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La Vie de Fayette

Beloved Enemies
von

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The Hangover

Es gibt manchmal Situationen, in denen man echt Angst vor dem Aufwachen hat. Nämlich wenn man insgeheim wusste, dass nichts Gutes auf einen warten würde, wenn man die Augen öffnete. Und das Gefühl kam mir genau in dem Moment, als ich diese Satinbettwäsche an meiner Haut spürte und ich trotz meines Katers merkte, dass das eindeutig nicht meine Bettwäsche war. Und eine Sekunde später realisierte ich auch, dass ich vollkommen nackt war. Ich brauchte kein Genie zu sein, um zu begreifen, dass das nur bedeuten konnte, dass ich mich in meinem Suff auf einen One-Night-Stand eingelassen hatte. Nur stellte sich mir die Frage, wer es denn war. Denn erschwerend zu meinem Kater und diesem fremden Bett kam noch zusätzlich dazu, dass ich echt nicht mehr wusste, was gestern Abend alles passiert war. Ich hatte einen kompletten Filmriss. Alles was ich wusste war, dass ich mit Seth in den Club gegangen war und er mir seinen Freund Raphael vorgestellt hatte. Ab diesem Zeitpunkt fehlte jede Erinnerung und ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wo ich jetzt war und was denn passiert war, nachdem ich Raphael kennen gelernt hatte.

Ich öffnete langsam meine Augen und sah nur diesen großen Raum, der mir überhaupt nicht bekannt vor kam und ich fühlte mich in diesem Moment völlig orientierungslos. Langsam setzte ich mich auf, biss mir dann aber auf die Unterlippe, als ich einen stechenden Schmerz spürte, der von meinem Anus ausging. Heilige Scheiße, was war denn bitte passiert, dass mir der Arsch so wehtat? Tausend Gedanken kreisten durch meinen Kopf und ich fühlte mich hundeelend. Und als ich dann auch noch ein leises Atmen neben mir hörte, wurde mir klar, dass da wohl die Person neben mir liegen musste, mit der ich geschlafen hatte. Oh Gott, dachte ich und erkannte erst jetzt das ganze Ausmaß meiner Trinkerei. Ich bin mit irgendeiner Frau ins Bett gegangen, hab mit ihr geschlafen und im allerschlimmsten Fall nicht mal verhütet. Wenn da noch eine Schwangerschaft dabei herauskommen sollte, dann konnte ich endgültig einpacken. Das wäre die absolute Katastrophe. Hoffentlich war es keine von der Uni oder sonst jemand, den ich kannte. Nun, um das herauszufinden, brauchte ich einfach nur zur Seite zu blicken, doch ich hatte Angst. Was, wenn es schlimmstenfalls Katherine war? Zwar wusste ich, dass ihr Schlafzimmer ganz anders aussah als dieses und auch sonst die Wahrscheinlichkeit mehr als gering war, aber ich hatte dennoch erst mal totale Panik. Und das auch zu Recht, immerhin konnte ich mich an rein gar nichts erinnern und wusste nicht, was ich noch alles getan hatte. Und ein One-Night-Stand, bei dem man komplett betrunken war, konnte nichts Gutes bedeuten. Das hatte schlimmstenfalls noch schwerwiegende Folgen.

Warum nur? Warum musste es auch immer mich treffen? Ausgerechnet ich, der einen Nachnamen hatte, der doch „Sonnenseite“ bedeutete. Was für eine blanke Ironie, denn irgendwie kam es mir so vor, als würde ich mich immer weiter von der Sonnenseite des Lebens weg bewegen. Ich stand kurz davor durchzudrehen und entweder einen Schrei- oder einen Heulkrampf zu bekommen. Vielleicht sogar beides zum selben Zeitpunkt, wenn sich zu meinem größten Unglück herausstellen sollte, dass die Person, die da neben mir im Bett schlief, tatsächlich jemand war, den ich kannte. Ich atmete tief durch und schaffte es schließlich dann doch, mich zur Seite zu drehen und zu sehen, wer denn da neben mir schlief.

Nun… es war jedenfalls nicht Katherine. Denn die Person, die da neben mir schlief, war nicht mal eine Frau. Das trug nicht sonderlich dazu bei, dass ich mich besser fühlte. Nein, es machte es sogar noch schlimmer. Denn das stellte mich wiederum vor der Frage, was ich denn bei einem Kerl im Bett zu suchen hatte.
 

Mein Blick ruhte nun auf dem Gesicht des Mannes und mein Herz setzte einen Schlag aus. In diesem Moment wäre mir wirklich jede Person recht gewesen, die sich als mein One-Night-Stand entpuppte. Sogar Seth wäre mir schlimmstenfalls recht gewesen, auch wenn dies vielleicht das Ende unserer Freundschaft bedeutet hätte. Irgendwie wünschte ich mir sogar, dass es Katherine wäre. Aber stattdessen lag ausgerechnet Rion neben mir. Und meine größte Frage lautete: was machte ich ausgerechnet in seinem Bett? Wirklich alles setzte in mir aus, als ich ihn neben mir schlafen sah. Entsetzen überkam mich, ich schrie laut auf und von meinem Schrei aufgeweckt fuhr er aus dem Schlaf hoch, doch bevor er irgendetwas machen konnte, trat ich ihn mit aller Kraft aus dem Bett heraus und bedeckte meinen Körper bis zur Brust mit der Decke. Dass dies in diesem Moment komplett mädchenhaft aussah, interessierte mich nicht die Bohne. Viel schlimmer war die Erkenntnis, dass ich nackt neben Rion im Bett lag. „Scheiße noch mal“, knurrte er und stand auf. Er selbst war nur halbnackt, da er zumindest Shorts anhatte. Benommen tastete er nach der Kommode neben dem Bett und bekam schließlich eine Brille in die Hand, die er sich aufsetzte.

„Was schreist du denn wie ein Verrückter herum und warum trittst du mich aus meinem Bett raus?“

„Ach, das ist also dein Bett?“ rief ich empört und dabei war es mir völlig egal, dass mein Schädel dröhnte und sich meine Kehle vollkommen ausgetrocknet anfühlte.

„Was zum Teufel habe ich bitteschön in deinem Bett zu suchen, wo sind meine Klamotten und was hast du Scheißkerl mit mir gemacht, dass mir der Arsch so wehtut?“

Rion schnappte sich ein etwas zerknittertes Hemd, das auf dem Boden lag und zog auch sogleich seine Hose an. Er blieb von meinem Wutausbruch relativ unbeeindruckt und erklärte ganz trocken „Du bist doch gestern einfach eingeschlafen. Also hab ich dich schlafen lassen.“

Wütend funkelte ich ihn an und hätte ihn am liebsten eigenhändig erwürgt. Wie ich diesen Dreckskerl doch hasste und jetzt, da ich nackt, verkatert und mit schmerzendem Hintern in seinem Bett lag, umso mehr.

„Das beantwortet nicht meine Fragen. Was hast du mit mir gemacht? Wieso liege ich splitterfasernackt in deinem Bett?!“

Ich schrie so laut, dass ich mir sicher war, ich würde die gesamte Nachbarschaft aufwecken, doch das war mir in diesem Moment auch vollkommen egal. Ich war einfach nur wütend und war mir sicher, dass Rion irgendeine Masche bei mir angewendet hatte, nur um an sein blödes Fotoshooting zu kommen, oder weil er mich wieder demütigen wollte so wie damals. Doch Rion schien mir nicht sonderlich Beachtung zu schenken und erklärte in seiner typisch arroganten Art „Du hast dich doch gestern an mich geklammert und mich geküsst. Und bei unserer gemeinsamen Nacht schienst du ja auch nicht sonderlich viele Hemmungen gehabt zu haben.“

Ich starrte ihn fassungslos an und begriff erst nicht, was er mir damit sagen wollte. Gemeinsame Nacht? Geküsst? Hemmungen? So langsam kam die Erkenntnis, was der Schmerz in meinem Hintern zu bedeuten hatte und das war für mich der wohl größte Horror von allem, was mir je hätte passieren können. Ich spürte, wie alles Blut mir aus dem Kopf wich und wie sich mein Magen verkrampfte. Mir war schlecht und ich befand mich nun endgültig in einem Schockzustand. Das alles konnte doch nicht wahr sein… Wirklich alles wäre mir lieber gewesen als das hier. Warum nur mussten mir immer die schlimmsten Dinge passieren? Womit hatte ich das verdient? Was hatte ich nur in meinem letzten Leben getan, dass ich ausgerechnet mit dem Kerl in der Kiste landen musste, den ich am liebsten nie wieder sehen wollte? Und dann ausgerechnet ein Mann. Dabei war ich doch hetero! Ich stand nicht auf Männer und das hatte ich auch nie. Ich hätte am liebsten geheult. „Wir… wir hatten… Sex?“

Rion nickte und entnahm wohl meinem Gesicht, dass etwas nicht in Ordnung damit war. „Klar, ist das ein Problem für dich?“

„Und ob!“ schrie ich wutentbrannt und begann nun nach meinen Sachen zu suchen. Ich wollte nicht eine Sekunde länger als nötig hier bleiben. „Ich steh nicht auf Männer, klar? Besonders nicht auf dich!“

Nun wirkte mein alter Feind ein wenig verwundert und fragte mich „Soweit du mir gesagt hast, hattest du doch bereits drei Beziehungen, oder irre ich mich da?“

Drei Beziehungen? Dann musste ich wohl mit ihm über meinen Liebeskummer erzählt haben. Oh Mann… warum nur musste ich auch einen Filmriss haben? Aber andererseits war das vielleicht auch besser so. Dann musste ich mich wenigstens nicht daran erinnern, was er alles mit mir gemacht hatte. Allein bei dem Gedanken wurde mir schlecht. „Und wie du dich geirrt hast“, giftete ich ihn an und fand schließlich mein T-Shirt und auch die anderen Sachen verstreut auf dem Boden liegen. Ich stand auf und wollte mich anziehen, doch der Schmerz jagte durch meinen Rücken und meine Hüften. Leise stöhnend knickte ich ein und realisierte, dass ich mich kaum bewegen konnte. Doch ich riss mich zusammen, denn vor Rion wollte ich keine Schwäche zeigen. „Meine Beziehungen waren alles Frauen, kapiert? Ich bin nicht schwul!“ Nun war selbst Rion verwundert, doch er versuchte es sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Aber mir entging das durchaus nicht. „Das heißt, du hattest nie etwas mit Männern?“ „Nein!“ rief ich und versuchte aufzustehen, doch meine Beine fühlten sich wie Gummi an. Ich fühlte mich hundsmiserabel und mich beschlich das ungute Gefühl, dass dieser Zustand noch etwas länger andauern würde. „Dafür bist du aber gestern ganz schön rangegangen.“

„Ich will es nicht wissen“, gab ich sofort zurück, um ihm das Wort abzuschneiden. „Und dann noch meinen Zustand ausnutzen und mich so ins Bett zu kriegen. So eine miese Tour passt aber auch zu dir. Und ich kaufe dir echt nicht ab, dass ich da freiwillig mitgemacht haben soll. Wahrscheinlich hast du mich abgefüllt und dich an mir vergangen, als ich bewusstlos war. Am liebsten würde ich dich echt anzeigen.“

Doch Rion zeigte sich immer noch völlig unbeeindruckt und das regte mich nur noch mehr auf.

„Du kannst aber auch echt eine Dramaqueen sein, Fayette. Und ich bleibe dabei: du hast dich gestern an mich geklammert und mich geküsst und es regelrecht gewollt. Also spiel dich hier nicht als Opfer auf. Es war ein One-Night-Stand.“
 

Ich biss die Zähne zusammen und ignorierte die Schmerzen und begann mich anzuziehen. Dabei überlegte ich tatsächlich für einen Moment, diesen Dreckskerl anzuzeigen, aber ich ließ dann doch von dem Gedanken ab. Ich wollte nicht, dass irgendjemand erfuhr, dass ich mit dem Typen im Bett gelandet war, der mich in der Schule ständig gemobbt hatte und den ich mehr als alles andere auf der Welt hasste. Das wäre die allergrößte Blamage für mich und ich könnte mich nirgendwo mehr blicken lassen. Es wäre für mich eine einzige Katastrophe.

„Das bleibt auch ein einmaliger Ausrutscher“, sagte ich ihm klipp und klar und zog noch meine Hose an. Immer noch tat mir alles weh und auch kein Kopf dröhnte furchtbar von dem Kater. Am liebsten hätte ich mich hingelegt und noch weiter geschlafen, aber ich wollte schnellstmöglich weg von hier und vor allem weg von Rion. „Das ist nie zwischen uns passiert und wehe, du erzählst jemandem davon. Dann zeig ich dich nämlich an.“

Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er mir nicht einmal zuhören. Ich war so stinksauer, das ich wirklich kurz davor stand, ihm an die Gurgel zu gehen und ihm den Hals umzudrehen. Dieser Mistkerl spielte wirklich mit dem Feuer. Erst füllte er mich ab, riss mir den Arsch auf und ignorierte mich einfach. Stattdessen holte er sein Handy raus und meinte nur „Ich ruf dir eben ein Taxi. In dem Zustand kommst du ja eh nicht weit.“

Ich sagte nichts und zog noch meine restlichen Sachen an, dann wankte ich mehr oder weniger durch den Raum, um die Treppen runterzugehen. Doch ich befürchtete schon, dass ich es in dem Zustand kaum die Stufen hinunterschaffen würde und das sollte sich auch direkt bewahrheiten, als ich nach den ersten Stufen mit dem Knöchel umknickte und stürzte. Geistesgegenwärtig genug konnte ich mich am Treppengeländer festhalten, um nicht die ganze Wendeltreppe hinunterzufallen, doch da spürte ich auch schon einen festen Griff an meinem Arm. Es war Rion.

„Oh Mann, du machst aber auch nichts als Ärger, Fayette.“

Ich riss mich los und warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Nimm deine Finger von mir, klar? Ich schaff das auch alleine.“

„Bist du etwa sauer, weil du Angst hast, ich hätte dich geschwängert oder was?“

Diesen Seitenhieb ließ ich unkommentiert, denn ich hatte nicht wirklich die Energie dafür, einen verbalen Schlagabtausch mit ihm anzufangen. Mit Mühe kam ich wieder auf die Beine, allerdings fiel mir das Treppenlaufen immer noch unheimlich schwer und so brauchte ich deutlich länger runter. Als ich unten angelangt war, musste ich mich an der Wand abstützen, da mir alles so wehtat, dass ich mich ernsthaft fragte, was dieser Bastard mit meinem Körper angestellt hatte.

„Was zum Teufel hast du mir gemacht?“

„Wir haben ganz normal Sex gehabt. Aber das erste Mal ist immer schmerzhaft. Wegen deinem Rausch scheinst du das aber nicht ganz wahrgenommen zu haben.“

„Ja super“, gab ich sichtlich verärgert zurück. „Als wäre nicht allein schon die Tatsache schlimm genug, dass du mich anal entjungfert hast, dann musst du auch noch dafür sorgen, dass ich mich kaum bewegen kann. Ich schwöre dir, das wirst du noch bitter bereuen.“

Doch Rion wirkte sogar noch amüsiert darüber, was ihn nun noch unausstehlicher machte als ohnehin schon.

„Du regst dich auf und schimpfst wie ein Bierkutscher und dabei hast du doch gestern beim Sex die ganze Zeit meinen Namen gerufen.“

Allein die Vorstellung war grässlich und innerlich fasste ich den Entschluss, nie wieder mehr als einen Drink zu trinken. Am liebsten wollte ich dieses Ereignis gleich ganz ungeschehen machen, denn allein der Gedanke, ich könnte tatsächlich mit diesem Mistkerl geschlafen haben, obwohl ich ihn nicht ausstehen konnte, war schlimm genug. Insbesondere durch die Tatsache, weil ich gar nicht auf Männer stand und auch nie mit einem Mann ins Bett gehen wollte. Was hatte mich bloß dazu getrieben, so etwas zu tun? War es vielleicht der Liebeskummer mit Katherine, dass ich völlig die Kontrolle verloren hatte? Mir blieb nur die einzig logische Erklärung, dass Rion mich in meinem Vollrausch völlig um den Finger gewickelt, mich abgefüllt und dann gefügig gemacht hatte. Wenn das wirklich der Fall war, dann wäre es wirklich die einzig vernünftige Lösung, ihn anzuzeigen. Aber würde Rion wirklich so weit gehen? Nun gut, er hatte sich in der Schule so einiges erlaubt, doch er hatte sich meist nur auf die üblichen Mobbingattacken konzentriert. Er hatte mich herumgeschubst, mir ein Bein gestellt oder mich beschimpft, aber er hatte nie etwas Kriminelles gemacht. Er hatte mir nie mein Essensgeld oder mein Handy geklaut, geschweige denn, dass er meine Sachen je zerstört hätte. Zwar war er ein Arsch, aber er hatte es nie so weit eskalieren lassen, dass man von Zerstörungswut reden konnte. Und richtig verprügelt hatte er mich auch nie. Körperliche Gewalt war einfach nicht seine Art. Stattdessen liebte er es nur, Macht über andere zu haben und sie auch zu demonstrieren. Auch wenn ich ihn hasste wie die Pest, aber ein Gewaltverbrechen konnte ich ihm nicht so wirklich zutrauen. Ach ich wusste einfach nicht mehr, was ich überhaupt noch denken oder fühlen sollte. Ich wollte nur noch nach Hause, mich hinlegen und das alles einfach vergessen.

„Du lügst doch, wenn du nur den Mund aufmachst. Warum sollte ich ausgerechnet mit dem Menschen ins Bett gehen, der mir an der Schule das Leben zur Hölle gemacht hat?“

„Erklär du es mir“, meinte Rion nur. „Immerhin war ich nicht derjenige, der angefangen hat.“

Ich fragte mich ernsthaft, warum er mir hinterherlief. Wollte er sich nur an meinem Anblick ergötzen, oder hatte es etwas anderes zu bedeuten? Vielleicht wollte er ja sichergehen, dass ich nicht endgültig zusammenbrach. Aber meine Hand hätte ich dafür nicht ins Feuer gelegt.

„Als ob ich freiwillig mit dir etwas anfangen würde. Ich bleib dabei: du hast mich abgefüllt und dann irgendwie ins Bett gekriegt.“

Rion seufzte und schien es wohl aufgegeben zu haben, mit mir diskutieren zu wollen. Und mir war das auch ganz recht so. Ich hatte darauf auch nicht die geringste Lust. Ich schleppte mich zur Haustür und als ich diese geöffnet hatte, sah ich auch schon das Taxi warten. Na wenigstens etwas… Mit Mühe schaffte ich es, halbwegs aufrecht zu gehen und ins Taxi einzusteigen. Rion drückte dem Fahrer ein paar Scheine in die Hand und ich nannte daraufhin meine Adresse. Damit setzte sich das Taxi in Bewegung und ich lehnte mich in den Sitz zurück. Mir war übel, immer noch hämmerte mein Kopf wie verrückt und ich hatte immer noch nicht so ganz den Schock verdaut, dass ich tatsächlich mit einem Kerl Sex hatte… mit Rion. Ich wusste echt nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte. Das war wirklich das Allerschlimmste, was mir je hätte passieren können. Zwar wusste ich, dass ich manchmal ein wenig über die Stränge schlug, wenn ich zu viel getrunken hatte. Ich wurde frecher und vorlauter und legte es dann manchmal auch auf Ärger an, aber bedeutete das wirklich, dass ich wirklich freiwillig mit meinem schlimmsten Feind ins Bett gestiegen wäre? Vor allem stellte ich mir die Frage, warum sich Rion auch noch darauf eingelassen hatte, wenn er mich doch nicht ausstehen konnte. Wieso hatte es ihn nicht gestört, mit einem Mann im Bett gelandet zu sein?

Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass Rion offenbar schwul war so wie Seth… oder eben bisexuell. Na toll, das machte es auch nicht sonderlich besser. Er brauchte sich ja überhaupt keine Gedanken zu machen, aber für mich war es weitaus schlimmer. Denn ich war heterosexuell, das wusste ich ganz genau. Noch nie hatte ich mich zu Männern je sexuell hingezogen gefühlt, höchstens zu Frauen. Und der einzige Kuss, den ich je mit einem Mann hatte, war mit Seth und das auch nur, weil ich wegen meinem Ohnmachtsproblem ein Experiment machen wollte. Da waren weder Gefühle meinerseits noch seinerseits da gewesen. Ansonsten hatte ich nie irgendeine Form von zärtlichem Austausch mit anderen Männern gehabt. Und dass ich dann direkt mit meinem schlimmsten Feind Sex haben musste und dabei noch der Untere war… Irgendwie schien ich wohl ein absolutes Talent dafür zu haben, mich immer weiter in die Scheiße zu reiten. Ganz egal worum es gerade ging. Erst das Beziehungs-Aus mit Katherine, dann der Stress an der Uni und jetzt auch noch das. Wieso nur hatte ich nicht einfach an diesem einen Tag im Bett liegen bleiben können, als ich Katherine um ein Date bat? Dann wäre ich nicht mitten in der Mensa zusammengebrochen und ich hätte jetzt keinen Liebeskummer. Ich wäre nicht ins Visier des Feldwebels geraten und Seth wäre nicht auf die Idee gekommen, mit mir im Moonflower feiern zu gehen. Dann hätte ich mich nicht so betrunken und wäre nicht mit Rion im Bett gelandet. Irgendwie kam ich mir so vor, als wäre mein Leben dabei, sich in einen einzigen gewaltigen Scherbenhaufen zu verwandeln und ich wusste nicht, wie ich das wieder in Ordnung bringen sollte, geschweige denn, ob es überhaupt noch möglich war. Die Frage war ja, wem ich das überhaupt erzählen konnte. Emily und meine Mutter schieden komplett aus. Die würden mir sicher nicht auf die Weise weiterhelfen, wie ich es mir vielleicht erhoffen würde und dann würden sie auf den Trichter kommen, ich würde vielleicht doch auf Männer stehen. Und irgendjemanden meiner Bekannten von der Uni konnte ich es noch weniger erzählen. In dem Moment fiel mir nur Seth ein. Da er ja selbst schwul war, würde er mich nicht gleich schief angucken. Wir kannten uns schon lange genug und ich vertraute darauf, dass er mir zuhören würde, ohne mich gleich zu verurteilen.
 

Als ich endlich wieder zuhause war, empfing mich schon meine Mutter, die natürlich verwundert war, dass ich erst jetzt nach Hause kam, insbesondere als sie meinte „Seth hat angerufen, weil er dich gestern nicht mehr gefunden hat. Er dachte, du wärst nach Hause gegangen. Wo warst du?“

Sie sah natürlich, dass es mit mir gerade nicht zum Besten stand, aber sonderlich Rücksicht nahm sie deswegen auch nicht. Ich ging in die Küche und goss mir ein Glas Wasser ein. Meine Kehle schmerzte und fühlte sich staubtrocken an. Bei der ganzen Schreierei vorhin war es ein Wunder, dass ich überhaupt noch sprechen konnte.

„Ich hab es mit dem Feiern ein wenig übertrieben, das ist alles. Ich gehe gleich erst mal duschen. Mum, könntest du Seth anrufen und ihn bitten, herzukommen? Ich muss dringend mit ihm reden.“

Ich holte aus dem Schrank die Schmerztabletten und schluckte gleich zwei davon herunter und trank das Glas aus. Nachdem der Ärger bei meiner Mutter abgeflaut war, kam dann doch die mütterliche Sorge bei ihr durch und als sie sah, dass ich mich kaum bewegen konnte, da machte sie sich ja natürlich Gedanken.

„Hast du irgendwie Ärger gehabt?“

Doch ich wollte ihr nicht näher davon erzählen. Es war mir einfach zu peinlich und ich schämte mich auch für das, was gestern passiert war.

Nach einer erfrischenden heißen Dusche merkte ich auch, wie so langsam aber sicher die Schmerzen nachließen. Die Tabletten wirkten wunderbar und ich fühlte mich auch ein kleines bisschen besser. Das änderte sich aber, als ich die Knutschflecke an meinem Körper sah. Nicht nur am Hals, sondern auch an ein paar anderen Stellen. Und dummerweise würden sie auch nicht so schnell verschwinden. Das Beste war, ich überdeckte den am Hals mit einem Pflaster. Das fiel dann wenigstens nicht allzu sehr auf. Zum Glück hatte Mum mich nicht darauf angesprochen, aber wahrscheinlich dachte sie sowieso erst mal, dass ich vielleicht ein wildes Techtelmechtel mit einer Clubbesucherin hatte. Schließlich kam nach einer Viertelstunde Seth endlich vorbei. Ich kochte uns beiden eine Tasse Kaffee und dann zogen wir uns in mein Zimmer zurück.

„Du siehst gar nicht gut aus, Fay“, bemerkte mein bester Freund besorgt und nahm neben mir auf dem Bett Platz. „Wohin bist du eigentlich gestern verschwunden? Ich hab von Mike dem Barkeeper gehört, dass du mit einem blonden Typ weggegangen bist und ich hab versucht dich anzurufen. Aber du hast mal wieder dein Handy vergessen.“

Zugegeben, es fiel mir immer noch verdammt schwer, darüber zu sprechen, weil ich mich einfach ziemlich schämte. Aber nun hatte ich Seth extra herbestellt, also sollte ich es ihm auch endlich sagen.

„Ich hatte gestern vier oder fünf Drinks gehabt und war ziemlich hackevoll. Ich bin mit einem Filmriss in einem anderen Bett aufgewacht und kann mich an rein gar nichts erinnern. Und der Typ, mit dem ich mitgegangen bin… das war kein Unbekannter…“

Seth sah mich ratlos an und schien noch nicht so wirklich zu verstehen, worauf ich hinauswollte. Naja, die Informationen waren bis jetzt auch sehr dürftig, aber es kostete mich halt eine große Überwindung, offen darüber zu sprechen. Also atmete ich tief durch und nahm all meine mentale Kraft zusammen.

„Seth, ich bin in Rions Bett aufgewacht… nackt… Und er sagte, wir hätten miteinander geschlafen.“

Tja, da war mein bester Freund endgültig sprachlos. Mit unbewegter Miene starrte er mich an und sagte nichts. Sicherlich wusste er auch nicht, was er sagen sollte. Er kannte mich gut genug um zu wissen, dass das, was ich ihm da erzählte, gar nicht ich war. Ein One-Night-Stand mit einer 30-jährigen wäre viel wahrscheinlicher gewesen als das, was mir da passiert war.

„Du… du nimmst mich auf den Arm“, kam es von ihm und immer noch starrte er mich ungläubig an. Eine andere Reaktion hatte ich auch ehrlich gesagt nicht von ihm erwartet. „Sehe ich so aus, als würde ich dich verarschen?“ fragte ich und seufzte niedergeschlagen. „Mir tut alles weh und ich kann es ja auch nicht glauben, dass mir so etwas passieren musste. Ich bin aufgewacht und hab fast einen Herzinfarkt gekriegt, als ich nackt neben Rion im Bett gelegen habe.“

„Und was sagte er dazu?“ hakte Seth nach und ich war ihm wirklich dankbar, dass er sich vorerst mit seinen Kommentaren zurückhielt und ruhig wie sonst auch immer blieb. Ich seufzte leise und fuhr mir durchs Haar. „Er meinte, ich wäre ihm um den Hals gefallen und hätte ihn geküsst. Danach hat er mich zu sich nach Hause gebracht und dort ist es dann passiert. Ich weiß ja auch nicht, wie es dazu kommen konnte. Ich hab ihm wohl erzählt, dass ich bereits drei Beziehungen hatte und aus irgendeinem Grund hat er es so interpretiert, dass ich schwul wäre und dann ist es eben so gekommen. Scheiße Mann… Schlimmer hätte es echt nicht kommen können.“

Diese Nachricht musste Seth erst mal verdauen und so wirklich schien er auch nicht zu wissen, was er dazu noch sagen sollte. Für ihn war es genauso verrückt wie für mich und er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wahrscheinlich lag es am Alkohol“, vermutete er und dachte weiter nach. „Ich meine… ich hab dich ja schon mal betrunken erlebt und da kannst du eben auch sehr direkt und aufdringlich werden. Wahrscheinlich sind da irgendwelche falschen Signale gesendet worden und ich meine… ein Ausrutscher dieser Art ist wirklich sehr ungewöhnlich und passt auch überhaupt nicht zu dir. Kann es vielleicht sein, dass es mit deinen Männerkomplexen zu tun haben könnte?“

Da war ich selbst völlig überfragt und zuckte mit den Schultern. Ich trank meinen Kaffee aus, denn Koffein war jetzt genau das, was ich am allerdringendsten brauchte.

„Keine Ahnung. Ich kann mich an rein gar nichts erinnern, was nach dem Treffen mit Raphael passiert ist.“

Wieder dachte Seth nach und sein Blick wurde nun ernster. „Meinst du, er hat dich genötigt oder dir irgendetwas verabreicht?“

„Nein“, erwiderte ich sofort und stellte meine leere Tasse auf dem Boden ab. „Rion ist zwar ein mieser Arsch, aber er macht sich nur über andere lustig. Gewalt- und Sexualverbrechen sind gar nicht seine Art. Selbst in der Schule hat er mich nie verprügelt, höchstens mal ein Bein gestellt oder geschubst. Und ich kann mich auch nicht erinnern, wie er mal in der High School irgendjemanden belästigt haben sollte. Er hatte es immer nur auf mich abgesehen. Und es ist ja auch nicht so, dass sich je etwas zwischen uns geändert hätte. Ich hasse diesen Kerl und ich hab nach wie vor kein Interesse an Männern.“

Nun stellte auch Seth seine leere Tasse auf den Boden und meinte dazu nur „Nun, dann musst du dieses Erlebnis wohl oder übel als schlechte Erfahrung zum Thema Trinken verbuchen. Ich sag mal so: im betrunkenen Zustand können selbst die unmöglichsten Dinge passieren, eben weil der Verstand komplett lahm gelegt ist. Zieh es einfach als Lehre daraus, dass du beim nächsten Mal nicht so viel trinken solltest. Es war ein einmaliger Ausrutscher gewesen, der sich nicht wiederholen wird und es hat sich für dich nichts geändert. Nur weil du sturzbetrunken mit einem Mann geschlafen hast, macht dich das noch lange nicht schwul, da kann ich dich schon mal beruhigen. Und sehen wir es mal so: es hätte noch weitaus schlimmer kommen können.“

Was konnte denn bitteschön schlimmer sein als die Tatsache, dass man als Hetero mit einem anderen Mann ins Bett stieg, der zudem noch derjenige war, der dich jahrelang schikaniert hatte? Nun, als ich genau das fragte, war die Antwort eigentlich ganz einleuchtend.

„Stell dir vor, du hättest mit einer Frau ungeschützten Sex gehabt und sie wäre schwanger geworden. Du hättest dir noch irgendetwas einfangen können oder im betrunkenen Zustand an die Falschen geraten können. Wirklich alles hätte passieren können, da war der Sex mit Rion doch ein kleineres Übel, das wenigstens keine langfristigen Folgen nach sich zieht.“

So ganz Unrecht hatte er ja nicht. Ich musste ja auch wohl oder übel zugeben, dass ich an der ganzen Sache nicht ganz unschuldig war und es nicht so weit hätte kommen müssen, wenn ich nicht so viel getrunken hätte.

„Was für ein Scheiß“, seufzte ich und ließ mich aufs Bett fallen. „Ich hab auch echt eine Pechsträhne.“

Dem konnte mir Seth nur beipflichten. Da er merkte, dass ich wohl doch etwas Ruhe gebrauchen konnte, verabschiedete er sich und bot mir noch an, dass ich ihn jederzeit anrufen konnte, wenn etwas sein sollte. Insbesondere wenn Rion Ärger machen sollte. Ich war wirklich fertig mit den Nerven und wollte einfach nur schlafen und mich von dem Kater und den Schmerzen erholen. So verbrachte ich die meiste Zeit im Bett, kam zwischendurch in die Küche und aß etwas Leichtes, um nicht noch Gefahr zu laufen, mich zu übergeben. Das konnte ich überhaupt nicht gebrauchen.
 

Irgendwann wurde es mir doch ein wenig langweilig und ich schaltete den Fernseher ein. Und auf irgendeinem Kanal erfuhr ich von Ted Mosby aus der Lieblingsserie meiner Schwester, dass ab zwei Uhr nichts Gutes mehr passierte und man deshalb besser nach Hause fahren sollte, bevor noch ein Unglück geschah. Bei so viel Ironie konnte ich wirklich nur noch seufzen und den Kopf schütteln. Diesen Ratschlag hätte ich wirklich gut gebrauchen können, bevor ich in diesen Club gegangen bin. Blieb nur zu hoffen, dass ich Rion nie wieder sehen musste.



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