Hitze…

Auch hatte sie Sebastian immer Originalgetreu wiederhergestellt, egal wie oft sie zusammengebrochen war. Es waren einige Male gewesen, doch davon war ihr nichts anzusehen. Selbst der zerstörte Ballsaal stand wieder in voller Pracht und als sei nie etwas gewesen.

Von außen hatte die Zeit an der Villa Phantomhive keine Spuren hinterlassen, doch innen hatte sie etliche Generationen gezeichnet. Nicht durch Beschädigungen. Sebastian hatte sicherlich - würde man es zusammen rechnen - Jahre damit verbracht Wachsmalkreide zu überstreichen, verschüttete Getränke und Essen aufzuwischen, Löcher durch Halterungen von Gemälden zu zukitten, Schlieren von Kinderspielzeug vom Boden zu schrubben und abgeblätterten Putz zu erneuern. Doch das Mobiliar hatte sich verändert. Jede Generation hatte so einen Teil von sich zurück gelassen.

Seufzend ging ich weiter meiner Wege, bis sie mich zurück ins mein verhasstes Gästebett trugen. Durch die viel zu weiche Matratze hatte ich Rückenschmerzen und ich erwog kurz auf dem Boden zu schlafen, oder die Särge von der Halloweendeko zu suchen. Doch Sebastian versteckte sie immer gut vor mir. Ich musste den Butler hoch anrechnen, dass ich bis jetzt noch nicht herausgefunden hatte wo.

Selbst die Phantomhives wussten es nicht und der Butler tat natürlich wortwörtlich einen Teufel es mir zu verraten. Solche Kleinigkeiten wie Rückenschmerzen waren seine Rache für so vieles Vergangenes, was der nachtragende Dämon mir immer noch reichlich übel nahm und immer übel nehmen wird. Freunde werden ich und der Butler wohl nie mehr werden. Auch keiner von uns hatte die Intension dazu. Was uns davon abhielt den anderen auseinander nehmen zu wollen, war die Einsicht, dass der jeweils andere praktisch war.

Irgendwann in dieser verdammten Nostalgie fielen mir die Augen zu.
 

Bis schließlich der Butler bei mir im Zimmer stand: „Ich wünsche einen guten Morgen.“

Meine Augen öffneten sich nur langsam, obwohl mich die Stimme des Dämons sofort geweckt hatte. Tief war mein Schlaf auch wirklich nicht gewesen. Lieder schwer wie Blei, wanderten meine Augen zu ihm, ohne dass ich den Kopf drehte: „Guten Morgen, Butler.“

„Hast du gut genächtigt?“

„Das interessiert dich doch einen feuchten Dreck. Ehehehe!“

„In der Tat“, lächelte Sebastian kalt: „Doch die Etikette gebietet mir, mich danach zu erkundigen.“

„Tue uns Beiden doch einfach den Gefallen und lasse die Etikette sausen. Tehehehe! Ist ja furchtbar!“

„Was wäre ich denn für ein Butler, wenn!“, rief der Dämon empört auf und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Ich setzte mich auf. Mein Rücken knackte. Ich fühlte mich nur selten wie 200.000, doch gerade tat ich es. Der Dämon neigte den Kopf: „Das Frühstück steht gleich bereit. Die Sensenmänner müssen heute früh aufbrechen, um zur Arbeit anzutreten.“

Ich warf meine Beine aus dem Bett: „Nehehehe! Arme Tröpfe.“

„Gerade du müsstest doch wissen, dass Arbeit sehr erfüllend sein kann.“

Ich lachte schrill: „Doch gerade ich weiß, dass es diese Arbeit nicht ist. Tehehehe! Oder sieht William für dich erfüllt aus, Butler?“

„Mr. Spears genießt es zu leiden“, kontert der Dämon: „Von diesem Standpunkt aus gesehen denke ich, dass er gerade mit seinen Kollegen das große Los gezogen hat.“

Ich lachte schriller: „Nihihihihi! Wie fies du bist!“

„Ich bin ein Dämon.“

„Das brauchst du mir nicht zu erzählen.“

Ich stand auf. Ein weiteres Knacken. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie froh ich war heute wieder nach Hause fahren zu können und die Nächte wieder in meinen Särgen zu verbringen. Vor allem meine Lendenwirbel freuten sich fürchterlich darauf.

„Wir erwarten dich um 8 Uhr im Wintergarten“, verschwand er durch die Tür.

Ich seufzte. Wenn man etwas am frühen Morgen nicht brauchte war es Sebastians offenkundig geheuchelte Freundlichkeit.

Ich lehnte mich mit einer Hand auf die Kommode und hielt mir mit der Anderen meinen schmerzenden Rücken: „Oh… verdammt seien alle Matratzen dieser Welt...“

Dann stemmte ich auch die Zweite in den Rücken und bog mich nach hinten. Es knackte an vier Stellen gleichzeitig: „Heijeijeijei… Ich glaube ich werde alt...“

‚Man ist so alt wie man sich fühlt‘, klang der Nachhall von Vincent Stimme in meinem Kopf.

Ich legte die Hand über die Augen. Warum gingen diese Gedanken nicht weg? Das Schlimme war nicht, dass sie da waren. Ich erinnerte mich gerne an meine alten Freunde. Doch es war schlimm, dass es im Moment so unendlich bitter schmeckte, es zu tun.

Verfolgt von Jahrzehnte und Jahrhunderte alten Erinnerungen verließ ich mein Zimmer und ging ins Bad gegenüber.

Ich fragte mich, ob die Müdigkeit die mich plagte wirklich von zu wenig Schlaf geprägt war, oder ob ich wieder an einer der Stellen meines Lebens angekommen war, wo mich eine gewisse Lebensmüdigkeit ergriff. In knapp 200.000 Jahren Existenz konnte ich mich nicht dagegen erwehren, dass sie mich hin und wieder überkam. Doch so schnell wie sie kam, verging sie eigentlich auch wieder. Nur hatte sie sich bis jetzt nie so schwer angefühlt.

Seufzend stellte ich mich unter die neumodische Dusche und rubbelte mir das Wasser durch mein müdes Gesicht. Es fühlte sich dadurch nur leider nicht wacher an.

Das Wasser hatte keine Temperatur. Es war einfach nur nass.

Ich drehte den Regel ein Stück nach rechts.

Nichts.

Noch ein Stück.

Wieder nichts.

Ganz nach rechts.

Immer noch nichts.

Warum mich mein fehlendes Temperaturempfinden auf einmal so dermaßen störte, konnte ich nicht benennen. Aber ungefähr so musste es sich anfühlen Tod zu sein. Der Witz an der Sache war nur, dass ich es nicht war. Wahrscheinlich fühlte es sich deswegen so sondergleichen falsch an. Wer fühlt sich denn schon gerne lebendig tot?

Frustriert shampoonierte ich mir die Haare. Seife lief mir in die Augen und hinterließ ein dumpfes Surren. Nur ein Hauch des Gefühls von Schmerz, was weitere Frustration mit sich zog.

Ich verließ die Dusche, zog mich wieder an und versuchte mir die Haare durchzukämmen was immer eine etwas langwierige Prozedur war und meine Gedanken wenigstens für den Moment, den es dauerte, ganz ergriff.

Föhnen tat ich sie nie. Ich sah danach eh nur aus wie ein Collie, den man mit dem Elektroschocker frisiert hatte. Zumindest hatte mir das Julius - Alexanders Vater - vor einigen Jahren mal lachend unterbreitet, als der damals noch 6 Jahre alte Alexander meinte mir unbedingt die Haare föhnen zu müssen, weil es zu dieser Zeit Winter gewesen war und ich ja krank werden könnte. Waren Kinder nicht herrlich und auch noch so herrlich naiv?

Aber auch Julius war viel zu früh gegangen. Und viel zu lange. Kleinzelliger Lungenkrebs sorgte dafür, dass wir ein halbes Jahr mit ansehen mussten, wie er von uns ging. Jeden Tag ein kleines Stückchen mehr… Im zarten Alter von 43 Jahren fand sein Leidensweg endlich sein Ende.

Ich verließ das Bad.

So leidlich das Abtreten des letztens Earls auch gewesen war, genau so sehr hatten es sich alle irgendwann gewünscht. Nicht, weil wir Julius das Leben nicht gegönnt hatten, sondern weil er es nicht verstecken konnte wie sehr er litt. Selbst die moderne Medizin konnte dagegen nur marginal viel tun und auch Sebastian hatte einsehen müssen, dass er dem Tod gegenüber machtlos war. Der damals 16-jährige Alexander war so wütend auf die Welt gewesen, die ihn sein Vater so melodramatisch am nehmen war.

‚Das ist doch nicht richtig!‘, hatte er eines Tages vor nun mehr 28 Jahren in meinem Laden gesessen: ‚Warum passiert so etwas?!‘

‚Weil es der Lauf der Dinge ist. Menschen sterben, Alex.‘

‚Aber so?!‘

Ich hatte ihn damals seine Trauer und seine Frustration nicht absprechen können. Aus dem Grund, da ich sie teilte: ‚Niemand kann etwas daran ändern. Du weißt es.‘

‚Ich fühle mich schlecht, Undertaker! Ich fühle mich schlecht, weil ich will, dass es endlich vorbei ist!‘

Damals war der Earl noch viel emotionaler gewesen. Heute schien es noch durch, wenn sich jemand an seiner Familie oder seinen Freunden vergreifen wollte. Doch als junger Mann hatte er seinen Empfindungen immer sofort und mit losester Zunge Luft gemacht: ‚Was bin ich denn bitte für ein Sohn, verdammt?!‘

Die Hand an der Klinke blieb ich kurz stehen.

Ich wusste noch genau, dass ich damals auf seine Aussage hin den Kopf geschüttelt hatte. Gelacht hatte ich nicht. Wie auch?: ‚Ein liebender. Ansonsten würde dir das alles nicht so schwer fallen.‘

‚Ein liebender Sohn wünscht seinem Vater doch nicht den Tod...‘

‚Aber Erlösung, Alex. Wir empfinden alle so. Glaube mir. Niemand will einen geliebten Menschen leiden sehen.‘

Mit einem stummen Seufzen drückte ich die Klinke herunter und schloss die Türe wieder hinter mir.

‚Aber das ist doch nicht richtig!‘, wiederholte in meinem Kopf der junge Alexander.

Ich hatte noch lange mit ihm geredet. Als sein Vater ein paar Wochen darauf verstorben war, gab er sich die Schuld dafür. In seiner Trauer und Verzweiflung war er irgendwie auf die Idee gekommen sein Wunsch hatte schließlich für Julius Ableben gesorgt. Was Blödsinn war. Gisele - Alex Mutter -, der junge Frank von Steinen - der zu dieser Zeit mit Alexander das Weston College besucht hatte - und ich hatten etliches versucht, um ihn von dieser Idee ab zu bringen. Es hatte gedauert. Viel Zeit und auch Geduld gekostet. Doch mittlerweile wusste auch Alexander, dass es Blödsinn war. Aber mittlerweile war Alexander auch erwachsen und selber Vater. Ich wünschte ihm so sehr, dass er seine Enkelkinder erleben darf.

Ich zog meine beiden Mäntel, mein Tuch und meine reparierte Kette über, nachdem mich diese Erinnerung endlich los gelassen hatte. Ich wusste nicht genau wie lange es gedauert hatte.

Als ich mich auf den Weg zum Frühstückstisch machte, hielt ich vor Skylers Zimmertüre. Ich wusste nicht, ob der Butler sie schon abgeholt hatte und klopfte.

Stille.

Ich klopfte ein weiteres Mal.

Nichts.

Schließlich öffnete ich die Türe und schaute in ein leeres Zimmer. Das Bett war noch zerwühlt, also war Sebastian noch nicht dort gewesen um das Zimmer herzurichten. Doch Skyler fehlte. Wahrscheinlich war der Butler noch damit beschäftigt sie zum Esstisch zu bringen.

Ich verließ das Zimmer wieder und stand wenig später, um Punkt 8 Uhr, im Wintergarten.

Alle waren dort, auch Sebastian. Alle bis auf die hübsche Skyler.

„Guten Morgen“, grinste ich unter meinem Pony hervor: „Wir sind noch nicht vollständig?“

„Nein“, antwortete Amy, während ich mich setzte: „Wir dachten du bringst Sky mit. Sie war schon wach, also ist Sebastian nicht losgegangen. Hat sie nicht bei dir geklopft?“

„Nein“, erwiderte ich ein bisschen irritiert: „In ihrem Zimmer war sie auch nicht.“

„Komisch“, legte Amy den Kopf schief.

„In der Tat.“

Die Gespräche waren locker, doch alles in allem noch ein wenig schläfrig.

William hing grummelnd an seiner Kaffeetasse und an der Montagszeitung. Grell versuchte mit ihm zu reden, doch der Aufsichtsbeamte antwortete ihm nur sehr einsilbig. Auch Ronald war ruhiger als sonst. Er wirkte noch reichlich erschöpft und trank heute Kaffee anstelle seines üblichen Kakaos. Ich tippte das Training war für ihn doch härter gewesen, als er durchblicken ließ. Lee war wie immer schon hellwach, was seinen besten Freund Fred gehörig nervte. Frank war gewohnt grummelig, wie Charlie gewohnt heiter und auch aus der Familie Phantomhive schien der Stress der letzten Tage zum Großteil gewichen zu sein.

Ich selbst schaffte es meine Gedanken nach relativ weit hinten zu verbannen, als ich mir einen Keks von meinem Teller nahm. Dort rasten sie zwar weiter, aber es war um einiges erträglicher. In dieser gewohnten Runde begann meine Welt ein bisschen zu genesen. Alle waren froh und munter. Lebendig und gesund… zumindest für den Moment.

Irgendwann tippte Amy etwas auf ihrem Handy. Kurz darauf vibrierte es und die junge Phantomhive seufzte, als sie wieder tippte: „Ich fass‘ es nicht...“

„Hehehe“, lachte ich hinter meinem Keks: „Was es denn passiert?“

„Sky hat sich in der Villa verlaufen...“

Ich blinzelte die Phantomhive verwundert an, was sie nicht sehen konnte: „Warum wandert sie denn auch auf Gutdünken alleine los?“

„Gute Frage...“, tippte Amy weiter mit ihrer verlorenen gegangenen besten Freundin.

„Wo ist die Lady denn?“, fragte der Butler, der Skyler aufgrund der Steinkette nicht einfach finden konnte.

„Das versuche ich herauszu… BITTE WAS?!“, Amy starrte vollkommen entgeistert auf ihr Handy: „Sie… ich werd‘ nicht mehr… Hab ich Idiot auf der Stirn stehen?!“

Wieder klimperte ich der Phantomhive unter meinem Pony entgegen, konnte aber nicht verhindern, dass mich ihr beleidigtes Aufregen zum Lachen brachte: „Fehehehe! Was ist denn passiert?“

„Sky verarscht mich!“

„Amy!“

„Sorry, Dad...“, dann schaute sie wieder zu mir: „Sie hat um kurz vor 8 gefragt, ob du schon unten seist.“

„Was ich nicht war, hihihi“, kicherte ich.

„Genau“, antwortete Amber: „Hab‘ ich ihr auch so gesagt. Jetzt meinte sie, sie habe nicht gefragt, weil sie dachte du wärst schon unten gewesen! Was soll das?!“

Mein Amüsement endete in Verdutzen: „Das ist allerdings eine sehr schlecht überlegte Lüge gewesen.“

„Da ist der Punkt!“, ärgerte sich Amy weiter: „Warum belügt Sky mich?“

„Wir müssten sie finden, um dies herauszufinden“, lächelte der Butler kalt.

„Ich weiß immer noch nicht wo sie ist… Sie meinte nur Undertaker sei nicht ihr Fremdenführer!“

„Eine ebenfalls schlecht überlegte Ausrede“, grinste ich.

„Ja!“, erwiderte Amy gereizt: „Ich bin doch nicht blöd! Und ihr auch nicht!“

„Wir sollten“, doch ich unterbrach Sebastian, als ich mich erhob: „Lasse es gut sein, Butler. Ich finde sie schneller als du.“

„Warum denkst du das?“, fragte der Dämon mit zu schlitzen gezogenen Augen.

„Tehehehe!“, lachte ich und schob noch einen Keks zwischen meine Lippen: „Weil ich mittlerweile Übung darin habe. Bis gleich.“

Ich verschwand von der Stelle und hörte schnell Schritte im Manor, die ich sehr sicher Skylers Füßen zuordnete. Zu recht. Ich hatte vielleicht 3 Minuten gebraucht, bis ich hinter dem Rücken der schönen Brünetten aufgetaucht war.

Ich musterte ihren Rücken, als sie noch auf ein wenig auf dem komischen kleinen Taschencomputer herum tippte, bis sie verwirrt mit den Kopf zuckte, sich zu mir um drehte und fürchterlich erschrak.

Skyler starrte mich an. Stumm. Fragend und vollkommen überfordert. Ich verstand diesen Ausdruck nicht. War es noch so ungewöhnlich für sie, dass ich da war? Schließlich hatten wir einen Großteil der letzten 72 Stunden miteinander verbracht. Mit einem leisen Lachen brach ich das perplexe Schweigen um uns herum, das ich nicht verstand: „Eh he he he. Du weißt schon, dass du in die komplett falsche Richtung gelaufen bist, oder?“

Sie schüttelte nur stumm den Kopf und wirkte von ihrem Vokabular ein weiteres Mal im Stich gelassen. Warum reagierte sie so auf mich? Das war mir doch äußerst rätselhaft und arg befremdlich. Trotz allem war ihr überfordertes Gesicht wie immer viel zu herrlich, als das meine Fragen sich hätten in mein Gesicht schleichen können. Ich wandte mich zum gehen, da ich irgendwie das Gefühl hatte, sie stellte das Atmen ein sollten wir weiter stehen bleiben: „Nun ja, tehehe, jetzt weißt du es. Folge mir.“

Ich hörte sie hinter mir her laufen. In knapp einem Meter Abstand. Warum war so viel Platz zwischen uns? Eigentlich lief sie immer rechts neben mir. Ich hatte das Gefühl was zwischen uns stand war nicht nur die räumliche Entfernung. Hatte ich irgendwas getan? Wenn ja… was? Und warum log sie Amy so sondergleichen dämlich an? Irgendetwas stank mir und zwar ganz gewaltig.

„Warum belügst du deine beste Freundin, kleine Sky?“, fragte ich schließlich ohne anzuhalten.

„Ich ähm...“, noch zwei Minuten gingen wir weiter und das Mädchen sagte nichts. Die Sache war eindeutig mehr als nur sonderbar.

Ich blieb stehen.

Skyler einige Momente später auch, da sie vor meinen Rücken rannte.

Sie schien auf ihre Umgebung nicht mehr geachtet zu haben. Wahrscheinlich hatte ihr Kopf mit hochroten Wangen – ergebnislos - hin und her überlegt. Ich drehte mich zu ihr herum. Sie war zurückgewichen und starrte stur auf den Boden: „… Sorry… ich ähm… wollte nicht in dich hineinlaufen...“

„Hehehe. Was ist los mit dir, Skyler?“, fragte ich zwar lachend, aber meine Gedanken standen dem jungem Ding und ihrem komischen Verhalten sehr skeptisch gegenüber. Doch ich hatte das Gefühl, es wäre der Situation nicht förderlich sie das merken zu lassen.

Sky verschränkte die Arme hinter meinem Rücken und schaute auf den sauberen Steinfußboden: „Nichts… was soll denn sein?“

„Ich würde nicht fragen, wenn ich es wüsste“, kroch nun doch die Skepsis in meine Stimme. Sie log. Schon wieder: „Ich finde es allerdings seltsam, dass du Amy und nun auch mich belügst.“

„Ich… ähm… also… äh… es ist nichts...“, log sie ein weiteres Mal stammelnd.

Eine meiner Augenbrauen wanderte unter meinem Pony nach oben, als ich ein weiteres Mal eine unglaublich schlechte Lüge ihrerseits ertragen musste: „Sky?“

„Ja?“

„Höre auf zu lügen. Es gibt keinen Grund dafür.“

Ein weiteres Mal blieb sie stumm. Doch durch einen Spalt in meinem Pony sah ich, dass sie sachte zu zittern anfing. Ich stand ihrer Reaktion mit vollkommener Ratlosigkeit gegenüber. Was war nur los mit ihr?

„Skyler?“, sagte ich schließlich so fragend wie ich mich fühlte und ging ein paar Schritte auf sie zu: „Schau mich an.“

„Ich… ähm… Ich“, weder hob sie ihren Kopf, noch konnte sie mir richtig antworten. Ich schüttelte stumm seufzend den Kopf und zwang sie mit zwei Fingern an ihrem Kinn mich anzuschauen. Ich wollte endlich begreifen was mit ihr los war. Langsam machte mir ihr seltsames Verhalten Sorgen. War sie sich über irgendetwas klar geworden? Hatten sich alle Informationen gesetzt und sie hatte eingesehen, dass es vielleicht keine gute Idee war seine Zeit mit einem 200.000 Jahre alten, lachenden Irren zu verbringen? Ein Gedankengang, der sicherlich menschlich und logisch wäre. Doch ich... wollte nicht, dass sie so dachte. Außerdem waren das alles nur Spekulationen. Ich allerdings wollte klare Antworten, auf die mich das junge Ding jetzt schon geraume Zeit einfach warten ließ. Doch ich lächelte sie an, in der Hoffnung ihr so die Anspannung zu nehmen, die sie zittern ließ. Woher sie auch immer kam: „Was ist los, hm?“

Doch sie versuchte nur wieder ihr Gesicht, mit den traurigen blauen Augen, von mir weg zu drehen. Was hatte ich getan, dass sie mich nicht anschauen wollte? Mit der großen Narbe war mein Gesicht sicherlich nicht mehr im traditionellem Sinne ansehnlich, doch warum mied sie es so plötzlich? Ich nahm ihre Wange in die Hand und zwang sie weiter mich ansehen zu müssen: „Warum sprichst du nicht?“

Ihre Stimme überschlug sich, als sie stotternd ihre Augen zusammen kniff: „Es… es- es- es- es- es tut mir leid!“

Ich blinzelte sie unter meinem Pony an: ‚Es tut ihr leid? Was denn?‘

War ihr komisches Benehmen ein schlechtes Gewissen? Doch… weswegen? Was hatte sie denn in der letzten Zeit getan, wofür sie… Das Gespräch auf dem Balkon.

Ich merkte wie sich in meiner Magengegend warm ein Lachanfall zusammenbraute. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen dem Gespräch auf dem Balkon! Dabei war doch schon am Ende des Gespräches zwischen uns alles in Ordnung gewesen. Wie kam sie denn auf den Gedanken, sie müsste deswegen ein schlechtes Gewissen haben? Und dieses überforderte Gesicht! Wie sie sich verlaufen hatte, weil sie zu schüchtern zum Fragen war, wie sie in mich rein gelaufen war und diese wirklich sondergleichen schlechten Lügen! Wie kam man darauf sich so zu benehmen? Es gab doch gar keinen Grund. Hatte ich nicht gestern Abend noch deutlich gemacht, dass alles in Ordnung war? Sie war so unendlich einfach aus der Ruhe zu bringen! Ihre unendliche Naivität - die sie zu einem grenzenlos unlogischen Verhalten bewegte - war zu gleichen Teilen belustigend, wie bedenklich und der Knoten aus Fragen sprang in meinem Kopf mit einem krachenden Lachen meinerseits auf: „Awuwuwuwuwuwu! Du denkst doch nicht tatsächlich ich würde dir gestern Abend nachtragen, oder? Fuhuhuhuhu!“

Es dauerte bis mein Lachen abflaute.

„Öhm...“, schaute ich sie an, als ich mich soweit beruhigt hatte, dass ich Skylers Stimme wieder hören konnte: „Doch?“

Ich hielt mir meine Hand vor den lachenden Mund: „Pahahahahahaha! Wieso denn?!“

Sie ließ darauf hin wieder den Kopf hängen. Meine Pläsier erreichte sie dieses Mal einfach nicht: „Naja… Du hast heute Morgen so düster geschaut… und du hast kalt geduscht… Da dachte ich… ja.. du seist… also...“

Mein Grinsen blieb an Ort und Stelle, doch meine Augen zogen sich ein Stück zusammen. Woher wusste sie das? Ich hatte sie heute doch noch gar nicht gesehen. Doch vor allem woher wusste sie, dass ich kalt duschen war? Eine komische Art von Neugier wallte in mir auf, als ich ihr Gesicht ein weiteres Mal mit zwei Fingern zu meinem hob: „Ehehe. Woher weißt du das?“

„Nun ja“, zauderte sie, bevor sie so schnell sprach, dass ich Mühe hatte ihr zu folgen. Ihre Stimme stolperte immer wieder über sich selbst und ich musste ihre Worte in meinem Kopf nachsortieren: „Als ich unter die Dusche wollte kamst du gerade aus dem Bad… I-i-i-ich wollte dich nicht bespitzeln! D-d-du bist mir einfach über den Weg gelaufen und und und da da da hab ich dein Gesicht gesehen und du hast mich vollkommen ignoriert und d-de-deswegen dachte ich du seist sauer auf mich... Da-das mit der Dusche hab ich gemerkt, als ich selber drunter wollte. Es… tut mir leid! Dass ich dich heute Morgen bespitzelt habe und und dass ich dir gestern solche… solche Sachen an den Kopf geworfen habe! I-ich wollte dich nicht traurig machen. Ich Ich wollte dir helfen!“, sie holte tief Luft. Ihre Augen fielen wieder nach unten, doch meine Finger verhinderten, dass ihr Kopf es ihnen gleich tun konnte: „Doch das ist wohl reichlich nach hinten los gegangen… Es tut mir wirklich so... so unendlich leid… Ich… möchte nicht… wollte nicht… dass du sauer auf mich bist...“

‚Sauer?‘, eine leichte Irritation befiel mich. Sie dachte ich sei sauer auf sie? Sie hatte nicht nur ein schlechtes Gewissen, sie schien fest überzeugt zu sein, dass mein dunkler Gesichtsausdruck von heute Morgen ihr geschuldet war. Woher auch immer sie wusste, dass er da gewesen war. Doch das war er nicht. Mit meiner Verstimmung von heute früh hatte sie wirklich rein gar nichts zu tun gehabt.

Als ich ihr aufbauend meine zweite Hand auf die Wange legte, blinzelte sie mich von unten an. Irgendwo zwischen besorgt und gepeinigt. Dieser Ausdruck war nun wirklich nicht mehr erquicklich. Oh, hätte ich doch nur gewusst, dass es so in ihr aussah. Ich hätte nicht gelacht.

Ich lächelte ihr so warm wie ich konnte entgegen. Sie sollte nicht die Last von Dingen tragen, die nicht mit ihr zu tun hatten: „Ich bin nicht sauer auf dich. Ehehehe! Ich habe dich einfach nicht gesehen! Warum hast du nichts gesagt?“

Sie musterte mich ein wenig skeptisch, bevor sie zögerlich antwortete: „Nun… Wie gesagt, ich dachte du seist sauer... zeigst mir die kalte Schulter und… und möchtest mich nicht sehen...“

„Das ist Blödsinn“, fuhr ich ihr durch ihr wunderbar weiches Haar. Sie war einer der wenigen Menschen, die selbst dann da bleiben konnten, wenn ich wirklich niemanden sehen wollte. So wie gestern. Wie konnte sie nur denken, ich wolle sie nicht sehen?: „Hach kleine, süße Skyler. Das kommt davon, wenn man vermutet und nicht spricht“, ich drehte meinen Zeigefinger in einer ihrer Haarsträhnen. Es war ein wunderbares Gefühl: „Es ist alles ok. Hehehe. Ich war heute Morgen nur ein wenig in Gedanken, aber das hatte nichts mit dir zu tun.“

Sky zog immer noch ein wenig skeptisch ihre Augenbrauen zusammen. Irgendetwas raste noch in ihren Augen. So ganz überzeugt schien sie von meiner Aussage nicht zu sein. Doch meine Gedanken hatten zumindest heute Morgen nichts mit ihr zu tun gehabt. Höchstens könnte man sagen sie habe mich auf sie gebracht. Doch das war nichts wofür ich ihr sauer war, oder wofür sie ein schlechtes Gewissen haben musste.

Ich giggelte sie an, um ihren Ausdruck ein wenig von der Schwere zu nehmen, die sie immer noch im Griff zu haben schien: „Das nächste Mal, hehehehe, frage doch einfach und zerbrich dir nicht dein schönes Köpfchen mit irgendwelchen Vermutungen“, ich nahm die verbleibende Hand aus ihrem Gesicht und hielt ihr in gewohnter Manier meinen Ellbogen hin: „Frühstück?“

Als sie sich bei mir einharkte atmete sie erleichtert aus und mit einem – wenn auch nur sehr kleinem – Lächeln verschwand die Schwere zu einem großen Teil von ihrem hübschen Gesicht: „Frühstück.“

Als wir am Frühstückstisch ankamen, waren William, Ronald und Grell schon verschwunden.

„Ohne sich zu verabschieden, hehe“, setzte ich mich auf meinem Platz und angelte nach dem Glas Marmite und meinem Löffel: „Wie unhöflich. Tihihi!“

Skyler setzte sich ebenfalls und beschaute ihren vollen Frühstücksteller. Sebastian hatte ihn voll gestapelt bis aufs Letzte. Sie schaute besagten Butler kurz an, der sie vielsagend anlächelte und begann dann ihren Teller ohne Diskussion zu essen. Ich wusste nicht, ob ich beruhigt oder enttäuscht war. Natürlich war es gut, dass sie wieder eigenständig zu essen begann, doch die kleinen Schlachten am Esstisch waren schon sehr, sehr amüsant gewesen. Doch die Erleichterung überstieg meine Vergnügungssucht. Das meine Vergnügungssucht unterlag kam nur sehr selten vor.

Frank seufzte mich an und holte meine Gedanken so zum Esstisch zurück, als ich den Kopf zu ihm drehte: „Die Drei haben auch geregelte Arbeitszeiten, im Gegensatz zu dir.“

„Was soll das heißen?“, nuschelte ich beleidigt. Das klang ja so, als ob ich den ganzen Tag einfach gar nichts tat: „Ich leite schließlich ein ganzes Bestattungsunternehmen!“

Frank schaute mich mit verständnislos großen Augen an: „Aber dein Bestattungsunternehmen besteht nur aus dir!“

„Ja, tut es“, lachte ich schrill: „Pahahahahaha! Und ich bin wahrlich nicht einfach zu leiten! Tihihihihihihi!“

Frank war der Kiefer aufgeklappt. Er musterte mich, als sei ich der letzte Trottel.

„Das hast du jetzt gerade nicht wirklich gesagt“, kam seine ungläubige Stimme nur sehr dünn aus seinem Mund, als versuchte er noch sich einzureden, was ich gerade gesagt habe, sei nie passiert.

Doch ich lachte ihn nur an, als ich mir ein weiteren Löffel Marmite in den Mund schob, amüsiert von seinem Unglauben: „Doch. Nihihihi! Habe ich!“

Der Baron versteckte seine Augen hinter seiner auf den Tisch gestützten Hand: „Oh mein Gott.“

Ich hörte Skyler neben mir kichern. Ein Geräusch, was mir mehr als nur willkommen war. Eins meiner Lieblingsgeräusche, was noch mehr dazu beitrug, dass ich ebenfalls lachte, als Franks unglaublich belustigende Reaktion. Dieses Kichern war einfach unglaublich melodisch. Und so unglaublich schön anzuhören.

Frank gab sich aufgrund der allgemeinen Belustigung einfach geschlagen und Charlie richtete das Wort an mich: „Was hast du eigentlich mit Ronald angestellt?“

„Wie meinst du das?“, löffelte ich breit grinsend mein Marmiteglas zu Ende.

„Der war total hinüber“, lachte Charlie: „Ich dachte er braucht einen Krückstock, als er Grell und William hinterher gehumpelt ist. Er schien den Muskelkater seines jungen Reaperlebens gehabt zu haben!“

„Ich habe nur mit ihm trainiert. Ehehehe!“

„Er sah eher aus als hättest du ihn gefoltert.“

„Dann habe ich alles richtig gemacht. Nehehehe! Ein ertragreiches Training erkennt man daran, dass man es am nächsten Morgen merkt. Fu fu fu fu! Und zwei Tage danach noch mehr. Nehehehe!“

Die Gespräche gingen noch ein paar Minuten weiter. Immer noch recht heiter und in guter Stimmung. Amy und Sky tuschelten neben mir. Ich hörte mit halbem Ohr, dass Sky mit der Sprache nicht so recht rausrückte, was Amy nicht erquicklich fand. Der jungen Phantomhive gingen die Lügen ihrer besten Freundin reichlich nah. Doch irgendwie schien sie an sie gewöhnt zu sein, was ihr Empfinden allerdings nicht besser zu machen schien. Ich konnte verstehen, dass Sky was ihn ihr vorgegangen war nicht vor aller Leute ausbreiten wollte, also hielt ich mich geschlossen. Ihr in den Rücken zu fallen war sicherlich nicht förderlich für irgendetwas.

„Puuuuh…“, machte ich irgendwann, nun um einiges glücklicher und satt, und stellte mein leeres Glas auf den Tisch: „Ehehehe! Das war gut!“

Skys Stimme unterdrückte ein kleines Würgen. Von Marmite schien sie wirklich kein Fan zu sein: „Jirks… Wenn du es sagst...“

„Hey“, drehte ich meinen Kopf zu ihr: „Ihihi! Nicht so abfällig! Es ist eine wahre Delikatesse!“

Sie zog nur eine Augenbraue hoch: „Wenn du es sagst.“

Amüsiert seufzend schüttelte ich den Kopf: „Du kleiner Banause. Da ist wahrlich Hopfen und Malz verloren, ehehe!“

Auch sie schüttelte den Kopf, doch ich sah ein kleines Grinsen in ihrem Gesicht. Mir nun sicher, dass es der schönen jungen Dame wieder sichtlich besser ging, erhob ich mich von meinem Stuhl und wand mich zu dem Earl: „So Earl. Ich empfehle mich, ehehe. Schließlich warten 15 neue Gäste auf meine Dienste und ein paar verstörte Familien, denen ich irgendwie erklären muss, warum man sie nicht in einem offenen Sarg aufbahren sollte. Fu fu fu!“

Der Alexander nickte kurz: „Ich versteh schon. Während ihr im Dispatch unterwegs wart, hat Sebastian im Naturschutzamt ein paar… Unterlagen bereit gelegt. Offiziell hat sich ein Rudel Wölfe in unser Waldstück verirrt und diese traurigen Gestalten hatten zur falschen Zeit die Idee eine kleine Nachtwanderung durch den Wald zu unternehmen. Natürlich sind die Tiere schon eingefangen. Wir mussten allerdings deinen Laden angeben. Wundere dich also nicht solltest du Besuch bekommen.“

„Fu fu fu“, giggelte ich aufgrund der wohlbekannten Vorgehensweise. Sebastian war schon in mehr Verwaltungsgebäude eingebrochen, als ich Särge im Laden hatte: „Ja, ja der gute, eifrige Butler, nehehe! Ich werde sagen sie seien wilden Tieren zum Opfer gefallen und ansonsten auf dich verweisen, Earl. Mit Besuch werde ich schon fertig. Die Frage ist eher ob, kehehehe, er mit mir fertig wird. Hihi!“

Für Details durfte der Earl selbst Rede und Antwort stehen. Vor diesen Telefonaten graust er mir jetzt schon. Den Hinterbliebenen etwas von wilden Tieren zu erzählen, es entsprach der Wahrheit im Groben, weswegen es in Ordnung war. Doch seine Lügengeschichten durfte der Earl doch bitte selbst verteidigen. Dies wäre auch eigentlich für ihn kein größeres Problem, doch musste man den Trancys zugestehen machten sie es dem Earl dieses mal gar nicht so einfach: „Was allerdings denkt ihr sagen die Familienmitglieder, die gerade so ihre liebe Haut retten konnten und über dem Vorfall mehr als nur bestens im Bilde sind? Ehehehe!“

Alex seufzte schwer: „Frag mich nicht. Mir sind wegen diesem Vorfall schon 6 Geschäftspartner abgesprungen. Wenn es die Intension der Trancys war, dass mir Geschäftspartner abhanden kommen, muss ich leider zugeben sie haben ihr Ziel erreicht. Diesen Verlust zu kompensieren stellt mich wahrlich vor eine Herausforderung.“

„Ihr schaffte das schon, Earl“, grinste ich und wollte wirklich nichts weiter hören. Geschäftspraktiken waren so unendlich langweilig und einer der Gründe warum mein Geschäft nur aus mir bestand. Nicht, dass sich die Leute darum reißen würden bei mir zu arbeiten. Das Einzige, was mir an der Funtom Company wichtig war, waren ihre vorzüglichen Biskuits! Auch wenn sie eigentlich für die felligen Freunde des Menschen vorgesehen waren. Ich wandte mich mit diesem Gedanken zum gehen: „Wenn ihr mich nun entschul...“

„Eine Sache noch“, hörte ich die Stimme des Earls abermals hinter mir und drehte mich halb zu ihm um: „Kannst du hinter her die Mädchen mitnehmen? Ich müsste mit Lee, Fred und Sebastian ins East End.“

Lachend kippte mein Kopf zu Seite: „Ah! Haben meine Erkenntnisse doch etwas gebracht? Tehehe!“

„Einiges sogar“, sprach Lee reichlich verstimmt und wackelte mit einer Augenbraue: „Die Zusammensetzung war sehr typisch für einen Händler, von dem ich recht genau weiß, wo er ist. Ich hab ihn schon länger im Blick, doch dank dir weiß ich nun, dass ich mit meinen Vermutungen richtig lag. Er kauft von mir, panscht dann MEINE Ware und verdient sich so mit dreckigem Zeug und meinem guten Ruf dumm und dämlich!“

Lees Feuereifer brachte mich ein weiteres Mal zum Lachen: „Hehehe. Du wirst ihn lehren, Lee. Da bin ich mir sicher.“

„Aber hallo! Darauf kannst du Gift nehmen!“

„Nehehe!“, lachte ich weiter: „Das ist nicht halb so effektiv wie du denken mögest. Tihihihi! Ich lehne trotzdem dankend ab. Fu fu fu.“

„Metaphern, Undertaker!“, Lee schüttelte den Kopf: „Metaphern!“

„Ich weiß, ich weiß, hehe“, ich wandte mein Wort wieder zum Earl: „Natürlich kann ich die Mädchen mitnehmen, doch Eine muss Sarg fahren. Nehehehe!“

Amy hüpfte auf einmal auf ihrem Stuhl auf und ab und wedelte hastig mit ihrer Hand: „Oh! Hier! Ich! Ich fahr Sarg! Ich fahr Sarg!“

Sie schien ihren Stammplatz verteidigen zu wollen, doch Skylers fragender Gesichtsausdruck verriet mir, dass er mitnichten in Gefahr gewesen war. Sie griff kopfschüttelnd Amys Hand und drückte sie auf den Tisch zurück: „Wovon redet ihr?!“

Amy lachte weiter: „Na, ist dir das noch nicht aufgefallen? Du kennst sein Auto doch!“

„Ja, klar“, erwiderte Sky immer noch reicht verständnislos: „Aber was soll mir denn aufgefallen sein?“

„Es hat nur zwei Sitze!“, grinste Amy sie an: „Also muss Einer im Sarg im Kofferraum mitfahren!“

Sky klimperte ihr mit großen und jetzt noch verständnisloseren Augen entgegen: „Warum willst du das unbedingt? Ich meine… er bringt doch in dem Sarg jetzt wahrscheinlich die Lei… Kada… seine Gäste weg!“

„Nihihi. Nein“, mischte ich mich in das Gespräch ein: „Das dauert mir zu lange.“

Skylers Kopf wandte sich wieder zu mir: „Wie?“

Ein schrilles Lachen entfuhr mir, angefacht von ihrer Verwirrung: „Gihihihihi! Zu Fuß bin ich schneller! Meine Damen? Seit in 15 Minuten reisefertig! Tehehehe!“

Dann verschwand ich aus dem Wintergarten.

Ich schulterte immer zwei meiner neuen Gäste und brachte sie in mein kleines Unternehmen. Ungesehen beschritt ich meinen Weg über die Dächer der Londoner Straßen. Ich war nicht ansatzweise in Eile, auch wenn ich so viel schneller war, als jedes Auto unter mir.

Nachdem jeder Gast einen Platz in meinem Kühlzellen gefunden hatten, fand ich meinen Weg zurück in den Wintergarten, in dem ich die Mädchen schon vom weitem miteinander sprechen hörte. Doch ich verstand nicht worüber. Ich hörte nur, dass Amy immer öfter lachte und das Skyler irgendwie nicht begeistert klang.

Dort angekommen fiel mein Blick prompt auf Skyler und Amber. Sie diskutierten wild. Also Skyler diskutierte. Amy lachte nur laut und amüsiert. Manchmal musste ich mich schon fragen, ob Ambers Schadenfreude und Humor nicht auf das ein oder andere Wochenende zurückzuführen war, dass sie als junges Mädchen in meinem Laden verbracht hatte. Ich konnte nicht abstreiten, dass ich zu Amy von vorne rein einen sehr guten Draht gehabt hatte. Der junge Wildfang war definitiv einer meiner Lieblings-Phantomhives!

Skyler warf Amy eine Serviette an den Kopf. Eine zusammengeknüllte lag schon neben der lachenden Adelstochter auf dem Boden: „Hör auf so einen Mist zu erzählen!“

„Das ist kein Mist!“, lachte Amy zurück und ich war ja schon ein wenig neugierig darauf, worüber sich die beiden Mädchen unterhielten. Und warum es Skyler so gar nicht zu gefallen schien.

Da flog auch schon eine dritte Serviette: „Doch!“

Amy beschränkte sich nur darauf weiter zu lachen. Ich mochte die junge Phantomhive dafür, dass sie so viel Lachen konnte. Sie war so unendlich viel leichter, als ihre beste Freundin.

„Nihihihi!“, entfloh mir ein Lachen, als Skyler gerade noch eine Serviette zerknüllte und zum Wurf ausholte. Diese Szenerie war ein wahres Fest: „Krieg im Paradies?“

Die beiden Frauen drehten ihre Köpfe zu mir.

„Nein!“, rief Skyler genervt.

Doch Amy lachte: „Jap“

Mit komplett gegensätzlichen Gesichtern musterten die Beiden einander und warfen mich in ein erneutes Lachen: „Hehehe! Wir herrlich ihr euch einig seid.“

Skyler drehte sich wieder zu mir: „Wie lange stehst du hier?“

„Ihihi!“, kicherte ich dem jungen Dinge entgegen, belustigt von ihrer offensichtlichen Genervtheit: „Zwei Servietten.“

Sie atmete erleichtert aus. Ich zog meine Augenbrauen unter meinem Pony zusammen, als ich mich fragte was für ein Thema die Beiden besprochen haben, dass ich augenscheinlich nicht mithören sollte: „Nehehe. Wieso? Störe ich?“

„Ja!“, rief Skyler.

„Nein“, lachte Amber.

Wieder schauten sich die Beiden mit ihren kontroversen Gesichtsausdrücken an. Wie herrlich!

Sie brachten mich noch lauter und ungenierter zum Lachen: „Wie köstlich! Pahahahahaha! Was nun? Fuhuhuhu!“

„Nein...“ Skyler seufzte sich ergebend: „Tust du nicht...“

„Frauengespräche“, drehte sich auch Amy zu mir und legte ihren Ellbogen auf die Stuhllehne ab: „Aber wir waren eh gerade fertig.“

„Ehehe!“, kicherte ich, als ich immer noch das Gefühl hatte Sky sah es anders als Amy: „Wie ihr meint. Seid ihr bereit?“

Wieder schauten die Beiden einander an. Dieses mal mit demselben Ausdruck. Dem Ausdruck etwas vergessen zu haben.

Dieser Ausdruck machte Amys betont unschuldig grinsende Antwort eigentlich überflüssig. Denn ich wusste jetzt schon, dass die beiden Mädchen ihr Zimmer noch nicht wiedergesehen hatten: „Nein, sind wir nicht. Wir haben uns total verquatscht.“

Ich verschränkte lachend die Arme. Es war bei Skyler und Amy dasselbe wie bei Lee und Frederic. Was nur verriet, dass sich mit diesen zwei Duos Menschen gefunden hatten, die einfach zusammen gehörten. Auch bei Vincent und mir war es oft ähnlich gewesen. Wie oft wir die Zeit vergessen hatten. Ich konnte es nicht zählen: „Nehehe. Das muss ja auch mal sein. Doch nun hop! Ich habe einiges an Arbeit auf dem Tisch. Tihihihihi!“

„Ay!“, riefen die Beiden salutierend aus und wuselten eilig davon.
 

Ich verließ den Wintergarten in die morgendliche Novembersonne und schlenderte zu dem Parkplatz aus grobem Kies an der rechten Seite des Manors.

Die schwarze Chrysler Limousine der Phantomhives war schon von ihrem Stellplatz verschwunden. Genauso wie Lees azurblauer Bentley Continental. Nur die zwei gemieteten silbernen Audi A8 von Charlie und Frank leisteten meinem alten Mercedes 200 noch Gesellschaft, der im Vergleich zu den ganzen Luxuswagen auf diesem Parkplatz immer aussieht wie ein Esel im Lipizzaner Gestüt. Doch ich liebte diesen Wagen und konnte von daher gut damit Leben.

Mit einem leisen Lachen zog ich meine Brille auf, schloss schon mal die Türen auf und lehnte mich dann gegen meinen Oldtimer, als ich mich daran erinnern musste, dass Ronald und Charlie mich vor ein paar Jahren tatsächlich mal durch einige Autohäuser geschleppt hatten, damit ich mir mal einen neuen Wagen zu legte. Ende der Geschichte war, dass Ronald einen neuen Abgasfilter in mein altes Mädchen eingebaut hatte und mir schwor er würde sich so etwas nie wieder und unter gar keinen Umständen antun. Eher würde ich meine Särge zum Friedhof tragen.

Gerade als ich mich dem Gezeter des blonden Reapers erinnert hatte, hörte ich den Kies knarzen. Mein breit grinsender Kopf wandte sich um und ich sah Amber und Skyler zu mir herüberkommen: „Nehehe. Fertig?“

Die Mädchen nickten. Dann nahm Amy Skylers Gitarrentasche ab und öffnete ungefragt meinen Kofferraum und krabbelte hinein. Sie plumpste in den Sarg, nachdem sie die zwei Taschen abgestellt hatte: „Wenn wir da sind weckt mich, ja?“

Mit diesen Worten zog sie den Deckel zu.

Sky schaute mich mit erhobener Augenbraue an: „Wecken?“

Ich grinste ihr entgegen: „Sie schläft immer ein. Nihi!“

„Also…“, begann das junge Ding etwas irritiert: „Fährt sie nicht das erste Mal… Sarg?“

Dieser Ausdruck schien für sie so befremdlich wie für uns normal zu sein und diese Gegensätzlichkeit entlockte mir ein Lachen, als ich den Kopf schüttelte und den Kofferraum schloss: „Mit Nichten. Immer wenn ich sie und Fred mitgenommen habe, bestand Fred auf das Recht des Älteren und verbannte sie in den Kofferraum. Tihihihi! Eine Geschwistersache vermute ich.“

Ich konnte es wirklich nur vermuten. Schließlich hatte ich selbst keine Geschwister. Es hat lediglich mal 9 Wesen gegeben, die ein Band zu mir gehabt hatten, dass dem von Geschwistern sehr sehr ähnlich war. Wir hatten uns sogar immer mal wieder mit ‚Brüderchen‘ oder ‚Schwesterchen‘ angesprochen. Zugleichenteilen spaßig und triezend, wie wirklich ernst gemeint.

Während ich gesprochen hatte war ich um das Auto herum gewandert und hielt Skyler die Beifahrertür auf. Ich nickte vielsagend zu dem Innenraum meines Wagens. Als sie eingestiegen war hing ich noch dem Moment, den ich brauchte um um das Auto herum zugehen dem Gedanken nach, der mir bei dem erwähnen von Freds und Amys – wohl sehr typischer – Geschwisterbeziehung gekommen war und für eine Sekunde fielen meine Augen herab. Diese Zeit war schon sehr lange her und diese Wesen sind schon sehr lange fort.

Kaum war ich eingestiegen, verbannte ich den Gedanken und mein übliches Grinsen schaute der hübschen Skyler entgegen. Irgendwie heiterte ihr Anblick mich immer ein bisschen auf. Ich konnte nicht so ganz sagen wieso. Sie lächelte kurz zurück und der Gedanke war endgültig verschwunden, als ich den Motor anließ und den Kopf drehte um aus der Parklücke zu fahren.

„Warte!“, stoppte mich Skys Stimme und mit blinzelnden Augen drehte ich den Kopf zu ihr, bevor ich überhaupt aufs Gas treten konnte: „Nihi. Was hast du?“

Sie beugte sich wieder halb über mich und hangelte nach meinem Sicherheitsgurt, so wie sie es schon getan hatte, als ich sie das erste Mal nach Hause fuhr. Doch damals dachte sie noch ich sei ein Mensch, was sich ja mittlerweile geändert haben sollte und mir ein weiteres Lachen entlockte: „Tehehe! Du denkst nicht wirklich ein Autounfall wäre gefährlich für mich, oder?“

Sie stockte kurz mit überlegend blinzelnden Augen, bevor sie den Gurt endgültig über meinen Oberkörper zog und in sein Schloss steckte: „Nein, aber öööööhm… Wenn du kontrolliert wirst gibt es ein Bußgeld, wenn du nicht angeschnallt bist.“

„Aha“, lachte ich sie an, als mir sehr wohl klar wurde, dass sie sich einer Ausrede bediente. Auch wenn diese Ausrede weitaus besser war, als die davor: „Wenn du es sagst, hehe.“

Dann fuhr ich das Auto endgültig aus der Parklücke. Der Kies knarzte unter meinen Reifen, als wir den Parkplatz verließen und die leere lange Ausfahrt der Villa Phantomhive hinunter rollten. Auf den Straßen war nur bedingt mehr los. Dieser Teil von London war sehr ruhig und im Vergleich zu dem Rest der pulsierenden Großstadt recht unbelebt. Doch schnell wurden die Autos mehr und die Freuden des Großstadtverkehrs hatten mich wieder: Stau und schleppender Verkehr.

Hier und dort hupte Jemand in vollkommener Ungeduld. Eine Ungeduld, die ich nicht verstand. Hupen löste den Knoten auch nicht, es nervte nur höchstens die anderen Verkehrsteilnehmer. Außerdem tat mir das schrille Geräusch schon fast in meinen empfindlichen Ohren weh. Nur wie alles andere reichte es nur für eine Ahnung von diesem Gefühl. Angenehm war es trotz allem nicht. Aber da Aufregung noch nie zum Ziel geführt hatte, stützte ich meinen Kopf in die Hand und frönte summend wie grinsend meinem hartnäckigen Ohrwurm von ‚Tom he was a Piperson‘, während ich darauf wartete mehr als 5 Zentimeter am Stück nach vorne rollen zu können. Obwohl die Fahrt so viel länger gedauert hatte, hatten Sky und ich kaum miteinander gesprochen. Das Mädchen wirkte immer noch ein wenig überrumpelt von allem, was in den letzten 72 Stunden vor gegangen war. Vollkommen zu recht. Deswegen ließ ich ihr ihre Gedanken und summte die meiste Zeit fröhlich vor mich her, bis ich schließlich den kleinen Platz vor den Campustor erreichte.

Als ich aussteigen wollte hielt mich Skyler auf einmal am Arm fest: „Warte!“

Ich drehte meinen Kopf mit einem fragenden Ausdruck zu ihr: „Ehehe. Was ist denn nun? Laufe ich wieder Gefahr mir ein Bußgeld einzuhandeln, hm?“

„Ääääh…“, kam es gedehnt aus ihren geschwungenen Lippen und sie schien sich einen Moment sammeln zu müssen, bevor sie weiter sprechen konnte: „Nein… Ich ähm… Hast du etwas zu schreiben?“

Eine erneute Frage ließ meinen grinsenden Kopf zur Seite kippen: „Ja, wieso?“

„Weil…“, Skyler schaute zur Seite und ich sah einen Hauch rosa auf ihren Wangen: „Ich dir etwas aufschreiben möchte...“

„Ehehehe! Was denn?“, fragte ich neugierig, da die Fragen in meinem Kopf eher mehr als weniger geworden waren.

„Gib… mir doch bitte einfach etwas zu schreiben, ja?“

Ich sah ein, dass sie es mir nicht sagen wird und beugte mich ein Stückchen zu ihr, um mit meinem Mittelfinger den Knopf meines Handschuhfachs zu erreichen. Relativ umständlich fischte ich darin herum, bis mir ein Block und ein Füller in die Finger fielen und ich sie Skyler entgegen streckte.

Sie schaute relativ verwundert in mein Handschuhfach, während sie mir Block und Stift aus der Hand nahm: „Wie wäre es mal mit aufräumen? Das sieht ja genau so schlimm aus wie deine Manteltaschen. Wenn nicht schlimmer. Oder gehörst du zu der Art Mensch, die einfach alles in eine Schublade pfeffern, sie zumachen und dann behaupten es sei alles ordentlich?“

Mir entfloh aufgrund ihrer Wortwahl ein schrilles Lachen: „Nihihihihi! Wäre ich ein Mensch würde ich sicherlich streckenweise unter diese Kategorie fallen.“

Sky zog eine verständnislose Schnute: „Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?“

„Tihihihi! Wozu ist sie denn sonst da? Und nun schreib schon! Ich bin neugierig.“

Skyler kommentierte meine Antwort nur mit einem kleinen Seufzen und schrieb dann etwas auf eine leere Seite meines kleinen Notizbuches. Sie wollte es zuklappen, doch ich schnappte ihn mir mit zwei Fingern und hielt ihn vor meine Nase »Skyler Rosewell: 07716916658«

Das junge Ding hatte eine unfassbar schöne Handschrift. Wie man es von einer Künstlerin erwartet. Sie schrieb unglaublich rund und schwungvoll, doch trotzdem sehr akkurat und ordentlich. Großbuchstaben schrieb sie sehr groß und Kleinbuchstaben sehr klein. Mir war sofort klar diese Handschrift würde ich immer wiedererkennen.

Doch warum sie mir ihre Handynummer in die Hand drückte erschloss sich mir nicht ganz: „Nehehehe! Deine Handynummer?“

Sie nickte mit hochrotem Kopf und wirkte mit ihren auf den Knien zu Fäusten geballten, ausgestreckten Armen und dem hängenden Kopf alles in allem sehr angespannt, was ich abermals nicht wirklich verstand.

„Nicht, dass ich mich darüber beschweren möchten, dass mir schöne, junge Damen ihre Handynummer zustecken, aber“, ich konnte doch nicht verstecken wie irritiert ich war: „Nehehehe, was verschafft mir die Ehre?“

„Ich...“, sie seufzte und legte ihre Hand auf ihre Hosentasche: „Ich habe ja auch deine, da dachte ich es sei nur fair… und für den Fall der Fälle kannst du mich erreichen...“

„Sky?“, meine Augenbraue wanderte weiter nach oben: „Meine Telefonnummer ist eine Geschäftsnummer und für die ganze Welt einsehbar, seitdem es dieses komische Internet gibt und Ronald unbedingt meinte er müsse sie angeben und mein Geschäft mit 5 Sternen bewerten. Was auch immer das heißt. Tehehehe!“

„Das sagt anderen Kunden dein Geschäft sei gut. Eigentlich war das ziemlich nett. Du hast übrigens viele ziemlich gute Kundenbewertungen.“

Ich blinzelte mit den Augen. Das hatte ich nicht erwartet: „Fu fu fu. Wirklich?“

Sky nickte nur kurz, was mich zum Kichern brachte: „Nihihihi! Das freut mich natürlich ungemein“, dann wedelte ich mit dem Notizblock: „Ich schreibe mir deine Nummer auf jeden Fall in mein Telefonbuch. Für, tihihihi, den Fall der Fälle.“

Wieder ein kurzes Nicken ihrerseits: „Tu das...“

Dann stiegen wir aus und ich öffnete immer noch lachenderweise meinen Kofferraum wie den Sarg darin.

Mir entfuhr ein lauteres Lachen, als ich die selig schlummernde auf die Seite gedrehte Amy erblickte.

„Was hast du?“, hörte ich Skylers Stimme von vor dem Kofferraum.

„Nihihi! Sie ist tatsächlich mal wieder eingeschlafen“, beugte ich mich immer noch kichernd zu dem Sarg und drehte meinen Zeigefinger auf Amys Nase: „Schlafmütze. Ehehehe! Aufwachen, Prinzessin!“

Sie rümpfte murrend selbige, schlug ihre großen königsblauen Augen auf und setzte sich gähnend auf um sich zu strecken: „Manno… Ich hatte gerade so gut geschlafen...“

Das süße, junge Gesicht meiner Patentochter ließ mich lachen: „Tehehehe! Es bricht mir das Herz dich aus deinen schönen Träumen reißen zu müssen, Amber. Doch wir sind da.“

Die junge Phantomhive kletterte etwas umständlich aus meinem Sarg, griff sich die Taschen und hüpfte gähnend aus meinem Kofferraum: „Ich weiß, ich weiß. Danke für‘s herbringen.“

„Bist du echt eingeschlafen?“, fragte Sky, als sie ihre Gitarrentasche entgegen nahm, was eine meiner versteckten Augenbrauen hoch wandern ließ: ‚Du bist doch auch eingeschlafen.‘

Doch Amy steckte sich nur ein weiteres Mal: „Ja, diese Särge sind einfach sowas von gemütlich.“

Als ich mit einem Schmunzeln den Kofferraum geschlossen und die beiden Frauen ihren Kopf aufgrund des Geräusches zu mir gedreht hatten, verbeugte ich mich ein Stück: „Die Damen? Ehehehe. Ich entschuldige mich nun.“

„Okay“, antwortete Skyler recht leise und musterte mich mit einem kaum zu deutenden Gesichtsausdruck. Ihr Ausdruck war so komisch wie ich mich fühlte: „Danke für‘s herbringen. Viel Spaß bei deiner Arbeit.“

Ihre letzte Aussage vertrieb allerdings das seltsame Gefühl ein Stück und brachte mich abermals zum kichern: „Werde ich haben. Bis übermorgen. Ehehehe.“

Skyler blinzelte mich kurz an, doch dann sah ich über ihren Kopf die kleine Glühbirne aufleuchten.

Amy verstand allerdings sofort und nickte mit einem kleinen Lächeln: „Jup. Bis dann!“

Dann harkte sie sich bei ihrer besten Freundin ein und ging mit ihr Richtung Campus. Eigentlich wollte ich wieder in den Wagen steigen, doch nach nicht einmal einer Minute hörte ich Amys Stimme erschrocken ausrufen, was mich meinem Kopf wieder zu den beiden jungen Frauen wandern ließ: „Scheiße!“

Eine meine Augenbrauen wanderte fragend nach oben und auch Skyler beschaute ihre beste Freundin recht irritiert: „Was?“

„Hast du für die Klausur in bildende Kunst gelernt?“

Nun entgleisten auch Skylers Gesichtszüge. Ihr Kiefer stand einen Spalt offen, als sie ein paar Momente einfach gar nichts sagte. Doch diese schmerzvolle Erkenntnis in ihrem Gesicht! Ich verschränkte kichernd meine Arme auf der Autotüre, als ich die Frage nur allein aufgrund ihres Gesichtsausdruck hätte beantworten können: Nein, hatte sie nicht.

„Nein…“, antwortete sie schließlich leise und ich legte meinen Kopf auf meine Arme, um mein Lachen klein zu halten: „Oh Mist!“

„Wir sind am Arsch. Lowell viertelt uns… Undertaker?“

Ich nahm meinen Kopf aus den Armen und grinste Amy belustigt wie ich war an: „Was kann ich noch für dich tun, liebste Amber? Ehehehehe!“

Amber hob Zeige- und Mittelfinger in die Höhe: „Zwei Särge bitte. Einmal 1,72m und einmal 1,78m.“

Lachend fiel mein Kopf zur Seite: „Wieso meinst du ihr bräuchtet sie? Gihihi!“

„Verarsch‘ mich nicht“, lachte Amy, die sehr wohl um meine guten Ohren wusste: „Du hast doch alles gehört!“

Mein Lachen wurde schriller, als die Mädchen - die mittlerweile wie fast selbstverständlich mit Dämonen und Sensenmännern hantierten – mental an einer vergessenen Klausur zu ertrinken drohten: „Ihr werdet das schon schaffen. Nihihihihihihi! Außerdem glaube ich nicht, dass du mich bezahlen kannst!“

„Doch, kann ich!“, rief Amy fast erbost und Skyler schaute sie an, als verstünde sie die Welt nicht mehr. Ich glaube das hübsche, brünette Ding hat diesen Ausdruck noch nie so oft hintereinander aufgesetzt wie in den letzten Wochen. Ein Gesicht und ein Gedanken, der mich noch schriller lachen ließ: „Tihihihihihihihi! Dann mach. Nachdem sowohl Ronald, als auch dein Vater noch nicht bezahlt haben, kassiere ich im Voraus. Ehehehehehehe!“

Auch Amy lachte: „In Deutschland macht ein Hund Wau Wau, in Tschechien Haff Haff, und in Holland Blaf Blaf! Wie macht er in China?!“

Skys Gesichtsausdruck fiel in sich zusammen und wechselte von fragend in die vollkommene Verständnislosigkeit. Ich musste aufpassen aufgrund dieses Gesichtes nicht jetzt schon laut los zu lachen. Schließlich hatte die Phantomhive mich bezahlt, wenn ich auch nur kicherte. Auch wenn es gar nicht wegen ihr sein sollte.

Die junge Sky tat übrigens nichts, um es meiner Selbstbeherrschung einfacher zu machen. Im Gegenteil. Sie schüttelte ihr schönes Köpfchen mit einem Gesichtsausdruck, der Amy vollkommen unverblümt für Verrückt erklärte: „Was in aller Herren Länder tust du da?“

In meinem Kopf fing ich aufgrund dessen schon schreiend an zu lachen, doch ich schaffte es meinen inneren Lachanfall auf ein breites Grinsen in meinem Gesicht zu beschränken. Wissen wie der Witz ausgeht wollte ich unbedingt. Es gibt nichts Schlimmeres als halb erzählte Witze!

Doch Amy gebar Sky mit einer Hand zu schweigen und schaute mich erwartungsvoll an. Mit einem weiten Grinsen wälzte ich eher fahrig meinen Kopf. Natürlich musste ich eine Antwort geben und natürlich wird sie nicht richtig sein: „Ich weiß nicht. Wuff wuff?“

„Nein!“, rief Amy grinsend: „Bruzzel bruzzel!“

Skyler klappte der Mund auf und sie blinzelte ihre beste Freundin mit riesigen Augen an, als sie vollkommen ihre Fassung und die Kontrolle über ihr Gesicht verlor.

Das war zu viel.

Mein Lachen brach vollkommen unkontrolliert aus mir heraus und ich fiel seitwärts zurück in mein Auto. Meinem Lachanfall vollends unterlegen lag ich in meinem Wagen, wedelte mit den Beinen und drohte an meinem eigenen Lachen ein weiteres Mal zu ersticken. Der Witz an sich: In Ordnung. In Kombination mit Skylers vollkommen fassungslosen Gesichtsausdruck: Der Himmel auf Erden!

Es dauerte eine ganze Weile bis ich es schaffte mit meiner Hand die Autotüre zu greifen und mich schlaff über selbigen zuhängen: „Fuhuhuhuhuhu! Lass den Lee nicht hören!“

Amy grinste mich triumphierend an: „Den hab ich von Lee!“

Wieder fing ich an zu lachen und rutschte ein Stück von der Autotüre. Das dieser Witz eigentlich von Lee kam, war nur allzu offensichtlich. Der junge Asiate hatte einen Faible für Kulturwitze: „ Ahuhuhuhuhuhu! Ok, ok. Bezahlt! Tihihihi! Ich glaube trotzdem nicht, dass ihr sie so früh brauchen werdet, aber ich mache mir eine Notiz. Puhuhu!“

Amy grinste immer weiter: „Sei dir dessen nicht so sicher. Lowell ist echt streng.“

Ich schaffte es mich hinzustellen und wischte mir ein paar Lachtränen aus den Augen: „Dann solltet ihr zwei Hübschen euch hier nicht die Beine in den Bauch stehen, sondern in euer Zimmer verschwinden und lernen. Fu fu fu fu!“

Amber seufzte resigniert: „Ja, du hast wahrscheinlich recht. Bye, Onkelchen!“

Ich winkte zurück, stieg nun endgültig ins Auto und drehte den Schlüssel im Zündschloss.

Skyler drehte sich noch einmal um und schaute mir durch meine Windschutzscheibe genau ins Gesicht. Wie beim letzten Mal, als ich sie hergefahren hatte. Es war immer noch ungewohnt, dass sich jemand zu mir umdrehte und mir dabei direkt ins Gesicht sah.

„Anschnallen!“, hörte ich ihre Stimme dumpf durch die geschlossenen Wagentüren und dem Lärm des Motors.

Mit einem Lachen schnallte ich mich an und die Mädchen gingen ebenfalls lächelnd durch das Tor auf den Schulhof.
 

Ein Gefühl von Erleichterung überkam mich, als ich mit meinen Oldtimer auf dem Parkplatz hinter meinen Laden fuhr.

Endlich Zuhause!

So gerne ich doch hin und wieder etwas Gesellschaft hatte die mit mir spricht, umso mehr freute ich mich nun ein bisschen Ruhe zu haben. Schließlich waren auch meine letzten 72 Stunden nicht so entspannend gewesen, wie sie geplant waren. Es war auch nicht geplant, dass ich solange blieb. Eigentlich verließ ich die Halloweenfeiern immer gegen 1 und 2 Uhr morgens und fuhr dann schon heim. Nun war ich das ganze Wochenende dort geblieben.

Als ich meine Hintertür öffnete und die Brille in meiner Innentasche verstaute, krächzte mir Etwas entgegen.

…Merkenau...

Ich hatte das Vögelchen das ganze Wochenende alleine gelassen. Schande über mein Haupt.

Ich kraulte ihm am Köpfchen: „Verzeih mir, kleiner Freund. Mir sind ein paar Dinge dazwischen gekommen.“

Merkenau krächzte wissend.

„Natürlich hatte es mit Skyler zu tun“, seufzte ich: „Ansonsten wäre ich nicht so lange fort geblieben.“

Wieder krächzte das kleine Tier bedeutungsschwer. Ich wusste worauf er hinaus wollte.

Lachend schüttelte ich den Kopf: „So schlimm ist es auch nicht.“

Wieder ein Krächzen.

Ich nahm den kleinen Raben aus seiner Schachtel und hob seinen geschienten Flügel an, um das Thema zu wechseln: „Was mach das Flügelchen, hm?“

Merkenau krächzte wehleidig und schlug ein paar Mal mit dem gesunden Flügel.

„Also immer noch gebrochen. Hehehe. So lernst du nie fliegen.“

Ich setzte mich an meinen Tresen, den kleinen Vogel darauf ab und wollte mir einen Keks aus meiner Keksurne angeln. Doch ich griff ins Leere. Irritiert steckte ich meine Nase in die leere Urne: „Du hast alle aufgegessen?!“

Merkenau krähte beleidigt.

Ich seufzte abermals: „Ich weiß, ich weiß. Ich habe dich das ganze Wochenende alleine gelassen und bin selber Schuld. Jetzt muss ich also auch noch einkaufen gehen...“

Der kleine Rabe krähte mir mit hörbarer Mitleidlosigkeit etwas entgegen.

Dann hüpfte er kurz weg und schob eine zweite Urne über den Tresen. Ich griff sie mir und schaute hinein. Darin lagen noch einige von Skylers kleinen Geschenken. Schmunzelt nahm ich einen in den Mund. Vom Einkaufen bewahrte mich Skylers Dankbarkeit und Merkenaus Blitzeinfall trotzdem nicht. Doch erst wickelte ich kauender Weise den Verband von Merkenaus kleinem Flügelchen und befühlte die darunter liegenden Knochen: „Das fühlt sich aber gar nicht schlecht an. Ich tippe in einer Woche können wir mit den Flugstunden anfangen.“

Ich schlug den Flügel in einen frischen Verband und stellte Merkenau eine Schüssel Wasser auf den Tresen. Mit einem lauten Platschen hüpfte der Vogel hinein und badete ausgiebig fröhlich krähend. Ich brachte schmunzelnd meine Notizblöcke in einer Schublade vor den Wassertropfen in Sicherheit, fischte gleichzeitig ein Bündel Geld heraus und ließ den fröhlich badenden Vogel einen fröhlich badenden Vogel sein.

Dann verließ ich meinen Laden und schlenderte zu einem kleinen Lebensmittelladen einige Gassen entfernt. Es war mehr ein Tante-Emma-Laden als ein Supermarkt, was mir sehr entgegen kam. Mir war er sympathischer, als die großen Lebensmittelketten. Vielleicht waren sie günstiger, ja, aber das war mir vollkommen egal. Einfach, da ich eh nur für das nötigste Geld ausgab, weil man sich alles was ich gerne hatte mit Geld nicht kaufen konnte.

In dem kleinen Laden traf ich auf die junge Floristin, bei der ich immer meinen Blumenschmuck kaufte. Sie wirkte wie immer reichlich von mir irritiert, wechselte aber trotz allem ein paar höfliche Worte mit mir. Schließlich war ich einer ihrer besten Kunden. Das kleine Gespräch endete jedoch sehr schnell und flotten Fußes verschwand die Floristin im hinteren Teil des Ladens. So weit wie möglich weg von mir. Ein Verhalten, was mich nur wie gewohnt lachen ließ. Ich liebte diese herrlich dummen Gesichter und diese verzweifelt höflichen Gebärden!

Nach einer halben Stunde schlenderte ich mit vollen Einkaufstaschen wieder Richtung Heimat und verstaute meine Einkäufe in der kleinen Küche. Dann füllte ich meine Keksurne wieder auf, nur damit Merkenau sich sofort wieder einen Keks klaute. Mit einem amüsierten Schnauben schüttelte ich den Kopf, als der Rabe mit dem Keks kämpfte der genauso große war wie er selbst.

Ich legte Robe, Tuch und Hut ab und machte mich daran die Taschen meiner neuen Gäste zu durchwühlen. Bei 13 von 15 fand ich Führerscheine oder Personalausweise, sodass ich Namensschildchen fertig machen konnte.

Ich war gerade dabei meine Neuzugänge in mein Kunderegister einzutragen, da klingelte mein Telefon.

Eher beiläufig griff ich den Hörer und klemmte ihn zwischen Kopf und Schulter, um weiter schreiben zu können: „Nihihihi! ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘, was kann ich für sie tun?“

„SIE HABEN MEINE TOCHTER!“, sofort ließ ich den Hörer mit flatternden Lidern von meiner Schulter rutschen und fing ihn mit einer Hand und einem knisternden Ohr.

Ich blinzelte der schreienden Stimme in meinem Hörer entgegen. Der kleine Vogel auf meinem Tresen tat es mir gleich.

„Sage noch einer ich sei verrückt“, flüsterte ich den Vogel zu, der zu krähen anfing als würde er lachen.

Kichernd nahm ich wieder den Hörer an mein Ohr: „Das kann sehr gut möglich sein. Tihihihi! Über wen sprechen wir denn genau?“

„WAS GIBT ES DA ZU LACHEN!?“, keifte die hysterische Frauenstimme weiter in mein Ohr.

„Kihihi. Gute Frau“, kicherte ich: „Es gibt keinen Grund mir so nonchalant ins Ohr zu schreien, finden sie nicht auch?“

Die Stimme am anderen Ende atmete tief durch: „Madeline Turner. Meine Tochter ist Madeline Turner. Sie war mit ihrem Bruder auf einer Feier der Phantomhives. Er ist vollkommen verstört und… sie ist… tot!“

Ich blätterte durch mein Kundenregister: „Fu fu fu. In der Tat. Ich habe eine Madeline Jaqueline Turner bei mir zu Gast“, ich nahm den Personalausweis von der Seite, den ich wie alle anderen mit einer Büroklammer daran geklemmt hatte: „Nihihihi! Braune Haare, braune Augen, 1,66m groß, 58 Kg, 26 Jahre jung.“

„Warum lachen sie die ganze Zeit?!“

„Werte Dame. Ich liebe meinen Job. Tehehe!“

„… Aber… Ich gehe richtig in der Annahme, dass sie Bestatter sind, oder?“

Ich verdrehte die Augen: ‚Was soll ich denn sonst sein? Facilitymanager? Staatsanwalt?‘, und unterdrückte ein Seufzen: „Hehehe! Ganz recht, ich bin Bestatter.“

„Und sie… lieben… ihren Job?“

„Aber ja!“, rief ich in den Hörer: „Ihre Tochter ist bei mir in den allerbesten Händen, werte Dame. Tehehehe! Sagen sie mir was sie wünschen und ich werde sie ihnen erfüllen.“

„Okay...“, kam es als Antwort. Darauf folgte ein paar Minuten schweigen: „Aber ich würde doch gerne mit dem Verantwortlichen sprechen.“

„Gute Dame, nihihi, sie sprechen mit dem Verantwortlichen.“

„Nein, nein. Ich meine den Chef.“

Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute Merkenau an. Merkenau legte den Flügel über die Augen, als wolle er sich fremdschämen. Lachend überschlug ich die Beine: „Tehehehe! Ich bin der Chef.“

„… Wirklich?“

„Nihi! Wenn ich es ihnen doch sage.“

„Oh...“

„Also? Tihi. Was kann ich für sie tun?“

„Könnten sie für‘s erste endlich aufhören zu lachen?“

Ich rollte abermals mit den Augen: „He he he. Können sie mir endlich sagen, was sie von mir möchten?“

„Dass sie aufhören zu lachen! Das ist eine äußerst ernste Situation!“

„Habe ich leider nicht im Sortiment“, grinste ich hörbar: „Dafür alles von Einäscherung, bis zur Seebestattung, fuhuhuhu!“

„Bitte?!“

„Tehe. Sie haben mich schon verstanden. Also?“

Die Frau am anderen Ende der Leitung schien endlich aufzugeben: „Ich wünsche für meine kleine Madi nur die bestmöglichste Beerdigung! Mein kleines Mädchen soll ihren letzten Gang in Würde antreten!“

„Dem stimme ich ihnen voll und ganz zu, fu fu fu. Sie können sich sicher sein, dass meine Gäste ihren letzten Weg immer in vollster Würde antreten. Doch solche Details bespricht man nicht am Telefon. Ich würde sie bitten in meinem bescheidenen, ehehehe, Etablissement vorbei zu schauen, damit wir zu dritt überlegen können, was für ihre ‚kleine Madi‘ am kleidsamsten wäre.“

„Gä… Gäste? Zu dritt? Kleidsam?“

„Natürlich! Oder hat ihre Tochter, was ihren letzten großen Auftritt angeht, kein Mitspracherecht?“

„Mitsprache… Guter Mann. Meine Tochter ist TOT!“

„Nehehe! Das sind die Meisten, die den Weg in meinen bescheidenen Laden finden. Also? Wann darf ich mit ihrem Besuch rechnen?“

Es folgten weitere Minuten irritiertes Schweigen, was mich nur abermals zum Kichern brachte.

„Sie meinen das ernst“, stellte die Stimme am anderen Ende der Leitung schließlich fest.

„Natürlich. Tehehe! Was ich sage meine ich immer ernst.“

„Aber… ich bin richtig verbunden, ja?“

„Ja, warum sollten sie nicht richtig verbunden sein? Nihihi.“

„Weil… ach, vergessen sie‘s! Ich könnte morgen bei ihnen vorbeischauen, wenn das ihnen recht ist.“

„Vorzüglich. Bis morgen, ich wünsche ihnen einen wunderbaren Tag. Tihihi! Bringen sie einige Kleider mit, die ihrer Tochter für ihren großen Auftritt gefallen würden.“

„Äh ja, mache ich. Ihnen auch einen schönen Tag. Bis morgen.“

Dann wurde auch schon aufgelegt. Ich hing meinen Hörer auf und schaute Merkenau an: „Verrückte alte Schachtel. Ehehe!“

Merkenau krähte etwas, was eindeutig nach ‚Sagt der Richtige‘ klang.

„Was denn?“, lachte ich: „Ich war doch höflich, oder nicht? Ich hab den Hörsturz, nicht sie. Fuhuhuhuhu!“

Mit einem Kopfschütteln zog Merkenau mit einigen Mühen seinen Keks über den Tresen und verfrachtete ihn irgendwie in sein kleines Nest.

Ich beschaute lachend die Anstrengungen des kleinen Raben, bis er schließlich siegreich war und ich mich wieder meinem Kundenregister widmete. Mit meinen Gästen konnte ich erst arbeiten, wenn ich mit den Hinterbliebenen gesprochen hatte, also trug ich Name und Adressen ein und zückte dann ein Telefonbuch, um die Angehörigen zu kontaktieren.

Etliche Termine landeten in meinem Kalender und das Heraussuchen der Telefonnummer und das Anrufen der Hinterbliebenen kosteten mich Stunden. Wie ich erwartet hatte waren einige Hinterbliebene recht unangetan von meinem Anruf, da sie selbst bei der Feier der Phantomhives dabei gewesen waren und ein sehr genaues Bild von den ‚wilden Tieren‘ hatten. Doch trotz allem willigten alle ein bei mir vorbeizuschauen. Sie werden ein noch größeres Wunder erleben, wenn sie mich erkannten. Denn verwechseln tat man mich eigentlich nie. Auf diese Gesichter freute ich mich wie ein Kind auf Heiligabend!

Nur die Identität meiner zwei Gäste ohne Personalausweis blieb mir immer noch ein Rätsel. Ich werde wohl warten müssen, bis mich die Angehörigen von sich aus fanden. Mittendrin sah ich, dass ich für den kommenden Freitag den guten William eingeladen hatte. Es wird dauern sich mit ihm durch meine Finanzen zu wühlen, also hielt ich mir den Freitag komplett frei. Außerdem musste ich Freitag- wie Mittwochabend im Wohnheim der ‚Violett Wolf’s’ vorbeischauen. So stapelte ich die neuen Termine um diese Termine herum.

Alles in allem verspricht es eine sehr arbeitsreiche und amüsante Woche zu werden, auch wenn ich streckenweise das Gefühl hatte, dass die Hinterbliebenen mein Amüsement nicht richtig teilten.

3 Angehörige meiner Gäste schauten noch heute vorbei. Zwei waren gerade 2 Sekunden in meinem Laden bis ich das Gefühl hatte, sie würden am liebsten rückwärts wieder raus fallen, was mich amüsant zum Lachen brachte. Es war ein Teufelskreis - den ich nur nicht als teuflisch empfand - : Ihr verstörtes Verhalten brachte mich zum Lachen und mein Lachen löste bei ihnen verstörtes Verhalten aus. Diese Rechnung war so wunderbar, dass ich nur gewinnen konnte!

Den Hinterbliebenen schien es fast zu widerstreben, dass sie stumm zugeben mussten, dass ich in dem was ich tat gut war. So verblieb keiner von ihnen wirklich lange in meinem Laden und sie verschwanden schleunigst nachdem Bestattungsart, die nötigen Vorbereitungen und auch die Bezahlung geklärt worden war.

Doch so konnte ich wenigstens schon einmal drei meiner neuen 15 Gäste aus ihren Kühlkammern holen und anfangen sie für ihren großen Auftritt auf zu hübschen.

Es handelte sich um zwei junge Mädchen und einen älteren Mann, der Frau und drei Kinder hinterließ.

Der Anblick dieser Frau hatte etwas in mir aufgewühlt, das mein Lachen fast zerschlagen hatte. Es blieb wo es war, doch war es mehr Anstrengung als Pläsier gewesen es zu halten.

Diese Frau…

Sie hatte in meinem Laden gestanden und wollte nicht sofort wieder die Flucht ergreifen. Die furchtbare Trauer in ihr war stärker, als jede Verstörung es je sein konnte. Diese Frau war so am Boden zerstört gewesen, dass sie sich noch nicht einmal mehr über meine sonderbare Ader gruseln konnte. Ihr war es nur wichtig gewesen, dass ihr Mann eine Beerdigung bekam, die er verdiente.

„Sie sind der Beste und ich möchte für meinen Schatz nur das Beste. Da können sie so komisch sein, wie sie wollen“, hatte sie zu mir gesprochen, als sie ihren Mann auf der kalten Eisenbarre betrachtete. Mit Tränen in den Augen. Dann war sie ihrem Mann ein letztes Mal zärtlich durch die Haare gefahren und ihre Tränen hatten sich ihre Bahnen gebrochen: „Ruhe in Frieden, Schatz… Ich werde dich so unendlich vermissen… Ich… Ich liebe dich...“

Wie sie dort stand, ehrlich um ihren Liebsten trauernd und weinend, löste etwas Komisches in mir aus. Sie war bei weitem nicht der erste Mensch, den ich in meinem Laden weinen sah, doch auch die Phrase ‚Ich liebe dich‘ machte mein komisches Gefühl in dieser Kombination nur noch viel schlimmer. Es muss so unsagbar furchtbar sein den Menschen zu verlieren, der einem das Wichtigste ist. Liebe war so ein zweischneidiges Schwert. Vor allem, da sie so sterblich war…

So sterblich und zerbrechlich wie die Menschen selbst.

Ein ebenso komischer Gedanke beschlich mich, als ich stumm hinter der liebenden Frau stand, die ihren bitteren Abschied nahm:

Wollte ich Skyler jemals einen Sarg schreinern?

Wollte ich das schöne, brünette Ding jemals unter die Erde bringen?

Ab einem gewissen Alter war es Standard, dass ich die Phantomhives - und auch die Fengs, Hermanns und Von Steinen - damit konfrontierte, dass sie ihren letzten Auftritt vorbereiten mussten. Sie wurden so gesehen gezwungenermaßen bei mir vorstellig und wir planten alles durch.

Ich wollte, dass ihre ganz spezielle Gala ihnen gefiel und nicht auf dem Gutdünken ihrer Hinterbliebenen beruhte. Das war meine Art mich bei ihnen zu revanchieren.

Ich wollte ihnen einen Sarg schreinern, der ihnen gefiel.

Ich wollte sie so zur letzten Ruhe betten, wie es ihren Vorstellungen entsprach.

Eben, weil diese Menschen mir alles andere als egal waren.

Doch gerade… stand ich vor dem ersten Menschen bei dem ich mir nicht sicher war, ob ich wollte… eben, weil ich ihn viel zu gerne mochte.

Mein Kopf sagte mir, dass ich nicht darum herum kommen werde und diese ganzen Gedanken von daher schon an sich albern seien.

Doch mein Herz… sagte mir mit einem schmerzhaften Zusammenziehen, dass es nicht um die Frage ging ob ich wollte, sondern ob ich konnte. Ob ich konnte, wenn ich musste.

Denn ich werde müssen… Früher oder später.

Und noch seltsamer als diese ganzen Fragen war die stumme Antwort, die zwar deutlich in meinem Kopf stand, aber ich noch nicht mal mit meiner inneren Stimme aussprechen konnte.

Irgendwann verschwand auch diese Frau aus meinen Laden und nahm all ihre bitteren Tränen mit sich.

Nur ich blieb mit all meinen komischen Fragen alleine zurück.

Die Ruhe lag für einen Moment wie ein schwerer Schatten auf meinen Laden. Ich blieb einige Minuten in meinen Türbogen gelehnt stehen und beschaute mit verschränkten Armen die leere Gasse durch eines meiner zwei einsamen Fenster.

Konnte ich? Wollte ich? Es war irgendwie schwer zu wissen, dass zumindest das Müssen außer Frage stand.

Dann weckte mich ein helles Krähen aus meinem Grübeln. Mein Kopf wanderte langsam zu meinem Tresen auf dessen äußersten Kante der kleine Merkenau saß und mich mit schief gelegtem Kopf anschaute.

Ich ging zu ihm und kraulte ihm wieder den kleinen Kopf. Das junge Tier war ein ganzes Stück gewachsen seit es hier war: „Hm? Was hast du?“

Er krähte mir besorgt entgegen.

„Ich schaue traurig? Denkst du?“

Mit einer Bestätigung, die die Ernsthaftigkeit meiner Frage in Frage stellte, krähte er ein weiteres Mal.

„Es ist nichts Dramatisches“, lachte ich: „Ich bin nur irgendwie gerade ein bisschen… konfus.“

Fragend legte der Rabe den Kopf schief.

Ich seufzte und schüttelte dabei den Kopf: „Warum tut nichts zur Sache.“

Merkenau nahm seinen Schnabel und zog damit an meinen Ärmel.

„Hehehe! Was machst du da?“, fragte ich lachend, als ich dem jungen Raben hinter her ging, der mich am Ärmel zu einer meiner Urnen führte. Er legte meine Hand darauf ab. Es war wieder die Urne mit Skylers Gebäck. Ich seufzte abermals: „Du kennst mich jetzt schon viel zu gut, kleiner Mann.“

Als ich keine Anstalten machte meine Hand in die Urne zu stecken, hüpfte Merkenau hoch, hing sich hinein, wedelte mit seinen kleinen Füßchen um die Balance zuhalten und plumpste ein Schweineöhrchen im Schnabel Hinterteil voran wieder auf den Tresen. Die kleine Standeinlage verursachte in mir eine belustigte Gefühlslage, die mir wesentlich lieber war und die ich wesentlich mehr verstand.

Doch dann hüpfte er mit dem Gebäck auf mich zu und legte es mir in die Hand. Anschließend krächzte er etwas.

Halb lachend, halb seufzend schob ich mir das Teilchen in den Mund und kraulte Merkenau wieder am Köpfchen: „Ich weiß, ich weiß. Du hast recht. Doch was soll ich dagegen machen?“

Merkenau schwieg kurz und krächzte dann kleinlaut.

„Ich habe auch keine Idee. Also lohnte es sich nicht sich mit der Sache im Übermaß zu beschäftigen, oder?“

Ein verneinendes Krähen des kleinen, schwarzen Vogels.

Dann sah ich, dass der kleine Vogel auf einem meiner Notizbücher saß. Er beschwerte sich mit wilden Flügelschlagen, als ich es unter ihm weg zog.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schlug das Büchlein auf.

»Skyler Rosewell: 07716916658«

Gedankenverloren und mit einem sonderbaren Gefühl beschaute ich die Nummer auf dem Papier.

Merkenau hüpfte neben meine Hand und schaute mich mit schief gelegten Kopf an.

„Skylers Handynummer“, kraulte ich ihn am Kopf.

Der Vogel krähte fragend, doch ich schüttelte nur den Kopf: „Das weiß ich auf nicht.“

Dann griff ich das kleine Büchlein neben meinem Telefon und Skylers Handynummer wanderte mit einem seichten Seufzer meinerseits unter die Telefonnummern der anderen, während ich mit der anderen Hand weiter Merkenaus Köpfchen kraulte.

„So ganz verstehe ich sie nicht“, seufzte ich noch einmal dem Vogel entgegen: „Irgendwie… verstehe ich hinter manchen Dingen die sie tut den Sinn nicht.“

Merkenau krähte und legte den Kopf noch schiefer.

Ich lachte: „Ja, vielleicht gibt es manchmal wirklich keinen.“

Dann legte ich die beiden Notizbücher zur Seite: „Ich mache mich an die Arbeit“, grinste ich den Vogel an und hielt ihm die Hand hin: „Mitkommen?“

Merkenau hüpfte meinen Arm hinauf und ich begab mich mit dem kleinen Vogel auf meiner Schulter zu meinen drei Gästen, die nur darauf warteten zurecht gemacht und wieder zusammengeflickt zu werden.
 

Meine Nacht war kurz gewesen.

Nicht, weil mich meine Gäste so sehr eingenommen hatten, nein, sondern weil mich meine komischen Fragen über wollen, können, müssen und sollen noch einige Stunden wach gehalten hatten.

Doch die Welt hatte kein Erbarmen mit mir.

Als meine Ladentüre sich öffnete zeigte meine Taschenuhr 09:30 Uhr an.

„Hallo?“, polterte eine Frauenstimme durch meinen Laden: „Ist hier jemand?“

Lachend schob ich meinen Sargdeckel zur Seite und trat heraus, in dem Wissen, dass diese Begegnung zumindest bei mir für einiges an Belustigung sorgen könnte.

Vor mir stand eine ungeahnt… korpulente… kleine Dame, die heute Morgen in einem tragischen Unfall in ihre Schminkpalette gefallen zu sein schien.

Ihr feuerrotes Haar hätte wohl mal eine elegante Hochsteckfrisur sein sollen, doch sah es eher aus als habe sich Merkenau ein weiteres Nest gebaut und ihr komisches Assembler teurer Kleider schrie fast schmerzhaft meinen Augen entgegen.

Dieser Anblick an sich ließ mich schon kichern.

Neben ihr stand ein hagerer junger Mann mit ordentlichen, so derartig gestriegelten roten Haaren, dass selbst William der Kamm aus der Jacketttasche gefallen wäre. Er musterte mich ungläubig und mit riesigen grünen Augen aus seinem blassen mit Sommersprossen gesprenkelten Gesicht. Eine schockierte Erkenntnis stand in dem ganzen Erscheinen des vielleicht 23 Jahre alten Jungen in dem teuren königsblauen Anzug, als er mich erblickte.

Doch dieser Gesichtsausdruck und der fassungslose Ausdruck der Frau mit ihrem überschminkten Gesicht machte die Beleidigung meiner Augen etwas weg.

„Wer...“, fragte die Frau und zeigte mit dem wurstigen Zeigefinger auf mich, den einige Ringe an einigen Stellen zusammen drückte, sodass er an eine Kette Cocktailwürstchen erinnerte: „Sind sie?“

Ich verneigte mich kichernd: „Nihihi! Man nennt mich ‚The Undertaker‘ “, ich richtete mich wieder auf und breitete meine Hände aus: „Willkommen in meinem bescheidenen kleinen Laden! Fu fu fu. Mit wem habe ich die Ehre?“

„Ihr… Laden?“

„Ihihi! In der Tat!“

„Also… sind sie der Mann vom Telefon?“

Ich neigte meinen Kopf: „Auch das ist richtig. Tihi!“

„Sie...“ stammelte der Jüngling aschfahl im Gesicht und zeigte mit zittrigen Zeigefinger auf mich, als er einen unwillkürlichen Schritt nach hinten machte: „Sie waren… auf… auf der Feier!“

Ich kicherte vorfreudig schrill und hob meinen hängenden Handrücken in meinem Ärmel vor den Mund. Der junge Mann hatte mich wohl wiedererkannt und sein schockiertes Gesicht war köstlich: „Kihihi! Auch das entspricht den Tatsachen.“

„Sie… sie haben… die Hunde...“, doch die Frau unterbrach sein amüsantes Gestammel, was bei mir sofort auf ein tiefes Gefühl auf Ungnade stieß. Wie sollte ich mich daran belustigen, wenn sie es unterbrach?: „Gott, Travis! Höre auf diese abstruse Geschichte zu erzählen!“

„Hör mir zu, Mutter!“, versuchte sich der Jüngling krampfhaft, aufgeregt und darüber hinaus vollkommen erfolglos seiner Mutter zu erwehren, was die Ungnade vertrieb und mich mit einem giggelnden Grinsen meine Arme verschränken ließ: „Dieser Mann hat gegen die Hunde gekämpft! Sie getötet! Einen nach dem anderen!“

„Travis, Travis“, schüttelte die Frau den Kopf und wandte sich dann zu mir: „Ihr müsst ihm nachsehen. Irgendetwas an der Feier ist ihm nicht bekommen und nun erzählt er die ganze Zeit von irgendwelchen übergroßen Hunden, die von irgendwelchen Männern mit Buttermessern und Gartengeräten zunichte gemacht wurden.“

Ich musste weiter giggeln. Diese ...Dame hatte ja keine Ahnung, dass ihr Sohnemann ihr die ganze Zeit nichts anderes als die Wahrheit erzählte.

„So glaub mir doch, Mutter!“, rief der Junge wieder aus und aus meinem Giggeln wurde ein Kichern: „Dieser Mann hatte eine riesige Sense!“

„Travis! Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass wir mit Dr. Farnsworth über diese Geschichte reden werden!“

„Pffffff!“, zischte es durch meine Finger, die ich mir mittlerweile auf meinen Mund gedrückt hatte. Wie kann ein Mensch nur so ignorant sein? Wie offensichtlich sich diese Frau vor der Wahrheit verschloss und wie sehr ihr Sohn nach ihrem Glauben und ihrer Anerkennung haschte war ein Bild für die Götter selbst.

„Aber… aber Mutter…!“

„Ich habe genug von deinen Märchen!“

Während ich kichernd dieser Konversation gelauscht hatte, spürte ich nun endgültig wie sich ein Lachanfall zusammenbraute. Mein schrilles Lachen unterbrach die Diskussion dieses Mutter-Kind-Gespannes. Es hallte von meinen Wänden wieder, knallte kreuz und quer durch meinen kleinen Verkaufsraum und walzte die Fassung und die Weltsicht meiner Besucher förmlich nieder. Ihr irritiertes und vollkommen überfordertes Blinzeln sorgte für weitere Lachschübe und fast 4 Minuten lang erging ich mich in hemmungslosen und vollkommen unverfrorenen Gelächter. 4 Minuten, in denen mein Besuch vergaß miteinander zu diskutieren und mich anstarrte.

Die Mutter drehte sich zu ihrem Sohn um, nachdem ich mich einigermaßen beruhigt und sie noch ein paar weitere Male verwirrt geblinzelt hatte, was mir ein weiteres amüsiertes Glucksen entlockte: „Siehst du? Diese Geschichte ist so abstrus, dass die Leute anfangen dich auszulachen.“

Ich prustete ein weiteres Mal. Diese Frau hatte ja keine Ahnung, dass ich SIE auslachte und nicht ihren verzweifelt die Wahrheit sprechenden Sohn!

„Mutter!“

„Halt jetzt den Mund, Travis. Heute geht es um deine Schwester. Nicht um deine Hirngespinste!“

„Wuhuhuhu!“, fächerte ich mir lachend mit einer Hand Luft zu und wischte mir dann kurz durch die Augen: „Ehehehehe! Mit wem habe ich überhaupt das Vergnügen?“

Ich wusste allerdings schon ganz genau, dass es die Frau war, die mir gestern durch mein Telefon ins Ohr geschrien hatte.

Die Frau legte eine Hand an ihre Brust, als hätte sie nur auf so eine Frage gewartet. Nicht, dass ich sie schon mal gestellt hätte: „Ich bin Baronin Adalyn Scarlett Courtney Turner, Tochter von...“

Ich warf eine Hand nach vorne und ging giggelnd um die beiden Gestalten herum hinter meinen Tresen: „Na! Ehehehe! Ich habe nach ihrem Namen gefragt. Ihr Stammbaum interessiert mich nicht“, ich lehnte mich lachend auf meine Tischplatte, denn die Irritation der Baronin Turner war einer ganz und gar entsetzten Beleidigung gewichen. Ein Ausdruck, der ihr unförmiges, schlecht geschminktes Gesicht zu meinen Vorlieben ergänzte: „Pahahahahahahahaha! Das letzte Hemd hat keine Taschen, werte Dame. Ihr Titel ist hier Nichts wert. Vor dem Tod sind alle gleich. Nehehehe!“

Leider hatte diese durchweg furchtbare Frau keine Ahnung wie wörtlich meine Worte wirklich waren. Dieses Gesicht wäre göttlich gewesen!

Doch leider werde ich es nicht sehen, denn selbst wenn ich ein laufendes Skelett in zerfetzter Robe wäre, würde dieses ignorante Weibsbild es wahrscheinlich nur für ein Halloweenkostüm halten. Ich legte meinen Zeigefinger an die Lippen, als mich eine andere Frage kurz von meinem Besuch ablenkte: Wie kamen die Menschen eigentlich auf den Gedanken, dass der Sensenmann so aussieht?

Ich stellte mir diese Frage wahrlich nicht zum ersten Mal.

„Sie… sind unfassbar!“, weckte mich die quakende Stimme der Baronin und ich stellte fest, dass sie mich mit ihrer Stimme, ihrem kermitgrünen Aufzug und den roten Haaren an eine fette, angezündete Kröte erinnerte.

Da sich ihr Gesicht vor meinem inneren Auge endgültig in das eines fetten, warzigen Kröterichs verzog, flog ein weiterer Lachanfall meinerseits durch den kleinen Raum und ließ meinen Besuch abermals perplex verstört verstummen.

Ich schaute ihren Strich von Sohn an, der mich mit einem zuckenden Auge musterte, als sei ich ein geiferndes, lachendes Monster: „Fuhuhuhuhu! Und du, Junge? Nihihi.“

Dieser stammelte erst unverständlich etwas vor sich her. Die Sprachschwierigkeiten – die definitiv noch der Erkenntnis geschuldet waren, dass ich einer der Männer von der Halloweenfeier und dazu noch ein ausgemachter Irrer war – des Jünglings enttäuschten mich nicht im Mindesten. Ein weiteres schrilles, amüsiertes Lachen kroch durch meinen Laden, das die nun noch krampfhafteren Vorstellungsversuche des rothaarigen Jungen nur in so fern besser machte, als das sie mich noch mehr belustigten: „Awewewe… Iftk... Habeda… Ich… Travis! Travis Brett Edward Turner!“

„Nihehehehehe!“, lachte ich den jungen Mann weiter aus: „Also, was kann ich für sie tun Mrs. und Mr. Turner?“

Die Baronin Turner schaute mich immer noch reichlich desillusioniert an: „Es geht um… meine Tochter...“

Ein Ausdruck, der mich weiter hochgradig amüsierte.

„Madeline, ja“, grinste ich und ging in Richtung meines Türbogens: „Sie erwartet sie sehnsüchtig, ehehehe! Folgt mir.“

„Mutter...“, hörte ich den jungen Turner wispern, als ich in den hinteren Raum verschwunden war: „So glaub mir doch. Wir sollten hier verschwinden...“

„Ach“, fauchte seine Mutter zurück: „Mach dir vor so einem armen Irren nicht ins Hemd, Travis!“

Kichernd hielt ich bei meinen Kühlzellen, drückte eine Hand vor den Mund und zog den anderen Arm um meinen lach-warmen Bauch, in dem immer noch die Lachanfälle nachhallten, als ich ein weiteres Mal nicht fassen konnte wie die Wahrheit auf so viel Unverständnis stoßen konnte. Da sprach dieser - von dem Schicksal mit seiner Mutter gebeutelte - vollkommen rückratlose Junge schon die Wahrheit, versuchte seine werte Frau Mutter jedoch nicht im Ansatz ihn zu verstehen oder ihm zu glauben. War nicht interessiert daran zu ergründen, was hinter den Aussagen ihres Jungen lag. Es war darüber hinaus nur allzu offensichtlich, dass dieser ‚Dr. Farnsworth‘ ein Psychotherapeut sein musste.

„Aber… aber Mutter!“

„Sie wartet, nehehehehe!“, lachte ich, während ich die Tür zum Kühlfach der jungen Miss Turner öffnete. Die Frau folgte mir polternden Schrittes in mein Vorbereitungszimmer, ihre wurstige Hand um das Handgelenk ihres Jungen gelegt.

„Was...“, sie schaute sich um: „Ist das für ein komischer Raum?“

Ich schüttelte lachend den Kopf, als ich mich neben ihrer toten Tochter aufrichtete, einen Arm verschränkte und den anderen Ellbogen darauf abstütze: „Mrs, Turner. Te he he he. Ich gebe ihnen den Rat, dass sie hier nur Fragen stellen sollten, deren Antworten sie auch wirklich verkraften.“

„Wie meinen sie das?!“

„Nun“, lachte ich schriller und legte mein Gesicht in meiner Hand ab, sodass mein Lachen über meinen kleinen Finger strich, den ich über meinen Mund gelegt hatte: „Ke he he. Ich habe keine große Lust, dass sie mir in meinen hübschen, kleinen Laden spucken. Fuhuhu!“

„Wie uncharmant“, hauchte die Frau in vollkommener unverarbeiteter Entgeisterung.

„Ehehehe! Sie sollten diesen Rat beherzigen“, dann zog ich ihre Tochter ein Stück aus ihrem Kühlfach.

Der junge Turner legte sichtlich geschockt und getroffen die Hand auf den Mund. Seine Mutter allerdings jauchzte. Jauchzte so gespielt und so dermaßen künstlich, dass ich der Einzige war, der dem Spucken wirklich näher kam: „Meine arme Madi!“

Ich schaute nochmal auf die junge Frau in meinem Kühlfach. Sie erzählte mir ihre ganze Geschichte in Sekunden.

„Bitte“, schüttelte ich schließlich meinen wieder aufgestützten Kopf: „Ihre Tochter ist tot. Ehehe! Sie müssen ihr nicht mehr vorspielen, dass sie ihnen irgendwie geartet wichtig wäre.“

„Bitte!?“

„Ke he he. Sie haben mich schon verstanden. Ihrer Tochter war immer bewusst, dass sie sich nie wirklich für sie interessierten.“

„Sie sind… so unendlich pietätlos! Wie können sie so etwas zu einer trauernden Mutter sagen?!“

Ich ließ die Hand von meiner Wange rutschen und locker hängen. Langsam ging mir diese ‚trauernde Mutter‘ doch furchtbar auf die Nerven.

Sie war nicht lustig, sie war dumm.

Sie war nicht amüsant, sondern nur selbstverliebt.

Sie trauerte nicht um ihre Tochter, sondern um ein verloren gegangenes Statussymbol.

Lediglich der konstant dämliche Ausdruck, der aufgrund meines Verhaltens in ihrem hässlichen, von Arroganz verzehrtem Gesicht erschien, war amüsant und willkommen genug um sie wenigstens eine kurze Weile zu ertragen: „Gar nicht. Tihihi! Aber hier gibt es auch keine.“

„Was?!“

„Ich sagte hier gibt es keine“, lachte ich abfällig: „Ehehehe! Lassen sie uns zum geschäftlichen Teil kommen.“

Vollkommen entgeistert musterte mich ihr Gesicht. Dass die Frau geschminkt war wie in der Clownsschule, machte diesen Ausdruck noch hunderte Male besser und entlockte mir ein weiteres amüsiert schrilles Lachen. Ich ging die paar Schritte zu meinem Seziertisch: „Gihihihihihihi! Haben sie ein Kleid für ihre Tochter dabei?“

Die Rothaarige musterte mich irritiert und konnte atok nicht antworten. Dies und das aschfahle Gesicht ihrer Brut ließ mich ein weiteres Mal laut auflachen.

Dann fing sie an auf dem Seziertisch Kleider auszubreiten. 6 Stück. Sie waren scheußlich. So teuer, wie sie unansehnlich waren.

Ich schaute zu der toten, jungen Dame. Sie sah ähnlich angetan aus wie ich: Gar nicht.

Innerlich seufzend hielt mein Grinsen stand, was schon aus dem Grund amüsierend war, da es dieser scheußlichen Frau sichtlich nicht passte.

„Ihre Lieblingskleider...“, jauchzte die auf eine nicht komische Weise komische Baronin wieder furchtbar künstlich.

Ich schaute ein weiteres Mal die junge Frau auf ihrer Barre an, die mir stumm ihre Antwort gab: „Nein. Sind es nicht.“

„Bitte?!“

„Sie gefallen ihr nicht“, drehte sich dann schließlich doch mein Grinsen um, als ich mein Gesicht wieder zu der Baronin wandte: „Sie kleiden sie nicht einmal.“

„Woher wollen SIE das wissen und beurteilen?!“

„Weil sie es mir sagt“, ich schaute wieder auf die 6 Kleider. Knallendes Moosgrün, auffallendes Himmelblau, eins in knarschigem Pink. Die andern Drei in einem wiederum viel zu langweiligen Grau. Doch alle prunkvoll und ausstaffiert bis ins Letzte. Unter dem ganzen Schmuck würde das junge, tote Ding hoffnungslos untergehen.

Ich hob eine Hand und kratze in Missmut mit dem Nagel meines kleinen Fingers über meinen Daumen: „Keins dieser Kleider findet auch nur ansatzweise ihr Wohlgefallen. Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren ihr das anzutun.“

Die noch sehr kindhafte, tote Frau flehte mich förmlich an sie davor zu bewahren.

„Ich habe auch eins eingepackt“, griff der Junge in die Tasche.

„Nicht dieses scheußliche Ding!“ echauffierte sich seine Mutter und zog seine Hände harsch aus der schwarzen Tasche auf meinem Seziertisch.

Mein Blick wanderte noch einmal kurz zu der jungen Frau und dann wieder zu ihrem Bruder: „Zeige es mir.“

Der Junge griff wieder in die Tasche und zog ein schlichtes Kleid heraus. Ohne viel Tam Tam von einem dezenten, blassen Beige.

Ich schaute von dem Kleid in den Armen des Jungen, zu der toten Dame und zurück. Ein Grinsen zog sich wieder über meine Lippen und ich hielt dem Jüngling meine Hand hin: „Genau in ihrem Sinne. Nehehehe!“

Mit einem schmalen – und auch reichlich verstörten – Lächeln gab der Junge mir das Kleid.

„Ist das ihr Ernst!“, polterte die Mutter weiter und ich war nur noch einen Schritt davor sie aus meinem schönen Laden zu werfen: „Hier liegen 6 der aufwendigsten Kleider und sie wollen das?!“

„Nein, ehehehe! Es ist ihr Ernst“, ging ich zu der toten Dame und faltete das Kleid auf ihrer Brust. Dann fuhr ich mit den Fingerspitzen über ihr blasses, kaltes Gesicht: „Die anderen Farben empfindet sie als erdrückend. So viel Dekor wünscht sie nicht. Sie weiß, dass sie ihr nicht stehen und ich werde sie nicht zwingen sie zu tragen, sollte sie nicht wollen.“

„Sie ist tot! Sie empfindet nichts mehr! Sie hat keine Meinung, sie armer Irrer! Nehmen sie ihre Hände da weg!“

Mit einem schrillen Lachen wischte ich der toten Dame ein paare Strähnen aus dem totenblassen Gesicht: „Kihihihihi! Denken sie, ja?“

„Natürlich! Tote können nicht sprechen! Sie haben keine Meinung!“

„Ke he he, doch“, mit einem abschließenden Streichen über die tote, kalte Haut richtete ich mich auf und ging auf die scheußliche Frau zu. Ich hielt ihr meinen Zeigefinger ins Gesicht: „Sie können nur nicht zuhören. Weder den Lebenden noch den Toten. Tehehehe!“

Dann stopfte ich die grässlichen Kleider wieder in die Tasche und warf sie der furchtbaren Frau entgegen. Reichlich irritiert und gerade so fing sie sie. Ich schob behutsam ihre Tochter wieder in ihre Kühlzelle und schloss die Tür: „Nur weil sie sie nicht hören können, heißt das nicht, dass Tote keine Meinung haben. Nur weil Menschen zu taub sind und sie nicht verstehen heißt es nicht, dass sie nicht sprechen, ehehehe“, dann warf ich die Hand nach vorne, während ich wieder auf die andere Seite des Seziertisches ging, an dem die Turners standen: „Ihre Tochter hat recht. Eh he he. Mit ihnen über Details zu sprechen bringt nichts. Es ist Zeitverschwendung, da sie nur darauf aus sind was sie wollen, nicht was ihr gefallen würde. Wahrscheinlich war es zu ihren Lebzeiten genau dasselbe. Heute in einer Woche um 13 Uhr ist ihre große Gala in der Kapelle des ‚River Thames Cemetery‘ “, grinste ich die Frau an und beugte mich über den Seziertisch in ihr Gesicht, was sie um einiges blasser werden ließ: „Die Rechnung lass ich ihnen zu kommen. Gihihi! Seien sie pünktlich, Mrs. Turner. Ihre Tochter ist bei mir in besten Händen. Sollten sie sich dessen nicht sicher sein, fragen sie die Familie Phantomhive nach mir. Te he he“, schloss ich mit einem dunklen Lachen ab.

Die Frau wirkte nun vollkommen verstört und ihr Sohn konnte nichts anderes tun als mich mit offenem Mund anzustarren.

Ungläubig schüttelte schließlich die Kröte in Menschenhaut den Kopf und stolperte zwei Schritte nach hinten, was mich zum wiederholten Male lachen ließ, als ich um den Tisch herum ging und so meinen Besuch ein Stück in Richtung Ausgang drängte: „Ki hi hi! Bis in einer Woche, Mrs. und Mr. Turner. Überlegen sie bei ihrer Kleiderwahl was Madeline gefallen würde und nicht ihnen.“

„Sie“, schüttelte die Frau schon wieder den Kopf: „Haben sie nicht mehr alle!“

„Da“ ich beugte mich zu ihr herunter und bohrte meinen Finger in ihre Brust: „Haben sie das erste Mal an diesem Tag wirklich Recht. Nihihihi!“

Sie stolperte ein paar weitere Schritte zurück und griff sich ihren Jungen: „Wir… wir gehen jetzt!“

Ich verschränkte nur grinsend meine Arme und musste kurz darauf wieder lachen, als sich die Mutter noch einmal - kopfschüttelnd und vollkommen neben sich stehenden – zu mir umdrehte.

Etwas vor sich her stammelnd wandte sie sich zum gehen.

„Ach. Tehehehe. Mrs. Turner?“, hielt ich die grässliche Frau doch noch einmal auf, als ich mich an meinen Tresen gelehnt hatte und mir einen Keks in den Mund schob. Ein Pläsier schuldete sie mir für ihr unmögliches Verhalten noch. Bevor sie die Klinke meiner Türe greifen konnte, drehte sie ihren Kopf noch einmal zu mir um: „Was wollen sie denn noch?!“

„Eh he he! Ich gebe ihnen einen weiteren gut gemeinten Rat mit auf ihren Weg“, lachte ich, den Keks zwischen meinen Lippen und Mutter wie Sohn sahen mich aus schreckensblassen Gesichtern an. Ich gab mir nicht ansatzweise Mühe meine Belustigung zu kaschieren: „Manchmal handelt es sich bei der Wahrheit um die wahrlich abstrusen Geschichten. Ih hi hi hi!“

In den Augen des Jungen sah ich, dass er verstand. Tief geschockt verstand. Ohne zu blinzeln starrte er mich mit offenem Mund an. Auch seine Mutter schaute von mir zu ihm und wieder zurück und wusste nicht, was sie antworten sollte: „Sie wollen doch nicht etwa...“

„Was sie aus diesem Ratschlag machen ist ihre Angelegenheit“, ein dunkles Lachen kroch aus meinem Grinsen, als ich meinen Keks in einem Biss hinunterschluckte und meinen beringten Zeigefinger an die Lippen legte: „Eh he he he. Doch es ist schon erstaunlich wie gut man sich mit Buttermessern und ein paar Gartenwerkzeugen gegen zu groß geratene Hunde verteidigen kann, finden sie nicht auch?“

Die Augen der beiden Turner fielen fast aus ihren Höhlen, so weit hatten sie sie aufgerissen, als die Bedeutung meiner Worte noch durch ihre von Schock versteiften Gedanken drang.

Ein weiteres dunkles Kichern schlich kalt durch meinen Laden: „Ih hi hi. Ich wünsche einen schönen Tag. Verschwinden sie aus meinen Augen. Ehehehe!“

Mit einem entsetzten und fast panischen Kopfschütteln zog die Baronin ihren Sohn aus meiner Ladentür.

Merkenau steckte seinen verschlafenen Kopf aus dem Nest und krähte mich an.

„Nihihihi! Ja, das war die komische Schachtel von gestern. Obwohl ich ja jetzt eher geneigt bin sie als Kröte zu betiteln.“

Müde krähte der Rabe eine weitere Frage.

„Nein, ich glaube nicht, dass sie mich weiter empfiehlt. Gihihi! Aber die Wenigsten würden das tun, bis sie die Feierlichkeiten erlebt haben. Fu fu fu.“

Dann hielt ich dem kleinen Raben meine Hand hin und er hüpfte auf meine Schulter, wo er sich schlaftrunken wieder hinsetzte. Mit einem Stupsen auf seinen Schnabel brachte ich den kleinen Vogel ein weiteres Stück in die wache Welt, da er drohte auf meiner Schulter wieder einzuschlafen und gefährlich weit zur Seite kippte. Er blinzelte mit dem Flügel schlagend.

Ich verschränkte die Arme und mein Grinsen verschwand aus meinen Gesicht, als ich auf meine geschlossene Ladentüre schaute: „Aber ich finde es immer wieder faszinierend wie viele Eltern es gibt, denen ihre Kinder so vollkommen egal sind. Und noch um ein vielfaches faszinierender ist es, wie viele Möglichkeiten lieblose Eltern finden ihre Kinder zu foltern.“

Merkenaus Krähen wurde eine Spur verständnisloser und ich schielte mit einem Auge zu ihm herüber: „Nein. Ich sprach von faszinierend. Nicht von amüsant oder gut.“

Jetzt krähte der Rabe traurig.

Ich schwang mich von meiner Tischplatte und ging in den hinteren Raum: „Ja, aber auch seelische Grausamkeit ist Grausamkeit und ich würde behaupten körperliche Grausamkeit geht mit der seelischen am Ende Hand in Hand.“

Kalte Wut keimte in mir auf. Ein tragisch gutes Beispiel dafür hatte ich ja immer öfter vor Augen.

Doch lange konnte ich mich mit meinem steifen Zorn nicht beschäftigen. Denn immer wieder ging die Türe auf und weitere Angehörige und Planungen bedürften meiner Aufmerksamkeit.
 

Am Mittwochvormittag hatte ich endlich alle Besuche der Angehörigen abgearbeitet. 5 Familien verwies ich weiter an die Phantomhives, da sie sehr wohl wussten was hinter den bizarren Todesfällen steckte. Doch wenigsten entschädigte mich ihr überfordertes Verhalten für die vielen Mühen, als sie mich genau wie der junge Travis Turner erkannten und vor Schreck fast hinten über fielen.

Zwischen den Besuchen der Angehörigen kümmerte ich mich um meine vielen neuen Gäste. Arbeiten ohne ständig von einer aufgehenden Türe unterbrochen zu werden, lernte ich in den letzten 2 Tagen erst wirklich zu schätzen.

Die meisten Familien wünschten einen offenen Sarg. Was an sich kein Problem war. Aufwendig vielleicht, aber kein Problem. Doch bei zwei Gästen konnte ich es wirklich nicht empfehlen. Aufgerissene Brüste und ausgeweidete Bauchhöhlen konnte ich retten, doch bei den Beiden hatten die Hunde das Gesicht zerrissen. Diese Totenmaske konnte selbst ich nicht wieder herstellen, da schlicht und einfach die Hälfte fehlte. Gesichter herbeizaubern lag auch außerhalb meiner Fähigkeiten.

Ich riet den Familien sie einzuäschern und so verblieben wir.

So vertrieb ich mir den Tag damit Torsos zusammen zunähen. Und zwar viele davon.

Gegen 17 Uhr hatte ich schließlich den letzten Angehörigen verabschiedet und meine müden Finger und ich entschlossen sich für eine kleine Kunstpause. So sehr ich meine Arbeit liebte, umso anstrengender war teilweise die Beschäftigung mit den Hinterbliebenen. Vor allem da es nicht selten vor kam, dass sie mir ihre eigenen Wünsche als die Wünsche meiner Gäste verkaufen wollten. Doch die Toten ließen sich nicht mehr übergehen. Sie logen nicht mehr. Sie sagten mir ehrlich, was wirklich in ihrem Sinne war und was eben nicht. Eine Tatsache, für die nur die wenigsten noch atmenden Menschen Verständnis zu haben schienen. Unter den Menschen die mich die letzten zwei Tage aufgesucht hatten, war keiner von ihnen. Und das stellte sich als ziemlich anstrengend heraus.

Nachdem ich mir eine Kanne Tee gekocht und meinen Messbecher mit Zucker voll geschaufelt hatte, ließ ich mich mit einem Seufzen auf meinen Stuhl sinken. Merkenau knusperte vor mir auf dem Tisch an einem Keks herum. Der kleine Rabe war nur am essen. Ich hoffte inständig es lag an einem Wachstumsschub, ansonsten würde er in einer Woche eher rollen anstatt zu fliegen. Sollte es dazu kommen benenne ich ihn offiziell um in Diedrich.

Merkenau unterbrach seinen 17 Uhr Snack allerdings kurz um mich an zu krähen.

„Ein bisschen“, grinste ich ihn als Antwort an: „Das wirklich anstrengende an diesem Beruf sind die Menschen, die noch atmen, tehehehe!“

Mit einem Kopfschütteln knusperte der kleine Vogel weiter und ich verschränkte Arme und Beine, als ich meinen Messerbecher zum Mund führte. Kaum hatte der warme Tee meine Lippen berührt und den ersten Anflug von Entspannung in mir ausgelöst, klingelte mein Telefon. Ich seufzte in meinen Becher und schielte Überkreuz: „Ich habe keine Lust mehr auf Menschen...“

Merkenau krähte mir etwas zu.

„Ich weiß, dass ich in der Welt der Menschen wohne und ich zwangsläufig mit ihnen zu tun haben muss, nehehe! Aber ich habe trotzdem keine Lust mehr auf sie.“

Das Telefon klingelte weiter.

Merkenau schaute von Telefon zu mir und krähte wieder.

„Nein, tehe“, trank ich endlich einen Schluck Tee: „Ich lasse es einfach klingeln.“

Was es immer noch tat.

Merkenau flatterte mit dem gesunden Flügel um sein genervtes Krächzen zu unterstreichen.

„Wieso?“

Driiiing! Driiing!

Wer auch immer am anderen Ende saß, er war hartnäckig.

Merkenau krächzte lauter.

Driiiing! Driiing!

Ich seufzte. Mit der Hand ohne Teebecher griff ich nach dem Hörer: „Ist ja gut, ist ja gut. Ich lasse mir von einen Raben Vorschriften machen… Ehehehe! Wie weit bin ich nur gesunken!“, dann hielt ich mir mit einem großen Grinsen den Hörer an mein Ohr: „Nihihihi! ‚The Undertaker‘s Funeral Parlor‘, was kann ich für sie tun?“

In Erwartung dessen was da kommen möge, nahm ich einen tiefen Schluck Tee.

„Undertaker!“, die Irritation, die mich bei dem Klang von Williams Stimme überkam, hielt mich davon ab meinen Tee herunterzuschlucken. Das William mich anrief war an sich schon das 8te Weltwunder, doch der sonst so eiskalte Aufsichtsbeamte klang darüber hinaus auch noch ernsthaft aufgeregt, was kein sonderlich gutes Zeichen für irgendetwas war.

„Beeil dich, Will! Wir haben keine Zeit!“, hörte ich Grell im Hintergrund kreischen. Noch aufgeregter als sonst.

„Tue ich! Hör auf mir ins Ohr zu schreien, Sutcliff! So kann ich mich nicht konzentrieren!“

„Will! Die Uhr tickt!“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen beschlich mich ein ganz ganz schlechtes Gefühl.

„Undertaker“, wandte der Aufsichtsbeamte wieder das Wort an mich und atmete tatsächlich einmal tief durch, was meine Ohren noch spitzer werden ließ, als sie eh schon waren: „Hör gut zu. Ich, nein, wir haben nur die Zeit für eine Erklärung. Skyler steht auf der Liste und sie hat keine Zeit mehr.“

Bei diesen Worten spuckte ich meinen Tee quer über die Tischplatte. Ich badete damit auch den kleinen Merkenau, der genau in Spuckrichtung saß. Der Vogel klimperte mich mit großen, schreckgeweiteten Augen an.

„WAS!?“, entfuhr es mir geschockt.

Zu mehr war ich einfach nicht in der Lage.

Mein Kopf hatte noch nicht einmal ansatzweise verarbeitet was William gerade eigentlich gesagt hatte und in meiner Brust zog sich alles schmerzhaft zusammen. Das erste Mal seit Jahrzehnten hatte ich das Gefühl mir war eiskalt. Mein Herz quittierte derweilen seinen Dienst: „Sie tut... Sie hat WAS?!

„Sie steht auf unserer Liste! Grell hat sie mir gerade wie eine Furie unter die Nase gehalten“, wiederholte William in einer merklich unterdrückten Anspannung.

Es raschelte kurz am anderen Ende.

„Du musst uns glauben, Undertaker!“, hörte ich nun Grell: „Sie steht wirklich auf meiner Liste. Für 17:48 Uhr und 2 Sekunden!“

Ich sprang von meinem Stuhl. Er krachte nach hinten. Meinen Becher ließ ich einfach los und er ging knallend zu Boden. Viel zu hastig kramte ich nach meiner Taschenuhr, weswegen sie mir immer wieder aus den Fingern glitschte.

Ein weiteres Rascheln: „Wirst du wohl… Jetzt gib mir den Hörer wieder, Sutcliff! Wie du schon festgestellt hast haben wir keine Zeit!“

Der Deckel meiner Taschenuhr sprang auf...

17:41 Uhr: ‚BITTE?!‘

Mit großen Augen raste eine weitere eiskalte Welle durch mich hindurch. Sie hatte nur noch knapp 7 Minuten. Ein furchtbares Gefühl wallte in mir auf.

Ich kannte dieses Gefühl.

Es war die Angst um jemanden, der mir wichtig war.

Das kurze Déjà vu an die brennende Villa - wo mich dieses Gefühl das letzte Mal ergriffen hatte - ging in selbigem sofort wieder unter.

„Aber Will!“

„Ich mache das. Wenn wir erwischt werden, bin ich der Verantwortliche, klar?!“

„Willi...“

William seufzte hastig: „Undertaker? Waterman's Green, B306 London SW15 1EJ UK. Todesursache Blutverlust um 17:48 Uhr! Ich habe in ihren Record geschaut. Sie hat mit Amber Oliver und Claude auf der Straße gesehen und sie sind ihnen hinterher geschlichen. Die Beiden haben sie ertappt und haben Hannah dabei. Mach dich auf einiges gefasst. Bis wir mit der Liste da wären, können wir sie gleich abholen gehen. Du musst es irgendwie ohne schaffen. Das wird verdammt knapp! Lau…!“

‚Claude und Hannah?!‘, ich warf den Hörer in die Angel, bevor William zu Ende gesprochen hatte: ‚Warum machen die Beiden so etwas?!‘

Mein Herz hatte wieder eingesetzt und in einem unbeschreiblichen Tempo zu tosen angefangen.

Mit einem Satz war ich über meinen Tisch gesprungen und hatte mir in derselben Bewegung meine 10 Sotobas gegriffen. Für zwei Dämonen werde ich sie brauchen. Meine Hintertür flog auf und knallte gleich wieder zu, als auf das nächste Dach sprang und durch London hechtete. Wenn ich die Stadt und ihre Winkel nicht wie meine Westentasche kennen würde, hätte ich ein fürchterliches Problem gehabt.

Ich rannte so schnell ich konnte.

Die Welt zog als Flecken an mir vorbei, als ich im Lauf meine Sotobas, wie meine als solches getarnte Sense in meiner Robe verstaute. Die Kette meiner Taschenuhr band ich mir um mein Handgelenk und schaute auf ihre Zeiger...

17:42 Uhr: ‚Nein!“

Ich rannte weiter, meine Uhr wie das Rad des Schicksals mit meiner Hand umklammert. Unter meinen bis zum bersten angespannten Fingern knackte ihr Glas. Einmal rutschte ich fast aus, doch fing mich im letzten Moment wieder.

Ich rannte weiter so schnell, nein, schneller als ich konnte, geschüttelt von dem kalten Schreck und der heißen Anstrengung.

17:43 Uhr: ‚NEIN!‘

Mein Atem raschelte und mein Herz trommelte wie Pauken in meinen Ohren. Das schönste Lächeln, das ich kannte und die zwei unfassbar himmelblausten Augen, die ich je gesehen hatte, hingen untermalt von dem wunderschönen, glockenhellen Lachen in meinem Kopf und trieben mich zu Höchstleistungen an.

17:44 Uhr: ‚NEIN! VERDAMMT!‘

Ich schlug den letzten Hacken. Der kleine Park kam in Sicht. Stimmen und erstickende Geräusche drangen durch das wilde Trommelschlagen meines Herzens an mein Ohr. Ich spürte wie urplötzlich zwei Präsenzen auftauchten. Zwei Menschliche. Vollkommen aus dem Nichts. Das konnte nur Skyler und Amber sein. Sie müssen irgendwie ihre Ketten verloren haben. Doch wenigstens wusste ich nun, dass ich auf dem richtigen Weg war. Denn die beiden Präsenzen waren ganz in der Nähe.

17:45 Uhr: ‚VERDAMMT! SKY!‘

Ich tat einen großen Sprung, als die Häuserdächer noch einige Meter vor dem Park endeten. Meine Uhr ließ ich los und sie wog gefühlte 5 Tonnen an meinem Handgelenk. Im Sprung warf ich mein Tuch und meine Anhänger einfach weg. Hastig riss ich meinen Mantel auf und zwei Knöpfe sprangen dabei aus der Knopfleiste.

Ich hatte keine Zeit abzuschätzen, ob der Sprung zu weit war.

Ich hatte keine andere Wahl.

Es MUSSTE funktionieren.

Ich sah Skyler und Amy.

An Skylers Hals Hannah.

An Amys Hals Claude.

Skylers Augen fielen unter dem Würgen der Dämonin zu.

Oliver stand vor einem Geländer mit dem Gesicht Richtung Themse und lachte triumphierend dreckig der Abendsonne entgegen. Ich schwor mir – und ihm – in dem Moment wo ich ihn sah, dass ich ihn seinen Triumph so tief in den Rachen stopfen werde, dass er daran ersticken wird. So langsam und qualvoll wie es sich einrichten lässt!

Eine neue - um einiges eisigere - Welle brachte mich an den Rand meiner Contenance.

17:46 Uhr.

Der Sprung war fast zu kurz gewesen.

Als ich das realisierte lief die Welt für einen kurzen Moment in Zeitlupe an mir vorbei.

Ich streckte meine Hand aus.

Mit dem letzten Zentimeter meines Armes griff ich den Ast einer alten Borke. Während ich mich auf den Ast schwang zog ich zwei Sotobas mit einer Hand aus meinem Mantel. Kaum war ich aus dem Ast zum Hocken gekommen warf ich sie auf die beiden Dämonen. Ihre Köpfe zuckten hoch und im letzten Augenblick ließen die Dämonen von den Mädchen ab und sprangen in Sicherheit.

Oliver fuhr herum

Mein Blick fiel auf die Uhr, die sich an meinem vom Werfen noch nach vorne gestreckten Handgelenk drehte…

17:47 Uhr und 21 Sekunden.

Weniger als eine Minute.

Noch war es nicht ausgestanden.

Sky sollte nicht erwürgt werden, sie sollte verbluten.

Noch war zwischen mir, ihr, den Dämonen und dem Schicksal alles offen.

Der pure entsetzte Unglauben erschien in dem jungen, von Hass gezeichnetem Gesicht des Earls Trancy, als er mich sah: „Verdammt! Scheiße! Nicht der!“

Die Mädchen rappelten sich auf. Claude und Hannah erschienen an Olivers Seite. Sie waren mehr darauf bedacht ihren Meister vor mir zu beschützen, als den Mädchen weiter ans Leder zu gehen.

„Tehehehehe!“, schallte es aus meinem Mund, als ich nicht darum herum kam, dass mir die überrascht gestressten Gesichter des verfeindeten Earls und seiner Handlanger gefielen.

Mein Lachen ließ sie innerlich straucheln und sie mussten sich von meinem plötzlichen Auftauchen kurz erholen, was mir ein paar wertvolle Sekunden schenkte.

17:47 Uhr und 44 Sekunden.

Mein Herz klopfte schneller. Doch wenn ich jetzt aus der Ruhe gerate ist vielleicht alles vorbei.

Auch die Mädchen wurden durch meine Lachen auf mich aufmerksam und schauten zu mir hoch.

„Undertaker!“, hörte ich Amys atemloses Rufen.

„Schnappt die Mädchen!“, hallte gleich Olivers Stimme hinter her: „Und dann schnell weg hier!“

„Ja, eure Hoheit!“, antworteten seine Diener und sprangen auf die Mädchen zu.

Ein halber Blick auf meine Uhr...

17:47 Uhr und 52 Sekunden.

Die nächsten 10 Sekunden sind entscheidend.

Und 10 Sekunden waren keine lange Zeit um ohne manipulierte Liste mit dem Schicksal zu pokern. Nur selten hatte ich mich in meinem Leben so gestresst gefühlt wie in diesem Moment.

Die besorgte Angst, gemischt mit Adrenalin stieg mir sauer in die Kehle, als ich von meinem Ast verschwand und vor den Mädchen zum Stehen kam. So lange ich zwischen ihnen und den Dämonen stand hatten die Beiden und ich ein besseres Blatt.

„Ehehehe! Ihr hättet laufen sollen“, mit einer Armbewegung flogen die Schlösser meines Mantels auseinander: „Als ihr die Möglichkeit dazu hattet. Tihihihhihi!“

In derselben Bewegung warf ich zwei weitere meiner Sotoba.

So effektiv wie meine Sense waren sie nicht, doch waren diese Scheite nach alten Traditionen gesegnet worden und so nicht ganz ungefährlich für die Bewohner des dunklen, dreckigen Rattenlochs, was auch als Hölle bekannt war.

Hannah schlug einen Harken um dem Holzscheit auszuweichen und schlitterte einige Meter von den Mädchen entfernt über den Rasen. Dass ihr Meister genau in der Flugbahn stand sah sie nicht. Doch Oliver schaffte es im letzten Augenblick unter meinem Sotoba wegzutauchen.

Claude erkannte im Gegensatz zu Hannah, dass auch die Flugbahn seines Sotoba durch ihn und seinem Meister führte. Er stieß sich mit einem Fuße ab und nutzte den Schwung, den er geholt hatte um schnellstmöglich zu den Mädchen zu kommen, dazu sich um die eigene Achse zu drehen und meinen Holzscheit wegzutreten. Wirbelnd landete er in der Themse. Der Dämon allerdings sprang zur Seite.

„Was willst du mit deinen überdimensionalen Zahnstochern erreichen, Shinigami?“, nahm Claude betont teilnahmslos seinen Frack um seine Brille zu putzen und setzte sie wieder auf seine Nase: „Damit kommst du nicht weit.“

Meine Augen fielen auf meine Uhr.

In meinem Magen und in meinen immer noch angespannten Fingern knisterte die Aufregung…

17:48 Uhr und 6 Sekunden: ‚Geschafft!‘

Ein warmer Funken blitzte in meiner Brust auf: ‚Es hat funktioniert!‘

Ohne Liste das Schicksal zu ändern ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Nur sehr mächtige Wesen hatten die Chance dazu.

Ich war mächtig genug. Claude allerdings auch.

Doch heute hatte ich 4 Asse und einen Joker. Obwohl der im Poker eigentlich nicht vorkam, aber ich hatte ihn. „Oh, sicher?“, grinste ich, als ich das Schicksal auslachte. Nun konnte ich mich voll und ganz dem Dämon widmen, mit dem ich noch die ein oder andere offene Rechnung zu begleichen hatte. Jetzt wo Skylers eigentliche Todeszeit überschritten war, war mir dieses Zusammentreffen gar nicht mehr so unlieb. Was gibt es Schöneres, als seine Feinde auszulachen mit dem guten Ausblick darauf sie töten zu können?

In mir flackerte die Wut auf Claude wieder auf, die ich seit Halloween in einem nicht ganz so hinteren Winkel mit mir herumtrug, wie ich es gerne hätte. Immer wieder sprang sie mir in den Kopf und entfachte das Bedürfnis dem Dämon endgültig den Hals umzudrehen. Jetzt, wo er vor mir stand, hatte ich dieses Bedürfnis nicht mehr im Griff. Aber das musste ich ja auch nicht. Ich will den Dämon tot sehen. Ich will ihn vor Schmerzen schreien hören. Ich will ihn aus allen Poren bluten sehen. Ich will dafür sorgen, dass ihm im Vergleich zu dem, was folgen wird, ein Gang durch seine Heimat vorkommt wie ein Sonntagsspaziergang: „Und nenne mich nicht Shinigami. Hehe. So hat mich seit Jahren niemand mehr genannt. Kehehehe!“

„Wie auch immer“, Claude und Hannah spannte ihre Körper an und machten sich bereit zum Sprung: „Gegen uns beide hast du so keine Chance.“

„Au contraire“, ich lachte weiter, um den Dämon zur Weißglut zu treiben: „Aber redet ruhig weiter. Mehr Spaß für mich. Hehehe.“

Die ansehnliche Maske, die das Gesicht des Dämonenbutlers war, verzerrte sich in heißem Zorn gegenüber meines offenen Spottes. Ohne ein weiteres Wort sprangen die Dämonen los. Ein Fuß erschien vor meinem Gesicht und ich spürte ein Wehen der Luft an meinem Hinterkopf, der mir einen weiteren Tritt verriet. Ich griff die Knöchel der Dämonen bevor sie mich treffen konnten und warf sie zur Seite weg. Sie drehten sich im Flug und landeten auf ihren Füßen. Wie ich erwartet hatte. So einfach war den Beiden auch nicht bei zu kommen. Doch was die Trancy Dämonen gerade zeigten war nichts weiter, als eine bessere Zirkusnummer.

„Wenn ihr so weiter macht“, fiel mein Kopf mit der grinsenden Frage zur Seite, ob sich die Dämonen aus irgendwelchen Gründen zurückhielten oder in den letzten Jahren mächtig Federn gelassen hatten: „Fu fu fu fu. Brauche ich noch nicht einmal meiner ‚Zahnstocher‘ für euch. Nehehehe!“

Zweiteres konnte ich mir nicht vorstellen. Doch Hannah und Claude sollten genau wissen, dass sie mit blanken Fäusten und Füßen wortwörtlich auf verlorenen Posten kämpfen. Außerdem wusste ich ja schon von Sebastian, dass beide ein Dämonenschwert besaßen. Hannahs war bekannt. Sie war das Gefäß Lævateinns. Doch auf Claudes neue Errungenschaft war ich gespannt.

Doch vorerst hörte ich von den Dämonen nur ein gereiztes Zischen.

Wahrscheinlich wollten die Dämonen ihren neuen Trumpf solange wie möglich unter Verschluss halten.

„Holt die Weiber!“, schalte es von Oliver.

Ich wollte die Stimme dieser kleinen Kröte einfach nicht mehr hören. Jeder Tag ohne sie war ein durchweg guter Tag, selbst wenn es der Weltuntergang sein sollte. Was fällt ihm des Weiteren ein, so über die beiden Mädchen zu sprechen?

Ich griff ein Sotoba und warf es ihm entgegen. Claude schaltete, Oliver nicht. Die menschlichen Reflexe waren zu schlecht. Doch der Butler fing meine Waffe 2 Zentimeter vor der Nase seinen Herren, die bei dessen Anblick bedeutend blasser wurde.

„Wo sind deine Manieren, Oliver?“, lachte ich bis ins Letzte amüsiert von Olivers schock-weißem Gesicht: „So redet man nicht über zwei Damen!“

Seine Blässe wich einer satten Zornesröte: „Du! Du kleiner…!“

Ein Wechselspiel aus Angst und Wut ließ Olivers Satz bei der Hälfte in wütendes Gebrummel untergehen, was mich erneut auflachen ließ: „Sprich dich aus, Oliver. Nehe! 5 habe ich noch.“

„Claude!“, schrie Oliver in rasendem Zorn.

Sein Butler gehorchte ohne auf nähere Anweisungen angewiesen zu sein, tauchte vor mir auf und griff mich mit meinem eigenen Sotoba an. Ich zog ein weiteres aus meinem Mantel und wehrte ihn ab. Der Schlagabtausch lief ein paar Sekunden hin und her, bis Hannah mich von hinten attackieren wollte. Ich musste meinen Oberkörper halb von Claude wegdrehen, um ihr meinen Ellbogen in den Bauch zu rammen. Mit ihrer Hand an Skylers schlankem Hals stand sie nun auf meiner Liste direkt hinter Claude. Doch gerade der verlangte nach meiner Aufmerksamkeit, als Hannah in die Knie gegangen war.

Der Dämon war schnell, für den Augenblick schneller als ich und traf mich an der Schulter. Ich spürte ein Surren in meiner Schulter, als er mit meiner eigenen Sotoba dort die Haut zerriss. Ich taumelte einen Schritt nach hinten.

Für den Moment hatte sich Claude die Oberhand erstritten. Doch das hieß nicht, dass er den Daumen auf mir drauf hatte. Ich blockte seinen nächsten Angriff. Während der Dämon mich unnachgiebig attackierte, lachte ich seine fruchtlosen Versuche ebenso unnachgiebig aus, während ich ihn blockte oder auswich. Ich merkte an seinen Bewegungen, dass er anfing vor Wut zu schäumen.

Ein Umstand, der ihn seine vorteilhafte Position kostete. Von seinem Zorn getrieben ließ er mir einen Fluchtweg offen, den ich doch gerne ergriff. Ich drehte mich um den Dämon und trat ihm im selben Moment mit meinem Fuß und all der Wut, die ich noch auf ihn hatte, in den Rücken. Claude strauchelte, fing sich aber mit den Händen und sprang nach einem Handstand von mir weg.

Dann warf er mein Sotoba weg: „Es reicht. Hannah! Wir machen ernst.“

Das dämonische Hausmädchen erschien an seiner Seite und nickte stumm. Dann klappte sie ihren Mund auf. Grinsend sah ich zu, wie sie ihr Schwert aus ihrem Schlund zog. Ich hatte die Dämonen also endlich so weit gebracht ihre Schwerter zu ziehen. Vorfreude glomm in mir auf. Jetzt versprach die Sache doch wirklich interessant zu werden. Dem guten Sebastian hatten die Beiden mit ihren Schwertern ja sichtbar zusetzen können.

Hannah ließ ihre Waffe einmal vorbereitend durch die Luft fahren und funkelte mich boshaft mit ihrem einen verbliebenen Auge an. Das andere war vor Jahren dem ungestümen Alois zum Opfer gefallen, der schon als 13-Jähriger ein ungesundes Faible für extrem grausame Strafen hatte. Es war auch nur einer von vielen sehr ungesunden Faibles gewesen.

Der Butler der Trancys streckte seine rechte Hand aus, unter der sich der Boden in eine blubbernde, stinkende Teegrube verwandelte. Der Dämon hatte sein Schwert also noch nicht an seinen Körper binden können, so wie Hannah. Das machte die Sache dann doch wieder ein klein wenig uninteressanter. So war er nicht in der Lage die Kapazitäten seiner neuen Waffe voll auszuschöpfen. Ein schwarzes mit Rillen durchzogenes Schwert schoss aus der Grube in seine Hand. Ein Lachen schlich sich aus meinem Mund, als ich erkannte was für ein wirklich feines Exemplar eines Dämonenschwerts sich der Butler erhascht hatte: „Wen haben wir denn da? Hehehe! Lævateinn und Dáinsleif“, ich schloss meine Lippen und lachte weiter. Wenn sich die Dämonen nicht mehr zurück hielten, musste ich es auch nicht tun: „Dämonenschwerter. Eh he he! Ich habe lange keine mehr gesehen.“

Das Einzige, was meinen Spaß ein wenig bremste, waren die zwei Mädchen, die immer noch hinter meinem Rücken saßen. Sie musste ich aus der Schusslinie halten. Sie hatten schon ohne Schwert keine Chance gegen die Dämonen.

Faustus schob seine Brille mit der Hand hoch, die nicht sein geschultertes Schwert hielt: „Dáinsleif ist ein besonderes Schwert. Von ihm geschlagenen Wunden können nie wieder verheilen.“

Ich lachte wieder. So einfach war die Sache mit den Dämonenschwertern nicht: „Ich weiß, ich weiß. Ich kenne Dáinsleif. Ne he he. Aber du anscheinend noch nicht ganz genau.“

„Du bist tot“, ging der Butler nicht auf meine vorangegangen Satz ein. Doch das vollkommene Fehlen von Emotionen war ein klarer Hinweis darauf, dass meine Worte irgendetwas getroffen haben: „Wenn du Dáinsleif kennst weißt du wie stark es ist.“

„Um mich ins Grab zu bringen“, ich legte den Holzscheit auf seiner Schulter ab und wischte mir den Pony aus dem Gesicht. Obwohl ich bezweifle, dass Claude sein Schwert vollends beherrschen konnte, war auch ein nur halb gebundenes Dämonenschwert in seinen weiß behandschuhten Händen nicht zu unterschätzen: „Musst du trotz deines schönen, neuen Spielzeugs noch ein bisschen üben. Tehehe!“

„Wir werden sehen“, entgegnete mir Faustus gewohnt kalt.

Ich lachte ihn weiter aus, amüsiert von seiner unterdrückten, schäumenden Wut. Dämonen sah man sie immer sofort an. Außerdem waren sie am einfachsten zu besiegen, wenn sie impulsiv wurden, weil sie die Beherrschung verloren: „Dann lasse mich nicht länger warten, Dämon. Ehehe!“

Sofort nach meinem letzten Wort standen die beiden Trancydiener wie erwartet vor mir.

Ich griff das Sotoba - das eigentlich meine Sense war - und blockte den Schlag der Dämonen. Meine anderen hätten den Dienst quittiert. Die Dämonen wussten dies. Umso gespannter war ich auf die Reaktion über das Sotoba, was es nicht tat.

„Was?!“, starrte Hanna auf mein Sotoba und war wie von mir kalkuliert mehr als nur verwirrt: „Wie kann das sein?!“

„Überraschung“, grinste ich und mein Sotoba fing in meiner Hand an zu leuchten, als ich seine Maskerade löste.

Die Dämonen verschwanden vor mir in einem hellen grünen Licht. Ich spürte das Gewicht von meiner Sense schwinden. Im selben Moment setzte ich nach und zog meine Death Scythe durch die beiden Dämonen. Die Tatsache, dass ich nichts sah, war kein Nachteil mehr. Sie war Alltag geworden, weswegen mich blendendes Licht oder verschleiernde Dunkelheit im Kampf nicht mehr tangierte.

Ein fieses Lachen quoll aus meinem Mund, als das Licht verebbt war und ich die Flecken, die die beiden Dämonen für mich waren, auf dem Rasen liegen sah: „Reingefallen, hehe!“

Hannah war offensichtlich schwerer getroffen, als Claude. Denn im Gegensatz zu ihr stemmte dieser sich schon wieder auf.

Ich schlenderte ohne Eile auf den Dämonen zu und hielt ihm die Spitze meiner Death Scythe ins Gesicht: „Ist dir dieser Zahnstocher lieber, Butler? Kehehe!“

Ich legte all mein Amüsement und meine offenkundige Verachtung in den Satz, damit er Claude so tief traf wie es nur ging.

Das wütende Grollen was aus seiner Kehle stieg und der blanke Zorn in seinen goldenen Augen, als er mich von unten anschaute, zeigten mir, dass es funktioniert hatte: „Sei dir deiner Unsterblichkeit nicht zu sicher!“

„Der Einzige, der heute sterben wird“, grinste ich dem Dämon entgegen und hob meine Sense über meinen Kopf, als ich entschloss dem Geplänkel zwischen ihm und mir ein Ende zu setzen und mich nun endgültig daran zu machen den Dämon in seine Einzelteile zu zerlegen. Möglichst langsam, möglichst lange und möglichst qualvoll: „He he he. Bist du!“

Mit Schwung wollte ich ihm meine Sense in den Rücken rammen, doch Claude entkam, wenn auch reichlich knapp. Ich sprang dem Dämonen sofort hinterher. Brachial schwirrte das Aufeinanderprallen unserer Klingen durch die kalte Abendluft, begleitet von meinem von grausigem Pläsier getragenen Lachen, das dieses Intermezzo ununterbrochen aus meiner Kehle kriechen ließ. Ich konnte es nicht verneinen. Kämpfen amüsierten mich ungemein und allein die Aussicht diesem Dämon endlich seinen Hals umzudrehen löste schon eine Art sadistische Befriedigung in mir aus.

Eine Zeitlang schlugen und traten der Butler und ich aufeinander ein. Dann hatte sich auch Hannah wieder aufgerappelt und kam dem bebrillten Dämonenbutler zur Hilfe. Ich blockte Claudes Schwert und trat Hannah mit dem Fuß weg. Doch die Beiden sprangen sofort wieder auf mich zu. Nun blockte ich Hannah und trat Claude weg. So drehten ich und der Kampf sich im Kreis. Immer und immer weiter. Es kam nur darauf an, wer als erstes müde wurde. Ich tippte auf Hannah, die schon langsam ein wenig an Geschwindigkeit verlor.

„Weg hier!“, hörte ich den Earl Trancy, der nicht mehr mit einem klaren Erfolg zu rechnen schien: „Wir verschwinden!“

„Wie ihr wünscht, eure Hoheit!“, antworteten ihm seine Diener noch, während ich sie ein weiteres Mal über den Rasen schlittern ließ. Die Maid sprang zurück, schlang Oliver ihren Arm um die Taille und zog ihn mit sich in einen hohen Sprung über die Mauer des Parks. Ich wollte ihr hinterher setzen, die Beiden nicht so einfach entkommen lassen, doch noch bevor ich ein Sotoba greifen und nach ihnen werfen konnte, stand Claude wieder direkt vor mir und zwang mich meine zweite Hand wieder an meine Sense zu nehmen, um ihn zu parieren.

„Dein kleines Extra, pahaha!“, lachte ich Claude mit meiner ganzen Missachtung entgegen, der mit seinem Schwert auf meine Sense gestützt sofort vor meiner Nase hing: „Nützt nichts, wenn du nicht triffst!“

„Irgendwann“, knurrte er mir entgegen: „Bekommst du das alles zurück.“

Der Dämon schien nicht verstanden zu haben, das ich nicht vorhatte ihn entkommen zu lassen: „Für dich gibt es kein Irgendwann mehr, wenn ich mir dir fertig bin, Dämon. Tehehe!“

„Oh doch, gibt es“, etwas dunkles, hinterhältiges blitzte in Claudes Augen auf. Ich sah eine Idee darin, die mir definitiv nicht gefiel: „Auch du hast Schwachstellen.“

„Zum Beispiel?“

„Zwei, die sich nicht wehren können.“

‚Nein!‘, ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen kurz größer wurden und das Claude dies auch mitbekam. Ein verstehendes, böses Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er sah, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

Dass ich ihm bestätigt hatte, dass diese zwei Mädchen meine Schwachstelle waren, war zu selben Teilen schlecht für mich, als auch für die Mädchen selbst. Denn nun wusste der Dämon, dass er nicht mich attackieren musste um mich so hart wie möglich zu treffen und ich wusste, dass er dieses Wissen auf die abartigste und hinterhältigste Weise nutzen wird, die ihm einfiel. Immer und immer wieder.

Meine böse Erkenntnis forderte meine Aufmerksamkeit nur für eine Sekunde. Doch mehr brauchte der Dämon nicht, um von meiner Klinge weg in die Luft zuspringen und einige seiner goldenen Messer durch die Luft sirren zu lassen. Nicht auf mich zu. Sondern auf Skyler und Amber.

Ich wirbelte herum.

„Amy!“, warf sich Sky über ihre beste Freundin, als sie die Messer auf sich zu rasen sah. Ich verschwand von meinem Platz, um mich vor die Mädchen zu werfen, doch was ich sah ließ mich bei der Hälfte irritiert abbremsen und mich ein ganzes Stück durch meinen Schwung mit meinen Absätzen tiefe Schneisen in den Rasen ziehen.

Ich traute meinen Augen nicht.

Die Messer des Dämons bohrten sich in den Rasen.

Dort, wo die beiden jungen Frauen gesessen hatten.

Eben noch.

Ich starrte mit ungläubigen Augen auf die Stelle.

Sie waren einfach verschwunden!

Von jetzt auf gleich!

Ich hörte Claude auf dem Metallgeländer vor dem Ufer der Themse landen und drehte meinen Kopf zu ihm. Der Dämon saß auf dem Geländer und blinzelte dem leeren Stück Rasen genau so verwundert entgegen wie ich. Unsere irritierten Blicke trafen sich kurz, wanderten nochmal zu dem verlassenen Fleckchen Erde und wieder zu dem jeweils anderen. Mit den gleichen stummen Fragen im Gesicht schauten der Dämon und ich uns weiter an: ‚Wie? Wohin?‘

Ich spürte förmlich die Glühbirne in meinem Kopf anspringen.

Skys Fluch!

Etwas, dass mir Amy erzählt hatte, sprang mir ins Gedächtnis, als ich vollkommen verdutzt die Stelle anblinzelte, die nun leer war. Ein Phänomen was sie schon hin und wieder bemerkt hatte, doch nie mit einen Fluch in Verbindung bringen konnte: ‚In dem Moment hatte ein Blitz eine der Fahnenstangen auf dem Hof, direkt neben unserem Fenster erwischt und es war ganz kurz unglaublich hell und laut geworden. Kaum konnten wir wieder sehen, war sie verschwunden!‘

Sky schien es nicht kontrollieren zu können, doch eine der Fähigkeiten, die ihr Fluch wohl mit sich brachte, hatte ich wohl gerade mit eigenen Augen miterlebt: Die junge Frau hatte wohl die Möglichkeit einfach zu verschwinden.

Eine Möglichkeit, die sich gerade als außerordentlich praktisch herausstellte.

Ein schrilles Lachen brach aus meinen Lippen. Ein Lachen der Erkenntnis und auch ein Lachen der Erleichterung. Denn nun waren die Mädchen aus der Gefahrenzone und Claude konnte sich seinen fein erkannten Schwachpunkt an den Hut stecken.

Ich drehte mich endgültig zu Claude und hob verschwörerisch eine Hand: „Nehehehehe! Du hättest wissen sollen, dass man eine Phantomhive und ihre Freunde nicht unterschätzen sollte, Butler. Tehehehe!“

Der Dämon zog hinter seiner eckigen Brille die Augen zusammen: „Wo sind sie hin?“

Mit einem weiteren schrillen Lachen schulterte ich meine Sense und ging ein paar Schritte zu ihm: „Du wärst noch nicht einmal der Letzte, dem ich das verraten würde. Kehehehe!“

Abgesehen davon, dass ich es ja selbst nicht wusste. Aber das musste der Dämon ja nicht unbedingt wissen.

Claude stellte sich auf seinem Geländer auf: „Es ist auch irrelevant. Es wird Zeit für mich zu gehen.“

‚Das wollen wir sehen‘, ich sprang auf Claude zu: „Ich bin noch nicht fertig mit dir, Dämon!“

Dieser sprang von dem Geländer und somit aus der Schlagweite meiner Sense weg. Mit einem Fuß stieß ich mich ebenfalls vom Geländer ab und sprang Claude hinter her.

Dann erreicht ein bedrohliches Zischen mein Ohr. Etwas zerriss die Luft hinter mir. Ich drehte mich im Sprung und brachte meine Sense vor mich. Etwas Weißes krachte davor, hart, und brachte mich von meiner geplanten Sprunglinie ab. Als ich mich im Fallen fing, sah ich was es war: Eine großer, reinweißer Engelsflügel.

Eine Hand schnappte Claude, klappte den Dämon in die zwei prächtigen Schwingen und stürzte mit ihm in den River Thames.

Das Gesicht des Engels hatten meine schlechten Augen leider nicht erkennen können. Nur der Flügel direkt an meiner Sense war für einen Moment scharf gewesen, wie seine Federn selbst.

Ich landete.

Ärger quoll in mir auf.

Es stand außer Frage, dass es sich um denselben Engel handelte wie an Halloween und schon wieder hatte er mir den Dämon direkt unter meiner Sense weg gehascht.

Ein dunkles Grollen vibrierte in meiner Kehle, als ich versuchte der heißen Wut in mir Herr zu bleiben.

Nachdem ich zweimal tief durchgeatmet hatte, entließ ich meine Sense und fuhr mir seufzend durch den Pony.

Irritiert fiel mir etwas auf.

Ich schaute auf meine Hände. Sie zitterten. Und ich konnte nichts dagegen tun.

Ein komisches Gefühl zog durch meinen Körper und verjagte auf einmal meine Wut. Es war ein unfassbar seltsames Gefühl. Das Gefühl tiefer, wirklich tiefer Erleichterung. Ein Lachen, das komisch schmeckte, fuhr unkontrolliert aus diesem tiefen Gefühl: „Hahahaha! Sie lebt… Sie hat...“, ich legte eine Hand auf mein so ungewohnt klopfendes Herz: „...Überlebt… Ehehehe!“

Ich legte meine andere Hand über meine Augen: „Und ich… werde noch endgültig wahnsinnig wegen ihr...“

Als ich mein Gesicht wieder aus der Hand nahm, zitterte diese immer noch. Ich hatte vergessen wie sich das anfühlte. Ich hatte vergessen wie sich zitternde Hände anfühlten. Wie sich ehrliche und alles durchdringende Erleichterung anfühlte. Wie es sich anfühlte, wenn die zu zerreißen drohende Anspannung einfach von einem abfiel und alles Schlechte mit sich nahm.

Obwohl der Dämon immer noch lebte, heute hatte ich gewonnen. Denn heute war dem schönen Ding nichts passiert. Ich hatte gegen Claude und Hannah gewonnen. Und gegen das Schicksal selbst.

Diese Erkenntnis und ein Blick auf meine immer noch an meiner Hand hängenden Taschenuhr ließ mich abermals auflachen.

17:59 Uhr.

Ich bemerkte erst jetzt, dass ihr Glas gesprungen war, doch das war mir gerade vollkommen egal.

Ich hatte einen Sprint gegen die Zeit gewonnen.

Doch nun, wo endlich alles vorbei war. Wo ich wusste, dass die schöne Sky überlebt hatte, konnte ich endlich durchatmen. Meine Lungen brannten unterschwellig, als hätte ich in den letzten 18 Minuten, seitdem mich William angerufen hat, gar nicht mehr geatmet.

Jetzt, wo ich wieder zu atmen begonnen hatte, stützte ich mich auf meine Knie und begann auch wieder zu denken.

Warum zur Hölle hatten sich die Beiden so in Gefahr begeben?

Wussten sie überhaupt wie gefährlich diese Aktion gewesen war?

Konnten sie sich das nicht denken?

Ich musste wieder an dieses eiskalte Gefühl denken. An diesen tiefen Schock nach Williams Worten.

Was war bloß in die Beiden gefahren?

Warum? Und wofür?

Ich kam nicht umher zu denken, dass Amber die treibende Kraft bei dieser ganzen Unternehmung gewesen war. Draufgängerisch genug wäre die Jüngste der Phantomhives. Ganz im Gegenteil zu ihrer besten Freundin, die nicht wirklich die Abenteuerlust gepachtet zu haben schien.

Warum hatte sie bei so etwas mitgemacht?

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: ‚Ok… Natürlich. Ich bleibe bei Amy.‘

Ich schlug die Hand vor mein Gesicht: „Natürlich… Das Versprechen… Ich Hornochse...“

Ich ließ meine Hand vom Gesicht fallen und seufzte dem grünen Gras entgegen. Das war ja prächtig nach hinten losgegangen. Mit Pauken und Trompeten und anbei mit allen Regeln der Kunst.

Aber warum hatte Sky es Amy nicht ausgeredet? Sie von mir aus an den Haaren an eine Laterne gebunden! Es war mir immer noch vollkommen unverständlich, wie Amy auf diese Idee kam und Skyler ihr nur wie ein Lemming hinterher läuft.

Mit einem dritten Seufzen fiel mein Blick auf etwas, das im Rasen glänzte. Ich streckte meine Hand danach aus, die sich immer noch nicht so ganz beruhigt hatte. Mit spitzen Fingern zog ich eine silberne, zerrissene Kette aus den Grashalmen, an der ein Pentagrammanhänger besetzt mit Malachitsteinen hing. Es war Skys Kette.

Ich schüttelte den Kopf und verstand diese Aktion einfach nicht. Sie war nicht nur unbeschreiblich gefährlich gewesen, man konnte sie auch nicht mehr mit naiv beschreiben. Sie war einfach nur dumm gewesen. So dumm und so gefährlich, dass sich ein saures Gefühl verständnislosen Ärgers in mir zusammen braute und die Erleichterung vertrieb. Warum all dies nötig war, das sollten mir die zwei Grazien erst einmal plausibel erklären. Ich wollte hören, weswegen ich heute fast einen Herzanfall bekommen hatte. Sie konnten auch nicht wieder gut machen, dass William für sie mindestens 5 seiner heißgeliebten Regeln gebrochen hatte. Der Anruf des Aufsichtsbeamten hatte mich verwundert und zu gleichen Teilen tief begeistert. Williams Philanthropie findet nicht oft ihren Weg ans Tageslicht. Doch im Endeffekt war es nur schön und gut zu wissen, dass auf ihn immer Verlass war. Doch nun wollte ich hören, was die zwei Damen zu ihrer Verteidigung zu sagen hatten. Ich wusste jetzt schon, dass sie nicht rechtfertigen werden können, was gerade alles passiert war.

Doch erst musste ich sie finden.

Ich ging ein paar Schritte durch den Park, fischte auch Amys Kette aus dem Gras und schaute mich um.

Ich spürte sie nicht. Sie waren nicht mehr in der Nähe.

Ich seufzte leise: „Besser ist das...“

Nach einem zweiten Seufzer rieb ich mir durch die Augen. Der helle Wahnsinn, der sich in den letzten 20 Minuten abgespielt hatte, war genug gewesen damit ich mich tatsächlich irgendwie müde fühlte. Meine Hände zitterten immer noch. Nur leicht, aber sie taten es. Erschöpft und geschüttelt von dem Schreck, der Anstrengung und dem ganzen Adrenalin was noch in meinen Adern surrte und nur langsam abgebaut wurde.

Ich ließ Revue passieren, was Amy in der kleinen Krisensitzung über Skylers Eigenart zu verschwinden alles gesagt hatte, bis mir etwas in den Sinn sprang was mir tatsächlich weiter half: ‚Ein anderes Mal hatte sie eine Gruppe Mädchen wegen ihrer billigen Schuhe geärgert und noch 2 oder 3-mal mehr. Ich hab sie immer im Irrgarten aufgelesen, doch sie meinte jedes Mal sie wusste weder was sie dort mache, noch wie sie dahin gekommen sei.‘

Der Irrgarten hinter dem Wohnheim der ‚Violet Wolf’s’.

Nachdem ich meine Sotoba eingesammelt und im Mantel versteckt hatte, sprang ich wieder auf das nächste Hausdach und beschritt dieses mal um einiges weniger hastig meinen Weg zum Weston Ladys College. Ich musste nicht mehr hetzen. Selbst in einem angenehmen Lauf war ich schnell am Wohnheim der zwei Freundinnen, die mir heute den Schreck meines sehr alten Lebens eingejagt hatten.

Ich spürte ihre Präsenzen in der Nähe ihres Wohnheimes. Mein Erinnerungsvermögen schien mich also noch nicht ganz verlassen zu haben.

Ich landete auf einer der Statuen und sah, wie hörte Skyler laut auf Amy einreden. Sie warf ihre Hände nach vorne und schrie ihre beste Freundin an: „Darum geht es doch gerade gar nicht! Es geht darum, dass sich Undertaker gerade wegen uns mit einem Dämon prügelt, der irgendein komisches Höllenschwert mit sich herumschleppt, das schon echt nicht nett aussieht! Wenn Claude dann auch noch die Wahrheit gesagt hat, ist das scheiße gefährlich verdammt noch mal!“

‚Ach‘, dachte ich mir und verzog eine Schnute, als ich meine Arme verschränkte: ‚Schön, dass euch beiden auch aufgefallen ist, dass das gefährlich ist. Ihr seid flott. Wirklich.‘

Ich schüttelte den Kopf in vollkommenem Unverständnis. Was bitte hatten die Beiden erwartet? Dass die Trancy sie zu Gesang und Tanz in lockerer Runde einladen?

„Ich weiß, ich weiß! Man!“, griff sich Amber mit beiden Händen an den Kopf und klang fast verzweifelt: „Aber wir können nichts tun!“

Ich zog ein Augenbraue hoch: ‚Fein erkannt. Wirklich.‘

Mein Mitgefühl über die Verzweiflung und Sorge der Mädchen hielt sich in Grenzen. Ich sah auch nicht ein zu ihnen zu gehen und sie schon zu erlösen. Wenn ich mir heute schon so immense Sorgen machen musste, durften sie gerne ein Stück davon abhaben.

„Es muss doch etwas geben“, rief Skyler schrill und ich würde sagen fast hysterisch: „Amy! Irgendwas!“

‚Jup‘, machte ich trocken in meinem Kopf: ‚Euch und mich erst gar nicht in so eine Situation bringen. Beispielsweise.‘

Amy fing an mit den Händen zu wedeln: „Aber ich weiß nicht...“, plötzlich deutete sie mit einem hüpfenden Zeigefinger auf Sky: „Doch! Doch, ich weiß!“

Meine Augenbraue wanderte höher: ‚Aha? Was kommt jetzt, Amber? Schnapsidee, die Zweite?‘

„Was?!“, keifte Skyler schrill und ungeduldig.

Ich unterdrückte ein Lachen. Ihre blanke Sorge und Verzweiflung war ja schon irgendwie knuffig.

Amy zog ihr Handy Tasche: „Ich ruf Sebastian an!“

‚Oh ne...‘, stöhnte ich in meinem Kopf und er kippte nach rechts. Ich hatte keinen Lust mehr auf Dämonen.

„Und schick ihn hinterher!“, fuhr Amber fort.

‚Oh ne...‘, kippte mein Kopf nach links. Jetzt war ich dem Engel doch irgendwie dankbar Claude mitgenommen zu haben. So schnell wäre ich mit ihm nicht fertig gewesen. Doch von Sebastian wollte ich mich, als allerletztes retten lassen. Nein. Ich wollte mich auf keinen Fall und unter gar keinen Umständen von Sebastian retten lassen.

Amy grinste in angesichts ihres Masterplans für meine Rettung: „Sobald es um Claude geht ist er Feuer und Flamme!“

‚Ja, das ist wohl war‘, ich seufzte ein weiteres Mal stumm: ‚Wenigstens geht aus diesem genialen Einfall nicht ihr sicherer Tod hervor...‘

„Red nicht lange!“, rief Skyler immer noch vollkommen außer sich: „Hau in die Tasten!“

‚Nein… Tu‘s nicht‘, mit diesen Gedanken war ich auch schon von meiner Statue verschwunden und neben Amy aufgetaucht. Mir ihr Leiden anzuschauen war mir nicht so viel Wert, wie meine Ruhe vor diversen dämonischen Butlern.

„Nicht nötig“, rupfte ich der Phantomhive recht gereizt das Handy aus der Hand: „Lass den Hund in seiner Hütte.“

Mit einem spitzen Schrei landete Amy wieder auf ihren Rücken. Mein Ärger über ihre hirnverbrannte Dummheit saß so tief, dass ich noch nicht einmal über das geschockte Gesicht der Adelstochter lachen konnte.

„Undertaker!“, hörte ich Skyler rufen und drehte meinen Kopf zu ihr: „Geht es dir gut?!“

Ich verschränkte die Arme. Sie sollte aufhören sich Sorgen um mich zu machen, ich konnte mich gegen Dämonen wehren. Sie sollte eher anfangen sich Sorgen um sich selbst zu machen, die es nicht konnte. Mein Fuß tippte auf den unebenen Steinboden, als ich die junge Frau musterte, der man ganz deutlich ansah, dass sie meinen Ärger und meine Unangetanheit deutlich merkte. Ihr Gesicht um ihre feine Nase wurde mit jedem Tippen meines Fußes und mit jeder Sekunde, die ich sie mit Schweigen und deutlich unbeschwingten Blicken strafte, blasser. Nach ein paar Minuten fiel sie von ihren Knien wieder auf ihren Hosenboden und schaute mich an, als sei ich das Damoklesschwert über ihrem Kopfe. Amy allerdings stemmte sich nach ein paar Minuten wieder auf ihre Knie: „Undertaker, wir…!“

„Hush!“, hob ich meine Hand. Die Adelstochter verstummte sofort und die Mädchen hatten endgültig und Beide ihre Gesichtsfarbe verloren.

Doch ich wollte, dass sich die voreilige Phantomhive ganz genau überlegt, was sie nun sagen wollte. Und vor allem sollte sie jetzt auf keinen Fall versuchen sich herauszureden. Dann würde ich sie zur Strafe für eine Woche in irgendeinen möglichst dunklen und möglichst nassen Keller sperren und ihr Brot und Gänsewein zu essen geben. Etwas worauf sie es heute schon so sehr angelegt hat, dass ich fast dazu geneigt wäre zu denken, sie wolle eh auf so etwas hinaus.

„Ich will deine Ausflüchte nicht hören, Amber“, steckte ich meine Hand wieder unter meinen anderen Arm, als ich es hinter den 4 blauen Augen der jungen Frauen nun zu genüge rattern sah: „Ich will wissen wie ihr Beide darauf gekommen seid, es sei eine wunderbare Idee den Wesen hinterher zu schleichen, die euch offenkundig entführen wollen. Wenn nicht sogar Schlimmeres. Welcher Teufel euch geritten hat, das interessiert mich wirklich brennend.“

Skylers Gesicht wurde knallrot. Amys aschfahl.

Mein Mitleid hielt sich immer noch gehörig in Grenzen. Die Beiden sollten sich bewusst werden, was für ein Drahtseilakt ihre Rettung wirklich war: „Warum denkt ihr veranstalten wir so einen Zirkus, damit euch nichts passiert, hm? Weil die Trancys ja eigentlich gar nicht so gefährlich sind und wir eigentlich nur nichts Besseres zu tun haben? Habt ihr den Verstand verloren?“

Amy und Sky ließen ihre Köpfe hängen. Sie schauten den Boden an und sagten nichts. Obwohl ich ihre Gesichter nicht mehr sah, konnte ich ihre Überforderung, ihre Erklärungsnot und ihre peinliche Scham förmlich spüren. Ein Gefühl, in dem sie sich ruhig noch ein paar Minuten ergehen können. Doch Antworten wollte ich trotz allem. Und ich wollte sie jetzt: „Ihr sollt mir jetzt übrigens antworten.“

„Wir… also… nein“, begann Amy zu stottern, als sie merkte, dass Schweigen und Beten keine gute Taktik war: „Sky hat nichts gemacht. Wirklich. Sie hat die ganze Zeit probiert mich davon abzuhalten...“

Ich wechselte mein Standbein und tippte nun mit dem anderen Fuß weiter auf den Boden. Also hatte ich mit meiner Vermutung, dass die Aktion auf Ambers Mist gewachsen war, ein weiteres Mal ins Schwarze getroffen. Es überraschte mich nicht im Mindesten.

Doch Sky schüttelte ihren hängenden Kopf: „Wir, Amy... Mitgehangen, mitgefangen...“

Ich merkte wie viel Mühe Skyler das Sprechen machte. Ich merkte, dass sie schon lange verstanden hatte und alles bereute, was geschehen war. Doch es änderte an meinem Ärger nichts. Es ändert nichts an den 6 oder mehr Regeln, die William und Grell für sie gebrochen hatten. Er änderte nichts daran, wie sehr Williams Anruf mich eigentlich geängstigt hatte. Nichts an den bangen Minuten, in denen ich fuchsteufelswild und wie der letzte Wahnsinnige durch London gerannt war, um noch irgendwie pünktlich zu sein.

Amy schaute ihre beste Freundin derweilen nur fragend an und war wieder von ihren Worten verlassen. Doch meine Geduld war im Moment genauso knapp bemessen wie meine Güte: „Eure Loyalität in allen Ehren. Eine Antwort von euch habe ich immer noch nicht. Nun?“

„Ich...“, stammelte Amy vollends verloren und sich jetzt schon gewahr, dass sie keinen guten Grund zum Vorzeigen hatte. Etwas, was mich ebenfalls nicht überraschte: „...Wir… Wir wollten… eigentlich nur einen Kaffee trinken und...ja ...“

„Da dachtet ihr es wäre eine fabulöse Idee die Trancys zum nachmittäglichen Kaffeekränzchen einzuladen.“

Die beiden Freundinnen verstanden sofort, dass dieser Satz mitnichten lustig gemeint war. Hätte eine von ihnen gelacht, wäre ihre Schlafkammer für die heutige Nacht tatsächlich mein Keller geworden. Der Keller, in dem ich damals an meinen Dolls gearbeitet hatte, bevor ich Stoker kennen lernte. Die Beiden können sich gar nicht bewusst sein wie wenig sie das wollten.

„Nein…“, schüttelte Amy den Kopf und blinzelte mich von unten an: „Wir haben sie zufällig auf der Straße gesehen und da dachte ich… wir können die Gelegenheit beim Schopfe packen.“

„Die Einzigen“, begann ich mit meinen Fingern auf meinen Arm zu tippen: „Die hier am Schopfe gepackt wurden seid ihr, meine Damen.“

„Ich weiß“, ich merkte, dass Amy das Antwortenrepertoire ausging: „Es war keine… sonderlich weise Entscheidung.“

Damit hatte sie wahrlich recht, was nicht dazuführte, dass es mir - und dadurch ihnen – besser ging: „Die Einsicht kommt ein bisschen zu spät, findest du nicht auch?“

„Ja...“, pflichtete die Phantomhive kleinlaut bei.

„Ich habe“, stemmte ich meine linke Hand in die Hüfte und fuhr mir mit der rechten kopfschüttelnd und immer noch in Teilen gestresst durch meinen Pony, als ich abwog, ob ich den jungen Frauen erzählen soll, wie ihr Abenteuer wirklich enden sollte oder nicht. Nach ein paar Sekunden entschied ich mich dafür. Aus ‚Schicksal‘ war noch einmal ‚Ein Schuss vor den Bug‘ geworden. Doch die Beiden mussten das wissen um zu kapieren, was sie heute eigentlich angerichtete hätten: „In meinem langen Leben schon unsagbar viel erlebt, aber nur selten ist mir etwas so unfassbar Dummes unter gekommen. Ihr habt selbst Ciel um Längen geschlagen, meine Damen. Und das ist eine Leistung, die ihres Gleichen sucht. Was dachtet ihr könntet ihr tun, außer euch umbringen zu lassen? Ihr wart dort draußen mutterseelenallein. Dass ich euch zur Hilfe eile war übrigens vom Schicksal nicht vorgesehen. Ich habe einen Herzinfarkt bekommen, als William mich in meinem Laden anrief und mir erzählte, dass Skylers Name auf der Liste steht.“

Mit einem erschrockenem Laut zuckte Skylers Kopf zu mir hoch: „Mein… Mein...“

„Was?!“, war Amy sichtlich entsetzt: „Skyler sollte sterben?“

„In der Tat“, blieb ich hart, als ich erkannte, dass den beiden Grazien wirklich erst jetzt klar geworden war, in was für einer Gefahr sie geschwebt haben. Ich hoffte, dass dieser Schock ein heilsamer war: „Sollte sie. An Blutverlust.“

Minuten starrten mich die Mädchen an. Weiß wie die Wand. Vollkommen schockiert. Erschüttert bis ins Mark. Ich wusste wie sie sich fühlten. Ich hatte mich bis vor ca. 25 Minuten genauso gefühlt.

Ich schüttelte erneut den Kopf, als ich den Beiden erzählte wie es überhaupt zu ihrer vom Schicksal nicht geplanten Rettung gekommen war: „Wie habt ihr euch denn vorgestellt, endet euer kleines Abenteuer, hm? Grell ist wie von der Tarantel gestochen in Williams Büro geplatzt und hat ihm wie eine Furie seine Liste unter die Nase gehalten. Ihr solltet den Beiden untertänigst danken, wenn ihr sie das nächste Mal seht.“

Ich hob immer einen Finger mehr, als ich zum Unterstreichen meiner Aussage die Regeln aufzählte, die William gebrochen hatte. Einfach, weil sich Amber und Skyler sicherlich vorstellen können wie viel es brauchte bis William Regeln brach. Nur, dass er in Skylers Buch geschaut hatte ließ ich aus. Das junge Ding war im Endeffekt schon geschockt genug, aber mein Ärger noch nicht bedient: „ ‚Einmischen in die Angelegenheiten der Menschen‘; ‚Einmischen in den Lauf des Schicksals‘; ‚Eigenmächtiges Ändern von Todesdaten, ohne Erlaubnis der Administrative‘; ‚Zurückhaltung von Information gegenüber der Führungsebene‘ und ‚Weitergeben von Informationen an Ausgetretene‘. Das sind die fünf Regeln, die William alle auf einmal gebrochen hat, indem er mich anrief und mir erzählte das, wann und vor allem WO du sterben sollst, Skyler. Hätte er mir nicht von sich aus alle Informationen gegeben, hätte ich euch erst suchen müssen. Dann wären wir alle aufgeschmissen gewesen. Denn dann wäre ich nicht mehr pünktlich gekommen. Ich hätte erst eine Ahnung gehabt wo ihr überhaupt seid, als euch die Dämonen die Ketten abgerissen haben. Ich bin schon so gerade einmal 2 Minute vor deinem eigentlichen Todeszeitpunkt bei euch angekommen, Sky“, ich hob bedeutungsschwer den Zeige- und Mittelfinger meiner freien Hand. In der anderen hielt ich immer noch Ambers Telefon: „2 Minuten. 120 Sekunden. Vielleicht versteht ihr jetzt, wie knapp ihr eigentlich mit eurem Leben davon gekommen seid.“

Skyler begann zu zittern und starrte mich mit großen, himmelblauen Augen an. Die großen himmelblauen Augen, die ich fast nie wieder gesehen hätte. Bei diesem Gedanken zog sich mein Herz zusammen und mein Ärger wurde kurz von Angst verdrängt. Angst, diese Augen irgendwann nie wieder zu sehen. Es war heute so knapp gewesen. So unendlich, furchtbar knapp. Diese Angst begünstigte wieder meinen Ärger. Nein. Mein Ärger entsprang eigentlich nur dieser Angst.

Ich sah auch wie hinter Skys Augen die Gedanken rasten. Wie hart sie meine Worte trafen. Doch es war nicht ich, der sich ausgesucht hatte, dass die Dinge so verliefen. Mitleid suchten die Beiden bei mir vergebens.

Amy starte mich mit offenen Mund an, bevor sie schwer schluckte: „2… 2 Minuten?“

Ich verschränkte meine Arme wieder und schaute weiter auf die beiden am Boden hockenden und so endlos schockierten jungen Frauen: „Ja, 2 Minuten. Das Schicksal zu ändern ist schwierig, wenn man keine Liste hat. Doch ich war gezwungen genau das zu tun, ansonsten würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen. Denn dann wärst du tot, Sky und du, Amy, würdest gefesselt und geknebelt in den Kerkern der Villa Trancy hocken und der Dinge harren die da kommen mögen, während wir versuchen die Scherben zusammen zu kehren, die ihr uns hinterlassen habt. Hätte ich auch nur einen falschen Schritt zur Seite getan, wäre Zappenduster eine sehr nette Beschreibung für alles gewesen, was euch noch erwartet hätte. Alexander und Ronald hatten schon den Verdacht geäußert, dass genau so etwas passieren könnte, als wir uns beratschlagt haben. Erinnerst du dich, Amy? Was habe ich ihnen geantwortet?“

Nervös kaute die Phantomhive auf ihrer Unterlippe herum und blieb stumm. Ich sah ihr genau an, dass sie sich erinnerte: „Ich möchte, dass du es aussprichst, Amber.“

„Die Mädchen sind nicht blöd...“, nuschelte sie schließlich.

Ich verstand sie, doch ich wollte, dass sie es richtig aussprach, damit es ihr deutlich und für immer in den Ohren blieb: „Lauter.“

„Die Mädchen sind nicht blöd!“, rief sie schließlich. Wütend. Auf sich selbst: „Du hast gesagt wir seien nicht blöd, verdammt!“

„Genau“, seufzte ich, als nun langsam so etwas wie Mitleid in meine Verdrossenheit schlich: „Ich habe mich wohl geirrt.“

„Oh mein Gott...“, Sky versteckte ihr Gesicht in der endgültigen Erkenntnis meiner Worte in ihren Händen: „Wir haben Mist gebaut…“, schluchzte sie und dieses Schluchzen stach auch durch mein Missfallen hindurch: „Es tut mir so... so unendlich leid...“

Meine Grimmigkeit wich ein weiteres Stück, als ich in den jungen Dingern die endgültige Einsicht sah.

„Mist ist weit untertrieben“, betonte ich ein letztes Mal den Ernst der Lage und machte deutlich, dass ich die Motive der Beiden nicht im Ansatz verstand. Ich fand keine. Sie hatten mir auch noch keine genannt: „Ihr habt euch wissentlich und vor allem willentlich in eine Gefahr gebracht, die ihr euch in euren schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könnt. Doch wozu? Warum zum Himmel und zur Hölle habt ihr das getan?“

Sky rieb sich ihre großen Augen trocken und schaute Amy an. Diese krallte ihre Hände in ihre Hose und ihre Stimme zitterte, als sie endlich mit der Sprache herausrückte: „Ich… Ich wollte auch mal etwas tun… Immer… Immer! Wirklich immer sagen alle nur ‚Pass auf Amy auf‘, ‚Bring Amy hier weg‘. Ich… Ich hasse es! Ich bin eine Phantomhive, verdammt! Und trotzdem total nutzlos! Ein Klotz am Bein! Das kann doch nicht sein! Fred schlägt sich tagtäglich neben seinem Studium mit Mördern und Verbrechern herum und bewirkt was! Er ist nützlich! Ich… Ich tauge zu gar nichts! Ich habe gedacht, jetzt… jetzt könnte ich mal etwas tun… Ich wollte wissen, wo Oliver und Claude hin wollten. Ich hoffte, ich konnte herausfinden, wer der Engel ist und damit… endlich mal… nützlich sein!… Doch… ich habe gar nichts geschafft… mal wieder… Ich bin einfach nur eine Vollniete und ein totaler Versager… Sky habe ich auch in Gefahr gebracht… in Lebensgefahr sogar!… Und dich… Dich auch… Ich bin so ein verdammt blöder Egoist…“, die junge Phantomhive krallte ihre rechte Hand über ihrem Herzen in ihr Oberteil und ich konnte das Leiden darin fast körperlich spüren. Sie versteckte ihr Gesicht in ihren Händen und ihr Leid und ihre Tränen brachen sich ihre Bahn. Sky setzte sich auf die Knie und nahm ihre Freundin in den Arm. Ihre Bewegungen waren steif, doch die Sorge und die Zuneigung für ihre beste Freundin war stärker als die Scham, die Reue und die Einsicht.

Gefälligkeit keimte aufgrund dieser Geste und Amys Einsehen in mir auf.

„Es tut mir leid, Sky“, schluchzte die Phantomhive und drückte Skyler fester an sich: „Ich hätte auf dich hören sollen… Wenn du gestorben wärst, ich...“.

Mein Ärger verschwand mit einem letzten Seufzer. Es war sicher nicht leicht eine Phantomhive zu sein. Vor allem nicht die Jüngste und ein Mädchen bei einem so liebenden, wie überprotektiven Vater wie Alexander. Amy war ambitioniert. Sie war stark. Sie wollte rennen, fallen, wieder aufstehen und das Leben kennen lernen. Sie wollte etwas tun und nützlich sein. Doch Alexander hatte um sein kleines Mädchen viel zu viel Angst. Er hatte noch nicht eingesehen, dass das kleine Mädchen eine gesunde, junge Frau geworden war und ließ so Amys Tatendrang keinen Platz. Doch das alles gab ihr noch lange nicht das Recht ihr Leben und das ihrer Freundin so sinnlos aufs Spiel zu setzen, wie sie es getan hatte. Aber ich hatte das klare Gefühl Amy würde es nie wieder tun. Die Erkenntnis über den Beinaheverlust ihrer besten Freundin schien sie endgültig wachgerüttelt zu haben.

Ich setzte mich im Schneidersitz zu den Mädchen auf den Boden. Die Freundinnen hatten verstanden und sie bereuten. Was genug war, war genug: „Ja, hättest du. Keine Information der Welt ist es wert, dass euch etwas passiert“, mit einem weiteren Seufzer legte ich Amy meine Hand auf den Kopf und brachte sie dazu mich anzusehen: „Aber es ist ja alles noch einmal gut gegangen. Irgendwie, aber es ist gut gegangen. Wir leben alle noch. Das ist die Hauptsache.“

Doch die Phantomhive schien sich noch etwas ganz Anderem bewusst zu werden. Der Tatsache, dass ich nicht der Einzige war, der von ihren Einfall wirklich nicht angetan sein wird: „Gut gegangen?! Papa bringt mich um!“

Ein Grinsen erschien auf meinem Gesicht, als ich meinem Mitgefühl erlaubte wieder Einzug zu halten und mich entschloss doch wenigstens ein bisschen Gnade mit der jungen Phantomhive walten zu lassen. Sie hatte verstanden. Eine Standpauke seitens Alexander war einfach nicht nötig: „Tihihi! Was der Earl nicht weiß, macht den Earl nicht heiß!“

„Wie?“, fragte mich Amber noch ganz verweint.

Ich wuschelte ihr durch die Haare und hielt dann meinen Handrücken vor meinen kichernden Mund: „Fu fu fu! Er kann dich nicht umbringen, wenn er nicht weiß wofür.“

„Soll das heißen...“, Amy schien sich der Intension meiner Worte erst bewusst werden zu müssen. Die Mädchen ließen voneinander ab und Amy setzte sich wieder auf: „Du hältst dicht?“

Ich nickte der Phantomhive entgegen. Die Atmosphäre entspannte sich, jetzt, wo ich wieder mein Grinsen im Gesicht hatte. Die Mädchen sahen müde aus und waren immer noch am Boden zerstört. Nicht, dass ich diesen Ausdruck in Skylers Gesicht erquicklich fand. Doch es musste sein. Was nicht sein musste war, dass er dort blieb. Es war ein Fehler, ja er war dumm gewesen und ja, er hatte mich zu Tode erschreckt, aber auch Fehlern musste irgendwann verziehen werden: „In der Tat. Ich schweige wie ein Grab“, dann hielt ich Amy bedeutungsschwer meinen Zeigefinger ins Gesicht: „Vorausgesetzt ihr versprecht mir hoch und heilig, dass dies die erste und letzte eigenmächtig in Angriff genommene Heldentat von euch war.“

„Wir versprechen es“, jammerten die Mädchen im Chor und ich hörte sie in ihren Stimmen um Gnade flehen.

Ich gab Amy wieder ihr Telefon in die Hand, von dem ich ganz vergessen hatte, dass ich es immer noch festhielt. Ich wurde nicht oft so ärgerlich und es hatte mich selbst ein wenig aus dem Konzept gebracht. Doch ich schaffte es es zu überspielen: „Ich weiß allerdings nicht wie es um die Schweigsamkeit von Grell und William bestellt ist. Hihihi! Es ist schon erstaunlich. Ihr rennt ständig mit diesen kleinen Dingern in der Hand herum und tut etliches damit. Doch wenn sie nützlich wären, benutzt ihr sie nicht. Fu fu fu fu!“

Amy war von dieser Anmerkung sichtlich nicht begeistert, konnte aber auch nichts sagen um sich dagegen zu wehren.

Ich stand auf und streckten den jungen Frauen meine Hände hin: „Nun kommt, hehe. Das war definitiv genug Aufregung für einen Tag“, ich zog sie auf die Füße. Kaum hatte sie meine Hände gegriffen, erreichte meine Nase der Geruch von Blut: „Ihr seid in Ordnung?“

Sky nickte immer noch sichtlich sprachlos und betreten. Das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht fing nun an mir fast körperlich wehzutun. Ich zauderte kurz, ob mein Vorgehen wirklich das Beste gewesen war, doch schnell wurde ich mir sicher, dass dieser Einlauf so nötig, wie berechtigt gewesen war. Zumindest rechnete ich jetzt nicht mehr mit so gearteten Überraschungen für die Zukunft.

Auch Amy nickte, doch sie schaffte es mit mir zu sprechen: „Ja, uns ist nichts passiert.“

Sky schaute auf meine Schulter und das schlechte Gewissen in ihrem Gesicht wurde noch dunkler: „Aber… aber dir...“

Ich schaute kurz auf meine Schulter. Ich hatte ganz vergessen, dass Claude mich mit meinem Sotoba erwischt hatte. Der Kratzer war so klein und unbedeutend, dass ich ihn sofort vergessen hatte. Doch für Sky schien bei seinem Anblick ein Stück Welt zusammenzubrechen. Genau wie damals bei dem Kratzer im Gesicht, der mittlerweile nur noch ein blasser roter Schatten an meiner Wange war. Sky allerdings trug ihre Pflaster noch. Menschen heilten nicht so schnell wie Shinigami und das junge Ding schien eine relativ schlechte körperliche Verfassung zu haben. Vielleicht wegen dem Fluch?

Möglich.

Aber es war nicht ratsam alles auf ihren Fluch zu münzen. Ich hatte auch ihre Mutter gesehen. Sie war genau so dünn. Wirkte genau so schwach und kränklich. Manche Dinge liegen einfach an schlechten Genen. Oder war es ihre Mutter, die den Fluch vererbte und sie waren beide wegen ihm so zerbrechlich? Theorien. Alles nur Theorien. Theorien, dich mich auch nicht weiter brachten.

„Ach, das ist nichts“, grinste er aufmunternd. Doch woher kam der Blutgeruch, wenn den Freundinnen nichts fehlte? Ich drehte die Hände der Beiden um. An Skys schienen mir zwei abgebrochene, blutige Nägel entgegen: „Das sieht schmerzhaft aus.“

Doch sie schüttelte den Kopf: „Ach Quark. Für das, was alles hätte passieren können… sollen... bin ich wirklich glimpflich davon gekommen… Dank dir, Undertaker… Danke...“

Ich seufzte lachend, um die Situation ein weiteres Mal mehr zu entspannen: „Haaaaaa… Nehehehe! Ihr beiden habt mich zu Tode erschreckt! Das ist gar nicht so einfach. Wäre dieses Unterfangen nicht so zum himmelschreiend dumm gewesen, würde ich euch dafür meinen tiefen Respekt aussprechen.“

Dann ließ ich die Frauen los.

Amber verschränkte nachdenklich die Arme: „Das wäre sicherlich alles ganz anders gelaufen, hätten wir Hannah gesehen. Ich wette Claude hat mir ihr telefoniert und sie war eigentlich diejenige, die uns bemerkt hat!“

Sky ließ seufzend die Schultern hängen: „Ich habe sie gesehen...“

„Wie bitte?!“, fuhr Amy sie entgeistert an: „Warum sagst du denn nichts?! Das hätte alles wie am Schnürchen laufen können!“

Ich merkte an meiner Stirn eine Ader pochen, als eine meiner Augenbrauen zu zucken anfing. Vielleicht war die Erkenntnis doch nicht ganz so durchgedrungen wie ich es gerne hätte.

„Weil ich nicht wusste, dass Hannah Hannah ist vielleicht?“, keifte Sky die Phantomhive an: „Man, Amy! Du Hohlfrucht!“

„Ich bin keine Hohlfurcht!“, zickte die Adelstochter zurück: „Wer weiß, was wir herausbekommen hätten! Man! Wie ärgerlich!“

Das Pochen unter meiner Stirn wurde intensiver und ich verschränkte die Arme, um meine Hände unter Kontrolle zu halten. Eigentlich würde mich so eine Szenerie ja ungemein belustigen, wäre nicht vorangegangen was vorangegangen war.

„Hast du sie noch alle?!“, fragte Sky ihre beste Freundin pampig, was ihr eine genauso pampige Antwort einbrachte: „Natürlich hab ich sie noch alle! So kompliziert kann das doch nicht sein! Dad und Fred machen sowas mittlerweile im Schlaf!“

„Alexander und Frederic haben ganz andere Grundvoraussetzungen als wir!“

Meine Finger zuckten unheilvoll.

„Trotzdem muss das doch zu schaffen sein! Mit der Info, dass Hannah hinter uns steht hätte sich alles geändert!“

Klick!

Noch bevor Amy daran denken konnte ihren aktuellen Satz zu Ende zu sprechen, hatte die pochende Ader an meiner Stirn die Kontrolle über meine Hände erobert und sie noch vorne schnellen lassen. Ich packte jeweils ein Ohr der Mädchen, zog sie an mich heran und schüttelte sie vor und zurück: „Habt ihr Beiden mir überhaupt zugehört!“

„Wir ergeben uns!“, jammerten die Mädchen im Chor.

Ich ließ davon ab die Mädchen weiter zu schütteln, aber nicht von ihren Ohren: „Ihr zwei Grazien solltet trotz allem ja nicht denken mit eurer verspäteten Einsicht sei die Sache ausgestanden!“

Sky schaute mich verwirrt und aus ihrer halb gebeugten Position an: „Wie meinst du das?“

„Na!“, sagte ich, als ich endgültig entschied, dass der Erkenntnis des heutigen Tages noch etwas Nachbearbeitung bedarf; „Ihr Beiden steht mächtig in meiner Schuld. Tehehehe! Findet ihr nicht?“

Amber seufzte in Anbetracht allen Übels: „Diese Aussage... Ist der Anfang unsere Endes, oder?“

„Nein“, lachte ich: „Aber ich finde ihr könntet mir einen kleinen Gefallen tun. Nihihi!“

„Du“, Sky zog ungläubig ihre Augen zusammen: „Bestrafst uns?“

„Hihi. Wenn du es so nennen möchtest“, grinste ich ihr weiter entgegen: „‚Gefallen tun‘ gefällt mir allerdings besser. Fuhuhu.“

„Was“, runzelte Amy skeptisch die Stirn: „Für einen Gefallen denn?“

„Nun ja. In meinem Laden könnte mal wieder Staub gewischt werden. Ich finde es, fu fu fu, über alle Maßen fabelhaft, dass ihr euch so freiwillig dafür meldet.“

Amy seufzte erneut. Sie sollte eigentlich nur dankbar sein, dass sie nicht in meinem Keller nächtigen muss: „Ich weiß nicht ob ich erleichtert bin, dass dieser Gefallen nichts mit Toten zu tun hat, oder ob ich Angst davor haben sollte...“

Diese Aussage amüsierte mich dann doch wieder ehrlich und ich lachte, als ich immer noch mit den Ohren der Mädchen in der Hand auf den Ausgang des Irrgartens zu lief: „Für heute reicht es allerdings erst einmal. Ich erwarte euch übermorgen um 17 Uhr bei mir, meine Damen! Seid pünktlich!“

„Aua!“ jammerten die Mädchen an meinen Händen.

Als wir vor dem Wohnheim standen entließ ich die Ohren der beiden Senior Schülerinnen und verschränkte die Arme: „Nihihi. Ihr werdet jetzt auf euer Zimmer gehen und gut daran tun, es heute nicht mehr zu verlassen.“

Sie nickten immer noch sichtlich in Scham und Schande.

„Es tut mir leid, Undertaker“, hauchte Amy: „Wirklich...“

Mit einem seichten Schnauben schüttelte ich den Kopf: „ Ich kann mir vorstellen wie schwer es ist eine Phantomhive zu sein und dich zum Teil sogar verstehen. Doch Entschuldigungen ändern nichts, Amy. Es ist gelaufen, wie es nun mal gelaufen ist. Ich kann nichts anderes tun, als mich auf euer Versprechen zu verlassen. Und das tue ich auch, hört ihr?“

Wieder ein stummes Nicken.

„Nehehe. Und jetzt nutzt den Rest des Abends um euch zu beruhigen. Ach ja! Wie lief eigentlich eure Klausur?“, wechselte ich dieses leidige Thema und wollte verhindern, dass Entschuldigungen und ärgerliche Worte das letzte waren, was die Mädchen und ich wechselten.

Die Schülerinnen musterten sich zerknautscht und ich konnte mir die Antwort fast denken.

„Total scheiße“, kam es von Amy.

„Voll in den Sand gesetzt. Lowell dreht uns durch den Wolf“, bestätigte sie Skyler.

Doch ich lachte: „Fuhuhu! So schlimm wird es schon nicht sein!“

„Oh doch...“, antworteten die Schülerinnen im Chor.

Ich giggelte die Mädchen an: „Na, na, hehe! Ihr werdet das schon durchstehen. Ich glaube an euch.“

Dann hielt ich den Beiden ihre Ketten ins Gesicht: „Hier, ehehe. Ich gebe euch übermorgen eine neue Kette dafür. Steckt sie solange in die Tasche. Und nun kusch! Rein mit euch!“

Amy winkte, nachdem sie sich ihre Kette genommen hatte: „Bye, Undertaker… und danke nochmal.“

Sky schaute schräg nach unten und nahm ihre Kette eher zögerlich: „Mach‘s gut… Bis… bis übermorgen… Danke..“

Dann gingen die beiden Freundinnen ins Wohnheim.

Mit einem abschließenden Seufzen beschloss ich dieses Kapitel des Tages zu schließen und für Merkenau ein paar Kräcker zu besorgen. Schließlich hatte ich dem kleinen Vogel meinen Tee ins Gesicht und überall anders hin gespuckt, der wie immer so zuckrig war, dass der kleine Kerl sicher furchtbar verklebt war. Also musste ich ihn auch noch baden.

Vor dem Campustor sprang ich auf einen Baum und beschritt London ein letztes Mal für diesen Tag über die Dächer seiner Gebäude. Mein Weg führte mich noch einmal zurück zum Park. Ich hatte in meiner Eile mein Tuch, meine Anhänger und meinen Hut einfach weggeworfen. Hut und Tuch fand ich, band ich mir um und setzte ich mir auf, doch nach meinen Medaillons suchte ich fast 3 Stunden. Ich drehte im Umkreis des Parks jeden verdammten Stein um, doch… sie waren nicht da. Nirgendwo.

Wut wallte in mir auf. Wut und aus ihr resultierend wieder eine riesige Portion Ärger.

Ich suchte in den hintersten Ecken. War sogar in einen Gully geklettert, doch nichts. Sie waren einfach nicht zu finden.

Meine Lockets waren aus purem und vor allem massivem Gold, waren dementsprechend viel wert und hatten einfach auf dem Boden gelegen. Bestimmt hat sie irgendjemand eingesteckt, um sie für viel Geld zu verhökern.

Resigniert und furchtbar verstimmt seufzte ich, als ich mich daran machte die Pfandleier abzugehen.

Doch wo ich auch hinging, meine Anhänger blieben verschwunden.



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