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Alles endgültig

Kapitel 15: Alles endgültig


 

Kairis immer lauter werdendes Gebrabbel holte sie sanft aus dem Schlaf.

Temari ließ ihre Tochter noch ein wenig mit sich quatschen, hielt die Augen geschlossen und rollte sich auf die Seite. Ihr tat der Rücken weh, an ihrer Stirn verspürte sie ein widerliches Druckgefühl und ihr Lendenbereich fühlte sich an, als hätte sie –

Nein, das Letztere war keine Einbildung. Der Protest ihres Unterleibs war nur zu verständlich, wenn sie es nach ewig langer Pause gleich dreimal hintereinander getrieben hatte. Mit ihrem Ex. Mit Kairis Vater.

Ihr morgendlicher Dämmerzustand verschwand und sie setzte sich auf. Sie schaute sich um. Die Sachen, die sie ihm geliehen hatte, waren verschwunden und das Bett neben ihr war leer. Nach dem, was sie zum Schluss zu ihm gesagt hatte, wunderte sie sich nicht darüber.
 

Temari stützte ihre Ellenbogen auf ihren Oberschenkeln ab und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

Warum hatte sie nur so etwas Dummes zu ihm gesagt? Warum hatte sie ihn gleich so in die Ecke gedrängt und vor vollendete Tatsachen gestellt?

Ach, was änderte das schon daran, dass ihre Beziehung ohne Kompromisse keine Zukunft hatte? Sie verließ auf keinen Fall Sunagakure und er gab sein Leben in Konoha nicht auf. Das war nur verständlich. Auch wenn seine Gründe andere waren – nobel und dumm gleichermaßen und nicht so eine auf den ersten Blick egoistische Scheiße wie ihre.
 

Sie stellte das Babyfon aus, schwang ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Ihr Schambein zuckte unter ihrem Gewicht zusammen und summte bei jedem Schritt ein Lied der Schadenfreude.

Temari ignorierte es, las ihre Kleidung vom Boden auf, die in ihrem Schlafzimmer verstreut war und zog sie an. Der Breifleck auf dem Top erinnerte sie an den gestrigen Abend, bevor er aufgetaucht war. Keine zwölf Stunden war es her. Zwölf Stunden mit Höhen – buchstäblich! – und Tiefen, Gefühlschaos.

Das Chaos war nun beseitigt – ihre Gefühle waren ihr noch nie so klar gewesen – und geblieben war eine hoffnungslose Leere.
 

Sie ging auf den Flur. Nur Kairis gedämpftes Quietschen drang durch die Tür vom Kinderzimmer und verlieh der Stille im Haus ein wenig Leben.

Ihre Hand wanderte zur Türklinke, drückte sie aber nicht hinunter. In ihrem Kopf schwebte der Wunsch, dass sie ihn dort drin vorfand und sah, wie er mit seiner Tochter spielte, doch sie gab sich dieser Fantasie nicht hin.

Ihr Herz verkrampfte sich, ihr Hals zog sich zusammen und sie schnappte nach Luft. Nein, sie durfte auf keinen Fall in Tränen ausbrechen. Nicht, da es für alles eine logische Erklärung gab. Eine Erklärung, die verdammt wehtat.
 

Temari öffnete die Tür und trat ins Zimmer.

Kairi hockte auf den Knien, sabberte ihr Lieblings-Plüschtier voll und freute sich so unbedarft, wie es nur kleine Kinder konnten.

Sie hob die Kleine aus dem Bett, drückte ihr einen Kuss auf, wechselte die Windel und zog sie an. Das Mädchen redete einige zusammenhanglose Silben, doch seine Mutter antwortete nicht darauf, wie sie es sonst jeden Morgen tat. Temari war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre negativen Gedanken im Zaum zu halten, sie vielleicht noch mit etwas Schönem zu übertönen.
 

Denk dran, dass du eine tolle Tochter hast!

Sie lächelte Kairi zu, doch ihr Lächeln erstarrte.

Ja, seine Tochter, dachte sie niedergeschlagen und sie verabscheute sich für diesen Gedanken.

Kairi konnte überhaupt nichts für das, was passiert war. Dass sich ihre Eltern einer aussichtslosen Liebe ohne Zukunft hingegeben hatten. Schon wieder.

Zumindest war es von ihrer Seite so. Was ihn betraf, war sie sich gar nicht so sicher. Er war nie gut darin gewesen, ihr etwas vorzumachen. Aber was, wenn sie nur das an ihm gesehen hatte, was sie sehen wollte und alles andere ausgeblendet hatte?
 

Das Chaos kehrte zurück.
 

---
 

Temari schüttete die Kiste mit dem Spielzeug im Wohnzimmer aus, damit ihr Kind etwas zur Beschäftigung hatte, setzte dann in der Küche Kaffee auf und machte das Frühstück.

Ihre Hand zitterte, als sie das Brot für sich schnitt. Sie hielt inne und atmete tief ein. Sein Geruch klebte an ihr und rief ihr die vergangene Nacht in Erinnerung. Die Lust, als sie mit ihm geschlafen hatte; die Enttäuschung darüber, dass er ihr erst nicht die Wahrheit gesagt hatte; das Glück, als sie einfach nur beieinander gelegen hatten und alles geklärt zu sein schien. Und dann …

Sie warf das Messer in die Spüle und stellte die Kaffeemaschine aus.

Vielleicht – wenn sie sich jetzt beeilte – war es noch nicht zu spät.
 

Sie drückte Kairi eine Reiswaffel in die Hand – morgens hatte sie nicht so den großen Hunger, sodass sie damit eine oder zwei Stunden überbrücken konnte – und rannte ins Bad und auf Toilette.

Sie kämmte ihre Haare kurz über – auf die Schnelle war nicht viel zu machen – und wusch sich das Gesicht. Als sie mit dem Handtuch über ihre Stirn fuhr, hielt sie inne. Sie strich ihre Haare beiseite. Der bläuliche Schimmer rechts sprang ihr ins Auge und die Erinnerung daran, wie er entstanden war, erfreute und deprimierte sie zugleich.

Ich liebe dich!, hatte er zu ihr gesagt, gleich zweimal, aber nun fragte sie sich, wie viel seine Worte überhaupt wert gewesen waren.

Nicht genug, um ernsthaft mit mir reden zu wollen, dachte sie ernüchtert.
 

Temaris Blick fiel im Spiegel auf den Badewannenrand.

Die Kleidung von Kankurou, die sie ihm gestern gegeben hatte, lag dort. Sie war ordentlich zusammengelegt und das irritierte sie. Es passte nicht. Wenn der Shikamaru, dem seine Bequemlichkeit immer im Weg gestanden hatte, seine Sachen zusammenlegte, konnte etwas nicht stimmen.

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Zeit, um Dinge in so eine Belanglosigkeit hineinzuinterpretieren.
 

Sie lief zurück ins Wohnzimmer, entriss Kairi den mehrfarbigen Notizblock, den sie gerade zerpflückte und sich statt der Waffel in den Mund steckte und nahm sie – unter Protest – ins Tragetuch.
 

---
 

Draußen wehte ihr ungewohnt frische Luft entgegen. Der Sand hatte sich mit Wasser vollgesogen und mit jedem Schritt heftete sich etwas von dem Matsch an ihre Sandalen, um wenige Meter weiter abzufallen.

Normalerweise freute sich Temari über die Aussicht, dass sich ihre Heimat für wenige Wochen in eine blühende Oase verwandelte, doch diesmal verschwendete sie keinen Gedanken daran. Nein, sie musste so schnell es ging die Schlucht erreichen, die der einzige Zugang zum Dorf war. Dann konnte sie immer noch in Jubelschreie ausbrechen, wenn ihr danach war.

Sie hoffte, dass sie Kairi nicht zu arg durchschüttelte, und begann zu rennen.
 

---
 

Ihre Tochter kicherte noch vor Vergnügen, als sie längst stehen geblieben war.

Temari hielt nach einer Wache Ausschau, doch da sich die Meisten auf den Felsen aufhielten und eine Kletterpartie mit Kairi auf dem Rücken keine Option war, konnte sie nur hoffen, dass irgendjemand auf sie aufmerksam wurde.

Sie ging noch ein Stück und schaute auf den Boden. Im feuchten Sand führten mehrere Fußspuren hin und zurück, sodass sie unmöglich sagen konnte, ob eine von ihnen Shikamaru gehörte.
 

„Was machst du denn so früh am Morgen hier?“
 

Sie wandte sich um. Es war Maki.
 

„Oder besser gesagt: Was machst du mit Kind überhaupt hier?“, erwiderte sie, hob die Hand und winkte Kairi zu.
 

Das Mädchen lachte, erwiderte die Geste und verpasste seiner Mutter damit einen Stich. Es war ja schön, dass sie plötzlich so freundlich zu anderen war, aber musste es unbedingt auf die Weise sein, die sie zuerst bei ihrem Vater angewandt hatte?
 

Temari schüttelte den Gedanken ab und sagte: „Nur ein kleiner Spaziergang. Ich dachte, ich guck mal, ob schon irgendwo das erste Grasbüschel wächst.“

Maki lachte. „Darauf warte ich auch sehnsüchtig, aber ein paar Tage wird es wohl noch dauern.“ Sie reichte Kairi den Finger und die Kleine griff zu und schüttelte ihn. „Du hast eine sehr höfliche Tochter“, fuhr sie fort, „aber es ist trotzdem schade, dass du dich so früh entschlossen hast, Mutter zu werden.“

Hab ich nicht, dachte sie, sprach es aber nicht aus.

Temari überwand sich zu einem Lächeln – und wie viel Überwindung es sie kostete! – und setzte nach: „Ach, in diesen Friedenszeiten ist es doch kein Verlust, dass ich nicht mehr zur Verfügung stehe.“
 

Toll, jetzt laberte sie hier rum und hielt uninteressanten Smalltalk, anstatt nach Shikamaru zu fragen. Wenn er noch im Dorf war, konnte er sich hier unmöglich vorbei schleichen. Und wenn er schon weg war, dann …
 

„Ist hier heute schon jemand vorbei gekommen?“, fragte sie.

„Ja, ein paar Leute“, sagte Maki. „Hauptsächlich Wachablösung.“ Sie gähnte demonstrativ. „In einer Dreiviertelstunde taucht meine hoffentlich auch auf.“

„Bestimmt“, sagte Temari rasch, obwohl es ihr schnurz war. Sie hatte größere Probleme als eine ehemalige Kollegin, die müde von ihrer Nachtschicht war. „Hat irgendwer das Dorf verlassen?“
 

Bitte nicht!, dachte sie, ohne wirklich darauf zu hoffen.
 

Die Kunoichi überlegte.
 

„Ja, aber wenn du möchtest, schau ich eben auf der Liste nach.“
 

Sie wartete keine Antwort ab, flitzte los und kam eine halbe Minute später mit einem Klemmbrett in der Hand zurück.
 

„Jemand aus Konoha“, las sie. „Nara Shikamaru. Er schien ganz schön in Eile zu sein.“
 

Temari riss ihr die Liste aus der Hand und betrachtete den letzten Eintrag. Sie erkannte seine Unterschrift.

Okay, das war es. Endgültig.

Sie kam sich dumm vor, dass sie sich überhaupt an diesen winzigen Hoffnungsschimmer festgeklammert hatte, obwohl sie es die ganze Zeit über gewusst hatte. Und doch –
 

„Wie lange ist es her?“

„Zwei, maximal zweieinhalb Stunden“, sagte Maki. „Warum fragst du?“
 

Temari gab ihr keine Antwort, sondern sprintete los. Die Schlucht tat sich mit jeder Sekunde mehr vor ihr auf, sie passierte das Ende und lief in die Weite der Wüste, die sich bis zum Horizont ausbreitete.

Sie überwand hundert Meter, zweihundert Meter, dreihundert Meter, bis sie schließlich langsamer wurde und atemlos anhielt.

Sie fluchte innerlich über ihre verlorene Kondition und schaute auf den Boden. Hier draußen war der Sand durch die Sonne an der Oberfläche getrocknet, doch seine Fußspuren, die weit auseinander lagen, waren deutlich zu sehen.

Warum hatte er es nur so eilig gehabt, von hier wegzukommen?

Damit sie ihn nicht einholen konnte?
 

Temari spielte mit dem Gedanken weiterzulaufen, aber es war aussichtslos.

Sie konnte mit einem kleinen Kind keine mehrtägige Verfolgungsjagd durch die Wüste starten. Selbst wenn sie genug zum Essen und Trinken dabei gehabt hätte, war dies nicht der richtige Ort für eine Einjährige. Und sie selbst würde es auch nicht durchhalten. Nicht mit einem unangenehmen Stechen im Unterleib, das sie bei jedem Schritt spürte, und einer Lunge, die nach einem kurzen Sprint pfeifend zusammenbrach.

Ihre Augen folgten der Spur, die in Richtung Feuerreich führte, bis sie in der Ferne verschwunden war.

Er hatte gesagt, dass sie heute reden würden. Doch stattdessen war er gegangen. Ohne ein Wort.
 

Temari sank auf die Knie.

Und ließ den Tränen ihren freien Lauf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hm, irgendwie hab ich in den letzten Jahren einen kleinen Hang dazu entwickelt, nicht sonderlich nett mit meinen Lieblingscharakteren umzuspringen …^^°
Das Kapitel hieß mal »Spuren im Sand«, da mir der Titel aber zu viel verraten hat, hab ich es lieber umbenannt. Alles endgültig ist – wie könnte es auch anders sein? – eine Kurzgeschichte von Stephen King (zu finden in der Sammlung »Im Kabinett des Todes«). Obwohl es schon eine ganze Weile her ist, dass ich sie gelesen habe, ist sie mir im Gedächtnis geblieben und als Kapiteltitel passte es ganz hervorragend. :D

Danke fürs Lesen! :)
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  fahnm
2015-03-29T21:49:54+00:00 29.03.2015 23:49
Spitzen Kapitel
Antwort von:  Rabenkralle
30.03.2015 12:19
Danke!
Von:  Micah_Mc_Kogane
2015-03-29T15:39:47+00:00 29.03.2015 17:39
Ach manno, dieser Vollidiot, echt jetzt! Aber naja, immerhin hat Kairi Spaß gehabt als Temari da so lossprintete ^^ Ich bin einfach mal optimistisch auch wenn die Chancen hier nicht so gut stehen, es lebe der Optimismus! :D
Bin dann mal auf's nächste Kapi gespannt, das hier war auch gut ^-^
Antwort von:  Rabenkralle
29.03.2015 21:18
Dankeschön für deinen Kommentar! :)
Das nenne ich mal eine positive Grundeinstellung! Davon kann sich Temari in dieser Geschichte wirklich ein Beispiel nehmen. :D

Liebe Grüße,
Rabenkralle
Von:  Stef_Luthien
2015-03-29T15:33:59+00:00 29.03.2015 17:33
Ein schönes Kapitel. ;)

Ich hab das Gefühl, dass Shika so schnell wieder weg war, weil er mit iwem in der Nähe von Suna war, aber eigentlichnicht nach Suna durfte. Und dann ist er schnell wieder verschwunden, damit das nicht auffällt. Aber ganz am Anfang hab ich noch gehofft er ist (wieso auch immer) Brötchen holen und wollte mal nett sein
und seine Sachen falten. ;)
Ich mag unbedingt weiterlesen XD
Vllt ist es genau die Angewohnheit etwas gemein zu den Charakteren zu sein, dass was das ganze auch wirklich spannend macht ;) Mich regt es auf jedenfall zum überlegen von allternativen möglichen Endings für die FF an, solange ich das richtige nicht kenneXD

LG,
Asuna
Antwort von:  Rabenkralle
29.03.2015 21:17
Vielen Dank für dein Review! =)
Das wäre auf jeden Fall eine Theorie, wenn man am Guten festhalten möchte. Aber ich hülle mich wie immer in Schweigen. xD
Ich denke auch, dass es der Spannung nur zugute kommt, wenn man die Charaktere, zu denen man etwas schreibt, nicht immer nur mit Samthandschuhen anfasst. Dann wird das Ganze schnell vorhersehbar und das ist als Leser auf Dauer doch langweilig. :D
Du darfst mir gerne ein paar Theorien mitteilen. Ich höre mir so was gerne an. :)

Liebe Grüße,
Rabenkralle


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