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Stumme Sehnsucht

von

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Begleitung

Victor Clement Graf de Girodelle drehte versonnen an dem langen Stiel der schwarzen Rose, ohne die kleinen Stiche der zahlreichen Dornen zu spüren. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster seiner Kutsche auf die begrenzte Szenerie, die ihm der Ausblick bot. Er stand unweit der Tuilerien an der Seine und sah auf das glitzernd dahinfließende Wasser. In dem alten Palastgebäude war wieder Leben eingekehrt. Ungeachtet der veralteten Einrichtung musste die Königsfamilie sich in den Tuilerien heimisch einrichten. Nur noch wenige Adlige umgaben das Königspaar. Eine traurig geringe Zahl Höflinge hielt ihnen die Treue. Obwohl Graf de Girodelle seinen Posten bei der königlichen Leibwache niedergelegt hatte, hielt er weiterhin zum König. Regelmäßig ging er im alten Palast ein und aus, um kleinere Aufträge zu erledigen. Der Rosenstiel war eine Runde zu lang in den manikürten Fingern des Grafen gedreht worden. Der Stiel brach durch. Mit einem Gefühl des Bedauerns legte Girodelle sie neben sich auf die Sitzbank. Einige tiefschwarze Blätter lösten sich und fielen zu Boden.

Erst flüsternd, dann immer lauter hatte sich die Neuigkeit unter den Adligen verbreitet. Der ehemalige Kommandant der königlichen Leibwache, die treue Freundin der Königin, die edle Lady Oscar hatte die Seiten gewechselt und war zum gemeinen Volk übergewechselt, um sich gegen den König und ihre Familie zu stellen. Und das bei einer Familie, welche schon generationenlang die Treue zum König hielt. Als das Gerücht umging, die Abtrünnige wäre beim Sturm auf die Bastille gefallen, hatten die hohen Damen und Herren ihre gepuderte Nase gerümpfte und gemeint, dass geschehe ihr recht. Vergessen war die Bewunderung, die Lady Oscar entgegenschlug, wann immer man sie in Versailles antraf. Still und aufrecht hielt Victor Clement Graf de Girodelle weiterhin zu ihr. In seinem Herzen würde sie weiterbestehen und nichts von ihrem Glanz verlieren. Wieder strich er zärtlich über die Blätter der schwarzen Rosen.

Ein leichter Wind kam mit dem Öffnen der Kutschentür in das Innere. Die Tür schlug wieder zu und der Wind ward ausgesperrt. Graf de Girodelle klappte die Kinnlade herunter. Er war unfähig mehr hervorzubringen, als ein heiseres Ächzen.

"Bonjour Girodelle. Macht Euren Mund zu! Ihr seht aus, wie ein Narr." Oscar runzelte unwirsch die Stirn und blickte ihn an, als wäre sein ungläubiges Verhalten unverständlich für sie. Wäre Girodelle alleine gewesen, hätte er sich bekreuzigt.

"Lady Oscar?" durchbrach er endlich die Barriere des Schweigens. "Ihr seid nicht tot?"

"Nein, ich fühle mich sogar äußerst lebendig." Peinlich berührt hob Oscar seitlich ihr Hinterteil an und zog einen zerknautschten Strauß schwarzer Rosen hervor. "Verzeiht, ich habe Eure Blumen ruiniert."

"Das ist nicht schlimm. Sie waren ohnehin zum Gedenken an Euch."

"Danke." Oscar lächelte warm, fast zärtlich und legte die geknickten Blumen neben sich. Girodelle erwiderte ihr Lächeln zärtlich. "Ihr lebt, ich bin überglücklich. Ihr seht wunderschön aus." Sein Blick glitt bewundernd und begehrlich über ihren Körper. Oscar zog unbehaglich das Schultertuch höher.

"Graf de Girodelle, könnt Ihr mir behilflich sein?"

"Natürlich. Alles was Ihr begehrt."

"Ich benötige ein Möglichkeit, um zum Chateau de Jarjayes zu kommen."

"Euer Wunsch ist mir Befehl." Lächelnd gab der Graf seinem Kutscher ein Zeichen und die Kutsche fuhr los.

Lange Zeit ließen Oscar und Graf de Girodelle die Landschaft auf sich wirken, als sie die menschenüberfüllte Stadt Paris verließen und die lange mit Bäumen geschmückte Allee entlang fuhren, die sie zum Chateau de Jarjayes führte.

"Graf de Girodelle?" sagte Oscar plötzlich. Ihr Begleiter sah, dass sie immer noch aus dem Fenster zu ihrer Rechten hinausblickte. Sie schien gedankenversunken. Er konnte sich nicht darin entsinnen, wann Oscar ihn in den letzten Jahren mit seinem Adelstitel angesprochen hatte. Bevor sie die Leibgarde verließ, war sie der diensthöhere Offizier. Alles begann mit einem Duell vor 20 Jahren.

"Habt Ihr möglicherweise gehört, wie es meiner Familie seit dem Sturm auf die Bastille ergangen ist?" Sie wandte sich ihm zu und Girodelle konnte Hoffnung in ihren Augen sehen. Hoffnung auf das Überleben ihrer Eltern oder möglicherweise Hoffnung darauf, dass sie ihr Handeln vergeben mögen.

Girodelle senkte den Kopf und lächelte "Sie leben, Lady Oscar. Euer Vater steht noch immer treu in den Diensten seiner Majestät, auch wenn er die Tuilerien nicht sehr oft aufsuchen. Auch Eure Mutter ist noch offizielle eine Hofdame ihrer Majestät, der Königin. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen. Sie hat sich vom Hofe zurückgezogen." Ja, Oscar hatte es geahnt, in der Stunde der Not, würde ihr Vater dem König mit seinem Leben zur Verfügung stehen. Eine Ehre, die sie ihrer Königin nicht mehr erweisen konnte.

"Ich habe meine Familie verraten...", sagte Oscar schuldbewusst und nachdenklich. "Ich habe mich gegen alles gestellt, woran sie glauben. Aber es gab keinen Weg mehr zurück und ich empfinde keine Reue."

"Ihr hattet sicher Gründe für Euer Tun. Ich kenne diese zwar nicht, aber durch Eure Entscheidung habt Ihr mich nachdenklich gemacht," antwortete Girodelle. "Der Adel wird sich für viele Misstaten verantworten müssen. Trotzdem denke ich, dass ein König unantastbar ist. Sie halten den König und die Königin in den Tuilerien gefangen ...." ereiferte er sich empört. Girodelle sah ihr in die Augen und lächelte. Oscar konnte erkennen, dass er nicht einen Hauch von seiner Liebe zu ihr verloren hatte. "Nur für Euch, würde auch ich die Seiten wechseln, dass hatte ich Euch schon einmal zugesichert und würde es immer noch tun," wiederholte er. "Lady Oscar, ich biete nochmals meine Hand an. Flieht hinter die Sicherheit meines Namens! Eine Ehe ohne Verpflichtungen. Ihr müsst nichts tun, was Ihr nicht wollt." Oscar wusste seine Worte wirklich zu schätzen, doch ein derartiges Opfer konnte sie nicht von ihm verlangen. Sie lächelte ablehnend.

"Ich könnte Euch nie die Liebe entgegenbringen, die Ihr eigentlich verdient, Graf. Ihr würdet ein unglückliches Leben führen, für das ich mir die Schuld geben werde. Ich habe einen Namen, unter dem ich leben möchte. Doch ich empfinde ich sehr viel Zuneigung für Euch und möchte Euch als Freund betrachten, wenn Ihr mich lasst!"

Oscar hoffte, dass er ihr Angebot akzeptieren würde. Bevor Girodelle etwas erwidern konnte, kam die Kutsche zum Stehen. Oscar blickte zum Fenster hinaus und erkannte das große Eingangstor zum Chateau, welches offen stand.

"Würdet Ihr hier auf mich warten?", fragte sie ihren Gegenüber, der sofort nickte.

"Ich danke Euch."
 

Oscar hielt die Luft an. Ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleides. Sie hatte das Tor durchschritten und wusste nicht, ob sie noch ihren Augen trauen durfte. Vor ihr breitete sich Chaos und Verwüstung aus.

Auf dem einst gepflegten Kieselweg lagen zerschlagene Holzstücke und Balken. Entsetzt stellte sie fest, dass es sich dabei um eine der Kutschen gehandelt haben musste, die zerschlagen worden war. Das Rasenstück rund ums Haus wies dunkle Stellen auf und es roch über dem gesamten Hof nach Verbranntem. Als Oscar ihren Blick auf das Haus richtete, stiegen ihr Tränen in die Augen. Die Fenster waren zum Teil zerschlagen. Vorhänge wehten traurig durch zerschundene Fensterscheibe. Marmorstaturen waren umgestoßen und Teile davon zerbrochen. Die breite Eingangstür hing nur noch lose in den Angeln. Das Haus hatte an Glanz verloren. Es schien um Hunderte von Jahren gealtert und plötzlich schwand allerlei Hoffnung in Oscar ihre Familie hier noch lebend vorzufinden.
 

***



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  June
2003-09-22T06:28:39+00:00 22.09.2003 08:28
Das war wieder so schön *schmacht*.
Ihr schreibt einfach herrlich zusammen! Also, ich möchte schnell eine Fortsetzung haben. Ich liebe eure Version der weitergehenden Geschichte! Toll, toll
Von:  MilchMaedchen
2003-09-20T09:15:06+00:00 20.09.2003 11:15
Natürlich will ich mehr! Schreibt schnell weiter!


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