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Under your wings

von

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Kapitel 5

Eren

Ich habe etwas zu Hause liegen lassen, hat er gesagt, wiederholte Eren die Worte und sah auf die Wohnungsschlüssel in seiner Hand. Fahr eben rüber, hat er gesagt, ging es ihm weiter durch den Kopf und er nahm den silbernen Schlüssel zwischen die Finger, schob ihn in das Schloss der Tür, auf der die Nummer 104 stand. Er befand sich im vierten Stock des zweiten Wohngebäudes, welches noch auf dem Grundstück der Wing-Security stand. Mit einem zarten Klicken öffnete sich das Schloss und Eren schob die Tür nach innen auf.

Der Geruch von frischem Tee kam ihm entgegen, wehte um ihn herum und Eren betrat die Wohnung. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihm breit. Wie lange kannte er Levi jetzt? Ein paar Monate – nicht einmal so lange, wie Mikasa ihren Trainer kannte. Alle zwei Tage, oder zumindest dann wenn Eren Zeit hatte, war er drüben. Selbst wenn es inzwischen sehr schnell dunkel wurde, ging er noch rüber. Manchmal sogar nach dem Abendessen. Und wenn es nur ein paar Kleinigkeiten waren, die er mit Levi in dem noch immer sehr baufälligen Haus erledigte. Eren wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Sie waren keine Freunde – man wusste nichts von dem jeweils anderen, was über das standardisierte Maß der Infos hinausging. Name, Beruf, Alter. Mehr wussten sie von einander nicht und Eren wagte es auch nie, nachzufragen.

Aber jetzt hier im Heiligsten einer Person zu stehen… Die eigenen vier Wände, in denen ein Mensch jeden Tag lebte, Emotionen freien Lauf lief und einfach nur … man selbst war. Zwar glaubte Eren nicht daran, dass Levi irgendwie Emotionen besaß, die über Wut, Frustration, Genervtheit und Ekel hinausgingen, aber die Möglichkeit bestand. Nach dem Chemieaufbau mit Hanji hatte sich nichts geändert. Sie meinte zwar, dass Levi eine ganz herzliche Person war, doch glaubte Eren wenig daran. Man sah es nicht. Man spürte es nicht einmal. Es war nicht so, dass Levi ihm gegenüber fies war. Klar, irgendwie schon, aber es war nicht wegen ihm. Es war einfach Levi. Das war dessen Charakter, dessen Art. Und Eren hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Man konnte trotz allem recht gut mit dem Älteren arbeiten und er tat es wirklich gern.

Wenn er abends den Dreck unter seinen Nägeln wegkratzte und sich den Staub aus dem Haar wusch, wusste er wenigstens, dass er etwas getan hatte. Zwar war er manchmal echt fertig, wenn er nach acht oder zehn Stunden von der Uni heimkam, aber irgendwie war es entspannend, noch etwas anderes zu tun. Inzwischen verstand er Mikasa. Er verstand es, warum sie nach Feierabend noch in die Stadt fuhr oder ging und sich im Dojo noch einmal richtig verausgabte. Hin und wieder hatte er sich sogar dabei erwischt, darüber nachzudenken, selbst auch seinen Arsch dorthin zu bewegen, eine Anmeldung auszufüllen und Teil des Vereins zu werden. Mikasa schien mehr und mehr begeistert zu sein. Es schien mit einem Mal aufwärts zu gehen. Ihm war nicht klar, ob Levi mit ihr gesprochen hatte, aber Mikasa war nicht mehr so angenervt, wenn sie nach einer Trainingseinheit nach Hause kam, an der Levi selbst teilgenommen hatte.

Eren schloss die Wohnungstür hinter sich, legte den Schlüsselbund auf eine weiße Kommode, die an der rechten Wand stand. Daneben waren Haken an der Wand angebracht, an welchen die Lederjacke der Uniform hing oder ein schwarzer Wintermantel, eine dünne Sommerjacke… Er sah vier Paar Sicherheitsstiefel darunter, Sniker von Nike und Laufschuhe derselben Marken. Die Wände waren dunkelblau. Es wirkte kühl, ließ den eigentlich schmalen Flur jedoch größer wirken. Zu seiner Linken war eine weiße Tür. Eren hatte keine Ahnung wo sich das befand, was er suchte, weswegen er die Tür öffnete und in einem kleinen, beinahe beengenden Bad stand. Das sind nicht einmal sechs Quadratmeter. Und selbst jemand wie Levi, der zwar nicht gerade groß war, konnte sich kaum in dieser Enge wohl fühlen.

Also schloss Eren diese Tür, öffnete die nächste auf der rechten Seite, die sich neben der Kommode an der Wand befand und betrat ein großes Wohnzimmer mit großen Fenstern.

Werkzeugkasten. Groß und schwarz und nicht leicht, hat er gesagt. Doch auch hier im Wohnzimmer fand er das nicht. Ein großer, schwarzer Fernseher hing an der Wand, darunter ein schwarzes Sideboard mit zwei etwas höheren Schränken daneben. Die Couch war ebenso schwarz, der Teppich auf dem er stand war hingegen so weiß wie die Wände. Schwarze Vorhänge vor den Fenstern, keine Bilder an der Wand, nur grüne Blumen auf der langen Fensterbank. Ein hohes, langes Regal befand sich am Ende des Raums, war voll gestellt mit Büchern und DVDs. Aber es war keine Spur von dem, was er suchte.

Die Küche befand sich gegenüber dem Wohnzimmer – klein, steril und schwarz-weiß. Kaum der Rede wert – nicht einmal gemütlich. Scheinbar war Levi eher der sterile Kerl. Die Wohnung war genau so kalt wie sein Charakter…

„Schlafzimmer“, murmelte Eren, als er die Klinke der letzten Tür in der Hand hielt und  … hinunterdrückte. Er fand ein großes, schwarzes Futonbett vor, schwarze Schränke vor einer weißen Wand. Es war exakt wie im Wohnzimmer und das einzige, was diese Wohnung auch bewohnt erscheinen ließ, war der Geruch von Tee, Waschmittel und … Levi. Neben der Balkontür erkannte Eren das Gesuchte und nahm den metallenen Koffer vom Boden auf. Es klirrte darin und das Gewicht war definitiv nicht zu verachten.

„Was muss er für ein einsamer Mensch sein“, überlegte er. Nicht ein einziges Bild befand sich in den Räumen. Die Wände waren kalt und nackt und der einzige Farbklecks war der Flur. Alles andere war so schrecklich monochrom. Eren fühlte sich hier überhaupt nicht wohl.

Er nahm den Schlüssel wieder zur Hand und verließ die Wohnung so schnell, wie es ihm möglich war. Er lief die Treppen hinunter, drückte die Haustür auf und öffnete den schwarzen Chevrolet per Knopfdruck der Fernbedienung. Eren öffnete den Kofferraum und stellte die Kiste hinein, ehe er einstieg und den Motor startete. Es zumindest versuchte. Es kam nur ein leises Ächzen als Antwort und er ließ den Kopf in den Nacken sinken. So viel dazu. Er hätte sein eigenes Auto nehmen sollen. Wahrscheinlich hat Levi ihn deswegen mit diesem Wagen fahren lassen. Weil dieser Karre so gut wie nie richtig lief! Erneut versuchte er es, den Wagen zu starten. Einmal, zweimal und dreimal und er war kurz davor, auf das Lenkrad einzuschlagen. Er hatte doch kein Licht angelassen. Es war alles ok. Levi hat gesagt, er habe erst getankt…

„Scheißkarre“, knurrte Eren und lehnte sich im Sitz zurück. Er hatte nicht einmal Levis Handynummer, also konnte er ihn auch nicht anrufen und fragen, was mit dem Wagen los war. Er könnte natürlich ins Hauptgebäude gehen, doch …

Diesen Gedanken verwarf er noch im selben Augenblick wieder und versuchte es noch einmal. Dieses Mal sprang der Motor tatsächlich an, schien jedoch im nächsten Moment wieder ausgehen zu wollen. Eren setzte den Wagen in den Leerlauf, trat das Gaspedal ein paar Mal durch, ehe er hörte, dass der Motor rund zulaufen begann und das dunkle Knurren des Wagens zu hören war. Beinahe hätte Eren erleichtert aufgeseufzt, doch fiel die Drehzahl sofort wieder gen Keller. Etwas Gas gebend hoffte Eren, dass er hier heute noch wegkommen würde. Es würde Ewigkeiten dauern, bis er zu Fuß in seiner Gasse ankommen würde. Doch konnte er dann tatsächlich losfahren, nachdem sich der Wagen endlich gefangen hatte. „Der zieht irgendwo Luft oder eine Dichtung oder … Scheiße, das könnte alles sein…“, murmelte er für sich selbst und fuhr in die Richtung, in welcher er wohnte.

Er parkte den Wagen an der Straßenseite, öffnete jedoch die Motorhaube, ehe er ausstieg und klappte das Ding hoch.

„Hat gedauert.“ Levi kam aus dem Haus auf ihn zu, als Eren sich gerade über den Motor lehnte und sich die Sache ansah.

„Ja, er wollte nicht“, erklärte er und sah, dass einer der Schläuche nicht richtig festsaß. Die Schelle hatte sich gelöst. „Hast du einen Kreuzschlitz?“

Wortlos reichte Levi ihm einen Schraubenzieher und Eren schob alles wieder zurecht, drückte die Schelle mit schnellen Bewegungen, der Hitze wegen, zurecht und zog die Schraube fest.

„Er hat Luft gezogen. Deswegen springt er nicht richtig an.“

„Und das weißt du woher?“

„Ich kann lesen.“ Es blieb ihm nichts anderes über. „Mein Vater hat uns den Audi hier gelassen gehabt vor ein paar Monaten, jedoch nicht genug Geld für eine Reparatur. Internet.“

„Aha.“ Es klang nicht einmal beeindruckt. Doch Eren störte es nicht. Technik war das einzige, das ihm lag. Er war auch fähig, das Steuergerät eines Autos auszulesen und das Programm zu überschreiben. Informatiker eben. Zu irgendwas musste das ja auch nutze sein.

„Deine Wohnung ist echt … ungem-“

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Den Blick, den Levi ihm auf diese Bemerkung hin schenkte und die Falte zwischen den Augenbrauen ließen ihn schweigen. Er erinnerte sich an Hanjis Worte. „Schon gut.“

„Ist auch besser für dich.“ Die Kofferraumklappe wurde etwas zu hart zugeschlagen, ehe Levi mit dem Werkzeug davon ging. Eren schluckte trocken. Da hatte er doch einen Fehler gemacht. Und eigentlich hatte er gedacht, wenigstens irgendwas sagen zu dürfen. Aber scheinbar war alles was Levis Person betraf, kein Thema.

„Levi – es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen-“

„Halt’s Maul, Eren. Das ist alles, was du machen musst.“

„Soll ich gehen?“

„Ja. Hau ab, wenn du unbedingt willst. Geh einfach.“

„Oh … okay“, meinte er leise und irgendwie traf es ihn härter, als er gedacht hatte. Eigentlich hatte er selbst geglaubt, dass Levis kühle Art langsam nicht mehr so schwer zu ertragen wäre.

„Hey, kann ich rein kommen?“ Mikasas Stimme hallte auf einmal durch das leere Untergeschoss es Hauses und Eren als auch Levi wandten überrascht die Köpfe zum Flur.

„Was?“, knurrte Levi jedoch nur und schien noch genervter zu sein, als vorher.

„Ich habe gekocht.“ Sie kam mit einem Wäschekorb in den Händen zu ihnen in das vordere, linke Zimmer und stellte ihr Mitbringsel ab. Teller, Besteck, zwei Thermoskannen und drei große Töpfe wurden auf den Boden abgestellt, ehe sie den Korb umdrehte. „Ich dachte, ihr habt vielleicht Hunger.“

„Mikasa – was…“ Sie legte jedoch nur ihren Zeigefinger auf ihre Lippen, bedeutete ihm, nicht mehr weiter nachzufragen. „Ich hol die Couchkissen…“, meinte er deswegen und verschwand im Keller.
 

Levi

Er sah die junge Frau nur ausdruckslos an, während sie auf dem Boden kniete und die Teller auf dem umgedrehten Wäschekorb abstellte. „Was willst du hier?“

„Habe ich bereits gesagt.“

„Und der wahre Grund?“

„Ich habe gekocht“, wiederholte sie und brachte seine Wut damit nicht gerade auf ein erträgliches Maß zurück. Im Moment wollte er weder sie noch Eren hier haben und beide auf einmal hier zu wissen, war sicherlich nicht sein größter Wunsch. „Ist was passiert zwischen euch?“

„Nein. Meine Geduld ist nur heute sehr kurz bemessen“, teilte er ihr mit und verschränkte die Arme vor der Brust, während sein Blick auf ihr lag.

„Was ist los?“

„Job?“, hakte er bissig nach.

„Erzähl es mir.“

„Sind wir jetzt Kaffeekranzschwestern oder was?“, wollte Levi wissen und schenkte ihr einen bitteren Blick. Sie sollte ihn nicht wie ihren Bruder behandeln. Sie hatten nichts gemeinsam und dass ihr Verhältnis nach einem kurzen Gespräch nach einer Trainingseinheit langsam locker zu werden begann, hieß nicht, dass sie ihn wie Eren behandeln konnte. Er war nicht so simple gestrickt wie der Biologie-Student, der in den Tiefen seines Kellers verschollen schien.

„Wenn du Eren von der Seite anfährst, dann interessiert es mich. Ansonsten kannst du deinen Scheiß für dich behalten.“

„Hm. Interessant. Ein loses Mundwerk hast du da, Mädchen.“

„Tz.“ Er sah ihr dabei zu, wie sie aufstand und auf ihn zukam. „Ich bin bereit, mit dir klarzukommen. Ich bin es wirklich.“

„Ist das so?“ Ihre ganze Art beeindruckte ihn wenig. Auch hinter ihrem harten Panzer steckte nur ein kleines Mädchen, das sich zu verstecken versuchte. Es gab kaum etwas, das ihn beeindrucken konnte.

„Ja“, gab sie zurück. „Weil ich sehe, dass du meinem Bruder irgendwie gut tust. Du und Hanji.“

Er hob die linke Augenbraue und wartete auf weitere Worte. Hanji tat Eren definitiv gut. Seitdem der Junge bei ihr arbeitete und seine Zeit mit der verrückten Wissenschaftlerin verbrachte, hatte sich sein ganzes Auftreten positiv verändert, das war sogar ihm aufgefallen. Nur er konnte da kaum etwas zu beigetragen haben.

„Guck nicht so arrogant. Du weißt wovon ich rede“, meinte sie kühl und stemmte die Hände in die Hüften. Ein leises Seufzen verließ seine Lippen. Sie versuchte so sehr ihn einzuschüchtern. Da mussten aber ganz andere Personen kommen. Auch wenn er ihr nicht auf Augenhöhe begegnen konnte, wusste er, dass er ihr in beinahe allen Bereichen überlegen war.

„Was soll ich damit zutun haben?“

„Du gibst ihm die Aufmerksamkeit, die ihm fehlt.“

„Ach?“

Dass er nicht lachte! Aufmerksamkeit! Eren war hierher gekommen, hatte beinahe gebettelt helfen zu dürfen. Der Junge war nicht ausgelastet genug und um nicht von ihm genervt zu werden, gab ihm etwas zutun. Scheinbar hatte der Vater da versagt. Wo er gerade daran dachte: Er hatte den Vater des Bengels schon lange nicht gesehen. Scheinbar war dieser für längere Zeit außer Haus. Ein Wunder, dass die beiden noch am leben waren. Eren schien auf ihn nicht gerade ein Überlebenskünstler zu sein.

„Tu ihm nur einfach nicht weh.“

„Mikasa.“

„Ich töte dich, wenn du ihm wehtust, Levi. Verlass dich drauf. Er ist meine einzige Familie.“

„Hm. Toll.“ Es interessierte ihn nur nicht. Er hatte nicht vor, irgendein Ersatz für Eren zu sein. Und ebenso wenig hatte er vor, irgendein Vorbild zu werden. In dieser Position versagte er nämlich immer. Er war niemand, den man sich als Beispiel nehmen sollte.

„Ich meine es ernst.“

„Versuch es, wenn du meinst, dass du es tun musst.“ Sie amüsierte ihn mit ihrer Art nicht einmal. Eigentlich waren es gerade solche Personen, die wenigstens ein höhnisches Lächeln auf seine Lippen zaubern konnten. Doch dafür hatte er heute nichts über.

„Er ist für dich nur eine günstige Arbeitskraft, oder?“

„Habe ich das gesagt?“

Er sah, dass Mikasa noch etwas sagen wollte, doch erschien Erens Gestalt in dem Moment im Raum. Drei alte, grüne Kissen im Arm und starrte zwischen ihnen hin und her. „Alles klar?“

„Aber natürlich“, kam es von Mikasa, doch klang es so sarkastisch, dass Levi ein misstrauisches Funkeln in Erens Augen erkennen konnte. Nur ersparte Eren ihnen nervige Fragen diesbezüglich.
 

Mit verschränkten Armen stand er vor dem großen Fenster des Büros und sah hinaus. Erwin ließ es einreißen, zu spät zu kommen, wenn er ein Meeting mit ihm angesetzt hatte. Und es kotzte ihn an. Warten war nicht seine Stärke. Vor allem nicht, wenn der Befehl einer Unterhaltung nicht von ihm sondern von Erwin ausging. Er wollte so wenig Zeit mit ihm verbringen müssen, wie es nur möglich war.

„Nächste Woche haben wir die Sicherheitsverantwortung für das Gipfeltreffen.“

„Hm.“ Die Tür war noch nicht einmal ins Schloss gefallen. Er hörte Erwins schwere Schritte auf ihn zukommen, doch regte er sich nicht. Warum umdrehen, wenn Erwin auch so weiter reden würde?

„Am Wochenende steht eine Hochzeitsparty an – dreihundert Gäste.“

„Hm.“

„Du bist nicht gerade gesprächig heute.“

„Spuck aus, was du zu sagen hast und lass mich in Ruhe.“ Er hatte noch genug Papierkram auf seinem eigenen Schreibtisch liegen. Zudem hatte er noch drei Bewerbungsgespräche, die er hinter sich bringen wollte. Am besten schnell, bevor er die Bewerber aus dem Fenster werfen würde. Wenn sie sich mit Heldentaten brüsteten und sich als Superman persönlich aufspielten, schloss Levi die Bewerbungsmappe ohne ein Wort und ließ die Leute von der Sekretärin hinausführen. Solche Leute standen in Levis Gunst ganz weit unten.

„Wie läuft es mit dem Umbau?“

Er spürte, dass sein Vorgesetzter nahe hinter ihm stehen blieb. Beinahe konnte er den Atem des anderen in seinem Nacken spüren.

„Wunderbar“, folgte die nüchterne Antwort und eine Hand legte sich auf seine Schulter, fuhr über sein Schulterblatt und über seinen Rücken. „Erwin“, warnte er ihn kühl, doch die Hand verschwand nicht und strich viel eher über die Gurte des Holsters.

Es klickte und ein schabendes Geräusch ging durch den stillen Raum. Nur wenige Sekunden später hob Erwin die Hände. Die Klinge eines scharfen Messers lag an dessen Kehle und Levi war bereit, den letzten Schnitt jetzt sofort zutun. „Wenn du deine dreckigen Wichsgriffel nicht von mir lässt, schlitz ich dir die Kehle auf“, drohte er ihm in einem solch emotionslosen Ton, dass man seine Worte tatsächlich als eine Möglichkeit ansehen konnte. Er wartete schon so lange darauf, dem anderen die Lichter auszuknipsen.

„Es gab eine Zeit, da hat dir das gefallen.“

„Vor Jahren“, folgte die Antwort Levis und Erwin trat dann einen Schritt zurück, brachte somit Abstand zwischen sich und die Klinge.

„Hast du wen anders?“

„Interessiert es dich?“ Levi ließ das Messer mit geübter Manier zurück in die Scheide wandern.

„Ja. Es interessiert mich.“

„Sonst noch was?“

„Hast du gefallen an dem Jungen fallen? An Eren Jäger?“

Levi hob seine Augenbraue, ließ so etwas wie ein Lachen über seine Lippen kommen. „Wärst du etwa eifersüchtig, wenn es so wär?“ Er konnte sehen, wie sich der Ausdruck der blauen Augen Erwins veränderte. Und scheinbar schien tatsächlich so etwas wie Eifersucht in den blauen Seen zu schwimmen. „Und tu nicht immer so, als hätte ich den Scheiß damals verbockt. Das kannst du dir allein in die Schuhe schieben.“ Damit schritt Levi auf die Tür zu. „Wenn dir noch etwas Geistreiches einfallen sollte, ruf mich an und komm bloß nicht vorbei.“

Irgendwann, schwor er sich. Irgendwann.

In seinem Leben hatte er bereits viel durchmachen müssen, aber Erwin war bisher einer der schlimmsten Nervenkriege überhaupt gewesen. Zwar vertraute er noch immer in Erwins Führungsqualitäten und deren Qualifikation als Firmenoberhaupt. Aber das war es auch an Vertrauen. Wenn es aus dem Beruflichen hinausging, war Erwin für ihn ein toter Mann. Alles was er sagte, von wegen Vertrauen und Loyalität – das bezog sich alles ausnahmslos auf den Job. In seinem fast non existenten Privatleben gab es Erwin nicht mehr. Und es würde ihn nie wieder geben. Er hatte dem anderen vor einiger Zeit zu viel Macht über sich selbst gegeben. Das hatte irgendwann ein Ende haben müssen.
 

„Was machst du hier? In Sportklamotten?“

Sein Blick wanderte skeptisch an Eren runter und wieder hoch. Der Junge war gerade in der Lage, nicht über die eigenen Füße zu stolpern und nun fand er ihn hier vor in einem roten Trainingsanzug?

„Mikasa meint, ich brauche mehr soziale Kontakte.“

„Ach? Springst du auch von der Brücke, wenn sie meint, du müsstest mehr schwimmen?“, wollte er wissen und sah Mikasa nicht weit von ihnen entfernt mit zwei weiteren Sportlern eine Unterhaltung führen.

„Ich … habe selbst darüber nachgedacht gehabt…“

„Was ist das nur mit dir und deinem Stottern, wenn man dich was fragt“, meinte er und blickte Eren kurz nachdenklich an, ehe er sich abwandte. „Schuhe aus. Jacke aus. Frieren wirst du nicht.“

„Ok…“

Er sah dem Jüngeren dabei zu, wie dieser die Schuhe und Socken von den Füßen zog und letztlich die Jacke von den Schultern streifte. Er hatte Eren stets für dürr gehalten. Und die weiten Pullis oder die viel zu weiten Jeanshosen, die von den schmalen Hüften zu rutschten drohten hatten das Bild nicht gerade ins bessere Licht gerückt. Doch jetzt sah er tatsächlich den Ansatz eines definierten Körpers. Zwar konnte Eren sich nicht mit den anderen jungen Männern des Vereins messen, da zwischen ihn und den anderen ein Unterschied wie Tag und Nacht lag, aber sollte Eren es tatsächlich in Erwägung ziehen, regelmäßig hier zu sein, würde sich schon bald vieles ändern. Muskelaufbau war in dieser Sportart nämlich nicht ganz nebensächlich. Ohne Muskeln keine Kraft. Ohne Kraft kein Ok im Ring. Es war einfach und Eren hatte die besten Voraussetzungen dafür.

„Damit kann man immerhin arbeiten“, meinte er und wandte sich von Eren ab.
 

Eren
 

„Gott, ich bin so tot.“ Seine Klamotten waren schweißnass, seine Haare klebten im Nacken und ihm war so unglaublich warm! Er begann Körperstellen zu spüren, von denen er vorher geglaubt hatte, dort keine Muskeln zu besitzen. Mikasa bedachte ihn nur mit einem milden Lächeln. Eines der wenigen, die sie mal zeigte. Ein Handtuch flog ihm ins Gesicht und er war dankbar für den weichen Stoff. Auch wenn seine Schwester ihn das nicht unbedingt ins Gesicht hätte werfen müssen. „Das war nur der Anfang“, meinte sie und er seufzte. Wollte er das wirklich tun? Wollte er … wirklich?

„Du bist steif wie’n beschissenes Brett.“

„Sorry. Kann ja nicht jeder vorher Ballett belegt haben“, gab er zischend zurück, als er Levis Kommentar gehört hatte. Er legte sich das Handtuch über die Schultern und sah zu dem Älteren hoch, der schräg neben ihm stand, während er selbst auf der Bank saß.

„Ballett? Sonst geht’s noch, ja?“

„Hm, weiß nicht.“

„Wo hast du diese große Fresse her?“

„Die hatte er schon immer“, beantwortete Mikasa Levis Frage und ließ sich neben Eren auf die Bank fallen.

„Wann?“

„Vor deiner Zeit, alter Mann“, stichelte Eren weiter und kassierte seinen Schlag an den Hinterkopf.

„Alter Mann am Arsch, kleiner Wichser.“

„Immer wieder gern.“

„Du kommst hier nicht mehr her. Dein Ego scheint hier irgendwas zu bekommen, was ihm nicht gut tut.“

„Aufmerksamkeit“, erhob sich Mikasas Stimme erneut und ein undeutbarer Blick wurde zwischen den beiden geteilt. Eren hob die Augenbrauen und lehne sich zurück, schob die Ärmel des Shirts hoch und krempelte sie an den Schultern um. Er bräuchte dringend eine Dusche – nur nicht hier… So viel stand fest.

Mikasa und Levi schienen wie Sonne und Mond, dabei waren sie wie Sterne. Der eine brauchte den anderen nicht und doch leuchteten sie nebeneinander. Eren konnte es sich nicht erklären, aber die beiden ergänzten sich auf eine absurde Art und Weise. Zwei Teile eines Ganzen. Allein wie sie es schafften, einander immer höher zu schaukeln, war faszinierend. Er hatte noch nie jemanden kennen gelernt, der es schaffte Mikasa aus der Ruhe zu bringen. Und es gab Tage, da reichte die alleinige Erwähnung des Namens schon aus, um seine Schwester auf die Palme zu bringen und an anderen Tagen konnte man mit ihr wieder ganz normal über alles reden. Selbst über Levi.

„Bist du auch in Hanjis Gegenwart so?“

„Wie so?“

„Vorlaut.“

„Sie hat sich noch nicht beschwert.“

„Tz.“ Levi wandte sich ab. „Geht duschen.“

„Ich dusch zu Hause“, teilte sich Eren mit und hörte noch ein leises: „Eklig“ von Levi, ehe dieser in der Herrenumkleide verschwand.

Für eine Weile hörte man nur die Stimmen der anderen aus den Umkleidekabinen, ehe Mikasa meinte: „Und? Kommst du öfters her?“

„Ich glaube schon.“ Eren streckte die Arme über den Kopf. „Ist gar nicht so übel.“

„Warte den Vollkontakt ab.“

„Hm.“ Er zuckte die Schultern. Er bräuchte sich nur eine einzige Person vor Augen halten und würde schon genug Kraft und Technik aufbringen, seinen Gegner auszuknocken.

„Marco war heute im Salon.“

„Klasse.“ Seine Laune sank auf den Nullpunkt. Wenn Marcos Name fiel, konnte Jean nicht weit sein. Aber langsam schlitterte Eren auf den Punkt zu, dass er nichts weiter als Hass Jean gegenüber empfand. Sie hatten bald Dezember. Der erste Advent war nicht mehr ganz so weit entfernt und es war gut einen Monat her, als er mit Hanji darüber gesprochen hatte. Seitdem hatte sie ihm immer wieder eingebläut, dass Jean sein Leben nicht weiter bestimmen dürfte und dass er sein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl nur wieder finden müsste. Und er glaubte inzwischen selbst, dass es ihm langsam gelang. Hanji hatte des Öfteren erwähnt, dass er sich etwas verändert hätte und es war scheinbar sogar Levi aufgefallen und diesen kannte er ja nun wirklich nicht so lange. Hanji zwar auch nicht – aber mit ihr verbrachte er wesentlich mehr Zeit, als mit dem Ex-Militär.

„Jean war auch da.“

„Ich hab’s geahnt. Und? Sind die beiden glücklich?“, wollte er fast schon zynisch wissen, als er sich vorlehnte und die Socken über seine Füße streifte, die Schuhe wieder überzog und schnürte.

„Ja… Er scheint sehr glücklich mit Marco und ich finde das nicht fair… Dich hat er behandelt, als wärst du der letzte Dreck ge-“

„Es ist ok, Mikasa. Das Thema ist durch.“ Er würgte sie zwar einfach aber, er wollte nichts weiter davon hören. „Ich bin durch mit ihm.“

„Ehrlich?“ Sie klang verwundert und hob sogar überrascht die Brauen, als er seinen Blick zu ihr wandte.

„Ja“, verließ es fest seine Lippen. Er wollte endlich nach vorn sehen, anstatt sich an allem festzuhalten, was ihn runter zog.

„Ok. Das … Ok. Das ist toll.“ Ein ehrliches, glückliches Lächeln legte sich auf ihre Lippen und ihre Hand fasste die seine. „Das ist wirklich schön“, hing sie noch hinterher, ehe sie aufstand und ihre Sachen aus der Umkleidekabine holte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2015-05-11T19:03:59+00:00 11.05.2015 21:03
Ein fantastisches Kapital^^
Mach bitte schnell weiter *-*

LG^^Alien^^


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