Lass dich leiten!
16. Kapitel
Lass dich leiten!
Es waren die gewaltigen Kopfschmerzen, die ihn am nächsten Tag weckten. Sein Verstand war betäubt und ein gewaltiges Dröhnen überdeckte die Schmerzen seiner steifen Muskeln. Jede Faser seines Körpers schien zu schmerzen und so kniff Harry die Augen fest zusammen. Er wollte, dass dieses Gefühl aufhörte, dass er denken konnte, dass er verstehen konnte, wo er war. Zitternd zog er die Beine näher an sich heran, presste die Hände auf die Ohren und versuchte durchzuatmen.
Ganz langsam wurde ihm klar, wo er sich befand. Er hatte sich auf den Weg nach Russland gemacht, um dort einer letzten Spur nachzugehen. Es hieß, dass dort in einem Wald ein Mann lebte, der Draco Malfoy sein könnte. Niemand hatte ihn vor den Schrecken dieses Ortes gewarnt und schon nach kurzer Zeit begegnete er dem ersten, verwirrenden Anzeichnen des Zaubers, den er nun besser verstand. Er hatte Teddy die Märchen der Gebrüder Grimm erzählt und unter ihnen war auch Rotkäppchen. Es war Tonks, die lachte und meinte, dass ihr die Geschichte anders besser gefiele und sie berichtete, wie das kleine Mädchen dem bösen Wolf den Kopf abschlug und ihr weißer Umhang mit rotem Blut bespritzt wurde. Diesen Kopf zog sie nun mit sich, um jedem lüsterhaft sündigem Jäger klar zu machen, dass er die Finger von ihr lassen sollte.
Remus und Harry hatten sich schweigend angesehen und beide waren froh, dass Teddy diese Variante der Geschichte nicht gehört hatte. Eben diesem Mädchen begegnete er nun und mit großen Augen starrte er das 12 jährige Kind an, welches eine mit getrocknetem Blut überzogene Kapuze trug. Hinter sich zog sie den verwesenden Kopf eines Wolfes her. Es war der abgeschlagene Kopf des Wehrwolfes Remus Lupin!
Doch sie war nicht die einzig Figur aus den Märchen, der er begegnete. Ein Rumpelstilzchen lief ihm über den Weg, ein kleiner, drei jähriger Junge tanzte und hüpfte an seiner Hand und sang. „Heute back ich, morgen brau ich und übermorgen hole ich der Königin ihr Kind! Heute back ich, morgen brau ich und übermorgen hole ich der Königin ihr Kind!“ Entsetzt begriff er, wer dieses Kind war. Teddy lachte, sah zu ihm auf und schien ihn nicht zu erkennen. „Heute back ich…“ Sang er weiter und hüpfte auf einem Bein.
Doch den Zauber verstand er erst, als er an einen großen Trum gelangte und eine Frau oben im Fenster um Hilfe rief. Sie hatte graue Augen und wunderschöne, geflochtene blonde Haare. Im ersten Moment hatte er an den Mann denken müssen, den er so verzweifelt suchte. Sie sah ihm so ähnlich, nur die weichen Brüste, die sich unter dem Stoff des Kleides hervor drückten, zeugten von der „Wahrheit“!
Aber was war schon die Wahrheit an solch einem Ort? Bevor er noch dem Hilferuf antworten konnte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Eine kalte Klinge legte sich nun auf seine Haut und schnitt leicht in seine Kehle. „Denk ja nicht, dass du ihn bekommst! Denk ja nicht, dass ich dir je vergeben habe! Wenn ich dich nicht haben soll, wird dich keiner haben!“
Angst stieg in ihm auf, mischte sich mit der puren Verwirrung. Das war die Stimme von Ginny! Er war sich sicher! Das war sie!
Reflexartig stieß er den Ellenbogen gegen ihr Brustbein und als sie keuchend aufschrie, wand er sich aus ihrem Griff. Schnell drehte er sich um, starrte in das alte, faltige Gesicht der Hexe und war sich sicher. Es war Ginny! Sicher hundert Jahre älter! „BLAISE! SCHNAPP IHN DIR!“
Für seine Taten von all denen verstoßen zu werden, die er als seine Freunde bezeichnete, war eine uralte Angst in seinem Herzen. Als sich nun der große, dunkelbraune Drache hinter dem Turm erhob, nahm sie auf grausamste Weise Gestalt an. Er kannte diese Augen, diese wunderschönen Augen, die er so oft betrachtet hatte. „Nein, bitte nicht!“ Doch der gewaltige Kopf des Drachen kam näher, die Zähne reihten sich messerscharf in dem leicht geöffneten Maul und dann entkam der mächtigen Kehle ein donnerndes Brüllen.
Harry rannte, in seinen Ohren klang die keifende Stimme Ginnys, der Drache wälzte die Bäume hinter ihm um, als wären es Streichhölzer. Angst trieb den Auror an, er rannte, rannte so schnell er konnte. „Hier rein!“ Riefen zwei Kinder und ohne zu zögern verschwand er in dem Höhleneingang, in dem sie standen. Es waren Hänsel und Gretel, ihre Gesichter jedoch gehörten zu Luna und Neville.
Es war nur ein leichter Schnitt an seiner Kehle und außer einem dünnen Film aus Blut blieb nichts. Dafür spürte er kurz einen Schmerz durch seinen Arm jagen, anscheinend war er mit dem linken irgendwo hängen geblieben, hatte sich leicht verletzt.
Erst nach und nach begriff er, wie der Zauber funktionierte. Anstelle des Hexenhauses landete er unten im Ministerium. In dem Gitterkäfig in der Mitte stand Draco, Fuge schwang den kleinen Gerichtshammer und ereiferte sich über die maßlosen Verbrechen, die der Mann begangen hatte. Ihm wurde vorgeworfen, die Weltherrschaft an sich zu reißen und für den Tod hunderter verantwortlich zu sein. Auch an dem Tod Harry Potters!
„Nein! Ich lebe! Ich bin hier!“ Mit aller Macht versuchte er den Minister vom Gegenteil zu überzeugen und erstarrte, als er die Antwort erhielt. „Nun beruhigen sie sich doch, Mr. Riddel! Sehen sie denn nicht, dass wir gerade den Prozess gegen den sogenannten Dunklen Lord führen?“
Während des nun folgenden Vortrages begriff Harry, dass nicht Draco, sondern er dort stehen müsste. Alles verlor sich und von Panik und Verwirrung, von Schuld und Selbstmitleid getrieben, rannte er davon.
Es wurde immer schwerer die guten Gedanken zu fokussieren und einen Weg durch diesen Wald zu finden. Langsam erkannte er die Ängste, die hinter diesen seltsamen Szenen steckten und durchschaute den Zauber. Es waren seine tiefsten Ängste, die ihn heimsuchten und in immer klarerer Form vor ihn traten, als wollten sie ihn in den Wahnsinn treiben!
Irgendwann musste er den Kampf aufgeben, sein Körper war zu schwach und dann fanden ihn Bella und Sev. Die Bilder dieser Szenen hatten ihn am meisten mitgenommen, diese Angst ohnmächtig dem Wahnsinn der anderen ausgeliefert zu sein und seine eigenen Freunde, seine „Familie“ nicht beschützen zu können, erschien ihm wie die schlimmste Qual. Ob es wirklich so gewesen sein könnte? Er wusste mittlerweile, dass sein Vater zuerst gestorben war, um ihn und seine Mutter zu beschützen. Ob sie ihn wirklich gefoltert hatten? Ob sie ihn einfach nur töteten? War Tom damals alleine gewesen? Genau wusste er es nicht, aber diese Vorstellung raubte ihm den Atem. Tränen liefen über seine geröteten Wangen und sein schmerzender Kopf dröhnte nun im Rhythmus seiner Herzschläge. In den letzten Atemzügen zu wissen, dass die eigene Familie nur einen Raum weiter dem Tode ausgeliefert war, zu wissen, dass sie keine Chance haben würden…
…
Wütend griff er nach der Decke, die er mit aller Kraft zur Seite riss. Er konnte jetzt nicht in diesen Fragen versinken. Das war es doch, was dieser Wald von ihm wollte! Er sollte sich in diesen Gedanken verlieren und irgendwann wahnsinnig werden! Harry hatte sich aufgesetzt und wischte sich mit beiden Händen die Tränen von den Wangen. Klasse, er benahm sich wie ein 12 Jähriger!
Tief atmete er noch einmal ein und aus, sah sich dann so gut es ging um. Das Bett neben ihm war leer und schwer zügelte er seine aufsteigende Panik, seine umschweifenden Gedanken und sagte sich selbst, dass ein „nicht hier sein“ kein „weg sein“ bedeutete! Wenn Draco vor ihm wach geworden war, wäre er sicher aufgestanden. Es war ziemlich dunkel und durch den Vorhang am Fenster fiel nur ein schummriges Licht. Vielleicht war es schon ein fortgeschrittener Morgen und niemand wollte lange wach im Bett liegen. Genau, Draco wollte ihn nicht wecken und ihn einfach weiter schlafen lassen.
Mit einem kräftigen Nicken suchte er den Nachttisch und fand ihn auf seiner Seite. Mit zusammen gekniffenen Augen erkannte er mehrere Gegenstände, die darauf standen. Seine Brille, sein Zauberstarb, wahrscheinlich zumindest seiner, erkennen konnte er es nicht, ein aufgerolltes Pergament und eine… eine ihm sehr bekannte kleine Phiole!
„Trink mich, wenn du Kopfschmerzen hast!“ Es war eine kleine, bauchige Flasche in Grün, die schon einmal auf einem Nachttisch gestanden hatte und diese Schrift war absolut identisch! Bevor er nach seiner Brille griff, schlossen sich die Finger um die kleine Flasche und er zog sie an sich. Nach dem Öffnen entstieg ihr der bekannte Geruch nach Sandelholz. Ohne noch einmal zu zögern leerte Harry den gesamten Inhalt und einen Moment später breitete sich die erfrischende Kraft in ihm auf. Das Pochen in seinem Kopf ließ nach und verstummte schließlich gänzlich. Doch sein Unterbewusstsein gab keine Ruhe, innerlich war er noch immer aufgewühlt und als er die Flasche abstellte, setzte er endlich seine Brille auf, nur damit sein Blick auf das Pergament fallen konnte, welches von dem Ring einer silbernen Schlange umgeben war. NEIN!!!
Erschrocken griff Harry um seinen Hals, suchte seine Kette, doch die war verschwunden. Bis gestern Abend hatte er eben diese Schlange als Anhänger getragen. Nein, das hatte er nicht getan! Mit einer schrecklichen Vorahnung starrte er die kleine, silberne Schlange an und hörte plötzlich seine eigene Stimme. #Öffne dich!#
Voller Angst erkannte er das grüne Leuchten in den kleinen Augen und beobachtete, wie sich der schlanke Körper der Schlange langsam und elegant von der Rolle löste und sich dann auf dem Holz des Tisches wieder in die bekannte Form des Anhängers brachte. Nein, das war ein Scherz, das war nur ein dummer Scherz! Nicht noch einmal! Er hatte es ihm versprochen! Angst ließ sein Herz schneller schlagen, kräftiger, mit zitternden Fingern griff er nach dem Papier und riss es zu sich herüber. Es war nicht so lang, wie das letzte Mal.
Ich bin ein Lügner und doch auch wieder nicht.
Déjà-vu?
Die grünen Augen starrten auf das Stück Pergament in seinen bebenden Händen und er wusste nicht, was er davon halten sollte. Genau so hatte der Brief damals angefangen. Er konnte sich an jedes, an wirklich jedes verfluchte Wort erinnern.
Nun hasse mich dafür, dass ich dich verrate!
Nun hasse mich dafür, dass ich dich zurücklasse!
Es wird keine zweite Nacht geben! Es wird kein Wiedersehen geben!
Ich gehe und komme nie wieder zurück!
Genau das hatte er ihm damals geschrieben und nun begann er mit dem gleichen Anfang und setzte nur ein Déjà-vu? darunter?
Nein! Nein, das musste nur ein dummer Slytherin Scherz sein! Das würde dieser Mistkerl kein zweites Mal abziehen! Wütend warf er den Brief wieder auf den kleinen Nachttisch und riss die Decke gänzlich zurück. Er sprang auf und hörte noch, wie etwas zu Boden fiel. Dass er diesem Geräusch keine Beachtung schenkte, würde er nur wenige Minuten später bereuen. Doch so griff er nach den Sachen, die fein säuberlich gefaltet auf einem Stuhl direkt in seinem Weg lagen. Harry sprang beinahe in seine Jeans und stutzte nur kurz, denn das war weder sein Hemd, noch sein Pullover. Flüchtig stieg die Frage in seine Erinnerungen, ob er das Longsleeve noch behalten wollte. Dann war dieses wohl eines von Draco. Oh, wie gnädig von dem Arsch! Mit einem Kopfschütteln zog er das schwarze Kleidungsstück über und auch den dunkelgrünen Pullover, der zum Glück doch angenehm groß ausfiel.
Seine Stiefel standen leider nicht unter dem Bett, sonst wäre ihm der Verlust etwas sehr Wichtigem aufgefallen. So angelte er sie unter dem Stuhl hervor und kaum hatte er sie zugeschnürt, benötigte er nur noch seinen Dolch. Auch diesen brachte er wie schon hunderte Male zuvor an seinem Oberschenkel an und stopfte den Anhänger mit der Schlange und das Pergament in seine Hosentaschen.
Mit einem Griff nach seinem Zauberstarb war er auch schon auf dem Weg zur Tür. Na warte, wenn er diesen blonden Mistkerl erwischte, dann wäre das sein Ende! Dieses Mal brächte er ihn gleich um!
Oder auch nicht!
Als die Tür hinter ihm zu fiel, starrte er in das rundliche Gesicht seines Cousins. „Was… was machst du hier?“ Stotterte er und musterte die seltsame Kleidung des jungen Mannes. Dudley war noch immer dick, wenn auch groß und kräftig. Er hatte einen langen, schwarzen Ledermantel an, welcher mit vielen, wirklich vielen Schnallen versehen war. Die Stiefel wirkten nicht besser. „Oh, ich helfe dir nur, wenn du das Tutoriell vor Beginn des Spieles durcharbeiten willst.“ Meinte er gehässig und irritiert sah sich Harry im Flur um. Es war dunkel, nur das kleine Licht in der Luft neben seinem verhassten Cousin erhellte wenige Quadratmeter.
„Wenn ich was?“ Fragte er nun und hob leicht seinen Zauberstarb. „Gut, also nicht, dann beginnen wir gleich.“ Schallte nun erfreut böse die widerwärtige Stimme des jungen Mannes durch den Gang und Harry starrte auf die in Silber leuchtenden Worte „Start Game“.
„Jetzt musst du dich nur entscheiden. Slytherin oder Gryffindor. Welche Seite wählst du?“ Fragte Dudley und grinste mit seinem rundlichen Gesicht und die kleinen Schweineäuglein funkelten grausam. Erschrocken wich Harry zur Wand zurück, als vor ihm die linke Wand in Grün aufleuchtete und die rechte in rot. Auf beiden erschien je der Schriftzug der beiden Häuser und das Symbol ihres Wappens. „Ich… ich wähle gar nicht!“ Gab er halblaut von sich und sein Verstand versuchte eine Erklärung für all das hier zu finden.
„Na dann… der Bösewicht verliert zum Schluss zwar immer, aber der Held muss mehr leiden! Daher… du hast ja schon Erfahrung mit dem Held sein, Harry! Du bist der Gryffindor!“ Gackerte sein verhasster Verwandter und mit großen Augen starrte Harry auf seine Hände. Lederhandschuhe zogen sich über seine Haut und seine Kleidung veränderte sich. Schwer legte sich die Rüstung eines Ritters auf seine Schultern und das Gewicht des Schwertes an seiner Seite zog ihn leicht herunter.
„Nun, Ritter Harry, da sie die Prinzessin Darcy suchen, werden sie sich mit all dem auseinander setzen müssen, was Rittern so im Weg steht!“ Mit diesen Worten verschwand Dudley und nur sein Lachen blieb zurück. Es war ein kaltes, grausames Lachen. Dafür war es nun so dunkel, dass Harry nichts mehr sehen konnte. Das Armband!!!
„Scheiße!“ Knurrte Harry und fuhr mit den Finger über das linke Handgelenk. Es war weg! Es musste ihm eben entweder beim Umziehen herunter gefallen sein oder er hatte es schon in der Nacht verloren! Er war wieder mitten in diesen wahnsinnigen Angstvorstellungen, die ihn umbringen wollten. „Ok, das schaffe ich schon. Ich bin also ein Ritter, Draco ist die Prinzessin und die wird meistens von einem Drachen bewacht. Normalerweise wäre die Prinzessin oben im Turm, aber dieses Haus hat keinen. Davon abgesehen, dass Draco sicher unten in der Küche ist… oder der Bibliothek, wenn es eine gibt.“ Kurz drehte er sich um und fuhr mit den Händen über die Wand. Die Tür schien verschwunden. Wäre jetzt auch zu einfach, wenn er zurück gekonnt hätte und das Armband holen könnte. Gut, an was erinnerte er sich noch? Er war oben, hier musste es eine Treppe geben und beinahe der Treppe gegenüber war die Küche, also kein langer Weg.
„Sicher?“ Fragte eine Stimme und ein violettes Licht breitete sich im Gang aus. „Ja, sicher!“ Antwortete der Auror und erstarrte, als er sah, wen dieser Wald geschickt hatte. „Was denn, Ritter Harry, noch nie der Grinsekatze begegnet?“ Meinte die lilafarbene Figur der schwebenden Katze, die ihren Kopf wie eine Eule drehte. Ein Auge war in einem hellen, leuchtenden Blau, während das andere Gelb erstrahlte. Ihr Fell war gestreift, ein grelles Violett färbte die Zwischenbereiche, während die Streifen in einem krassen Blau glühten. Messerscharfe Zähne reihten sich in ihrem übergroßen Maul und sie zog die Lefzen frech in die Höhe, während sie durch die Luft schwebte.
„Es gibt zwei Menschen, für die du bedingungslos sterben würdest, nicht wahr? Dabei hat der eine dich doch so grausam verraten. Aber vielleicht hättest du dem anderen nicht so viele Märchen vorlesen sollen! Dumm nur, dass dein Kopf voll davon ist und du jetzt hier mit der Realität anfangen willst!“ Der Kater lachte und schweigend starrte Harry das seltsame Wesen an. Gut, es existierte nicht! Es konnte gar nicht existieren! Das war nur sein Verstand, nur ein Trugbild! Er musste die Treppe finden!
„Und wo willst du suchen? Dir ist schon bewusst, dass du sie einfach so herunter fällst und dir das Genick brechen kannst?“ Gab nun die grinsende Katze an und ihr buschiger Schwanz zuckte zufrieden. „Ich entstamme dir, natürlich kenne ich deine Gedanken. Du kannst sie auch aussprechen!“
Mit einem Seufzen entschied Harry, dass er schon deutlich schlimmere Vorstellungen hatte und solange nicht die typischen Prinzessinnen Rettungsaktionen kamen, konnte er sich auch mit dem Vieh da unterhalten. „Danke auch! Aber was meinst du mit den „typischen Prinzessinnen Rettungsaktionen“?“ Fragte die Katze nun frech und ihr Schwanz kringelte sich in der Luft.
„Was schon? Hecken, die man erklimmen muss, Hexen, die man austricksen muss oder Drachen, gegen die man kämpfen muss! So was in der Art!“ Kommentierte Harry knurrend und dann bereute er seine eigenen Worte. „Ah! Drachen!“ Wiederholte die violett blaue Katze und der unfreiwillige Ritter schloss die Augen. „Nein, bitte nicht!“ Er hörte das Knurren schon, bevor die roten Augen im Dunklen zu erkennen waren. DRACHE! Innerlich Schrie der Schwarzhaarige auf! Ok, es war nur eine Einbildung, aber selbst Bellatrix Griff hatte geschmerzt, also wollte er gar nicht wissen, wie…
In diesen Gedanken platze die große Feuersäule und brachte ihn zum Schweigen. Heiß schlug ihm die Luft entgegen und vor ihm brannte es. Der Drache brüllte laut auf und Harry drückte sich an die Wand, als ein neuer Schwall an Feuer über den Flur raste. „Scheiße!“ Fluchte er und drückte sich nur einen Moment später ab, um zu rennen.
Doch weit kam er nicht. Er hörte das große Tier hinter sich, die Schuppen schrappten über die Wände und das gesamte Haus erbebte unter jedem Schritt. Ein Licht hatte sich vor ihm aufgetan, er wollte schon darauf zu, als ihm bewusst wurde, was es war. Eine Luke im Boden, die direkt in einen Lavastrom führte. Erschrocken hielt er sich an dem Geländer fest, welches daneben aus dem Boden ragte. „Lava?“ Was hatte Lava in einem Märchen zu suchen? „Abenteuerspiel von Dudley!“ Kommentierte die Katze, die nun neben ihm auf dem Geländer saß und noch breiter zu grinsen schien. „Meistens haben die eine Falltür, um den Drachen aufzuhalten.“ Schlug der Kater vor und bei seinen Worten entzündete sich nur wenige Meter neben ihm eine Kerze in der Wand.
Mit der schweren Rüstung erschien jede Bewegung langsamer und behäbiger. Gerade im letzten Moment griff er nach dem Kerzenhalter und drückte hin herunter. Der Kopf des Drachen war ihm nahe gekommen, zu nahe, bevor das Gitter von oben herunter fiel. Entsetzt starrte er auf das im Schatten verborgene Tier, welches voller Wut gegen die Gitterstäbe stieß und brüllte.
Noch entsetzter begriff er, dass die Wucht dieses Monsters ausreichen würde, um die dürftige Sicherheit zu brechen und ihn dann endgültig zu töten. Sein Blick fiel zurück auf die Falltür, die Luke im Boden, die direkt in den Strom aus Lava führte. Er sollte seinen Tod wählen? Drache oder Lava? Was für ein beschissenes Spiel war das denn?
Ok, logisch denken! Das musste die Treppe sein, also konnte er springen und hoffen, dass er so das „nächste Level“ erreichen würde. Dabei konnte er sich aber das Genick brechen. Der Drache hinter ihm existierte nicht, konnte ihm also theoretisch auch nichts anhaben. Allerdings reichte der Gedanke an die heiße Feuersäule aus, die der Drache durch den Gang gejagt hatte. Wäre er jetzt nicht mit dem Kauen der Eisenstäbe beschäftigt, würde er sicher noch einen Feuerstoß gegen den „Ritter“ schicken.
In diesem Moment lernte Harry etwas über seinen Verstand, über sein Unterbewusstsein, das ihm bisher nicht einmal ansatzweise in den Sinn gekommen wäre. Dieses konnte eine eigene Entscheidung mit den vermischten Fakten aus seiner Einbildung und der Wirklichkeit treffen. Die Frage blieb, vor was hatte er mehr Angst? Der feuerspuckende Drache, der nicht existierte, oder die Treppe, die er nicht sehen konnte. Die Treppe war es nicht.
Bevor er diese Entscheidung begreifen konnte, hatte sein Unterbewusstsein den Sprung schon angeordnet und seine Muskeln spannten sich an. Er ging in die Knie und sprang! Er sprang mitten hinein in den Strom aus Lava und versuchte den Gedanken zu verdrängen, wie unglaublich grausam die Schmerzen sein müssten, wenn er auf die heiße Lava traf.
Doch er spürte nicht die Hitze, er spürte den harten Schmerz der Kante aus Holz, die seine Schulter erwischte und jede weitere Treppenstufe auch. Offenbar war seine Logik so weit gekommen, dass er die Treppe gefunden hatte. Müde blieb er liegen, blinzelte, als er mit dem Hintern unten auf dem Boden landete. Erschöpft und erleichtert lehnte er nun an den drückenden Stufen und atmete mit geschlossenen Augen durch. Verdammte Scheiße, was bitte sollte das werden? Wenn dahinter eine Angst stand, welche sollte das sein? Von einem Drachen gefressen zu werden war zu geringfügig um noch auf dem Plan zu stehen. Da hatte dieser Wald schon andere Kaliber aufgefahren.
„Du hast schlicht Angst davor, nur eine kleine Marionette zu sein, keine Wahl zu haben und dein gesamtes Leben von den Schnüren nicht frei zu kommen, die dich zwingen.“ Bevor er die Augen öffnete, wusste er, wem diese Stimme gehörte. Warum tauchte sie immer wieder auf? Hatte er nicht langsam genug von dieser Frau? „Hast du das? Genug von mir? Dabei bin ich so gnädig und verrate dir, dass du nur noch ein paar Meter von der Küche entfernt bist. Vorausgesetzt natürlich, dass du ihn dort findest!“ Bellatrix wilde Haare wirkten weicher, gepflegter als je zuvor. Verwundert blickte er in das beinahe sanfte Gesicht dieser Frau, deren dunkel geschminkte Augen ihr noch immer einen wahnsinnigen Ausdruck im Spiel mit den blutroten Lippen schenkten. Sie trug ein schwarzes Kleid, welches in dem gleichen dunklen Rot eine elegante Kreuzschnürung auf der Brust trug. Auch an den Ärmeln funkelte dieser Akzent verführerisch auf dem Stoff. Alles an ihr wirkte absurd real und gleichsam schien sie die perfekte Gradwanderung zwischen Wahnsinn und Normalität zu schaffen.
„Du denkst, dass du nur bis in die Küche kommen musst, mein kleiner Schatz! Aber was machst du, wenn er nicht dort ist? Wo suchst du dann? In der Bibliothek? Im Keller? Im Wald?“ Sie kam näher, der Gang schien lang und dunkel hinter ihr, nur kleine, rote Lichter erhellten sie. In einem langsamen Spiel umtanzten diese die seltsame Frau, die nun ihre Hand nach Harrys Kinn ausstreckte. „Was ist, wenn du ihn nicht finden kannst? Wie lange wirst du meine Gesellschaft noch ertragen? Was machst du, wenn ich dir wieder meinen Wahnsinn zeige?“
Zum ersten Mal sprach sie aus, was der Auror bisher verdrängt hatte. Wenn er nicht bald Hilfe bekam, wenn er Draco nicht bald finden würde, dann wäre es die gleiche Situation wie gestern Abend. Dann wäre er genauso verloren wie zuvor! Doch zurück konnte er nicht. Er war gefangen in diesem Spiel und verbittert biss er sich auf die Unterlippe. „Ach mein kleiner Schatz, ich lasse dich nicht allein! Keine Sorge, ich werde bleiben! Immerhin bist du an meinem Tod beteiligt gewesen. Ich werde dein Geist, ich werde dein steter Begleiter werden.“
Sanft strichen ihre Finger über Harrys Wange und Panik stand in seinen Augen. „Lass mich dir die Zeit noch etwas vergnügsamer machen.“ Meinte sie nun und richtete sich wieder auf. Der Schwarzhaarige saß noch immer auf dem harten Boden aus Holz, doch die Treppe konnte er nicht mehr spüren. Wahrscheinlich konnte er sie nicht einmal sehen, wenn er sich wieder zu ihr umdrehte.
Nun jedoch räusperte sich Bellatrix, zog aus den Taschen ihres Kleides ein Pergament hervor und begann mit einem boshaften Lächeln zu lesen.
„Ich habe es dir gesagt in dem Wissen, dass du den feinen Ton darin nicht hörst. Ich werde in deinen Träumen sein, du wirst mich in den Schatten suchen und wenn du meinen Namen hörst, wird die Angst in deinen Augen stehen, dass es mein Tod gewesen ist.
Ich sagte dir bereits, dass ich ein Schatten werde, der allein in deinen Gedanken kreist. Ich bin ein Slytherin, du hast mir vertraut! Wie herrlich war dieses Gefühl, wie sehr habe ich es genossen und nein, ich bereue Nichts! Nur eines rührt mein kaltes Herz zu einem Bedauern. Den Ausdruck auf deinem Gesicht nicht sehen zu können, wenn die Bedeutung meiner Worte in deinen Verstand sickert und du spürst, wie sich der Boden unter deinen Füßen öffnet.“
Ein Lachen entkam ihr und sie ließ den Text sinken. Ihre dunklen Augen funkelten, das rote Licht auf ihrem Gesicht ließ sie plötzlich gefährlicher wirken denn je. „Du hast diesen Brief wie oft gelesen, Harry? Er ist verbrannt, er existiert nicht mehr, weil Ronald ihn dir aus den Händen riss. Aber es war längst zu spät. Jedes dieser Worte hat sich in deinen Verstand eingebrannt! Du hast einem Slytherin vertraut! Wie konntest du nur!“ Sie lachte erneut, räusperte sich, nur um noch einmal voll Grausamkeit zu lachen. Harry schloss die Augen, versuchte den aufkommenden Schmerz zu verdrängen, der bei jedem weiteren Wort kalt in ihm aufstieg.
„Du wolltest nicht gehen! Ich war bereit dazu! In dem Moment, in dem du mir deine Sehnsüchte zeigtest, mir die Wahrheit deiner Gefühle gestandst, begriff ich ihre Bedeutung. Dich gehen zu lassen hätte dich befreit. Es wäre nur eine Nacht gewesen, eine, in der du mich weiter hättest hassen können. Eine Nacht, die dir die Reinheit bewahrt und meine Seele mit Grausamkeit gestraft hätte. Du aber wolltest nicht gehen und nun leide!
Ich habe es dir gesagt! Ich habe dir meine Gefühle so deutlich offenbart, doch du hast es nicht gehört! Ich wollte dich gehen lassen, um dich zu beschützen!“
Kurz blickte sie ihn an, als wäre sie eine liebevolle Mutter, die besorgt und wissend auf ihren fehlerhaften Schützling herab sah. Doch als sich die blutroten Lippen erneut bewegten, triefte ihre Stimme vor Hohn und Gift. „Es ist deine eigene Schuld und du hast dein Herz 7 Jahre lang von ihm verwirren lassen, um jetzt mit was dar zustehen? Mit NICHTS! Harry, du hast geglaubt, dass er dich lieben würde! Wann denkst du, hat er dir das gesagt? Was denkst du, warst du für ihn? Nichts weiter als eine Eroberung und du dummer Idiot denkst, dass er dich lieben würde!“ Verzweifelt versuchte Harry nicht zu schreien, er musste weg hier, er musste aufstehen. Der Sturz hatte ihm viel Kraft geraubt und ihre Worte schienen wie Gift in seinen Verstand einzudringen, brachen seine Gegenwehr und mit ihr die verbleibenden Kraftreserven, die er zu haben glaubte. Mit seinem letzten verzweifelten Willen versuchte er sich zu erheben, sich vom Boden abzudrücken. „Halt einfach deine Klappe, Bellatrix! Sei einfach leise!“ Seine Unterlippe zitterte, er wusste, dass der Schmerz in seiner Brust Tränen in seine Augen trieb. Er wollte nicht, er musste stark bleiben!
„Oh, was denn? Nur weil ich dir sage, was du gestern in Alkohol ertränken wolltest? Er ist nicht der Mann, in den du dich verliebt hast, er ist nicht der Junge, der damals von dir ging! Er verachtet dich für deine Schwächen, für deine Dummheit und deine Naivität! Was hast du erwartet? Das du ihn rettest, er dich sieht und dir um den Hals fällt um zu sagen ‚Oh, Harry, ich liebe nur dich, lass uns heiraten und für immer und ewig glücklich sein!‘. War es so etwas? Hast du dir so etwas gewünscht? Schwächling!“ Sie lachte, zerriss den Brief und damit auch das Herz, welches ihre kalten Finger in Händen hielten.
„Nein! VERSCHWINDE!“ Seine Brust schmerzte, als hätte sie sein Herz in Splitter zerschlagen, die nun grausam von innen in sein Fleisch schnitten. Sie alle wollten in verletzten, ihn von innen her töten und jeder Atemzug war eine brutale Qual. Bellatrix war wie der Endgener, den man nicht besiegen konnte. Sie war wie die Hexe im Märchen, nur dass sie zum Schluss siegte!
Verzweifelt wehrte er sich gegen die roten Bänder aus Samt, die sich um seine Handgelenke zu schlingen versuchten. Sie hatten sich aus dem Boden gelöst, wanden sich wie Schlangen und wickelten sich um seine Handgelenke. „Du kommst hier nicht weg!“ Keifte sie und die Wände tränkten sich mit dem roten Saft, der in Strömen herab lief und den Boden bedeckte. Er konnte das seltsame rauschende Geräusch hören, ein leicht plätscherndes, mit dem die Flüsse aus rotem Blut die Wände herunter strömten und sich in die langsam steigende Flut ergossen. „NEIN! LASS MICH!“ Schrie er und versuchte stärker gegen die Fessel anzukämpfen, die ihn zu Boden drücken wollten.
Ganz langsam trat in dem Chaos dieser Szene etwas in den Vordergrund. Eine Stimme durchdrang den Vorhang ihres schrillen Lachens und seiner verzweifelten Rufe. Zuerst hatte er es nicht bemerkt, die Panik erfasste sein zerschlagenes, von Zweifel zerfressenes Herz und so auch seinen Verstand. Doch dann hielt er instinktiv inne, lauschte, versuchte zu begreifen, wer da zu ihm sprach. Es war eine Stimme, die ihn selbst in diesem Chaos erreichte, selbst in dieser Angst bis zu ihm hindurch drang. Ein Kribbeln ergriff seinen Körper und heiß brannte es durch seine Adern. Als ihn etwas zurück zum Boden zog, konnte er sich nicht mehr wehren.
„Ich lasse dich nicht allein! Ich bin hier!“ Jemand hielt ihn fest, drückte ihn an sich und ohne zu begreifen, um wen es sich handelte, vergruben sich seine kräftigen Finger im Stoff des fremden Pullovers. Er schloss die Augen, wollte nicht sehen, wollte nicht hören und wollte nicht denken!
Zitternd sog er die Luft ein und ein Beben ergriff seinen gesamten Körper. „Harry, ich bin es, Draco.“ Diese Worte waren wie Balsam für die geschundene Seele und doch war er unfähig zu reagieren. Seine Gedanken waren aufgelöst in Nebel und sein Herz raste. Noch immer spürte er den Schmerz, die Angst, die Bellatrix in ihm ausgelöst hatte. Die schlanken Arme hatten ihn umschlungen, hielten ihn fest und Harry begriff langsam, dass er auf dem Boden kniete. Das sie beide auf dem Boden knieten. Sanft fuhren die schlanken Finger durch seine Haare und wieder war die Stimme an seinem Ohr. „Sie wird nicht wieder kommen, niemals!“ Es war ein Versprechen, an das er sich so gerne klammern wollte, er wollte es glauben!
Noch einen Moment wollte er so verharren, den Kopf gegen die Schulter des ehemaligen Slytherin gelehnt, in seiner Umarmung geborgen. Verdammt, warum musste dieser Idiot auch so einen beschissenen Zettel hinterlassen? Wut keimte für einen kurzen, flüchtigen Moment in ihm auf, doch für mehr reichte seine Kraft nicht aus.
Nun etwas neckender meinte der Blonde, der seine Hand sinken ließ und nicht mehr durch die schwarzen Haare fuhr. „Ich frage jetzt nicht, ob es dir gut geht, ja?“
Tief atmete er ein und öffnete die Augen, um sich leicht zu lösen. Immerhin konnte er ja nicht den gesamten Tag hier sitzen. Den Kopf drehte er zur Seite, um möglichst unauffällig über seine Wangen zu wischen. „Ja, das ist eine gute Idee. Eine sehr gute! Sonst bringe ich dich noch wegen dieser beschissenen Nachricht um!“ Obwohl er zuerst zögerte, konnte er doch bei dem kurzen Lachen nicht anders und blickte in das helle Gesicht mit den auffälligen Narben auf der linken Seite. „Als ich meine kleine Nachricht hinterließ, habe ich extra noch einen Blick darauf geworfen. Wenn du das Armband verlierst, kann ich ja nichts dafür.“ Draco grinste und in den grauen Augen funkelte es selbstüberzeugt, wenn auch nicht so stark wie früher immer. „Slytherin.“ Brummte Harry und mit einem kräftigen Ausatmen erhob er sich.
„Ok, lassen wir das Thema, was hältst du von einem heißen Tee?“ Fragte der Blonde nun und stand ebenfalls auf. Er fuhr sich mit den Händen über die Knie, als wollte er Staub von ihnen abklopfen. „Danke, ja…“ Brummte Harry nur und wusste noch nicht, wie er reagieren sollte. Noch immer stach der Schmerz in seiner Brust und es erschien ihm beinahe so, als wäre sein Herz wirklich in Splitter zerschlagen worden. Bellatrix Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Klar, er hatte nicht erwartet, dass Draco ihm um den Hals fiel, als wäre dies hier ein Märchen. Aber dass der Blonde ihn rein gar nicht sehen wollte, hatte er nicht geglaubt.
Nachdenklich folgte er Draco, eine Tür zu seiner rechten war offen und einem flüchtigen Blick nach schien es eine Art Empfangszimmer zu sein, ein Salon. Die Küche hatte sich nicht verändert, es waren nur deutlich weniger Lichter entzündet. Die großen Fenster boten etwas Licht, obwohl vor ihnen ein weißer Schneeschleier lag. Nachdenklich setzte er sich wieder auf den Stuhl, der ihm gestern schon zugewiesen wurde, mit dem Rücken zu der langen Schrankwand.
Hatte sie Recht mit ihren Worten? Bellatrix wollte ihn quälen, aber waren es nur seine Ängste oder auch der Versuch diese weiter zu schüren? Gestern hatte er sich keinerlei Gedanken gemacht, er war einfach zu müde gewesen. Um alleine nach oben zu kommen, hatte er seine gesamte Konzentration gebraucht. Schlagartig fielen ihm wieder die Worte ein, die Frage, die Draco an ihn gestellt hatte. Konnte er ihm hier und jetzt sagen, dass er ihn liebte? Nein, das konnte er nicht. Er hatte das Gefühl, dass der Mann ihm fremd war, der nun zwei schwarze Becher vom Rand eines der kleinen Regale über der Arbeitsfläche nahm und dann mit erhobenem Zeigefinger an den kleinen Dosen und Gläsern vorbei fuhr. Schließlich fand er, wonach er suchte und griff nach einer kleinen, dunklen Glasdose.
Trotz dieser ganzen Katastrophen war er dennoch auf eine Art mit diesem Mann im Bett gelandet. Dabei gab es nichts Sexuelles, aber dennoch blieb die Frage, was das alles sollte. Warum stieß Draco ihn erst von sich, wenn er dann so auf ihn einging? Und was bei allen Teufeln dieser Welt, hatte er auf seine Frage geantwortet? Dummerweise waren seine Erinnerungen von dem Augenblick an geschwärzt, in dem er die Frage gestellt hatte, ob Draco ihn wenigstens noch ein bisschen mochte.
Zwar glaubte er, dass es eine gute Antwort war, zumindest hatte er ein angenehmes Gefühl dabei, aber mehr konnte er nicht sagen. Ob er noch einmal fragen durfte?
Mit einem müden Blick sah er auf, als der Becher Tee in sein Sichtfeld geschoben wurde. „Tut mir leid, ich bin kein guter Gesprächspartner. Irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass eine so kurze Unterhaltung mit Bellatrix so Kraftraubend ist. Als wäre sie ein Vampir, der einem die Energie absaugt.“ Gab Harry kläglich schmunzelnd von sich und die schmalen Lippen seines Gegenübers zogen sich leicht in die Höhe.
Draco setzte sich auf den Platz ihm gegenüber, den eigenen Becher in Händen. „Schon ok, ich bin der lebendigen Variante begegnet und es war nicht besser.“ Gab er so locker von sich, wie es ging. Er hatte gehört, wie Harry die Treppe herunter fiel und als er einen Moment dort saß, verstand er nicht, warum der Auror nicht antwortete. Erst bei seinem angstvollen Aufschrei begriff er die Situation. „Sie kommt nicht wieder.“ Meinte er so überzeugt, dass Harry diesem Versprechen noch immer glauben wollte.
Knapp nickte er und blickte in seinen Tee, der leicht im Becher schwappte. Erst nach und nach stellte er sich die Frage, warum sich Draco diesem so sicher war. Plötzlich erinnerte er sich an die samtenen Bänder, der Mann musste ihn fest gehalten haben und der Fluch erschuf die Fesseln dazu. Mit zusammengezogenen Augenbrauen ließ er den Becher los und schob seinen rechten Ärmel nach oben.
Darunter kamen die schwarzen Linien zum Vorschein, die schon den Arm des Blonden zierten. Den ersten Gedanken verdrängend, unterdrückte er ein Schmunzeln. Jetzt hatten sie ein und die selbe Tätowierung auf dem Arm. Wie das wohl für andere aussehen würde? „Danke.“ Bemühte er sich möglichst ruhig zu sagen und musterte eingehender die Linien, als er wollte. Aber aufsehen und in diese grauen Augen blicken konnte er auch nicht.
„Gerne.“ Draco nahm einen Schluck seines Tees, als nun doch die grünen Augen zu ihm fanden. „Sag mal,…“ Begann Harry und wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Wie drückte er die Frage aus, die ihm nun auf der Zunge lag? „Ich meine, wie… also… wie stehen wir beide jetzt eigentlich zueinander?“
Bevor er die Reaktion in dem hellen Gesicht erkennen konnte, unterbrach sie ein donnerndes Geräusch. Jemand klopfte zwei Mal kurz und nach einer Pause ein weiteres Mal lang an die hintere Tür. Erschrocken war er zusammengefahren, doch Draco blickte nur mit einem angespannten Ausatmen hinüber. Wusste der Blonde, wer da geklopft hatte?
Nur einen Moment später wurde der Schatten sichtbar, der hinter dem Glas erschien. Eine kleine, gebeugte Gestalt schloss hinter sich die Tür und klopfte den Schnee von ihrem Umhang. Es dauerte noch einen weiteren, qualvoll langen Moment, bis sich die gläserne Tür öffnete und eine alte Frau mit einem großen Weidenkorb an ihrem linken Arm hinein kam. In der selben Hand hielt sie einen langen, hölzernen Gehstock, der filigran in sich selbst geschlungen war und sie überragte. „мальчуган!“ Was sie sagte, konnte er nicht verstehen, grimmig und äußerst ungehalten begann sie in der groben, fremden Sprache zu poltern und noch immer verdeckte die dunkle Kapuze den Großteil ihres faltigen Gesichtes.
Mit einem breiten Grinsen schob Draco seinen Becher zur Seite, nur einen Augenblick später landete der Korb knapp vor ihm auf dem Tisch. Seine Stimme klang besänftigend, als er ihr antwortete und doch brummte sie nur grimmig weiter. Mit einer knappen Geste stellte sie den Stab zur Seite, der einfach so mitten im Raum stehen blieb.
Erstaunt sah Harry dem Treiben zu und vermutete, dass diese „Dame“ die Lehrmeisterin war, von der Draco gestern gesprochen hatte. Mürrisch schlug sie die Kapuze herunter und jetzt konnte der Auror den Namen Baba Jage verstehen. Sie hatte weiße, struppige Haare, eine große, kantige Hexennase, wie sie in jedem Märchen beschrieben wurde, Falten zierten ihr altes Gesicht und ein dunkles Tuch mit goldenen Ketten war um ihren Kopf geschlungen. „Ой! принцесса!“ Gab sie in Harrys Richtung von sich und nun breitete sich auf dem alten Gesicht eine unerwartete, leicht beängstigende Freude aus. Offenbar würde er auf eine Antwort noch warten müssen.
Draco hingegen prustete leicht vor Lachen bei den Worten, die Harry nicht verstehen konnte und versuchte so unschuldig wie möglich auszusehen. Er hob beruhigend die Hand und schien ihr etwas zu antworten, was ebenso fremd und unverständlich war, wie alles an diesem Gespräch.