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Kinder der Freiheit

von

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Tanz der Sorglosen

Am nächsten Tag war Freya früh auf den Beinen. Mal wieder dröhnte ihr Kopf, was nicht unüblich für sie war, doch hatte sich an diesem Morgen noch Übelkeit dazugesellt. Wahrscheinlich der Stress der letzten Wochen, redete sie sich zumindest ein, während sie sich anzog.

Oder eher die Gedanken der letzten Nacht.

Lange hatte sie noch wach gelegen und über den gestrigen Abend nachgedacht. Über Erwin, über ihre Nähe zueinander. Es hatte sie irgendwie nervös gemacht und aufgeregt, doch hatte sie nicht aufhören können, an ihn zu denken.
 

Im Stillen schallt sie sich für ihre Gedanken, gleichzeitig schlüpfte sie in ein paar Schuhe. Auf dem Weg nach draußen huschte sie an Erwins Zimmer vorbei, dessen Türe einen Spalt breit geöffnet war. Sie konnte einfach nicht vorbei gehen, ohne einen Blick hinein zu werfen.

Den tiefen Atemgeräuschen nach zu urteilen, die aus dem Raum zu vernehmen waren, schlief er noch, während die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch das Fenster drangen. Sein blonder Haarschopf war zwischen all den Kissen und Decken kaum auszumachen, was ihr als leidenschaftlicher Morgenmuffel ein Grinsen ins Gesicht zauberte. Gewiss würde er demnächst erwachen und sein Vorhaben für den Tag aufnehmen.
 

Leise stieg sie die Treppe hinab, wobei einzelne Stufen knarzten und sie befürchtete, sie würde Erwin wecken. Unten angekommen legte sie sich ihren Umhang um, schnappte sich einen geflochtenen Holzkorb und trat hinaus in die kühle Morgenluft, die ihre Geister allmählich aufleben ließ. Die Kopfschmerzen verflüchtigen sich und von der Übelkeit war nichts mehr vorhanden.
 

Auf dem Weg zum Wochenmarkt begegneten ihr einige bekannte Gesichter, sowie fremde Händler, die ihre Waren zum Verkauf auf den Marktplatz brachten. Aufmerksam betrachtete sie die Häuser und die Menschen, suchte nach Veränderungen, fand jedoch nicht viele, was eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Es war schön zu wissen, dass einiges so geblieben war, wie es vor ihrer Zeit abseits der Heimat gewesen war.

Obwohl sie große Ziele hatte und die Welt außerhalb der Mauern kennen lernen wollte, war es immer wieder angenehm nach Hause zu kommen und diese Vertrautheit zu spüren.
 

Die ersten Stände kamen in Sicht und die Rufe der Verkäufer, die ihre Waren anpriesen, schallten durch die Gassen. Zielsicher bahnte Freya sich ihren Weg durch die Menschenmassen, die mittlerweile unterwegs waren. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolken und erwärmte die Luft und die Gemüter der Menschen. Der Duft von Blumen und Gewürzen erfüllte die Luft, während ein leichter Wind die Stoffe der Tuchhändler zum Tanz aufforderte.
 

Sie ergatterte all die Waren, auf die sie sich so sehr gefreut hatte, unterhielt sich mit alten Bekannten und genoss das altvertraute Umfeld.
 

Gegen Mittag machte sie sich gemächlich auf den Heimweg. Unterwegs kam sie an einem weitern Dorfplatz vorbei, dessen Zentrum ein Brunnen bildete. Er war verwaist, da die meisten Bewohner zu dieser Zeit auf dem Markt oder zu Tisch waren. Nur eine junge Frau, die ein Kind an der Hand hielt, kam über den Platz auf sie zu.
 

Freya blieb stehen, legte den Kopf auf eine Seite und lachte überrascht auf, als sie die Person erkannte.

„Valerie, ich hab dich fast gar nicht erkannt“, begrüßte sie ihre Freundin.
 

„Schön dich mal wieder zu sehen, Freya“, lächelte ihr die Blonde entgegen und umarmte sie herzlich, wobei Freya sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellen musste, denn ihre Freundin war ihrer Meinung nach riesig.

Die beiden Frauen hatten sich kurz nach Freyas Einzug bei Erwin kennen gelernt und sich auf Anhieb gut verstanden. Leider war der Kontakt nach Beginn ihres Studiums abgebrochen, was Freya bedauerte.
 

Sie sah zu dem kleinen Jungen, der sich hinter ihrer Freundin versteckte. Als er vorsichtig hinter ihren Beinen hervorlugte, erkannte sie, dass er Valerie wie aus dem Gesicht geschnitten war. „Ist das deiner?“, fragte sie überrascht.

„Ja.“ Valeries Wangen wurden rot. „Ich habe Daniel geheiratet, den Schmiedsjungen.“
 

„Wow, ich war viel zu lange weg“, stellte Freya fest. „Erzähl mir davon!“
 

So erzählte Valerie von der Hochzeit mit ihrem Mann, der nun selbst Schmied war, und der Geburt ihres ersten Sohnes, sowie von der neuerlichen Erkenntnis einer weiteren Schwangerschaft. Gespannt lauschte sie ihren Erzählungen, berichtete über ihre Zeit in Stohess und den kurzen Ausflug mit Erwin.
 

„Wie läuft es denn mit euch?“, fragte Valerie.
 

„Was soll denn da laufen?“, stellte Freya daraufhin die Gegenfrage.
 

Valerie lachte auf. „Wollen Erwin und du es nicht langsam mal offiziell machen?“
 

Die junge Ärztin versuchte die Hitze, die in ihr aufstieg, niederzukämpfen. „Du spinnst doch“, schimpfte sie, doch verriet sie ihr rotes Gesicht. Das Valerie auch unbedingt auf dieses Thema zu sprechen kommen musste. .

Ihre Freundin lachte herzhaft und kniff ihr in den Oberarm. „Schade, dass du so bald schon wieder abreist.“
 

„Das finde ich auch“, sagte Freya und es war die reine Wahrheit. Sie bedauerte so wenig Zeit an diesem Ort mit ihren Freunden verbringen zu können.
 

Langatmig verabschiedeten sie sich voneinander und setzten ihre Wege fort. Freya dachte dabei an Valeries Worte und umfasste mit der freien Hand den Anhänger der Kette, die Erwin ihr geschenkt hatte.
 

Als sie zu Hause ankam, saß Erwin wie am Vorabend am Küchentisch und brühtete über seinen Schriften und Aufzeichnungen. Er blickte auf, als sie die Küche betrat und den Einkaufskorb abstellte.

„Wie ich sehe, warst du fleißig“, stellte er fest, wobei ein Lächeln auf seinen Lippen lag, da er den vollen Korb musterte.
 

„Und wie ich sehe, warst du zu fleißig.“ Sie deutete auf seinen Papierkram. „Du solltest dir auch mal eine Pause gönnen, das schadet dem Körper nicht.“
 

„Gut“, sagte er, nahm jedoch den Stift wieder zur Hand und notierte etwas. Irritiert sah sie ihn an, zog die Augenbrauen zusammen und die Mundwinkel nach unten. Dieser Gesichtsausdruck amüsierte ihn.

„Dann lass uns heute Abend auf den Marktplatz gehen“, setzte er fort.
 

An jedem Tag, an dem der Wochenmarkt abgehalten wurde, wurde abends Musik gespielt. Die Leute tanzen und Kaufmänner erfreuten sich über ihren Gewinn und neue Handelsabkommen.
 

Freyas Augen leuchteten auf, während sich ihre Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen. „Wehe du hältst dein Versprechen nicht“, drohte sie ihm mit dem Zeigefinger, bevor sie anfing die Einkäufe zu verräumen.

Erwin widmete sich erneut seiner Arbeit, inzwischen kochte Freya all die Köstlichkeiten, auf die sie so lange hatte verzichten müssen.
 

Später schob sie Erwin einen Teller mit Lachs und Brot vor die Nase, setzte sich zu ihm und sie speisten zusammen. Allerdings konnte er selbst dann nicht von seiner Arbeit ablassen.

Erneut dachte sie an ihre Freundin und konnte nicht verhindern sich ein Leben mit Erwin vorzustellen. Auf dem Bild vor ihrem inneren Auge saßen noch zwei Kinder mit ihnen am Tisch sitzen. Ein Junge mit dem blonden Haar seines Vaters und ein Mädchen, das ihre roten Locken geerbt hatte. Erwin als Kommandant des Aufklärungstrupps und sie als Mutter und ländliche Ärztin mit eigener kleinen Praxis.
 

Freya stoppte in ihrer Kaubewegung und ließ das Bild auf sich wirken. Erwin bemerkte dies und wandte sich ihr zu. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte er, wodurch sich das Bild in ihrem Kopf auflöste.
 

„Ich hatte gerade nur Schwachsinn im Kopf“, winkte sie ab. Sie war Ärztin und Soldatin, kein Hausfrauchen. Und doch hatte ihr diese Vorstellung ein klein wenig gefallen.
 

Gemächlich versank die Sonne hinter den Mauern, als Erwin und Freya zum Marktplatz schlenderten. Dort hatte man unzählige Laternen angezündet, die für ein romantisches Licht sorgten, und Musiker spielten ihre Lieder. Eine ausgelassene und freudige Atmosphäre hing in der Luft.
 

Sie holten sich jeder einen Becher Wein und ließen sich auf hölzerne Kisten nieder, die am Rande des Platzes standen. Amüsiert beobachteten sie die Menschen und sich herum, wie sie lachten, tanzten und feierten. Plötzlich trat Valerie aus der Menschenmenge hervor, schnappte sich Freya und zog sie ins Getümmel. Von da an erhaschte Erwin nur noch gelegentlich einen Blick auf die zwei Frauen, die gackerten wie die Hühner. Als ein neues Lied angestimmt wurde, zog Freya ihre Freundin auf die Tanzfläche und sie tanzten so frei von jeglichen Sorgen und Ängsten, als hätten sie in der Welt nichts zu befürchten. Der Saum ihres Kleides flog auf, wenn sie sich drehte und ihre roten Locken hüpften bei jedem ihrer Schritte.
 

Er erkannte Valeries leicht gewölbten Bauch, Freya hatte ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt. Bei diesem Anblick konnte er nicht umhin dich vorzustellen, wie Freya aussehen würde, wenn sie ein Kind in sich tragen würde. Ohne es beeinflussen zu können schlug sein Herz höher.

Doch statt in Träumereien zu verfallen, rief er sich seine bevorstehende Beförderung in den Sinn. Es war absolut nicht an der Zeit eine Familie zu gründen, schon gar nicht mit einer Frau, die ihm unterstellt war und somit unter seinem Schutz stand. Beziehungen unter den Soldaten wurden nicht gerne gesehen, besonders nicht beim Aufklärungstrupp, da sie das Denken und das Handeln beeinträchtigten. Es war einfacher, den Partner zu Hause zu wissen und nicht während einem Massaker neben ihm zu stehen, wo man vor lauter Sorge um den anderen leicht Fehler machte.

Ein Seufzen entwich seiner Kehle. Egal wie es mit ihnen weitergehen würde, war eins jedoch sicher: Er würde sich immer um sie sorgen, ganz gleich wo sie war und was sie tat.
 

Ein korpulenter Körper schob sich in sein Blickfeld, was ihn aufsehen ließ. Vor sich erkannte er Johan Larsson von der Mauergarnison, der mit ihm die Ausbildung beim Militär durchgestanden hat.

„Das du dich auch mal wieder blicken lässt", sagte sein ehemaliger Mitstreiter.
 

Johan zählte nicht unbedingt zu Erwins Freunden, er war eher ein Nachbar, mit dem er sich gut verstand, jedoch hatten sie eine gemeinsame Vergangenheit, die sie miteinander verband.
 

Sie unterhielten sich. Johan erzählte von alten Zeiten und Erwin von der Schönheit außerhalb der Mauen. Erstaunlich wie unterschiedlich sie doch waren.
 

Irgendwann fiel Erwin auf, dass er Freya des längeren nicht mehr gesehen hatte. Er verabschiedete sich von Johan und schritt zu Valerie, die sich mit einem jungen Mann unterhielt, und fragte nach Freya.
 

„Sie ist nach Hause gegangen, sie fühlte sich nicht gut", informierte sie ihn. Er bedankte sich und trat ebenfalls den Heimweg an.
 

Dort angekommen stieg er die Treppen zu ihren Schlafgemächern empor. Ohne anzuklopfen schob er die Tür zu ihrem Zimmer auf. Er machte sie vor dem Fenster aus. Sie war ihn ein Nachthemd gekleidet und hatte eine dünne Decke um die Schultern gewickelt, während sie hinaus auf die Straße sah. Nach wenigen großen Schritten stand er hinter ihr und blickte ebenfalls in die dunkle Nacht. In der Ferne konnte man die Lichter des Festes über die Dächer leuchten sehen.
 

Ein Moment des Schweigens, ehe er die Stille brach. „Valerie sagte, du fühlst dich nicht wohl."
 

„Alles halb so schlimm. Ich glaube, ich habe einfach zu wild getanzt", sagte sie.
 

Erwin sah ihr Spiegelbild auf der Fensterscheibe und anhand des Ausdrucks in ihren Augen lag es ganz sicher nicht an dem Tanz.
 

„Du bist aufgeregt", stellte er fest. „und fürchtest dich."
 

Langsam bewegte sie den Kopf, sodass sie über die Schulter zu ihm aufsehen konnte. „Das zeugt von gesundem Menschenverstand, oder?"
 

„Du brauchst dich nicht zu sorgen. Levi ist ein guter Soldat, er wird seine Aufgabe ernst nehmen und dir guten Schutz bieten."
 

„Die Angst vor dem Tod ist nicht meine größte Furcht. Ich fürchte mich davor zu sterben, bevor ich etwas erreicht habe", vertraute sie ihm an, wobei sie sich ihm nun ganz zuwendete.
 

„Das braucht du nicht", sagte er und sah ihr in die Augen. Freya wich seinem Blick jedoch aus. So umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und hob es an, damit sie gezwungen war ihn anzusehen. „Du hast bereits viel erreicht."
 

Ihre Augen musterten sein Gesicht, suchten nach einem Hinweis, der seine Worte widerlegte, doch wurde sie nicht fündig. Stattdessen las sie so viel in dem Blau seiner Augen. Sie drohte darin zu versinken und sich komplett zu vergessen.

Es war, als würde eine unsichtbare Hand sie nach oben ziehen, so dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Noch nie war ihr sein männlicher Duft so bewusst gewesen und noch nie hat sie Wärme, die er ausstrahlte, sie so sehr erhitzt.

Automatisch wanderte ihre Aufmerksamkeit auf seine Lippen. In diesem Moment bemerkte sie, wie nah sie sich waren. Im selben Augenblick spürte sie auch, wie etwas nasses durch ihre Nase lief, bis es ihre Oberlippe erreichte.
 

Hastig legte sie den Handrücken vor das Nasenloch und drehte den Kopf weg. „Wir sollten zu Bett gehen, wir haben morgen einen langen Ritt vor uns", sprach sie, während sie zum Nachttisch ging und ein Taschentuch hervor holte.
 

„Bist du in Ordnung?", fragte Erwin verunsichert. Sofort war er an ihrer Seite und legte eine Hand auf ihren Rücken.
 

„Ja. Ich denke, ich habe mich ein wenig verkühlt", erklärte sie und hielt das Tuch an die Nase.
 

Nun war es an ihm, sie zu kritisch mustern. „Ich bin ok", versicherte sie ihm.
 

„Ruf mich, wenn etwas ist", verlangte er von ihr und sah sie streng an. Auf ihr nicken hin, zog er sich aus ihrem Zimmer zurück.
 

Freya wartete bis sie die Tür ins Schloss fallen hörte und nahm dann das Tuch von der Nase. Dunkle, rote Flecken hatten sich auf dem strahlendem Weiß ausgebreitet.

Sie warf einen prüfenden Blick Richtung Tür, sah dann wieder auf das Blut an Hand und Tuch.



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