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Bananeneis

von

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Lass mich für dich da sein

Summend machte sich ihr Handy auf dem Nachttisch bemerkbar. Mara schenkte ihm einen kurzen Seitenblick, ehe sie den Anruf ignorierte. So, wie die Letzten.
 

Mit krummen Rücken saß sie auf einem Stuhl, den sie neben das Krankenbett gestellt hatte. Sie schloss die Finger um die Hand ihres Bruders.

„Du bist so ein Idiot, Levi“, flüsterte sie in die Stille des Raumes, die regelmäßig durch die Laute der Geräte, die Levis lebenswichtigen Funktionen überwachten, unterbrochen wurde. „Wieso musstest du meinen Wagen nehmen?“
 

Die Polizei hatte den Unfall rekonstruiert. Dabei war herausgekommen, dass Levi mit Maras Trabi unterwegs war. Ein Betrunkener war zwischen parkenden Autos aufgetaucht und auf die Straße gefallen. Levi wollte abbremsen, doch versagten diese ihren Dienst, weshalb er das Steuer verriss, um den Mann nicht zu überfahren. Er verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und war frontal gegen einen massiven Straßenmast gerast.

Allein der Sicherheitsgurt hatte das Schlimmste verhindern können, jedoch hatte der Aufprall ausgereicht, um Levi in einen komatösen Zustand zu versetzen. Er hatte mehrere Knochenbrüche erlitten, seine Organe waren allerdings unversehrt.

Jede Nacht wälzte Mara sich im Bett hin und her und versuchte die Schuldgefühle, die sie plagten, loszuwerden. Sie selbst redete sich ein, wenn sie nicht Levis Wagen genommen hätte, wäre all das nicht passiert und sie sei die Verantwortliche für seine Situation. Dieser Gedanke lastete auf ihren Schultern und begleitete sie Tag ein, Tag aus, ohne ihr eine Pause zu gönnen.
 

Mara strich über seinen Handrücken, der von feinen Schnitten, die von der zerbrochenen Windschutzscheibe verursacht worden waren, übersät war. Marcel, Levis Pfleger, betrat den Raum und wirkte überrascht, als er Lima am Bett ihres Bruders wachen sah.

„Sind Sie immer noch hier oder schon wieder?", witzelte er, während er Levi an die Infusion anschloss.
 

„Immer noch", antwortete sie leise, ohne den Blick von Levi zu wenden.
 

Erneut startete der Vibrationsalarm ihres Smartphones. Aus dem Augenwinkel sah sie auf das leuchtende Display, das eine ihr bekannte Nummer anzeigte. Statt das Gespräch anzunehmen sah sie wieder zu Levi.
 

„Wollen Sie nicht ran gehen?", fragte Marcel und deutete auf ihr Handy.
 

Seufzend ließ sie die Schultern sinken. „Im Moment nicht."
 

Marcel befestigte einen weiteren Infusionsbeutel am dafür vorgesehenen Ständer und entsorgte die leeren Flaschen. Dann kontrollierte er Levis Venenzugang.

„Sie sollten Ihren Samstag nicht so verbringen. Machen Sie einen Spaziergang oder schnappen sich ein paar Freunde und gehen aus, damit Sie auf andere Gedanken kommen", riet der Pfleger ihr und überprüfte den Infusionsschlauch, wobei er ihr einen strengen Blick zuwarf.
 

Ein weiteres Seufzen entwich Maras Kehle.
 

„Außerdem ist die Besuchszeit bald vorüber", erinnerte er sie und warf sie somit aus dem Zimmer.
 

Vorsichtig tätschelte sie Levis Wange, als sie sich vom Stuhl erhob. „Sie melden sich, wenn es etwas neues gibt?", hakte Mara nochmal nach.
 

„Sofort", bestätigte Marcel ihr und lächelte sie verständnisvoll an.
 

Als Mara das Krankenhaus verließ und über den Parkplatz zu Levis Auto marschierte, strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel und schien sich über ihre momentane Situation lustig zu machen. Dieser frühsommerliche Tag wollte mal so gar nicht zu ihrer düsteren Stimmung passen.
 

In der Wohnung angekommen empfing sie erdrückende Stille. Für eine Weile stand sie regungslos im Flur und kämpfte mit den Tränen, da sie glaubte an der Einsamkeit, die in den Räumen herrschte, zu zerbrechen. Doch statt zu heulen spielte sie die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ab, dessen Display drei verpasste Anrufe anzeigte.
 

„Mara, hier ist Hannah“, spielte das Gerät wieder. Augenblicklich löschte Mara die Nachricht. Der Anrufbeantworter piepe, ehe er die Nächste abspielte.

„Ma-“, weiter kam Hannahs Stimme nicht, da Mara erneut die Delete-Taste betätigte. Sie hatte absolut keine Nerven für die Ex ihres Bruders. Eine leise Stimme in ihrem Kopf versuchte ihr einzureden, dass auch Hannah nicht ganz unschuldig an diesem Elend war, obwohl diese gar nichts mit dem Unfall zu tun hatte. Im Krankenhaus hatte sie bewirken können, dass Hannah keine Auskunft über Levis Zustand bekam und sie selbst gab keine Informationen preis. Sicher würde Levi das treulose Stück nicht sehen wollen, also hielt sie sie von ihm fern, bis er wieder bei Bewusstsein war und für sich selbst entscheiden konnte, sagte ihr nicht, in welchem Zimmer und auf welcher Station er lag.
 

Mara befürchtete, dass auch die dritte Nachricht von Hannah war. Genervt gab sie diese wieder.

„Hi Mara“, überrascht spitze sie die Ohren, als sie Erwins Stimme erkannte. „Anscheinend nimmst du keine Anrufe entgegen und hörst deine Mailbox nicht ab.“
 

Etwas krampfte sich in ihrer Brust zusammen und sie bekam ein schlechtes Gewissen.

„Verständlich, denn du hast sicher viel um die Ohren. Ich möchte nur sicher gehen, dass du in Ordnung bist.“ Eine kurze Pause entstand. „Melde dich bitte.“
 

Unterbewusst tastete sie nach ihrem Handy. Sollte sie ihn anrufen?

Auf keinen Fall wollte sie Erwin mit ihren Problemen belasten. Liebend gerne hätte sie sich an seinen Körper geschmiegt und seine tröstende Wärme gespürt, doch war sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht noch auf die Bedürfnisse eines anderen eingehen konnte.

Wahrscheinlich war es besser ihn erst einmal auf Abstand zu halten. Nur würde sie dann nicht all ihre Chancen verspielen?
 

Mit zusammengebissenen Zähnen raufte sie sich die Haare. Dabei fiel ihr Blick auf Levis Laufschuhe und eine Idee leuchtete in ihrem Hirn auf.
 

Ohne große Umschweife stiefelte sie in ihr Zimmer, wühlte in einigen Kisten, ehe sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie zog sich um, stöpselte die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren und verschwand aus der Wohnung.
 

Draußen begann Mara zu laufen. Sie wollte nicht zur Ruhe kommen, sie wollte nicht darüber grübeln, was richtig und was falsch war, ebenso wollte sie nicht nachdenken, was demnächst auf die zukommen würde. Sie wollte laufen; weg von den Problemen, weg von den Sorgen. Als sich ihr Smartphone in ihrer Gesäßtasche bemerkbar machte, legte sie noch einen Zahn zu.
 

Jegliches Zeitgefühl war verloren, als sie an einem verlassenen Spielplatz vorbeikam. Die Sonne versank irgendwo hinter der Skyline Trosts und tauchte alles in einen goldenen Ton, während Mara das Gelände betrat und sich schnaufend auf einer Schaukel nieder ließ. Mit der Hand fuhr sie sich über die schweißnasse Stirn, gleichzeitig schaltete sie die Musik ab und verstaute den iPod in einer Hosentasche.
 

Seufzend malte sie mit dem Fuß Kreise in den Sand. Vorbei mit dem Vorsatz nicht zu grübeln. Was sollte sie denn nur tun? Wie sollte sie alles unter einen Hut bringen? Heiße Tränen kullerten über ihre Wangen, sammelten sich an ihrem Kinn und tropften auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoss gefaltet hatte.
 

Knirschende Schritte näherten sich ihr von hinten, dann ließ sich jemand auf der Schaukel neben ihr sinken. „Das Erwachsensein kurz pausieren und einfach mal eine Runde Schaukeln?“, fragte eine tiefe Stimme.
 

Erstaunt riss sie den Kopf herum und sah in Erwins Gesicht, aus dem seine blauen Augen ihr entgegen leuchteten. Mit dem Handrücken wischte sie über ihre Augen. „Was machst du hier?“, fragte sie verwundert.
 

Ein warmes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Ich wollte nach dir sehen.“
 

Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Mara biss sich auf die Unterlippe und blickte wieder auf ihre Hände. Hin und her gerissen, was sie nun sagen sollte, holte sie Luft, um zum Sprechen anzusetzen, doch kam Erwin ihr zuvor.
 

„Seit über einer Woche habe ich nichts mehr von dir gehört“, sagte er ruhig. „Ich habe Tag und Nacht an dich denken müssen.“
 

Seine Worte rührten sie. Das schlechte Gewissen machte sich deutlich bemerkbar und sie bereute es, ihn so abgewiesen zu haben. Tränen brannten wieder in ihren Augen, die sie schnell weg blinzelte.
 

„Tut mir leid, Erwin, ich bin im Moment nicht ich selbst“, entschuldigte sie sich für ihr idiotisches Verhalten ohne ihn anzusehen.
 

Er umfasste ihre Hand, was sie aufblicken ließ. „Lass mich für dich da sein.“
 

Langsam nickte sie. Ein Stein fiel ihr vom Herzen und sie fühlte sich plötzlich leichter, als hätte Erwin etwas von der erdrückenden Last von ihren Schultern genommen.
 

„Komm, ich fahre dich nach Hause“, schlug er vor, als sich die Straßenlaternen anschalteten. Er zog Mara von der Schaukel und kreuzte ihre Finger mit den seinen.
 

„Woher wusstest du, wo ich bin?“, fragte Mara auf dem Weg zu Auto.
 

„Ich habe dein Handy orten lassen.“
 

Perplex blieb sie stehen und sah ihn aus großen Augen an. „Ernsthaft?“

Erwins Lächeln bestätigte seine Aussage.
 

„Du bist aber kein Stalker, oder?“, hakte sie argwöhnisch nach, woraufhin er loslachte.
 

„So gefällst du mir schon viel besser“, sagte er und küsste sie auf die Stirn.
 

Erwin fuhr sie zu Maras Wohnung, wo Mara als erstens unter die Dusche sprang, während er vor ihrem Bücherregal, das sie endlich aufgebaut hatte, stand und den Blick über die einsortierten Bücher schweifen ließ.
 

„Reiseführer und Psychothriller; eine unterhaltsame Mischung“, scherzte er, als sie umgezogen und mit nassen Haaren in ihr Zimmer trat.
 

„Du hast die Liebesromane und die Fachliteratur vergessen“, ging sie auf seinen Witz ein und deutete auf die unterste Reihe im Regal.
 

Da entdeckte Erwin die Fotobücher, die Mara und ihr Bruder nach jeden Urlaub anfertigen ließen. Vorsichtig zog er das aktuellste zwischen den anderen hervor und schlug es auf.

Die erste Seite zeigte ein Foto, auf dem ein Wohnwagen abgebildet war. Davor stand Levi mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen, während Mara frech in die Kamera grinste. Unter dem Bild war in gedruckten Lettern Skandinavien Juli 2014 geschrieben worden.
 

Erwin sah Mara an. „Darf ich?“, fragte er und deutete auf das Buch in seinen Händen.
 

„Ja“, erlaubte sie. Schon seit einer Ewigkeit hatte sie sich diese Erinnerungen nicht mehr angesehen.
 

Mit dem Buch in der Hand ließ Erwin sich auf ihr Bett sinken und blätterte durch die Seiten. Mara machte es sich neben ihm gemütlich und lehnte den Kopf an seine Schulter. Durch die Fotos erlebte sie noch einmal die schöne Zeit mit ihrem Bruder, bevor all der Stress angefangen hatte.

Sie erzählte Erwin die Geschichten zu den jeweiligen Bildern, lachte viel und entspannte sich immer mehr. Seine Nähe war Balsam für ihre Seele und sie spürte, wie der Kummer immer weiter von ihr rückte.
 

Das Telefon holte sie zurück ins Hier und Jetzt. Abrupt sprang sie auf und flitzte in den Flur, in der Hoffnung gute Neuigkeiten von Levi zu erhalten. Ohne auf das Display zu schauen nahm sie das Gespräch an. „Hallo?“, fragte sie in den Hörer.
 

„Ich bestehe darauf, dass du mir endlich sagst, wo Levi ist“, drang Hannahs Stimme in ihr Ohr.
 

Mara spannte jeden Muskel in ihrem Körper an, sodass sie zu zittern begann. Tränen bahnten sich ihren weg über ihre Wangen und Hass konzentrierte sich in ihrer Brust.

„Fick dich, Hannah“, fauchte sie, ehe sie auflegte.
 

Sie feuerte das schnurlose Telefon zurück in die Ladestation und legte die Hände vors Gesicht. Da war sie wieder, diese Last. Mara atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen, doch steigerte sie sich immer weiter in diesen Schmerz und diese Aufregung hinein. Unerwartet legten sich starke Arme um ihren Oberkörper und schlossen sie in eine tröstende Umarmung. Hemmungslos ließ sie all der Kümmernis freien Lauf und weinte gegen seine Schutz bietende Brust, während sich ihre Finger in sein Hemd krallten.



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