All The World Is Made Of Faith, And Trust, And Pixie Dust
„Dein Job ist es, das Beste aus diesem Team rauszuholen. Und glaub mir, Yuki-Chan, manchmal bedeutet das, genau das zu tun, was diese Jungs nicht wollen!“
Es war das Leitmotto von Higashiame Chieko, ihres Zeichens Managerin des Fukuroudani-Volleyballclubs, sowie Drittklässlerin, als Yukie in die erste Klasse kam. Yukie erinnerte sich noch genau an sie: wildes, kurzes Haar, das selbst an guten Tagen immer in den verrücktesten Winkeln von ihrem Kopf abstand (was unter anderem daran lag, wie oft sie sich durch das Haar raufte, wenn sie sich ärgerte), und große, helle Augen, die immer ein bisschen entrückt und empört aus der Wäsche schauten.
Ein Jahr war es nun fast her, dass Higashiame die Schule verlassen und Yukie die volle Verantwortung über den Sauhaufen überlassen hatte, der zumindest auf dem Spielfeld ein funktionierendes Team war, wenn auch er daneben eigentlich eher eine Ansammlung von verrückten Vollidioten darstellte.
Über ein Jahr war es her, dass Yukie zugesehen hatte, wie unter Higashiames Dirigieren ein neuer Captain gewählt worden war, und obwohl ihre Erstwahl damals nicht wirklich mit viel Begeisterung aufgenommen wurde, hatte sie sich durchgesetzt und im Nachhinein war das ganze Team glücklich mit ihrer Entscheidung gewesen.
„So war das bei uns schon immer, Yuki-Chan“, hatte sie damals zwinkernd verraten und unglaublich albern dabei ausgesehen, weil die Geste sich mit ihrem entrückten Blick biss, „Du kannst die Jungs nicht ihren eigenen Captain wählen lassen, das funktioniert nicht. Die haben einfach nicht den rechten Blick dafür. Aber wir hier draußen? Wir sehen das in einem ganz anderen Licht!“
Jetzt, kurz vor Schuljahresende war es wieder so weit. Captainwahl. Sie saßen in der Sporthalle, Yukie ein Stück abseits von ihren Jungs, ein Klemmbrett auf dem Schoß, und noch hörte sie nur schweigend zu, wie die Zweit- und Erstklässler untereinander beratschlagten – die Drittklässler hielten sich raus, schließlich würde es sie gar nicht mehr betreffen.
„Ich bin für Konohan“, schlug Komi vor, der erste handfeste Vorschlag der Diskussion. Er grinste, und in seinem Grinsen lag schon das Indiz dafür, dass er nun etwas Dummes sagen würde, „Weil Konohan immerhin alles irgendwie kann, wenn er auch nirgendwo so richtig viel drauf hat, aber ne? Kann ja auch nur nützlich sein für jemanden, der per Spielregeln immer auf dem Feld sein muss.“
Konoha sah nicht begeistert aus, und Yukie war es auch nicht; Konoha war ein guter Spieler, aber es fehlte ihm sowohl das nötige Beobachtungstalent als auch das nötige Charisma, von denen ein Captain zumindest eines haben sollte.
„Wie wäre es mit Anahori?“ – „Vergesst es, Jungs. Ich schaff’s nicht in die Startaufstellung.“
Yukie schüttelte den Kopf. Higashiame hatte völlig recht damit, dass diese Idioten ihren Captain nicht selbst aussuchen durften. Sie stand auf, trat von ihrem Platz am Rand zu dem Grüppchen Jungs hinüber und hockte sich grinsend zwischen Komi und Sarukui, das Klemmbrett so mit den Armen festgepinnt, dass sie immer noch gestikulieren konnte.
„Bokuto.“
„Nicht dein Ernst“, war die erste Reaktion, die sie bekam. Sie blinzelte, völlig unbeirrt, „Doch doch, ihr habt mich schon richtig gehört. Bokuto. Als Captain.“
Besagter Bokuto sah sie an wie ein Auto, offenbar noch nicht ganz begreifend, was sie da eigentlich vorschlug. Yukie erstickte ein Lachen hinter ihrem Klemmbrett, ehe sie wieder den größtenteils entgeisterten Blicken begegnete, die abwechselnd sie und Bokuto musterten.
Und sie musste zugeben, gerade sah er nicht aus wie ein Captain.
Aber Yukie wusste, dass der dumme Autoblick und das ratlose Gebaren nur eine Seite der Medaille waren. (Die übrigens ganz schön viele Seiten hatte, insgesamt.) Sie wusste, dass dieser gleiche, dumme Kauz, der gerade vor ihr saß und dümmer aussah als drei Meter Feldweg, ein umwerfendes Charisma hatte, das vor allem auf dem Spielfeld zum Tragen kam, sie wusste, dass Bokuto, wenn er sich frei entfalten und spielen konnte, Inspiration und Ansporn für Freund und Feind war, und sie wusste, dass, so viele Fehler Bokuto auch hatte, er das Team auf die ein oder andere Art zusammenschweißte – und sei das nur, weil sie zusammenhalten mussten, um ihn aufzufangen, wenn er wieder einmal dumm war.
„Bei aller Liebe, das kann nicht dein ernst sein.“
Konohas Worte rissen sie aus ihren Gedanken und sie fixierte den Blondschopf mit einem immer noch unbeirrbaren Grinsen im Gesicht.
„Nicht?“ – „Nein. Bokuto ist ein verdammt guter Spieler, keine Frage, aber ich habe noch nie jemanden gesehen, der verantwortungsloser, gedankenloser, vergesslicher, unorganisierter und leichtsinniger ist.“
„Na. Dafür hat er dann einen Vize-Captain“, entgegnete sie, völlig selbstverständlich. Sie sah, wie sich viele Gesichter verzogen, zweifelsohne in der Vorstellung, wie es sein würde, als Vize-Captain hinter Bokuto herräumen zu müssen. Viele grimassierten, aber nicht alle. Yukie lächelte zufrieden, als ihr Blick auf Akaashi fiel, dessen eigene Augen in ihrem typisch unleserlichen Blick auf Bokuto ruhten.
„Ich muss Konohan ausnahmsweise zustimmen. Bokuto… ist Bokuto. Das ist, als würdet ihr mich zum Captain machen wollen – nur dümmer. Also ab davon, dass ich als Libero eh nicht darf.“
Kopfschüttelnd erhob Yukie sich wieder von ihrem Platz. Sie ließ das Klemmbrett einfach fallen – auf Komis Kopf – und stemmte dann die Hände in die Hüften.
„Ihr werdet zumindest darüber nachdenken, habt ihr das verstanden?“
Sie sah Köpfe, die bestätigend nickten, doch die Blicke dazu sagten ihr, dass sie größtenteils ihre dumme Entscheidung schon getroffen hatten, und Yukie konnte wieder nur den Kopf schütteln, ehe sie beleidigt davonstapfte. Solche dummen Jungs! Sie bewunderte gerade wirklich, wie Higashiame letztes Jahr ihren Willen durchgesetzt bekommen hatte. Wie sollte denn Yukies Nachfolgerin in zwei Jahren das schaffen? Hoffentlich würde sie ein selbstbewusstes, charakterstarkes Mädchen werden…
Es war spät. Yukie hatte das letzte Mal auf die Uhr geguckt, da hatte sie acht Uhr abends verkündet, und seit dem war noch einmal eine gefühlte Ewigkeit an Zeit vergangen. Die Sporthalle war gefüllt von dem Lärm von aufprallenden Volleybällen und rufenden Volleyballspielern, und eigentlich hatten sie schon vor mehreren Stunden aus der Halle sein wollen, aber sie waren es nicht.
Sie grinste träge, langsam selbst schon nur vom Zusehen müde, als Anahori herübergelaufen kam, und reichte ihm die vorhin noch neu gefüllte Wasserflasche.
„Phew. Das grenzt hier langsam an Mord“, kommentierte er, nachdem er getrunken hatte. Er griff nach einem Handtuch und wischte sich den schlimmsten Schweiß vom Gesicht.
„Aber ihr seid freiwillig hier“, gab Yukie unbekümmert zurück und wedelte mit den Zeigefingern herum, „Niemand hat euch gezwungen.“
Anahori lachte, ließ sich müde neben sie fallen.
„Ist nicht, als könnten wir Bokuto alleine lassen.“ – „Ach echt? Bokuto brüllt Training, und ihr springt. Fällt dir was auf?“
Sie hob vielsagend die Augenbrauen. Anahori blinzelte, offensichtlich nicht ganz so schnell in der großen Erkenntnis, doch irgendwann kam sie noch, und mit der Erleuchtung brach ein herzliches Lachen aus ihm heraus, für das Yukie nie eine bessere Beschreibung als bunt gefunden hatte.
„Er wird keinen Vize-Captain finden“, gab er zu bedenken, als sein buntes Lachen wieder verklang und die Sporthalle in viel gedämpfteren Farben zurückließ. Yukie schüttelte den Kopf und wies zu Bokuto hinüber, der gerade neben Akaashi stand und ihre neue Taktik für das laufende Drei-gegen-Drei-Trainingsmatch ausdiskutierte.
„Ein Erstklässler?!“ – „Nächstes Jahr ist er Zweitklässler. Das reicht.“
„Es wird nicht auf Begeisterung stoßen.“ – „Zuerst nicht. Aber das war letztes Jahr genauso. Und das Jahr davor. Und das wird nächstes Jahr wahrscheinlich auch wieder werden, und das ist okay.“ – „Ist es das?“
Yukie nickte, grinsend, während sie zusah, wie Bokuto einen Ball über das Netz schmetterte und dann in lauten Freudenjubel ausbrach, der selbst Konoha, der die Annahme versemmelt hatte, ein gutmütiges Lächeln aufs Gesicht lockte.
„Ich hab vollstes Vertrauen in die zwei.“