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Von meiner wahren Liebe

Fortsetzung zu 'Von unserer Scherbenwelt'
von

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Von Abschieden und Neuanfängen

Schon seit mehreren Minuten saß ich auf meinem Hotelbett und starrte das Handy in meinen Händen an. Ich hatte den Drang, Karyu auf seine Nachricht zu antworten, aber mir fiel nichts ein. Mein schlechtes Gewissen war in den letzten Tagen nahezu auf das Maximum angewachsen. Ich hatte jede Nacht, wirklich jede, Sex mit Satsuki gehabt. Heißen, versauten Sex, und wenn wir mal zu erschöpft dafür gewesen waren, hatte es immer noch für eine Art Blümchensex gereicht. Tagsüber fand das Seminar statt, dann erledigten wir frühabends die Aufgaben dafür, und als letzte Tat des Tages schliefen wir miteinander. Er hatte so einige Dinge mit mir getan, mit denen ich am Anfang wirklich nicht gerechnet hatte. Ich war hilflos und ausgeliefert gewesen, ein Gefühl, das mir nicht jederzeit behagt hatte. Aber Satsuki hatte mein Vertrauen nicht ausgenutzt. Im Gegenteil, er hatte mir den besten Sex meines Lebens beschert. Jede Nacht hatte ich gedacht, das war der beste, und dann kam die nächste Nacht, in der er mich eines besseren belehrt hatte. Ich würde Satsuki vermissen. Ich würde den Sex vermissen.

Doch es war Zeit, nach Sapporo zurück zu kehren. Die Koffer waren gepackt.

Ich überlegte nun nur noch, was ich Karyu zurück schreiben sollte.

»Wir werden reden. Wenn die Zeit reif ist. Ich vermisse dich auch.«

Mehr schrieb ich nicht. Ich wollte nicht zu viel sagen. Und vor allem wollte ich es nicht zu früh sagen. Dass ich mir überhaupt so viel Zeit gelassen hatte mit einer Reaktion, war bei ihm sicher nicht so gut angekommen. Vermutlich hatte mir der ganze Sex mit Satsuki das Hirn vernebelt. Es war schon schwierig genug gewesen, für die Abschlussprüfung alles auf die Reihe zu bekommen… Aber ich und Satsuki, wir hatten es geschafft und die Weiterbildung erfolgreich hinter uns gebracht. Ich sah das mit einem weinenden und einem lachenden Auge: ich konnte zurück nach Hause, in den Alltag, zu Bekannten. Ich könnte mich tatsächlich wieder mit Karyu treffen. Aber ich würde Satsuki vermissen. Er tat mir wirklich gut und wir hatten eine schöne Zeit gehabt. Wir konnten miteinander lachen. Ich hatte das Gefühl, wir waren auf einer Wellenlänge. Und nun war das vorbei. Diese Auszeit war zu Ende.

Seufzend stand ich auf und griff meinen Koffer, um hinter zu gehen. Satsuki wartete schon auf mich. "Hey..."

"Können wir los?" Er schenkte mir ein hinreißendes Lächeln, woraufhin ich nickte.

"Ja...auf zum Bahnhof."

Die Strecke konnten wir laufen. Das Hotel lag nur wenige Straßen neben dem Hauptbahnhof von Morioka. Dort würden wir uns trennen müssen - unsere Züge fuhren genau in entgegen gesetzte Richtungen. Ich musste hoch in den Norden, er in den Süden.

Ich hätte den Weg lieber in Andacht geschwiegen, aber Satsuki plapperte fröhlich vor sich her, über irgendwas Belangloses. Ihm schien es nichts auszumachen, dass wir uns jetzt voneinander verabschieden mussten. Aber wie ich so darüber nachdachte, kam mir der Verdacht, dass er sich mit seiner Plauderei vielleicht genau davon ablenken wollte - weil es ihm eben doch etwas ausmachte.

Ein tiefes Seufzen entkam seiner Kehle, als wir an dem Gleis stehen blieben, von dem mein Zug abfuhr. Er würde noch zwanzig Minuten warten müssen; ich hingegen nur fünf bis zur Einfahrt. "Tja..." Er wandte sich zu mir. "Das war es dann also." Er rang sich ein wackliges Lächeln ab. "Ich hab dir doch meine Handynummer gegeben." Ich nickte nur. "Ruf mich doch mal an, ja? Ich würde mich freuen."

"Das werde ich tun", versprach ich ihm und erwiderte sein Lächeln leicht. "Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder."

"Das hoffe ich auch", nickte er und umarmte mich. "Wir hatten eine wirklich gute Zeit. Ich hatte Spaß."

"Ich auch..", murmelte ich und sah auf, da der Zug einfuhr.

Satsuki ließ mich los und lächelte schief, tätschelte mir dann die Schulter. "Komm gut nach Hause. Und viel Glück mit deinem Arzt. Ich hoffe, aus euch wird wieder was."

Ich hob eine Schulter. "Ja...mal sehen. Dir auch viel Glück." Ich nahm meinen Koffer in die Hand und trat einen Schritt zurück, während Satsuki mir kurz winkte und mir ein letztes Mal sein hinreißendes Lächeln schenkte. Wehmütig ließ ich meinen Blick ein letztes Mal über ihn gleiten, dann drehte ich mich um und stieg in den Zug. Kurz und schmerzlos. Ohne Abschiedskuss. Aber das wäre vielleicht auch zu viel des Guten gewesen. Wir liebten einander ja nicht.
 

Dennoch vermisste ich ihn jetzt schon. Ihn und den Sex. Hatte ich je mit Karyu so guten gehabt? Ich wusste es nicht einzuschätzen. Wir waren dank seines Berufs und der Arbeitszeiten selten dazu gekommen, und daher hätte mein Gedächtnis die wenigen Male vermutlich gut in Erinnerung behalten müssen - aber das hatte es nicht. Vielleicht weigerte ich mich da aber auch. Weil er wirklich nicht so atemberaubend gewesen war. Allerdings war Sex nicht alles im Leben. Jedenfalls empfand ich das so. Es gab ja Menschen, für die war guter Sex die Basis für eine funktionierende Beziehung... Diese Einstellung fand ich ziemlich traurig, aber mich fragte ja keiner nach meiner Meinung.

Ich suchte meinen Platz im Zug, verstaute den Koffer und setzte mich. Tief durchatmend blickte ich aus dem Fenster. Satsuki war nicht mehr zu sehen. Bestimmt war er zu seinem Gleis gegangen. Der Zug würde sicher in den nächsten Minuten einfahren.

Ein leises Seufzen verließ meine Lippen, als die Waggons sich in Bewegung setzten. Jetzt ging es zurück ins kalte Sapporo. Hoffentlich schien da wenigstens wie hier in Morioka die Sonne...
 

Karyu hatte mir gezeigt, dass man auch gemeinsam einsam sein konnte - trotz Beziehung. Satsuki hatte mir bewusst gemacht, dass komplett allein auch nicht besser war. Es war gut, jemanden um sich zu haben, den man mochte. Aber von dessen Seite musste auch etwas kommen. Es ging nicht, wenn man von demjenigen einfach nichts zurück bekam, so wie es mit Karyu der Fall gewesen war.

Nun hatte ich weder Karyu noch Satsuki. Ich war allein, und das würde mich nur deprimieren. Ich sollte zufrieden sein mit denjenigen, die ich um mich hatte: Tsukasa und vielleicht auch irgendwie Hizumi. Was meinen Chef anging, so musste ich erstmal rausfinden, was in ihm eigentlich vorging. Er war abweisend und distanziert gewesen in den letzten Wochen. Etwas war lange Zeit im Busch gewesen, ich hatte es nur nicht sehen wollen. Und stattdessen verdrängt. Jetzt war es Zeit, dem nachzugehen.

Mit Hizumi hatte ich einfach nicht mehr viel Kontakt gehabt. Es hatte sich, nachdem er bei mir übernachtet hatte, nicht mehr so ergeben. Zwar hatte ich weiterhin ab und an die Bar besucht, aber entweder war er gar nicht da gewesen oder ich hatte eine andere Bedienung bekommen, weil er schon ausgelastet gewesen war. Wahrscheinlich Zufall, und nun würde ich mal zusehen, dass ich den sonst so gesprächsfreudigen Barkeeper genau dazu bekam: dass er mit mir sprach. Im Grunde schien er ja doch ein ganz guter Mensch zu sein. Nicht ganz so nervig und hohl, wie ich zuerst den Eindruck gehabt hatte. Seine Sprüche konnten fies sein, aber häufig trafen sie ins Schwarze: Hizumi schien ein guter Beobachter zu sein.
 

Ich schloss die Augen und versuchte, es mir im Sitz etwas bequem zu machen. Die Zugfahrt würde dauern, dann musste ich auch noch in die Fähre nach Hokkaido umsteigen. Es würde eine anstrengende Reise werden, also sollte ich mich noch ausruhen, solange es ging.
 

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Mit den Unterlagen für einen Kollegen in der Hand stand ich in einem der Gänge des Verlags und starrte zu Tsukasas Büro rüber. Er telefonierte gerade. Ich würde ihn heute noch aufsuchen und mein Zertifikat zur Fortbildung vorlegen müssen. Es war mein erster Arbeitstag nach Morioka. Vorgestern noch hatte ich im Zug nach Sapporo gesessen, dann hatte ich einen Tag frei gehabt - nun befand ich mich wieder im Alltagstrott.

Ich hatte mir ja vorgenommen, mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und die spärlichen Kontakte zu pflegen, die ich besaß. Tsukasa begegnete ich zuerst. Ich wusste nur noch nicht, wie das werden würde.

Ich wandte den Blick ab und suchte das Büro des Kollegen auf, für den ich etwas hatte erarbeiten sollen. Er war nicht da, weswegen ich den Stapel einfach auf seinen Schreibtisch legte. Auf dem Rückweg dann bemerkte ich, dass Tsukasa mit dem Telefonieren fertig war. Meine Chance. Das blöde Zertifikat schleppte ich nämlich sowieso schon die ganze Zeit mit mir herum.

Zögerlich klopfte ich an die Tür, bevor ich sie öffnete. "Tsukasa...?" Nervös nagte ich an meiner Unterlippe. Seit wir uns näher gekommen waren, hatte ich ihn nur geduzt - aber dann war er ja so unerträglich und abweisend geworden, wir hatten kaum miteinander gesprochen. Ich wusste nicht, ob duzen eigentlich noch angebracht war. Aber er fuhr mich nicht an, sondern sah einfach nur auf. "Oh, hallo. Lang nicht mehr gesehen. Wie geht's dir?"

Kaum merklich hob ich eine Augenbraue. Das hatte er mich ja schon viele Wochen nicht mehr gefragt.

"Mir geht's gut...", antwortete ich langsam, während ich eintrat und die Tür hinter mir zumachte. "Ich...wollte dir das hier geben. Das brauchst du doch", fügte ich leise hinzu und legte ihm den Nachweis für die Weiterbildung auf den Schreibtisch.

Neugierig nahm Tsukasa sich das Dokument und überflog es, dann erhellte sich sein Gesicht. "Du hast es geschafft!"

Fragend sah ich ihn an. "Hast du daran gezweifelt?"

Sofort schüttelte er den Kopf. "Aber nein, das habe ich damit nicht sagen wollen. Ich freue mich nur."

"Und erleichtert bist du auch, dass ich den Verlag nicht enttäuscht habe. Die finanzielle Belastung war sicher hoch. Das Hotel allein muss eine ordentliche Stange Geld gekostet haben", erwiderte ich ein wenig kühl, woraufhin er zu mir aufsah und leicht lächelte.

"Ich wusste, dass du uns nicht enttäuschst." Er senkte den Blick und schwieg für einen Moment, während er das Zertifikat auf den Tisch zurück legte. "Wir sollten reden. Hast du heute Abend Zeit?"

Die Anfrage überraschte mich, weswegen ich für einige Sekunden überlegen musste. "Darf ich jetzt ehrlich sein und zu dir als Freund sprechen, oder muss ich mich zusammen nehmen, weil du mein Chef bist?"

Kurz blinzelte Tsukasa mich an, dann machte er eine vage Handbewegung. "Sei bitte ehrlich."

Ich nickte und ließ den Blick schweifen, ordnete meine Gedanken, bevor ich Luft holte. "Also jetzt willst du mit mir reden? Nachdem du mich fast monatelang gemieden hast, wo es nur ging? Das fällt dir früh ein."

Er seufzte und sah mich ernst an. "Ich weiß. Ich weiß, ich hab mich nicht immer korrekt verhalten. Lass mich das erklären. Heute Abend. Oder morgen Abend. Wann du Zeit hast. Dann wirst du hoffentlich auch verstehen, warum ich mit dir erst jetzt rede. Mir tut es leid..."

Ich hob hilflos die Schultern. Mir blieb ja eh nichts anderes übrig, als ihn anzuhören. "Schön, heute Abend. Ich hab nichts vor."

Er nickte und sah erleichtert aus. "Danke."

Ich verließ das Büro ohne ein weiteres Wort. Eigentlich war dieses Gespräch doch genau das, was ich gewollt hatte - nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so schnell stattfinden würde, und dass Tsukasa es von sich selbst aus vorschlagen würde. Er hatte es mir dann im Endeffekt doch leicht gemacht.
 

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Nervös tippte ich mit den Fingern auf den schmierigen Holztisch. Hier hatte wohl schon seit längerer Zeit keiner mehr drüber gewischt. Abwesend starrte ich hinüber zur Theke der Bar, wo Tsukasa uns Getränke bestellte.

Gemeinsam, aber schweigend waren wir nach Feierabend zur Bar aufgebrochen. Ich hatte mich unwohl gefühlt und er schien in Gedanken versunken - war er doch aber sonst selten um ein Wort verlegen gewesen. Sicher, warum er nun nichts sagte, war ich mir nicht. Was mich anging, so musste ich aufpassen, was ich sagte - ihm gegenüber konnte ich nicht mehr so offen sein wie früher. Ich hatte eine andere Seite an ihm kennen gelernt. Offenbar war er nicht uneingeschränkt mein Freund, das hatte ich lernen müssen in den letzten Wochen. Ich hatte keine Garantie, dass er nicht plötzlich doch wieder einen Groll gegen mich hegte, und mich am Ende vielleicht sogar feuerte.
 

Ich zog meinen Arm vom Tisch und lehnte mich zurück, als Tsukasa zu mir kam und unsere vollen Biergläser abstellte, wobei einiges vom Bier überschwappte. "Hier, bitte."

"Danke", murmelte ich und zog das Glas näher zu mir. Es war kalt und feucht, an meinen Fingern klebte sogleich etwas von dem Bier.

Er setzte sich mir gegenüber und legte die Hände um sein Glas, schwieg dann kurz. Für ein paar Sekunden beobachtete ich ihn, dann senkte auch ich den Blick und wartete. Ich würde nicht das erste Wort erheben. Er wusste, dass ich eine Erklärung wollte und nun durfte er sich gern die passenden Worte dafür zurecht legen.

Nach einer ganzen Weile hörte ich Tsukasa leise seufzen. "Also..." Er sah auf und suchte meinen Blick. "Ich weiß, ich hab mich die letzten Wochen dir gegenüber nicht korrekt verhalten. Und das ist vermutlich noch untertrieben", fügte er hinzu, als er meinen kritischen Blick auffing. "Du hattest nichts falsch gemacht, daran lag es nicht. Es lag an mir." Er fuhr sich durchs Haar und lehnte sich zurück, sah mich dabei weiterhin an und holte Luft. "Der Verlag hatte einige Probleme. Ist dir das aufgefallen?"

Ich blinzelte und dachte ernsthaft darüber nach. Hatte ich das mitbekommen? Waren Veränderungen spürbar gewesen? "Probleme...? Ich hatte mit dir ein Problem."

"Davon mal abgesehen. Wenn du dich jetzt umschaust im Verlag, empfindest du alles so wie früher?" Aufmerksam blickte er mich an, weswegen ich verwirrt die Stirn runzelte.

Ich senkte nachdenklich den Kopf. "Na ja... Ich hab etwas mehr zu tun, weil zwei Kollegen nicht mehr kommen und ich deren Arbeit teilweise übernehmen muss..." Hilflos sah ich auf und zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte.

Zu meiner Überraschung umspielte ein mattes Lächeln Tsukasas Lippen. "Genau. Es fehlen zwei Kollegen. Sie kommen nicht mehr wieder. Und auch einige andere hat es getroffen."

"Willst du mir sagen, es gab einen Personalabbau, der an mir vorbei gegangen ist?"

"Es passiert immer noch. Jede Woche muss ich einem anderen kündigen", erwiderte er kühl. "Der Verlag hat Verluste gemacht und zusätzlich hatten wir vor einigen Monaten eine Klage am Hals - die haben wir schließlich verloren und mussten zahlen. Ich kam nicht drumrum, eine harte Entscheidung zu fällen - den Verlag zu retten, indem ich einigen Mitarbeitern kündige." Er leckte sich flüchtig über die trockenen Lippen. "Mir wurde von der Personalabteilung eine Liste vorgelegt. Viele Namen standen darauf. Auch deiner." Meine Augen wurden groß, doch ich unterbrach ihn nicht. "Unter keinen Umständen wollte ich dich feuern. Du warst und bist mein Freund, du leistest hervorragende Arbeit. Ich weiß, wie sehr du den Job brauchst. Du musstest viel durchmachen, auch im Privaten - ich wollte nicht schuld sein für deinen nächsten Schicksalsschlag.. Also musste ich mir etwas einfallen lassen. Das hat gedauert. Und der Personalchef saß mir im Nacken. Ich müsse wieder jemanden feuern, wer wäre es denn diesmal, hatte ich dem Mitarbeiter schon gekündigt? Die Liste wurde kleiner...dein Name rückte immer weiter vor."

Langsam hob ich eine Augenbraue. "Und das soll an mir vorbei gegangen sein?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein. Ist es nicht. Du hast mich in der Zeit erlebt. Du hast dich gefragt, was ich für ein Problem hab, oder?" Er betrachtete mich für einen Moment schweigend, dann winkte er ab. Tatsächlich hatte ich damals aber genau das gedacht. "Ich kann das ja verstehen. Ich war unausstehlich, nicht nur zu dir. Ich hab dich den Verlag schon verlassen sehen. An den Gedanken hab ich versucht mich zu gewöhnen, aber gleichzeitig suchte ich nach einer Möglichkeit, dich hier zu behalten. Durch Zufall hab ich die bald frei werdende Stelle des Lektors entdeckt. Der Mann, der das zur Zeit macht, hat aus Gesundheitsgründen gekündigt. Ist auch nicht mehr der Jüngste. Also war deine letzte Chance, dich zum Lektor weiterzubilden, damit du hier im Verlag bleiben kannst."

Für einige Sekunden blieb es still. "Also...das konntest du mir nicht gleich damals sagen?"

Er seufzte leise und wiegte den Kopf hin und her. "Natürlich hatte ich daran gedacht. Daran, dir zu erklären, warum ich dich unbedingt in der Weiterbildung haben wollte. Aber ich wusste nicht, ob du es machen und schaffen würdest. Natürlich hab ich dir das zugetraut!", fügte er hinzu, als er meinen pikierten Blick sah. "Aber man weiß nie. Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit. es kann immer irgendwas passieren. Und vielleicht wäre der Druck zu hoch gewesen. Ich wollte warten mit meinen Erklärungen, bis die Sache überstanden ist. Ich wollte nicht, dass du dich -vielleicht unnötig - sorgst. Kannst du das verstehen?"

Für einen Moment hielt ich inne, da ich tatsächlich nicht sofort eine Antwort darauf hatte. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht", gab ich schließlich zu. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er mir verdammt noch mal ans Bein gepisst hatte, und das zu einer Zeit, in der ich wirklich andere Probleme gehabt hatte und nicht auch noch Tsukasas Feindseligkeit hatte gebrauchen können.

Beschwichtigend hob er die Hände. "Okay, also was ich sagen möchte, ist: Es tut mir wirklich leid. Ich entschuldige mich für mein unangemessenes Verhalten. Du kennst jetzt die Gründe dafür. Das wird nicht noch mal passieren."

Ich nickte nur langsam, erwiderte aber nichts. Sicher erwartete er jetzt von mir, dass ich ihm großzügig verzieh. Ich leckte mir kurz über die Lippen. "Okay.. Ich akzeptiere deine Entschuldigung. Aber so einfach vergessen kann ich das nicht", gab ich leise zu. "Wenn du das nächste Mal wieder Leute feuern musst und mein Name erneut auf der Liste steht - fängst du dann wieder an, so unerträglich zu werden?"

Sofort schüttelte Tsukasa den Kopf. "Nein....nein, das verspreche ich. Wenn etwas ist, werde ich es dir gleich sagen, ok? Das willst du doch?" Ich nickte leicht. "Dann machen wir das so. Ich will dich nicht wieder so behandeln und mich danach entschuldigen müssen. Ich war irgendwie...in meiner eigenen Welt gefangen." Er seufzte. "Vorerst ist der Verlag aus dem Gröbsten raus... Ich kann niemanden weiter feuern, dann könnte ich das alles auch gleich alleine machen. Diese verdammte Klage hat uns ins Abseits befördert, aber ich hoffe, dass wir wieder schnell auf die Beine kommen. Vielleicht kann ich wieder jemanden einstellen..", murmelte er und griff nach seinem Glas, um etwas Bier zu trinken.

"Das hoffe ich doch", erwiderte ich und nahm mein Bierglas, von dem ich einen großen Schluck nahm. so langsam begann ich mich wirklich unwohl zu fühlen. Dabei sollte es mir doch eigentlich besser gehen, denn schließlich wusste ich nun, was Tsukasas Problem gewesen war. Wenn ich weiter so darüber nachdachte, sagte mir sein Verhalten, dass er mich immer noch sehr mochte - denn warum sonst hätte ihn mein möglicher Abgang so sehr in Aufregung versetzt? Das war ja schon etwas schmeichelhaft, wenn ich ehrlich war.

Ich warf Tsukasa einen kurzen Blick zu. Er sah müde aus, erschöpft, wie er so in sein Bierglas starrte. Seufzend trank ich von meinem Bier und leckte mir über die feuchten Lippen. "Also, wir haben ja schon eine Weile nicht mehr miteinander gesprochen... Was ist denn sonst noch so passiert?", erkundigte ich mich zum Zeichen des Friedens. Ich meinte, einen Hauch von Überraschung in seinen Gesichtszügen zu sehen, bevor er mich leicht anlächelte.

"Nicht besonders viel. Die Arbeit hat meine Gedanken ziemlich für sich beansprucht. Ich hatte wenig Zeit für andere Dinge." Interessiert sah er mich an. "Wie war es denn in Morioka? Du hast sicher mehr erlebt als ich", meinte er schmunzelnd.

Ein schiefes Lächeln legte sich auf meine Lippen. "Ach...so spannend war es nicht. ...abgesehen von der Weiterbildung natürlich", meinte ich und versuchte ihn nicht anzuzwinkern. Wenn er dadurch das Gefühl bekommen würde, ich hätte mich gelangweilt, tat das unser Arbeitsbeziehung möglicherweise nicht so gut. "Ich hab ja eigentlich den ganzen Tag im Seminar gesessen."

Er nickte nur leicht und sah mich weiterhin an. "Waren da wenigstens nette Leute?"

Ich lächelte verlegen und hob eine Schulter. "Ja...die meisten schienen schon ganz okay zu sein", antwortete ich vage.

Tsukasa betrachtete mich für ein paar Sekunden schweigend, dann schmunzelte er. "Du willst mir nicht erzählen, was passiert ist. Da bin ich selbst schuld...den Freundes-Status hab ich erstmal verloren."

Eher aus Versehen schüttelte ich den Kopf. "Nein...so ist das nicht direkt." Ich schluckte und senkte den Kopf. Es war wohl nicht so schlau, wenn ich ihm von Satsuki erzählte. Daher sollte ich besser schweigen. Es wäre auf mehreren Ebenen unangemessen. "Ich hab mich gut verstanden. Ich war nicht allein", erzählte ich knapp und zuckte mit den Schultern. "Mehr gibt es da nicht zu erzählen."

Sehr lange Tsukasa mich an, dann lag wieder dieses Schmunzeln auf seinen Lippen. "Na gut. Wie du meinst." Er ahnte wohl, dass es da etwas gab, was ich nicht erzählen wollte. Aber er schien nicht zu ahnen, in welche Richtung das Ungesagte ging. Es würde ihm sicher nicht gefallen von Satsuki zu erfahren. Erstens weil er mich ja vielleicht noch so sehr mochte wie vor einigen Monaten. Zweitens war er eben mein Chef...und wie wirkte das, wenn der Angestellte von einer Affäre erzählte, die während der Weiterbildung gehabt hatte? Sicher beeinflusste das unser Arbeitsverhältnis nicht positiv.

Schweigen breitete sich zwischen uns aus und es war nicht unbedingt die angenehme Sorte. In meinem Kopf suchte ich verzweifelt nach einem unverfänglichen Gesprächsthema, aber auf die Schnelle wollte mir partout nichts einfallen.

"Was ist aus deinem Arzt geworden? Ich bin gar nicht mehr dazu gekommen, dich nach ihm zu fragen."

Ich seufzte tief. Von allen Themen fing er ausgerechnet mit ihm an. "Tja das..." Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Da kann ich dir nichts zu sagen."

Etwas verwundert blickte er mich an. "Du weißt es nicht?"

Kurz blinzelte ich und hielt für einen Moment inne. wann hatte ich das letzte Mal ein Gespräch mit Tsukasa über Privates gehabt? Ich räusperte mich und lehnte mich zurück. "Wir haben eine Pause eingelegt, vor einiger Zeit schon." Ich hob den Blick und sah meinen Chef an. Ob er jetzt irgendwie Hoffnung für sich selbst sah? "Aber ich hoffe sehr, dass...wir noch mal zusammen kommen."

Langsam waren Tsukasas Augenbrauen in die Höhe gewandert. Sein Blick besagte nichts Gutes. Zumindest empfand ich es so. "Wenn ihr euch schon trennen musstet, dann gab es doch dafür einen triftigen Grund. Du hattest offenbar ziemlich zu leiden, warum willst du ihn zurück?"

Ein müdes Lächeln legte sich auf meine Lippen. Mit so etwas hatte ich irgendwie gerechnet. Sowas musste er ja sagen. Er schien ja noch an mir interessiert zu sein, leider. Mir war das eher unangenehm. Leise seufzend hob ich eine Schulter. "In jeder Beziehung gibt es Probleme. Deswegen muss man nicht gleich das Handtuch werfen", murmelte ich. Ich liebte Karyu immer noch, das war doch das Wichtigste.

"Hmmm..", machte Tsukasa, weswegen ich aufsah. "Ich hoffe, du verrennst dich da nicht in etwas."

"Danke für deine Fürsorge. Ich weiß aber, was ich tue.", murmelte ich und leerte mein Bier. "Ich gehe jetzt besser..."

Langsam nickte er und strich abwesend mit den Fingern über den Tisch. "In Ordnung." Ein leises Seufzen verließ seine Lippen. "Es tut mir wirklich leid. Ich wünschte, ich könnte das zwischen uns ungeschehen machen." Bekümmert sah er mich an. "Du vertraust mir nicht mehr. Falls du das überhaupt je getan hast. Ich bin echt doof..." Er schüttelte leicht den Kopf. "Da hab ich wohl den einzigen Freund vergrault, den hatte..oder hätte haben können."

Ich stand auf und schloss kurz die Augen, dann sah ich ihn milde lächelnd an. "Lass uns demnächst noch mal was trinken gehen, ja?", schlug ich vor, woraufhin er mich kurz fragend ansah, dann schien er den Wink aber zu verstehen und erwiderte mein Lächeln strahlend.

"Okay, sehr gern."

Ich nickte und griff noch nach meiner Geldbörse, aber in dem Moment schüttelte er den Kopf. "Ich übernehme das. Komm du gut nach Hause. Und danke.."

"Ich danke dir", erwiderte ich schief lächelnd, schließlich zahlte er mein Bier, dann winkte ich ihm kurz und verließ die Bar. Draußen war es erstaunlich mild, so konnte ich mir in Ruhe erstmal eine Zigarette anzünden. Gedankenverloren starrte ich in den dunklen Himmel. Keine Sterne, kein Mond. Ich seufzte leise, während ich an der Kippe zog. Im Moment war ich vollkommen verwirrt. Die Erinnerung an Satsuki, die Erlebnisse mit ihm, waren mir noch frisch im Gedächtnis - mir war, als vermisste ich ihn. Oder zumindest die wunderbare Zeit, die wir miteinander verbracht hatten. Dann war da noch Karyu, dem ich ein Treffen versprochen hatte. Aber einen Zeitpunkt hatten wir noch nicht festgelegt. Ich würde sicher noch ein paar Tage brauchen. Ich musste nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit den Gedanken wieder vollständig in Sapporo ankommen. Ich musste Satsuki vergessen, oder zumindest in einen dunklen Bereich meines Hirns verdrängen.

Und in dieser zumindest mental schwierigen Situation kam nun noch Tsukasa dazu und wollte wieder mit mir befreundet sein. Ich war ihm tatsächlich dankbar, dass er sich mit mir ausgesprochen hatte. Und ich wollte ihm gern wieder ein Freund sein, nicht zuletzt weil ich auch wusste, wie traurig und einsam man ohne Freunde war. Aber ich brauchte einfach noch ein paar Tage. Zwar hatte ich den Wunsch gehabt, mich mit ihm wieder gut zu stellen oder zumindest unsere Probleme zu klären, aber dass dann alles so schnell vonstatten gehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Auf jeden Fall war ich erleichtert. Ich hatte ihn nicht verärgert oder etwas falsches getan. Das Problem hatte ganz allein bei ihm selbst gelegen. Ich konnte ihm verzeihen, dass er ein Arsch gewesen war, solange es nicht wieder passieren würde.

Langsam setzte ich mich in Bewegung und ging in Richtung Bahnstation. Es war Zeit, nach Hause zu kommen und eine Nacht über alles zu schlafen. Ich musste mir auch darüber klar werden, wann ich nun Karyu wieder treffen wollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  bloodinstinct
2015-03-06T08:42:22+00:00 06.03.2015 09:42
Wirklich schönes Kapitel und ich fand es wirklich gut erklärt wieso sich Tsukasa so freundlich verhalten hat. Geldmangel im Verlag ist natürlich ein Grund, dazu Kündigungen. Nicht einfach.

Ich frage mich ja ob sich Zero und Satsuki jemals wieder sehen und wenn ja wo und wann. Genauso wird es interessant, wenn sich Karyu und Zero mal sehen - falls es Karyu denn zu dem Treffen schafft.
Antwort von:  Phoenix_Michie
06.03.2015 15:27
Lieben Dank für deinen Kommentar!

Ich gebe zu, eigentlich hatte ich nichts mehr mit Satsuki geplant, aber da ihr öfter nachfragt bzw. es erwähnt, bin ich jetzt am Überlegen, ob ich ihn nicht doch noch mal einbaue - entweder verlängere ich die FF (denn in meinem Kopf hab bereits das finale Kapitel fertig) oder ich hänge ein Bonuskapitel ran...mal sehen. Wenn das nächste Kapitel erscheint, hab ich mich hoffentlich entschieden ;)
Von:  --Tsuki--
2015-03-05T09:53:49+00:00 05.03.2015 10:53
Neeeein, mein Kommentar wurde gelöscht ;A;
Also auf ein Neues...

Ein schönes Kapitel! ♥
Bisher mein Favorit, glaube ich.

Mir hat sehr gut gefallen, dass der Abschied zwischen Satsuki und Zero nicht so kitschig ausgefallen ist. Ich glaube, viele Autoren hätten da in die Dramakerbe mit unendlich vielen Küssen unter Tränen geschlagen. Deine Jungs hingegen waren einerseits abgeklärt, aber dennoch nicht gefühlskalt. Zero vermisst ihn und natürlich auch den besten Sex seines Lebens und ich kann mir vorstellen, dass es Satsuki genauso geht. Ich denke auch nicht, dass es das letzte Mal war, dass die beiden sich gesehen haben :3

Was ich auch super fand, war, dass Tsukasas Verhalten aus von vor einigen Kapiteln erst jetzt erklärt wurde. Das macht den Plot viel interessanter als wenn er es direkt erklärt hätte und vergrößert den Aha-Effekt ^^

Der nächste Punkt, der mir positiv aufgefallen ist, war die Szene, in der das Bier über seine Hand läuft. Solche kleinen Details, gerade wenn sie ein bisschen unschön sind, wirken einfach super natürlich und man hat als Leser das Gefühl, mittendrin zu sein und einen flüchtigen Blick auf das verschüttete Bier zu werfen.
Super gut! :D

Du merkst, ich bin voll des Lobes und hab nichts zu meckern!
Weiter so ♥
Antwort von:  Phoenix_Michie
05.03.2015 16:31
Waaas, gelöscht?! Was ist denn da passiert >.< Danke für's nochmalige Schreiben ♥

Danke für das Lob :3 Damit hatte ich nun nicht gerechnet, dass es so gut bei dir ankommt, aber umso mehr freue ich mich :)
Ich finde, gerade so kleine Details in Szenenbeschreibungen machen das ganze erst lebendig und lesenswert...aber nicht immer schaffe ich es, mich daran zu halten >.< Das Salz in der Suppe muss ich noch viel häufiger hinzufügen ;D


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