peppermint
"Ich habe alles für dich aufgegeben“, flüstere ich fassunglos, „Einfach alles.“
Ich hebe den Bilderrahmen auf und umschließe ihn mit meinen Händen, während ich mich langsam auf dem braunen Ledersessel niederlasse, den ich vor drei Wochen in diesem blöden Möbelhaus ausgesucht habe. Ich hab diesen verschissenen Sessel für ihn ausgesucht. Plötzlich fühlt sich alles in mir leer und betäubt an. Irgendwo in mir drin ist etwas zerbrochen, genau so, wie es dieser Bilderrahmen tat. Ich blicke für eine Millisekunde auf das grinsende Paar und stelle mir innerlich tatsächlich die Frage, ob dieses breite und glückselige Lächeln echt oder ob es wie alles an ihm nur aufgesetzt war. Vielleicht war ich nur ein kleines Spielzeug für ihn und jetzt, wo er alles hatte, was er wollte, war ich nicht mehr brauchbar. Ungenügend. Ein lautes Ausatmen lässt mich zusammenzucken und ich richte meinen Blick wieder auf ihn. Er dreht den goldenen Ring an seinem Ringfinger hin und her, während er meinen Blick mit einem Aufflackern an Mitleid erwidert. Ich fange an zu zittern. Er holt tief Luft, bevor er ganz entspannt seine Hände faltet und sie auf dem Schreibtisch aus Mahagoni ablegt. Ich höre mich schnaufen und es fühlt sich an, als stünde ich kurz vor einer Panikattacke.
Er lehnt sich geschäftsmäßig in seinem Stuhl zurück und lässt seinen Blick ohne Emotion über meine angespannten Schultern fahren. Ist das wirklich sein Ernst?
„Ich habe meine Assistentin darum gebeten, deinen Schreibtisch auszuräumen und alles in Kartons zu packen“, er nimmt seine Tasse Kaffee und nippt fast schon genüsslich daran, „aber leider ist ein kleines Missgeschick passiert und alles ist im Müllschlucker gelandet.“ Ich schnappe laut nach Luft und starre ihn fassungslos an. Ich will etwas sagen, aber kein Ton verlässt meine Lippen. „Es ist aber immerhin kein Wunder, immerhin seid ihr beide nie wirklich warm miteinander geworden und habt ständig gestritten.“ Gestritten? Sie hat sich ständig an ihn ran gemacht! Er seufzt schwer und reibt sich die Schläfen: „Es ist einfach… dumm gelaufen.“ „Was?“, entfährt es mir fassungslos. Meine Finger krallen sich in den Bilderrahmen. Das letzte, was ich von ihm und mir, uns, habe.
Er steht auf, kommt hinter seinem wuchtigen Schreibtisch herum und lehnt sich dagegen. In seiner Hand hält er eine CD und streckt sie mir entgegen. „Hier ist alles drauf, was du auf deinem Rechner hattest. Natürlich habe ich alle geschäftlichen Dinge löschen lassen.“ Ich reiße meine Augen auf und schnappe sie mir. „Du bist echt… du bist… ich kann dich nicht einmal beschreiben! Hast du überhaupt irgendwelche Gefühle?! Ich… ich fasse es nicht!“, ich spüre mein Herz in der Brust stechen, „Hast du mich überhaupt jemals geliebt?“ Ganz deutlich schwingt Verbitterung in meiner Stimme mit. Er runzelt die Stirn und zieht die Augenbrauen hoch: „Bitte, Sakura. Nicht hier. Nicht in der Firma.“ „In der Firma? Ich hab dir geholfen! Nur durch mich hast du überhaupt diese Firma!“ „Dein Großvater hat mich zum Geschäftsführer erklärt. Nicht du.“ „Du hast mich benutzt!“ „Sakura, bitte. Lass uns doch um Himmelswillen das Geschäftliche vom Privatem trennen.“ Ich springe auf. Es reicht! Am liebsten würde ich alles klein schlagen! Alles um mich werfen! Ihn schlagen und verprügeln. Ich ziehe den silberfarbenen Ring vom Finger, den er mir erst letzte Weihnachten geschenkt hatte und werfe ihn auf den Boden. Vor seine Füßen. Er quittiert es erneut mit einem lauten Schnauben. Er hat mich nur benutzt. „Danke! Du Romeo-für-Arme! Hoffentlich verlässt dich deine Frau!“, schreie ich ihm heiser entgegen. „Sie wird mich nicht verlassen“, antwortet er total gelassen. Ich schweige. Ich spüre die aufkommenden Tränen in meinen Augen. Ich renne aus dem Büro, renne aus dem Gebäude und renne, bis meine Füße mich nicht mehr tragen.
Mein Herz verblutet gerade auf der Straße.
Ich kriege kaum Luft.
Ich heule so sehr, dass ich kaum noch atmen kann und meine Beine abrupt zum Stillstehen kommen, bis ich kraftlos auf dem Boden sinke.
Ich kotze auf den Asphalt.
„Ma‘am? Ist alles in Ordnung?“ Ich zucke zusammen, drücke den Bilderrahmen gegen meine Brust und starre in strahlendblaue Augen. „Sie sollten aufstehen, sonst erfrieren Sie noch.“ „Bin ich längst“, entgegne ich verbittert. Ich versuche aufzustehen, aber meine Kraft ist verschwunden. „Ma’am, bei allem Respekt, aber Sie können hier nicht vor diesem Laden hocken und sich die Seele aus dem Leib kotzen.“ Seine Stimme klingt freundlich. Ich schnaufe, wische mir die Tränen fort und starre auf das kleine Café. „Ok, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie kriegen einen Kaffee zum Aufwärmen, aber dann verschwinden Sie, bevor Kundschaft verloren geht.“ Ich schniefe laut, stemme mich langsam, fast schon in Zeitlupe auf meine Beine und folge ihm in das kleine Café.
„Jo, Teme. Hier ist noch jemand, der unbedingt etwas zum Aufwärmen braucht!“, sagt er und klopft auf die dunkle Theke. Es riecht nach Kaffee und Blumen und es ist schön warm. Ich lasse mich an einem der kleinen Tische nieder und beobachte den blonden Mann, der hinter der Theke verschwindet. Ich höre dumpf ein Gespräch, lasse meinen Blick weiterhin durch das kleine Café streifen. Mein Herz schmerzt noch immer in meiner Brust und ich spüre die Tränenspur auf meinen Wangen. Ich höre Schritte hinter mir und weiß, dass sich jemand nähert. Vorsichtig schiele ich nach oben, entdecke die dunkelsten Augen, die ich je gesehen hab. „Hey“, sagt der schwarzhaarige Mann und wippt mit einem Kugelschreiber. Seine Stimme ist tief, dennoch ist es die melodischste Stimme, die je in meinen Ohren erklungen ist. Ich hole tief Luft und starre auf seine dunklen, glänzenden Schuhe. Noch nie kam ich mir so erbärmlich vor. Ich höre ihn seufzen.
„Na gut, Miss. Ein Getränk, aber dann ist für heute Schluss“, sagt er ruhig und der Duft von Minze dringt mir in die Nase.
Ich blicke wieder hinauf zu ihm. „Hey“, hauche ich fast lautlos, „Pfefferminztee, bitte.“
Dabei mag ich Pfefferminz nicht mal.